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Römische Geschichte II – Die Kaiserzeit Jan Bruners Inhaltsverzeichnis 1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) 2 2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 4 2.1 Die Julisch-Claudische Dynastie (14 - 68 n. Chr.) ................ 5 2.1.1 Tiberius (14 - 37) ............................ 5 2.1.2 Caligula (37 - 41) ............................ 6 2.1.3 Claudius (41 - 54) ............................ 6 2.1.4 Nero (54 - 68) .............................. 7 2.2 Revolution des Reiches (68 - 69 n. Chr.) ..................... 7 2.3 Die Flavische Dynastie (69 - 96 n. Chr.) ..................... 8 2.3.1 Vespasian (69 - 79) ........................... 8 2.3.2 Titus (79 - 81) .............................. 8 2.3.3 Domitian (81 - 96) ........................... 8 2.4 Das humanitäre Kaisertum (96 - 180 n. Chr.) .................. 9 2.4.1 Nerva (96 - 98) ............................. 9 2.4.2 Trajan (98 - 117) ............................ 9 2.4.3 Hadrian (117 - 138) ........................... 10 2.4.4 Antoninus Pius (138 - 161) ....................... 10 2.4.5 Mark Aurel (161 - 180) ......................... 11 2.5 Der Zusammenbruch der Prinzipatsverfassung (180 - 235 n. Chr.) ....... 11 2.5.1 Commodus (180 - 192) ......................... 11 2.5.2 Septimius Severus (193 - 211) ...................... 11 2.5.3 Caracalla (211 - 217) .......................... 12 2.5.4 Elagabal (218 - 222) ........................... 12 2.5.5 Alexander Severus (222 - 235) ...................... 12

R¶mische Geschichte II – Die Kaiserzeit

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Römische Geschichte II – Die Kaiserzeit

Jan Bruners

Inhaltsverzeichnis

1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) 2

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 42.1 Die Julisch-Claudische Dynastie (14 - 68 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2.1.1 Tiberius (14 - 37) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.1.2 Caligula (37 - 41) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.1.3 Claudius (41 - 54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.1.4 Nero (54 - 68) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2.2 Revolution des Reiches (68 - 69 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.3 Die Flavische Dynastie (69 - 96 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.3.1 Vespasian (69 - 79) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.3.2 Titus (79 - 81) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.3.3 Domitian (81 - 96) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.4 Das humanitäre Kaisertum (96 - 180 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.4.1 Nerva (96 - 98) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.4.2 Trajan (98 - 117) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.4.3 Hadrian (117 - 138) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.4.4 Antoninus Pius (138 - 161) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.4.5 Mark Aurel (161 - 180) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.5 Der Zusammenbruch der Prinzipatsverfassung (180 - 235 n. Chr.) . . . . . . . 112.5.1 Commodus (180 - 192) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.5.2 Septimius Severus (193 - 211) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.5.3 Caracalla (211 - 217) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.5.4 Elagabal (218 - 222) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.5.5 Alexander Severus (222 - 235) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Inhaltsverzeichnis 2

3 Das römische Reich im 1./2. Jahrhundert 133.1 Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133.2 Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133.3 Soziale Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143.4 Geistige Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 144.1 Zusammenbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

4.1.1 Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154.1.2 Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154.1.3 Soziale Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164.1.4 Geistige Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

4.2 Reform des Reiches durch Diokletian und Konstantin . . . . . . . . . . . . . . 174.2.1 Diokletian (284 - 305) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174.2.2 Konstantin (306 - 337) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

4.3 Die Christianisierung des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin 225.0.1 Die konstantinische Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

5.0.1.1 Constantius (337 - 361) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225.0.1.2 Julian Apostata (361 - 363) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

5.0.2 Verteidigung des Reiches von Valentinian bis Theodosius . . . . . . . . 235.0.2.1 Valentinian (364 - 375) und Valens (364 - 378) . . . . . . . 235.0.2.2 Gratian (375-383) und Valentinian II. (375-392) . . . . . . 235.0.2.3 Theodosius (der Große) (379 - 395) . . . . . . . . . . . . . 23

5.0.3 Reichsteilung und das Ende Westroms . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) 3

1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.)

Nach dem Ende des Bürgerkriegs wurde die Macht des Octavian durch den Senat legitimiert: am13. Januar 27 v. Chr. trat Octavian von allen Ämtern zurück, um sich zwei Tage später vom Senatzur Übernahme der Führung des Staates drängen zu lassen. Durch diese Geste erkannte er denAnspruch des Senats als höchste Instanz formell an. Die Provinzen wurden zwischen dem Senat(befriedete Provinzen und Rom/Italien) und dem Kaiser (Randgebiete mit militärischen Kräften).Dadurch wurde das römische Reich aufgeteilt in einen absoluten Machtbereich und einen Ein-flußbereich des Kaisers. Verwaltungstechnische Unterschiede zwischen Senats- und Kaiserprovin-zen gab es nicht. In jeder Provinz gab es einen kaiserlichen Prokurator für die Finanzverwaltung.Lediglich der Status der Statthalter unterschied sich: in den Senatsprovinzen herrschten erlosteProkonsuln, in den kaiserlichen Provinzen Legaten im Range von Proprätoren (weil Augustus alsProkonsul selbst keine Prokonsuln ernennen konnte). Ägypten nahm eine Sonderstellung ein undwurde von einem mächtigen Präfekten aus dem Ritterstand regiert. Außerdem erhielt Octavianverschiedene Ehrungen: ihm wurde der Name Augustus verliehen, vor seinem Hause wurden zweiLorbeerbäume aufgestellt, ein Eichenkranz, die corona civica, wurde über seiner Tür angebrachtund im Tempel der Julia wurde ein goldener Ehrenschild für ihn errichtet.

Augustus ging zügig an den Ausbau seiner Macht: er wurde rechtlich mit den Konsuln gleichge-stellt, erhielt die Rechte eines Volkstribunen und behiellt sich Eingriffe auch in den Senatspro-vinzen vor. Neben diesen offiziellen Rechten hatte er zahlreiche „illegitime“ Funktionen (z.B. alsRichter). Seine Bezeichnung war nicht Kaiser, sondern princeps (Erster im Staat). Der Spielraumzwischen Wirklichkeit und Möglichkeit war sehr wichtig für das römische Empfinden.

Der Senat wurde aufgewertet: neue Senatoren traten durch kaiserlichen Beschluß ein, er über-nahm die Gerichtsbarkeit und die Wahl der Magistrate. Die faktische Entscheidung blieb natür-lich beim Kaiser. Da die Nobilität den einzig möglichen Gegner darstellte, suchte Augustus einenAusgleich für die verlorene Macht und gab ihr ein höheres Ansehen. Trotz dieser Maßnahmengab es im Senatsadel starken Widerstand gegen den Prinzipat und mehrere Verschwörungen. Diegeschlossene Klasse der Ritter (ordo equester) stand dem Augustus näher.

Zwischen der formalen Rückgabe der Macht an Senat und Volk am 13. Januar 27 v. Chr. unddem Rücktritt vom Konsulat am 1. Juli 23 v. Chr. kam es zur ersten Krise des Prinzipats. DieSenatoren waren unsicher, wie man dem ersten Mann im Staat zu begegnen hatte, ein Volkstribunweihte ihm sein Leben, andere standen den neuen Verhältnissen reserviert gegenüber. An einigenVorfällen in diesen Jahren zeigte sich, daß Augustus noch nicht völlig unangefochten war:

Der siegreiche Marcus Licinius Crassus, Enkel des Triumvirn, durfte zwar einen Triumphzug fei-ern, wurde aber von Augustus aus Sorge um dessen eigenen Ruhm gehindert, seine KriegsbeuteJupiter zu weihen. Gaius Cornelius Gallus, ein enger Vertrauter Augustus’, wurde verbannt undbeging 26 v. Chr. Selbstmord, eine klare Machtdemonstration der senatorischen Opposition. Me-salla Corbinus, von Augustus eingesetzter Stadtpräfekt, trat wegen Verfassungsbedenken zurück,obwohl sowohl Augustus als auch der andere Konsul ihn unterstützten. Diese Vorfälle zeigten,daß sich noch nicht die gesamte Führungsschicht mit der neuen Ordnung abgefunden hatte.

1 Der Prinzipat des Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) 4

Mitte des Jahres 27 v. Chr. reiste Augustus in Begleitung von seinem Stiefsohn Tiberius und sei-nem Neffen Marcellus als Militärtribunen nach Spanien, um dort die aufständischen Stämmezu bekämpfen. Im Jahr darauf wurde der Eroberung Spaniens endgültig abgeschlossen. Die Ge-sandtschaften fremder Völker fanden sich selbstverständlich bei ihm ein und nicht in Rom, wasden Unterschied zwischen der formalen Ordnung und der Wirklichkeit auch dem Senat deutlichmachte. Im Jahre 24 v. Chr. kehrte Augustus schwer krank aus Spanien zurück und trat währendder Reise sein 10. Konsulat an. Der Senat sprach seinen Gesetzen ewige Gültigkeit zu, ihm selbstdie Unabhängigkeit von den Gesetzen.

Das Prinzipat war inzwischen durch mehrere Faktoren geschwächt: im Senat hatten sich zweiFraktionen gebildet, devote Schmeichler, denen nicht zu trauen war, und traditionelle Republi-kaner, die nur auf einen Gelegenheit zum Umsturz warteten. Die unausgesetzte Bekleidung desKonsulats durch Augustus seit dem Jahr 31 v. Chr. war nicht mit der Tradition zu vereinbaren undbot Anlaß für scharfe Kritik. Auch minderte der scheinbar nahe Tod die auctoritas des Herrschers.Immer noch gab im Senat Opposition gegen Augustus. Vor allem während seines Aufenthaltes inSpanien hatte sich eine gegnerische Gruppe gebildet, vor allem auch aus Verbitterung darüber,daß er das ehrenvolle Amt des Konsuln blockierte. Es kam zu einer Verschwörung des FanniusCaepio, an der auch Augustus’ Mitkonsul A. Terrentius Varro Murena Anteil hatte. Anders alsCaesar 44 v. Chr. siegte Augustus und ließ seine Gegner ermorden. An die Stelle des Varro tratGnäus Calpurnius Piso, ein überzeugter Republikaner.

Kurz darauf starb Augustus fast und übergab seinen Siegelring an seinen Vertrauten Agrippa, dierationes imperii (die Truppenlisten und Finanzbücher des Staates) an seinen Mitkonsul GnäusPiso. Die Übergabe dieser Machtmittel war einerseits ein korrektes Verhalten des Augustus, ande-rerseits zeigte seine alleinige Verfügung über sie erneut seine Stellung. Die Tatsache, daß er auchin dieser Situation nicht versucht hatte, Marcellus zu adoptieren oder seine Nachfolge durchzu-setzen, beutete er später propagandistisch aus. Nach seiner überraschend raschen Genesung ließ erAgrippa ein imperium proconsulare für fünf Jahre verleihen, um diesem für künftige Situationendie nötige Macht zu geben.

Am 1. Juli 23 v. Chr. trat er feierlich vom Konsulat zurück und ließ den Republikaner LuciusSestius in dieses Amt wählen. Dafür erhielt er im Gegenzug die Amtsgewalt eines Volkstribunen(tribunicia potestas) mit dem Recht zur Einberufung des Senats und dem Erstspracherecht. Durchseinen Verzicht hatte er also nichts verloren und die Gegnerschaft eines Teils des Senats beendet.Auch sein Sonderkommando wurde zum imperium proconsulare maius ausgedehnt: er durftejetzt auch in den senatorischen Provinzen Weisungen erteilen. Trotz seines Kommandos war esihm erlaubt, die Stadt Rom zu betreten. Seine Herrschaft über Rom und das Reich hatte nunallerdings keine Magistratur mehr als Grundlage. Damit war die staatsrechtliche Umwandlungder Republik in das Prinzipat abgeschlossen.

Das nationalrömische Gedankengut (Tugend, Frömmigkeit und Gerechtigkeit) stand im Mittel-punkt der augusteischen Politik: er führte die altrömischen Kulte wieder ein und erließ strengeSittengesetze. Der Herrschertitel enthielt viele religiöse Bezüge, auch der Ehrenname „Augustus“spielte auf ein göttliches Wunderzeichen an. Göttliche Verehrung des Kaisers war allerdings ausRücksicht auf den Senatsadel nur in der Provinz erlaubt. Er wurde als Weltherrscher und Frie-densfürst bezeichnet.

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 5

Unter Augustus gab es zum ersten Mal eine einheitliche Reichsorganisation. Durch Agrippa, einenengen Vertrauten des Kaisers, wurde erstmals eine Bestandsaufnahme des Reiches (Einwohner, fi-nanzielle Kapazität) durchgeführt. Mit der Finanzverwaltung begann der Ausbau des kaiserlichenApparates, die staatlichen Finanzbehörden verloren weiter an Einfluß. Auch in den Wohlfahrts-bereichen engagierte sich der Kaiser mit seinen Beamten: Getreideversorgung der BevölkerungRoms (cura annonae), Polizei (der praefectus urbi befehligte mehrere 1000 Mann, die cohortesurbanae) und Feuerwehr (7000Mann). Das Milizheer wurde in ein stehendes Heer umgewandelt,das aus römischen Bürgern bestand, die sich für 16/20 Dienstjahre verpflichtet hatten. Wegen derVeteranenansprüche nahm Augustus die Außenkolonisation in großen Stil wieder auf.

Auch die Außenpolitik wurde vereinheitlicht: unbeherrschte Territorien in Italiens Nachbarschaftwurden im Zuge des Augusteischen Imperialismus erobert. Augustus wählte seine Feldherren sorg-fältig aus, um zu vermeiden, daß ihr Kriegsruhm sie zu Ursupationen verleitete. Im Osten gelanges Augustus 20 v. Chr., die Parther zur Rückgabe der in Carrhae erbeuteten Feldzeichen zu bewe-gen, was für das römische Selbstbewußtsein einen gewaltigen Erfolg bedeutete.

Innerhalb von drei Jahren (15 - 12 v. Chr.) eroberten Tiberius und Drusus, Augustus’ Stiefsöhne,die Alpengebiete. In den folgenden Jahren (bis 9 v. Chr.) befriedete Tiberius Illyrien, währendDrusus’ Feldzüge in Germanien fehlschlugen, er starb durch einen Unfall. Tiberius nahm seinenPlatz ein, mußte sich aber wegen der Streitigkeiten mit Augustus 6 v. Chr. von der Politik zu-rückziehen. Zwei Jahre später kehrte Tiberius nach Germanien zurück, mußte aber wegen desPannonischen Aufstands (6 n. Chr. - 9 n. Chr.) die Vorbereitung einer endgültigen germanischenUnterwerfung abbrechen. Nach der Niederwerfung dieses Aufstandes kam es im Jahr 9 zur Ka-tastrophe im Teutoburger Wald, bei der Varus, der Stellvertreter des Tiberius in Germanien dasLeben und drei Legionen verlor. Daraufhin wurde die Eroberung Germaniens aufgegeben.

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr.

Die von Augustus geschaffene Regierungsform, der Prinzipat, hatte rund 200 Jahre Bestand. Siewar flexibel genug, um neuen Anforderungen und Situationen gewachsen zu sein, bis sie un-ter dem Druck einer Mischung von unfähigen Kaisern, inneren und äußeren Krisen schließlichzusammenbrach. Bis zu diesem Zeitpunkt funktionierte das Reich weitgehend ohne Zutun derKaiser. Das einzige Feld, auf dem sie persönliche Leistung zeigen mußten, war der Umgang mitder komplizierten Prinzipatsverfassung, d.h. mit der anspruchsvollen aristokratischen Schicht.

Das römische Reich wurde durch Augustus zwar faktisch unbeschränkt beherrscht, er besaß aberkeine monarchische Legitimation. Seine Machtstellung beruhte auf persönlicher Autorität undihm individuell verliehenen Rechten. Nach seinem Tod mußten diese erlöschen, weshalb der Kai-ser seine Nachfolge theoretisch nicht selbst regeln konnte.

Weil eine Rückkehr zur Republik ausgeschlossen war, mußte Augustus einen Nachfolger bereits zuLebzeiten mit so viel Autorität und Macht ausstatten, daß er seine Stellung automatisch einneh-men würde. Einerseits konnte der designierte Nachfolger mit Ämtern betraut werden, andererseitsdurch Adoption als Erbe des kaiserlichen Vermögens (und damit eines wichtigen Machtmittels)

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 6

eingesetzt werden. Die ursprünglich ins Auge gefaßten Kandidaten (sein Neffe Marcellus, seinVertrauter Agrippa, dessen Söhne Gaius und Lucius) starben alle vor Augustus, so daß schließlichTiberius, der Sohn seiner Frau Livia, ausgewählt wurde.

2.1 Die Julisch-Claudische Dynastie (14 - 68 n. Chr.)

Die unmittelbaren Nachfolger des Augustus (außer Tiberius) wraen größtenteils völlig unfähigund nur durch ihre verwandtschaftliche Beziehung zum ersten Kaiser legitimiert.

2.1.1 Tiberius (14 - 37)

Der Stiefsohn des Augustus trat nach dessen Tod 14 n. Chr. die Nachfolge an, obwohl er wegender gescheiterten Ehe mit Augustus’ Tochter Julia zeitweise nach Rhodos verbannt worden war.Aber er war der einzige Kandidat im geeigneten Alter und hatte sich durch seine militärischen Er-folge in Germanien und Pannonien schon früh ausgezeichnet, so daß Augustus seine persönlicheAbneigung überwand und ihn mit der tribunicia potestas und einem imperium proconsulare mai-us austattete. Allerdings zwang er Tiberius auch, den Kaiserenkel Agrippa Postumus und seineneigenen Neffen Germanicus zu adoptieren, um dessen eigenen Sohn die Nachfolge zu erschwerenund ihm seine eigene Rolle als Notlösung deutlich zu machen.

Diese und andere Auflagen behinderten Tiberius während seiner Regierungszeit stark. Obwohler politisch und militärisch ausgesprochen tüchtig war und Verwaltung und Außenpolitik desReiches zunächst sorgfältig durchführte, scheiterte er schließlich an seinen altrömischen Vorstel-lungen, die der Zeit nicht mehr entsprachen.

Dem Senat gab er einen Teil der Kompetenzen zurück, die dieser unter Augustus verloren hatte,ihm wurde sogar die Wahl der Magistrate übertragen; auch sonst bemühte er sich, den republi-kanischen Traditionen zu genügen. Gerade diese Zurückhaltung führte bei Senat und Volk zurUnsicherheit und wurde als Zeichen von Schwäche gewertet. Der Staat war auf die Führung desKaisers angewiesen, seine Kompetenz konnte faktisch nicht durch andere Organe ausgeübt wer-den. Mit dem resignierten Rückzug auf die Insel Capri im Golf von Neapel 26 bewies Tiberiuseine Fehleinschätzung der Situation. Seine Abwesenheit von Rom begünstigte das politische Cha-os und machte ihn zur verhaßten Figur.

Auch die eigene Nachfolge (mit dem Tod Postumus’ und Germanicus’ war die ursprünglicheRegelung hinfällig) konnte er nicht aktiv regeln. Er ließ die Dinge treiben und zog sich selbstauf die Insel Capri zurück, bis sein Prätorianerpräfekt Seianus fast alle möglichen Konkurrentenausgeschaltet hatte und sich selbst an deren Stelle gesetzt hatte. Schließlich machte ihm Tiberius31 den Prozeß und starb wenige Jahre später. Seine einzigen privatrechtlichen Erben waren seinEnkel Tiberius und sein Großneffe Gaius.

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 7

2.1.2 Caligula (37 - 41)

Gaius, der von Soldaten seines Vaters Germanicus den Spitznamen Caligula erhalten hatte, bestiegunter allgemeinem Jubel den Thron. Sein Vater war sehr populär gewesen und von Augustus fürdie Nachfolge des Tiberius bestimmt. Außerdem war er der einzige überlebende Blutsverwandtedes Augustus, konnte aber sonst keine Qualifikation vorweisen: er hatte noch kein höheres Amtbekleidet oder militärisches Talent gezeigt.

Auch den Inhalt des Prinzipates hatte er nicht verstanden und glaubte, ohne jede Rücksicht aufden Senat im Stil der hellenistischen Könige herrschen zu können (z.B. forderte er die göttlicheVerehrung seiner Person und betrachtete sich selbst als Inkarnation des halben Pantheons). Au-ßer seiner maßlosen Selbstüberschätzung hatte er kein politisches Programm. Offensichtlich warer geistesgestört und ließ in Majestätsprozessen jeden hinrichten, der ihm die göttlichen Ehrenverweigerte. Schließlich kam es zu einer Palastrevolution und seiner Ermordung.

2.1.3 Claudius (41 - 54)

Caligulas Onkel Claudius war eigentlich zum Herrscher denkbar ungeeignet: er war körperlch be-hindert und politisch uninteressiert. Die Prätorianer riefen ihn, während der Senat noch über dienächsten Schritte nach Caligulas Tod beriet, zum Kaiser aus, weil er als einziger Angehöriger derKaiserfamilie greifbar war. Trotz der ungünstigen persönlichen Voraussetzungen regierte Claudiusunangefochten, ein weiterer Beweis für die Stabilität des Prinzipats.

Ihm kam dabei zugute, daß er seinen Fleiß auf die notwendige Verwaltungsreform verwendenkonnte. Seit etwa 30 Jahren war auf diesem Gebiet nichts geschehen, unter Tiberius aus „republi-kanischer“ Zurückhaltung, unter Caligula waren alle konkreten Aufgaben vernachlässigt worden.Ein Großteil der staatlichen Verwaltung (z.B. die Kornverteilung) wurde unter kaiserliche Regiegestellt, der kaiserliche Beamtenapparat stark ausgebaut. Es wurden mehrere Sekretariate (Finan-zen, Petitionen, Korrespondenz usw.) eingerichtet, um das Privatkabinett des Kaisers übersichtlichzu organisieren. Die „Minister“ des Kaisers (meist kaiserliche Freigelassene) hatten großen Ein-fluß, die wichtigsten waren Pallas, Narcissus und Callistus. Insgesamt wurde das römische Reichgut verwaltet. Dank der Unternehmungskraft eines hohen Offiziers (Plautius) gelang sogar eineErweiterung des Reichsgebietes um Britannien (43).

Neben diesen positiven Aspekten fiel vor allem die völlige Abhängigkeit des Kaisers von seinenFrauen auf. Seine dritte Frau Valeria Messalina benutzte seine Hörigkeit, um ihre gesamte Um-gebung zu terrorisieren und sexuell auszubeuten. Sie ließ mehrere Senatoren, die sich gegen siewandten, ermorden. Nach einer Verschwörung gegen Claudius selbst wurde sie hingerichtet. IhreNachfolgerin, Julia Agrippina, eine Tochter des Germanicus, hatte andere Ziele: sie wollte ihrenSohn aus erster Ehe, Nero, auf den Thron bringen, um durch ihn zu regieren. Der leibliche SohnClaudius’ beiseite gedrängt, Claudius selbst vergiftet.

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 8

2.1.4 Nero (54 - 68)

Der Regierungswechsel vollzog sich reibungslos, obwohl Nero erst 17 Jahre alt war. Agrippinaund ihr Anhang hatten gute Arbeit geleistet. Wieder hoffte das Volk auf ein goldenes Zeitalter(auch wegen der Abstammung von Germanicus), weil Claudius trotz seiner Tüchtigkeit ziemlichunfähig gewirkt hatte.

Zunächst wurde die Regierungsarbeit durch den Philosophen Seneca und den Prätorianerpräfek-ten Afranius Burrus gut bewältigt. Seneca übernahm außerdem die Erziehung Neros, um ihn zueinem von der stoischen Staatsethik durchdrungenen Herrscher zu machen, was allerdings wegender ungünstigen Einflüsse des Hofmilieus scheiterte. Die Entfremdung zwischen Seneca und Bur-rus und Agrippina führten schließlich 59 zur Ermordung der Kaisermutter durch ihren Sohn.

Seit 59 regierte Nero selbst, nach dem Tod des Burrus und dem Rücktritt Senecas 62 gab es nie-manden, der auf ihn einwirken konnte. Wie Caligula strebte er eine den hellenistischen Königenähnliche Stellung an, war aber nicht bloß von Größenwahn getrieben, sondern bewunderte diegriechische Kultur aufrichtig. Seine politischen Ziele konnte er wegen fehlender Disziplin undDurchsetzungsfähigkeit nicht erreichen, stattdessen inszenierte er seine Person im Stil des Ostens.Den einzigen politische Erfolg seiner Regierung verdankte er dem General Corbula, der an derGrenze zu Armenien und Parthien für Ruhe sorgte.

Wegen seines politischen Unvermögens wurde die Situation bald unsicher, Nero griff zum Terror:viele Reiche wurden ermordet, um die Opposition zu beseitigen und ihr Vermögen zu konfis-zieren. Er versuchte sogar unverblümt, den Senat auch formell völlig zu entmachten. Trotzdemkonnte sich Nero relativ lange halten und die Pisonische Verschwörung 65 niederschlagen. Erstals die Provinzen sich 68 gegen ihn erhoben und Rom sich anschloß, beging er Selbstmord.

2.2 Revolution des Reiches (68 - 69 n. Chr.)

Mit dem Ende der Julisch-Claudischen Dynastie geriet das Reich in eine tiefe Krise. Das über-ragende Ansehen des Augustus hatte immer wieder das Versagen seiner Nachfolger ausgeglichen,mit Nero war dieser Kredit verbraucht. Über die Fortführung des Prinzipats bestand kein Zweifel,aber die Dynastie war physisch (Nero hatte alle möglichen Kandidaten umbringen lassen) undpolitisch am Ende. Trotz der Revolution, die im ganzen Reich nach Neros Tod losbrach, wa-ren die tragenden Kräfte des Reiches stärker: innerhalb von anderthalb Jahren beruhigte sich dieSituation.

Das sogenannte Vierkaiserjahr (68 / 69) war vom Kampf um das Kaisertum geprägt. Das Prinzi-pat Galbas, eines altrömischen Patriziers, wurde zunächst als Wiederherstellung republikanischerFormen angesehen. Durch große Strenge, die Verweigerung von Donativen für die Prätorianerund eine verfehlte Nachfolgepolitik machte er sich viele Feinde und wurde ermordet. Otho, derEhemann von Neros Geliebter Poppaea Sabina, setzte sich an seine Stelle, bis ihn der Komman-dant der Rheinarmee, A. Vitellius, mit Unterstützung des Heeres stürzte. Ihm folgte Titus FlaviusVespasianus.

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 9

2.3 Die Flavische Dynastie (69 - 96 n. Chr.)

In der Epoche Vespasians und seines Sohnes Domitians (Titus regierte nur sehr kurz) wurden dieFolgen des Neronischen Regimes ausgeglichen und die Finanzen des Reiches saniert, auch die Au-ßenpolitik wr erfolgreich: in Britannien und Germanien konnte das römische Gebiet ausgedehntwerden. Trotzdem endete die Dynastie wie die vorhergehende gewaltsam.

2.3.1 Vespasian (69 - 79)

Vespasian kämpfte zum Zeitpunkt seiner Erhebung zum Kaiser gerade im Osten als Komman-dant gegen einen jüdischen Aufstand. Er bekannte sich deutlich zum Freiheitsgedanken und un-terstützte den Senatorenstand materiell und ideell. Es gelang ihm aber nicht, ein harmonischesEinvernehmen mit der Aristokratie herzustellen. Obwohl er sich bemühte, den Senat im Rahmendes Prinzipats an der Herrschaft zu beteiligen, konnte er die durch den Sieg über Nero gewach-senen Ansprüche nicht befriedigen. Außerdem war er nicht mehr durch dynastische Bindung anAugustus legitimiert.

Seine Stellung war bei Regierungsantritt durch einen Senatsbeschluß genau umschrieben worden,wobei man das Auswuchern der kaiserlichen Macht wie unter Caligula und Nero ausdrücklichausschloß. Auch war mit dem Tod der letzten radikalen Verneiner des Kaisertums die Front desSenats wieder geschlossener geworden, man hatte das gemeinsame Ziel eines gemäßigten, vonden oberen Schichten beeinflußten Kaisers. Zur ideologischen Untermauerung diese Ideals wurdeauch die Staatsphilosophie der Stoiker und Kyniker verwendet (Seneca hatte versucht, sie Neronahezubringen).

Diesen Widerständen gegenüber blieb Vespasian hilflos. Er gehörte nicht zum Adel, hatte dengrößten Teil seines Lebens außerhalb Roms verbracht und konnte sich deshalb die Oppositionund das gereizte Milieu nicht erklären. Er wandte sich auch gegen die Rache an den neronischenDenunzianten. Das größte Problem war seine Nachfolge. Der dynastische Gedanken war durchdas Ende der Julisch-Claudischen Dynastie vollkommen diskreditiert. Trotzdem gelang es denSöhnen Vespasians, Titus und Domitian, die Nachfolge anzutreten.

2.3.2 Titus (79 - 81)

Die östlichen Lebensformen Titus’ weckten zunächst Erinnerungen an Nero. Seit seinem Amts-antritt distanzierte er sich jedoch von ihnen und herrschte zwei Jahre zur vollen Zufriedenheit desSenats.

2.3.3 Domitian (81 - 96)

Nach Titus’ Tod folgte ihm sein jüngerer Bruder Domitian in der Regierung. Für die altrömischeMoral hatte er großes Verständnis und erließ zahlreiche Gesetze, die den östlichen Einfluß zurück-drängten. Politisch dagegen vertrat er einen absoluten Herrschaftsanspruch, unbeschränkt durch

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 10

Konzessionen an den Adel. Durch die ständige Bekleidung des Konsulats und der Zensur nahmer stärker als jeder Kaiser vor ihm Einfluß auf den „republikanischen“ Teil des Staates. Auch beider Vergöttlichung der eigenen Person lag er auf Neronischer Linie und ließ sich mit „Dominuset Deus“ ansprechen.

Im Unterschied zu Nero (und Caligula) war allerdings sein Anspruch keine leere Hülle, er wardurchaus in der Lage, diese Position auch auszufüllen. Zielbewußt erhöhte er seine Popularitätbeim Volk und beim Heer durch erhöhte Soldazahlungen. Außenpolitisch zeigte er an der Donauund in Britannien eine außergewöhnliche Initiative. Er scheiterte schließlich an der offenen Ge-walt, mit der er seine Vorstellungen durchzusetzen versucht hatte. Nach einer Periode des Terrorswurde er 96 das Opfer einer Verschwörung.

2.4 Das humanitäre Kaisertum (96 - 180 n. Chr.)

Im 2. Jahrhundert wurde der Konflikt zwischen senatorischer Opposition und Kaisertum endgül-tig beigelegt. Die fünf Kaiser nach Domitian übernahmen den Herrschaftsbegriff der Aristokratie,von dem der Widerstand des 1. Jahrhunderts gespeist worden war. Das bedeutete zwar einen ideo-logischen Sieg des Senats, aber nicht eine Verschiebung der Machtverhältnisse. Im Gegenteil, dieStellung der Kaiser wurde noch ausgebaut, ihre göttliche Verehrung bürgerte sich auch in Romein.

Der Unterschied lag in der persönlichen Einstellung: der Kaiser betrachtete sich nicht mehr durchsein Amt als herausgehoben, sondern durch seine Leistung. Der Prinzipat war nicht nur Macht,sondern auch Aufgabe, die Pflichten standen im Vordergrund. Die Herrscher bekannten sichzur Humanität und Aufklärung der griechischen Staatsphilosophen und beseitigten damit dieDifferenzen.

2.4.1 Nerva (96 - 98)

Dieser Übergangskaiser ließ, anders als sein Pendant Galba, dem aufgespeicherten Haß gegen dasvergangene Regime freien Lauf. Die Getreuen Domitians wuren verfolgt und die Senatoren derkaiserlichen Justiz feierlich entzogen. Die Forderung nach Beseitigung der dynastischen Verer-bung des Kaisertums konnte unter Nerva und seinen Nachfolgern problemlos erfüllt werden, dasie alle keine leiblichen Söhne besaßen. Das Kaisertum seit Nerva wurde deshalb auch als Ad-optivkaisertum bezeichnet. Trotz der guten Grundlage wurde die Regierung durch die fehlendeInitiative und die Spannungen mit den Prätorianern bald schwierig. Glücklicherweise gelang esNerva vor seinem Tod, einen fähigen Nachfolger zu designieren: Marcus Ulpius Traianus, denKammandanten der Rheinarmee.

2.4.2 Trajan (98 - 117)

Der neue Kaiser stammte aus einer militärisch geprägten Familie in der spanischen Provinz Italica.Sein Vater hatte bereits eine senatorische Laufbahn hinter sich, so daß Trajan mit dem Staatsdienst

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 11

vertraut war. Innenpolitisch folgte er der Linie Nervas ohne wesentliche Änderungen. Unter ihmkam das humanitäre Ehtos des Kaisertums zum ertsen Mal voll zum Ausdruck.

Seine Regierungszeit war vor allem geprägt durch große Eroberungen. An der Donau erichtete erdie neue Provinz Dacia, im Osten wurde Armenien zur Provinz gemacht, die Parther wurden ausMesopotamien verdrängt. Während des Feldzuges im Osten brach in seinem Rücken erneut einjüdischer Aufstand aus, der den Kaiser zur Umkehr zwang. Kurz darauf starb er und hinterließdas Reich in einer schweren Krise: die kriegerische Expansion hatte die wirtschaftlichen Kräfteübermäßig beansprucht. Auch hatte der Kaiser die Nachfolge nicht mehr selbst regeln können.

2.4.3 Hadrian (117 - 138)

Hadrian stammte ebenfalls aus der spanischen Provinz Italica und kam durch eine fingierte Ad-option an die Regierung. Durch die schlechte wirtschaftliche Lage veranlaßt, wandte er sich vonder Außenpolitik Trajans ab und geriet dadurch in Konflikt mit der Armeeführung, der mit derHinrichtung von vier Feldherren endete. Nach diesen Maßnahmen gelang es ihm, ohne weitereGewalt zu herrschen.

Mehr als Trajan verkörperte er das Ideal des hellenistisch gebildeten Herrschers und war einer dergebildetsten römischen Kaiser. Seine Energien waren eindeutig nach innen gerichtet. Die kaiser-liche Verwaltung, seit Claudius’ Reformen kaum verändert, wurde radikal umgestaltet: aus demkaiserlichen Kabinett wurden öffentliche kaiserliche Ministerien, denen Ritter vorstanden. DenKreis der privaten Berater aus Senatoren und Rittern institutionalisierte Hadrian. Er schuf im kai-serlichen Apparat neben der militärischen Laufbahn eine zivile, in der die juristische Qualifikationausschlaggebend war. Außenpolitisch vertrat er den Standpunkt der absoluten Defensive, Armeni-en und Mesopotamien, die Erwerbungen Trajans, wurden wieder fallengelassen. Dafür verstärkteer den Grenzschutz und legte die Garnisonen unmittelbar an die Militärgrenzen.

Obwohl er den Schwerpunkt auf die Innenpolitik verlagerte, zog er sich nicht nach Rom undItalien zurück, sondern bereiste das gesamte Reich, um vor der Bevölkerung den Staat zu reprä-sentieren und sich die Loyalität des Heeres zu sichern. Er ließ Straßen bauen, griff bei finanziellenKrisen unterstützend ein und erneuerte auch die militärische Disziplin des Heeres. Das Städte-wesen in seiner östlichen und westlichen Spielart wurde unter ihm ausgebaut. Seine Neigung zurgriechisch-römischen Kultur führte aber auch zu brutalen Maßnahmen gegen widerstrebende Ele-mente: unter seiner Regierung begann der blutigste jüdische Aufstand, der mit der VerwüstungJudäas endete. Gegen Ende seiner Regierung erkrankte er geistig und starb umnachtet.

2.4.4 Antoninus Pius (138 - 161)

Sein Nachfolger, der Onkel Mark Aurels, sollte für diesen den Thron sichern. Er betrachtete dieKaiserwürde als Last, der er das Leben eines Privatmannes vorzog. Andererseits war er ein äußerstgewissenhafter Mensch und erfüllte mit seiner Pflichtauffassung das monarchische Ideal seinerZeit. Seine Regierungszeit - ohne besondere Leistungen - war geprägt von innerem und äußeremFrieden, sie wurde als die glücklichste Zeit des römischen Reiches betrachtet.

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 12

2.4.5 Mark Aurel (161 - 180)

Mark Aurel stand Antoninus persönlich sehr nahe und führte dessen Politik unverändert fort.Wie Hadrian philosophisch gebildet, umriß er seinen politischen Standpunkt außerordentlichklar. Seine persönliche Leistung konnte nicht verhindern, daß unter seiner Regierung das goldeneZeitalter endete: während eines langwierigen Krieges in Armenien, Medien und Mesopotamienmit den Parthern (161 - 166) wurde die Pest von den Truppen nach Italien gebracht, weite Teiledes Westens verödeten. Diese Schwächung benutzten germanische Völker zum Vorstoß bis zurNordgrenze Italiens. Mark Aurel konnte sie noch zurückschlagen, starb aber, bevor er weitereMaßnahmen zur Sicherung der Grenzen treffen konnte.

2.5 Der Zusammenbruch der Prinzipatsverfassung (180 - 235 n. Chr.)

2.5.1 Commodus (180 - 192)

Der Sohn Mark Aurels war sorgfältig erzogen und als Kronprinz auf seine zukünftige Aufgabevorbereitet worden. Allerdings entwickelte er durch seine Stellung schon früh eine Überheblich-keit, die mit dem humanitären Kaisertum nicht vereinbar war: statt durch Leistung fühlte er sichbereits durch sein Wesen als Herrscher legitimiert. Die Exzesse Caligulas wiederholten sich, Se-natoren wurden wie unter Nero zur Bereicherung ermordet, der Kaiser geriet in die Abhängigkeitvon Beratern und Frauen. Sogar als Gladiator trat der römische Kaiser auf. Commodus versuch-te, eine religiös begründete Autokratie einzuführen, mußte aber wie seine größenwahnsinnigenVorgänger scheitern. Er wurde ermordet und sein Andenken verflucht.

2.5.2 Septimius Severus (193 - 211)

Nach Commodus’ Tod wurde erneut ein älterer Senator (Pertinax) zum Übergangskaiser gemacht,der allerdings wie Galba durch die Prätorianer ermordet wurde. Daraufhin brach der Bürgerkriegaus, und die Prätorianer boten die Kaiserwürde gegen Geld an. Auf diese Art kam Julianus auf denThron, konnte sich aber nicht halten, weil die verschiedenen Provinzialheere Septimius Severusan der Donau, Pescennius Niger im Osten und Clodius Albinus in Britannien zum Herrscherausriefen. Es siegte Septimius Severus, ein kraftvoller, brutaler und verschlagener Offizier. Romfiel kampflos in seine Hände, im Osten mußte er bis 194 gegen Niger kämpfen. 197 konnte erauch Albinus, mit dem er vorher ein Bündnis geschlossen hatte, schlagen.

Severus versuchte, als Rächer des Pertinax aufzutreten und im Einklang mit dem Senat zu regieren,der ihm allerdings deutlich zu verstehen gab, daß nicht er, sondern Albinus der Kandidat desAdels war, und diesen auch unterstützte. Der Kaiser regierte nach seinem Sieg mit Prozessen undKonfiskationen gegen die Anhänger des Albinus.

Da das Heer die hauptsächliche Machtgurndlage der Kaiser darstellte, bemühte sich Severus, des-senWünschen gerecht zu werden: er gestattete das Zusammenleben der Soldaten mit ihren Frauenund eröffnete Aufstiegsmöglichkeiten auch für untere Dienstgrade. Er verlieh hierfür die nötige

2 Der Prinzipat nach Augustus bis 235 n. Chr. 13

Ritterqualifikation an bewährte Soldaten, besetzte auch senatorische Ämter mit Rittern und schufneue ritterliche Positionen. Auch die kaiserliche Verwaltung erweiterte er und reorganisierte vorallem die Finanzverwaltung.

Nachdem er den Bruch mit dem Senat einmal akzeptiert hatte, kümmerte er sich auch nicht mehrum dessen Ansprüche. In der Nähe Roms wurden reguläre Truppen als Gegengewicht zu den Prä-torianern stationiert. Die Prätorianer selbst wurden wegen ihrer erwiesenen Bestechlichkeit neuaus treu ergebenen Soldaten gebildet. Da Severus nicht vom Senat gewählt worden war, suchteer seine Legitimation in einer (fingierten) Verbindung mit der Dynastie der Antonine. Damit be-kräftigte er den dynastischen Gedanken, der vom Senat nach den vorangegangenen Katastrophenabgelehnt wurde. Die soziale Politik Mark Aurels führte er weiter, an seinem Hof verkehrten vielegriechische Gelehrte, so daß sich für die Politik des Reiches gegenüber der Dynastie der Antoninenicht viel änderte, wenn auch die persönliche Haltung des Severus zu seinem Amt völlig anderswar. Insgesamt bedeutete seine erfolgreiche Regierung einen Sieg des dynastischen Prinzips.

Dazu trugen vor allem die Frauen seiner Familie bei: schon Severus’ Frau Julia Domna ließ sich alsKaiserin ansprechen und setzte die göttliche Verehrung des ganzen kaiserlichen Hauses durch.

2.5.3 Caracalla (211 - 217)

Die Befürchtungen des Senats waren berechtigt: der Sohn des Septimius führte (wie Commo-dus) ein beispielloses Terrorregime und verbrüderte sich mit Gladiatoren. Kaum an der Macht,ermordete er offenbar wahllos zahlreiche Leute, darunter den Mitregenten, seinen Bruder Geta.Wie Caligula, Nero oder Commodus war er völlig unfähig und versuchte, sich durch Gladiato-renkämpfe und Kraftproben zu profilieren. Auf einem Partherfeldzug wurde er in Mesopotamiendurch eine Verschwörung unter dem Prätorianerpräfekten Macrinus gestürzt und ermordet. DieSoldaten riefen Macrinus zum Kaiser aus, der allerdings auf Betreiben Julia Maesas, der TanteCaracallas, gestürzt wurde.

2.5.4 Elagabal (218 - 222)

An seine Stelle trat Elagabal, der Enkel Julia Maesas. Er war Priester eines östlichen Kultes und ander Regierung des römischen Reiches völlig uninteressiert. Die notwendigen Aufgaben erledigteseine Großmutter. Sie zwang den Kaiser seinen Vetter als Nachfolger zu adoptieren.

2.5.5 Alexander Severus (222 - 235)

Nach Elagabals Ermordung durch die Prätorianer herrschte die Mutter des neuen Kaisers, JuliaMamaea für etwa 12 Jahre. Ihr gelang es sogar, das Verhältnis zum Senat zu entspannen. Erst alses zu militärischen Konflikten kam, konnte sie die Aufgaben der Regierung nicht mehr erfüllen,sie und ihr Sohn wurden ermordet.

3 Das römische Reich im 1./2. Jahrhundert 14

Mit ihrem Tod endete das Kaisertum für 50 Jahre bis zur Wiederrichtung des Reiches durchDiokletian. Es gab zwar auch vorher Ansätze und auch vielfach fähige Kaiser, aber sie waren nichtin der Lage, das Reich über einen längeren Zeitraum zu kontrollieren.

3 Das römische Reich im 1./2. Jahrhundert

3.1 Außenpolitik

Das römische Reich war in den ersten beiden Jahrhunderten frei von Belastungen durch nationaleMachtbestrebungen innerhalb des Reiches. Daher blieb die Außenpolitik weitgehend stationär.Unter Claudius wurde Britannien erobert, unter Vespasian/Domitian der Limes errichtet undDakien befriedet. Die großen Eroberungen Trajans wurden wieder aufgegeben. In Asien blieb estrotz der Partherkriege beim Status quo.

3.2 Innenpolitik

Aus römischen Bürgern wurden kaiserliche Untertanen. Die persönliche Freiheit blieb allerdingsweitgehend unangetastet. Das Städterecht kannte mehrere Abstufungen: römische Städte - latini-sche Städte - peregrine Städte. Seit der constitutio Antoniniana (212) hatten alle Einwohner desReiches das römische Bürgerrecht. Für die Provinzialen brachte das Kaisertum keine Änderungen:sie wurden weiterhin von einem Statthalter beherrscht. Der Senat war in der Kaiserzeit zwar poli-tisch machtlos, moralisch aber weiterhin eine wichtige Institution. Die Person des Kaisers wuchslangsam in die göttliche Sphäre.

Durch die Machtkonzentration beim Kaiser wurde der kaiserliche Verwaltungsapparat immergrößer. Kaiserliche Beamte fungierten als:

<ul><li>Statthalter in den kaiserlichen Provinzen</li><li>Finanzbeamte</li><li>cura (Polizei, Feu-erwehr, Wasserversorgung)</li><li>Prokuratoren, Präfekten</li><li>Verwaltungsbeamte in Rom</li></ul>

Die Beamten kamen meistens aus dem Ritterstand, niedrigere Posten wurden an Freigelassenevergeben. Der höchste Posten war der des kaiserlichen Präfekten in Ägypten, darunter die Pro-kuratoren. Die kaiserlichen Sekretäre in Rom waren Freigelassene, die große Macht hatten. SeitOtho wurden auch sie durch Ritter ersetzt. Hadrian führte offizielle Ministerien statt der priva-ten Sekretäre ein und ermöglichte eine zivile Ämterkarriere. Die Rechtsänderung durch Prätorenwurde abgschafft (edictum perpetuum). Die Juristen wurden in die kaiserliche Legislative undJurisprudenz eingebunden.

4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 15

3.3 Soziale Situation

Es gab eine erneute Blüte des Städtewesens. Die Urbanisierung war immer auch Romanisierung.Innerhalb des Heeres wurden die provinzialen Auxilien (Hilfstruppen) durch die römische Diszi-plin romanisiert. Das Heer war dadurch Träger der römischen Zivilisation. Eine vertikale Sozial-struktur im Reich bildete sich heraus: der neue Reichsadel setzte sich aus Rittern und Senatorenzusammen. Die Standesdifferenzierung wurde stärker und offizieller: den drei „Orden“ (Senato-ren, Ritter, Stadträte) standen die Plebs gegenüber. Die Erhebung in höhere Stände nahm der Kai-ser vor. Die Provinzialen erhielten mehr Macht: seit Trajan waren die Kaiser nicht mehr Italiker.Der Unterschied Italien - Provinzen verschwand, Italien verarmte im 1. Jahrhundert zusehends.In der Landwirtschaft ging man von Guts- zu Pachtwirtschaft über. Das humanitäre Kaisertumengagierte sich besonders in der Sozialpolitik: die Selbstbestimmung der Frauen und Rechte derSklaven wurden betont.

3.4 Geistige Verfassung

Die Synthese Griechenland - Rom ist bezeichnend für die Kultur des Kaiserreiches. Der Kaiserbesoldete Gelehrte für die Bildung der Jugend. Der Philhellenismus der humanitären Kaiser führtezu einer Unterstützung Griechenlands und Ehrungen griechischer Gelehrter. Die Kultur wird (mitAusnahme der Juden) einheitlich griechisch-römisch. Während die Diasporajuden sich anpaßten,gab es in Palästina Widerstand gegen die Hellenisierung. Nero zerstörte die nationale Identität,Hadrian löschte sie schließlich aus.

An die Stelle der traditionellen Frömmigkeit - der Kaiserkult war eine politische Demonstration- traten die Mysterienkulte und Religionen, die ganzheitliche Götter verehrten. Das Christentumwar ursprünglich eine binnenjüdische Sekte mit hellenistischem Einschlag. Es bildete neben denhellenischen Mysterienkulten und dem Judentum eine dritte Potenz. Ihre Andersartigkeit undIntoleranz machte die Christen zu Außenseitern.

4 Zusammenbruch und Reform des Reiches

4.1 Zusammenbruch

Nach dem Ende der Severischen Dynastie mit Alexander Severus wurde das römische Reich nunSchauplatz einer politischen und sozialen Revolution, in der es keine stabile Regierung mehr gabund sich alles im Wirbel einer blutigen Anarchie drehte. Dabei kamen die innere und die äußereKrise zusammen und verstärkten gegenseitig den Druck auf das zusammenbrechende Staatgebil-de.

4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 16

4.1.1 Außenpolitik

Obwohl Rom vom unmittelbaren Druck der Völkerwanderungen im 3. Jahrhundert noch weit-ghehend verschont blieb, gab es zwei bedenkliche Entwicklungen: nachdem der Druck von Ger-manen und Indoiranern im Norden von Mark Aurel zunächst abgewehrt worden war, verstärktensich außerhalb der Reichsgrenzen die Bedrohungen erneut. Die Ostgermanen (Goten, Vandalen)drangen von Skandinavien in Richtung Osten vor und siedelten in Südrußland und Kleinasien.Makedonien und die kleinasiatischen Provinzen waren bedroht.

An der Donaugrenze regenerierten sich die Markomannen und Quaden und schlossen sich mitweiteren Karpatenvölkern zusammen. Alemannen, Franken und Sachsen verbanden sich zu grö-ßeren Stammeseinheiten. Es kam häufig zu Raubzügen über die Donau, die Provinz Dakien warnich mehr zu halten. Das seit langem befriedete Gallien wurde von Alemannen und Franken über-fallen, selbst bis Spanien und Italien drangen germanische Stämme vor. 251 starb Kaiser Deciusim Krieg, 258 sah sich Rom selbst in Gefahr. Erst 269 unter Claudius II. Gothicus konnten dieGermanen zurückgeschlagen werden.

Das Partherreich regenerierte sich ab 224 unter Führung der Perser (Sasanidendynastie). Auchdie Araber, Blemmyer und Mauren wurden aktiv. Diese verschiedenen Angriffe bedrohten dasrömische Reich, führten aber noch nicht zum Untergang.

Durch die Heeresumbildung sank das Leistungsniveau trotz der erhöhten Anforderungen. DieKaiser griffen nun immer mehr auf die Landbevölkerung bei der Rekrutierung zurück, bevor esbei Diokletian dann ausschließlich geschah. Die fehlende Romanisierung sollte mit vormilitäri-sche Erziehung in der Jugend kompensiert werden. Die Soldaten waren zwar kräftig und mutig,konnten das komplizierte römische Exerzierreglement nicht erfüllen. Zudem waren sie den nu-merisch starken, gut gepanzerten und mit Stoßlanzen (Steigbügel) ausgerüsteten Partherreitereienund ihren Nachfolgern unterlegen.

4.1.2 Innenpolitik

Nachdem es schon unter Septimus Severus zum Bruch mit dem Senat gekommen war und mitdem Tod des Alexander Severus (235) auch diese Dynastie erloschen war, stieß mit MaximinusThrax (235 - 238) der erste Soldatenkaiser in das Vakuum. Die Soldatenkaiser hatten als einzigeStütze ihr Heer: Volk und Senat standen ihnen entgegen. Aber auch die Loyalität des Heeres warwechselhaft. Freibeutertum und Faustrecht kamen auf, die Soldaten kämpften untereinander. Von235-284 herrschten 30 Kaiser, die durch verschiedene Heeresteile auf den Thron gebracht wur-den. In der Mitte des Jahrhunderts kam die Inflation hinzu. Maximinus Thrax war ein thrakischerProvinziale niederer Abkunft, der sich im Heer heraufgearbeitet hatte. Aufgrund seiner Beliebt-heit war er gegen Alexander Severus ausgespielt worden, so daß er seinen Vorgänger stürzte. Erhielt nichts vom Senatorenstand, und dieser nichts von ihm, obwohl er ihn zunächst anerkann-te. Seine rigorosen Steuereintreibungen führten zur Ausrufung des Gegenkaisers Gordianus, derauch vom Senat unterstützt wurde. Wenig später wurde Maximinus von seinen eigenen Truppenermordet.

4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 17

In den folgenden zehn Jahren stützten sich die Kaiser nochmals auf den Senat oder kamen sogaraus ihrer Mitte. Doch das war nur ein Zwischenakt, denn eigentlich zählte jetzt nur noch derMachtfaktor Heer. Doch diesen konnten die Kaiser auch nicht mehr selbst kontrollieren. Ein po-litisches Programm besaßen die Soldaten jedoch nicht. Sie wollten nur, daß es ihnen gut ging.Deswegen nahmen sie sich, was sie wollten, und verwüsteten selbst eigenes Territorium. Dabeiagierten natürlich nur einzelne Heeresgruppen, denn das Gesamtheer war zu groß und zu zer-streut, um einen gemeinsamen Willen zu formen.

Die wichtigsten Kaiser bis Diokletian waren:

<ul><li>235 - 238 238 Maximinus Thrax (besiegte die Alemannen, Einfall der Perser in sei-ner Zeit)</li><li>238 - 244 Gordian III. (konnte die Perser zurückschlagen)</li><li>244 - 249Philipp Arab (Sohn eines arabischen Scheichs)</li><li>249 - 251 Decius (erste Christenverfol-gung)</li><li>251 - 253 Trebonius Galba (schloß Frieden mit den Goten)</li><li>253 - 260 Va-lerian (Sohn Gallienus war Mitkaiser im Westen, Valerian starb in Gefangenschaft)</li><li>260 -268 Gallienus (Heeresreform, Aufstellung eines Reserve)</li><li>268 - 270 Claudius II. (besiegtedie Alemannen 268 und die Goten 269)</li><li>270 - 275 Aurelian (schlug die Alemannen, stell-te die Reichseinheit her)</li><li>275 - 276 Tacitus</li><li>276 - 282 Probus (sicherte Rhein- undDonaugrenze)</li><li>283 - 284 Carus (mit seinen Söhnen Carinus und Numerian)</li></ul>

Mehrere Kaiser versuchten, die altrömische Gesinnung wiederzubeleben und ideologisierten diePolitik. Die rektionären Parolen führten zu Christenverfolgungen unter Decius (249-251) undValerian (253-260). Unter Gallienus (260 - 268) war die Krise des römischen Reiches auf demHö-hepunkt angelangt. Dennoch führte er auch innenpolitische Reformen durch. Gallienus übergabdas Legionskommando an Ritter (nicht wie bisher Senatoren). Zu dem Ritterstand gab es aucheinen Zugang von den Unteroffiziersposten, die gesellschaftlich homogen besetzt waren. Damitwurde der Statthalter zum reinen Zivilgouverneur. Er übernahm die schwerbewaffnete Reitereiaus den Hilfstruppen zum regulären Heer und bildete eine mobile Elitetruppe. Statt altrömischerZucht setzte er auf griechische Universalität zur Regeneration des Reiches. Auch Aurelian (270- 275) arbeitete weiter an der Disziplin des Heeres und ließ selbst die Städte im Reichsinnerndurch den Bau von Stadtmauern schützen, Rom durch die Aurelianische Mauer. Zur ideellen Er-neuerung und Stärkung des Reiches stützte er sich auf die Religion, den solaren Monotheismus(offizieller Staatskult des deus Sol Invictus neben dem Kaiserkult).

4.1.3 Soziale Verfassung

Durch die Urbanisierung des römischen Reiches hatte die Wirtschaft in den vergangenen zweiJahrhunderten einen stetigen Aufschwung erlebt, doch unter Hadrian fand die letzten Phase die-ser Entwicklung statt. Wegen der fehlenden Expansionsmöglichkeiten sank das Sozialprodukt unddamit die Einnahmen des Staates, der sie rücksichtslos eintrieb. Zwangsämter wurden eingeführt,deren Inhaber fehlende Steuern selbst zu begleichen hatte. Zwangszünfte mußten die Versorgungsicherstellen. Die Übernahme eines Amtes wurde erblich. Der Charakter der Stadt änderte sichvom autonomen Munizipium zum steuerzahlenden Zwangsverband. Der Druck auf die oberen

4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 18

Schichten setzte sich nach unten fort, Requisitionen nahmen zu. Die Abhängigkeit und Verar-mung der Bauern wurden ebenfalls stärker. Den Städten wurden teilweise kaiserliche Beauftragtevorgesetzt. Auf der anderen Seite wuchs die Ausgabenseite des Staates (Bürokratisierung, Außen-politik).

4.1.4 Geistige Verfassung

Das empirisch-rationale Denken zog sich zurück und machte der Frömmigkeit Platz. Der Ge-gensatz Körper - Seele wurde allgemeines Gedankengut. Die Religionen waren sehr spekulativund elastisch. In der Philosophie war der Neuplatonismus (nach Plotin) führend: das Eine unddie Materie als verschiedene Grade der Wirklichkeit. Diese Richtung wurde zum Sammelbeckender christenfeindlichen Bewegungen. Das Christentum verbreitete sich vor allem im Osten undöffnete sich für spekulative Strömungen, die durch die Reform des Origenes wieder entfernt wur-den.

4.2 Reform des Reiches durch Diokletian und Konstantin

4.2.1 Diokletian (284 - 305)

Anstelle des ermordeten Numerian wurde Diokles vom Offizierskorps in Nikomedeia im Jahre284 zum Kaiser Diokletian ausgerufen. Er stammte aus Dalmatien, war niederer Herkunft undhatte sich zum Kommandanten einer Gardetruppe hochgedient. Er war von einem starren Glau-ben an die Romanität, die alten Staatsgötter und römischen Sitten beseelt. Damit stand er imGegensatz zu den religiösen Erfordernissen seiner Zeit. Die schlimmsten äußeren Gefahren desReiches waren abgewehrt worden, der Staat war unter ungeheuren Anstrengungen in den vergan-genen Jahrzehnten erhalten geblieben, so daß Diokletian nun an eine Reorganisation des Reichesgehen konnte.

Auf diesem Gebiet leistete er Gewaltiges: er entwickelte 293 das System der Tetrarchie (Vierer-herrschaft): zwei Kaiser (Augusti) und zwei Unterkaiser (Caesares) beherrschten gemeinsam dasReich. Dieses System sollte eine flächendeckende Herrschaft garantieren und eine Usurpationdurch siegreiche Feldherren verhindern. Dabei griff Diokletian an sich schon bekannte Elementeauf (Nebeneinander mehrerer Kaiser), neu war jedoch die Zuweisung einzelner Geschäftsbereicheund damit die Dezentralisierung des Reiches. Nachdem mit Carinus im Jahr 285 auch der zweiteSohn des Carus in Mösien besiegt worden war, ernannte Diokletian seinen Kriegskameraden Ma-ximian, den er nach Gallien schickte, zum Caesar und im folgenden Jahr zum Augustus. BeideAugusti ernannten je einen Caesaren, adoptierten ihn und verheirateten ihn mit einer Tochter.Diokletian, der auch schon Maximian adoptiert hatte, ernannte Galerius, Maximian ConstantiusChlorus. Die Aufteilung ab 293 sah folgendermaßen aus: Diokletian bekam den Osten (Zen-trum Nikomedeia), und zwar er selbst Asien und Ägypten und Galerius Griechenland (ZentrenThessalonike/Sirmium) mit dem Balkan sowie dem anschließenden Donaugebiet. Maximian hat-te den Westen (Zentrum Mailand), davon Italien, Afrika und Spanien, während Constantinus(Zentren Trier/York) Britannien und Gallien besitzt. Da keine größeren zentrifugalen Kräfte im

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Reich herrschten, bedeutete die Regelung nicht die Aufteilung des römischen Reiches. Was dereinzelne Herrscher entschied, galt für das Gesamtreich, Gesetze und Verordnungen wurden über-all verkündet. Natürlich behielt Diokletian die politische Oberhoheit im Staat.

Doch damit war Diokletians Neuordnung bei weitem nicht abgeschlossen. Militärische und zivileGewalt wurden ab 294 getrennt. Entsprechend der Tetrarchie schuf Diokletian in seiner Verwal-tungsreform 4 Reichspräfekturen (praefecti praetorio) , aufgeteilt in je 3 Diözesen (vicarii). Erlöste die alten Provinzen auf (inzwischen von 29 auf 45 angewachsen) und ließ sie in etwa 101neue Provinzeinheiten einteilen (117 unter Konstantin).

Diese Reform in Kombination mit dem Ausbau des Beamtenapparates sollte zur besseren Aus-schöpfung der fiskalischen Ressourcen dienen, da das Heer und der höfische Lebensstil schwerzu finanzieren waren. Aus demselben Grund wurde die Anwohnerschaft auch erblich an ihrensozialen Standort gebunden. Die willkürlliche Ausbeutung ersetzte man durch eine konsequenteund schematische. Eine einheitliche Normalsteuer (annona) wurde eingeführt. Die neuen Groß-grundbesitzer und Zünfte erleichterten den fiskalischen Zugriff. Die Senatoren verloren weiter anEinfluß und Ämtern. Eine Kontrolle der Beamten war zwar vorgesehen, funktionierte aber wegenKorruption der Kontrollkommissare nicht, Bestechung und Erpressung waren üblich. Eine neueAristokratie, die „Landbarone“, lebte außerhalb der Städte auf ihren Gütern und versuchte, sichdem staatlichen Druck zu entziehen. Häufig begaben sich freie Bauern in ihren Schutz und wur-den abhängig (patrocinium). Die Grundherren bildeten ein feudales Element und übernahmenPolizei und öffentliche Verwaltung.

Im militärischen Bereich führte Diokletian einen Prozeß fort, der sich ebenfalls schon im drittenJahrhundert angebahnt hatte und der allerdings entscheidend von Konstantin fortgesetzt wurde.Eine erneute Heeresreform faßte die Offiziere als protectores des Kaisers zusammen. Das Kern-stück des Heeres war mittlerweile die nicht an der Grenze stationierte Mobilarmee (comitatenses),bestehend aus Infanterie und Kavallerie, wovon die Hoftruppe, entsprechend den Präto-rianern,die 312 endgültig aufgelöst wurden, eine besondere Elite bildete. Die Armee in den Provinzenwar hingegen infolge ihrer Ausstattung mit Grund und Boden endgültig zu einer minder quali-fizierten Miliztruppe geworden. Die Rekrutierung des Heeres erfolgte nun ausschließlich aus derLandbevölkerung, wobei auch eifrig die „Barbaren“ aus den Grenzgebieten engagiert wurden.

Diokletian versuchte ab 301, die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Er erließ ein Staats-monopol für die Münzprägung und gab wieder vollwertiges Geld aus. Damit verhinderte er dasAbsinken in die Naturalwirtschaft, auch wenn die Ergebnisse erst später wirklich sichtbar wurden.Er ließ zudem einen Staatshaushalt aufstellen und versuchte vergeblich mit einem Höchstpreise-dikt, Preise und Löhne zu stabilisieren. Für die wichtigsten Bedarfsartikel trat der Staat nun selbstals Unternehmer auf (Waffenmanufaktur, Transportwesen).

Gewalt und Macht waren die Grundlagen dieses spätantiken Zwangsstaates. Diokletian begrün-dete den Dominat, die offene Alleinherrschaft des Kaisers ohne Legitimierung durch das Volkoder den Senat. Der Kaiser war mittlerweile vollkommen in eine göttliche Sphäre entrückt. DieIdee des christlichen Gottesgnadentums spiegelte diese Situation wieder. 305 dankten schließlichDiokletian und mit ihm Maximian zugunsten der Caesaren ab.

4 Zusammenbruch und Reform des Reiches 20

4.2.2 Konstantin (306 - 337)

Nach der Abdankung sah die Situation folgendermaßen aus: Galerius herrschte als Augustus desOstens mit Maximinus Daia als Caesar für Sysrien und Ägypten, Constantius Chlorus war Augus-tus des Westens mit Severus als Caesar für Italien. 306 starb jedoch Constantius Chlorus und dasdiokletianische System wurde gesprengt. Sein Sohn Konstantin wurde in York zum Nachfolgerausgerufen, Maxentius, der Sohn des Maximian, in Rom. Severus, der Caesar Italiens, unterlagMaxentius. Auch Maximian selbst griff 307 nochmals zur Kaiserwürde. Auf der Kaiserkonferenzvon Carnuntum (307, bei Wien) unter dem Vorsitz von Diokletian soll die Situation bereinigtwerden. Licinius wurde zum Augustus des Westens und Konstantin zum Caesar erklärt. Maxenti-us galt von nun an als illegitim.

Doch diese Konferenz war vergeblich. Zwei Jahre später hatte das Reich vier Augusti, die sichgegenseitig als legitim ansehen (Galerius undMaximinus Daia im Osten, Konstantin und Liciniusim Westen) und einen illegitimen Maxentius in Italien. Als 311 Galerius starb, bildeten sich zweiParteien, Maximinus Daia und Maxentius auf der einen, Licinius und Konstantin auf der anderenSeite. Konstantin griff zunächst Maxentius an und besiegte ihn im Bürgerkrieg an der MilvischenBrücke (Herbst 312) nördlich von Rom. Ein halbes Jahr später vernichtete Licinius MaximinusDaia.

Ab 313 besaß das römische Reich für zehn Jahre zwei Herrscher (Konstantin im Westen, Liciniusim Osten), zwischen denen allerdings Spannungen herrschten. 314 eroberte Konstantin Illyri-cum, 324 besiegte er ihn schließlich und wurde zum Alleinherrscher des römischen Reiches. Nunbegann Konstantin auch mit dem Ausbau von Byzantinum zur Residenzstadt in strategisch güns-tiger Lage, die 330 als Konstantinopel eingeweiht wurde. Er führte auch die Reformen Diokletiansweiter. Die militärische Befehlsgewalt fiel jetzt in die Hand von zwei Heermeistern (magister mi-litum und equitum), später unter Constantius II. kamen noch vier duces in den Provinzen hinzu.Militärische und zivile Kompetenzen wurden weiter entflochten. Die Hofverwaltung unterstandeinem magister officiorum. Konstantin führte eine neue Goldwährung ein, die 700 Jahre langstabil blieb. 337 starb Konstantin.

4.3 Die Christianisierung des Reiches

Im 2. Jahrhundert hatte sich das Christentum unter den humanitären Kaisern relativ ungestörtausbreiten können, während es im 3. Jahrhundert mehrfach zu Christenverfolgungen gekommenwar, bis Kaiser Galerius 311 auf dem Sterbebett ein Toleranzedikt erließ, das Konstantin im Wes-ten übernahm.

In der christlichen Geschichtsschreibung gilt er als der erste christliche römische Kaiser. Sein Be-kenntnis zum Christengott muß allerdings eher als poltische Maßnahme denn als angenommenerund gelebter Glaube gesehen werden. Dafür sprechen zum einen seine Toleranz gegenüber an-deren heidnischen Religionen, die er neben dem kaiserlichen Schutz- und Reichsgott bestehenließ und zum andern die Tatsache, daß er bis zu seinem Tod das Amt des Ponitfex Maximusausübte. Konstantins Ziel war die Befriedung und Einigkeit des Reiches. Seine Vorgänger hatten

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dies auf der Grundlage des Kaiserkultes und gegen das Christentum versucht. Er wählte nun denumgekehrten Weg, da das Christentum damals die stabilste geistige Macht dargestellte. Es glichdank seiner straffen Organisation einem Staat im Staate. Konstantin kümmerte sich daher um dieAngelegenheiten der christlichen Kirche, um ihre Einheit zu erhalten und ihren Einfluß auf dieMassen für seine politischen Zwecke auszunutzen. Der Kaiser hatte damit die Konsequenz ausden Erfordernissen der Zeit gezogen: das Christentum bot eine solide Grundlage für die religi-ösen Bedürfnisse des Volkes. Obwohl Konstantin selbst tolerant war, machte er der christlichenIntoleranz Konzessionen.

Die christliche Geschichtsschreibung sieht in der Anerkennung des Christentums weniger Kon-stantins Staatsklugheit, sondern eine Tat Gottes. Sie geht von dem Ereignis des Jahres 312 aus:dem Sieg Konstantins über Maxentius an der Milvischen Brücke. Kurz vor der Schlacht hatteder Kaiser angeblich eine Erscheinung , wonach er unter christlichem Feldzeichen (Kreuz) kämp-fen sollte, um zu siegen. Konstantin befolgte die Weisung Gottes und siegte. Doch nicht nurdie Christen stellten diese Wende als gottgewollt dar, sondern auch Konstantin propagierte nachaußen hin, daß Gott ihm in dieser entscheidenden Stunde ein Zeichen gegeben hätte. Ob er wirk-lich ein gläubiger Christ wurde, wie es die christliche Geschichtsschreibung darstellt, ist unklar.Taufen ließ er sich jedenfalls erst 337 auf seinem Sterbebett.

Allerdings war sein Übertritt zum Christentum kein echter Einschnitt. Vor seinem EntschlußChrist zu werden, war er Anhänger eines solaren Monotheismus (Helios-Apoll). Bei beiden Reli-gionen spielte die Licht- und Sonnensymbolik eine starke Rolle und so kam es zu Annäherungen.(der Geburtstag des Sol Invictus am 25. Dez. wurde mit demWeihnachtstag zusammengelegt) Be-deutend jedoch ist die Tatsache, daß er als Nachfolger Diokletians, dessen Herrschaft im Zeichender Christenverfolgung stand, den eingewurzelten Haß gegen die Christen überwinden mußte.

Die heidnische Aristokratie (fast alle Amtsträger und der Senat waren Heiden) hatte starke Ressen-timents gegen das Christentum des Kaisers. Diokletian hatte sein Regierungssystem noch daraufaufgebaut, daß der Bestand des Reiches von der Billigung der Götter abhänge. Nun aber wurdenkeine Opfer mehr dargebracht und keine Riten und Säkularspiele mehr veranstaltet, was folglichden Zorn der Götter heraufbeschwören mußte. Bis zum Ende des 4. Jahrhunderts (bis zur Mas-senübertretung unter Theodosius) sollte sich die Aristokratie hartnäckig weigern, die christlichenKaiser als legitime Herrscher anzuerkennen. Auch für die Christen warf ein christlicher KaiserProbleme auf: früher war der Kaiser als götzendienlicher Charakter dargestellt worden und nunhatte man ihm laut Konzilienbeschluß zu dienen. Deshalb gab sich Konstatins bischöfliche Umge-bung (z. B. Eusebius von Caesarera) große Mühe den Kaiser als tadellosen christlichen Charakterdarzustellen.

Nach der neuen Kaiserideologie war Konstantin nicht aufgrund seines Geburtrechts, sondern vonGottes Gnaden Herrscher des römischen Reiches. Auf Erden war er fleischgewordene Gotteswort;er verwirklichte wie Christus das schriftliche Wort. Seine Rolle war die einer Vorsehung. DieseDarstellung der kaiserlichen Macht konnte das Christentum annehmen, da Kaiser und Gott alsPersonen getrennt wurden. Nach der Niederlage des Licinius, dem die Schuld an der Entzweiungder beiden Kaiser zugesprochen und der somit zum Feind Gottes erklärt wurde (Idee des Glau-benskrieges), hatte das römische Reich seinen Herrschaftsanspruch wieder zurückgwonnen. Der

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Kaiser war wieder der alleinische Herrscher, eingesetzt durch göttliche Macht und so mit dieserausgestattet.

Wegen eines Glaubensstreites zwischen dem alexandrinischen Bischof Alexander (später Athana-sius) und dem ägyptischen Geistlichen Arius berief Konstantin 325 das Konzil von Nicäa ein. Eswar das erste ökumenische Konzil (Ost-und Westkirche). Außerdem nahmen zum ersten Mal ne-ben Theologen auch Kirchenpolitiker an der Diskussion teil. Konstantin setzte dieses bedeutendeEreignis mit allem weltlichen und geistlichen Pomp in Szene, und indem er die Eröffnungsredehielt, repräsentierte er sich weniger als Christ, sondern als erster universaler Herrscher. Er wolltezeigen, daß die Kirche nicht nur einen neuen Beschützer, sondern einen neuen Herrn gefundenhatte.

Der Konflikt bestand zwischen einem monarchianischen Standpunkt, der Christus und Gottgleichsetzte, und dem arianischen Standpunkt, der einen Dytheismus in Kauf nahm und Christusund Gott als zwei Wesen betrachtete. Origenes hatte in seinem theologischen System versucht,einen Ausgleich zu schaffen: Christus sei eine funktionale Seite Gottes und trotzdem nicht mitihm identisch. Im arianischen Streit standen sich das origenistische System und Arius gegenüber.Konstantin verstand die Unvereinbarkeit der Positionen nicht und suchte daher einen Kompro-miß: die „Wesenseinheit“ (homoúsios) von Gott und Christus. Arius und seine Anhänger wurdender Häresie beschuldigt und verbannt. Die kaiserliche Verordnung, die diese Position festschrieb,war keine echte Lösung. Sie zeigte, daß Konstantin sich als Herr der Kirche betrachtete, der auchGlaubensfragen entscheiden konnte.

Die ungenaue Definition der Wesensgleichheit führte nach Konstantins Tod und der Aufteilungdes Reiches zwischen seinen Söhnen auch zur Glaubensspaltung: im Westen (Constans) die An-hänger des Nicäanischen Konzils (um den verbannten Athanasius) und im Osten (Constantius)die Anhänger des Arianismus. Constantius wurde nach der Ermordung seines Bruders 350 Al-leinherrscher (353 überwand er den Usurpator des Westens). Er vertrat eine harte Kirchenpolitikzugunsten des Ostens (und der neuarianischen Position): Das „homoúsios“ wurde durch „homoi-os“ (ähnlich) ersetzt, eine noch schlechtere Lösung als das zwiespältige „homoúsios“.

Der Streit bestand jedoch weiter, auch wenn durch Constantius der arianische Glauben mit Zwangaufgezwungen wurde, ein weiterer Schritt in Richtung Staatskirche. Nach Constantius Tod verlo-ren die Arianer stetig an Einfluß, bis 381 auf dem Konzil von Konstantinopel unter der Führungdes Mailänder Bischofs Ambrosius die Theorien der drei Kappadokier Basilius, Gregor von Nyssaund Gregor von Nazianz, die der Tradition des Origines verhaftet waren, allgemein anerkanntund die Arianer auch im Westen entmachtet wurden. Sie schlossen den Identitätsbegriff zwischenGott und Christus aus und brachten das trinitarische Prinzip, welches Athanasius (stellvertretendfür den Westen) am Ende seines Lebens verfochten hatte, mit ein. Ihre Formel lautete: „EineSubstanz, die in der Trinität jedoch verschiedene Eigenschaften annimmt.“

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5 Entwicklung des Reiches seit Konstantin

5.0.1 Die konstantinische Dynastie

Nach dem Tod Konstantins 337 regierten seine Söhne Konstantin II. (Westen) und Constantius(Osten). Ein weiterer Sohn, Constans, war landlos, legte jedoch eine eigene Kanzlei an und erließGesetze für Italien, die Donauprovinzen und Afrika. Constans siegte 340 gegen seinen BruderKonstantin II., als dieser ihm sein Einflußgebiet entziehen wollte. Es bestanden also wieder zweiReiche: Constans im Westen, Constantius im Osten.

Beide waren jedoch völlig verschieden organisiert: Constans sorgte durch Schlachten bei den Bar-baren im Norden für Ruhe. Er ließ sich die Religionspolitik von seinen Bischöfen vorschreiben.Das Papsttum hatte als Oberschiedsrichter für das weltl. Christentum offizielle Anerkennung er-fahren. Im Osten führte Constantius ein hartes Regiment, er war unbeliebt. Die arianische Geist-lichkeit stand in seinem Dienst. Während beide Herrscher zu Beginn noch versuchten, eine An-näherung zu erzielen, entfremdeten sie sich zunehmend. Nach dem Tod des Constans 350 beimKampf gegen den barbarischen Aufständler Magnentius in Gallien holte Constantius zum Ge-genschlag aus und besiegte Magnentius 353. Durch diesen Krieg war Constantius zum alleinigenHerrscher des Reiches geworden.

5.0.1.1 Constantius (337 - 361) Er wollte nun das Reich genauso weiterführen wie sein Vater:er als alleiniger Herrscher und unter ihm zwei Cäsaren ohne Armee und ohne eigenen Verwal-tungsapperat. Die Cäsarentitel erhielten seine beiden Neffen Flavius Claudius Constantius Gallus(Osten/Sitz in Antiochia) und Flavius Claudius Iulianus (Gallien/Sitz in Lutetia). Gallus stelltesich bald als unfähig heraus und wurde in Konstantinopel hingerichtet. Julian erwies sich als guterHeerführer und brachte es durch seinen Sieg gegen die Alemannen zu Ruhm.

5.0.1.2 Julian Apostata (361 - 363) 361 erfuhr das römische Christentum dann einen Rück-schlag: Constantius Neffe Julian wurde Kaiser und versuchte noch einmal die alte heidnischeReligion zu etablieren. Die Christen nannten ihn Apostata (der Abtrünnige). Es kam jedoch zukeiner offenen Christenverfolgung, sein Ziel war vielmehr die Ignorierung der Christen durch denStaat und zur Aberkennung aller konstantinischen Rechte, die Pflichten wurden beibehalten. Mitseinem frühen Tode - während der Perserkriege 363 (wahrscheinlich durch seine eigenen Männer)- brach der Versuch kläglich zusammen, der sowieso aussichtslos gewesen war. Er hatte versuchtdie straffe Organisation und den Aufbau des Christentums (gottesdienstliche Formen, Organisa-tion der Priesterschaft) auf das Heidentum zu übertragen, stieß jedoch auf Ablehnung bei denHeiden, die sich keine christlichen Werte aufzwingen lassen wollten. Dennoch feierten sie ihnnach seinem Tod als ihren Helden. Für die Christen war sein Tod dagegen ein Beispiel für dasSchicksal von Abtrünnigen.

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5.0.2 Verteidigung des Reiches von Valentinian bis Theodosius

5.0.2.1 Valentinian (364 - 375) und Valens (364 - 378) Nach dem Tod des Julian, mit demdie konstantinische Dynastie ausstarb, kam zuerst ein gewisser Jovanus an die Herrschaft, dochnach dessem plötzlichen Tod wurde der christliche Offizier Valentinian zum Kaiser ernannt. Ihmwurde zur Auflage gemacht, einen Mitkaiser zu ernennen. Seine Wahl fiel auf seinen Bruder Va-lens. Valentian regierte darauf hin im Westen und Valens im Osten. Valentinian zeichnete sichdurch eine kraftvolle Persönlichkeit und militärisches Geschick aus (Befestigung der Rhein- undDonaugrenzen).

Zur Zeit des Valens war der Osten einigen Angriffen ausgesetzt. 365 bis 377 herrschte in Arme-nien Krieg mit den Persern. Außerdem rüsteten die Goten wieder zum Krieg. Valens versuchte,die Befestigungslinie an der Donau zu verstärken, 377 begann sie jedoch zu bröckeln, da die Go-ten, selbst von den Hunnen angegriffen, über die Donaugrenze ins Reich getrieben wurden. AmAnfang geschah der Einzug ins Reich friedlich, da ihnen Siedlungsgebiete zugestanden wurden,doch Lebensmittelnot bedingte dann einen Aufstand. Ostgoten und Westgoten schlossen sich zu-sammen und besiegten die Truppen des Valens 378 bei Adrianopel. Valens selbst fiel bei dieserSchlacht. Von diesem Zeitpunkt an blieben die Goten im Reich.

5.0.2.2 Gratian (375-383) und Valentinian II. (375-392) Nach Valentinians Tod 375 über-nahmen seine Söhne Gratian und Valentinian II. die westliche Herrschaft. Beide waren nochsehr jung (Valentinian II. erst 4 Jahre, Gratian übernahm seine Vormundschaft). Ihre Herrschaftwährte jedoch nicht lange, 383 wurde Gratian von dem spanischen General Magnus Maximusgestürzt. Maximus erhielt danach die westl. Provinzen. 387 wurde er jedoch beim Versuch dieHerrschaft über Italien zu erlangen von Valentinian II. und Theodosius, dem Nachfolger des Va-lens im Osten, getötet. Von 388 bis 392 war somit die Ordnung wieder hergestellt: ValentinianII. im Westen und Theodosius im Osten. Doch 392 fiel Valentinian einem erneuten Putsch zumOpfer, und Theodosius gelang es die Aufständler 394 zu schlagen. Er wurde so zum letzten Al-leinherrscher des Reiches.

5.0.2.3 Theodosius (der Große) (379 - 395) Gratian hatte ihn 378 nach dem Tod des Valenszum östlichen Kaiser ernannt. Er stammte aus Spanien, war gläubiger Christ und ein berühmterGeneral. Für die Klärung der Gotenfrage war er sicher eine gute Wahl. Doch Theodosius er-reichte gegenüber den Goten nichts. Er gab ganze Provinzen an die Einwanderer ab, ohne denVersuch zu unternehmen, sie zu besiegen (allerdings hatte er auch kein gutes Heer). 382 kam eszum Friedensschluß zwischen Goten und Römern. Entlang der Grenze bildeten sich autonomeGotenstädte, die mit Rom Bündnisse eingingen. Römer, die in den gotischen Gebieten zu beidenSeiten der Donau blieben, erhielten ihren eigenen Rechtsstatus. Aus den ehemaligen Herrschernüber dieses Gebiet waren praktisch Geiseln geworden.

Theodosius schien sich für diese bahnbrechenden Ereignisse indes wenig zu interessieren. Er er-ließ in Konstantinopel Gesetze über die Beförderung, Vorrechte und Kleidung von Beamten undfestigte seine innere Macht. Offiziell hieß es, sein Ziel sei die Zivilisation der Barbaren in den

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abgetretenen Provinzen gewesen. Gleichzeitig wurden die noch römischen Provinzen so hoch mitSteuern belastet, daß sie ständig mit dem Ruin zu kämpfen hatten. Durch diese Politik der Igno-ranz bekam das mühsam aufgebaute Verteidigungssystem des Valentinian erste Risse, durch diespäter die Goten und dann die Hunnen einfielen. Seinen Beinamen „der Große“ erhielt Theo-dosius von der katholischen Kirche aufgrund seiner Religionspolitik, angesichts seiner politischenund militärischen Taten wäre der Beiname eher ungebracht. Unter ihm wurde das Christentumzur alleinigen Staatsreligion ernannt.

5.0.3 Reichsteilung und das Ende Westroms

Nach Theodosius’ Tod wurde das Reich zwischen seinen Söhnen geteilt: im Osten herrschte Ar-cadius (395 - 408), im Westen Honorius (395 - 423). Damit war das römische Reich endgültiggeteilt, die Hauptstadt des Westroms war ab 404 nicht mehr Rom, sondern Ravenna. Die theo-dosianische Dynastie hielt sich trotz durchgehend unfähiger Herrscher: die ausschließliche undunangefochtene Legitimität eines Kaisers durch seine Abstammung war ein neues Element.

Die Verwaltungsstruktur des Reiches wurde durch das Einnisten von Germanen (die von denHunnen verdrängt wurden) in den Grenzgebieten zerstört. Westgoten siedeln als Foederaten imfesten Stammesverband auf Reichsgebiet. Britannien mußte aufgegeben werden. Obwohl die west-lichen Grenzen brachen, ging das römische Reich noch nicht unter, weil die Germanenstämmenicht gemeinsam angreifen. Die Eroberung Roms 410 durch den Westgoten Alarich war zwarpolitisch unbedeutend, aber bezeichnend für die Situation. Die Vandalen setzten 429 wegen rö-mischer Uneinigkeit nach Nordafrika über und eroberten die Provinz Afrika. Es bildeten sichmehrere germanische „Staaten“ im römischen Reich: die Vandalen in Nordafrika, die Sueben aufder westlichen Pyrenäenhalbinsel, die Westgoten in Gallien und die Burgunder in Savoyen. Ge-schichtliche Zukunft hatte nur der fränkische Staat (Frankreich).

Seit 444 war Attila der Alleinherrscher der Hunnen von der mittleren Donau bis Südrußlandund Mitteleuropa. Seine Heere bdrängten sowohl die Goten als auch das römische Reich. Aetiuskonnte 451 die Hunnen auf den Katalaunischen Feldern besiegen, nach Attilas Tod 454 wurdendie Hunnen von den Germanen vernichtet.

Wegen des fehlenden Macht- und Regierungswillens der Kaiser bildete sich ein starkes Hausmei-ertum aus. Häufig waren Barbaren in diesem Amt (Stilicho unter Theodosius). Die Ermordungdes mächtigen Hausmeiers Aetius 454 durch Valentinian III., führte zu dessen Sturz 455. Damitendete auch im Westen die theodosianische Dynastie (im Osten schon 450). Aetius’ NachfolgerRicimer leitete das Ende des weströmischen Reiches ein: er ermordete den Kaiser Avitus und ließsich 457 mit dem Titel patricius als Stellvertreter der kaiserlichen Macht ausstatten. Durch ihnkamen mehrere Kaiser auf den Thron, die er ermorden ließ, sobald sie eigene Initiative zeigten.Ricimer selbst starb 472. Ein von Ostrom eingesetzter Kaiser, Julius Nepos (474 - 480) wurde475 vom oströmischen General Orestes gestürzt, der seinen Sohn Romulus auf den Thron brach-te. 476 stürzte der Germane Odoaker mit seinen Soldaten den Orestes und beendete damit diekaiserliche Herrschaft im Westen.

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Im Osten gelang die Verbindung von Kaisertum und Hausmeiertum. Nach dem Ende der theo-dosianischen Dynastie mit Theodosius II. (408 - 450) heiratete dessen Schwester Pulcheria denneuen Kaiser Marcianus (450 - 457), der mit Unterstützung des germanischen Hausmeiers Fla-vius Ardabar Aspar auf den Thron gekommen war. Aspar setzte auch den achfolger Leo (457 -474) gegen den Willen des Kaiserpaares durch. Bis zu diesem Punkt stand das Kaisertum wie inWestrom im Schatten der Hausmeier, aber Leo und seinem Nachfolger Zeno (dem Isaurier) (474- 491) gelang es, die Macht von den Hausmeiern zurückzuerobern. Zeno hatte Leo im Kampfgegen Aspar als Gegengewicht gedient und verband nun das Kaisertum mit der frischen Kraft derHausmeier. Er spielte die germanischen Führer Theoderich Strabo und Theoderich (den Großen)gegeneinander aus und besiegte seinen isaurischen Konkurrenten Illus. Theoderich Strabo starb481, Theoderich der Große wurde 488 nach Italien entsandt, um Odoakers Herrschaft zu been-den. Das oströmische Reich war gerettet. Justinian (527 - 565) gelang es sogar, den Herrschafts-bereich für kurze Zeit wieder in den Westen auszudehnen.