Sigmund Freud - Die Verneinung (Negation)

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  • 5/16/2018 Sigmund Freud - Die Verneinung (Negation)

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    I M A G oZEITSCHRIFT FUR ANWENDUNG DER PSYCHO-ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTENXI. Band Heft ;:,

    Die VerneinungVon

    Sigm. FreudDie Art, wie unsere Patienten ihre Einfalle wahrend der analy-

    tisehen Arbeit vorbringen, gibt uns AnlaB zu einigen interessantenBeobachtungen. "Sie werden jetzt denken, ich will etwas Beleidi-gendes sagen, aber ich habe wirklich nicht diese Absicht." Wirverstehen, das ist die Abweisung eines eben auftauchenden Einfallesdurch Projektion. Oder: "Sie ragen, wer diese Person im Traumesein kann. Die Mutter ist es nieht." Wir beriehtigen: Also istes die Mutter. Wir nehrnen uns die Freiheit, -bei der Deutungvon der Verneinung abzusehen und den reinen Inhalt des Einfallsherauszugreifen. Es ist so, als ob der Patient gesagt harte: "Mirist zwar die Mutter zu dieser Person eingefallen, aber ich habe keineLust, diesen Einfall gelten zu lassen."

    Gelegentlieh karin man sieh eine gesuehte Aufklarung fiber dasunbewuBte Verdrangte auf eine sehr beq ueme Weise verschaffen.Man fragt: Was halten Sie wohl fur das Allerunwahrscheinliehstein jener Situation? Was, meinen Sie, ist Ihnen damals am fernstengelegen? Geht der Patient in die Faile und nennt -das, woran eram wenigsten glauben kann, so hat er damit fast immer das Richtigezugestanden. Ein hiibsches Gegenstuckzu diesem Versuch stellt

    Izuago XI. 15

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    sich oft beim Zwangsneurotiker her, der bereits in das Verstandnisseiner Symptome eingefiihrt worden ist. "Ich habe eine neueZwangsvorstellung bekommen. Mir ist sofort dazu eingefallen, siekonnte dies Bestimmte bedeuteu. Aber nein, das kann ja niehtwahr sein, sonst harte es mir nicht einfallen kdnnen." Was ermit dieser der Kur abgelauschten Begrundung verwirft, ist naturlichde! richtige Sinn der neuen Zwangsvorstellung.Ein verdrangter Vorstellungs- oder Gedankeninhalt kann also

    zum Bewu13tseindurcbdringen, unter der Bedingung,--JaBer sichverneinen_ Hillt. Die Verneinung ist eine Art, das Verdrangie .zurKenntnis zu nehmen, eigentlich schon eine Aufhebung der Ver-drangung, aber freilich keine Annahme des Verdrangten, Man sieht,wie sich hier die intellektuelle Funktion vom affektiven Vorgangscheidet. Mit Hille der Vemeinung wird nur die eine Folge desVerdrangungsvorganges rilckgangig gemacht, daB dessen Vorstel-lungsinhalt nieht zum BewuBtsein gelangt. Es resultiert darauseine Art von intellektueller Annahme des Verdrangten bei Fort-bestand des Wesentlichen an der Verdrangung.1 Im Verlauf deranalytisehen Arbeit sehaffen wir oft eine andere, sehr vvichtigeund ziemlich befremdende Abanderung derselben Situation. Esgelingt uns, auch die Verneinung zu besiegen und die volleintellektuelle Annahme des Verdrangten durchzusetzen, - derVerdrangungsvorgang selbst ist damit noch nicht aufgehoben.Da es die Aufgabe der intellektuellen Urteilsfunktion ist, Ge-

    dankeninhalte zu bejahen oder zu verneinen, haben uns die vor-stehenden Bemerkungen zum psychologischen Ursprung dieserFunktion gefiihrt. Etwas im Urteil verneinen, hei13tim Grunde:das ist etwas, was ich am liebsten verdrangen mochte, Die Ver-urteilung ist der intellektuelle Ersatz der Verdrangung, ihr Nein

    1) Derselbe Vorgang liegt dem hekannten Vorgang des "Bemfens" zugrunde."Wie schdn, daD ieh meine Migrane so lange nicht gehaht hlilie!" Das ist &her dieerste Ankiindigung des Anfalls, dessen Herannahen man bereits verspiirt, aher nochnicht glauhen will.

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    ein Merkzeichen derselben, ein Ursprungszertifikat etwa wie das,made in Germany'. Vermittels des Verneinungssymbols machtsich das Denken von den Einschrankungen der Verdrangung freiund bereichert sich um Inhalte, deren es fur seine Leistung nichtentbebren kann.

    Die Urteilsfunktion hat rm wesentlichen zwei Entscheidungenzu treffen. Sie soll einem Ding eine Eigensehaft zu- oder ab-sprechen, und sie soll einer Vorstellung die Existenz in der Bealitatzugestehen oder bestreiten. Die Eigenschaft, fiber die entschiedenwerden soIl, konnte ursprunglich gut oder schlecht, ntrtzlich oderschadlich gewesen sein. In der Sprache der altesten, oralen Trieb-regungen ausgedruckt: das will ich essen oder will es ausspueken,und in weitergehender Dbertragung: das will ich in mieh ein-fuhren und das aus mir ausschlieBen. Also: es soU in mi oderau Be r mir sein. Das urspriingliche Lust-Ich will, wie ieh ananderer Stelle ausgefiihrt habe, alles Gute sich introjizieren, alIesSchleehte von sich werfen. Das Schleehte, das dem Ich Fremde,das auBen Befindliche ist ibm zunachst identisch.'

    Die andere der Entscheidungen der Urteilsfunktion, die iiberdie reale Existenz eines. vorgestellten Dinges, ist ein Interesse desendgultigen Real-Ichs, das sich aus dem anfanglichen Lust-Ichentwiekelt. (Realitatsprufung.) Nun handelt es sich nieht mehrdarum, ob etwas Wahrgenommenes (ein Ding) ins Ich aufgenommenwerden solI oder nieht, sondern ob etwas im Ich als VorstellungVorhandenes auch in der Wahrnehmung (Realitiit) wiedergefundenwerden kann. Es ist, wie man sieht, wieder eine Frage des Au Benund Innen. Das nicht Reale, bloB Vorgestellte, .Subjektive, istnur innen, das andere, Reale, auch im Drau13en vorhanden. Indieser Entwicklung ist die Riicksicht auf das Lustprinzip beiseitegesetzt worden. Die Erfahrung hat gelehrt, es ist nur nicht wichtig,ob ein Ding (Befriedigungsobjekt) die "gute" Eigenschaft besitzt,

    1) Vgl. hi ezu die Ausfuhrungen in "Triebe und Triebschicksale". (Ges. Schriften V.)15"

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    also die Aufnahme ins Ich verdient, sondern auch, ob es in derAuBenwelt da ist, so daB man sieh seiner nach Bediirfnis be-machtigen kann .. Um diesen Fortschrittzu verstehen, muS mansieh daran erinn ern , daB aUe Vorstellungen von Wahrnehmungenstammen, Wiederholungen derselben sind. Ursprlinglich ist alsoschon die Existenz der Vorstellung eine Burgschaft fUr die Realitiitdes Vorgestellten. Der Gegensatzzwischen Subjektive:m und Ob-. jektivem. besteht nicht von Anfang an. Er stellt sich erst dadurchher, daf das Denken die Fahigkeit besitzt, etwas einmal Wahr-genommenes durch Reproduktion in del' Vorstelbmg wiedergegen-wiirtig zu machen, wahrenddas Objekt drauBen nieht mehr vor-handen zu sein braucht, Del' erste und nachste Zweck der Reali-tatspriifung ist also nicht, ein dem VorgestelltenentsprechendesObjekt in der realen Wahrnehmung zu finden, sondern es wieder-zufinden, sich zu iiberzeugen, daB es noch vorhanden ist. Einweiterer Beitrag zur Entfremdung zwischen dem Subjektiven unddem Objektiven rUhrt voneiner andern Fahigkeit des Denkver-mogens her. Die Reproduktiou der Wahrnehmung in der Vor-stellung ist nicht immer deren getreue Wiederholung; sic kanndurch Weglassungen modifiziert, durch Verschmelzungen verschie-denerEIemente verandert sein.. Die Realitatspriifung hat dann zukontrollieren, wie weit diese Entstellungen reichen .. Man erkenntaber als Bedingung : fU r die Einsetzung der Realitatsprufung, daBObjekte verloren gegangen sind, die einst reale Befriedigung gebrachthatten.Das Urteilen ist die intellektuelle Aktion, die fiber die Wahlder motorischen Aktion entscheidet, dem Denkauischubein Endesetzt undvom Denken zum Handein uberleitet. Auch fiber denDenkaufschub babe ich bereits an anderer Stelle gebandelt. Erist als eine Probeaktion zu betrachten, ein motorisches Tasten mitgeringen Abfuhraufwanden. Besinnen wir uns: wo hatte das Ieb einsolches Tasten vorher geubt, an welcher Stelle die Technik erlernt,

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    di es jetzt bei den Denkvorgangen anwendet? Dies geschah amsensorischen Ende des seelischen Apparats, bei den Sinneswahr-nehmungen. Nach unserer Annahme ist ja die Wahrnehmungkein rein passiver Vorgang, sondern das Ich schickt periodischkleine Besetzungsmengen in das Wahrnehmungssystem, mittelsderen es die auBeren Reize verkostet, urn sich nach jedem solchentastenden VorstoB wieder zuruckzuziehen,Das Studium des Urteils eroffnet uns vielleicht zum erstenmal

    die Einsicht in die Entstehung einer intellektuellen Funktion ausdem Spiel der primaren Triebregungen. Das Urteilen ist die zweck-maBige Fortentwicklung der ursprfinglieh nach dem Lustprinziperfolgten Einbeziehung ins Ich oder AusstoBung aus dem lch.Seine Polaritat scheint der Gegensatzliehkeit der beiden von unsangenommenen Triebgruppen zu entsprechen. Die Bejahung - alsErsatz der Vereinigung - gehort dem Eros an, die Verneinung- Nachfolge der AusstoBung - dem Destruktionstrieb. Die all-gemeine Verneinungslust, der Negativismus, mancher Psychotikerist wahrseheinlieh a1s Anzeichen der Triebentrnischung durch Ab-zug der libidinosen Komponenten zu verstehen. Die Leistung derUrteilsfunktion wird aber erst dadurch ermoglicht, daB die Schopfungdes Verneinungssymbols dem Denken einen ersten Grad von Un-abhangigkeit von den Erfolgen der Verdriingung und somit auchvom Zwang des Lustprinzips gestattet hat.Zu dieser Auffassung der Verneinung stimmt es sehr gut, daB

    man in der Analyse kein "Nein" aus dem UnbewuBten auffindetund daf die Anerkennung des UnbewuBten von seiten des Ichssieh in einer negativen Formel ausdrilckt. Kein starkerer Beweisfur die gelnngene Aufdeckung des Unbewuflten, als wenn derAnalysierte mit dem Satze: Das habe ich nieht gedacht, oder:Daran babe ich nicht (n ie) gedacht, darauf reagiert.