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Pragmatik III Implikatur Gerrit Kentner 14. Januar 2011 1 / 33

Pragmatik III - Implikatur - Goethe-Universität — …user.uni-frankfurt.de/~kentner/EinfLing/PragmatikIIIb.pdf ·  · 2011-01-13Was bisher geschah Pragmatik Deixis und Anapher

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Pragmatik IIIImplikatur

Gerrit Kentner

14. Januar 2011

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Was bisher geschah

� Pragmatik� Deixis und Anapher� Sprechakttheorie� Prasuppositionen� Heute: Implikatur

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Lekture

Meibauer et al. (2007). Einfuhrung in die germanistischeLinguistik. Metzler, Kap. VI

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Kurze Auffrischung: Prasuppositionen

Prasupposition:

Selbstverstandliche Sinnvoraussetzung sprachlicher Ausdrucke.Wenn die Prasupposition falsch ist, kann der Wahrheitswert einesSatzes nicht bestimmt werden (und hat daher u.U. keinen Sinn)(Strawson).

(1) Der derzeitige Konig von Frankreich ist kahlkopfig.

a. Es gibt einen derzeitigen Konig von Frankreich. [F]

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Kurze Auffrischung: Prasuppositionen

Prasuppositionsausloser:

Bestimmter Artikel (Kennzeichnungen), EigennameFaktive VerbenVerben der ZustandsveranderungIterationspartikelnFokuspartikeln...

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Pragmatik

� Satze werden von Personen mit Uberzeugungen, Wunschenund Absichten in konkreten Situationen geaussert.

� Satze sind an Personen mit Uberzeugungen, Wunschen undAbsichten in konkreten Situationen gerichtet.

� Satze stehen im Zusammenhang mit vorangehenden und nochfolgenden Ausserungen.

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Pragmatik

Pragmatik beschaftigt sich mit

a. den kontextabhangigen Aspekten der Bedeutung /Interpretation (i.Ggs. zur wortlichen Bedeutung)

b. den kommunikativen Funktionen, die sprachliche Ausserungenhaben.

c. strukturellen Aspekten von Texten und Gesprachen.

� linguistische Pragmatik � Theorie der Sprachhandlung inkonkreten Situationen

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Verhalten

-intentionalschlafenniesen

+intensional

Handeln

-partnerorientiertangeln

abwaschen

+partnerorientiert

Interaktion

-symbolischeinander

auf der Strasseausweichen

+symbolisch

Kommunikation

-verbalnicken, den Vogel zeigen

+verbaldiskutieren

nach Linke, Nussbaumer, Portmann (1996). Studienbuch Linguistik, Tubingen:

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Implikatur

Der Matrose torkelt wieder mal ubers Deck. Der Kapitan ist sauerund schreibt fur den Tag ins Logbuch:‘Der Matrose ist heute betrunken’.Den Matrosen argert das, ihm droht eine Abmahnung. Er will sichrachen und notiert fur den nachsten Tag ins Logbuch:‘Der Kapitan ist heute nicht betrunken.’

nach Posner 1979

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Implikatur

Da Logbucheintrage berichtenswerte, d.h. besondereVorkommnisse festhalten, legt der Matrose mit dem Eintrag

‘Der Kapitan ist heute nicht betrunken’

nahe, dass der Kapitan im Normalfall betrunken ist.Der Matrose verbalisiert nicht explizit, dass der Kapitan imNormalfall betrunken ist, sondern legt es durch den Eintrag nurnahe; er implikatiert diese Interpretation.

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Implikatur

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Prasupposition undImplikatur

Ebenso wie die Prasupposition ist die Implikatur etwas nichtexplizit gesagtes, Mitverstandenes.Anders als die Prasupposition ist die Implikatur keine notwendigeVoraussetzung zur Beurteilungs des Wahrheitswertes einer Aussage.

Prasupposition bleibt unter Negation stabil, Implikatur nicht.

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Implikatur

Prasupposition: Stabilitat unter Negation

(2) Der gegenwartige Konig von Frankreich ist (nicht)kahlkopfig.

prasupponiert: Es gibt einen gegenwartigen Konig vonFrankreich.

Implikatur: Verfallt unter Negation

(3) (Logbucheintrag:) Der Kapitan ist heute nuchtern.

implikatiert: Der Kapitan ist im Normalfall betrunken.

(4) (Logbucheintrag:) Der Kapitan ist heute nicht nuchtern.

implikatiert: Der Kapitan ist im Normalfall nuchtern.

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Implikatur

Noch eine Implikatur:Es ist Hochsommer. Ortsunkundige Person A hat sich beimWandern im Wald verirrt. An einer Weggabelung trifft A auf B undsagt:

A: ‘Ich habe einen Wahnsinnsdurst.’

B antwortet: ‘Nur 100m weiter ist die Waldschanke.’.

� B implikatiert (aber sagt nicht explizit): An der Waldschankekann A seinen Durst stillen.

� Also geht A davon aus, dass er seinen Durst in derWaldschanke stillen kann.

� Wieso eigentlich???

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

H. Paul Grice (1913–1988)

fasst Gesprach als kooperative Handlung auf.Teilnehmer folgen gewissen rationalen Prinzipien und Maximen,halten sich also an bestimmte Regeln.

KooperationsprinzipOrientiere Dich in jedem Beitrag an den Zwecken deslaufenden Gesprachs, so weit sie von den Teilnehmern geteiltwerden.

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Qualitat

(5) Obermaxime: Versuche, einen wahren Gesprachsbeitrag zumachen!

a. Sage nichts, was du fur falsch halst.b. Sage nichts, wofur du keine adaquate Evidenz hast.

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Qualitat (Versuche einen wahren Beitrag zu machen!)

Verletzung dieser Maxime durch:

� Luge

(6) A Wie kommt man von hier zum CampusBockenheim?

B (ortskundig) Nimm die U3 in Richtung Oberursel!

� Uninformiertheit

(7) A Wie kommt man von hier zum CampusBockenheim?

C (ortsunkundig und sich dessen bewusst) Nimm dieU3 in Richtung Oberursel!

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Quantitat

(8) a. Mache deinen Beitrag so informativ wie notig.b. Mache deinen Beitrag nicht informativer als notig.

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Quantitat

Verletzung dieser Maxime durch:

� zu wenig Information

(9) A Wie komme ich von hier zum CampusBockenheim?

B Indem du hinfahrst.

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Quantitat

Verletzung dieser Maxime durch:

� unangemessen viel Information

(10) A Wie komme ich von hier zum CampusBockenheim?

C Gehe hier aus dieser Tur und halte dich dann nichtrechts (also gehe nicht zur Rotunde, wo du einenKaffee trinken konntest), sondern gehe nach links, dieTreppe runter (ich glaube, es sind ungefahr 10Stufen). Auf der untersten Ebene angekommen,nimm eine der 3 Glasturen nach draussen, wobei duwissen musst, dass es einen Windfang gibt, der auchdie Pfortnerloge beherbergt, worauf eine weitereReihe Glasturen folgt....

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Relation

(11) Sei relevant! Liefere Information zum Thema

Verletzung dieser Maxime:

� (12) A Wie komme ich von hier zum CampusBockenheim?

B Der DAX stand gestern Mittag bei 7076,42Punkten.

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Art und Weise

(13) Obermaxime: Drucke dich deutlich aus!

a. Vermeide ungelaufige Ausdrucke!b. Vermeide Ambiguitaten!c. Fasse dich kurz (Vermeide unnotige

Weitschweifigkeit)! - s.a. Maxime der Quantitat.d. Gehe geordnet vor!

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Kooperationsprinzip und Koversationsmaximen

Maxime der Art und Weise

Regelmassiger Verstoss gegen UntermaximeVermeide ungelaufige Ausdrucke! in dieser Vorlesung!Warum ist das kein fatales Problem fur unsere Kommunikation?

Verstoss gegen Untermaxime Gehe geordnet vor! bei folgenderWegbeschreibung

(14) Steige am Campus Bockenheim aus dem Bus, nachdem duam Campus Westend in den 75er Bus gestiegen bist. DieHaltestelle zum 75er Bus am Campus Westend erreichstdu, indem du das Hauptgebaude uber den Haupteingangverlasst und geradeaus, der Menge folgend RichtungStrasse laufst. Mit dem 75er Bus fahrst du 6 Stationen...

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Erschliessen der Implikatur

(15) Schema zur Erschliessung einer konversationellenImplikatur (nach Meibauer et al. S. 219)

a. B hat gesagt, dass p.b. Man nimmt an, dass B kooperativ ist und die

Konversationsmaximen befolgt.c. Nur wenn B denkt, dass q, ist er kooperativ bzw.

folgt er den Maximen.d. B weiss, dass ich erkenne, dass die Annahme, dass er

q denkt, erforderlich ist, wenn er die Maximenbeachten will.

e. B tut nichts, um mich davon abzuhalten, zu glauben,dass q.

f. B beabsichtigt, dass ich glaube, dass q.g. Also implikatiert B konversationell, dass q.

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Erschliessen der Implikatur

(16) A Wieviel Geschwister hast Du?B Drei.

Implikatur: B hat nicht mehr als 3 Geschwister!

(Wenn er 4 Geschwister hatte, hatte er den Adressaten in die Irregefuhrt.)Wie kommt A auf die Implikatur?

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Erschliessen der Implikatur

(17) Schema zur Erschliessung einer konversationellen Implikatur

a. B hat gesagt, er habe 3 Geschwister.b. Man nimmt an, dass B kooperativ ist und die Konversationsmaximen

befolgt.c. Nur wenn B denkt, dass dass er nicht mehr als 3 Geschwister hat, ist

er kooperativ bzw. folgt er den Maximen.d. B weiss, dass ich erkenne, dass die Annahme, dass er nicht mehr als 3

Geschwister hat, erforderlich ist, wenn er die Maximen beachten will.e. B tut nichts, um mich davon abzuhalten, zu glauben, dass er nicht

mehr als 3 Geschwister hat.f. B beabsichtigt, dass ich glaube, dass er nicht mehr als 3 Geschwister

hat.g. Also implikatiert B konversationell, dass er nicht mehr als 3

Geschwister hat.

Welche Maxime wurde B verletzen, wenn die Implikatur falschware?

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Erschliessen der Implikatur

Ein ahnlicher Fall:

(18) A Wie erging es Harry vor Gericht?B Nun, er hat eine Geldstrafe bekommen.

Implikatur: Er hat keine Haftstrafe bekommen.

Wenn diese Implikation falsch ware und B das weiss, musste B dasauch deutlich machen. Ansonsten verstosst er gegen dasKooperationsprinzip und die Maxime der Quantitat.

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Arten von Implikaturen

Gesamtbedeutung

wortlicheBedeutung

Implikaturen

konventionelle konversationelle

generalisierte partikularisierte

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Arten von Implikaturen

Konventionelle Implikaturen: Basieren auf konventionellenBedeutungen sprachlicher Ausdrucke.

(19) Peter studiert Romanistik – folglich ist er musikalisch.

Implikatur: Sprecher ist der Ansicht, dass die Musikalitat sich ausder Tatsache ergibt, dass Peter Romanistik studiert.

Implikatur erzeugt durch die konventionellen Bedeutung vonfolglich.Ausserung (19) nicht falsch, wenn ein kausaler Zusammenhangzwischen Studienfach und Musikalitat nicht besteht, Peter abergleichwohl ein musikalischer Romanistikstudent ist.

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Arten von Implikaturen

Partikularisierte Implikaturen

Arbeitgeber H. ist aufgefordert, ein Gutachten uber seinenEx-Mitarbeiter B zu schreiben, der eine Stelle als Manager einesgrossen Aktienfonds antreten will. H schreibt:

B beherrscht das kleine Einmaleins perfekt und kam immerpunktlich in meine Sprechstunde.

Mit freundlichen Grussen, Ihr H.

H. scheint die Maxime der Quantitat und Relevanz zu verletzen.Schliesslich liefert er kaum Information daruber, inwiefern B furden neuen Posten einschlagig ist. Andererseits ist das, was dasGutachten implikatiert (namlich, dass der H. den B. fur ungeeignethalt), fur die Auswahlkommission sehr informativ!

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Arten von Implikaturen

Partikularisierte Implikaturen

Implikaturen, die sich aus Bedingungen des Ausserungskontextesergeben.Matrosenbeispiel, Waldschankenbeispiel

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Arten von Implikaturen

Generalisierte Implikaturen ergeben sich unabhangig vomAusserungskontext.

(20) Einige Dozenten kommen vorbereitet in ihre Seminare

+> Nicht alle Dozenten kommen vorbereitet in ihreSeminare.

Ausserdem: Geschwisterbeispiel

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Annulierbarkeit und Bekraftigbarkeit

(21) a. Paul hat 3, wenn nicht sogar 4 Geschwister.b. Paul hat 3 Geschwister und nicht mehr als 3.

(22) a. Einige, vielleicht sogar alle Dozenten kommenvorbereitet in ihre Seminare.

b. Einige Dozenten kommen vorbereitet in ihreSeminare, aber sicher nicht alle.

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Inhaltsbasiertheit

Implikaturen ergeben sich nicht aus der Wortwahl, sondern ausdem Inhalt des Gesagten.

(23) a. Ich glaube, dass es bald wieder regnet.b. Ich denke, es wird bald wieder regnen.+> Sprecher weiss nicht genau, ob es regnen wird

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Ironie

A und B stehen im stromenden Regen

(24) A: Schones Wetter heute!

Maxime der Qualitat verletzt. Die Verletzung ist fur denGesprachspartner offensichtlich. Es liegt daher fur B nahe, dass,wenn die Aussage offensichtlich falsch ist, das Gegenteil gemeintist.

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