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Polymedikation Jürgen Brockmöller Institut für Klinische Pharmakologie Universitätsmedizin Göttingen Kontakt: [email protected]

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Polymedikation

Jürgen BrockmöllerInstitut für Klinische PharmakologieUniversitätsmedizin Göttingen

Kontakt: [email protected]

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Polymedikation

Viele Themen

• Definitionen

• Therapie alter und gebrechlicher Menschen

• evidence based medicine

• Reduktion und Vereinfachung der Medikation

• Therapievereinbarungen und Adhärenz

• Verschreibungskaskaden

• Arzneimittelwechselwirkungen

J. Brockmöller: Polymedikation - Hannover 18.04.2015

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Definitionen

Polymedikation (englisch: polypharmacy) ist, wenn eine Patientin pro Tag

□ mindestens 3 unterschiedliche Medikamente einnimmt□ mindestens 5 unterschiedliche Medikamente einnimmt□ mindestens 7 unterschiedliche Medikamente einnimmt□ mindestens 10 unterschiedliche Medikamente einnimmt□ mindestens 15 unterschiedliche Medikamente einnimmt

?

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Zweifellos richtig ist:

Je mehr Medikamente ein Patient einnimmt,• umso häufiger sind Notfälle (Krankenhauseinweisungen) • umso früher stirbt sie oder er

Ja, aber: Korrelation und Kausalität sind zwei Dinge, es ist möglicherweise gar nichts falsch daran, wenn Sie einem Patienten 10 Medikament verordnen und dann sogar noch ein 11tes dazu

Ich las, Polymedikation sei, wenn ein Patient mehr als 5 Medikamente bekommt, aber gibt es irgendeine Vernunft hinter dieser Definition?

Nicht zu verwechseln mit Polypragmasie: Das ist allerdings, per definitionen, schlechte Praxis, viele Aktionen ohne klaren Fahrplan und ohne Konsequenz

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Ein Indikator unangemessener Polymedikation: Notfall-Krankenhausaufnahmen

Also: Gehen Sie bitte heute nicht nach Hause im Glauben, dass Sie auf jeden Fall etwas falsch machen, wenn Sie einer Patientin 10 Medikamente verordnen, das kann genau richtig sein.

Daten von 180.000 Britischen Patienten, British Journal of Clinical Pharmacology, 2014

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Nicht die Zahl definiert das ProblemAngemessene Polymedikation

Gut dokumentierte IndikationGut dokumentierte Wirksamkeit der MedikamenteFür Patienten relevante Wirkungen (bei optimistischer Schätzung der Lebenserwartung)

Unangemessene PolymedikationUnklare IndikationSchlecht verträgliche MedikamenteKeine zuverlässigen Belege für WirksamkeitVerschreibungskaskaden nicht erkanntRiskante Interaktionen

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Polymedikation und Alter

Arzneitherapie in hohem Alter

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Arzneitherapie in hohem Alter:

Nur Stichpunkte:

• bis 75(!) Jahren in Pharmakokinetik und Wirkungen oft kaum Unterschiede zum jungen Menschen

• Aber: Ab einem Alter über 75 Jahre oft vieles anders

• Biologisches Alter (gut durch den erfahrenen vom Anblick des Patienten zu schätzen) oft wichtiger als kalendarisches Alter

• Zahl der Erkrankungen oft wichtiger als kalendarisches Alter

• Besondere Situation: Gebrechliche Patienten, Geschätzte Lebenserwartung < 1 Jahr (das evtl. auch im Alter von 30)

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Noch wenig erforscht: Arzneitherapie gebrechlicher Patienten

Gebrechlichkeit, Vulnerabilität, Fragilität, engl. Frailty, ein Zustand, . der in wenigen Monaten mit dem Tode enden kann . den Patienten/Ärzte akzeptieren/müssen (unheilbare Erkrankungen)

. den wir in manchen Fällen umkehren könnten, wenn wir richtig und rechtzeitig eingreifen

. der – manchmal – teilweise – auch durch Medikation verursacht wird

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Zeit (Monate)

Adäquate/Inadäquate Therapie

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Reduktion und Vereinfachung der Medikation

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Ein BeispielFrau F, 85 J, Schenkelhalsfaktur, Koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz (III), Arthrose, Osteoporose, Depression, mild cognitive impairment

Medikament Dosierung

Ibuprofen 400 mg 1 – 1 – 1

Pantoprazol 20 mg 0 – 0 – 1

Amitriptylin 50 mg 0 – 0 – 1

Oxazepam 10 mg 0 – 0 – 1

Metoclopramid Bei Bedarf

Metoprolol ret. 100 mg 0 – 0 – 1

Torasemid 10 mg 1 – 0 – 0

Ramipril 2,5 mg 1 – 0 – 0

Isosorbidmononitrat 20 mg 1 – 1 – 0

Acetylsalizylsäure 100 mg 1 – 0 – 0

Simvastatin 20 mg 1 – 0 – 0

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Ein BeispielFrau F, 85 J, Schenkelhalsfaktur, Koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz (III), Arthrose, Osteoporose, Depression, Mild Cognitive Impairment

Medikament Dosierung

Ibuprofen 400 mg 1 – 1 – 1

Pantoprazol 20 mg 0 – 0 – 1

Amitriptylin 50 mg 0 – 0 – 1

Oxazepam 10 mg 0 – 0 – 1

Metoclopramid Bei Bedarf

Metoprolol ret. 100 mg 0 – 0 – 1

Torasemid 10 mg 1 – 0 – 0

Ramipril 2,5 mg 1 – 0 – 0

Isosorbidmononitrat 20 mg 1 – 1 – 0

Acetylsalizylsäure 100 mg 1 – 0 – 0

Simvastatin 20 mg 1 – 0 – 0

PIM Potentiell Inadäquate Medikamente

Fehler 1. Art:

ÜbertherapieUnnötige, unwirksame Medikamente

Fehler 2. Art:

Untertherapie,

Nach Leitlinien nötige Medikamente werden nicht verordnet

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Ein BeispielFrau F, 85 J, Schenkelhalsfaktur, Koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz (III), Arthrose, Osteoporose, Depression, Mild Cognitive Impairment

Medikament Dosierung

Ibuprofen 400 mg 1 – 1 – 1 Paracetamol oder Metamizol

Pantoprazol 20 mg 0 – 0 – 1 � Ohne NSAID evtl. entbehrlich

Amitriptylin 50 mg 0 – 0 – 1 PIM, Antidepressiva hier wirksam?

Oxazepam 10 mg 0 – 0 – 1 � Auslassversuch dringend!

Metoclopramid Bei Bedarf

Metoprolol ret. 100 mg 0 – 0 – 1

Torasemid 10 mg 1 – 0 – 0 Torasemid nötig? HCT ☺ bei Osteoporose

Ramipril 2,5 mg 1 – 0 – 0 Ramipril com. (+ HCT)

Isosorbidmononitrat 20 mg 1 – 1 – 0 Ohne Nutzen für Überleben

Acetylsalizylsäure 100 mg 1 – 0 – 0

Simvastatin 20 mg 1 – 0 – 0 Streichen, aber Lebenserwartung? ebm ?

Bisphosphonat

Vitamin D

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Was hat denn der Herr B. gegen das Ibuprofen einzuwenden?

Häufigste Nebenwirkungen, die zu Krankenhauseinweisung führten (UK 2004):1. NSAID 29,6%2. Diuretika 27,3%3. Warfarin/Phenprocoumon 10,5%4. …

Üble KombinationenNSAID + ACE-I + Diuretika (die teuflischen Drei)NSAID + Herzinsuffizienz (Krankenhauseinweisung)NSAID + AntikoagulantienNSAID + ASS + Antikoagulantien (die anderen teuflischen Drei)NSAID + Niereninsuffizienz eGFR < 60 NSAID + > 75 Jahre ohne PPI

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Und was hat Herr B. gegen das gute Amitriptylin?Therapie Kommentare

Traditionell: TrizyklischeAntidepressivaAmitriptylin, Doxepin, Trimipramin, …

Wirken so gut wie die neuen,auch in niedrigen Dosen, aber erheblich kardiale und kognitive NebenwirkungenIn D millionenfach verordnet: Aus Hilflosigkeit oder weiser Erfahrung der Ärzte?

Die spezifischerenCitalopram, Sertralin, Venlafaxin

1. Wahl nach Psychotherapie

Die „innovativen“ teurenEscitalopram, Duloxetin, Agomelatin

Wahrscheinlich nicht besser als die oben genannten – www.cochrane.org

Psychotherapie Wenn möglich: Mittel der Wahl bei leichter bis mittelschwerer Depression

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Und was spricht gegen Oxazepam?

Präambel:In wesentlichen Punkten sind alle Benzodiazepine (Lorazepam, Oxazepam, …) und die neueren Liganden am Benzodiazepinrezeptor (Zaleplon, Zopiclon…) gleich

J. Glass et al., Brit. Med. Journal 2005:

Number needed to treat,Verbesserung des Schlafes: 13

Number needed to harm(Kognitive Verschlechterung, Unfälle, …): 6

Nutzen-Risiko-Verhältnis: NegativAllerdings: Die Alternativen, Neuroleptika oder trizyklische Antidepressiva, sind in den hier relevanten Indikationen auch nicht viel besser

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Weitere potentiell unangemessene Medikamente

PRISCUS ListeSTOPP/START Liste

Lesenswert!

Allerdings • Schon jetzt oder bald in weiten Teilen überholt• Dosierungs-Modulationsmöglichkeit wenig berücksichtigt• Nicht in allen Punkten evidence based

• Vorgeschlagene Alternativen wirklich besser?• Wert, soweit mir bekannt, in keiner kontrollierten klinischen

Studien überprüft

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Inadäquate Polypharmazie reduzieren:medication appropriateness indexHanlon et al., J. Clin. Epidemiol. 1992, details egal, gern individuelle Varianten, aber offen, kritisch und sachkundig (z.B. www.cochrane.org) prüfen

# Frage

1 Indikation Tatsächlich gar nicht selten unklar oder Überrest aus Überstandenem

2 Effektivität (NNT)

3 Dosis adäquat

4 Praktikabilität (Patient soll erklären)

5 Interaktionen

6 Kontraindikationen (Begleiterkrankungen)

7 Duplizität

8 Behandlungsdauer (wirklich noch nötig)

9 Kosten (in Relation zum Nutzen und zu Alternativen)

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Prioritäten bei der Medikation: 2 Fragen

1. Was in der Regel nicht absetzen, damit Patient/in die nächsten Wochen und Monate ohne Schaden überlebt?

Für den ganzen Rest:

2. Wie effektiv ist das?Kennen Sie die NNT der Medikamente, die Sie täglich verordnen

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1. In der Regel nicht absetzensofern Sie die Folgen nicht genau kennen und kontrollieren können

Antibiotika (solange indiziert)

Insulin, T4, … (wenn wirklich Mangel besteht)

Parkinson-Medikamente (wenn nicht Medikamenten-induziert)

Digitalis

Antiepileptika

Amiodaron

Rheuma-Basistherapeutika

Antipsychotika

Antidepressiva

Lithium

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Wenn ich etwas streiche, dann das riskante oder das am wenigsten Effiziente

Number needed to treat1…….. Super! Das Medikament wirkt bei jedem!

2 ……. 2 Patienten nehmen es, bei einem wirkt es

5……

10……

50……

100…… 100 Patienten nehmen es, einer hat Nutzen davon

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NNT von 7: Pro Jahr ein Todesfall weniger bei schwerer Herzinsuffizienz wenn Therapie mit Betablocker + ACE-Hemmer + Spironolacton

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NNT von 40: Pro Jahr eine Wirbelfaktur weniger(Sekundärprävention) durch Alendronat (+ Calcium + Vitamin D)

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NNT von 100: Pro Jahr ein Infarkt oder Todesfall weniger Nach Herzinfarkt durch Acetylsalizylsäure < oder = 100 mg/Tag

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Indikation + Medikation NNT / Jahr

Moderate Herzinsuffizienz: ACE-I + Betablocker 15

Schwere Herzinsuffizienz: ACE-I + Betablocker + Spironolacton 7

Schlaganfall: Aspirin zur Sekundärprävention 100

Vorhofflimmern: Warfarin (Phenprocoumon) in Sekundärprävention 16

Hypertonie > 80 Jahre: Niedriges Risiko, med. Blutdrucksenkung 80

Hypertonie > 80 Jahre: Hohes Risiko, med. Blutdrucksenkung 32

Myokardinfarkt: Statine 80-170

Typ II Diabetes: Metformin 50

Osteoporose mit Fraktur: Alendronat + Calcium + Vitamin D 40

Ausgewählte Arzneitherapien, an deren Effizienz wenig Zweifel bestehen

Quelle: NHS Scotland Polypharmacy Guidance, October 2012J. Brockmöller: Polymedikation - Hannover 18.04.2015

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Wenn ein Patient schon 15 Medikamente bekommt…

Gerade dann:fehlt oft etwas

Kuijpers et al. Br. J. Clin. Pharmacol. 2007, 65: 130-133J. Brockmöller: Polymedikation - Hannover 18.04.2015

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Oft vergessen:

Nicht ein Medikament ist gut (oder schlecht), sondern der Kontext, in dem es verordnet wird.

Z.B. Betablocker sind bei Hypertonie oft eher 2. Wahl (unter anderem erhöhtes Schlaganfallrisiko

diskutiert), sind aber bei koronarer Herzerkrankung und Herzinsuffizienz mit das Beste, was Sie diesen

Patienten tun können.

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TherapievereinbarungenAdhärenz, compliance, …

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Ein Patient (60 Jahre) wird wegen therapierefraktärer Hypertonie in die universitäre Poliklinik überwiesen (RR beim Hausarzt 200/120; in der Universitäts-Poliklinik: 186/124 (6 Messungen), 24h-RR 206/126,

derzeitige Therapie:

Bisoprolol 2 x 10 mg (Maximaldosis 1 x 10 mg), Doxazosin 2 x 4 mg (Maximaldosis 16 mg), Indapamid 2 x 2,5 mg (Maximaldosis 1 x 2,5 mg), Lisinopril 2 x 20 mg (üblich sind 10 mg), Amlodipin 2 x 10 mg (üblich sind 2 x 5 mg), Urapidil 2 x 90 mg (Erhaltungsdosis 30-180 mg)

Was halten Sie von der Therapie? Wie gehen Sie vor?Dieser zeitlos gültige Fall wurde bereits 1996 im Deutschen Ärzteblatt diskutiert (1996; 93: A2548-52, gering aktualisiert).

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Viele von Ihnen werden es einmal erlebt haben:

Nach dem Tode eines Menschen finden sich etliche Schubladen

brechend voll mit den Medikamenten,

die er/sie verordnet bekommen hat

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Verstehen Sie das?

Ursachen:

Vorsätzliches NichtbefolgenPatient sieht Nutzen/Risiken der Medikamente einfach anders als die Ärztin

Versehentliches NichtbefolgenMissverständnisseVergessenDemenzPraktische Probleme…

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Es ist ein langer Weg zu mehr Adhärenz an die Therapievereinbarungen

• Notwendigkeit und Wirkung eines jeden Medikamentes vermitteln

• Klar gestaltete schriftliche Einnahmepläne• Spezielle Medikamentenpackungen/Einnahmehilfen,

elektronische Hilfen

• Tablettenzahl reduzieren (Tabletten mit mehreren Substanzen)• Möglichst nur 2 Dosierungszeiten: Morgens und Abends

• In eventuelle Therapieberatungen Patienten einbeziehen

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Strukturierte Therapieberatungen

z.B. das britische NO TEARS soll in < 10 Minuten möglich sein ☺☺☺☺

Pro Medikament:

Need: Indikation? Noch nötig? Alternativen?

Open: Fragen des Patienten zu dem Medikament

Tests: Klinisch, Labor, EKG, manchmal auch TDM …

Evidence: z.B. NNT

Adverse: Nach Nebenwirkungen fragen

Risk reduction: was tun gegen die Medikamentenrisiken

Simplification: Kombinationspräparate, unwichtiges weglassen

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Verschreibungskaskaden

… und plötzlich wurden aus einer Diagnose und einem Medikament dann vier Diagnosen und vier Medikamente

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Verschreibungskaskaden»Mein Sohn hat eine Maus verschluckt!« »So sagen Sie ihm, er möchte eine Katze

hinterher- schlucken!« verordnete der Doktor und legte sich wieder ins Bett

DigitalisDigoxin(Digitoxin)

Metoclopramid

L-Dopa +Madopar®

Clozapin

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Verschreibungskaskaden

DigitalisDigoxinDigitoxin

Metoclopramid

L-Dopa +Madopar®

Clozapin

Die Auflösung der Verschreibungskaskaden:

Absetzen

Aber:Manchmal

riskant

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CholinesterasehemmerDonepezil (Aricipt®)Rivastigmin (Exelon®)Galanthamin (Reminyl®)Memantin

AnticholinergikaWegen Inkontinzen als UAW: OxybutyninTolterodin…

Oder Antiemetika wie MetoclopramidAntidiarrhoica wie Loperamid

Pflegeheim

Demenz↑↑

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Polymedikation und Arzneimittel-InteraktionenEin unzertrennliches Paar

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Arzneimittel-Interaktionen: Da gibt es Datenbanken und vieles mehr, aber man muss das auch verstehen. Hier nur ein kurzer Anriss:

Pharmakokinetik - WechselwirkungenPharmakokinetik = Absorption, Verteilung, Metabolismus, Elimination

Die Absorptions-HemmerDie Hemmer (Inhibitoren von Metabolismus und Transport)

Die Stimulierer (Induktoren von Metabolismus und Transport)

Pharmakodynamik – WechselwirkungenPharmakodynamik: Alles was die Medikamente mit unserem Körper machen

Risiko ArrhythmieRisiko Magen-Darm-BlutungenRisiko lebensbedrohliche (Hirn)blutungRisiko Unfall und SturzRisiko Atemdepression/AtemstillstandRisiko Niereninsuffizienz

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Die Hemmerim Metabolismus

Cimetidin

Erythromycin, Clarithromycin

Ketokonazol, Itraconazol, …(CYP3A4)

Metronidazol

Ritonavir, Indinavir, … (CYP3A4)

Fluoxetin, Paroxetin (CYP2D6)

Trimethoprim-Sulfamethoxazol

Grapefruit-Saft (CYP3A4)J. Brockmöller: Polymedikation - Hannover 18.04.2015

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Die starken InduktorenRifampicin, Rifabutin (CYP2C, CYP3A, Transporter)

Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin(CYP2C, CYP3A)

Tabakrauch, Gegrilltes (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, CYP1A)

Johanniskraut (CYP3A, Transporter)

Da muss man aufwachenJ. Brockmöller: Polymedikation - Hannover 18.04.2015

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Polymedikation: Es ist ja oft schlimmer, als wir denken

•Wissen Sie – oder vermuten Sie – was Ihre Patientinnen in Selbstmedikation nehmen?

•Wissen Sie, was Ihre Patienten von KollegInnen verordnet bekommen?

Potentiell unangemessene Selbstmedikation

Schmerzmittel > 50% ���� Viele potentiell lebensgefährlich

Vitamin- u. Mineralstoffpräparate > 50% ���� Fast immer unnötig (schade um das Geld)

Pflanzliche Arzneimittel > 10% ���� Meist wenig Wirkung, aber Nebenwirkungen

Abführmittel > 5% ���� Oft unnötig, Interaktionen

Antazida, Magensäureblocker > 5% ���� Interaktionen, Nebenwirkungen

Homöopathische Medikamente > 5% ���� Glücklicherweise i.d.R. keine Interaktionen

J. Brockmöller: Polymedikation - Hannover 18.04.2015

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Polymedikation• Definitionen: Polymedikation kann absolut richtig sein

• Therapie alter und gebrechlicher Menschen: Besondere Bedingungen wenn > 75 Jahre und bei Gebrechlichen

• evidence based medicine: NNT < 100 ist meist ein guter

Grund, eine Therapie durchzuführen

• Reduktion und Vereinfachung der Medikation: Ansetzen bei Dopplungen, Riskantem, und Unwirksamen

• Therapievereinbarungen und Adhärenz: Gute Dokumentation und Kommunikation mit Patienten

• Verschreibungskaskaden: Nebenwirkungen erkennen und möglichst durch Absetzen der Ursache beseitigen

• Arzneimittelwechselwirkungen: Beachten. Das meiste relevante kann man in wenigen Stunden lernen

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Polymedikation

Beispiele wie Frau F, 85 J, Schenkelhalsfaktur, Koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz (NYHA III), Arthrose, Osteoporose, Depression, mild cognitive impairment

sind auch in der Literatur vielfach diskutiert, JAMA, August 10, 2005—Vol 294, No. 6

Empfehlenswert:PolypharmacyGuidance October 2012, NHS Scotlandhttp://www.central.knowledge.scot.nhs.uk/upload/Polypharmacy%20full%20guidance%20v2.pdf

Herzlichen Dank

für Ihre Aufmerksamkeit!

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