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Sprachsystem und Sprachgebrauch Teil 5b Komponenten von Sprache (2) Willkommen zu dieser Vorlesung!

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Sprachsystem und Sprachgebrauch

Teil 5b

Komponenten von Sprache (2)

Willkommen

zu dieser Vorlesung!

(5) Bedeutung

Grundbedeutung: abhängig vom Ko(n)text,

vom situativen Kontext, von Wörtern im lexika-

lischen Umfeld, die Ähnliches od. Gegensätz-

liches bedeuten;

• denotative Bed., z.B. Haus als Wohneinheit

• konnotative Bed., z.B.

Haus als Ort der Gebor-

genheit: Heidegger

(1949) → Die Sprache

ist das Haus des Seins.

• Konnotationen = wichtig f. d. gesellsch. Zusam-

menleben → Diskussion über political correct-

ness, z.B. Neger ↔ Schwarzer/Afroamerikaner

Semantik

Martin Heidegger

(1889-1976)

Bedeutungskomponenten

konnotat iv : nichtdefinitorische, gegenstandsbe-

zogene Merkmale, z.B. Sportwagen: [teuer]

- evaluat ive (bewertende) Merkmale: Vollbe-

schäftigung: [gut]

- deont isch: als appellativ wahrgenommen, z.B.

Rechnung: ('schriftliche Aufstellung mit der An-

gabe des Preises, der zu zahlen ist').

Bedeutung

• lexikalische B. (nicht kontextbedingter be-

griffl. Inhalt) ↔ grammatische B. (Art des

Bedeutens: <Tätigkeit, Geschehen> bei Ver-

ben)

• habituelle B. (im Sprachsystem) ↔ aktuel-

le B. (in der Rede)

• usuelle B. (gewohnheitsmäßige Verwen-

dung) ↔ okkasionelle B. (gelegentliche

Verwendung).

Semem

(a) spezifische Kombination von Semen, se-

mant. Merkmalen (auch: Merkmalsbündel).

Beispiel: zu den Sememen des Wortes

Fluss gehören u.a. semant. Merkmale wie

[konkret], [natürlich], [fließend], [relativ

groß]; drei dieser Merkmale teilt das Se-

mem von Fluss mit dem von Bach, unter-

scheidet sich von diesem aber im Merkmal

[relativ groß]

(b) eine best. Bedeutung.

Sem

(a) die kleinsten Elemente d. Bedeutung von

Wörtern; Beispiel: Frau: [menschlich], [er-

wachsen], [weiblich] → Sem [weiblich] =

auch Bestandteil von Königin, Tochter o.

Löwin

(b) distinktives Sem (Sem,

das innerhalb eines Pa-

radigmas eine distinkti-

ve Funktion hat) ↔ No-

em (das allen gemein-

same Merkmal).

Wortfeld Sitzgelegenheiten

Lexem Zum

Sitzen

Auf

Füßen

Für eine

Person

Mit

Rückenlehne

Mit

Armlehne

Kanapee + + - (+) (+)

Sessel + + + + +

Stuhl + + + + -

Hocker + + + - -

(6) Phoneme

• Kleinste segmentierbare bedeutungsrelevante

Bestandteile der Sprache; abstrakte Klasse.

Wenn man sie austauscht, ändert sich die

Bed. bei Minimalpaaren: kaum vs. Raum.

Phonologie

• Phoneme /k/ und /r/ in Wien u. Hamburg an-

ders ausgesprochen → irrelevant → von der

Phonetik behandelt.

Phonemkonzept

Baudouin de Courtenay Nikolaj Trubetzkoj

(1845-1929) (1890-1938)

Archiphonem (nach Trubetzkoj)

Abstraktum: kleinster gemeinsamer Nenner

zweier o. mehrerer Phoneme,

• die normalerw. in Opposition zueinand. stehen,

• in best. phonolog. Umgebung (z.B. bei d. Aus-

lautverhärtung) aber gleich klingen, so dass

d. ursprüngl. Opposition neutralisiert wird.

Beispiel: Aufhebung des Gegensatzes stimm-

haft [d] vs. stimmlos [t] (Rades − Rates) bei

Endstellung (Rad − Rat) ← /d-t/ besitzt beide

Merkmale.

Phon:

• Sprechlaut, konkrete Realisierung der Phone-

me; kleinste messbare Lauteinheit

• also: kleinste unterscheidbare Lauteinheit im

Lautkontinuum, z.B. [t], [u], [x] in Tuch

• Phone mit untersch. artikulat. Merkmalen, die

jedoch in derselben Umgebung denselben

Bedeutungsunterschied bewirken = Allopho-

ne, z.B. Zungenspitzen-r u. Zäpchen-r

- Phoneme → Phonologie, Phone → Phonetik

- Phoneme + Grapheme = Distingeme.

(7) Prosodische Merkmale

• Bedeutungsunterschiede auch durch supra-

segmentale Merkmale erzielt →

Prosodie = Gesamtheit derjenigen lautlichen

Eigenschaften d. Sprache, die nicht an d. Laut/

ans Phonem als minim. Segment gebunden

sind, sondern an umfassendere lautliche Ein-

heiten.

• Wortakzent: úmgehen ↔ umgéhen

• Satzakzent: Er hat nicht einmal ein Haus

↔ Er hat nicht einmal ein Haus

• Junktur (die Art der Verbindung oder des

Übergangs zw. den einzelnen Phonemen in

ihrer syntagmatischen Aufeinanderfolge;

zeigt eine Morphem- o. Wortgrenze an):

Dieser Satz ist quasi philosophisch ↔ Dieser

Satz ist quasiphilosophisch.

• der auf Wortsilben ruhende lexikal ische

Ton: bair. owe = 1. hinunter, 2. Hilfeausruf

(au weh)

• Intonat ion (von Einheiten von mehr als ein

Silbenumfang) und Satzmelodie

• Quant i tät aller lautlichen Einheiten, vor al-

lem derjenigen von mehr als Segmentum-

fang: Bier in Maßen/Massen trinken

• Tempo, Rhythmus und Pausen beim

Sprechen.

(8) Nonverbale Kommunikation

Sprecher: verstärkt das verbal Geäußerte (be-

wusst o. unbewusst) durch unartikulierte Laute

o. durch Mimik/Gestik.

Oder: er schwächt es ab,

ersetzt o. widerlegt es,

z.B. wenn er beim

Äußern eines Kompli-

ments hüstelt o. mit

einem Auge zwinkert).

Nonverbale Kommunikation

• beschreibt alle Formen der Kommunikation,

die sich nicht auf eine sprachliche Informa-

tionsvermittlung stützen. Informationen kön-

nen über alle Sinne kommuniziert werden,

z.B. durch Musik, Bilder, Geruch, Ge-

schmack sowie Gesten und Körperhaltung

Typologie:

Gestik, Mimik, Blickkontakt, Ton, Körperhal-

tung, Bewegungen

Nonverbale Kommunikation

(a) unabhängig von der Lautsprache

(b) verbale Kommunikation begleitend = para-

verbale/konverbale Kommunikation, z.B.

Tonführung, Betonung, Sprechtempo

Double-Bind-Kommunikation

(9) Weltwissen

außerspr. Sachwissen, enzyklopäd. Wissen

S. = eingebunden in die Gesamtwirklichkeit

zur Kenntnis der Auswirkung einer Aussage:

• Welchen Stellenwert hat das

Geäußerte in einer best. Kul-

tur in der jew. Situation?

• Ist es dort überhaupt be-

kannt?

Beispiele:

• Du bist schon alt! (positiv vs. abschätzig)

• Ich habe vier kleine Kinder zu versorgen:

(a) am Stammtisch,

(b) dem Chef gegenüber oder

(c) bei Festlegung einer Kletter-

route.

Weltwissen beschreibt das einem Individuum

verfügbare allg. Wissen, Kenntnisse u. Erfah-

rungen über Umwelt u. Gesellschaft; bezeich-

net die in jedem lebenden Organismus gespei-

cherten Informationen über die Welt, in der er

lebt u. ohne die dieser Organismus nicht über-

leben könnte. Das Weltwis-

sen ermöglicht es, neue

Tatsachen einzuordnen u.

entsprechend zu handeln,

auch wenn detaillierte In-

formationen fehlen.

• Sprachwissen

• Sachwissen

• Weltwissen

• Kontextwissen

• Situationswissen

• Episodenwissen

→ Pragmalinguistik

(10) Grammatik (Systemlinguistik)

• Satzbestandteile: von kompetenten Spre-

chern zu korrekten Sätzen zusammengefügt

mit Hilfe der Grammatik.

Gramm. = Zusammenfassung aller traditionell

herrschenden morphosyntaktischen Regulari-

täten einer Sprach-/Varietätengemeinschaft,

mit Hilfe derer ein Sprecher eine endliche Zahl

v. Einheiten zu einer unendlichen Anzahl von

Mitteilungen kombinieren kann.

Lexikon: stellt das Material/die Wörter bereit.

Grammatik: bietet das Programm für die Be-

arbeitung und Verknüpfung der Wörter.

Jedoch: Neuere Ansätze (z.B. die Konstruk-

tionsgrammatik) integrieren Lexikon u. Gram-

matik und gehen von einer starken Interdepen-

denz der beiden Ebenen aus.

Was ist Grammatik?

• Sprachtheorie (ob Spr. eine Struktur hat, wie

diese aussehen könnte u. wie man es wiss.

beschreiben kann).

• Strukturen d. beschriebenen Spr. selbst; das

abstrakte Regelsystem, die Langue.

• Schriftlich festgehaltene

Sprachbeschreibung, al-

so die kodifizierten Re-

geln: das Buch.

Schöpfer einer wiss. Grammatik = griechische

Sophisten, insbes. Protagoras, dem u.a. die

Benennung der drei Genera u. die Unterschei-

dung der Tempora u. Modi zugeschrieben wer-

den.

490 v.Chr.– 411 v.Chr.

Jeder kompetente Sprecher beherrscht die Gr.

„fehlerfrei“, außer er ist sehr ermüdet, betrun-

ken oder sein Sprachenzentrum = verletzt.

• Gleichwohl z.B. Wiener: er gangat („er gin-

ge“) ≠ Fehler.

• Nicht alle Sätze = gramm. wohlgeformt –

z.B. (a) Kontaminationen: Ich habe mich

schweren Schrittes dazu entschlossen; (b)

Anakoluthe: Wahrscheinlich hast du's wie-

der du gemacht!

In der Literatur: zur Erzielung best. Wirkungen.

Andererseits: Nicht alle gramm. korrekt gebil-

deten Sätze = sinnvoll

• z.B. Der bewölkte Stier kalbt kleinlich.

→ Semantik

Ziel der wissenschaftlichen Grammatikfor-

schung

• Rekonstruktion der menschlichen Sprachfä-

higkeit.

Die drei Schritte in der wissenschaftlichen

Grammatikschreibung

• Erfassung, Beobachtung

• Beschreibung → deskriptive (beschreibende)

Grammatiken

• Erklärung → explanative (erklärende) Gr.

Typologie − je nach Untersuchungsziel:

• Korpusgrammatik: umfassende Beschrei-

bung der beobachtbaren Regularitäten einer

Sprache

• Kompetenzgrammatik: Abbildung der Kom-

petenz (z.B. Transformationsgrammatik)

Theoretisches Zielkonzept

• Grammatik einer Einzelsprache

• Universelles Be-

schreibungskonzept.

Methodische Prämissen

• Deskriptive Grammatik: Objektive Beschrei-

bung synchronischer Tatbestände.

• Normative Grammatik: Belehrung über den

„richtigen“ Sprachgebrauch.

• Distributionelle Grammatik: Klassifizierung

von Oberflächenstrukturen nach Kriterien ih-

rer Verteilung.

• Operationelle Grammatik: Beschreibung der

Regularitäten aufgrund der Prozeduren, die

zu ihrer Auffindung angewendet wurden.

Benutzer

• Wissenschaftliche Grammatiken (deskriptiv)

• Pädagogische Grammatiken (präskriptiv)

- Volksgrammatik

- Schulgrammatik (muttersprachlich o. fremd-

sprachlich).

Sinn einer präskr./normativen Gr.: (a)

Komm. zw. versch. Dialektgebieten

ermöglichen, (b) Erlernen des Stan-

darddeutschen erleichtern ≠ Dialekt-

varianten entwerten.

Sprachauffassung (versch. Grammatikmodelle)

• traditionelle Gramm./Schulgrammatik

• Valenz-/Dependenzgrammatik

• Generative Gramm./Transformationsgramm./Generative Transformationsgrammatik (GTG)

• Konstituentengramm./Phrasenstrukturgramm.

• Kasusgrammatik

• Strukturelle Grammatik

• Funktionale Grammatik

• Konstruktionsgrammatik

• Inhaltbezogene Grammatik

Untersuchungsrichtungen

• aszendente Grammatik: Beschreibung der

Sprachstruktur beginnt mit den Phonemen u.

endet mit der Gramm. der Satzketten

• deszendente Grammatik: erschließt von d.

Textstruktur ausgehend die Struk-

turregeln der kleineren Einheiten

(z.B. H. WEINRICH [et al.]: Text-

grammatik der deutschen Spra-

che. Mannheim/Leipzig/Wien/Zü-

rich: Dudenverlag 1993).

Literaturempfehlungen zum Thema

• AUER, Peter (Hrsg.): Sprachwissenschaft.

Grammatik − Interaktion − Kognition. Stutt-

gart/Weimar: Metzler 2013.

• BUßMANN, Hadumod: Lexikon der Sprach-

wissenschaft. 4., durchges. Aufl. Stuttgart:

Kröner 2008.

• DRÜGH, Heinz [u.a.] (Hrsg.): Germanistik:

Sprachwissenschaft – Literaturwissenschaft

– Schlüsselkompetenzen. Stuttgart/Weimar:

Metzler 2012.

• HABERMANN, Mechthild (Hrsg.): Grammatik

wozu? Vom Nutzen des Grammatikwissens

in Alltag und Schule. Mannheim Dudenver-

lag 2010 (Thema Deutsch; 11).

• HOFFMANN, Ludger: Sprachwissenschaft. Ein

Reader. 2., verbess. Aufl. Berlin/New York:

De Gruyter 2000 (De Gruyter-Studienbuch).

• KOCSÁNY, Piroska: Grundkurs Linguistik. Ein

Arbeitsbuch für Anfänger. Paderborn: W.

Fink 2010 (UTB; 8434).

• KÜRSCHNER, Wilfried: Grammatisches Kom-

pendium. Systematisches Verzeichnis gram-

matischer Grundbegriffe. 6., akt. Aufl. Tübin-

gen/Basel: A. Francke 2010 (UTB; 1526).

• SCHLOBINSKI, Peter: Grundfragen der

Sprachwissenschaft. Eine Einführung und

die Welt der Sprache(n). Göttingen/Boston:

Vandenhoeck & Ruprecht 2014 (UTB; 4125).

• ULRICH, Winfried: Wörterbuch. Linguistische

Grundbegriffe. 5., völlig neu bearb. Aufl.

Berlin/Stuttgart: Borntraeger 2002 (Hirts

Stichwortbücher).