Spiegel: Letzte Ausfahrt Eisenach

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    POLIZEIDIREKTIONSUEDWESTSACHSEN

    SEBASTIA

    NWILLNOW/DAPD

    Rechtsextremisten Mundlos, Zschpe, Bhnhardt, zerstrtes Wohnhaus in Zwickau: Dramatische Funde im Schuttberg

    Letzte Ausfahrt EisenachMehrere Neonazis gehen in den Untergrund und bleiben fast 14 Jahre lang verschwunden. Sierauben Banken aus, erschieen eine Polizistin und ermorden Einwanderer. Die Terroristenhinterlassen ein Gestndnis auf DVD, das eine ungekannte Dimension rechten Terrors offenbart.

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    Zwickau, da, wo es an besseres Leip-zig oder Dresden erinnert: An derFrhlingsstrae im Viertel Weien-born liegen renovierte Altbauvillen, dasGrn der Vorgrten akkurat gestutzt, dieBrgersteige besenrein. Eine scheinbarheile Wohnwelt, she es bei der Haus-

    nummer 26 nicht so aus, als wre hier ge-rade eine Bombe eingeschlagen.

    Und es sieht nicht nur so aus. Die Fens-ter geborsten, ein Teil der Fassade aufden Rasen gestrzt, das Obergeschossrechts nur noch ein schwarzes Loch eswar tatschlich eine Brandbombe, diehier vor gut einer Woche explodiert ist.Was aber fr eine Bombe hier wirklichgeplatzt ist, steht erst seit vergangenemFreitag fest. Eine, die nun nicht nur dieNachbarhuser in der Frhlingsstrae er-schttert hat, sondern die ganze Repu-blik.

    Kurz bevor am 4. November um 15.05Uhr die Flammen aus den leeren Fenster-lchern schlugen, hatte Beate Zschpe,die Bewohnerin, das Haus verlassen. Ihre

    Katzen gab sie noch bei den Nachbarnab, dann tat sie das, was sie seit fast 14Jahren immer wieder gemacht hatte: Sie

    verschwand.Drei Stunden vorher war auch im 180

    Kilometer entfernten Eisenach ein Brandgelegt worden, in einem geparkten Wohn-mobil. Die beiden Mnner darin, UweMundlos und Uwe Bhnhardt, hatten ge-rade eine Bank berfallen, hier in Eise-nach endete ihre Flucht, die genauso lan-ge gedauert hatte, 14 Jahre. Bevor einePolizeistreife das brennende Auto erreich-te, erschossen sie sich.

    Die Ermittler brauchten nicht lange,um den Zusammenhang zu erkennen.Seitdem trugen sie den Schuttberg in derFrhlingsstrae Schicht um Schicht ab,auf der Suche nach Spuren. Und je tiefersie gruben, umso unfassbarer die Funde,umso monstrser der Befund.

    Oberste Schicht: nur eine Gang vonBankrubern, die ihren Unterschlupf indie Luft gejagt hat? Tiefer.

    Ein Neonazi-Trio, das Ende der neun-ziger Jahre in Thringen Rohrbomben ge-baut hat und hier untergetaucht war?Noch tiefer.

    Kaltbltige Mrder, die vor vier Jahrendie Polizistin Michle Kiesewetter in Heil-bronn erschossen haben? KiesewettersHeckler & Koch P 2000 und die ihresschwerverletzten Kollegen hatten dieFahnder schlielich im ausgebranntenWohnmobil gefunden; die mutmalicheTatwaffe lag im Schutt von Zwickau. Abernein, das war immer noch nicht alles.

    Also was noch? Eine rechtsextremeTerrorgruppe, die seit dem Jahr 2000 inganz Deutschland wahllos neun Mnnererschossen hat, acht aus der Trkei undeinen aus Griechenland? So tief reichtseit Ende vergangener Woche der Befund.Denn da fand die Polizei in dem Trm-merberg eine Waffe, die zum Synonymfr die wohl lngste, brutalste und gleich-

    zeitig rtselhafteste Mordserie des Landesgeworden ist. Ceska, Modell 83, Kaliber7,65 Millimeter Browning.

    Noch hatten die Ermittler die Untersu-chung der Pistole am vergangenen Freitagnicht abgeschlossen, aber fr sie steht sogut wie sicher fest: Es ist die Ceska, mitder von 2000 bis 2006 die Dner-Mordebegangen wurden, so genannt, weil zweider Opfer Dner verkauften. Neben derWaffe fand die Polizei im kohleschwarzenChaos von Zwickau vier DVDs, die be-reits in Briefumschlge verpackt waren.Auf die Scheiben gebrannt war ein 15-mi-ntiger Film eines Nationalsozialisti-schen Untergrunds (NSU). Man sei einnationales Netzwerk von Kameradenmit dem Grundsatz Taten statt Worte,heit es in dem Film, der dem SPIEGELvorliegt. Solange sich keine grundlegen-den nderungen in der Politik, Presse

    und Meinungsfreiheit vollziehen, werdendie Aktivitten weitergefhrt.

    In einem makaberen Comic-Stil fhrendie Autoren mit der ZeichentrickfigurPaulchen Panther durch eine Deutsch-land-Tour, die die Tatorte der neunDner-Morde abschreitet. Sie filmen das

    Trschild des Blumenhndlers Enver S.ab, des ersten Dner-Opfers, zeigen seineLeiche und ein Bild, das offensichtlichvon den Neonazis selbst am Tatort auf-genommen wurde, versehen mit der Auf-schrift Original. Der Streifen, unterlegtmit der Musik des rosaroten Panthers, isteine Mischung aus ebenso infantiler wiefaschistischer sthetik, und er strahlt Ei-sesklte aus.

    Auf einem anderen Bild werden dieFahndungsaufrufe der Polizei verhhnt,dazu die Zeile: NSU: Heute Aktion D-nerspie. Ergnzt wird die zynische Lei-chenschau durch einen Pressespiegel mitZeitungsartikeln zu den Attentaten undden Bildern von mehreren erschossenenTrken.

    In dem Selbstbezichtigungsvideo rh-men sich die Neonazis auch, 2004 einenBombenanschlag in Kln begangen zu

    haben, bei dem 22 Menschen verletztwurden, fast ausschlielich Trken. Zusehen ist die mutmaliche Bombe vor derDetonation, ein Koffer auf einem Fahr-rad, gefllt mit silberglnzenden Ngelnund einer Gasflasche. Der Film endet miteinem Bild des Polizistenmordes vonHeilbronn und der Prsentation der mut-malichen Polizeiwaffe.

    Die Agitprop-Videos waren an mehrereMedien und islamische Kulturzentren adres-siert, sie sollten nach 13 Jahren stillen Ter-rors offenbar die nchste Stufe znden: ei-nen Propagandafeldzug. Die Neonazis fhl-

    ten sich anscheinend stark genug, es jetztmit der ganzen Gesellschaft aufzunehmen.Die Ceska und die DVDs sind damit die

    entscheidenden Puzzlestcke in einem Fall,

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    STEFANHIPPEL/NRNBERGERNACHRICHTEN

    (L.);NORBERTFRSTERLING/DPA(R.)

    Tatort nach Anschlag auf einen Imbissbesitzer in Nrnberg 2005, Trauerzug fr erschossene Polizistin 2007: Mordserie mit eiskalter Przision

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    wie es ihn in der Geschichte der Republiknoch nicht gegeben hat. Eine Mordserie,begangen von einem braunen Killerkom-

    mando, das offenbar in glhendem Hassauf Auslnder anlegte, und doch mit so eis-kalter Przision, dass ihm die Ermittler einJahrzehnt lang nicht auf die Spur kamen.

    Im Gegenteil: Noch krzlich mutma-ten die Fahnder, dass die Dner-Mordeauf das Konto der trkischen Mafia gin-gen und mit Schutzgelderpressung zu tunhtten. Oder die Tter im Dickicht natio-nalistischer Splittergruppen vom Bospo-rus zu suchen wren. Oder sonstwo, aber

    ziemlich sicher nicht unter Rechtsextre-misten (SPIEGEL 34/2011). Die, so dieHoffnung, kannte man doch, hatte manim Griff. Eine Fehleinschtzung, wie sichnun zeigt.

    Erst recht, weil es offenbar Mitver-schwrer gab. Wie aus der thringischen

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    Landesregierung besttigt wird, benutzteeiner der Mnner die Identitt HolgerG. Der echte G. wurde mittlerweile ver-nommen und soll erklrt haben, dass erdem Trio einen Gefallen habe tun wollen.In Thringer Regierungskreisen wirdschon ber ein greres rechtsextremes

    Netzwerk spekuliert, das die drei biszur letzten Minute untersttzt habe. Wiesonst htten sich die Flchtigen mit sovielen Waffen und Pssen versorgen kn-nen?

    Zu klren ist der Verdacht, dass dasTrio aus Thringen nur der harte Kern

    einer Terrorzelle gewesen sein knnte,wie sie bisher allenfalls in khnen Ver-schwrungstheorien existiert hatte. EineMiniaturarmee im Untergrund also, eineBraune Armee Fraktion, bestehend auszwei Mnnern, einer Frau, ausgerstetmit 19 Waffen und mit jenem Knopf im

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    Bizarres BekennervideoIn einem 15-mintigen Film nennen die Tter sich NationalsozialistischerUntergrund (NSU). Sie verhhnen ihre Opfer und zeigen Bilder der Lei-chen, die teilweise offenbar direkt nach den Morden aufgenommen wur-

    den. Dabei werden die Taten in zynischer Comic-Form dargestellt. Unter-legt sind die Aufnahmen mit Trickfilmversen und Musik. In dem Videokndigen die Neonazis weitere Anschlge an. Foto 2: mutmaliche Na-gelbombe von Kln in einer Fahrradbox; Foto 3: Abtransport eines Mord-opfers in Hamburg 2001; Foto 5 und 7: Tatortaufnahmen der Mordopfer;Foto 6: mutmaliche Dienstwaffe von Michle Kiesewetter des Typs Heck-ler & Koch P2000; Foto 8: berwachungsfoto, das einen der Tter beimDeponieren der Bombe 2004 in Kln zeigt; Foto 10: bersicht der Mord-opfer.

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    der drei. Was sie in den vergangenen 14Jahren gemacht haben, wissen vermutlichnicht mal ihre engsten Verwandten. DieFamilien von Bhnhardt und Mundloshrten erst wieder von ihnen, als BeateZschpe sie am Morgen des 5. Novemberanrief, gegen 8 Uhr. Aber sie berbrachtekein Lebenszeichen, nur die Todesnach-

    richt.Das Ende der beiden Mnner im bren-nenden Wohnmobil, die Explosion derZwickauer Wohnung kurz danach, sie wa-ren der Endpunkt eines Weges, der Mitteder neunziger Jahre begann und nur eineRichtung kannte: noch mehr Hass, nochmehr Gewalt.

    Anfangs unterschied die drei Thringernur wenig von so vielen ostdeutschen Ju-gendlichen, die nach der Wende in dierechtsextreme Szene abdrifteten. Sietauchten ein in ein Milieu, das nicht nurvon Heimat schwadronierte, sondern ih-nen auch eine Heimat zu geben schien.

    Andere wendeten sich nach einer Weilewieder ab, wollten eine Perspektive, kei-ne Parolen mehr. Mundlos, Bhnhardtund Zschpe aber waren anders.

    Sie suchten keine Vershnung mit demSystem, sondern den Bruch. Und als sieabtauchten, brachen sie die Brcken hin-ter sich ab, fr immer. Drei gegen alle,das war nun ihre Perspektive. Fr BeateZschpe, geboren 1975, aufgewachsen ineinem Plattenbau in Jena. Fr den knappdrei Jahre jngeren Uwe Bhnhardt, Bau-hilfsarbeiter, meist arbeitslos. Und frUwe Mundlos, Jahrgang 1973, den Pro-fessorensohn, der eigentlich sein Abiturmachen wollte.

    1995 schrieb er sich dafr im Ilmenau-Kolleg in Thringen ein. Ehemalige Mit-

    Kopf, den alle Terroristen drcken ms-sen: um das Gewissen auszuschalten.

    Dabei ist es kein neues Phnomen, dassNeonazis militant werden und auch An-schlge begehen. Der bekannteste Fall istder des Oktoberfest-Attentters GundolfKhler, der am 26. September 1980 eineBombe auf der Mnchner Wiesn zndete

    und zwlf Menschen mit in den Tod riss.Khler stammte aus der Wehrsportgrup-pe Hoffmann, einem paramilitrischenVerband von Rechten, die vom Brger-krieg trumten. Schon vor der Bombe aufdem Oktoberfest war die Hoffmann-Cli-que verboten worden.

    Oder der Berliner Rechtsextremist KayDiesner: Er erschoss 1997 auf der Fluchteinen Polizisten und verbt dafr einelebenslange Freiheitsstrafe. Und in Mn-chen mussten mehrere Anhnger vonNeonazi-Fhrer Martin Wiese fr einigeJahre ins Gefngnis, weil sie 2003 einenSprengstoffanschlag auf die Grundstein-

    legung einer Synagoge geplant hatten.Doch eine rechte Kampftruppe, die

    sich im Untergrund eingerichtet hat, sichdurch Bankberflle finanziert und td-liche Attentate plant und durchfhrt,trotz Fahndung, V-Leuten und moderns-ter berwachungstechnik dafr gibt esin der deutschen Nachkriegszeit keinenVorlufer. So etwas kannte man nur vonder anderen Seite des politischen Terrors:der RAF.

    Umso mehr Fragen stellen sich nun:Welche Straftaten hat die Gruppe nochbegangen? Bei mindestens 14 Bankber-fllen, glauben die Ermittler, fhren die

    * Am 9. November, verdeckt durch eine Decke nachder Vorfhrung beim Haftrichter.

    Spuren zu ihnen. Aber gab es neben denDner-Morden, die man ihnen nun wohlzurechnen muss, sogar noch mehr Terror-aktionen? Alles ist jetzt denkbar, alleswird berprft: etwa dass die Neonazisan dem bis heute ungeklrten Spreng-stoffanschlag auf die Wehrmachtausstel-lung 1999 in Saarbrcken beteiligt gewe-

    sen sein knnten.Zwar hat sich Beate Zschpe, die ver-schwundene Mieterin aus Zwickau, in-zwischen der Polizei gestellt, doch ver-weigerte sie bis Ende vergangener Woche

    jede Aussage; ihre Rolle in der Gruppeist noch unklar. Auch ihr Anwalt mochtesich gegenber dem SPIEGEL nicht zuden Vorwrfen uern.

    Und je grer die Unklarheit, umsoppiger sprieen die Spekulationen. Ge-rchte, nach denen deutsche Geheim-dienste dem Trio einst zur Flucht verhol-fen oder Bhnhardt, Mundlos und Zsch-pe gar als Quellen gefhrt haben knnten,wollen nicht verstummen trotz vehe-menter, wiederholter Dementis aus Bundund Lndern. Selbst Polizisten des Lan-deskriminalamts spekulierten 2001 in ei-nem Vermerk, zumindest Zschpe knneals V-Frau gefhrt worden sein was dieGeheimen emprt zurckweisen.

    Mittlerweile hat die Bundesanwalt-schaft die Ermittlungen bernommen undversucht mit dem Bundeskriminalamt insDunkel hineinzuleuchten. Aber die Rt-sel beginnen schon mit den Biografien

    Titel

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    Die Neonazis kannten nureine Richtung: noch mehr Hass,

    noch mehr Gewalt.

    MICHAELKLUG/DAPD

    Beschuldigte Zschpe*:Alle Brcken hinter sich abgebrochen

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    FOTOS:DPA

    /KARINA

    BALZER

    NORBERT

    FRSTERLIN

    G

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    DPA

    BISLANG BEKANNTE

    BANKBERFLLE*

    Heilbronn 25. April 2007

    Die Polizistin Michle Kiesewetter stirbt durch einen Kopfschuss.Ihr Kollege berlebt den Angriff schwer verletzt.

    TATWAFFENFUND

    Zwickau November 2011

    Im zerstrten Haus des Verdchtigen-Trios werden die Waffe,

    mit der die Dner-Morde verbt wurden, sowie Ausrstungs-gegenstnde der ermordeten Polizistin gefunden.

    WEITERE VERDACHTSFLLE

    Kln 9. Juni 2004

    Bei der Explosion einer Nagelbombe im Klner StadtteilMlheim werden 22 Menschen teilweise schwer verletzt.

    Saarbrcken 9. Mrz 1999

    Auf die Wehrmachtsausstellung in der Saarbrcker Volks-hochschule wird ein Sprengstoffanschlag verbt. Menschenkommen dabei nicht zu Schaden.

    POLIZISTENMORD

    SELBSTMORD

    Uwe Bhnhardt und Uwe Mund-los begehen Selbstmord. Inihrem Wohnmobil wird dieDienstwaffe der 2007 in Heil-bronn getteten Polizistingefunden.

    Eisenach 4. November 2011

    Nrnberg

    13. Juni 2001

    Abdurrahim ., 49

    nderungs-schneider

    Hamburg

    27. Juni 2001

    Sleyman T., 31Gemsehndler

    Mnchen

    29. August 2001

    Habil K., 38Gemsehndler

    Rostock

    25. Februar 2004

    Yunus T., 25Dnerverkufer

    Nrnberg

    9. Juni 2005

    Ismail Y., 50Dnerbuden-Besitzer

    Mnchen

    15. Juni 2005

    Theodorus B., 41Mitinhaber einesSchlsseldienstes

    Dortmund

    4. April 2006

    Mehmet K., 39Kioskbesitzer

    Kassel

    6. April 2006

    Halit Y., 21Inhaber einesInternetcafs

    Nrnberg

    9. September 2000

    Enver S., 38Blumenhndler

    OPFER DER MORDSERIE (DNER-MORDE)

    Blutige Spur Verbrechen, die mglicherweise von der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund begangen wurden

    Mnchen

    NrnbergHeilbronn

    Saarbrcken

    ZwickauChemnitz

    Kassel

    Dortmund

    Kln

    Hamburg

    Rostock

    Eisenach

    Arnstadt*Verdachtsflle nach bisherigem

    Ermittlungsstand

    Die Staatsanwaltschaft gehtvon mindestens 14 ber-fllen seit 1999 aus: zwei inThringen, zwei in Mecklen-burg-Vorpommern und zehnin Sachsen, davon siebenin Chemnitz.

    Stralsund

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    schler beschreiben ihn als strebsam undfleiig, besonders in Physik und Mathe-matik sei er gut gewesen. Nur sein Habi-tus kam ihnen merkwrdig vor. Stetshabe Uwe schwarze, uniformartige Klei-dung getragen. Und auf dem Schreib-tisch in seinem Zimmer im christlichen

    Wohnheim am Ehrenberg, 2. Stock, ganzhinten links, habe ein selbstgezeichnetesPortrt des Hitler-Stellvertreters RudolfHe gestanden. Wann immer es ging, seiMundlos zu seinen rechten Freundennach Jena gefahren.

    Die Neonazis dort waren damals eineverschworene Gemeinschaft. Ein Szene-kenner nennt das Milieu familir,Mundlos, Bhnhardt und Zschpe seiendicke Freunde und gegen den Rest derWelt gewesen: gegen Auslnder, Linke,Bullen. Sie nannten sich Kamerad-schaft Jena, der harte Kern bestand aushchstens acht Leuten. Der Nazi AndrK. sei als Fhrer aufgetreten, Mundlosund Bhnhardt htten als Stellvertre-ter das zweite Glied gebildet. Zu den

    einfachen Mitgliedern gehrte BeateZschpe.

    Sie alle waren stadtbekannt.

    Mitte der neunziger Jahre tauchte dasTrio Zschpe, Mundlos, Bhnhardt regel-mig bei den Mittwochsstammtischendes rechtsextremen Thringer Heimat-schutzes (THS) auf, wie sich dessen fr-herer Chef Tino B. erinnert. Mundlos seinicht gerade der Dmmste gewesen,whrend Bhnhardt sich bei Diskussio-nen zurckgehalten habe. Sein Fachge-biet, so B., waren eher Waffen. Er warein Waffennarr.

    Beate Zschpe hatte immerhin ihrestramm nationale Gesinnung zu bieten.Manchmal, so Bekannte, htten sie zu-sammengesessen und Monopoly ge-spielt. Das Spielbrett hatten die drei al-lerdings nach ihrem Weltbild umgebaut.Das Gefngnis hie KZ.

    Was sie offenbar nicht wussten: DerThringer Heimatschutz stand von An-fang an unter stndiger Beobachtung.1994 hatte das Landesamt fr Verfassungs-schutz in Erfurt den jungen Neonazi TinoB. angeworben, der fortan als V-MannNr. 2045 (Deckname Otto) besten Stoff

    aus dem Innenleben der militanten Trup-pe lieferte. Bis zu zwei Dutzend Meldun-gen schienen den Thringer Beamten sowichtig, dass sie das Material an das Bun-desamt fr Verfassungsschutz in Kln wei-terleiteten.

    In den Reihen des Heimatschutzeshabe es in der zweiten Hlfte der neunzi-ger Jahre auch weitere Anwerbeversuchegegeben, erinnern sich Verfassungsscht-zer aber Bhnhardt, Mundlos undZschpe, das sei zumindest die eindeutigeAktenlage des Thringer Landesamtsund des Klner Bundesamts, gehrtennicht dazu.

    Die drei htten sich als eine Art elit-rer Zirkel gesehen, sagt ein THS-Insider.Die Mnner htten Springerstiefel und

    Bomberjacken getragen und seien aufZecken losgegangen, wie Linke und Al-ternative im Neonazi-Jargon heien. Ht-

    ten Streit auf jeder Kirmes in der Gegendgesucht und gegen Auslnder gehetzt.Doch offenbar reichte ihnen das nicht.

    Mitte April 1996 platzierte Bhnhardtan einer Autobahnbrcke bei Jena einenPuppentorso, der Puppe hngte er einSweatshirt mit einem gelben Judensternum und ein Schild, auf dem Vorsicht,Bombe! stand. Das Landeskriminalamtbildete eine Sonderkommission, Verdachtauf Volksverhetzung.

    Ein paar Monate spter, im November1996, wurde Bhnhardt in seinem Autokontrolliert. Die Ermittler stieen auf einkleines Waffenlager: ein Messer, beidseitiggeschliffene Wurfsterne, Gaskartuschen.

    Und es ging immer weiter: Als zwi-schen dem 30. Dezember 1996 und dem

    2. Januar 1997 in Jena Briefbombenat-trappen mit Hakenkreuzen bei der Th-ringischen Landeszeitung, der Stadtver-waltung und der Polizeidirektion auf-tauchten, fiel der Verdacht gleich auf denharten Kern der Kameradschaft Jena.Eigentlich gab es gar keine anderen Ver-

    dchtigen. Die Staatsanwaltschaft ermit-telte wegen Strung des ffentlichenFriedens durch Androhung von Strafta-ten. Doch Beweise gab es nicht. Die Ka-meraden leugneten oder sagten erst garnicht aus. Am 18. Juni 1997 wurde dasVerfahren eingestellt.

    Warum also aufhren? Am 28. Septem-ber 1997 fanden Passanten eine Bombevor dem Jenaer Theaterhaus, in einemroten Koffer, der mit einem Hakenkreuzauf weiem Grund bemalt war. Die Bom-be enthielt zehn Gramm TNT, sie warfunktions-, jedoch nicht zndfhig, wiedie ermittelnden Staatsanwlte bald fest-stellten. Die Batterie hatte gefehlt. EinVersehen? Oder sollte es eine Warnungsein? Jedenfalls hatten die Tter diesmal

    gezeigt, dass sie mehr konnten als Attrap-pen bauen.

    Im Oktober 1997 wurde Bhnhardt

    schlielich von einem thringischen Ge-richt zu zwei Jahren und drei MonatenJugendstrafe verurteilt, unter anderemwegen der Puppe, die er von der Auto-bahnbrcke gehngt hatte. Doch ins Ge-fngnis musste Bhnhardt erst mal nicht.Man lie ihm Zeit, er nutzte sie.

    Nur gut zwei Monate spter, am 26.Dezember 1997, tauchte die nchste Bom-benattrappe auf, wieder ein rotangestri-chener Koffer mit Hakenkreuz im weienKreis, diesmal vor der Gedenksttte frden antifaschistischen Widerstand aufdem Nordfriedhof von Jena. Erneut gerietdie Kameradschaft ins Visier der Ermitt-ler. Und jetzt arbeiteten sie grndlich,flhten alte Akten: ein Kanister mit Ben-zin und eine Holzkiste mit Hakenkreuz

    Titel

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    APABIZ(L.);SPIEGELTV(R.)

    Neonazi Mundlos am 24. Januar 1998 in Dresden, sichergestellte Waffen der Kameradschaft Jena 1998: Rudolf Hess auf dem Schreibtisch

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    hatten sie das nicht schon mal? Richtig,im Jenaer Ernst-Abbe-Stadion, bei einemder frheren Aktionen 1996.

    Kanister und Kiste, so stellten sie au-erdem fest, stammten vom Bauhof einerFirma, bei der Bhnhardts Vater gearbei-tet hatte und wo auch der Sohn hin und

    wieder einen Job bekam. Sein Fingerab-druck fand sich zudem auf einer Metall-hlse, die im Zusammenhang mit einerBombendrohung am 15. Oktober 1997 inRudolstadt aufgetaucht war. Auerdemhatte ein Kamerad Bhnhardt ange-schwrzt. Angeblich habe der nmlichauch noch eine Explosion in einem Aus-lnderheim ausgelst, sagte der Zeuge aus.

    Bhnhardt wurde nun observiert, aberim Nachhinein erscheint es fast unglaub-lich, wie dilettantisch die Staatsmacht vor-ging. Ende Januar 1998 klingelten Polizis-ten an Bhnhardts Tr und drckten ihmeinen Durchsuchungsbeschluss in dieHand. Doch bei der Razzia fand mannichts, und so konnte Bhnhardt in allerRuhe mit dem Auto davonfahren.

    Wegen Gefahr im Verzug durchsuch-te die Polizei am 26. Januar 1998 die Je-naer Wohnung von Uwe Mundlos. Auch

    Beate Zschpe bekam Besuch. Sie lebtebei ihrer Mutter; die Polizei beschlag-nahmte Armbruste, Zwillen, einen Mor-genstern und die Reichskriegsflagge. Hierstieen die Beamten auch auf das Mo-nopoly-Spiel mit dem KZ-Feld; dasbrachte Zschpe ein Verfahren wegenVolksverhetzung ein.

    Den grten Treffer jedoch landetendie Ermittler in einer Garage nahe denJenaer Klranlagen. Den Tipp hatte ih-nen der Verfassungsschutz gegeben. Undtatschlich: Die Fahnder entdecktenrechtsextremistisches Propagandamate-rial, vier Rohrbomben und 1392 GrammTNT. Die Garage, so fanden sie heraus,hatte Zschpe angemietet; Nachbarn sag-ten zudem aus, dass Uwe Mundlos und

    Uwe Bhnhardt dort ein und aus gegan-gen seien.

    Damit htten die Ermittler endlich ge-nug gegen die drei in der Hand gehabt,doch dass ihre Bombenwerkstatt aufge-flogen war, bekamen auch die mit; keinWunder nach all den Durchsuchungen.

    Sie standen jetzt an einem Wendepunkt:Sollten sie abhauen? Bhnhardt hatte we-nig zu verlieren. Aber Mundlos? Hattenur noch ein Jahr bis zum Abitur amIlmenau-Kolleg. Auch Beate Zschpeschien zu zgern und ging zu ihrem An-walt in Weienfels. Dann aber stand derEntschluss fest: Zusammen tauchten siein den Untergrund ab. Der Haftbefehl am28. Januar kam zu spt.

    Eine peinliche Panne fr ThringensPolizei. Und es wurde noch schlimmer.Erst zwei Wochen spter suchte das Lan-deskriminalamt (LKA) mit Steckbriefennach dem Trio, lobte 3000 Mark Beloh-nung aus. Immerhin, auch Zielfahnderschickte das LKA jetzt los. Doch die Neo-nazis blieben verschwunden.

    Ein Insider der Kameradschaft Jena er-innert sich heute, wie die Szene das Triobeim Abtauchen untersttzt habe. Den Ver-

    fassungsschtzern berichtete Tino B. aliasOtto, Ralf L. habe sein Auto zur Verf-gung gestellt, aber die Neonazis htten aufder Flucht bald einen Unfall gebaut. AndrK. sei zustndig fr die Beschaffung fal-scher Psse gewesen. Dafr sei extra beiSolidarittskonzerten gesammelt worden,um die Papiere bei einem Russen zu be-schaffen. Doch dazu sei es nie gekommen.

    Noch sechs Monate nach dem Unter-tauchen sollen die thringischen Neona-zis Kontakt zu ihren Kameraden gehaltenhaben. Einmal berichtete Otto von ei-nem Telefonat mit Mundlos und Bhn-hardt, in dem diese angekndigt htten,sie wollten sich nach Sdafrika absetzen.Fr alle anderen waren die beiden Mn-ner bereits unsichtbar.

    Auch als Uwe Bhnhardts Grovaterstarb und am 24. Mrz 1998 auf dem Je-naer Nordfriedhof beigesetzt wurde, la-gen die Fahnder deshalb auf der Lauer.Aber der Enkel lie sich nicht blicken.

    Das Innenministerium gab sich trotz-dem zuversichtlich, die drei bald fassen

    zu knnen. Im Innenausschuss des Land-tags erklrten sie am 19. Juni 1998, esliefen umfangreiche Fahndungen nachBhnhardt, Mundlos und Zschpe, manrechne mit einer baldigen Festnahme.Auch der Verfassungsschutz schaltete sichein das Thringer Landesamt und sp-ter auch zunehmend das Bundesamt inKln. Alles ohne Ergebnis. In den Aktengibt es ein Observationsfoto von Anfang2000, das drei Personen zeigt, die in Sach-sen-Anhalt unterwegs sind. Aber die Ob-servanten waren sich nicht sicher, und alsdie Identitt der drei sich zu besttigenschien, waren die schon weg.

    Selbst Hinweisen, Zschpe, Bhnhardtund Mundlos knnten sich nach Namibiaabgesetzt haben, vielleicht auch nach Un-

    garn, an den Balaton, gingen die Fahndernach. Und wieder: nichts, keine Spur.Auch in Sachsen, hie es aus Ermittler-

    kreisen, seien Bhnhardt, Mundlos undZschpe aufgetaucht. Genauer gesagt imRaum Chemnitz. Man sei mehrmals kurzvor einem Zugriff gewesen. Es kam niedazu.

    Die Fahnder knnten damals knapp aneiner heien Spur vorbeigelaufen sein.Denn offenbar war das Trio tatschlichim Raum Chemnitz aktiv. Es hatte sichbewaffnet und, zumindest was die beidenMnner angeht, auf Bankberflle spe-zialisiert. Inzwischen geht die Staatsan-waltschaft davon aus, dass seit 1999 min-destens 14 Raubzge auf das Konto vonBhnhardt und Mundlos gehen: zwei inThringen, zwei in Mecklenburg-Vorpom-mern und zehn in Sachsen, sieben davonin Chemnitz.

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    GEORGHILGEMANN/ACTIONPRESS(L.);POLIZEIGOTHA/TA(R.)

    Nagelbombenanschlag in Kln 2004, Bankberfall in Arnstadt am 7. September: Miniaturarmee im Untergrund

  • 8/3/2019 Spiegel: Letzte Ausfahrt Eisenach

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    Auffllig oft strmten zwei maskierteMnner in die Bank, immer gingen sieuerst brutal vor, meist flchteten siemit Fahrrdern, verschwanden scheinbarspurlos. So wie sie es auch bei ihrem letz-ten berfall geplant hatten, in Eisenach,als sie mit den Rdern zu ihrem abgestell-

    ten Wohnmobil fuhren. Diesmal aber hat-te die Polizei ihre Strategie gendert. Siehatten alle Ausfallstraen gesperrt unddas Wohnmobil im abgesperrten Ring ge-sucht; ein Vorgehen, das Bhnhardt undMundlos offenbar innerhalb des Ringsaussitzen wollten. In Eisenach hatten dieBeamten berlegt, wohin man mit zweiFahrrdern kommen konnte: zu einemWohnmobil zum Beispiel. Damit saendie beiden Ruber in der Falle.

    Bis es allerdings dazu kam, warenzwlf Jahre vergangen, in denen es auchschon bei den berfllen Tote htte ge-ben knnen. 2002 zum Beispiel, als sich

    im Handgemenge ein Schuss lste, dereinen jungen Bankangestellten in denBauch traf.

    Tote aber gab es tatschlich in all denJahren, mindestens zehn Tote, so wie sichder Fall nun den Ermittlern darstellt, undalle durch gezielte Schsse. Denn selbstim Untergrund fhrte das Trio noch einDoppelleben: gewhnliche Bankberfllefr das Durchhalten in der Illegalitt undMorde, allem Anschein nach Gesinnungs-morde, ausgefhrt wohl von Bhnhardtund Mundlos, fr die sie fast immer die-selbe Waffe nahmen: die Ceska.

    Der erste am 9. September 2000. DerBlumenhndler Enver S. aus Hessen, da-mals 38 Jahre alt, hatte nur aushelfen wol-len. Einer seiner Kunden besa einen Blu-

    menstand an einer einsamen Ausfallstra-e in Nrnberg, der Mann wollte in denUrlaub fahren, in die Trkei, also ber-nahm Enver den Stand. Kurz nach derMittagspause fand man ihn blutber-strmt, getroffen von mehreren Schssenaus der Ceska und einer zweiten Waffe.

    Ein knappes Jahr spter, am 13. Juni2001, starb der nderungsschneider Ab-durrahim . in seinem kleinen Laden inder Nrnberger Innenstadt durch Kopf-schsse; wieder war es die Ceska. Ein paarTage vor dem Mord wollten Nachbarn ge-hrt haben, wie . mit zwei Mnnern inosteuropischer Sprache heftig und lautstritt. Es soll um Geld gegangen sein.

    Danach starben: ein Gemsehndlerin Hamburg, ein anderer in Mnchen.Dessen Frau sagte spter aus, ihr Mannhabe sich Wochen vor der Tat bedrohtgefhlt. Habe auch Angst vor anderenTrken gehabt, von diesen auch Besuchbekommen. Das spricht auf den erstenBlick nicht fr Mundlos oder Bhnhardt.Die Waffe allerdings schon: immer wiederdie Ceska. Und vor allem: die DVD, diedie Fahnder aus den Trmmern gefischthaben, mit Bildern, die offenbar von denTtern selbst gemacht wurden.

    Die Todesserie wrde auch erklren,warum Bhnhardt, Mundlos und Zschpeverschollen blieben, selbst nach dem 22.Juni 2003, dem Tag, an dem es sonst ei-nen Weg zurck fr sie gegeben htte.

    Damals nmlich verjhrten alle Strafta-ten, die man ihnen aus ihrer Neonazi-Ver-gangenheit in Thringen htte vorwerfenknnen. Sie htten bei null beginnen kn-nen. Aber nicht mit mehreren Mordenim Gepck.

    Am 25. Februar 2004 starb in Rostock

    der nchste Trke, Yunus T., als er einenDnerimbiss aufschloss, dann ein Dner-buden-Besitzer in Nrnberg.

    Zeugen erinnerten sich spter an zweiFahrradfahrer, die nur fr wenige Augen-blicke den Dnerstand betreten httenund dann sofort weitergefahren seien.Bhnhardt, Mundlos, zwei Fahrrder. Dasbekannte Muster. Danach starben nochein Grieche in Mnchen, Mitinhaber ei-nes Schlsseldienstes, der in trkischenund griechischen Cafs um Geld spielteund Schulden gehabt haben soll, einKioskbesitzer in Dortmund, ebenfalls einMann, der in finanziellen Schwierigkeiten

    steckte, sowie ein Deutschtrke in Kassel,der ein Internetcaf betrieb.

    Irgendwelche Skrupel hatten zumin-dest die beiden Mnner der braunen Ter-rorzelle damals wohl nicht mehr. Ttenwurde anscheinend alltglich, banal, nor-mal, in dem Bekennervideo verhhnensie ihre Opfer, die sie regelrecht vorfh-ren. So wie offenbar auch am 25. April2007, einem sonnigen Mittwoch, in Heil-bronn. Fast wolkenlos. Warm genug frein T-Shirt. An der Theresienwiese wur-den die Stnde fr das traditionelle Mai-fest aufgestellt.

    Als Polizeimeisterin Michle Kiesewet-ter und ihr Kollege Martin A. mit ihremDienstwagen auf den Platz rollten, park-ten sie am nrdlichen Ende der Festwiese.

    Titel

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    CAROLINLEMUTH/DPA

    Wohnmobil der Tter, brennende Neonazi-Wohnung: Endpunkt eines Weges in die Gewalt

    Tten wurdeanscheinend alltglich,

    banal, normal.

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    13.50 Uhr, Mittagspause. Kiesewetter, 22,sa auf der Fahrerseite, ihr zwei Jahre l-terer Kollege daneben. Sie aen im Auto,lieen die Fensterscheiben herunter.

    Um 14.13 Uhr ging in der Notrufzen-trale in Heilbronn ein Anruf ein, ein Rad-fahrer hatte zwei leblose Polizisten ent-

    deckt. Drei Minuten spter trafen dieKollegen ein, sie fanden Kiesewetter undMartin A. mit Kopfschssen neben demStreifenwagen, die junge Polizistin wartot, ihr Kollege A. berlebte nur knapp.

    Die Tter, so ergab die sptere Rekon-struktion, mussten sich von hinten ange-schlichen haben, eine regelrechte Hin-richtung, so der damalige Soko-LeiterFrank Huber, diese Bilder wird man niewieder los, die brennen sich ein.

    Die Mrder nahmen Kiesewetter dieHandschellen ab, Marke Clejuso, Indivi-dualnummer 5.032, dazu ein Pfeffersprayund ein Multifunktionsmesser der Marke

    Victorinox. Alles Dinge, die sich vier Jah-re spter in den Trmmern von Zwickauwiederfinden sollten. So wie die mutma-liche Tatwaffe. Nur die beiden gestohle-nen Dienstpistolen der Marke Heckler &Koch lagen woanders, im ausgebranntenWohnmobil bei Bhnhardt und Mundlos.

    Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hltdie Beweise, dass Bhnhardt und Mund-los mit dem Mord an der jungen Polizistinin Verbindung stehen, deshalb fr erdr-ckend.

    Doch was war das Motiv?Eine mgliche Verbindung zwischen

    dem Opfer und den mutmalichen Mr-dern ist die gemeinsame Herkunft ausThringen. Michle Kiesewetter stammteaus Oberweibach im Thringer Wald,

    Bhnhardt und Mundlos kamen aus Jena.in Thringen war Michle Kiesewetternie im Einsatz, sie war etwa zehn Jahre

    jnger als ihre mutmalichen Mrder, pri-vate Kontakte sind hchst unwahrschein-lich.

    Die Tter wiederum hatten keinen

    Grund, mitten am Tag auf zwei Polizistenzu schieen. Das Risiko war hoch, Waffenhatten sie schon, die mussten sie nichtauf eine so gefhrliche und grausame Wei-se erbeuten. Was war es dann?

    Trotz der Bekenner-DVDs, auf denenPaulchen Panther zu sehen ist, wie er ei-nem Polizisten eine Waffe an den Kopfhlt und abdrckt, bleiben damit fr dieErmittler noch viele Rtsel. Auch weil dieGruppe in kein Raster passt. PolitischenTerrorismus, egal ob von links, rechtsoder von Islamisten, gab es bisher nur inzwei Formen: der Propaganda der Tat,wie der franzsische Anarchist Paul

    Brousse im 19. Jahrhundert sein Konzeptnannte, das spter von russischen unditalienischen Anarchisten perfektioniertwurde. Die Taten sollten dabei fr sichsprechen, selbsterklrend fr die Massensein. Jedes Wort nahm der Tat nur dieKraft.

    Das zweite Konzept braucht die Tatnur als Vorlage fr die Erklrungen, Ma-nifeste, Bekennerschreiben, die darauffolgen. Die RAF verfasste zu jedem ihrerAnschlge einen seitenlangen Brief, mitdem sie begrndete, warum ein Wrden-trger aus Politik oder Wirtschaft angeb-lich den Tod verdient habe. Osama BinLaden erklrte sich regelmig in Video-botschaften und rief zu Angriffen auf denWesten auf.

    Fr Uwe Bhnhardt, Uwe Mundlos undwohl auch Beate Zschpe galt ber mehrals ein Jahrzehnt weder das eine nochdas andere. Sicher, sie mssen sich stillgefreut haben, wenn sie lasen, wer allesfr die Dner-Morde verantwortlich seinknnte, wer fr den Polizistinnenmord

    von Heilbronn oder die vielen Bankber-flle. Aber nie hat einer von ihnen einenHinweis darauf hinterlassen, dass es einenpolitischen Hintergrund geben knnte,auch die rechte Szene wusste von nichts.So konnte es keine Nachahmer geben,keine ffentlichen Untersttzer wie beider RAF, keinen Resonanzraum. Das Triomuss sich selbst genug gewesen sein. Ter-ror sui generis: Stell dir vor, es gibt Rechts-terroristen, und keiner merkts.

    Kriminalistisch gedacht war das ein Re-zept, das 13 Jahre lang das berleben ga-rantierte. Das Schweigen war eine Artberlebensgarantie, auch um den Preis,dass keiner den rassistischen Hintergrundder Tat verstand. Erst in den letzten Mo-naten mssen sich die Neonazis stark ge-nug gefhlt haben, den nchsten Schrittzu wagen, an die ffentlichkeit. Vielleichthatten die drei tatschlich ein Netz vonUntersttzern um sich geschart, wollteneine neue tdliche Offensive starten.

    Aber was hat das Trio ber all die Jah-re getrieben? War es purer Hass, auf Aus-lnder ebenso wie auf die Staatsmacht?Faschistische Allmachtsphantasien? Indi-zien liefern zumindest die Fundstcke,die die Ermittler nach und nach im Schutt

    von Zwickau bergen. Warum etwa woll-ten Mundlos, Bhnhardt und Zschpe dasReizgas, die Waffe und die Handschellenvon Michle Kiesewetter aufheben? VierJahre altes Reizgas hat fr Neonazis, dieeine 9-Millimeter-Luger-Maschinenpistoleim Schrank liegen haben, keinen beson-deren Wert.

    Mundlos und Bhnhardt htten auchKiesewetters Waffe in eine Plastiktte wi-ckeln und in einem See versenken kn-nen; niemand htte je diesen Mord auf-geklrt. Ebenso die Ceska der Dner-Mor-de. Ihre Bedeutung gewinnen diese Dingenur als Trophe.

    In dieses Schema passen auch die DVDs.Bhnhardt und Mundlos wollten am Endedoch noch ein Dokument des Grauens hin-terlassen, Fustapfen des Terrors.

    Die beiden Mnner mssen gewusst ha-ben, dass es keinen Ausweg mehr gab.Ihr Freitod war offensichtlich genausoabgesprochen wie die Explosion in derWohnung und das Feuer im Wohnmobil,das zu einem Scheiterhaufen fr die bei-den Rechtsterorristen wurde. Die Einzige,die man danach fragen knnte, ist nundie letzte Lebende. Beate Zschpe. Dochdie schweigt.

    M B, J D,

    S K, C N,S R, H S,

    A U, S W

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