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Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung –
nicht nur für alte Menschen
Referat Fürsprecher Anton Genna
BZ Emme
Burgdorf
10. Dezember 2018
Programm
Referat- Vorsorgen für welche Fälle ? Wann sinnvoll?
- Die gesetzliche Ersatzregelung
- Vorsorgeauftrag: Inhalte, Form, Nutzen
- Patientenverfügung: Inhalte, Form, Nutzen
- Organspende
- Suizidbeihilfe / Sterbehilfe
Diskussion / Fragen
10. Dezember 2018 BZ Emme 2
Vorsorgen – muss das sein ?
• Freiwilligkeit !
• Gesetzliche Ersatzregelung
• Selbstbestimmung -Fremdbestimmung
BZ Emme 10. Dezember 2018 3
Was heisst eigentlich Vorsorge ?
10. Dezember 2018 BZ Emme 4
Urteilsfähig Nicht mehr urteilsfähig
Nur wer urteilsfähig ist, kann vorsorgen
Vorsorgedokumente wirken erst, wenn Urteilsfähigkeit fehlt!
Deshalb: Widerruf, Aenderung möglich, solange Urteilsfähigkeit besteht !
Vorsorgefälle
Urteilsunfähigkeit Sterbephase Tod
Persönlichkeit Patienten-verfügung
OrganspendeSterbehilfe / Suizidbeihilfe
Anordnungen für den Todesfall
Finanzen Vorsorgeauftrag TestamentErbvertrag
10. Dezember 2018 BZ Emme 5
Nicht: Vorsorge für Alter, Krankheit, Abwesenheit etc. (AHV, Pensionskasse, Krankenkasse etc.
Vorsorgen für den Fall späterer Urteilsunfähigkeit
BZ Emme 10. Dezember 2018 6
Im medizinischen Bereich:
Patientenverfügung
Für alle anderen Fälle:
Vorsorgeauftrag
Nicht urteilsfähig ist, wer wegen
• Kindesalters
• geistiger Behinderung
• psychischer Störung
• Rausch
• ähnlicher Zustände
nicht in der Lage ist, vernunftgemäss zu handeln
Art. 16 ZGB
10. Dezember 2018 BZ Emme 7
Urteilsfähigkeit: Begriff
10. Dezember 2018 BZ Emme 8
• Intellektuell: Situation erkennen, einschätzen
• Voluntativ: Willen bilden und äussern / umsetzen
Fähigkeit vernunftgemäss
zu handeln:
• Je nach Situation: z.B. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung können teils urteilsfähig, teils urteilsunfähig sein, je nach Komplexität
• Je nach Zeitpunkt: z.B. schleichende Entwicklung einer Demenz im Alter o.ä.
Relativ
Beurteilung der
Urteilsfähigkeit
• Gesetzliche Vermutung
• Vertragspartner: Nichtigkeit droht
• Notar: Vorsorgeauftrag
• Arztzeugnis im Zweifelsfall
Empfehlung: Der privaten Patientenverfügung und dem Vorsorgeauftrag ein aktuelles Arztzeugnis zur Entstehungszeit beilegen!
Wenn ich nichts anordne….
Keine Sorge ohne Vorsorge: Grundlegender Schutz ist immer gewährleistet:
- Ehegattenvertretung
- Bei medizinischen Massnahmen: Familie
- Beistandschaft (KESB)
10. Dezember 2018 BZ Emme 10
Gesetzliche Vertretung von Urteilsunfähigen durch (Ehe-) Partner
Art. 376 ZGB
10. Dezember 2018
• Wenn kein Vorsorgeauftrag:• Umfang der Vertretung
– Deckung Unterhaltsbedarf– Ordentliche Einkommens- und
Vermögensverwaltung– Post-Oeffnung (Durchbrechung
Postgeheimnis)– Nicht: «ausserordentliche
Vermögensverwaltung», z.B. Verkauf einer Liegenschaft, Prozessführung etc.: Zustimmung KESB einholen!
BZ Emme 11
Gesetzliche Vertretung bei medizinischen Massnahmen
sog. Kaskadenordnung (Reihenfolge!)
Art. 378 ZGB
• Ehegatte/eingetragener Partner
• WG-Partner (Konkubinat)
• Nachkommen
• Eltern
• Geschwister
Notfall: Arzt/Aerztin!
10. Dezember 2018 BZ Emme 12
Differenzierte BeistandschaftArt. 390 ff ZGB / 381 ZGB
• Begleitbeistandschaft
• Mitwirkungsbeistandschaft
• Vertretungsbeistandschaft
• Kombinierte Beistandschaft
• umfassende Beistandschaft = frühere Vormundschaft: Entzug Handlungsfähigkeit
Fazit: niemand ist schutzlos! Jedoch: KESB hat grösseren Einfluss!
BZ Emme 10. Dezember 2018 13
Der richtige Zeitpunkt ?
Spare in der Zeit, so hast du in der Not….
Dies gilt auch für Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung. Folgende Aussagen sind nicht entscheidend:
• Ich bin jung
• Ich bin gesund
• Ich fahre vorsichtig
• Ich mache Sport, aber keinen Risikosport
10. Dezember 2018 BZ Emme 14
Lieber gestern als morgen
• Nicht nur für Senioren
– Unfall: Bewusstlos im Spital
– Hirnschlag / Herzinfarkt etc.
– Anti Baby Pille: Lähmung
• Demenz: Wie erkennt man den richtigen Zeitpunkt?
• Schwere Krankheit: ASL, Parkinson, MS……
10. Dezember 2018 BZ Emme 15
Gut Ding will Weile haben
• Wer aus den Hüften schiesst, schiesst daneben!
• Sich informieren
• Überlegen
• Besprechen
• Entwurf erstellen
• Nochmals darüber schlafen
• Erst dann: Dokument unterschreiben
10. Dezember 2018 BZ Emme 16
Vorsorgeauftrag: was ist das ?
Bestimmen einer Vertretungsperson
Vorsorgefall:
Verlust der Urteilsfähigkeit
10. Dezember 2018 BZ Emme 17
Wirksam erst nach Verlust der Urteilsfähigkeit, vorher keine Wirkung! Jederzeit widerruflich.
Art. 360 ff ZGB
Ziele des Vorsorgeauftrags
Selbstbestimmung. Neues Erwachsenenschutzrecht!. Vermeidung Beistandschaft
Sicherung Familie
Optionen Liegenschaft
Erhalt Unternehmung (KMU)
10. Dezember 2018 BZ Emme 18
Wer kann einen VA errichten?
BZ Emme 10. Dezember 2018 19
Handlungsfähigkeit
Urteilsfähigkeit
Volljährig
Nicht unter umfassender Beistandschaft
Wer kann beauftragt werden ?
▪ Natürliche Person (Mensch), auch mehrere!
▪ Juristische Person (z.B. Bank, Treuhandbüro etc.)
▪ Ersatzanordnung, falls der Vertreter ablehnt oder von KESB nicht akzeptiert wird.
▪ Aufteilung auf mehrere Personen möglich: genaue Abgrenzung der Kompetenzen!!!
10. Dezember 2018 BZ Emme 20
Gegenstand des Vorsorgeauftrags
Personensorge: Vertrauensperson (zB Suche nach einem guten Pflegeplatz; persönliche Post öffnen etc.)
Vermögenssorge: Einkommen / Vermögen; mit oder ohne konkrete Weisungen
Rechtsverkehr, z.B. Verkauf Liegenschaft, Aufnahme Hypothek, Mietvertrag, Arbeitsvertrag mit Spitex u.a. ermöglichen; Gesuche an Behörden, Beschwerden etc.
Umschreibung des Umfangs des Auftrags, allgemein oder detailliert?
Zwingend speziell erwähnen, sonst unzulässig: Liegenschaftsgeschäfte, Schenkungen, Bürgschaften
10. Dezember 2018 BZ Emme 21
Fakultative Detailanordnungen
• Ersatz-Vertretung• Substitutionsrecht• Konkrete Weisungen z.B.
– Anlagestrategie (keine Waffen, keine Atom oä),
– Lieferanten / Geschäftspartner– Verkauf der Liegenschaft (zB. zum
amtlichen Wert in der Familie o.ä), – Mitsprache weiterer Personen, – Befreiung von Amts- und
Berufsgeheimnis
• Entschädigung oder Unentgeltlichkeit ?
BZ Emme 10. Dezember 2018 22
Form Vorsorgeauftrag
• Form:– Eigenhändig von A bis Z (nur für einfache
Verhältnisse empfohlen)
– Oder: Notar
• Achtung: kein vorgedrucktes Formular (anders als Patientenverfügung)
• Vorlagen: Pro Senectute; «Beobachter»oder: www.e-vorsorgeauftrag.ch(Datenschutz?)
10. Dezember 2018 BZ Emme 23
Aufbewahrung Vorsorgeauftrag
Registrierung beim Zivilstandsamt mit Angabe Aufbewahrungsort.
KESB fragt dort an, bevor Beistandschaft errichtet wird!
Aufbewahrung evtl. bei Notar, Treuhandbüro o.ä. (nicht: Zivilstandsamt, dort nur Registrierung).
Wichtig: Dafür sorgen, dass VA gefunden wird! Sonst nützt er nichts. Keine gute Idee: Banktresor!
10. Dezember 2018 BZ Emme 24
Validierung VA durch KESB(erst im Vorsorgefall!)
- Urteilsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung
- Dauernde Urteilsunfähigkeit aktuell
- Formvorschriften
- Eignung der Vertretungsperson / Handlungsfähigkeit
- Interessenkollision
- Festlegen der Entschädigung, wenn VA keine Regelung enthält
• Weisungen, Inventurpflicht, Berichterstattung, wenn Gefährdung der Interessen des Schutzbefohlenen
10. Dezember 2018 BZ Emme 25
«Generalvollmacht» und
«Spezialvollmacht»
Entfällt, sobald Auftraggeber nicht mehr handlungsfähig (weil Widerrufsrecht nicht mehr gewährleistet ist)
Banken: eigene Formulare!
Geeignet für kurzfristige Abwesenheiten oder kurze Spitalaufenthalte
Hinweis: Viele Bewohner im Pflegeheim sind urteilsfähig, können also mit einer «normalen» Vollmacht handeln.
10. Dezember 2018 BZ Emme 26
Patientenverfügung:
• «Vorsorgeauftrag» im medizinischen Bereich.
• Kann in den Vorsorgeauftrag integriert werden (nicht empfohlen!).
10. Dezember 2018 BZ Emme 27
Informed Consent
Keine medizinische Behandlung ohne Zustimmung
Vorgängige Aufklärung über
– Diagnose
– Prognose
– Behandlungsmöglichkeiten
– Alternativen
– Chancen / Risiken (z.B. einer Operation)
BZ Emme 10. Dezember 2018 28
Unterschiede zum Vorsorgeauftrag
• Jede urteilsfähige Person (also auch Kinder, unter umfassender Beistandschaft stehende Personen, Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, wenn sie urteilsfähig sind)
• Form: auch Formular möglich
• Keine Validierung durch KESB; direkt anwendbar
BZ Emme 10. Dezember 2018 29
Patientenverfügung als Führungsinstrument
• Werthaltungen
• Zielsetzungen
Problematisch: konkrete Behandlungsvorgaben (z.B. welche Behandlungen, welche Operationen etc.)
10. Dezember 2018 BZ Emme 30
Beispiele Wertvorstellungen
• Möglichst alles tun, um Leben zu erhalten (z.B. junge Mutter)
• Keine künstlich Lebensverlängerung, wenn…..
• Wichtig ist mir:
– Kommunikationsfähigkeit
– Selbständige Körperbesorgung
– Selbständiges Wohnen, kein Pflegeheim
• Angst vor Schmerzen und Leiden vor Tod
BZ Emme 10. Dezember 2018 31
Inhalt der Patientenverfügung
Inhalte
• Bestimmen eines Patientenvertreters / einer Patientenvertreterin (nur natürliche Person), Abweichung von der Kaskadenordnung
• Anordnungen zu medizinischen Massnahmen (Zustimmung, Ablehnung eine Behandlung)
• Nebenanordnungen, z.B. Seelsorge, Benachrichtigung Angehörige, Sterbeort, Musik etc.)
BZ Emme 10. Dezember 2018 32
Beispiele für medizinische Anordnungen
• Verzicht auf Reanimation (wann? Achtung: keine Wahl-OPS, wenn Rea-Status negativ)
• Verzicht auf künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr (z.B. in der terminalen Phase)
• Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen, wenn das Lebensende so oder so naht und keine Aussicht auf Besserung besteht); Palliative Care statt weitere Therapieversuche
• Nie: «ich will keine Schläuche». Auch Palliative Care braucht Schläuche (Schmerzmittel!)
10. Dezember 2018 BZ Emme 33
Empfohlenes Vorgehen
• Mehrere Muster lesen und nebeneinander legen, zB DocuPass Pro Senectute oder spezielle Vorlagen bei bestimmten Krankheiten
• Herauspicken, was für mich wichtig ist
• Ziele und Wertvorstellungen unbedingt eigenhändig aufschreiben; lieber mit fehlerhaft stimmig als fehlerlos falsch
• Empfehlung: mit Arzt / Aerztin besprechen!
BZ Emme 10. Dezember 2018 34
Form der Patientenverfügung• Schriftlich• Formular zulässig (Datum, Unterschrift)
Die beste Vorlage ist keine Vorlage sondern die eigene Formulierung!
Gut:- Docupass Pro Senectute- PV Spital Thun-Simmental STSAG- Beobacher-Dossier «Ich bestimme»- Organisationen für spezielle Krankheiten
- Ausweis im Portemonnaie, gut auffindbar: «Meine Patientenverfügung liegt in der Küche, oberste Schublade rechts»)
BZ Emme 10. Dezember 2018 35
Aufbewahrung Patientenverfügung
• Anmeldung im elektronischen Patientendossier (in Planung); auf Versicherungskärtli der Krankenkasse (anfragen)
• Aufbewahrung möglichst an gut auffindbarem Ort! («Küchenschrank). Nie: Banktresor o.ä.
• Kleines Kärtli unbedingt im Portemonnaie mitführen vgl. docupass Pro Senectute
BZ Emme 10. Dezember 2018 36
Gültigkeit
• Ohne Genehmigung KESB anwendbar
• Verbindlich! Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Abweichung nur wenn Anzeichen, dass nicht mehr dem heutigen Willen entspricht (aber nie: «Arzt weiss es besser».
• Empfehlung: Überprüfung alle 2 Jahre, oder bei neuen Lebensumständen (Scheidung, Verwitwet, Erkrankung)
BZ Emme 10. Dezember 2018 37
Organspenderausweis
• Anordnung zur Organspende auch in Patientenverfügung möglich
• In CH gilt: Zustimmungslösung, nicht Widerspruchslösung
• Achtung: Vorbereitung der Organspende beginnt, wenn jemand noch lebt, nicht erst nach dem Tod!
• Neu: Nach Beschluss Therapieabbruch: Beginn der Organspende. (Früher: erst nach Eintritt Hirntod). Art. 10 rev. Transplantationsgesetz
• Neu: Organspende-Register auf www.swisstransplant.ch
10. Dezember 2018BZ Emme 38
Exkurs: Sterbehilfe - Suizidbeihilfe
• Aktive Sterbehilfe: verboten (auch: Tötung auf dringendes Verlangen!)
• Passive Sterbehilfe: erlaubt• Indirekt aktive Sterbehilfe (z.B. palliative
Sedation): erlaubt, gut dokumentieren !• Suizid: erlaubt, aber bei Versuch:
versicherungstechnische Nachteile• Suizidbeihilfe: verboten wenn selbstsüchtige
Motive, sonst erlaubt• Mitwirkung Aerzte ? SAMW; FMH
10. Dezember 2018 BZ Emme 39
Vorsorgen mit Lust
Vorsorgen ist
• Selbstbestimmung und Menschenwürde
• Anlass, über wichtige Dinge im Leben und Sterben nachzudenken
• Keine Verpflichtung, sondern ein Recht.BZ Emme 10. Dezember 2018 40
Folien und Info-Blatt
• Informationen über Vorsorgedokumente
• Muster-Vorsorgeauftrag (kann im 2. Teil besprochen werden)
• Mail: [email protected]
• Website: www.genna.ch
• Einzelfall-Beratung: www.jusonline.ch
10. Dezember 2018 BZ Emme 41