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SCHWACHE SCHÜLER – STARK MACHEN BDA/BDI-Tagungsdokumentation 15. Juli 2009 | Haus der Deutschen Wirtschaft | Berlin

Schwache Schüler - Stark machen

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Schwache Schüler bilden mit rund 20 Prozent nach wie vor eine große Problemgruppe. Bislang ist es nicht gelungen, diese Zahl deutlich und dauer­haft zu senken. Von PISA 2000 bis PISA 2006 ist der Anteil der leistungsschwächsten 15-jährigen Jugendlichen nur von 23 Prozent auf 20 Prozent gesunken – das ist keine Wende.

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SCHWACHESCHÜLER–STARKMACHENBDA/BDI-Tagungsdokumentation15.Juli2009|HausderDeutschenWirtschaft|Berlin

SCHWACHESCHÜLER–STARKMACHENBDA/BDI-Tagungsdokumentation15.Juli2009|HausderDeutschenWirtschaft|Berlin

SchwacheSchüler–starkmachen 3

I. Vorwort Dr.GerhardF.Braun|VizepräsidentderBDA............................................................. 4

II. Prof.Dr.ThomasRauschenbach|DirektordesDeutschenJugendinstituts(DJI): SchwacheSchüler–HerausforderungfürdasSchul-undAusbildungssystem..... 6

III.StatementsderPodiumsrunde „WashilftschwachenSchülernindieAusbildung?“................................................. 21

IV.Foren................................................................................................................................ 23 ForumI:SCHULEWIRTSCHAFT–LeitfadenzurBerufsorientierung........................ 23 ForumII:Jungen–dasschwächereGeschlecht?...................................................... 25 ForumIII:Übergängeerfolgreichgestalten................................................................. 27

V.„SchwacheSchüler–starkmachen“–PolitischePositionenvonBDA/BDI............. 30

INHALT

SchwacheSchüler–starkmachen 4

I.VORWORT

Schwache Schüler bilden mit rund 20 % nach wie vor eine große Problemgruppe. Bislang ist es nicht gelungen, diese Zahl deutlich und dauer-haft zu senken. Von PISA 2000 bis PISA 2006 ist der Anteil der leistungsschwächsten 15-jährigen Jugend lichen nur von 23 % auf 20 % gesunken – das ist keine Wende.

Dies sind nicht alleine die Erkenntnisse der empirischen Bildungsforschung, sondern auch der Betriebe. Unsere Unternehmen berichten so-gar von einem weiteren, erkennbaren Leistungs-abfall der Ausbildungsplatzbewerber im untersten Leistungsspektrum. Dies bestätigte zuletzt die Umfrage der Landesvereinigung der Unterneh-merverbände Rheinland-Pfalz (LVU) unter Ausbil-dungsleitern rheinland-pfälzischer Unternehmen: Drei Viertel der Betriebe gaben an, seit vielen Jahren standardisierte Einstellungstests durch-zuführen und somit empirisch gehaltvolle Aussa-gen zur Qualifikation von Schulabgängern treffen zu können. Die Kenntnisse der Jugendlichen im Rechnen, Lesen und Schreiben sind aus Sicht von rund zwei Dritteln der Befragten zurückge-gangen. Außerdem stellte jeder zweite Betrieb eine Verschlechterung der sozialen Kompetenzen fest. Es fehle an Ausdauer, Belastbarkeit und Ei-geninitiative; zudem hätten Konzentrationsfähig-keit, logisches Denken, Lese- und Ausdrucksver-mögen abgenommen.

Für diese Schulabgänger wird die Schwelle in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zur Hürde oder sogar zur Stolperfalle. Um schulische Defizi-te nachzubessern und den Übergang in den Aus-bildungsmarkt zu begleiten, ist eine Vielzahl von Übergangsangeboten entstanden. Aber sie sind immer weiter spezialisiert worden und verfehlen zum Teil ihre Wirkung. Unter den Jugendlichen mit schwachen Schulleistungen sind überproportional häufig Kinder aus bildungsfernen und Migranten-familien vertreten. Eine besondere Gruppe sind Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Ins Blickfeld sind neuerdings zunehmend auch die Jungen gerückt, die sich insgesamt offensichtlich mit der Schule schwerer tun als die Mädchen.

Die Wirtschaft braucht qualifizierte, motivier-te und engagierte junge Menschen, um sich wei-terzuentwickeln und zukunftsfähig zu bleiben, und macht daher die Förderung der schwachen

Schüler ausdrücklich zu ihrem Thema. Ausbil-dungsreife und Berufsorientierung sind dabei kei-ne „Spezialthemen“, die nur den Arbeitgeber inte-ressieren, sondern sie sind Voraussetzungen für eine gelingende Lebensbewältigung der jungen Menschen. Ausbildungsreife und Lebensbefähi-gung gehören untrennbar zusammen.

Daher engagieren sich BDA/BDI in vielfälti-ger Hinsicht, um die Förderung schwacher Schü-ler voranzubringen. Die Siegerschulen unseres Wettbewerbs „Starke Schule“ zeigen, dass es Schulen gibt, die sich vorbildhaft die Förderung schwacher Schüler zum Ziel gemacht haben und dies sehr erfolgreich umsetzen. Ihnen gelingt es nicht nur, die Ausbildungsreife der Jugendlichen sicherzustellen, sondern jeden einzelnen Schüler individuell zu fördern. Die Frage darf nicht lauten „Wie vermittle ich den Stoff an den Schüler?“, son-dern „Was braucht dieser Schüler?“ Wichtig ist daher eine persönliche Begleitung, Beratung und Betreuung jedes einzelnen Schülers z. B. durch Lernbegleiter oder Mentoren von Anfang bis Ende seiner Schullaufbahn. Lehrer dürfen dabei nicht Einzelkämpfer bleiben, sondern übernehmen z. B. durch Jahrgangsteams gemeinsam Verant-wortung für einen Schülerjahrgang, beobachten und unterrichten gemeinsam.

Ziel muss es sein, die individuellen Stär-ken der Schüler zu erkennen, weiter zu stärken und gleichzeitig ihre Schwächen auszugleichen. Frühe praxisnahe Berufsvorbereitung spielt dabei in zweifacher Hinsicht eine zentrale Rolle. Intensi-ve Praxiserfahrung steigert die Lernmotivation der Schüler und führt ihnen konkret vor Augen, wofür das Gelernte in der Praxis angewendet werden kann. Ebenfalls trägt es zu einem guten Übergang von Schule in Ausbildung bei. Damit dies gelingt, ist eine konsequente Öffnung der Schule zum re-gionalen Umfeld notwendig. Ausbildungsreife be-deutet dabei nicht nur, dass junge Menschen über eine schulische Grundbildung verfügen, sondern sie schließt soziale Kompetenzen mit ein. In der Schule müssen daher ebenfalls Zuverlässigkeit, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit vermit-telt werden.

Um diese Ziele erfolgreich umzusetzen, spie-len die Lehrer eine Schlüsselrolle. Dies beginnt bei ihrer Aus- und Weiterbildung, die sie besser

SchwacheSchüler–starkmachen 5

Um mehr Raum für individuelle Förderung zu schaffen, müssen Ganztagsangebote bedarfs-gerecht ausgebaut werden. Dies ist besonders für eine konsequente Sprachförderung notwen-dig, die vom Kindergarten bis zur Berufsschule sichergestellt werden muss. Ein starker Start in die Ausbildung ist besonders wichtig, um eine er-folgreiche Integration schwacher Schüler in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Folgende Leitlinien müssen dabei berücksichtigt werden:

� Präventiv ansetzen – Ausbildungsreife in der Schule sicherstellen

� Praxisnah ansetzen – zum Lernen motivieren � Übergänge systematisieren – Transparenz

schaffen � Angebote differenzieren – Einstiegsmöglich-

keiten schaffen

Zu diesem Thema werden wir zunächst ei-nen Vortrag von Prof. Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, hören und anschlie-ßend gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft, Politik, Pädagogik und Schulen diskutieren. Ziel-führende Lösungsansätze werden am Nachmittag in drei verschiedenen Foren vorgestellt werden. Wohin die Richtung gehen soll, wird am Ende des Tages im Schlusswort resümiert werden.

Dr. Gerhard F. Braun | Vizepräsident der BDA

auf ihre verantwortungsvolle und schwierige Rolle vorbereiten muss. Eine konsequentere Orientie-rung am späteren Berufsalltag ist ebenso notwen-dig wie ihre Befähigung, die Schüler auch in hete-rogenen Lerngruppen individuell und passgenau zu fördern. Die dafür notwendigen Fortbildungen müssen sich am Bedarf der einzelnen Schule und ihrer Schüler orientieren. Schulentwicklung und Profilbildung tragen dazu bei, dass sich die interne Kommunikation an Schulen verstärkt und die Transparenz über die Aufgaben eines jeden zunimmt.

Lehrer an Schulen, die durch einen hohen Anteil an schwachen Schülern besonders belastet sind, sind oft besonders motiviert und engagieren sich für ihre Schüler. Sie benötigen daher eine be-sondere Unterstützung – durch gesellschaftliche Anerkennung einerseits, und finanzielle Beloh-nungen ihrer Leistung andererseits. Damit sich die Lehrer auf den Unterricht konzentrieren kön-nen, muss die Schule die Möglichkeit haben, bei Bedarf Sozialpädagogen, Psychologen oder mehr Lehrer einzustellen. Schulen brauchen Hand-lungsmöglichkeiten, um individuell auf ihre Schü-ler und ihr Bedarfsprofil eingehen zu können.

Selbstständigkeit ist auch in der Mittelver-wendung gefordert: Schulen brauchen ein Global-budget und sollen selbst entscheiden, wie sie dies am besten einsetzen. Das Budget der Schulen sollte daher nicht – wie bisher – in Stellen zuge-wiesen werden, sondern in Geld, um diese Flexi-bilität des Mitteleinsatzes zu erreichen. Die Höhe des zugewiesenen Budgets muss sich an den Schülern und ihrem speziellen Förderbedarf ori-entieren. Hier sind gezielte Investitionen in Schu-len mit Risikoklientel notwendig. Ein hoher Anteil schwacher Schüler belastet Schulen stärker und muss auch bei der Leistungsbewertung der Schu-len besser berücksichtigt werden. Die Bewertung der Leistungsfortschritte von belasteten Schulen ermöglicht ein gezielteres Vorgehen bei der Qua-litätsverbesserung der Ergebnisse.

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II.PROF.DR.THOMASRAUSCHENBACH|DIREKTORDESDEUTSCHENJUGENDINSTITUTS(DJI):SCHWACHESCHÜLER–HERAUSFORDERUNGFÜRDASSCHUL-UNDAUSBILDUNGSSYSTEM1

1. Die „schwachen Schüler“ – ein Blick hinter die KulissenÜblicherweise werden in Deutschland die „schwa-chen Schüler“ gleichgesetzt mit Schulabgängern ohne Schulabschluss; diese werde ich der Ein-fachheit halber auch in den Mittelpunkt rücken. Al-lerdings werden hinsichtlich des Bildungsniveaus, über das eine Person verfügt, inzwischen zwei Di-mensionen unterschieden: Zum einen be trifft dies die erreichten Zertifikate bzw. Bildungsabschlüs-se und zum anderen die Kompetenzen, über die Personen im Vergleich zu anderen Personen zu einem bestimm ten Zeitpunkt verfügen. Wie die PISA- oder IGLU-Studien wiederholt gezeigt ha-ben, sind Zertifikate und Kompetenzen häufig nicht deckungs gleich. Der Tendenz nach gibt es beispielsweise mehr kompetenz schwache Per-sonen als junge Menschen ohne einen Schulab-schluss. In Deutschland ist der Anteil der Gruppe derer, die über die erste PISA-Kompetenzstufe nicht hinausgekommen ist, jedenfalls mehr als doppelt so groß als es die amtliche Schulstatistik auf der Basis der Schulabschlüsse nahe legt.

Praktisch heißt das, dass es einen Teil von Jugendlichen gibt, die zwar einen Schulabschluss erreichen, jedoch im unteren Kompetenzbereich bei den Messergebnissen der PISA-Studien lie-gen. Und zugleich gibt es Schulabbrecher oder Jugendliche ohne einen Schulabschluss, die nach den Befunden der PISA-Leistungstests je-doch durchaus über ausreichende Kompetenzen verfügen.

Hinsichtlich der Zertifikate, also der for ma-len Bildungsabschlüsse, will ich jedoch zunächst vier Befunde mit Blick auf die fehlenden Schulab-schlüsse zusammenstellen.

Auf den ersten Blick scheint alles klar. Das deutsche Schulsystem bringt einfach zu vie-le schwache Schüler2 hervor, die den Anforde-rungen des heutigen Arbeitsmarktes nicht ge-wachsen sind. In der Folge steht dadurch eine inakzeptable Menge an nicht oder nur schwer ver-mittelbaren jungen Men schen vor den Toren der beruflichen Ausbildung, die aufgrund dessen mit einem enormen Zusatzaufwand im so genannten „Übergangssystem“ fit gemacht werden soll. Und anschließend erweisen sich die nicht bzw. gering-fügig Ausgebildeten mit Blick auf eine erfolgreiche und dauerhafte Platzierung auf dem Arbeitsmarkt, das belegen die Befunde der Arbeitslosenstatistik, dann ebenfalls als die Verlierer.

Auch wenn an dieser Lesart der Ausgangs-problematik einiges richtig ist, halte ich es den-noch für lohnenswert, dieses einfache Ursache-Wirkung-Schema noch einmal et was genauer unter die Lupe zu nehmen, tun sich dabei doch Facetten auf, die die Thematik in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. In Anbetracht dessen werfe ich daher zunächst einen Blick hin-ter die Kulissen der schulischen Ausbildung, um auf diese Weise mögliche strukturelle Anteile an der Produktion des „schwachen Schülers“ prü-fen zu können. Danach gilt es Bilanz zu ziehen hinsichtlich des Übergangs von der Schule in die berufliche Ausbildung und den damit verbunde-nen Pro blemen. Da sich in dieser Hinsicht eine Wende abzeichnet, will ich den Blick zugleich nach vorne lenken: Wie werden sich die nächsten Jahre in diesem Punkt entwickeln? Abschließend werde ich einige Überlegungen zur Verbesserung der Lage der „schwachen Schüler“ im Schul- und Ausbildungssystem anstellen. Insgesamt lasse ich mich von der Idee leiten, dass ein breiter ge-sellschaftlicher Konsens besteht, dass alle jungen Menschen so qualifiziert werden sollten, dass sie in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch ei-gene Erwerbsarbeit zu bestreiten.

1 Eröffnungsvortrag auf der Tagung „Schwache Schüler – stark machen“ der BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

am 15. Juli 2009 in Berlin, basiert zum Teil auf Buchbeitrag: Schwache Schüler. Über folgenreiche Inszenierungen und Ambivalenzen eines

Konstrukts. In: Anne Honer, Michael Meuser, Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Fragile Sozialität. Inszenierungen, Sinnwelten, Existenzbastler.

Festschrift für Ronald Hitzler zum 60. Geburtstag. (Im Erscheinen)2 Die Kategorie des „schwachen Schülers“ ist selbstverständlich nicht geschlechtsspezifisch konnotiert, auch wenn sich in dieser Hinsicht

interessante Zusammenhänge zeigen. Infolgedessen wird der Begriff, soweit dies nicht ausdrücklich anderweitig betont wird, geschlechtsneutral

verwendet.

Abb. 1: Quote der Abgänger ohne Hauptschullabschluss

(1998–2007; in % an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Kultusministerkonferenz KMK 2009.

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Lichtblick, zu mal hinzukommt, dass der Anteil der Abgänger mit Hauptschulabschluss zeitgleich ebenfalls von über 27 % auf ca. 24 % abgenom-men hat. Zusammengenommen heißt das, dass die Gruppe der jungen Menschen, die das all-gemeinbildende Schulwesen maximal mit einem Hauptschulabschluss verlässt – und aus dem sich das Potenzial der so genannten „schwachen Schüler“ zu allererst rekrutiert –, zwischen 2001 und 2007 von über 35 % auf zuletzt rund 31 % gesunken ist. Ob in dieser abnehmenden Kurve erste Erfolge eines erhöhten bildungspolitischen Engagements für schwache Schüler zum Aus-druck kommen, oder ob dies lediglich eine schul-immanente Reaktion auf die harsche Kritik im Anschluss an PISA ist, lässt sich anhand dieser Zahlen nicht beantworten. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

1. Anteil der Schüler ohne Hauptschulab-schluss:Nach den Daten der KMK haben 2007 etwas mehr als 70.000 Personen die allgemeinbil-denden Schulen ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Das entspricht einem Anteil von 7,7 % an der altersentsprechenden Bevölkerung.

Ein Blick auf die Entwicklung in den letzten 10 Jahren macht dabei zweierlei deutlich: zum einen, dass der Anteil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss sich durchweg in Größen-ordnungen zwischen 7 und 10 % bewegt, also kein neues Phänomen ist (das gilt auch für die Jahre davor); zum anderen, dass – im Gegen-teil – der Anteil seit 2001 mit einem Spitzenwert von 9,7 % bis zum Jahr 2007 auf immerhin 7,7 % und damit um 20 % gesunken ist. Zumindest der letzte Befund eines sinkenden Anteils der Ab-gänger ohne Hauptschul abschluss ist ein kleiner

Abb. 2: Quote der Abgänger ohne Hauptschulabschluss nach Schulform

(1998–2007; Anteile an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Kultusministerkonferenz KMK 2009.

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viele Studien der neueren Bildungsforschung wie beispielsweise PISA, das neue Bildungspanel oder der Bildungsbericht mit dem Thema Förder- und Sonderschulen ausgesprochen schwer tun, sprich: diese Form der Schule gar nicht oder nur ungenü-gend ins Blickfeld rücken.

Und, um das in aller Deutlichkeit zu sagen: Bei den hier im Mittelpunkt ste henden Schülern aus den Förderschulen geht es im Schwerpunkt nicht um geistig oder schwer mehrfach behinderte junge Menschen, bei de nen aufgrund ihrer kogni-tiven Einschränkung diese Entwicklung erwartbar ist (diese bilden innerhalb der Gruppe eine deutli-che Minderheit). Vielmehr befinden sich weit mehr als die Hälfte der Förderschüler in Schulen für Lernbehinderte sowie in Förderschulen mit dem Schwerpunkt der sozialen und emotionalen Ent-wicklung, den früheren „Schulen für Erziehungs-hilfe“ (vgl. BBE 2008, S. 67).

2. Schüler ohne Hauptschulabschluss nach Schulart: Aufschlussreich ist unterdessen ein Blick auf die Schulart, aus dem die jungen Men-schen ohne einen Hauptschulabschluss abgehen. Ich konzentriere meinen Blick dabei auf den Anteil der Abgänger aus den Son der- und Förderschulen. Während 1998 diese Schulform knapp 35.000 Per-sonen ohne einen Abschluss verließen, was einem Anteil an der Gruppe aller Schüler ohne Haupt-schulabschluss von fast 42 % entspricht, waren dies 10 Jahre später, 2007, bei insgesamt sinken-den Gesamtzahlen etwas mehr als 38.000 und da-mit immerhin 54 % an allen jungen Menschen ohne Schulabschluss (KMK 2009, S. 346). Mit anderen Worten: Die Mehrheit der jungen Menschen ohne Schulabschluss kommt inzwischen nicht mehr aus den Hauptschulen, sondern aus den Förderschu-len. Dieser Befund wird aus meiner Sicht sozial- und bildungspolitisch in seiner Tragweite noch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen, zumal sich

Abb. 3: Absolventen ohne Hauptschulabschluss nach Geschlecht und Herkunft(2006; Anteile an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Bildungsbericht 2008.

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rigkeiten an eine För derschule zu einer beson-ders schwerwiegenden Entscheidung“, so das Fazit des Bildungsberichts (BBE 2008, S. 89).

Umgekehrt heißt das aber zugleich, dass aus den Hauptschulen unter dem Strich weitaus weniger Schüler die Schule ohne einen Abschluss verlassen, als dies gemeinhin angenommen wird (rund 12 %; Krekel/Ulrich 2009, S. 30). Nur gut jeder dritte jun ge Mensch ohne einen Schulab-schluss war am Ende seiner Schulzeit an einer Hauptschule. Wer also etwas an der Situation der Gruppe der „schwachen Schüler“ ändern will, darf sein Augenmerk nicht ausschließlich auf die Hauptschulen richten.

3. Schüler ohne Hauptschulabschluss nach Geschlecht: Der Blick auf Geschlecht fördert den inzwischen nicht mehr sonderlich überra-schenden Befund zutage, dass es sich bei den

Das sind Schulformen, bei denen am ehesten von einer seelischen, psycho-sozialen, jedenfalls nicht von einer organischen Behinderung auszugehen ist. Und im Lichte der international neu entfach-ten Diskussion um Inklusion bedeutet das, dass die Bil dungspolitik sich um diese Gruppe der „schwachen Schüler“ in den Förderschulen weit-aus mehr kümmern muss. Obgleich die Lehrer-Schü ler-Relation in diesen Schulen mit 1 zu 11 etwa doppelt so gut ist wie in durchschnittlichen Hauptschulen (vgl. KMK 2009, S. XI), werden die Schüler dadurch zumindest nicht so gefördert, dass sie eine höhere Wahrscheinlichkeit erlan-gen, auf diesem Wege der besonderen Förderung einen Hauptschulabschluss zu erlangen. Mehr noch: So stellt der Bildungsbericht 2008 fest: „Im Förderschwerpunkt Lernen besteht in zehn Län-dern die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu erwerben nicht. Auch dies macht die Zuweisung von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwie-

Abb. 4: 25- bis 35-Jährige ohne allgemeinbildenden Schulabschluss nach Migrationshintergrund(2006; Anteile an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005.

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4. Schüler ohne Hauptschulabschluss nach Migrationshintergrund: Kompliziert wird die Lage des Konstrukts vom „schwachen Schüler“ schließlich mit Blick auf den Migrationshinter-grund als letztem Befund zu den Abgängern. Zu dieser Frage liegen nach wie vor keine Daten auf der Basis der Schulstatistik vor – ein m. E. unhalt-barer Zustand im Lichte der erheblichen Anteile dieser Gruppe an den aktuellen Problemen des Bildungswesens (Staatsangehörigkeits- vs. Mig-rationskonzept). Infolgedessen muss ich mich bei dieser Frage an den Bildungsbericht und die dort zugrunde ge legten Daten des Mikrozensus von 2005 anlehnen.

Auf dieser Datenbasis wird sichtbar, dass der Anteil junger Menschen ohne Hauptschulab-schluss unter Migrationsgesichtspunkten inakzep-

Schülern ohne Hauptschulabschluss mehrheitlich um männliche Jugendliche handelt.

Von den 7,7 % Abgängern ohne Hauptschul-abschluss des Jahres 2006 waren 63 % männlich und 37 % weiblich (BBE 2006, S. 274). Oder in altersentsprechenden Relationen ausgedrückt: 5,3 % der weiblichen, aber 8,7 % der männlichen Schüler ohne Migrations hintergrund hatten kei-nen Hauptschulabschluss, während die Relation bei den Schülern mit nicht-deutscher Staatsan-gehörigkeit bei 12,7 % weiblichen gegenüber 19,2 % männlichen jungen Menschen lag. Das sind schon deutliche geschlechtsspezifische Un-terschiede. Hierin spiegelt sich nochmals der in-zwischen allgemeine Be fund wider, dass sich die männlichen Schüler im schulischen System offen-kundig schwerer tun.

Abb. 5: Entwicklung der Anteile der Risikogruppen in Deutschland anhand unterschiedlicher Kompetenzbereiche in den PISA-Studien*

* Zu den Risikogruppen zählen diejenigen Schüler, die die Kompetenzstufe II nicht erreichen. Quelle: PISA 2000, 2003, 2006.

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eine besondere Aufmerksamkeit auf jene Kinder ohne Hauptschulabschluss richten, die einen Mi-grations hintergrund haben – allen voran gilt dies für Schüler mit türkischem Hintergrund. In diesen Gruppen finden sich die zertifikatsbezogenen Schüler überdurchschnittlich häufig. Zum anderen muss dabei aber auch innerhalb dieser Gruppe die besondere Situation der jungen Menschen mit Migrationshinter grund beleuchtet werden, die in Förderschulen unterrichtet werden, da bei ihnen die Gefahr besonders groß ist, dass hier sprach-liche und soziokulturelle Gründe zu einer Über-weisung auf die Förderschule beitragen, sprich: dass Lernschwierigkei ten hier nicht unbedingt auf kognitive Defizite zurückzuführen sind, sondern es sich zumindest potenziell um Fehlallokationen handeln könnte. Jedoch bleibt dieser themati-sche As pekt in der bundesdeutschen Bildungs-forschung und Bildungspolitik bis heute eher im Dun keln.

tabel stark variiert. Während sich das Problem fehlender Schulabschlüsse in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jäh rigen bei den Personen ohne Mi grationshintergrund in diesem Alter nur noch bei knapp 2 % und bei Spätaussiedlern bei weni-ger als 3 % bewegt, liegt der entspre chende Anteil bei allen jungen Erwachsenen mit Migrationshin-tergrund zusammen bei immerhin gut 9 % und bei den Tür ken bei sage und schreibe rund 18 %. Die-se haben somit im Schnitt eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit die Schule ohne Abschluss zu verlassen wie die Migranten insgesamt und eine zehn Mal höhere Wahrscheinlichkeit als die Ju-gendlichen ohne Migrationshintergrund. Das sind schon beachtliche Differenzen.

Daraus folgt zweierlei: Zum einen müssen wir – und hierin könnte ein wichtiger Impuls einer nachhaltigen Wirkung zur Reduktion der Gruppe „schwacher Schüler“ in Deutschland liegen –

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in der Gruppe der schwachen Schüler stärker vertreten sind als junge Frauen, dass sich vier-tens hinter den Kulissen des „schwachen Schü-lers“ eine Zusatzhürde für Her an wachsende mit Migrationshintergrund im Allgemeinen sowie mit türkischem Migrationshintergrund im Be sonderen auftut. Und hierbei liegt es – auf der Basis anderer Befunde – nahe, dass diese Auffälligkeiten wie-derum eng mit dem Schulabschluss der Eltern konfundieren. Oder allge meiner: dass der Ein-fluss der Her kunftsfamilie, also des sozialen Hin-tergrunds für eine erfolgreiche Bildungsbiografie offenkundig genauso wichtig oder gar wichtiger ist als die Schule selbst. Deshalb dürfen wir auch die nicht-schulischen Aspekte bei der Suche nach Antworten auf die Bil dungsmisere nicht aus dem Blick verlieren.

2. Die Übergänge – über Hürden und ChancenWir alle wissen, dass beim Übergang an der ersten Schwelle, also von der Schule in die be-rufliche Ausbildung, nicht die Devise gilt „neu-es Spiel, neues Glück“. Auch wenn es keinen streng-linearen Zusammenhang zwischen schu-lischen Abschlüssen und der erfolgreichen Ein-mündung in die berufliche Ausbildung gibt (also etwa keine staatlich regulierte Zuweisungspraxis existiert), so sind diese Zertifikate aber dennoch wichtige Op tionsscheine für den Eintritt in die be-rufliche Ausbildung. Für sich genommen eröffnen sie zwar noch keine Garantie für einen sicheren Ausbildungsplatz, da zugleich – und das macht die Rede vom „schwachen Schüler“ so ambiva-lent – daneben der Frage einer ausreichenden Zahl an betrieblichen, außerbetrieblichen oder vollzeitschulischen Ausbildungsplätzen eine ganz ent scheidende Rolle mit Blick auf das Ausmaß der vermittelten Bewerber zukommt. Mit an deren Worten: Neben den unbestritten vorhandenen kompetenzbedingten Aus bil dungs losen gibt es seit Jahren auch eine erhebliche Zahl an markt-bedingten Ausbildungslosen. Vor diesem Hinter-grund will ich wenigstens zwei Befunde kurz in den Mittelpunkt rücken.

5. Schwache Schüler im Lichte kompetenzori-entierter Befunde: Wie bereits eingangs erwähnt lässt sich das Problem der „schwachen Schüler“ schlussendlich nicht allein auf die Gruppe jener Ju-gendlichen reduzieren, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Zumindest hat uns PISA ge-lehrt, dass die Gruppe der Risikoschüler deutlich größer ist als die Zahl der Schüler ohne Haupt-schulabschluss. Anhaltspunkte hierfür liefern die PISA-Studien, denenzufolge sich so genannte „PISA-Risikogruppen“ identifizieren lassen, die anteilsmäßig deutlich oberhalb der Quoten von Schulabgängern ohne Schulabschluss liegen.

Hierbei zeigt sich, dass über die verschie-denen Kompetenzbereiche hin weg, nach wie vor knapp 20 %, also jeder fünfte Jugendliche jener Risikogruppe angehört, die dauerhaft nicht nur mit schulischen, sondern anschließend auch mit Pro-blemen in Ausbildung und Beruf zu rech nen hat, von sonstigen, allgemeinen Le bens pro ble men mal ganz abgese hen.

Schule befördert in der Biografie von Kin-dern eine wichtige Weichenstellung: im günstigen Fall eine gut ausgestattete Ba sisqualifizierung für einen zwar nicht gesicherten, aber doch erwart-baren berufl ichen Werdegang, im ungünstigen Fall einen prekären Schulverlauf mit stigmatisie-renden und folgenreichen Nebenwirkungen auf die anschließende Lebens führung. Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigt sich allerdings auch bei diesen Da ten, da sich bei den PISA-Befunden zwischen 2000 und 2006 ein leichter Rückgang andeutet, der immerhin dafür sprechen könn te, dass sich auch in der Gruppe der „schwachen Schüler“ we nig stens in kleinen Dosierungen die Lage etwas verbessert (wie wir dies bereits bei den Quoten ohne Schul abschluss gesehen ha-ben). Hier gilt es die nächsten PISA-Ergebnisse abzuwarten.

Bilanziert man die Befunde dieses Abschnitts mit Blick auf die „schwachen Schüler“ insgesamt, so zeigt sich, dass erstens das Thema der För-derschulen, also der Schulform, künftig stärker beachtet werden muss, dass zweitens die bloße Erhöhung der Anteilsquoten erfolgreicher Haupt-schulabschlüsse allein nicht weiterhilft, sofern dies nicht zugleich mit einem Zugewinn an Kompetenz einhergeht, dass drittens männliche Jugendliche

Abb. 6: Anteil der Neuzugänge nach dualer Ausbildung, Schulberufs-system und Übergangssystem

(Deutschland; 1995–2006)

Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, eigene Berechnungen und Schätzungen auf Basis der Schulstatistik; Bundesagentur für

Arbeit, eigene Berechnungen, eigene Aktualisierung.

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Bündel an Maßnahmen der schulischen und be-ruflichen Qualifizierung unterhalb eines Berufs-abschlusses ist.

Diese ungünstige Entwicklung hängt vor allem mit dem Anstieg der Ausbildungswilligen zusammen, also der Gruppe der nichtstudienbe-rechtigten Abgänger aus den all gemeinbildenden und beruflichen Schulen zuzüglich der unversorg-ten Altbewerber: Lag deren Zahl nach Berech-nungen des Bundesinstituts für berufliche Bildung nach der „erweiterten Variante 1“3 1995 noch bei

1. Lage und Zukunft auf dem Ausbildungs-markt: Spätestens seit Ende des letzten Jahr-hunderts gibt es in der beruflichen Ausbildung ein deut liches Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage an Ausbildungsplätzen.

Die Folge war, dass die Zahl der jungen Menschen im Übergangssystem stark angestie-gen ist – von knapp 350.000 im Jahre 1995 bis auf über 500.000 Personen ab 2004 –, einem Übergangssystem, das im Übrigen gar kein ko-härentes System, sondern ein unverbundenes

3 Variante 1 umfasst alle Schulabgänger und Schulabsolventen – auch die ohne erfolgreichen Abschluss – und wird daher als „erweiterte

Variante“ bezeichnet.

Abb. 7: Entwicklung von Ausbildungsplatzangebot und Ausbildungsnachfrage

(1998–2008)

In Anlehnung an: Krekel/Ulrich (2009): Jugend ohne Berufsabschluss. Tabelle 1/S. 43f.

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Diese Ausbildungsmisere mit einer nicht un erheblichen Zahl an marktab hängigen Aus-bildungs lo sen befindet sich jedoch inzwischen an einem Wendepunkt. Demzufolge kehren sich in den nächsten Jahren – zuallererst und in massi-vem Umfang in Ostdeutschland – die Verhältnisse aufgrund der demografischen Entwicklung und dem zu erwartenden Rückgang der nichtstudien-berechtigten Schulentlassenen um.

So würde bei der „erweiterten Variante 1“ auf der Basis der rund 820.000 Ausbildungsplät-ze, die in den letzten beiden Jahren zur Verfügung

rund 800.000, so ist dieser Wert ab 2004 auf rund 1 Million gestiegen. Bei der etwas „engeren Vari-ante 2“4 stieg die Zahl im gleichen Zeitraum von 700.000 bis auf 880.000.

Mit diesem Verlauf auf Seiten der Nachfra-genden hat die Entwicklung des Angebots an Aus-bildungsplätzen – sowohl im Rahmen der dualen Ausbildung als auch des Schulberufssystems – nicht Schritt gehalten, so dass unter dem Strich eine rechnerische Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nicht nur unübersehbar, sondern auch immer größer wurde.

4 Variante 2 umfasst nur Schulabsolventen mit einem erfolgreich abgelegten Schulabschluss und wird daher als „engere Variante“ bezeichnet.

Abb. 8: Prognose zur Entwicklung von Ausbildungsangebot und Ausbildungsnachfrage

(2005–2020; ab 2008 Prognose)

In Anlehnung an: Krekel/Ulrich (2009): Jugend ohne Berufsabschluss. Tabelle 1/S. 48f. Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder,

eigene Berechnungen und Schätzungen auf Basis der Schulstatistik; Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen, eigene Aktualisierung.

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Im Lichte dieser sich abzeichnenden Ent-wicklungen scheint mir das Fazit von Krekel und Ulrich daher mehr als berechtigt. Zitat: „Nach Über win dung der gegenwärtigen Wirtschafts-krise sind deshalb die Voraussetzun gen für ei-nen raschen Abbau des Ungleichgewichts von Ausbildungsplatz angebot und -nach frage sehr gut. Aus den de mografischen Veränderungen er-wächst eine Sche renöffnung, welche die Verhält-nisse auf dem Ausbildungsmarkt umkehren und in ein Ungleichgewicht zu Lasten der Betriebe über-führen wird“ (Krekel/Ulrich 2009, S. 24), so das Fazit des informativen Kurzgutachtens.

standen, ab dem Jahre 2014 die Nachfrage für viele Jahre und in wachsendem Maße unter dieser zur Verfügung stehenden Zahl an Ausbildungsan-geboten liegen, während dieser Wert im Falle der „engeren Variante 2“ bereits in diesem Jahr unter-boten würde. Und selbst unter der Annahme, dass die duale Ausbildung in den nächsten Jahren wieder auf ihren schlechtesten Wert der letzten 15 Jahre zurückfallen würde – nämlich auf rund 560.000 Ausbildungsplätze – hieße das, dass die Nachfrage das Angebot gemäß der „erweiterten Variante 1“ Ende des nächsten Jahrzehnts, in der „engeren Variante 2“ jedoch be reits ab 2010 un-terschreiten würde (in den neuen Ländern, das nur am Ran de, realisiert sich diese Entwicklung noch wesentlich deutlicher und schneller).

Abb. 9: Verteilung der Neuzugänge in der Berufsbildung nach Sektoren und schulischer Vorbildung (2000–2006)*

* Ohne Neuzugänge mit sonstigen Abschlüssen.

Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, eigene Berechnungen und Schätzungen auf Basis der Schulstatistik; Bundesagentur für

Arbeit, eigene Berechnungen, eigene Aktualisierung.

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(a) Zunächst zur Einmündung in den Ausbil-dungsmarkt. An dieser ersten Schwelle werden in schonungsloser Form die fatalen Fol gen eines fehlenden oder geringen Schulabschlusses – bei einem zu geringen Ausbildungsangebot – offenkundig. So mussten 2006 drei von vier Ju-gendlichen ohne einen Hauptschulabschluss und immerhin jeder zweite junge Mensch mit einem Hauptschulab schluss zunächst in das Über-gangssystem ausweichen – und selbst ein Viertel der Schüler mit einem Realschulabschluss traf die ses Schicksal.

An diesem Beispiel wird noch einmal die prekäre Entwicklung für Schüler der Förder- und Hauptschulen auf dem Ausbildungsmarkt deut-lich (leider können die aller Wahrscheinlichkeit

2. Ausbildungslose und fehlende Berufsab-schlüsse: Auch wenn sich damit das Verhältnis von Angebot und Nachfrage in den nächsten Jahren erheblich verschieben wird, ist damit das Thema der „schwachen Schüler“ selbstverständ-lich nicht einfach vom Tisch, obgleich sich deren Stellung auf dem Ausbildungsmarkt allein un-ter quantitativen Gesichtspunkten deutlich ver-bessern wird. Bestehen bleibt vorerst das Dilem-ma der steigenden Anforderungen in der dualen Ausbildung einerseits bei einem nicht unbedingt verbes serten Kompetenzprofil auf Seiten der Schüler andererseits. Deshalb will ich, wenn auch retrospektiv, den Blick nochmals sowohl auf die Einmün dung in den Ausbildungsmarkt als auch auf das Ende der fehlenden Be rufsabschlüsse werfen.

Abb. 10: 25- bis 35-Jährige ohne beruflichen Abschluss nach Migrations hintergrund

(2005; in % der altersentsprechenden Bevölkerung; N = 45,3 Mio.)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005.

SchwacheSchüler–starkmachen 17

Deutschland 2007 fast 16 % bzw. rund jede 6. Per -son im Alter zwischen 25 und 35 Jahren demnach keine abgeschlosse ne Berufsausbildung.

Dieser Wert spreizt sich indessen drama-tisch, wenn man ihn nach dem Migrationshin-tergrund aufschlüsselt. Demzufolge haben gut 15 % der Personen ohne Migrationshintergrund keinen Berufsabschluss, während dies bei den Spätaussiedlern auf 28 % und bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund auf sa ge und schreibe 57 % hochschnellt.

Dies zeigt einmal mehr, was sich bereits am Ende der Schule abgezeich net hat: die besonde-re Stellung der jungen Menschen mit Mi grations-hin ter grund auch bei der Gruppe, die evtl. für im-mer ohne Berufsausbildung bleibt. Dies kann auf

nach noch einmal verschärften Bedin gungen der Ausbildungseinmündung für junge Menschen mit Migrationshintergrund und bildungsfernem Elternhaus nicht gesondert aufgezeigt werden). In dieser Hinsicht muss Deutschland aufpassen, dass eine große Gruppe Ausbildungsloser nicht dauerhaft ohne Perspektive blei bt und damit zu Verlierern der Gesellschaft wird, zu Verlierern, die niemals in der Lage sein werden, ihr Leben wirt-schaftlich – und dann meist auch privat – selbst in die Hand zu nehmen.

(b) Verschärft wird diese Gefahr noch zu-sätzlich, wenn man auf das Ende der beruflichen Ausbildung schaut, sprich: auf die Gruppe der Ausbildungslosen, also jener Per sonen, die ver-mutlich dauerhaft über keinen beruflichen Ausbil-dungsabschluss verfügen wird. Im merhin hatten in

SchwacheSchüler–starkmachen 18

lichkeiten der lebensweltlichen Förderung, der situationsorien tierten Anregung und der spielerischen Weltaneignung in den Blick nimmt. Die Förderung des Aufwachsens in der Familie und in der Kinder tagesbetreuung müssen in diesem Zusammenhang gleicher-maßen in den Blick genommen wer den; nur der Blick auf das eine oder das andere, wie dies bisweilen zu beobachten ist, verschenkt in dieser Hinsicht we sentliche Impulse.

Für diese Sichtweise kann man nicht nur den amerikanischen Nobelpreis träger James Heckman an führen, der – zugespitzt formu-liert – zu dem Fazit kommt, dass im Grun-de genommen bis zur Einschulung alle we sentlichen Weichen gestellt sind. In die gleiche Richtung weisen die PISA- und IGLU-Studien mit ihren starken Indizien einer enor-men Wirkung, die eine gute Kindertagesbe-treuung entfalten kann.

Demnach finden sich bei Kindern, die mehr als ein Jahr einen Kindergarten besucht ha-ben, auch noch einige Jahre später höhere Kompetenzwerte. Dabei werden die ver-stärkten Bemühungen um eine gezielte frühe Sprachförderung ganz un übersehbar zusätz-liche wichtige Impulse setzen. Aber ich warne davor, die gesam te Frage der frühkindlichen Förderung und der verbesserten Integration von Kindern mit Migrationshintergrund auf das Thema Sprachförderung zu verengen. Dazu sind die anderen Facetten der Bildung, Betreuung und Erziehung viel zu wichtig.

2. Die Daten und Befunde aus den großen ver-gleichenden Leistungsstudien weisen immer wieder darauf hin, dass es keineswegs allein die Schu le ist, die über das Leistungspoten-zial und das Kompetenzniveau der jungen Menschen entscheidet. Im Gegenteil: Die Familie und die soziale Herkunft erweisen sich als weitaus stärkere Einflussfaktoren zur Er klärung der in Deutschland besonders stark anzutreffenden Leistungsunter schiede. Ich lese diesen Befund auch als einen Hin-weis auf die Bedeu tung dessen, was ich mit Alltagsbildung umschreiben würde, also je-ner Sorte von Bildung und Befähigung, die nicht in das Korsett der schu lischen Unter-

Dauer nicht gut gehen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf und hierauf muss ein besonde-res Augenmerk gerichtet werden.

Aus Zeitgründen muss ich auf eine weiterge-hende Analyse der Daten zum Über gang verzich-ten. Aber hinweisen will ich wenigstens auf den Umstand, dass wir dringend mehr empirisches Wissen über die ungleiche Wirkung so wohl der unterschiedlichen schulischen Aktivitäten an der ersten Schwelle als auch mit Blick auf die diver-sen Maßnahmen des Übergangs systems be-nötigen. Zu heterogen und zu pauschal sind die gegenwärtigen Befunde zur Leistungsfähigkeit des Übergangssystems, zu teuer für die Gesell-schaft und zu folgenreich für die Betroffenen ist die unüberschaubare Vielfalt der einzelnen Maß-nahmen, als dass wir einfach zur Tagesordnung übergehen können.

Was wir aber sagen können, nicht zuletzt durch das Übergangspanel und die lokalen Über-gangsstudien des Deutschen Jugendinstituts, ist, dass die Landschaft in dieser Hinsicht weitaus dif-ferenzierter ist, als sie bisweilen öffentlich wahr-genommen und diskutiert wird. Hier hilft ein einfa-ches Schwarz-Weiß-Schema nicht weiter.

3. Herausforderungen für das Ausbildungs- und Beschäftigungs -systemIch will abschließend wenigstens ganz kurz einige Überlegungen andeuten, die m. E. wichtig sind, sofern eine grundlegende Weichenstellung mit Blick auf die Verbesserung der Lage der „schwa-chen Schüler“ erreicht werden soll. Auf die beson-dere Herausforderung in Sachen Förderschule habe ich bereits hingewiesen; hierauf werde ich nicht noch einmal gesondert eingehen. Ich be-schränke mich auf drei Hinweise.

1. Auch bei diesem Thema gilt, dass wir mit Blick auf die Vermeidung von Bildungsbio-grafien, wie die, die sich im Bild und Konst-rukt des „schwachen Schülers“ ausdrücken, früh ansetzen müssen. „Bildung von An-fang an“ ist in diesem Zusammenhang die viel zitierte Zauberfor mel, die nicht auf eine frühe schulische Bildung abzielt, sondern die konsequent die altersgerechten Mög-

Abb. 11: Durchschnittliche PISA-Punkte in Abhängigkeit von der Dauer des Kindergartenbesuchs

(Deutschland; 2003)

Quelle: Berechnungen des IW auf Basis der PISA-Daten 2003.

SchwacheSchüler–starkmachen 19

gebots die Potenziale einer Alltagsbildung nutzt und auf diese Weise junge Menschen in einem weit größeren Horizont kompetent macht als dies üblicherweise im normalen Unterricht möglich ist. Ich bin zutiefst über-zeugt, dass dies bei vielen Jugendlichen, die wir als „schwache Schüler“ kategorisieren, mehr bewirken kann als die alleinige Ausrich-tung auf die Leistungssteigerung im gewöhn-lichen Fachunterricht.

3. Schließlich geht es bei den anstehenden He-rausforderungen um die Mög lichkeiten und Instrumente einer verbesserten Förderung der „schwa chen Schüler“ im engeren Sinne. Ich will dabei gar nicht auf die Instrumen te im Einzelnen eingehen, sie hier lediglich sum-marisch auflisten, seien es Mentorensysteme

richtsfächer eingebunden ist, die aber eine elementare Voraussetzung für eine allgemei-ne Lebensführungskompetenz junger Men-schen ist – und in den heutigen modernen Bedingungen des Aufwachsens keineswegs mehr selbstverständlich in allen Fällen ver-mittelt wird. Mehr noch: Das Potenzial der re-alisierten oder eben nicht realisierten Alltags-bildung scheint mir einer der wesentlichsten Faktoren zu sein, die die Existenz des „schwachen Schülers“ erklärt und zugleich zu dessen Überwindung beitragen kann.

Eine wichtige Antwort in diesem Zusammen-hang kann das Konzept der Ganz tagsschule sein, sofern dieses so intelligent und weit-sichtig gestaltet wird, dass es in den nicht-unter richt li chen Teilen des Ganztagsan-

SchwacheSchüler–starkmachen 20

Aspekte des Übergangs, also der Lage der För-derschulen ebenso wie die sich verändernden Rahmen be dingungen der Ausbildungslandschaft.

In jedem Fall müssen wir uns jedoch darauf einstellen, dass in wenigen Jahren das Thema der „schwachen Schüler“ in einem völlig veränderten Kontext diskutiert wird. Diese Entwicklung sollte frühzeitig antizipiert wer den, ohne die aktuellen Anstrengungen der verbesserten Integration und Förderung junger Menschen aus dem Auge zu verlieren.

und betriebliche Patenschaften für einzelne Schulen, sei es ein regionales Übergangsma-nagement, das sich gezielt institutionell und persönlich um den Übergang von der Schule in die Ausbildung kümmert, seien es unter-schiedlichste Hilfestellungen und zusätzliche individuelle Unterstützungsangebote bei den Übergängen, seien es Betriebspraktika, mo-dularisierte akku mu lierbare Ausbildungsele-mente, Teilzeitausbildungen oder schließlich Kompetenzfeststellungsver fahren, die das tatsächliche Ausmaß nur bedingt ausbil-dungsfähiger junger Menschen auch jenseits von erreichten Zertifikaten sichtbar macht.

Insgesamt, und damit komme ich zum Schluss, wäre es sicherlich sinnvoll, zunächst das Konstrukt vom „schwachen Schüler“, das die Lage vielleicht allzu sehr individualisiert, zu ergänzen durch ein Profil der persön lichen Stär-ken und Fähigkeiten. Zugleich, auch das dürfte deutlich geworden sein, sollten wir den Blick bei diesem Thema konsequent weiten auf die gesam-te Lebenssituation der jungen Menschen, um so auch die außerhalb der Schule brach liegenden Möglichkeiten der All tags bil dung verstärkt einzu-beziehen. Darüber hinaus geht es aber auch um eine verstärkte Einbeziehung der institutionellen

Literatur

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (BBE) (2008): Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatoren-gestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag.

Konsortium Bildungsberichterstattung (Hg.) (BBE) (2006): Bildung in Deutschland. Ein indikatorenge-stützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag.

Krekel, Elisabeth M./Ulrich, Joachim Gerd (2009): Jugendliche ohne Berufsabschluss. Handlungsemp-fehlungen für die berufliche Bildung. Kurzgutachten (für die Friedrich-Ebert-Stiftung). Berlin: Verlag der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Kultusministerkonferenz (KMK) (2009): Schüler, Klassen, Lehrer und Absolventen der Schulen 1998 bis 2007. Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz (Dokumentation Nr. 186) (März 2009).

SchwacheSchüler–starkmachen 21

III.STATEMENTSDERPODIUMSRUNDE„WASHILFTSCHWACHENSCHÜLERNINDIEAUSBILDUNG?“

Dr. Bernd Baasner, Bildungsleiter Currenta GmbH„Die Bayer AG hat eine über 30-jährige Erfah-rung bei der Beurteilung von Schülerqualifika-tionen, denn diese bilden einen Schwerpunkt in unseren Einstellungsverfahren. Mathematisch-naturwissen schaftliche Kompetenzen sind dabei für uns besonders wichtig. Hier stellen wir jedoch zunehmend Defizite beim Basiswissen der Schü-ler fest, so dass wir nicht immer alle freien Ausbil-dungsplätze mit geeigneten Bewerbern besetzten können. Schüler mit soliden Kenntnissen in die-sem Bereich haben daher bei uns beste Chancen auf einen Ausbildungsplatz und können sicher sein, dass sich ihnen auch nach erfolgreichem Ab-schluss der Ausbildung zahlreiche Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt bieten werden. So möchte ich junge Menschen ausdrücklich dazu ermutigen, sich für eine Ausbildung im MINT-Bereich zu ent-scheiden. Um schwache Schüler besser fördern zu können, haben praktische Tätigkeiten eine nicht zu unterschätzende Schlüsselrolle. Einen Beitrag dazu liefert eine starke Kooperation von Schulen und Betrieben. Hier passiert bereits eine Menge, z. B. in Form einer Unternehmenspaten-schaft. Ein anderes Engagement zeigen wir in un-serem „Starthilfe Programm“, in dem solche Schü-ler ein Jahr lang besonders gefördert werden, die auf Anhieb keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, da ihre Qualifikation für eine Ausbildung noch nicht ausreicht.“

Hans Weißmann, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)„Die Anforderungen, die eine erfolgreiche Aus-bildung an die Jugendlichen stellt, haben sich im Laufe der Zeit verändert. Es wird immer wichtiger, auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Daher ist oft die Rede von wissensorientierten Ausbildungsberufen. Die Schulen müssen die Ju-gendlichen so qualifizieren, dass sie dazu in der Lage sind, die Anforderungen einer Ausbildung zu meistern. Dazu gehört jedoch nicht nur die fach-liche Qualifikation. Besonders wichtig sind auch die sozialen und persönlichen Kompetenzen der Auszubildenden. Ich finde, der Begriff „Alltags-bildung“ beschreibt dies sehr gut. Dazu gehören Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Pünktlich-keit, und dass man in schwierigen Zeiten auch durchhalten kann.“

Umsetzung

Prof. Dr. Thomas Wöller, Kultusminister des Freistaates Sachsen „In Sachsen liegt die Zahl der Mittelschüler ohne Abschluss bei 5 % und damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Der Erfolg unseres Bil-dungssystems wird auch durch die Ergebnisse von PISA bestätigt. Dazu haben vor allem unsere engagierten Lehrerinnen und Lehrer beigetragen. Der Lehreraus- und -weiterbildung wird künftig eine Schlüsselrolle zukommen. Hier sind auch die Universitäten gefragt, die der Lehrerbildung grö-ßere Aufmerksamkeit schenken müssen, z. B. in Form von Zentren für Lehrerbildung. Dabei darf jedoch nicht nur die Sicherung des quantitativen Bedarfs an Lehrern eine Rolle spielen. Gerade die pädagogische Eignung der Lehrkräfte muss im Vordergrund stehen, und der Lehrerberuf mehr gesellschaftliche Anerkennung erhalten, damit wir die Geeignetsten für die Schule gewinnen. Stabile und verlässliche Rahmenbedingungen gehören ebenfalls zu den Merkmalen erfolgreicher Schul-politik. Sie sind auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das klar gegliederte sächsische Schul-system leistungsfähig und auch im internationalen Vergleich konkurrenzfähig ist.“

Dr. Gerhard F. Braun, Vizepräsident der BDA:„Zwar gibt es große regionale Unterschiede, was den Bildungserfolg einzelner Bundesländer be-trifft. Doch auch innerhalb einer Region, ja sogar innerhalb einer Stadt ist die Qualität der einzelnen Schulen höchst unterschiedlich. Dies zeigt, dass die Schulleitung für den schulischen Erfolg ihrer Schülerinnen und Schüler von größter Bedeutung ist. Als pädagogische Leitfigur repräsentiert sie die Schule nach außen und ist Vorbild für Schü-ler und Lehrer. Deshalb ist Auswahl, Vorbereitung und Qualifizierung von Schulleitungen beson-ders wichtig. Damit die Schulen auf die konkre-ten Bedürfnisse ihrer Schüler eingehen können, brauchen sie jedoch auch mehr Unabhängigkeit und Kompetenzen, zum Beispiel in Personal- und Budgetfragen. Denn die Schulleiter und Lehrer vor Ort wissen am besten, wie ihre Schüler zu för-dern und zu fordern sind. Das Konzept der Selbst-ständigen Schule muss daher noch konsequenter in die Praxis umgesetzt werden.“

SchwacheSchüler–starkmachen 22

Gerhard Bold, Leiter Fritz-Walter-Schule für Lernbehinderte (Bundessieger „Starke Schule“ 2009)„Kein Kind darf verloren gehen. Dies gilt beson-ders für Schüler mit sonderpädagogischem För-derbedarf. Dass unsere Fritz-Walter-Schule für Lernbehinderte als Bundessieger des Wettbe-werbs „Starke Schule“ 2009 ausgezeichnet wur-de, bestätigt unser Konzept zur Förderung schwa-cher Schüler. Dabei setzen wir vor allem darauf, den Schülern Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu vermitteln. Dabei helfen konkrete Lerninhalte wie z. B. ein Schulgarten, eine intensi-ve Berufsorientierung und enge Zusammenarbeit mit Betrieben. Durch strukturiert angebotene Tä-tigkeiten wie z. B. die Computer AG werden re-alistische Übungsmöglichkeiten als Vorbereitung auf die Arbeitswelt geschaffen, und diese kön-nen durch die Jugendlichen im Rahmen von Ta-ges- oder längeren Betriebspraktika angewendet werden. Auch durch ein intensives Sozialtraining werden persönliche Kompetenzen der Jugendli-chen nachhaltig gestärkt und Schlüsselqualifika-tionen für ein soziales Miteinander vermittelt. Wir sind stolz darauf, dass wir auf diese Weise einen Großteil unserer Schüler in reguläre Ausbildungs-verhältnisse vermitteln können.“

Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstitut (DJI)„Die Familie ist die wichtigste Bildungsinstanz, da sie die Basis für alle Bildungsprozesse schafft. In dieser Hinsicht kann die Leistungsfähigkeit der Familie im Einzelfall jedoch höchst unterschied-lich sein. Bei schwachen Schülern fehlen häufig die entsprechenden Grundlagen an Urvertrau-en, Anerkennung und Förderung. Sie schleppen bisweilen eine Hypothek mit ins Leben, die sie später nur noch schwer einlösen können. Alle Bildungsinstitutionen müssen sich daher der He-rausforderung stellen, einer gewachsenen und wachsenden Heterogenität der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zu begegnen. Dies gilt vom Kindergarten bis zum Übergang in den Beruf. Bildung bedeutet daher auch nicht allein, über ei-nen Schulabschluss, über Zertifikate zu verfügen. Vielmehr sollte sie sehr viel breiter verstanden werden. Bildung muss Kinder und Jugendlichen befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu neh-men, mit den Erwartungen der Wirtschaft und Ge-sellschaft zurechtzukommen sowie an der Gestal-tung unserer Gesellschaft aktiv teilzunehmen. In diesen Punkten hat sich Deutschland endlich auf den Weg gemacht.“

Birgit Berendes, Leiterin der Möhnesee-Schule (Bundessieger Hauptschulpreis 2007)„Um unsere Schüler optimal zu fördern, haben wir besonders ihre Zeit nach der Schule im Blick. Wichtige Kooperationspartner sind dabei Un-ternehmen und Betriebe. Durch Einblicke in die Praxis erkennen die Schüler, welche Kenntnisse und Fertigkeiten im späteren Berufsleben gefragt sind. Jeder Schüler hat Stärken! Wir versuchen gemeinsam, diese Stärken herauszufinden und ihre Entwicklung zu dokumentieren. Die Motiva-tion der Schüler ist besonders wichtig, damit sie Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwi-ckeln und Mut, ihre eigene Zukunft zu gestalten.“

Das Qualitätsleitbild für die Berufsorientierung an Schulen

Grafik: MTO GmbH

Durchführung einerStatusanalyse

Kommunikation

Projektmanagement

Bildung einerKoordinations-

gruppe

Evaluation und

Verbesserung

Entwicklung einesQualitätsleitbilds

Erstellung einerProzess-

dokumentation

QualitätssicherungbeiderPlanung

Dimension1UnterrichtlicheAktivitäten

Dimension3KooperationSchule–Wirtschaft

Dimension2Außer-

unterrichtlicheAktivitäten

Dimension4KooperationSchule–

weiterePartner

Orientierung an den Dimensionen desQualitätsrahmens

QualitätssicherungbeiderUmsetzung

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IV.FOREN

cher in die Berufswahlvorbereitung mit einbezieht. Gute Berufsorientierung heißt, dass die Schüler die unterschiedlichen Arbeitswelten sowie ihre ei-genen Fähigkeiten und Interessen kennen. Dafür braucht es frühzeitige Einblicke in die Arbeitswelt und eine kontinuierliche individuelle Förderung der Handlungskompetenz der Schüler.

Nach wie vor sind die Vorgaben zur Berufsori-entierung in den Bildungsplänen der Länder wenig konkret, wird Berufsorientierung an vielen Schulen noch nicht systematisch umgesetzt und überwiegt die Durchführung von Einzelmaßnahmen. Deshalb haben die Bertelsmann Stiftung und die Bundesar-beitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT in Zu-sammenarbeit mit der MTO-Psychologische For-schung und Beratung GmbH einen Leitfaden zur Berufsorientierung für allgemeinbildende Schulen entwickelt.

Forum I: „SCHULEWIRTSCHAFT“ – Leitfaden zur Berufsorientierung Der Übergang von der Schule in das Berufsleben spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunfts-perspektiven junger Menschen. Folglich ist die Förderung des individuellen Berufswahlprozesses gerade auch von schwächeren Schülern eine zen-trale Aufgabe der Schulen.

Doch noch immer wissen viele Schulabgänger am Ende ihrer Schullaufbahn nicht, welchen beruf-lichen Weg sie einschlagen sollen. Oft brauchen sie mehrere Anläufe, um in die richtige Ausbildung zu starten, weil sie beispielsweise die Anforderun-gen des Ausbildungsberufs nicht erfüllen. Das führt zu Frustration und es geht viel Zeit verloren. Was fehlt, ist eine fundierte, systematische Berufsorien-tierung, die bereits ab Klasse 5 beginnt und alle Fä-

Kooperationsprojekt der Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRT-SCHAFT mit der Bertelsmann Stiftung: Leitfaden zur Berufsorientierung. Praxisleitfaden zur Qualitätsbasierten Berufsorientierung an Schulen

Der Leitfaden Berufsorientierung

� bietet neben umfangreichen Informationen auch praktische Anleitungen sowie Arbeits- und Unter-richtsmaterialien zur Umsetzung einzelner Maßnahmen zur Berufsorientierung

� gibt Schulen genauso wie einzelnen Lehrkräften eine umfassende Hilfestellung und unterstützt da-bei sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene

� hilft Schulen und Lehrkräften bei der systematischen Gesamtkonzeption ihrer Berufsorientierung und berücksichtigt dabei schon vorhandene Aktivitäten

� dient als Ausgangspunkt bei der Einführung eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems

� ermöglicht es, die Berufsorientierungsaktivitäten in ein bereits bestehendes, schulisches Qualitäts-managementsystem zu integrieren

� ist praxiserprobt und bundesweit einsetzbar.

Leitfaden Berufsorientierung. Praxishandbuch zur qualitätszentrierten Berufs- und Studienorientierung an Schulen. Hrsg. von Bertelsmann

Stiftung, Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT und MTO Psychologische Forschung und Beratung GmbH, Gütersloh: Verlag der

Bertelsmann Stiftung 2009, 144 S. mit CD-ROM, 30 €. ISBN: 978-3-89204-972-2.

Bestellungen unter: www.bertelsmann-stiftung.de.

SchwacheSchüler–starkmachen 24

einzelner Maßnahmen und zeigt, wie gute Berufs-orientierung an Schulen aussehen kann.

Der Leitfaden ist an allen weiterführenden allgemeinbildenden wie auch beruflichen Schulen einsetzbar. Er wurde im Vorfeld an Schulen un-terschiedlicher Schularten in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen erprobt, evaluiert und anschließend weiterentwickelt. Die Erprobung wurde durch die jeweilige Landesarbeitsgemein-schaft SCHULEWIRTSCHAFT ermöglicht.

In der Diskussion wurde festgestellt, dass es nur Schule, Wirtschaft und Eltern gemeinsam

Der Leitfaden Berufsorientierung richtet sich an Schulleitungen und Lehrkräfte aller weiterfüh-renden Schulen, die sich den Herausforderun-gen der Berufsorientierung ihrer Schüler stellen und an ihrer Schule eine systematische Berufs-orientierung einrichten wollen. Der Leitfaden will Schulen dabei unterstützen, auf der Basis von Qualitätsmanagement ein umfassendes systema-tisches Gesamtkonzept zur Berufsorientierung zu planen und umzusetzen. Zugleich will er helfen, bereits vorhandene Berufsorientierungsaktivitäten an Schulen zu systematisieren und in ein Gesamt-konzept zu integrieren. Er bietet praktische Anlei-tungen und Unterrichtsmaterialien zur Umsetzung

SchwacheSchüler–starkmachen 25

Nicht nur beim schulischen Bildungserfolg, sondern auch bei der Ausprägung bestimmter Kompetenzen lassen sich Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen beobachten. Laut IGLU-Studie 2006 unterscheiden sich die Leseleistun-gen von Grundschülern zugunsten eines Leis-tungsvorsprungs der Mädchen, während PISA 2006 in Mathematik einen signifikanten Kompe-tenzvorsprung der Jungen belegt. Befunde aus PISA zeigen ebenfalls, dass auch die Motivation von Mädchen und Jungen unterschiedlich ist. 48 % der Mädchen, aber nur 25 % der Jungen benennen das Lesen als eines ihrer liebsten Frei-zeitbeschäftigungen. Demgegenüber besitzen Jungen ein deutlich ausgeprägteres Selbstkon-zept im Bereich der Mathematik: Sie schätzen ihre eigenen Leistungen deutlich besser ein, als diese im Vergleich mit den Mädchen tatsächlich sind.

Der Trend zur Wahl geschlechtstypischer Fächer setzt sich bei den Vertiefungsfächern in der Schule und der weiterführenden Ausbildung wie Studium oder Berufsausbildung fort. Während sich junge Frauen nach wie vor überwiegend für soziale Berufe oder eine Tätigkeit im Dienstleis-tungssektor entscheiden, geben junge Männer Studien- und Ausbildungsgängen den Vorzug, die auf technisch orientierte und IT-Berufe abzielen. Ein enges Berufswahlspektrum der Frauen, so-wie eine Tendenz zu relativ schlecht vergüteten Berufen sind Gründe dafür, dass sie trotz ihres vergleichsweise höheren schulischen Bildungs-erfolgs bei Erwerbsbeteiligung und Einkommen weiterhin benachteiligt sind.

Aus Sicht der Arbeitgeber muss eine gerech-te Bildungsbeteiligung von Jungen und Mädchen gewährleistet werden. Nicht das Geschlecht, sondern die individuelle Begabung muss zum An-satzpunkt der Förderung in der Schule gemacht werden. Dies gilt auch für die spätere Berufswahl, für die die Weichen bereits in der Schule gestellt werden. Noch immer entscheiden sich zu wenig junge Frauen für eine Tätigkeit im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Gerade hier bieten sich jedoch aufgrund des Fachkräftemangels hervorragende Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Im Forum wurde wissenschaftlich analysiert und praktisch diskutiert, welche Faktoren für den

gelingen kann, jungen Menschen mit Startschwie-rigkeiten frühzeitig ihre Stärken, Talente und Fä-higkeiten bewusst zu machen sowie Möglichkei-ten aufzuzeigen, in welchen Berufen sie diese einsetzen können. Berufsorientierung braucht auch die fachliche und überfachliche Verantwor-tung im Schulkollegium und die Weiterbildung und Unterstützung der Lehrkräfte mit entsprechenden Ressourcen.

Notwendig ist eine dauerhafte Lernortkoope-ration von Schule und Betrieb. Sie müssen bei der Berufsorientierung starke Teams bilden. Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT fördert diese Teambildung und unterstützt die Schulen dabei, eine praxisorientierte Berufsorientierung umzu-setzen. Es gibt eine gewachsene Bereitschaft von Betrieben und Unternehmen, Schulen vor Ort bei der Berufsorientierung zu unterstützen. Das Netz-werk SCHULEWIRTSCHAFT bietet interessierten Schulen Hilfestellung an, einen Kooperationspart-ner aus der Wirtschaft zu finden.

Die Diskussionsteilnehmer sprachen sich für eine konkrete Verankerung der Berufsorien-tierung in den Bildungsplänen der Länder aus. Ebenfalls sollen die Lehrkräfte mehr Ressourcen bei der Umsetzung einer systematischen Berufs-orientierung erhalten. Dazu gehören beispiels-weise Fortbildungen in Form von Lehrerbetriebs-praktika.

Forum II: Jungen – das schwächere Geschlecht?Nachdem lange Zeit die Förderung von Mädchen und jungen Frauen besondere Aufmerksamkeit erfahren hat, ist in den letzten Jahren ein Blick-wechsel auf die Bildungsbedingungen der Jun-gen erfolgt. Diese sind unter den schwachen Schülern inzwischen überproportional häufig vertreten. Die Daten aus dem zweiten nationalen Bildungsbericht belegen deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So werden Jungen häufiger verspätet eingeschult und wiederholen öfter eine Klassenstufe als ihre Mitschülerinnen. Mehr Jungen (9 %) als Mädchen (5 %) verlassen die Hauptschule ohne Abschluss, und deutlich mehr Mädchen (36 %) als Jungen (28 %) schlie-ßen die allgemeinbildende Schule mit dem Abitur ab.

Das 7-Säulen-Modell der Möhnesee-Schule zur Berufs- und Arbeitswelt-orientierung

Quelle: Möhnesee-Schule (www.moehneseeschule.de).

IndividuellePotenzialentwicklung- passgenaue Berufe und Ausbildungen -

Zukunftsperspektive

Potenzialanalyse

Inform

ation

Beratun

g

Förderun

g

Praktika

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erbu

ngund

Vermittlung

Übergangun

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etreuu

ng

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ten. Darauf aufbauend erhalten die Schüler eine kontinuierliche Information und Beratung, die sie bei der Berufsorientierung unterstützten. „Schule vom Ende her denken“ heißt ein Kerngedanke der Möhnesee-Schule. Eine Allianz von Lehrern, Eltern, Arbeitsagentur, Unternehmen und Ehe-maligen unterstützt bei der umfassenden Bera-tung.

Die Förderung von Methodenkompetenz, Verantwortungsbewusstsein und Selbstständig-keit wird im Unterricht durchgängig gefördert und durch Projekte vertieft. Auf die unterschiedlichen Begabungen der Schüler wird durch Partner-schaften mit Betrieben aus der Region einge-gangen. Vielfältige Praktika vermitteln praktische Arbeitswelterfahrung. Die regelmäßige Teilnahme am Girls’/Boys’ Day macht Mut, ‚untypische’ Beru-fe genauer in den Blick zu nehmen. Auch bei der Bewerbung für einen Ausbildungsplatz unterstüt-zen Bewerbungsseminare, individuelle Vorberei-tung von Vorstellungsgesprächen oder auch der schuleigene „Ausbildungsatlas Möhnesee“.

mangelnden Bildungserfolg vieler Jungen aus-schlaggebend sind, und welche Lösungsansätze für eine gleichberechtigte Förderung von Mäd-chen und Jungen vorliegen. Die Möhnesee-Schu-le (Bundessieger Hauptschulpreis 2007) hat mit ihrem „7-Säulen-Modell“ ein überzeugendes Kon-zept vorgelegt, mit dem sie die Entwicklung indivi-dueller Potenziale der Schülerinnen und Schüler erfolgreich umsetzt.

Eine sorgfältige Analyse der Stärken jedes Einzelnen ab der 5. Klasse, sowie deren durch-gängige Dokumentation mit Hilfe der Kompetenz-mappe „Starke Seiten“ bilden den Grundstein der Förderung. Die individuellen Lernvoraussetzun-gen der einzelnen Schüler werden ernst genom-men und in die Förderung einbezogen. Familiäre und schulische Bindungen, Pubertätsturbulen-zen und die Beziehungsmatrix in frühen Jahren spielen dabei – nicht nur bei Jungen – eine be-sondere Rolle. Die Präsentation der persönlichen Talente vor Mitschülern, Lehrern oder Eltern schafft Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkei-

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Das „Starthilfe-Programm(SHP)“ der Bay-er AG fördert seit 1988 motivierte Jugendliche, deren Qualifikation für eine Ausbildung (noch) nicht ausreicht und die daher keinen Ausbildungs-platz bei Bayer bekommen haben. An verschie-denen Lernorten werden die Teilnehmer gezielt gefördert und so fit für eine Ausbildung gemacht: In der Ausbildungswerkstatt werden typische Ar-beitsprozesse zum Beispiel im Labor oder in der Elektrowerkstatt vorgestellt und vermittelt und die Teilnehmer mit den in der chemischen Industrie wichtigen Sicherheitsvorschriften vertraut ge-macht. Im betrieblichen Einsatz lernen die Teilneh-mer den Berufsalltag kennen und sehen dort, wie wichtig soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit oder Teamfähigkeit sind. In der Kulturwerkstatt wird durch künstlerische Arbeiten die Persönlich-keitsentwicklung der Jugendlichen gefördert, die so zum Beispiel ihre Kreativität und ihr Selbstbe-wusstsein stärken können. In der Berufsschule er-folgt ein fachübergreifender Unterricht, in dem vor allem Wissensdefizite gezielt beseitigt werden.

Das Programm wird komplett durch Bayer finanziert. Bisher wurden über 1.400 Jugendliche gefördert, von denen im Durchschnitt knapp 90 % in eine Ausbildung übernommen wurden oder in einem anderen Unternehmen einen Ausbildungs-platz gefunden haben (s. Tabelle). Das Programm wurde 2006 vom damaligen Vizekanzler Münte-fering mit dem Preis „Beschäftigung gestalten – Unternehmen zeigen Verantwortung“ ausgezeich-net. Weitere Informationen unter www.ausbildung.currenta.de.

Die Initiative „Zukunft fördern. VertiefteBerufsorientierunggestalten“ unterstützt Schu-len in Nordrhein-Westfalen bei der festen Veran-kerung von Berufsorientierung. Durch die Berufs-orientierung sollen die Jugendlichen in die Lage versetzt werden, am Ende ihrer Schullaufbahn eine fundierte Berufswahl zu treffen. Getragen wird das Projekt von der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (BA) sowie den Mi-nisterien für Schule und Weiterbildung und für Ge-nerationen, Familie, Frauen und Integration in Zu-sammenarbeit mit der Stiftung Partner für Schule NRW. Das Projekt erfolgt auf Basis des § 421q SGB III, der eine hälftige Finanzierung von Maß-nahmen zur erweiterten Berufsorientierung durch die BA vorsieht.

Forum III: Übergänge erfolgreich gestaltenDer häufigste Weg junger Menschen in einen Be-ruf ist in Deutschland die duale Ausbildung, in die über 60 % eines Altersjahrgangs einmünden. Die duale Ausbildung ist damit die zentrale Quelle für Fachkräftenachwuchs. Sie eröffnet gute berufli-che Perspektiven und integriert dabei ein breites Spektrum an Jugendlichen – Hauptschüler eben-so wie Abiturienten.

Zu viele Jugendliche sind aber auf den Über-gang in Ausbildung nicht ausreichend vorbereitet. Dies manifestiert sich zum einen darin, dass zu vie-len Jugendlichen dieser Übergang nicht oder nur schwer gelingt. Dies zeigt sich in dem umfangrei-chen Übergangssystem zwischen Schule und Aus-bildung, das sich in den letzen Jahrzehnten gebildet hat. Auch bleiben rund 16 % der jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss. Zum anderen brechen zu viele Jugendliche ihre Ausbildung vorzeitig ab oder wechseln den Ausbil-dungsberuf, weil sie sich die Berufs- und Arbeits-welt dort anders vorgestellt haben.

Aus Sicht der Arbeitgeber muss daher die Vorbereitung Jugendlicher auf den Übergang in Ausbildung verbessert werden. Hierbei muss früh-zeitig angesetzt werden: Schulen müssen Einbli-cke in die Berufs- und Arbeitswelt eröffnen, damit die Jugendlichen wissen, was sie nach der Schule erwartet. Die Schüler müssen zudem für ihre ei-genen Interessen, Stärken und Schwächen sen-sibilisiert und in die Lage versetzt werden, diese mit den Anforderungen von Berufen abgleichen zu können. Zudem ist Praxisnähe entscheidend: Gerade leistungsschwächere Jugendliche können vor allem durch einen konkreten Praxisbezug zum Lernen motiviert werden. So wird anschaulich, warum etwas gelernt wird; Erfolgserlebnisse stär-ken das Selbstbewusstsein der ansonsten häufig mit Misserfolgen konfrontierten Jugendlichen.

Die zwei Praxisbeispiele, die im Forum „Übergänge erfolgreich gestalten“ vorgestellt wurden, haben gezeigt, wie eine frühzeitige Berufsorientierung in Schulen verankert wird bzw. wie durch eine betriebliche Berufsvorberei-tung Jugendliche fit für die Ausbildung gemacht werden:

Einstelljahr Anzahl der Absolventen

Überleitung in fortführende Maßnahme

in %

1988/1989 5 5 100,00

1989/1990 10 10 100,00

1990/1991 11 9 81,82

1991/1992 44 42 95,45

1992/1993 54 37 68,52

1993/1994 42 35 83,33

1994/1995 51 42 82,35

1995/1996 49 43 87,76

1996/1997 49 38 77,55

1997/1998 46 41 89,13

1998/1999 50 37 74,00

1999/2000 45 35 77,78

2000/2001 43 39 90,70

2001/2002 75 63 84,00

2002/2003 72 63 87,50

2003/2004 72 58 80,56

2004/2005 167 148 88,62

2005/2006 178 153 85,96

2006/2007 179 147 82,12

2007/2008 195 168 86,15

Ein erfolgreicher Start: Das „Starthilfe-Programm (SHP)“ der Bayer AG bzw. CURRENTA GmbH

Quelle: CURRENTA GmbH.

SchwacheSchüler–starkmachen 28

Zukunft fördern – 10 Module zur vertiefenden Berufsorientierung

Quelle: www.partner-fuer-schule.nrw.de.

SchwacheSchüler–starkmachen 29

bote festgeschrieben werden und dargelegt wird, wie die Module nachhaltig im Schulalltag veran-kert werden. 2009 – dem zweiten Projektjahr – ha-ben bereits über 1.300 Schulen an dem Projekt teilgenommen und Module abgerufen. Weitere In-formationen unter www.partner-fuer-schule.nrw.de.

Basis für die Zusammenarbeit zwischen BA und Land NRW ist die Rahmenvereinbarung „Zu-sammenarbeit von Schule und Berufsberatung“, die die Regionaldirektion und das Kultusministe-rium 2007 abgeschlossen haben. Im Rahmen von „Zukunft fördern“ wurden 10 Module zur vertief-ten Berufsorientierung (s. Kasten) entwickelt, die individuell von den Schulen je nach Bedarf und Schwerpunktsetzung abgefragt werden können.

Die Module beinhalten die finanziellen Mittel sowie Tipps und Beratungsangebote zur Umset-zung der jeweiligen Berufsorientierungs-Maßnah-men. Die Schulen, die Module nutzen, schließen mit der Stiftung Partner für Schule NRW eine in-dividuelle Verpflichtungserklärung ab, in der die Umsetzungsaktivitäten und Unterstützungsange-

Berufsorientie-rungsbüro (BOB)Berufsorientie-rung einen Raum geben

Berufsorientie-rungscampOrientierung schaffen

Kompetenzfest-stellungsverfah-ren in der Jahr-gangsstufe 8Kompetenzen individuell fördern

Vertiefte Berufs- orientierung an FörderschulenMit Handicaps einen Weg in den Beruf finden

Förderkurse für Migrantinnen und MigrantenBerufsorientierung über Sprache fördern

SchülerfirmenSelbstständigkeit erproben

Schülerbetriebs-praktika im AuslandHorizonte erweitern

Duales Orientie-rungspraktikum in der Sekundarstufe IIStudienorientie-rung schaffen

Theaterpädago-gisches Berufs-wahltraining für Migrantinnen und MigrantenAuftritt: Beruf

SozialpraktikumSozialkompetent in den Beruf

Schule: Jungs dominieren in Förderschulen

Schüler an allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2007/08

Grundschulen: einschließlich integrierter Gesamtschulen, freier Waldorfschulen, Abendhauptschulen, Abendrealschulen; Sekundarbereich II: einschließlich Freier Waldorfschulen, Abendgymnasien, Kollegs; Ursprungsdaten: Statistisches Bundesamt.

Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft, iwd, Jg. 35, Nr. 17.

Anteil der Männer in %

4.665.698 50,8insgesamt

Vorschulen

Grundschulen

Sekundarbereich I, darunter:

– Hauptschulen

– Schularten mit mehreren Bildungsgängen

– Realschulen

– Gymnasien

– Integrierte Gesamtschulen

Sekundarbereich II, darunter:

– Gymnasien

– Integrierte Gesamtschulen

Förderschulen

61,1

51,0

51,1

56,0

53,2

50,3

47,6

51,1

44,9

45,2

63,2

45,1

2.402.745

17.216

1.588.969

498.100

159.863

642.902

808.504

210.866

403.709

344.354

34.841

253.059

SchwacheSchüler–starkmachen 30

V.„SCHWACHESCHÜLER–STARKMACHEN“POLITISCHEPOSITIONENVONBDA/BDI

Schulbildung zeit- und kostenintensiv ausgleichen und die notwendigen Kompetenzen nachträglich vermitteln müssen. Knapp 40 % der Jugendlichen befinden sich im Übergangssystem von Schule in Ausbildung. Die hohe Prozentzahl macht deutlich, dass die Vermittlung von Basiskompetenzen in der Schule nicht sichergestellt ist.

Nach dem PISA-Schock ist die Förderung von schwachen Schülern verstärkt in die öffentli-che Wahrnehmung gerückt. Zu oft wird sie dabei nur als Frage der Schulstruktur debattiert. Dabei gerät die tiefer gehende Frage nach zielführenden pädagogischen Konzepten aus dem Blick, mit de-nen der besondere Bedarf im unteren Leistungs-bereich wirksam aufgegriffen werden kann.

Schwache Schüler brauchen starke Schulen – LageanalyseSchwache Schüler bilden mit etwa 20 % eine bedeutende Gruppe innerhalb des deutschen Schulsystems. Trotz oft intensiver Bemühungen durch Lehrkräfte und Schulen ist es bislang nicht gelungen, diese Zahl deutlich und in der Breite zu senken. Eine solide Schulbildung ist jedoch die Basis für den erfolgreichen Weg in den Be-ruf. Sie bildet den Grundstein für die weitere Ausbildung, den erfolgreichen Einstieg in den Arbeitsmarkt und die gesellschaftliche Teilhabe. Fehlende Ausbildungsreife oder ein Verlassen der Schule ohne Abschluss führen Jugendliche in Übergangsmaßnahmen, die die Defizite der

SchwacheSchüler–starkmachen 31

Der Anteil der Schüler mit sonderpädago-gischem Förderbedarf ist in den letzten Jahren auf rund 5 % aller Schüler gestiegen. Sie bilden einen beträchtlichen Teil der Risikogruppe. Auf-grund zu niedriger Kompetenzniveaus bleiben sie meist ohne regulären Schulabschluss und haben nur geringe Chancen auf eine Berufsausbildung. Deutschland hat im Dezember 2008 die UN-Kon-vention über die Rechte von Menschen mit Behin-derungen ratifiziert und damit die Weichen für ein verstärkt gemeinsames Lernen von Jugendlichen mit und ohne Behinderungen gestellt. Doch auch hier bleiben Fragen nach einer optimalen Förde-rung, unabhängig von der Frage des inklusiven Unterrichts, unbeantwortet.

Lösungsansätze

Gerade schwache Schüler dürfen nicht mehr wie bisher den Anschluss an die Wissensgesellschaft und den Einstieg in das Berufsleben verlieren. Wir müssen ihr Potenzial erkennen, wertschätzen und bestmöglich entfalten. Zentral ist dabei eine schu-lische Bildung, die den individuellen Bedürfnissen schwacher Schüler entspricht und ihnen zuverläs-sig die Kompetenzen vermittelt, die sie zur erfolg-reichen Aufnahme einer Ausbildung befähigen.

Besonderes Augenmerk muss dabei auf diejenigen Kinder und Jugendlichen gelegt wer-den, die aufgrund von Migrationshintergrund, Geschlecht oder sonderpädagogischem Förder-bedarf spezieller Unterstützung bedürfen. Um die-ses Ziel zu erreichen ist es unabdingbar, dass alle beteiligten Akteure und Institutionen kooperieren und reibungslose Übergänge an den Schnittstel-len zwischen Schule, Berufsbildung und Arbeits-markt ermöglichen.

Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland „Aufstieg durch Bildung“ (Dresdner „Bildungsgip-fel“) hat die gemeinsamen bildungspolitischen Ziele und Maßnahmen des Bundes und der Län-der festgehalten und dabei insbesondere im Blick auf die schwachen Schüler entscheidende Eck-punkte definiert. Die deutsche Wirtschaft unter-stützt die beschlossenen Ziele und Maßnahmen und begleitet die Umsetzung, die nun konsequent erfolgen muss.

Gerade die Schulen, die einen besonders großen Teil schwacher Schüler aufnehmen, ha-ben mit beträchtlichen Hindernissen zu kämpfen. Schulen in sozialen Brennpunkten oder mit hohem Förderbedarf werden pauschal als „Restschulen“ abgewertet. Das oft sehr hohe Engagement der Lehrkräfte wird dagegen wenig gewürdigt. Diese Doppelbelastung hält viele Lehrer davon ab, die Tätigkeit an einer solchen Schule aufzunehmen. Zudem sehen sie sich durch ihre Ausbildung nur unzureichend auf die pädagogischen Herausfor-derungen ihres anspruchsvollen Arbeitsalltags vorbereitet.

Nachdem über Jahre die Förderung von Mädchen ein besonderer Schwerpunkt war, sind nun die Jungen zur neuen Problemgruppe des Bil-dungssystems geworden: Unter den schwachen Schülern sind sie inzwischen überproportional vertreten. Im Schuljahr 2007/08 waren 56 % aller Hauptschüler und rund 63 % aller Förderschü-ler männlich. Zudem besuchten mit einem An-teil von 45 % deutlich weniger junge Männer die gymnasiale Oberstufe als junge Frauen. Jungen wiederholen häufiger eine oder mehrere Klassen und verlängern damit ihre Schulzeit. Mädchen in-teressieren sich dagegen nach wie vor kaum für Studien- und Ausbildungsgänge im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik).

Unter den schwachen Schülern sind Jugend-liche mit Migrationshintergrund besonders stark vertreten. An der Hauptschule sind sie mit 50 % über-, am Gymnasium mit 9 % unterrepräsentiert. Ihre Anteile an der untersten Leistungsstufe bei PISA und an den Ausbildungsabbrechern sind überproportional hoch. Sprachliche Defizite, ein sozial schwaches Elternhaus und kulturelle Un-terschiede tragen dazu bei, dass Migrantenkinder vielfach bereits vor dem Eintritt in die Schullauf-bahn durch schlechtere Startchancen in ihrer Bildungsbiographie benachteiligt sind. Auch im Übergangssystem von Schule in Ausbildung sind jugendliche Migranten mit 60,5 % überproportio-nal vertreten. Dass der Bildungserfolg in Deutsch-land von der sozialen Herkunft so stark abhängt wie in kaum einem anderen Land, wie die PISA-Ergebnisse 2006 bestätigen, zeigt dringenden Handlungsbedarf.

SchwacheSchüler–starkmachen 32

Schüler mit besonderem Förderbedarf brau-chen eine gute und enge Betreuung und Beglei-tung durch pädagogisch kompetente Vertrauens-personen. Dies kann z. B. durch ein festes Team von Lehrkräften einer Jahrgangsstufe, durch ein Klassenlehrersystem oder auch durch über meh-rere Schuljahre hinweg gleich bleibende Lernbe-gleiter und Mentoren geschehen. Wichtig ist, dass das Kind und der Jugendliche in seiner ganzheit-lichen Persönlichkeit mit Schwächen und Stärken gesehen und ebenso kontinuierlich wie gezielt un-terstützt wird.

Eine systematische Diagnostik ist der erste Schritt für ein gezieltes Vorgehen in der Förde-rung. Daraus lassen sich Förderpläne ableiten, die mit Zielvereinbarungen zwischen Lehrkräften und Schülern – unter Einbeziehen der Eltern – verbindlich gemacht werden können. Portfolios und ähnliche Instrumente dokumentieren die Er-kenntnisse und Erfahrungen ebenso wie sie be-sondere Leistungen oder überfachliches, auch außerschulisches Engagement der Schüler fest-halten.

Viele Schulen haben bereits aus der Pra-xis heraus Konzepte entwickelt und umgesetzt; die vorhandenen guten Modelle und die von der Pädagogik entwickelten neue Konzepte müssen durch die Bildungspolitik aufgegriffen, weiter ver-breitet und nachhaltig verankert werden. Es muss nicht sein, dass jede Schule das Rad neu erfindet, sondern bewährte Konzepte und Modelle auf ihre spezifische Bedarfssituation hin adaptiert und an-passt.

Individuelle Förderung umsetzen

Die Frage, wie man schwache Schüler wirksam stärken kann, wird oft als Frage der Schulform diskutiert und mit der Frage nach der Zukunft der Hauptschule verknüpft. Aber nicht die Schulform ist die entscheidende Größe, sondern die Frage nach pädagogischen Konzepten, die gezielt gera-de den schwachen Schülern helfen. Die Einfüh-rung von integrativen Schulformen und -systemen alleine ist noch keine Lösung für das Problem der schwachen Schüler: Sie brauchen in jeder Schu-le - ob Hauptschule oder schulformübergreifende Schule - gezielte Angebote und Ansätze.

Schwachen Schülern hilft nur eine individu-elle Förderung, die nicht in den herkömmlichen Strukturen möglich ist. Gefragt ist vielmehr ein Mix von Einzelmaßnahmen, Förderangeboten und Begleitungen, die unter dem gemeinsamen Nenner der individuellen Förderung stehen:

� neue Formen der Lernbegleitung � kontinuierliche Einzelbetreuung � individuelle Beobachtung � systematische Diagnostik � Förderpläne und Zielvereinbarungen � Portfolios für die Bildungsbiografie � verantwortliche Pädagogen z. B. in Jahr-

gangsteams � dichte Betreuungsrelationen � Praxiserfahrung als Lernmotivation � anschauliches, handlungsorientiertes Lernen

Eine Differenzierung ist also notwendig – mehr als eine reine Binnendifferenzierung im Un-terricht, aber jenseits der Schulformdebatte als zielgruppenorientiertes Vorgehen in der Einzel-schule. Gefragt sind eigene Ansätze für schwache Schüler im Fachunterricht wie im Bildungsverlauf.

SchwacheSchüler–starkmachen 33

sondere Projekte der Schulen wie z. B. eine Mu-sical-Aufführung, ein Sportfest oder ein Kochwett-bewerb stärken die Identifikation der Schüler mit der Schule und im Effekt auch die Bereitschaft, im Unterricht mitzumachen.

Das Ganztagsangebot muss weiter konse-quent ausgebaut werden. Dadurch wird die Lern-zeit der Schüler erhöht, mehr Vielfalt geschaffen und eine aktive Lernbegleitung über den Unterricht hinaus möglich. Gerade schwache Schüler brau-chen Gelegenheiten, ihren individuellen Bedürfnis-sen entsprechend durch pädagogisches Personal weiter gefördert zu werden. Insbesondere Schüler mit Migrationshintergrund profitieren durch ein län-geres gemeinsames und angeleitetes Lernen.

Intensive Praxiserfahrungen stärken die Lernmotivation, besonders gilt dies für Praxiser-fahrungen im Betrieb. Idealerweise wird im Fach-unterricht aufgegriffen, was in der Praxis an Fra-gestellungen auftaucht (z. B. in Mathematik und Naturwissenschaften).

Schwachen Schülern kommt ein umfassen-der Bildungsbegriff zugute. Wer in Mathematik nicht vom Fleck kommt, aber im Sport gut ist, hat dort Erfolgserlebnisse, die zu einem guten Selbst-vertrauen beitragen und für die Lernmotivation genutzt werden können. Schulen bestätigen dies immer wieder – das Selbstbewusstsein der Schü-ler zu stärken ist als eigener Erfolgsfaktor von großer Bedeutung für die Bildungsbiografie. Be-

„Starke Schule. Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“

Individuelle Förderpläne und Zielvereinbarungen Zweiter Preisträger des Jahres 2009 ist die Hauptschule Coerde bei Münster in Nordrhein-Westfalen. Obwohl die Schule unter extrem schwierigen Bedingungen arbeitet, gelingt es ihr, ein uneingeschränkt positives Klima zu schaffen, das den Umgang der Lehrer, Schüler und auch Eltern miteinander spürbar prägt. Durch eine hervorragende Vernetzung ist die Schule geradezu der Mittelpunkt des Stadtteils. Die Berufsorientierung ist systematisch und praxisnah aufgebaut und wird gemeinsam mit zahlreichen au-ßerschulischen Partnern, insbesondere auch Betrieben, verwirklicht. Schülerfirmen, die Zusammenarbeit mit dem Berufskolleg und die Stärkung der Sozialkompetenzen ermöglichen hohe Übergangsquoten von bis zu 50 % eines Jahrgangs in Ausbildung bzw. das Berufskolleg. Auffällig ist die enge Zusammenarbeit mit den Eltern; beim Zeugnissprechtag werden Zielvereinbarungen mit den Schülern und Eltern schriftlich festgehalten und kontinuierlich überprüft.

Abschluss und Anschluss für SonderschülerMit der Fritz-Walter-Schule aus Kaiserslautern in Reinland-Pfalz hat eine SonderschulefürLernbehin-derte 2009 den dritten Platz erreicht. Die Schule legt Wert darauf, ihre Schüler bei ihrer individuellen leis-tungsmäßigen Ausgangslage abzuholen und bietet im Rahmen ihres Schulprogramms umfangreiche und spezielle Fördermaßnahmen, um den Jugendlichen Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Mit einem breit aufgestellten Programm der Berufsvorbereitung – u. a. mit Schülerfirmen, Praxistagen, Blockpraktika, Sozialtraining – gelingt es, bis zu 40 % der Abgänger in reguläre Ausbildung zu vermitteln. 90 % werden außerdem im freiwilligen 10. Schuljahr zum Hauptschulabschluss geführt.

Informationen auch unter www.starkeschule.ghst.de

SchwacheSchüler–starkmachen 34

für Risikoschüler zu intensivieren. Dies muss ein prioritäres Thema auch in der Forschungsförde-rung von Bund und Ländern sein.

Mädchen und Jungen fördern

Nähere Untersuchungen des unterschiedlichen Bildungserfolgs von Jungen und Mädchen zeigen, dass Mädchen bei gleichen Ausgangssituationen durch ihre überfachlichen Kompetenzen in der Schullaufbahn eher weiterkommen als Jungen. Faktoren wie Selbstdisziplin, Sorgfalt, Zuverlässig-keit und Ausdauer sind bei ihnen stärker vorhan-den. Als Pluspunkt der Mädchen erweist sich das selbstgesteuerte Lernen. Daher muss die Vermitt-lung von Methodenkompetenzen an die Jungen in der Schule mehr an Bedeutung gewinnen.

Demgegenüber ist der wachsende Anteil weiblicher Lehrkräfte für den Lernerfolg der Jun-gen nicht entscheidend. Dennoch bleibt die For-derung nach einem ausgeglichenen Geschlech-terverhältnis, vor allem in frühen Bildungsphasen in Kindergarten und Grundschule im Kollegium für die Erziehungsaufgabe und die Rollenvorbilder wichtig.

Für Kinder aus bildungsfernen und aus Mi-grantenfamilien ist die Sprachförderung von ele-mentarer Bedeutung. Sie muss schon vor Schul-beginn im Rahmen der vorschulischen Bildung beginnen und ist durch die Schulzeit – bis in die Berufsschule hinein – weiter zu verfolgen.

Mehr denn je nehmen die Schulen heute auch Erziehungsaufgaben wahr. Insbesondere für Schüler aus einfachen Verhältnissen und Mi-grantenkinder ist die Schule in der Vermittlung sozialer Kompetenzen und der „ungeschriebenen Gesetze“ und Spielregeln unserer Gesellschaft unersetzbar. Die Vermittlung von Kompetenzen wie Konzentrations- und Teamfähigkeit, Selbst-vertrauen und Verantwortungsbewusstsein sowie eine demokratische Werteerziehung sind gefor-dert. Zur Dokumentation, Motivation und Transpa-renz der personalen und sozialen Kompetenzen sind „Kopfnoten“ ein geeignetes Instrument.

Die breite Verwirklichung neuer Lehr- und Lernformen und einer handlungsorientierten Kompetenzvermittlung einerseits und einer indi-viduellen Lernbegleitung andererseits wird das schulische Niveau steigern und das Erreichen der Standards für den Hauptschulabschluss sichern.

Die empirische Bildungsforschung und wis-senschaftliche Pädagogik ist aufgefordert, die Su-che nach wirksamen pädagogischen Konzepten

Beispiel Girls’ Day

Bei der Berufsorientierung muss die Motivation von Mädchen für naturwissenschaftlich-technische Beru-fe gestärkt werden. So findet seit neun Jahren in Mit-Trägerschaft der BDA der bundesweite „Girls’Day–Mädchenzukunftstag“ statt. Diese Initiative hat sich als wirksames Instrument erwiesen, junge Frauen für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu interessieren. Schülerinnen ab der 5. Klasse kön-nen sich in Unternehmen, Verbänden, Forschungseinrichtungen und Universitäten über MINT-Berufe informieren. Mit über 9.000 Veranstaltungen, an denen ca. 126.000 Schülerinnen teilgenommen haben, wurde 2009 ein neuer Teilnahme-Rekord aufgestellt. Bis heute konnte bereits bei über 800.000 Mädchen Neugierde für Tätigkeitsfelder geweckt werden, in denen ihre Kompetenzen besonders gefragt sind. Im-mer mehr Schulen bieten parallel zum Girls’ Day einen Boys’Day an. Dabei werden Jungen an vermeint-lich „weibliche“ Berufe im sozialen und Dienstleistungsbereich herangeführt.

SchwacheSchüler–starkmachen 35

effizientes Vorgehen und macht zudem das Leh-rerkollegium erst zu einem Team, das an einem Strang zieht. Die Schulleitung ist der pädagogi-sche Motor der Schulentwicklung.

Die Schulen brauchen daher ein Budget, das ihren Handlungsbedarf und das Schülerprofil aufgreift und sich auf die soziale Zusammenset-zung der Schülerschaft bezieht. Sie muss über die Verwendung selbst entscheiden können – auch über die Umsetzung in Stellen oder Sachmittel. Ob die Schule mehr Lehrer, mehr Sozialpädago-gen oder besondere Ausstattung braucht, weiß sie selbst am besten.

Engagierte, motivierte und pädagogisch gut ausgebildete Lehrkräfte sind die Voraussetzung für eine solche Förderung. Die Selbstständige Schule sucht sich das pädagogische Personal aus, das zu ihrem Profil am besten passt, und setzt es ein. Lehrkräfte gerade für schwache Schüler brauchen eine praxisnahe Ausbildung, die sie gut auf den Schulalltag und die Bedürfnis-se ihrer Schülerschaft vorbereitet. Mit einer effek-tiven Ausbildung und einer Bezahlung, die sich an den Anforderungen und Leistungen statt am Sta-tus der Schulform orientiert, wird der Lehrerberuf wieder attraktiver werden – insbesondere auch an belasteten Schulen mit einem hohem Anteil schwacher Schüler.

Für die Förderung der BildungsbeteiligungvonJungen ist darüber hinaus notwendig:

� Pädagogische Konzepte, die Verhaltenswei-sen von Jungen aufgreifen

� Selbstverantwortetes Lernen und Methoden-kompetenzen stärken

� Schulung der sprachlichen Kompetenzen, anregende Literatur zur Lesemotivation

� Männliche Pädagogen und Lernbegleiter vom Kindergarten bis zum Schulabschluss

� Rhythmisiertes Lernen mit Bewegungs-, Sport- und Spielphasen

Rahmenbedingungen für starke Schulen verbessernJedes Schülerprofil ist anders, die Heterogenität der Lernvoraussetzungen bei Kindern und Ju-gendlichen deutlich gestiegen. Die einzelne Schu-le ist stark, wenn sie sich auf diese Voraussetzun-gen flexibel und bedarfsorientiert einstellt und auch einstellen kann. Daher ist die Selbstständige Schule auch ein entscheidender Schlüssel für die Förderung schwacher Schüler.

Die selbstständige Schule analysiert ihren Standort und ihre besonderen Bedingungen und orientiert sich auf dieser Basis an den Zielen, die sie für sich und ihre Schüler erreichen will. Die Zielorientierung schafft ein systematisches und

Starke Schulen zeichnen sich aus durch

� individuelles Eingehen auf ihre Schüler und ihre Bedürfnisse

� systematisches Vorgehen

� Erfolgskontrollen und ständige Weiterentwicklung

� Nachhaltigkeit im Projektangebot

� frühe und betriebsnahe Berufsvorbereitung

� Öffnung und Kooperation mit dem lokalen Umfeld

� Kreativität und Einfallsreichtum

SchwacheSchüler–starkmachen 36

Möglichkeiten der Jugendlichen verändert werden müssen, damit die Integration in Ausbildung und Beschäftigung überall gelingt. Erste Ergebnisse dieser Diskussion werden aktuell erprobt bzw. in Förderansätzen berücksichtigt.

Leitlinien

Insbesondere vor dem Hintergrund der rückläu-figen demografischen Entwicklung und immer weniger Fachkräftenachwuchs, aber auch aus sozialen Gründen können und wollen wir es uns nicht länger leisten, dass zu vielen Jugendlichen der Übergang in Ausbildung nicht gelingt und sie dauerhaft ohne eine abgeschlossene Berufsaus-bildung oder eine sonstige auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Qualifikation bleiben. Es muss ge-lingen, möglichst alle Jugendlichen zum Berufs-abschluss zu führen bzw. sie ihren Möglichkeiten und Potenzialen entsprechend – auch im Rahmen von Teilqualifizierungen – zu fördern.

Hieraus ergeben sich im einzelnen folgende Ziele und Leitlinien:

Präventivansetzen–Ausbildungsreife inderSchulesicherstellenSchulen müssen optimal auf den Übergang in Ausbildung vorbereiten und die Ausbildungsreife der Schulabgänger sicherstellen. Hierzu gehören neben den Kulturtechniken auch die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse und eine fundier-te Berufsorientierung. Es geht darum, grundlegen-de wirtschaftliche Zusammenhänge zu kennen, insbesondere auch die Rolle und Funktionsweise von Betrieben. Zudem muss jeder junge Mensch einen Überblick über die beruflichen Chancen und Möglichkeiten (inkl. der entsprechenden Ausbil-dungswege) haben sowie die eigenen Interessen und Stärken kennen und mit den Anforderungen von Berufen abgleichen können. Dies ist eine zen-trale Basis für eine fundierte Berufswahl, die dazu beiträgt, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden.

Praxisnahansetzen–zumLernenmotivierenGerade leistungsschwächere Jugendliche kön-nen vor allem durch einen konkreten Praxisbezug zum Lernen motiviert werden. So wird anschau-lich, warum etwas gelernt wird. Zudem stärken Erfolgserlebnisse das Selbstbewusstsein der ansonsten häufig mit Misserfolgen konfrontierten

Starker Start in die Ausbildung – LageanalyseDie duale Ausbildung in Deutschland ist die zentrale Quelle für gut ausgebildeten Fachkräf-tenachwuchs. Sie eröffnet den ausgebildeten jungen Menschen gute berufliche Perspektiven und integriert gleichzeitig ein breites Spektrum an Jugendlichen: So sind 17 % der Auszubildenden Abiturienten, 36 % Jugendliche mit Realschul-abschluss und 28 % verfügen über einen Haupt-schulabschluss.

Nicht allen Jugendlichen gelingt aber ein reibungsloser Übergang von der Schule in Aus-bildung. Die größte Herausforderung ist es, dass viele Jugendlichen ohne das erforderliche Rüst-zeug an dieser Schwelle stehen. So verlassen rund 8 % der Jugendlichen die Schule ohne Ab-schluss.

In den letzten Jahren hat sich ein umfang-reiches Übergangssystem zwischen Schule und Ausbildung entwickelt. Dennoch gelingt es einer zu großen Zahl von Jugendlichen nicht, einen Berufsabschluss zu erreichen. Mit vielfältigen Maßnahmen der Länder, der Bundesagentur für Arbeit (BA) und Programmen des Bundes sollen Jugendliche fit für die Ausbildung gemacht wer-den. Mehrere Milliarden Euro werden hierfür pro Jahr ausgegeben – nach der Schule als Repara-turmaßnahme für Defizite, die vorher entstanden sind. Dieses System ist allerdings aufgrund einer hohen Vielfalt an Maßnahmen wenig transparent. Dadurch sind auch die vermittelten Kompetenzen oft wenig sichtbar; zudem fehlen systematische Übergänge. Trotz guter Beispiele im Übergangs-system ist daher zu konstatieren, dass das Ziel, den Weg in Ausbildung und zu einem Berufsab-schluss zu ebnen, vielfach nicht erreicht wird. So bleiben von den 20-29-jährigen jungen Menschen rund 15 % ohne Berufsabschluss. Nicht wenige Betriebe stehen auch aus diesem Grund vor er-heblichem Nachwuchsmangel für ihre Ausbildung.

In den letzten Jahren ist daher – z. B. durch den Innovationskreis Berufliche Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) – eine intensive Debatte geführt wor-den, wie die Strukturen der Ausbildung und des Übergangssystems angesichts unterschiedlicher

SchwacheSchüler–starkmachen 37

müssen stärker diesen unterschiedlichen Anfor-derungen gerecht werden und dafür differenziert gestaltet werden können.

Die Ausbildung selbst muss durch Differen-zierungsmöglichkeiten auch leistungsschwäche-ren Jugendlichen mehr Einstiegschancen eröff-nen. Auch muss für Jugendliche, die (zunächst) keine vollständige Ausbildung schaffen, die Ver-mittlung von Teilqualifizierungen ermöglicht wer-den. Teilqualifizierungen und entsprechende Zer-tifikate sollten auch in der Nachqualifizierung im Sinne einer „2. Chance“ für Personen ohne Be-rufsabschluss strukturbildendes Element werden.

Handlungsschwerpunkte

Berufsorientierung muss fest im Schulalltag ver-ankert und in Kooperation mit der Wirtschaft umgesetzt werden. Dazu gehört insbesondere ein fächerübergreifender Praxisbezug, Betriebs-erkundungen, Bewerbungstrainings, eine gute Vor- und Nachbereitung von Betriebspraktika der Schülerinnen und Schüler, die Nutzung ent-sprechender Weiterbildungsangebote durch Lehrerinnen und Lehrer (z. B. auch in Form von Betriebspraktika) sowie eine gemeinsame Projek-tarbeit mit Unternehmen. Zudem sollte es an je-der Schule einen bzw. mehrere Ansprechpartner geben, die für nachhaltige Kontakte zu Betrieben im Schulumfeld zuständig sind. Auch sollten re-gelmäßige Kontakte zu den Eltern gepflegt wer-den, um sie über den Leistungsstand ihrer Kinder sowie deren möglichen weiteren Bildungsweg zu informieren.

Die Wirtschaft steht den Schulen für diese Aufgabe als verlässlicher Partner zur Verfügung. Dies geschieht insbesondere über das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT. Die Wirtschaft sagt ins-besondere zu, jeder interessierten Schule min-destens einen Partner aus der Wirtschaft zu ver-mitteln.

Auch der „Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“ (Ausbil-dungspakt) hat sich das Ziel gesetzt, in Kooperation mit der Kultusministerkonferenz (KMK) das Thema Ausbildungsreife und insbesondere Berufsorien-tierung zu stärken. Die Paktpartner haben 2006 den „Kriterienkatalog Ausbildungsreife“ vorgelegt,

Jugendlichen. Daher sollte gerade die Qualifizie-rung von lernschwachen Jugendlichen in Schu-le, Berufsvorbereitung, Ausbildung und Nach-qualifizierung stark an der Praxis ausgerichtet bzw. möglichst direkt in der betrieblichen Praxis erfolgen – nur im Ausnahmefall außerbetrieblich und dann unbedingt mit Praxisphasen verknüpft. Neben dem Motivationseffekt bringen frühzeitige Kontakte mit Betrieben vielfach einen „Klebeef-fekt“ mit sich, d. h. die Jugendlichen können sich in der betrieblichen Praxis bewähren und steigern damit ihre Chancen, direkt in Ausbildung über-nommen zu werden.

Übergängesystematisieren–TransparenzschaffenFür leistungsschwache Jugendliche, denen der Eintritt in Ausbildung aufgrund bestehender Defi-zite trotz intensiver schulischer Vorbereitung nicht auf Anhieb gelingt, brauchen wir passende Über-gänge. Neben dem direkten Praxisbezug sollten solche Angebote differenziert auf die Problemla-gen der Jugendlichen eingehen können. Denn es kann ihnen einerseits an fachlichen bzw. sprach-lichen Voraussetzungen fehlen, die eine fachbe-zogene Nachhilfe erfordern. Andererseits können soziale Probleme auch eine sozialpädagogische Unterstützung erforderlich machen. Hierauf muss das Übergangsangebot differenziert eingehen können.

Darüber hinaus müssen die Kompetenzen, die in der Übergangsphase vermittelt werden, so transparent sein, dass insbesondere Betriebe erkennen können, welche Voraussetzungen der Jugendliche mitbringt, und ggf. einzelne fachliche Inhalte auf eine Ausbildung anrechnen können. Er-möglicht wird so eine engere Verknüpfung mit der Ausbildung, die Doppelqualifizierung vermeidet.

Angebotedifferenzieren–Einstiegsmöglich-keitenschaffenAn der Schwelle hin zur Ausbildung stehen Ju-gendliche mit unterschiedlichem Begabungs-potenzial und Interessen. Gleichzeitig gibt es berufliche Tätigkeiten mit unterschiedlichem Anforderungsprofil. Auch einfache Tätigkeitsfel-der wird es weiterhin geben, die allerdings hö-here Ansprüche als früher an die Arbeitnehmer stellen und daher eine Qualifizierung erfordern. Ausbildungs- bzw. Qualifizierungsmöglichkeiten

SchwacheSchüler–starkmachen 38

Mentoren/Paten bzw. Berufseinstiegsbegleitern. Sie können über berufliche Chancen und Mög-lichkeiten informieren und eigene Erfahrungen weitergeben. Zudem können sie Betriebskontakte herstellen und Türen öffnen. Für diese Aufgabe sollten insbesondere auch verstärkt Menschen mit Migrationshintergrund als Vorbilder gerade für Jugendliche, die ebenfalls einen Migrationshinter-grund haben, gewonnen werden.

Zu begrüßen ist der Ansatz der Bundesagen-tur für Arbeit (BA), im Rahmen der Förderung der erweiterten vertieften Berufsorientierung (§ 33 i. V. m. § 421q SGB III), Schüler frühzeitig auf ei-nen gelungenen Übergang in Ausbildung vorzu-bereiten. Die Länder werden durch die 50%ige Finanzierung durch die BA nicht aus ihrer Verant-wortung für die Sicherstellung von Ausbildungsrei-fe inkl. Berufsorientierung entlassen. Es werden vielmehr wichtige Impulse gesetzt, damit diese

der anschaulich darlegt, welche Anforderungen die Wirtschaft an ihre künftigen Auszubildenden stellt. Um eine nachhaltige Verbesserung der Aus-bildungsreife der Schulabgänger zu erreichen, haben Paktpartner und Kultusministerkonferenz (KMK) gemeinsam konkrete Umsetzungsschritte erarbeitet und in Form des Leitfadens „Schulen und Betriebe als Partner – Ein Handlungsleitfaden zur Stärkung von Berufsorientierung und Ausbil-dungsreife“ präsentiert. Im Februar 2009 wurde das gemeinsame Konzept „Berufswegeplanung ist Lebensplanung“ vorgestellt. Ziel dieser Initiativen ist die feste Verankerung von Berufsorientierung und Berufswegeplanung im Schulalltag – in Ko-operation mit externen Partnern insbesondere der Wirtschaft.

Zur präventiven Unterstützung nicht nur leistungsschwächerer Jugendlicher auf ihrem Weg in Ausbildung gehört auch der Einsatz von

Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT

Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT ist ein kompetenter Ansprechpartner, wenn es darum geht Schule und Wirtschaft zusammenzubringen. Durch zahlreiche Projekte und Aktivitäten werden der Austausch und die Kooperation zwischen Schulen und Unternehmen gefördert – und das bundesweit. SCHULEWIRTSCHAFT gestaltet die Zukunft der Jugendlichen in Partnerschaft: durch die Verbesserung des Übergangs von Schule in Beruf oder Studium, die Stärkung der ökonomischen Bildung und die Unterstützung der Persönlichkeitsbildung. Schul- und Unternehmensvertreter übernehmen damit gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung. Mit seiner über 50-jährigen erfolgreichen Arbeit hat SCHULEWIRTSCHAFT Vertrauen und breite Akzeptanz bei den Beteiligten und darüber hinaus aufgebaut.

Daten und Fakten: Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT

� wirkt als Multiplikator von Bundes- über Landesebene direkt bis an die Basis: 22.000ehrenamtlichAktive in Kooperation mit 8.000Unternehmen

� kombiniert gleichberechtigt wirtschaftliche und pädagogische Perspektiven Allein stellungsmerkmal: branchen-undschulartübergreifendeZusammenarbeit

� bündelt hohe KompetenzundErfahrung � steht mit über 50 Jahren erfolgreicher SCHULEWIRTSCHAFT-Arbeit für Kontinuität � erzeugt mit den Aktivitäten hohe Resonanz: bundesweit 3.500 Presseclippings im Jahr,

190.000 Teilnehmer pro Jahr, 110 Anfragen pro Tag

Kontakt: [email protected] bzw. www.schule-wirtschaft.de

SchwacheSchüler–starkmachen 39

schluss zu erreichen drohten, so zu einem hohen Anteil zu einem Schulabschluss und in Ausbildung geführt werden können.

Ist vor der Ausbildung aufgrund von beson-deren Defiziten eine Berufsvorbereitung erfor-derlich, muss diese so praxisnah wie möglich ausgestaltet sein. Die mit dem Ausbildungspakt eingeführten, mittlerweile im SGB III verankerten (allerdings falsch finanzierten) betrieblichen Ein-stiegsqualifizierungen (EQ) sind hier Vorbild, denn sie haben sich als erfolgreiche Brücke in Ausbil-dung bewährt. Die Begleitforschung hat gezeigt, dass bis zu 75 % der teilnehmenden Jugendli-chen anschließend in Ausbildung münden und die anbietenden Betriebe entweder neu in Ausbildung eingestiegen sind oder ihr Ausbildungsangebot gesteigert haben. Zu begrüßen ist zudem, dass im SGB III auch die Möglichkeit geschaffen wur-de, Einstiegsqualifizierungen mit den sog. aus-bildungsbegleitenden Hilfen (abH) zu flankieren, damit Betriebe bei besonders schwierigen Ju-gendlichen mit den damit verbundenen Heraus-forderungen nicht alleine gelassen werden. Für Betriebe bietet sich mit den Einstiegsqualifizierun-gen die Chance, angesichts sinkender Bewerber-zahlen auch schwächere Jugendliche als poten-zielle Auszubildende kennen zu lernen.

Aufgabe nachhaltig und in der Fläche verankert ist. Hierauf muss durch eine gezielte Förderung insbesondere systematisch und dauerhaft ange-legter Projekte hingewirkt werden.

Eltern stehen in der Verantwortung, ihre Kinder auf dem Weg zur Ausbildung zu begleiten und sie nach ihren Möglichkeiten zu unterstützen. Hierzu gehört die Nutzung von Informations- und Beratungsangeboten der Schule, der Arbeits-agenturen oder Jugendhilfeeinrichtungen. Auch können Eltern ihre eigenen beruflichen Erfahrun-gen an ihre Kinder weitergeben. Wichtig sind in diesem Zusammenhang gezielte Informationsan-gebote für Migranten – Jugendliche wie Eltern –, da diese das deutsche Bildungs- und Ausbil-dungssystem sowie die damit verbundenen Chan-cen nicht so gut kennen.

Um besonders schwache Schülerinnen und Schüler durch frühzeitigen Praxisbezug zu un-terstützen und zu fördern, sollten Praxis- bzw. Kooperationsklassen bedarfsgerecht angeboten werden. Hier werden Praxisphasen im Betrieb von ein bis zwei Tagen kombiniert mit Unterricht, gezielter Nachhilfe und ggf. sozialpädagogischer Begleitung. Erfahrungen mit solchen Projekten zeigen, dass Schüler, die zuvor keinen Schulab-

Berufsvorbereitung in Kooperationsklassen (BiK) erleichtert Schülerinnen und Schülern den Über - gang von der Schule in die Arbeitswelt. Dies wird durch die Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit in enger Zusammenarbeit mit den Betrieben erreicht. Mit dem Angebot BiK im Rahmen der Initiative START 2000 Plus unterstützt Südwestmetall die Reformkonzepte einer arbeitsweltoffenen Hauptschu-le. Durch das Kooperationsklassenmodell wird die Verzahnung zwischen Hauptschule, Berufsschule und Betrieb besonders gefördert. BiK unterstützt schwächere Hauptschüler und begleitet diese in Ko-operationsklassen bei der Entwicklung von Sozialkompetenzen sowie beim Übergang in die Ausbil-dung. Dabei werden die Potenziale der Schülerinnen und Schüler entdeckt und entwickelt. Die Jugend-lichen werden in ihrer Berufsfindungsphase individuell beraten. Bei Praktika und anderen Kontakten mit der Wirtschaft unterstützt BiK, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden. In Projekten, Seminaren und Einzelgesprächen erhalten die Jugendlichen zusätzliche Hilfen zur Berufsorientie-rung. Insgesamt wurden seit September 2000 bereits mehr als 1.600 Schülerinnen und Schüler der Kooperations klassen betreut.

„BiK – Berufsvorbereitung in Kooperationsklassen“ von Südwestmetall

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von bundesweit einheitlichen Ausbildungsbaustei-nen. Verstärkt sollten daher dort, wo sinnvoll und von der Branche gewollt, Ausbildungsberufe – unter Beibehaltung des Berufsprinzips – in bun-desweit einheitliche Bausteine gegliedert werden.

Dadurch können Teilqualifikationen transpa-rent und nutzbar gemacht werden. Zu begrüßen ist die entsprechende Empfehlung des Innova-tionskreises Berufliche Bildung des BMBF vom Sommer 2007 und die aktuell auf dieser Basis er-folgende Erprobung von Ausbildungsbausteinen in 14 Ausbildungsberufen im Rahmen des Förder-programms „JobstarterConnect“.

Um Jugendliche mit unterschiedlichen Leis-tungsvoraussetzungen in Ausbildung integrieren und den unterschiedlichen Anforderungen der betrieb-lichen Praxis entsprechend ausbilden zu können, sollten verstärkt differenzierte Ausbildungsangebote entwickelt werden. Zweijährige Ausbildungsberu-fe bieten hierzu gute Möglichkeiten und sollten auf breiterer Basis und verbunden mit der Anrechnungs-möglichkeit auf einen dreijährigen Ausbildungsberuf (Beispiel: Verkäufer/-in – Kaufmann/-frau im Ein-zelnhandel) geschaffen werden.

Weitere Differenzierungs- und Einstiegsmög-lichkeiten bieten der Einsatz und die Zertifizierung

Das Programm „Chance Plus“ der Deutschen Bahn AG bietet Praktikanten Einblicke in Berufsbereiche mit Zukunft und ist eine Maßnahme im Rahmen des „Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräf-tenachwuchs in Deutschland“. Jugendliche, die noch nicht über die nötige Ausbildungsreife verfügen und nicht in eine Ausbildung vermittelt werden konnten, erhalten mit „Chance Plus“ die Möglichkeit, ein Berufsbild kennenzulernen, das auch längerfristig eine gute berufliche Perspektive bietet. Über die Laufzeit des Programms von maximal 12 Monaten wechseln sich theoretischer Unterricht und Praxi-seinsätze ab. Die Praktikanten werden von Beginn an in den Berufsalltag eingebunden und schaffen sich so eine Orientierung in dem jeweiligen Tätigkeitsfeld. Mit dem Mix aus allgemeinbildender und fachspezifischer Qualifizierung sowie Training der Methoden- und Sozialkompetenzen und der Be-gleitung durch Sozialpädagogen unterstützt die Deutsche Bahn die Jugendlichen zusätzlich in der Erlangung ihrer Ausbildungsreife. Durch ein IHK-/HWK-Zertifikat steigern die Teilnehmer ihre Chance auf eine erfolgreiche Bewerbung.

„Chance Plus“ der Deutschen Bahn AG

Das Programm ,,Start in den Beruf“ richtet sich an leistungsbereite Jugendliche mit Hauptschulabschluss, die auf Grund noch fehlender fachlicher, persönlicher oder sozialer Kompetenz derzeit keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Seit 1993 bereitet BASF in dieser einjährigen Maßnahme die Jugendlichen mit großem Erfolg auf eine Berufsausbildung vor. Durchschnittlich rund 75 % aller Teilnehmer haben im Anschluss an das Programm einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz innerhalb oder außerhalb der BASF erhalten. Die Programmteilnehmer erlangen die Ausbildungsreife durch Mitarbeit in den Partnerbetrieben. Hinzu kommt der Unterricht in den berufsbildenden Schulen und im BASF-Ausbildungszentrum sowie so-zialpädagogische Betreuung.

„Start in den Beruf“ der chemischen Industrie

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dass sie eine kontinuierliche und verlässliche Unterstützung bieten, die in enger Abstimmung mit dem Betrieb gestaltet und am konkreten Be-darf des einzelnen Jugendlichen orientiert ist. So muss sichergestellt werden, dass grundsätzlich ein Träger über die komplette Ausbildungszeit die Unterstützung durchführt und kein vorschneller Abbruch der Förderung erzwungen wird. Zudem müssen die tatsächlichen Probleme den Aus-schlag für eine Förderung geben, nicht die oft stark begrenzte Auslegung der Zielgruppe.

Auch Berufsschulen müssen stärker auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Jugendli-chen reagieren. Sie müssen eine individuelle För-derung anbieten, die Schwächen gezielt abbaut und Stärken aufbaut. Hierzu gehört insbeson-dere auch die Förderung der deutschen (Fach-)Sprache bei Auszubildenden mit Migrationshinter-grund.

Die Nutzung von Bausteinen bietet dabei verschiedene Chancen: So können Jugendlichen, die eine Ausbildung abgebrochen haben, die Kom-petenzen, die sie in der Zeit erworben haben, zer-tifiziert werden. Die Jugendlichen erhöhen damit ihre Chancen auf eine Beschäftigung und haben die Möglichkeit, später an diese Teilqualifikationen anzuknüpfen. Besonders leistungsschwachen Ju-gendlichen, die zunächst nicht in Ausbildung ein-münden können, haben die Möglichkeit, erstmal einzelne Bausteine zu absolvieren – auch hier mit der Chance, direkt oder später weitere Bausteine ggf. bis zum kompletten Berufsabschluss anzu-schließen. Damit sind Ausbildungsbausteine auch ein gutes Instrument für die Nachqualifizierung von An- und Ungelernten jungen Menschen, die nicht mehr in eine Ausbildung einsteigen können. Sie können beispielsweise berufsbegleitend ein-zeln absolviert und zertifiziert werden. Hierfür ist die Zertifizierung informell erworbener Kompeten-zen, z. B. im Berufsleben, auszubauen.

Damit auch schwächere Jugendliche in be-triebliche Ausbildung integriert und zu einem er-folgreichen Abschluss geführt werden können, dürfen Betriebe mit dem Mehraufwand nicht allei-ne gelassen werden. Es bedarf daher eines ver-lässlichen Angebots von ausbildungsbegleiten-den Hilfen (abH). Sie müssen so gestaltet sein,

„Starke Schule. Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“ – Vorbildliche Kooperation von Schule und BerufsschuleDer erste Preis im Jahr 2009 ging an die Kooperative Gesamtschule Neustadt a. R. in Niedersachsen. Sie ist eine neuartige, verbindliche Kooperation mit dem Berufsschulzentrum Neustadt eingegangen. Die (Hauptschul-)Klassen 9 und 10 werden an zwei Wochentagen in der Berufsschule, an drei Tagen in der Gesamtschule unterrichtet. Der Berufsschulunterricht besteht dabei zu zwei Dritteln aus Fach-praxis. Am Ende legen die Schüler den Hauptschulabschluss in der KGS und eine Prüfung in der Be-rufsschule ab – dies wird als berufliches Grundbildungsjahr anerkannt. Haupt- und Berufsschullehrer kooperieren auf Augenhöhe; Schüler fühlen sich durch die Doppelung anerkannt und sind hoch moti-viert, beide Abschlüsse zu schaffen. Die KGS Neustadt konnte dadurch die Zahl der Schulabgänger, die einen Ausbildungsplatz erhalten, von früher 14 % auf heute 67 % steigern. Nach den erheblichen Widerständen zu Beginn ist das „Neustädter Modell“ inzwischen eine bekannte Größe und wird vom Land Niedersachsen als flächendeckendes Angebot geplant.

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Kooperation von Schulen und Betrieben stärken

Was hilft schwachen Schülern in die Ausbildung?

Übergänge erfolgreich gestalten Was brauchen schwache Schüler?

Jungen – das schwächere Geschlecht?

Leitfaden Berufsorientierung: Übergang von der Schule in das Berufsleben verbessern

Schwache Schüler: Profil der persönlichen Stärken und Fähigkeiten erstellen

BDA | Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände

Mitglieder von BUSINESSEUROPE

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Briefadresse:11054 Berlin

T +49 30 2033-1500F +49 30 2033-1505

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Stand: Januar 2010

BDI | Bundesverband derDeutschen Industrie e. V.