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! HIGHLIGHTS BOX CD REVIEWS DVD rückblicken. Ein One-Hit-Wonder ist dieser Mann, der sich in der New Yorker Künstler- Bohème der 60er und 70er Jahre seine erste Sporen verdiente, der schon gemeinsam mit Leuten wie Lou Reed, Sonny Rollins und Dr. John musizierte und 1973 den Song- klassiker “Wild In The Streets” vorlegte, beileibe nicht. Jeffreys, der aus einem halb afro-amerikanischen, halb puerto-ricanischen Elternhaus stammt und in dessen Adern zudem Cherokee-Blut fließt, beherrscht viele mu- sikalische Spielarten; auch auf TRUTH SE- RUM, seinem neuesten Album, serviert er sei- nen Cocktail aus altbe- währten Ingredienzen: Blues, Rock, Folk, Soul und Reggae. Der Opener und Titeltrack (hinter dem besungenen „Wahrheitsserum” steckt nichts anderes als Alkohol) ist ein cooler, schleppender, schmutziger Blues auf Grundlage von How- lin’ Wolfs “Spoonful”-Riff und nimmt einen Der „Matador” ist zurück. Zum mindestens zweiten Male. Bereits 2011 legte Garland Jeffreys mit dem von der Kritik hymnisch gelobten Album THE KING OF IN BET- WEEN nach jahrelangem Schweigen ein fulminantes Comeback hin. Es sieht so aus, als ob Jeffreys der große Zauderer der Rockgeschichte ist: Nach jeweils langen Pausen kommt er stets mit einem erstklassigen Album aus der De- ckung. Gleiches ereig- nete sich bereits 1992, als der New Yorker mit DON’T CALL ME BUCKWHEAT inklu- sive der Hitsingle “Hail Hail Rock’n’Roll” plötzlich ins Rampen- licht zurückkehrte. Da lag sein letztes Album schon neun Jahre zu- rück und sein All-Time- Hit “Matador”, mit dem ihn heute noch die meisten in Verbindung bringen, über ein Jahrzehnt. Inzwischen ist Jeffreys 70 Jahre alt und kann auf eine Karriere von mehr als vier Jahrzehnten zu- von den ersten Tönen an gefangen. Die Gi- tarristen Larry Campbell, James Maddock und Duke Levine (Slidegitarre) lassen or- dentlich ihre Verstärker röhren, und Brian Mitchell bläst dazu eine verzerrte Mundhar- monika in der Tradition des guten alten Chicago-Blues. An TRUTH SERUM wirkte im Wesentlichen derselbe Kern an Musikern mit wie auf dem Vorgängeralbum, darunter Drummer Steve Jordan (Eric Clapton), Bassist Zev Katz und Keyboarder Brian Mitchell. Die Songs entstanden in Jeffreys Zuhause und unterwegs, kom- poniert auf der Gitarre und festgehalten in schlichten Demoversionen auf einem trans- portablen Kassettendeck. Bei den anschlie- ßenden Studio-Aufnahmen mit der Band war es erklärtes Ziel, die Unmittelbarkeit, die Intimität und die euphorische Energie der Demos einzufangen. Mit “Any Rain” folgt nach dem Opener eine zeitlose Mid- tempo-Rocknummer, welche die Rolling Stones kaum besser hinbekommen hätten. Und auch mit der Akustikballade “It’s What I Am”, die entfernt an “You Can’t Always Get What You Want” erinnert, frönt Jeffreys seiner Liebe zu den Stones. Stimmlich ist er GARLAND JEFFREYS TRUTH SERUM hier wie auf dem gesamten Album überzeu- gend; seine emotionalen Lyrics singt er mit einem ebenso gefühlvollen Ausdruck in der Stimme, Silbe für Silbe. “Dragons To Slay” – ein Albumhöhepunkt – ist ein klassischer Roots-Reggae, punkt- genau wie mitreißend von seiner Begleit- band eingespielt. “Is This The Real World”, “Ship Of Fools” (in- klusive Akkordeon- Tupfer) und “Far Far Away” sind nach- denkliche, traumhaft schöne Akustiknummern. “Collide The Ge- nerations” dagegen mit seinen lärmenden Feedback-Gitarren könnte zusammen mit Garlands jüngst verstorbenen New-York- Kumpel Lou Reed entstanden sein. “Color- blind Love” greift mit seinem groovenden Bluesriff den Ton des einleitenden “Truth Serum” auf. Das abschließende “Revoluti- on Of The Mind” dagegen zeugt erneut von Jeffreys’ Liebe zu karibischen Klängen; in dem zarten Reggae-Song hört man gar einen fernen Nachhall von “Matador”. (India Media/Rough Trade, 2013, 10/40:12) frs Foto: © Helmut Ölschlegel

REVIEWS HIGHLIGHTS CD GARLAND JEFFREYSmedia.virbcdn.com/files/9a/45dbcf22fa78b3dc-Garland_Good... · 2014-01-18 · Leuten wie Lou Reed, Sonny Rollins und Dr. John musizierte und

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Seite 32 ■ GoodTimes 6/2013 ■ Music from the 60s to the 80s

! HIGHLIGHTS

BOX

CD

B.B. KING THE LIFE OF RILEY

JOHN MARTYNTHE ISLAND YEARS

REVIEWS

DVD

rückblicken. Ein One-Hit-Wonder ist dieser Mann, der sich in der New Yorker Künstler-Bohème der 60er und 70er Jahre seine erste Sporen verdiente, der schon gemeinsam mit Leuten wie Lou Reed, Sonny Rollins und Dr. John musizierte und 1973 den Song-klassiker “Wild In The Streets” vorlegte,

beileibe nicht. Jeffreys, der aus einem halb afro-amerikanischen, halb puerto-ricanischen Elternhaus stammt und in dessen Adern zudem Cherokee-Blut fl ießt, beherrscht viele mu-sikalische Spielarten; auch auf TRUTH SE-RUM, seinem neuesten Album, serviert er sei-nen Cocktail aus altbe-währten Ingredienzen: Blues, Rock, Folk, Soul und Reggae. Der Opener und Titeltrack (hinter dem besungenen

„Wahrheitsserum” steckt nichts anderes als Alkohol) ist ein cooler, schleppender, schmutziger Blues auf Grundlage von How-lin’ Wolfs “Spoonful”-Riff und nimmt einen

Der „Matador” ist zurück. Zum mindestens zweiten Male. Bereits 2011 legte Garland Jeffreys mit dem von der Kritik hymnisch gelobten Album THE KING OF IN BET-WEEN nach jahrelangem Schweigen ein fulminantes Comeback hin. Es sieht so aus, als ob Jeffreys der große Zauderer der Rockgeschichte ist: Nach jeweils langen Pausen kommt er stets mit einem erstklassigen Album aus der De-ckung. Gleiches ereig-nete sich bereits 1992, als der New Yorker mit DON’T CALL ME BUCKWHEAT inklu-sive der Hitsingle “Hail Hail Rock’n’Roll” plötzlich ins Rampen-licht zurückkehrte. Da lag sein letztes Album schon neun Jahre zu-rück und sein All-Time-Hit “Matador”, mit dem ihn heute noch die meisten in Verbindung bringen, über ein Jahrzehnt. Inzwischen ist Jeffreys 70 Jahre alt und kann auf eine Karriere von mehr als vier Jahrzehnten zu-

von den ersten Tönen an gefangen. Die Gi-tarristen Larry Campbell, James Maddock und Duke Levine (Slidegitarre) lassen or-dentlich ihre Verstärker röhren, und Brian Mitchell bläst dazu eine verzerrte Mundhar-monika in der Tradition des guten alten Chicago-Blues. An TRUTH SERUM wirkte im Wesentlichen derselbe Kern an Musikern mit wie auf dem Vorgängeralbum, darunter Drummer Steve Jordan (Eric Clapton), Bassist Zev Katz und Keyboarder Brian Mitchell. Die Songs entstanden in Jeffreys Zuhause und unterwegs, kom-poniert auf der Gitarre und festgehalten in schlichten Demoversionen auf einem trans-portablen Kassettendeck. Bei den anschlie-ßenden Studio-Aufnahmen mit der Band war es erklärtes Ziel, die Unmittelbarkeit, die Intimität und die euphorische Energie der Demos einzufangen. Mit “Any Rain” folgt nach dem Opener eine zeitlose Mid-tempo-Rocknummer, welche die Rolling Stones kaum besser hinbekommen hätten. Und auch mit der Akustikballade “It’s What I Am”, die entfernt an “You Can’t Always Get What You Want” erinnert, frönt Jeffreys seiner Liebe zu den Stones. Stimmlich ist er

Riley B. King, geboren am 16. Septem-ber 1925 in Berclair, Mississippi, besser bekannt unter seinem Bühnennamen B.B. King, ist einer der bedeutendsten und ein-fl ussreichsten Gitarristen in der Geschich-te des Blues. Seit sechs Jahrzehnten steht der „Beale Street Blues Boy” (BB) mit seiner „Lucille” genannten Gibson im Rampenlicht, wird von vielen für sein wohlge-setztes, gefühlvolles Spiel bewundert, dennoch wissen nur wenige etwas über sein Leben. Nachdem bereits vor zehn Jahren der Regisseur Richard Pearce mit „The Road To Memphis” inner-halb der von Martin Scorsese präsentierten Filmreihe „The Blues” den großen Unbe-kannten ein Stück näherbrachte, folgt nun mit „The Life Of Riley” eine weitere se-henswerte Doku. Der Film von Jon Bre-wer, durch den als Erzähler der große alte Mann des schwarzen Hollywood-Kinos, Morgan Freeman, führt, verfolgt zweier-lei: Er wandelt auf den biografi schen Spu-ren des in ärmlichen Verhältnissen aufge-wachsenen Musikers und ist zugleich eine Würdigung seiner Gitarrenkunst. Etwa ab der Hälfte der Doku, nachdem der frühe Lebensweg durch Archivmaterial und In-terviews mit Familienangehörigen sowie dem Meister persönlich sehr rund behan-delt wurde, wird Kings spätere Karriere

Als John Martyn im Januar 2009 mit 60 Jahren starb, verlor die Musikwelt einen ihrer talen-tiertesten und innovativsten Vertreter. Obwohl von Kennern, Kollegen und Kritikern ge-schätzt, blieb der britische Sänger/Songschrei-ber und Gitarrist zeitlebens eher ein Geheim-tipp. Große kommerzielle Erfolge blieben aus – er suchte sie vermutlich auch gar nicht. Komplexe Songarrangements waren ihm wichtiger als Eingängigkeit. Zwischen 1967 und 1990 veröffentlichte er 13 Stu-dio-Alben sowie eine Live-LP bei Island Records. Das Label hat diese nun in eine wunderbare Box gepackt, zusammen mit zwei bis-lang unveröffentlichten Live-CDs und zwei Ra-ritätenscheiben sowie einem katalogdi-cken, informativen wie reich bebilder-ten Buch. Mit die-sem Set besitzt man fast sein Gesamtwerk, ab-gesehen von den beiden in den 80er Jahren bei WEA und nach seinem Island-Rausschmiss veröffentlichten Alben. Angefangen hatte Martyn als Folkie. Seine beiden ersten, heu-te wenig bekannten, gleichwohl grandiosen Alben LONDON CONVERSATION (1967) und THE TUMBLER (1968) spielte er alleine zur akustischen Gitarre im Fingerpicking-Stil – den er virtuos beherrschte – ein; sie erinnern an andere, teils mit ihm befreundete Vertreter des frühen britischen Folk, etwa Bert Jansch, Nick Drake und Ralph McTell. Nach zwei

vergleichsweise schwachen Alben mit seiner Ehefrau Beverley öffnete er sich, ausgehend von BLESS THE WEATHER (1971), stärker der Improvisation, was zu einem innovativen Jazz-Folk führte, der seinesgleichen höchstens in ähnlichen Experimenten von Van Morrison und Tim Buckley fi ndet. Mit SOLID AIR

(1973), INSIDE OUT (1973), SUNDAY’S CHILD (1975) und ONE WORLD (1977) legte er vier Meisterwerke in Folge hin. Mit Anbruch der 80er Jahre hatte er jedoch Schwierigkeiten, mit dem gewandelten Zeitge-

schmack mitzuhal-ten. Trotz promi-nenter Unterstützung von u.a. Phil Collins sind GRACE AND DANGER (1980), SAPPHIRE (1984), PIECE BY PIECE

(1986) und THE APPRENTICE (1990) teils unausgegorene, teils schwache Alben. In Höchstform ist Martyn dagegen auf der beilie-genden DVD zu erleben: Die zwischen 1973 und 1981 aufgezeichneten TV-Live-Auftritte machen deutlich, dass er nicht nur ein hervor-ragender Sänger, sondern auch ein grandio-ser Gitarrist war. Wenn er alleine mit seinem Echoplex auf der Bühne experimentierte, bezeichneten Kritiker ihn zu Recht als „Ein-Mann-Pink-Floyd”. (Island/Universal, 1967–2013, 17 CDs, 1 DVD) frs

GARLAND JEFFREYSTRUTH SERUM

hier wie auf dem gesamten Album überzeu-gend; seine emotionalen Lyrics singt er mit einem ebenso gefühlvollen Ausdruck in der Stimme, Silbe für Silbe. “Dragons To Slay” – ein Albumhöhepunkt – ist ein klassischer

Roots-Reggae, punkt-genau wie mitreißend von seiner Begleit-band eingespielt. “Is This The Real World”, “Ship Of Fools” (in-klusive Akkor deon-Tupfer) und “Far Far Away” sind nach-denkliche, traumhaft

schöne Akustiknummern. “Collide The Ge-nerations” dagegen mit seinen lärmenden Feedback-Gitarren könnte zusammen mit Garlands jüngst verstorbenen New-York-Kumpel Lou Reed entstanden sein. “Color-blind Love” greift mit seinem groovenden Bluesriff den Ton des einleitenden “Truth Serum” auf. Das abschließende “Revoluti-on Of The Mind” dagegen zeugt erneut von Jeffreys’ Liebe zu karibischen Klängen; in dem zarten Reggae-Song hört man gar einen fernen Nachhall von “Matador”.(India Media/Rough Trade, 2013, 10/40:12) frs

sowie seine Bedeutung für den Blues und den Rock in erster Linie mit zahlreichen Einblendungen von Musikern refl ektiert, die mit ihm arbeiteten oder von ihm be-einfl usst wurden. Zu Wort kommen in die-sem Part – in teils nur kurzen Statements – unter anderem Eric Clapton, Carlos San-

tana, Peter Green, John Ma-yall, Keith Richards, Mick Jagger, Bill Wyman, Ringo Starr, Johnny Winter, Buddy Guy, Walter Trout, Dr. John, Joe Walsh, Leon Russell, Ru-fus Thomas, Robert Cray, Joe Bonamassa, Bono und Bon-nie Raitt. Zwei kleine, aber verzeihliche Schwächen: Die spätere Künstlerkarriere wird nicht ebenso ordentlich biografi sch aufbereitet wie

die Kindheit und Jugend, und die Hul-digungen von so vielen Kollegen wie-derholen sich doch sehr. Davon abgese-hen ist „The Life Of Riley” jedoch eine sehr empfehlenswerte, keinesfalls an der Oberfläche bleibende Musikdoku. Die DVD-Fassung des Films, der Anfang des Jahres durch die Programmkinos tourte, enthält 35 Minuten Bonus-Material, da-runter 13 zusätzliche Kurzinterviews sowie Live-Aufnahmen aus der Royal Albert Hall. (Arsenal/Good Movies, 2013, Originalfassung mit dt. Untertiteln, 118 Min. + 35 Min. Bonus) frs

poniert auf der Gitarre und festgehalten in

band eingespielt. “Is

klusive Akkor deon-

schöne Akustiknummern. “Collide The Ge-

der „Beale Street Blues Boy” (BB) mit

kannten ein Stück näherbrachte, folgt nun

– unter anderem Eric Clapton, Carlos San-

die Kindheit und Jugend, und die Hul-

beileibe nicht. Jeffreys, der aus einem halb afro-amerikanischen, halb puerto-ricanischen Elternhaus stammt und in dessen Adern zudem Cherokee-Blut fl ießt, beherrscht viele mu-sikalische Spielarten; auch auf TRUTH SE-RUM, seinem neuesten Album, serviert er sei-nen Cocktail aus altbe-währten Ingredienzen: Blues, Rock, Folk, Soul und Reggae. Der Opener und Titeltrack (hinter dem besungenen

„Wahrheitsserum” steckt nichts anderes ihn heute noch die meisten in Verbindung

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tipp. Große kommerzielle Erfolge blieben aus – er suchte sie vermutlich auch gar nicht. Komplexe Songarrangements waren ihm wichtiger als Eingängigkeit. Zwischen 1967 und 1990 veröffentlichte er 13 Stu-dio-Alben sowie eine Live-LP bei Island Records. Das Label hat diese nun in eine wunderbare Box gepackt, zusammen mit zwei bis-lang unveröffentlichten Live-CDs und zwei Ra-ritätenscheiben sowie einem katalogdi-

und Tim Buckley fi ndet. Mit SOLID AIR (1973), INSIDE OUT (1973), SUNDAY’S CHILD (1975) und ONE WORLD (1977) legte er vier Meisterwerke in Folge hin. Mit Anbruch der 80er Jahre hatte er jedoch Schwierigkeiten, mit dem gewandelten Zeitge-

SAPPHIRE (1984), PIECE BY PIECE