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Zwischen Luzern und Târgu Mure ș Viele pflegebedürftige Menschen möchten zu Hause betreut werden. Ein Caritas-Projekt vermittelt osteuropäische Betreuende befristet in die Schweiz. Faire Arbeitsbedingungen sind hier garantiert und in Osteuropa ist Entwicklung möglich. Das Beispiel der rumänischen Pflegerin Márta Györfi zeigt es. Dominique Schärer (Text), Pia Zanetti (Bilder) 6 Menschen 1/2015 Das Richtige tun Reportage

Reportage: «Zwischen Luzern und Târgu Mureș»

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Das Caritas-Projekt in «In guten Händen» vermittelt osteuropäische Betreuende befristet in die Schweiz. Faire Arbeitsbedingungen sind hier garantiert und in Osteuropa ist Entwicklung möglich. Das Beispiel der rumänischen Pflegerin Márta Györfi zeigt es.

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Zwischen Luzern und Târgu MureșViele pflegebedürftige Menschen möchten zu Hause betreut werden. Ein Caritas-Projekt vermittelt osteuropäische Betreuende befristet in die Schweiz. Faire Arbeitsbedingungen sind hier garantiert und in Osteuropa ist Entwicklung möglich. Das Beispiel der rumänischen Pflegerin Márta Györfi zeigt es. Dominique Schärer (Text), Pia Zanetti (Bilder)

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Luzern, ein heisser Sommerabend. Márta Györfi schlängelt sich durch die Touristen zur Seepromenade und

geniesst den Blick auf die Postkarten-Idylle. «Für mich ist das alles neu. Ich mag die Spaziergänge in der Stadt, den See und die Berge.» Márta Györfi ist zum ersten Mal in der Schweiz. Ein Jahr musste sie warten, bis alle Formalitäten erledigt waren und sich ihr Wunsch von der grossen Reise erfüllte. Doch die 30-jährige Rumänin ist nicht als Touristin hier: Während dreier Monate be-treut die ausgebildete Pflegerin im Rahmen eines Caritas-Projekts eine betagte Frau in ihrem Zuhause, wohin wir sie gerade beglei-ten. «Ich liebe meine Arbeit», sagt die junge Frau mit dem roten Caritas-T-Shirt und den langen Locken. «Als ich ein Kind war, hatte ich Nierenprobleme und war während meh-rerer Jahre sehr krank. Zum Glück konnte ich geheilt werden. Die Krankenschwestern von damals sind mein Vorbild geblieben.»

Gut für die Schweiz, gut für RumänienMárta Györfi ist eine von rund 50 Fachper-sonen, die in der Schweiz einen oder mehrere dreimonatige Einsätze leisten, um in Ergän-zung zur Spitex betagte Menschen zu Hause zu betreuen. «Im Gegensatz zu Márta haben

andere den Einsatz frühzeitig abgebrochen», berichtet Ioana Cozarescu Kind, die bei Ca-ritas Schweiz die Einsätze plant. «Die fremde Sprache, die Distanz zur Familie, die an-spruchsvolle Arbeit mit demenzkranken Menschen, all das erfordert Durchhaltever-mögen, Belastbarkeit und Fachkompetenz.»

In der Schweiz möchten viele pflegebe-dürftige Personen möglichst lange zu Hause bleiben – dies ist jedoch teuer, weshalb ein

Markt im Graubereich der Legalität ent-standen ist, wo Pflegerinnen aus Osteuropa unter teils prekären Bedingungen arbeiten. Mit dem Projekt «In guten Händen» stellt Caritas Schweiz in Zusammenarbeit mit der Partnerorganisation Caritas Alba Iulia das

ausländische Personal befristet und zu fairen Konditionen an. «Dank dem Projekt kön-nen die pflegebedürftigen Personen und ihre Familien darauf zählen, dass die Betreuen-den zu faire Arbeitsbedingungen angestellt sind», erklärt Beat Vogel, Projektleiter bei Caritas Schweiz, die Motivation für das Pro-jekt (siehe Kasten Seite 14).

Die beiden Caritas-Organisationen su-chen mit dem Projekt innovative Lösungen

Viele pflegebedürftige Personen möchten zu Hause bleiben – dies ist teuer.

Die Betreuerin Márta Györfi auf dem Weg zur Arbeit. Das Fahrrad gehört in der Schweiz wie auch in Rumänien zu ihrem Alltag.

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für die Probleme im Pflegesektor hier wie dort. So kam der Anstoss dazu von Caritas Alba Iulia, die immer mehr soziale Aufgaben des Staates übernimmt, aber nur tiefe Löhne bezahlen kann. «Viele unserer Fachkräfte wanderten in den Westen ab», sagt György Péter, Direktor der sozialmedizinischen Ab-teilung bei Caritas Alba Iulia (siehe Inter-view Seite 12). Das Projekt ermöglicht den Angestellten von Caritas Alba Iulia, ihr Ge-halt deutlich zu erhöhen und trotzdem den Lebensmittelpunkt in Rumänien zu behal-ten. Denn dort reicht der Lohn auch bei guter Ausbildung meist nur gerade zum Leben. So-bald die Kinder eine höhere Schulbildung machen wollen, jemand krank wird, oder ein Haus renoviert werden muss, beginnen die finanziellen Probleme. Dies gilt auch für die Familie von Márta Györfi, deren Eltern ihr und dem älteren Bruder die Ausbildung noch finanzieren konnten. Jetzt aber, da beide El-tern wegen Krankheit frühpensioniert sind,

hat sich Márta zum Ziel gesetzt, ihrem jün-geren Bruder die Ausbildung zu bezahlen. «Mein Bruder kann nur deshalb studieren, weil ich in die Schweiz gehe», sagt sie ohne Umschweife. Und fügt stolz hinzu: «Er wird Pfleger wie ich und schreibt gute Noten.»

Gespräche in der NachtMárta Györfi ist bestens vorbereitet für die Arbeit mit der 85-jährigen Ursula Buhofer, die sie in der Nacht unterstützt. In deren far-benprächtigen Garten oberhalb des Sees be-geben wir uns nun für ein Gespräch. Ur-sula Buhofer hat sich für den Besuch extra schön gemacht. Sie sitzt, passend zu den vie-len Rosen im Garten, in einem leuchtend roten Kleid im Rollstuhl, auf den sie seit ihrem zehnten Lebensjahr angewiesen ist. Trotz der Behinderung hat sie in München und Zürich Psychologie studiert, ein Leben lang viel gearbeitet, Reisen unternommen und Kontakte gepflegt. «Leider habe ich vie-

les davon vergessen», sagt die schöne alte Frau, deren Blick in den klaren Momenten immer noch viel Lebendigkeit ausstrahlt. So lange Ursula Buhofer dank engmaschiger Be-treuung zu Hause leben kann, bleibt ihr ein wichtiges Stück Freiheit und die damit ver-bundene Lebensqualität erhalten.

«Manchmal schläft Frau Buhofer wenig in der Nacht. Dann bringe ich Tee oder helfe auf die Toilette. Oder wir sprechen mitei-nander, schauen Fotos an – und machen sogar einen Spaziergang an den See», sagt Márta Györfi. Die beiden Frauen haben sich mit der Zeit aneinander gewöhnt. Der An-fang sei schwierig gewesen, vor allem wegen der Sprache, erinnert sich Györfi, die vor ihrer Reise einen achtwöchigen Deutsch-In-tensivkurs besucht hat. Die Kontakte zu an-deren Pflegerinnen aus dem Caritas-Pro-jekt und die Gespräch mit ihrer Familie per Skype seien darum wichtig gewesen. Und Ur-sula Buhofer, die grundsätzlich lieber keine

Wenn Ursula Buhofer in der Nacht nicht schlafen kann, schaut sie gerne mit Márta Györfi Fotos aus früheren Zeiten an.

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fremde Hilfe hätte, sagt: «Ich habe Márta und andere Frauen, die mich betreut haben, sehr gern bekommen.» Wenn Márta Györfi nun bald abreist – die Reise in die Heimat dauert mit dem Kleinbus 24 Stunden – so wird Frau Buhofer die Pflegerin vermissen. «Aber sie kommt ja wieder zurück.»

Sieben rumänische DörferIm rumänischen Dorf Bede, ein warmer Herbstnachmittag. Die idyllischen Hügel vor blauem Himmel leuchten in mildem Sonnenlicht, auf einem Feld werden gerade Zuckerrüben geerntet. Auf den holprigen Schotterwegen kreuzt ab und zu ein Pfer-defuhrwerk den roten Caritas-Wagen von Márta Györfi. Die Gärten hinter den typi-schen Toren aus Holz wirken gepflegt, es riecht nach frischen Äpfeln und Nüssen. Vor einem Tor hält die Pflegerin an und greift nach ihrer Tasche, worin Verbandsmate-rial, Desinfektionsmittel, Blutdruckmesser und Handschuhe griffbereit liegen. In einem

Schuppen neben dem Haus ist die 80-jährige Yolanda Hovadtöi trotz Beschwerden in den Beinen dabei, Apfelschnaps herzustellen. Sie führt uns ins Haus und setzt sich auf einen Stuhl, wo Márta ihr routiniert die offenen Krampfadern neu verbindet. Danach zeigt sie die schlichte Wohnung, bestehend aus

einer Küche, einem Zimmer und einer Spei-sekammer voller Gläser: eingemachte Gur-ken und Erdbeeren, Konfitüren. «Mit mei-ner Rente von 350 Lei* kann ich nicht viel kaufen. Ich muss so viel wie möglich selbst machen», sagte die rüstige alte Frau. «Doch ich bin glücklich, weil ich gute Söhne habe, die mir helfen, weil ich ein Badezimmer habe und alles, was man zum Leben braucht.»

Das Dorf Bede befindet sich in einer wei-ten Landschaft im siebenbürgischen Szek-

«Ich habe Márta und andere Frauen, die mich betreut haben, sehr gern bekommen.»

lerland, im Herzen Rumäniens. Die Region gehörte bis 1920 zu Ungarn und ist noch heute grösstenteils ungarisch-sprachig. Márta Györfi, die dank einem extra bean-tragten ungarischen Pass in die Schweiz ein-reisen konnte, ist zuständig für sieben Dör-fer mit Namen wie Nyárádgálfalva, Bede, Kisadorján, Nagyadorján – alle Ortsschil-der sind ungarisch und rumänisch beschrif-tet. Hier kennt Márta Györfi jeden Winkel, hier betreut sie zusammen mit ihrer Kollegin insgesamt 200 Patientinnen und Patienten. Sie holen aus der Apotheke Medikamente, besprechen Rezepte mit der lokalen Ärztin und fahren von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof. Im Haus der 87-jährigen Rozália Nagy etwa, der Márta Györfi dreimal pro Woche das schlimme Bein verbindet, kommen zur Krankheit noch Armut und Einsamkeit dazu. Rozália Nagy sitzt in der kalten Küche des Bauernhauses und erzählt vom Tod ihres Mannes und dem tödlichen Unfall ihres Soh-nes auf dem Bau. Die alte Frau muss wei-nen, und Márta legt ihr tröstend die Hand

* 350 Lei sind rund 95 FrankenBild rechts: In Rumänien gehört das Blutdruckmessen zu Márta Györfis täglicher Routine.

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Langzeitpflege – Schweiz braucht neue Modelle

Hier setzt das Projekt «In guten Hän-den» von Caritas Schweiz und ihren Part-nern in Osteuropa an an (siehe Seite 14). «Dass es ein nicht profit-orientiertes Pro-jekt überhaupt gibt, ist kurzfristig positiv», sagt die Geographin Jasmine Truong, die zum Thema forscht und die Informations-plattform www.careinfo.ch bewirtschaf-tet, die von der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich sowie anderen Städten und Kantonen getragen wird. Langfristig aber müssten im Osten bessere Lebensbedingun-gen geschaffen werden. In der Schweiz müss-ten die Pflegeberufe gestärkt, die Rechte von Care-Migrantinnen gesichert und innova-tive Ansätze gefunden werden, wie alte Men-schen besser in die Gesellschaft integriert werden können.

Schritte in die richtige Richtung sind die Ratifizierung der ILO-Konvention 189

zum Schutz von Hausangestellten sowie ein neuer Gesamtarbeitsvertrag zwi-schen dem Branchenverband «Zu Hause leben» und der Gewerkschaft Unia. Cari-tas fordert in ihrem Positionspapier «Ca-re-Migration braucht faire Rahmenbe-dingungen» weitere Massnahmen: Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) solle mehr arbeitsrechtliche Kontrollen in diesem Sektor durchführen. Zudem brauche es eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungsaufgaben sowie neue Modelle für die Finanzierung von Haushalts-Dienstleistungen, zum Beispiel via die Ausweitung von Ergänzungsleis-tungen.

Zum Positionspapier «Care-Migration braucht faire Rahmenbedingungen»:

www.caritas.ch/positionspapiere

Laut einer OECD-Studie zur Langzeit-pflege werden in vielen Ländern 80 Pro-zent der Pflegekosten vom Staat über-nommen – in der Schweiz sind es nur gerade 40 Prozent. Wenn eine Familie die Rundumpflege betagter Menschen nicht allein leisten kann, wird die Finanzie-rung externer Hilfen schwierig. In diese Lücke sind in den letzten Jahren immer mehr so genannte Care-Migrantinnen aus Osteuropa gesprungen, die aufgrund der schwierigen Lebenssituation im eigenen Land ein Auskommen im Westen suchen und dort sieben Tage die Woche im Ein-satz sind. In die Schweiz kommen sie oft via Agenturen, die wegen der prekären Ar- beitsbedingungen – keine klare Trennung von Arbeits- und Freizeit, keine örtliche Rückzugsmöglichkeit, schlechte Löhne – im Graubereich der Legalität operieren.

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Die Idee zum Projekt «In guten Händen» entstand bei der Caritas Alba Iulia. György Péter, Direktor der sozialmedizini-schen Abteilung in Miercurea Ciuc, erklärt im Interview die Hintergründe.

Warum hat Caritas Alba Iulia eine Partnerschaft mit Caritas Schweiz gesucht?Die Caritas Alba Iulia ist in Rumänien der grösste Sozialdienstleister und übernimmt viele Aufgaben des Staates. Doch die Pfle-geberufe sind nicht genug anerkannt und der Durchschnittslohn beträgt nur 1000 Lei [rund 270 Franken]. Aufgrund die-ser Situation sind jedes Jahr viele unse-rer Fachkräfte ins Ausland abgewandert. Darum haben wir Partnerschaften in West-europa gesucht, um unsere Leute zu be-halten und ihnen gleichzeitig einen besse-ren Lohn zu ermöglichen. Zudem möchten wir das Ansehen der Pflegeberufe stärken.

Was sind die Vorteile für Mitarbeitende und Teams?Die Angestellten erhalten neben dem fi-nanziellen Vorteil und der arbeitsrecht-lichen Sicherheit die Möglichkeit, eine Fremdsprache zu lernen und Auslander-fahrung zu sammeln. Im Gegensatz zu früher gibt es keine migrationsbedingten Kündigungen mehr. Für einige Mitarbei-tende haben sich mit dem Projekt neue Möglichkeiten eröffnet, im Ausland zu ar-beiten. Das Projekt macht uns als Arbeit-geberin attraktiver, und wir konnten neue Arbeitsplätze schaffen.

Gibt es negative Erfahrungen?Ja, für das zurückbleibende Team bedeutet das Projekt einen Zusatzaufwand, der am Anfang zu Spannungen geführt hat. Wir diskutieren nun über einen Fonds für Bil-dung und Entwicklung. So könnten vom Projekt auch jene profitieren, die nicht in die Schweiz gehen.

Auf unserer Reise haben wir viele ältere kranke Menschen getroffen,

die in Armut allein zu Hause leben. Bräuchten sie nicht mehr Unterstützung?In Rumänien ist die medizinische Versor-gung immer noch prekär. Die Versiche-rungen haben oft am Ende des Monats kein Geld mehr für Leistungen, die den Menschen eigentlich zustehen würden. Die Wege sind lang und der öffentliche Verkehr schlecht. Wegen der tiefen Löhne verlan-gen viele Ärzte von den Patienten Schmier-geld, damit sie überhaupt behandelt wer-den. Zudem gibt es viel zu wenig staatliche Altersheime, und für die von der Caritas geführten Altersheime beteiligt sich der Staat mit nur 250 Lei [rund 68 Franken] an den Kosten von insgesamt 1600 Lei pro Monat.

Was lässt sich gegen diese Missstände tun?Die Caritas Alba Iulia bietet neben den Spi-tex-Besuchen auch Sozialdienstleistungen an. Die Spitex fungiert sozusagen als Baro-meter, der misst, wo zusätzliche Hilfe nötig ist. Zudem sind wir mit gewissen Ärzten eine Kooperation eingegangen, damit sie unsere Patienten ohne Schmiergeld behan-deln. Wir setzen uns gemeinsam mit Spi-tälern und Ausbildungsstätten für Quali-tätssicherung in den Pflegeberufen ein und achten bei Anstellungen darauf, dass die neuen Mitarbeitenden bereit sind, in die Schweiz zu gehen. Schliesslich hat uns die Zusammenarbeit mit Caritas Schweiz zu einem neuen Projekt für Langzeitpflege zu Hause angeregt, denn da gibt es wie in der Schweiz auch in Rumänien grossen Be-darf.

Die Caritas Alba Iulia bietet neben der Spitex auch Sozialdienste, Altersheime, Beratung für Behinderte, Tageszentren, Frühförderung, Familienberatungen und weitere soziale Dienstleistungen an.

Die Website gibt auch auf Englisch Auskunft: www.caritas-ab.ro

«Das Ansehen der Pflegeberufe stärken»

György Péter, Direktor der sozialmedizinischen Abteilung von Caritas Alba Iulia.

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auf den Arm. Rozália Nagys Tochter arbei-tet in der nahegelegenen Stadt Târgu Muresș und kommt zweimal pro Woche vorbei, um im Garten zu helfen und den Ertrag auf dem Markt zu verkaufen, denn ihre Mutter ist sehr gebrechlich und auf jeden extra Leu an-gewiesen. Erfreulicher ist die Situation beim Ehepaar Fekete: Edith (79) und ihr Mann Károly (82) sind nun schon beinahe 60 Jahre verheiratet und glücklich. Sie haben eine Krebserkrankung überstanden, die Enkel helfen im Garten, und sie lieben einander immer noch. Der Besuch in der winzigen Küche, wo ein Feuer brennt und eine Suppe auf dem Herd köchelt, ist kurz: Bei beiden ist heute der Blutdruck gut, und Márta muss nur jede zweite Woche vorbeikommen.

Jeden Tag per SkypeDas Schwierige an ihrer Arbeit sei, dass sie nicht so viel Zeit für die einzelnen Patien-ten habe, und dass die sozialen Probleme

gross seien, sagt Márta Györfi. Aber sie be-tont noch einmal: «Ich liebe diese Arbeit, ich liebe diese Menschen und das Leben auf dem Land.» Die Monate in der Schweiz bieten zwar finanzielle Vorteile und ermöglichen ihr, Deutsch zu lernen und zu reisen. Anders als viele junge Menschen aus der Gegend, die im Ausland Arbeit suchen, möchte sie aber hier bleiben: «Es ist mein Zuhause, hier möchte ich die nächsten zehn oder zwanzig Jahre verbringen.»

Diese Verwurzelung hat sicher auch mit den starken Familienbanden zu tun. Márta Györfis Eltern wohnen in Kisadorján, einem der sieben Dörfer. Neben dem freundlichen Haus mit dem Ziehbrunnen befinden sich ein Stall mit 30 Kaninchen und ein Plumpsklo. Die Eltern stehen bei unserer Ankunft schon mit dem Plastik-Waschbecken bereit, damit wir uns die Hände für den Mittagstisch wa-schen können. Beim Essen erzählen sie aus ihrem Leben: Mártas Vater Elek (57) hat

MOLDAU

UKRAINE

UNGARN

RUMÄNIEN

SERBIEN

BULGARIEN

SzeklerlandMiercurea Ciuc

Târgu Mureș

Bukarest

Alba Iulia

Rumänien

Fläche 238 391 km2

Hauptstadt BukarestEinwohnerzahl 20 121 641Währung Rumänischer LeuUngarische Minderheit 6,5 Prozent

Blick auf das Dorf Kisadorján, wo Márta Györfi mit ihrer Familie wohnt.

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Gut betreut – und fair

Caritas setzt die Betreuenden für je-weils drei Monate ein und ermöglicht ihnen so, den Lebensmittelpunkt in der Heimat zu behalten. Das Projekt stellt sicher, dass sie nach Schweizer Arbeits-recht und zu fairen Bedingungen ange-stellt sind. Es gibt klar geregelte Freizeit, und nach Abzug von AHV/IV und Le-benskosten verfügen die Angestellten über einen Lohn von 2500 Franken, den sie zum gros sen Teil in die Heimat über-weisen.

Kontakt: Caritas SchweizAdligenswilerstrasse 15, 6002 LuzernTel: 041 419 22 50, [email protected]

www.caritas.ch/ingutenhaenden

Immer mehr betagte Menschen möch-ten möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben. Vielen Angehörigen fehlt aber neben Beruf und Familie die Zeit für eine 24-Stunden-Betreuung, und trotz-dem wünschen sie sich, dass ihre Liebs-ten gut aufgehoben sind. Das Caritas-Pro-jekt «In guten Händen» entspricht diesem Wunsch: Caritas setzt sorgfältig ausge-wählte und gut ausgebildete Betreuerin-nen und Betreuer aus dem europäischen Caritas-Netzwerk ein. Die enge Beglei-tung durch die Fachleute der Caritas ga-rantiert eine einfühlsame Betreuung der betagten Menschen in ihrem vertrauten Zuhause und eine hohe Sicherheit für die Angehörigen.

Herzprobleme und musste seine Arbeit als Typograph frühzeitig niederlegen, die Mut-ter Éva (55) kann wegen Schmerzen in den Beinen nicht mehr in der Kabelfabrik arbei-ten. Wie viele Menschen, die wir angetrof-fen haben, kämpfen auch die beiden schon in jungen Jahren mit gesundheitlichen Prob-lemen. Früher nähte Éva auf einer Tret-Näh-maschine ohne Strom Tischdecken, mit deren Verkauf sie zur Ausbildung der Kin-der beitrug. Sie seien auf ihre Tochter sehr stolz, sagen die Eltern, aber sie würden sie schon jetzt vermissen, wenn sie wieder in die Schweiz gehe. Telefonieren? «Minden nap» – jeden Tag, per Skype.

Entwicklung ermöglichen Das Projekt «In guten Händen» wird seit 2012 durchgeführt. Dank der Caritas-Part-nerschaft haben die betreuten Personen in der Schweiz Kontinuität und in der Einsatz-leiterin eine Ansprechperson. «Mit unserem

Alltagsszenen aus sieben rumänischen Dörfern. Mitte oberste Zeile: Yolanda Hovadtöi. Oberste Zeile rechts: Edith und Károly Fekete. Unterste Zeile rechts: Márta Györfi mit ihren Eltern.

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Modell haben wir einen lösungsorientier-ten Beitrag zur Debatte über eine faire Ca-re-Migration und die Pflege zu Hause geleis-tet», sagt Beat Vogel von Caritas Schweiz. Eine von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) unterstützte Evalua-tion hat im Sommer 2014 ergeben, dass das Projekt in Rumänien wegen der sicheren Ar-beitsbedingungen, der sorgfältigen Beglei-tung und den Entwicklungsmöglichkeiten positive Auswirkungen auf die Betreuenden und das Umfeld habe. Caritas Schweiz wei-tet das Projekt angesichts der grossen Nach-frage aus: In der Südost-Slovakei ist bereits ein weiterer Caritas-Partner gefunden; jetzt will Beat Vogel eine Ausdehnung des Betreu-ungsangebots auf die Westschweiz prüfen.

Hin und her, auch in ZukunftLuzern, ein grauer Novembermittag. Márta Györfi ist schon seit zwei Wochen wieder in der Schweiz. Sie hat eine strenge Nacht hin-

ter sich. «Frau Buhofer hat schlecht geschla-fen, der Winter ist immer schwierig», sagt die Betreuerin. Trotz Müdigkeit erzählt sie, wie sie sich auf die Rückkehr gefreut habe, auf den Kontakt zu den Kolleginnen, auf Frau Buhofer und die Stadt Luzern. «Die Wälder und Seen, das viele Grün – all dies

gibt es auch in Rumänien und kompensiert meine Sehnsucht nach den Dörfern», lacht die junge Frau. Und sie sagt: «Solange ich gesund bin und genug Energie habe, solange ich nicht verheiratet bin, solange werde ich noch zwischen der Schweiz und Rumänien hin- und herpendeln.» <

«Solange ich gesund bin, werde ich noch zwischen der Schweiz und Rumänien hin- und herpendeln.»

Wenn immer möglich, nimmt sich Márta Györfi Zeit für ein Gespräch mit ihren Patientinnen und Patienten.

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