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Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen Thema des heutigen Vortrages sind eher nicht so häufig vorkommende Nervenläsionen. Die Inzidenz bei Unfallverletzten am Beispiel der oberen Extremitäten liegt bei 4 - 6 %. Etwa 1/4 davon sind iatrogen verursacht. Die Häufigkeit von Nervenläsionen steigt mit der Schwe- re der Verletzung. Die peripheren Nerven an der Extremität sind unterschiedlich häufig be- troffen. Am häufigsten liegen in der unfallchirurgischen Praxis vor Läsionen des Nervus radi- alis gefolgt von Schäden des Plexus brachialis sowie des Nervus ulnaris. Der erste Schritt zur erfolgreichen Behandlung einer Nervenläsion ist zunächst einmal die Äußerung des Verdachtes, dass eine solche vorliegen könnte. Die Untersuchung in der Situ- ation der Unfallambulanz gestaltet sich häufig schwierig. Der Patient steht häufig unter Schock, leidet unter starken Schmerzen, die betroffene Extremität ist geschwollen und fühlt sich taub an. Für eine systematische Prüfung beispielsweise der groben Kraft ist der Verletz- te in der Regel ebenfalls schlecht zu motivieren. Es ist daher für den erstbehandelnden Unfallarzt wesentlich hier eine gezielte Untersuchung vorzunehmen hinsichtlich bekannter Prädeliktionsstellen. Das Risiko für Nervenverletzungen ist allgemein dort hoch, wo der Nerv nah am Knochen verläuft, durch muskuläre oder binde- gewebige Engpässe verläuft und hier insbesondere nicht ausweichen kann. An der oberen Extremität ist hier beispielsweise zu nennen der Verlauf des Nervus radialis am Humerus oder aber auch die seltenere Schädigung des Medianusnerven mit Läsion des Nervus inte- rosseus anterior. Diese Störung wird häufig auch deshalb übersehen, da hier keinerlei Sen- sibilitätsstörungen auftreten. Für das Verständnis des Verlaufes einer Nervenschädigung ist es wichtig die verschiedenen Stadien der Degeneration und Regeneration zu kennen. Ein peripherer Nerv reagiert auf eine Verletzung im Prinzip gleichförmig. Unmittelbar nach der Läsion kommt es zum Zerfall der Markscheiden von der Verletzungsstelle an nach distal gerichtet. Wir nennen diesen Vorgang WALLER-Degeneration. Nach etwa 10 Tagen kommt es am Zielorgan zu einer Denervierungsatrophie. Es kommt zu einem Einwandern von Mi- kroglia und Makrophagen. Die Axone sprossen neu aus. Es kommt zu einer bandartigen An- ordnung der Schwann-Zellen. Im günstigen Fall kommt es zu einer Re-Neurotisation. In den Fällen, in denen eine Kontinuität nicht wieder hergestellt wird, bilden sich in der Regel soge- nannte Neurome, welche im Verlauf die bekannten Schwierigkeiten bereiten können. In der Literatur sind verschiedene Klassifikationssysteme für den Schweregrad der Nerven- läsionen gebräuchlich. Für das neurologische Fachgebiet wird in der Regel zurückgegriffen auf die Klassifikation von SEDDON. Hierbei bedeutet Neuroapraxie eine lediglich funktionelle Störung der Nervenweiterleitung, beispielsweise durch eine regionale Demyelinisierung oder sonstige Prozesse an der Nervenmembran (Ionenpumpen etc.). Bei der Axonotmesis kommt es zu einer Unterbrechung der Kontinuität des Nervens mit an- schließend eintretender Waller’scher Degeneration. Die endoneuralen Strukturen bleiben er- halten und der Nerv ist im Prinzip weiterhin regenerationsfähig. Während der Überbrü- ckungsphase wächst der Nerv etwa um 1/4 mm pro Tag, danach etwa 3 - 4 mm pro Tag. Als Mittelwert wird hier allgemein von einer Regenerationsstrecke von 1 mm pro Tag ausgegan- gen. Bei der Neurotmesis kommt es zu einer kompletten Unterbrechung der Kontinuität des Ner- ven. Es sind hier operative Maßnahmen unumgänglich. Hinsichtlich der operativen Optionen sind zu nennen:

Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Page 1: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen Thema des heutigen Vortrages sind eher nicht so häufig vorkommende Nervenläsionen. Die Inzidenz bei Unfallverletzten am Beispiel der oberen Extremitäten liegt bei 4 - 6 %. Etwa 1/4 davon sind iatrogen verursacht. Die Häufigkeit von Nervenläsionen steigt mit der Schwe-re der Verletzung. Die peripheren Nerven an der Extremität sind unterschiedlich häufig be-troffen. Am häufigsten liegen in der unfallchirurgischen Praxis vor Läsionen des Nervus radi-alis gefolgt von Schäden des Plexus brachialis sowie des Nervus ulnaris. Der erste Schritt zur erfolgreichen Behandlung einer Nervenläsion ist zunächst einmal die Äußerung des Verdachtes, dass eine solche vorliegen könnte. Die Untersuchung in der Situ-ation der Unfallambulanz gestaltet sich häufig schwierig. Der Patient steht häufig unter Schock, leidet unter starken Schmerzen, die betroffene Extremität ist geschwollen und fühlt sich taub an. Für eine systematische Prüfung beispielsweise der groben Kraft ist der Verletz-te in der Regel ebenfalls schlecht zu motivieren. Es ist daher für den erstbehandelnden Unfallarzt wesentlich hier eine gezielte Untersuchung vorzunehmen hinsichtlich bekannter Prädeliktionsstellen. Das Risiko für Nervenverletzungen ist allgemein dort hoch, wo der Nerv nah am Knochen verläuft, durch muskuläre oder binde-gewebige Engpässe verläuft und hier insbesondere nicht ausweichen kann. An der oberen Extremität ist hier beispielsweise zu nennen der Verlauf des Nervus radialis am Humerus oder aber auch die seltenere Schädigung des Medianusnerven mit Läsion des Nervus inte-rosseus anterior. Diese Störung wird häufig auch deshalb übersehen, da hier keinerlei Sen-sibilitätsstörungen auftreten. Für das Verständnis des Verlaufes einer Nervenschädigung ist es wichtig die verschiedenen Stadien der Degeneration und Regeneration zu kennen. Ein peripherer Nerv reagiert auf eine Verletzung im Prinzip gleichförmig. Unmittelbar nach der Läsion kommt es zum Zerfall der Markscheiden von der Verletzungsstelle an nach distal gerichtet. Wir nennen diesen Vorgang WALLER-Degeneration. Nach etwa 10 Tagen kommt es am Zielorgan zu einer Denervierungsatrophie. Es kommt zu einem Einwandern von Mi-kroglia und Makrophagen. Die Axone sprossen neu aus. Es kommt zu einer bandartigen An-ordnung der Schwann-Zellen. Im günstigen Fall kommt es zu einer Re-Neurotisation. In den Fällen, in denen eine Kontinuität nicht wieder hergestellt wird, bilden sich in der Regel soge-nannte Neurome, welche im Verlauf die bekannten Schwierigkeiten bereiten können. In der Literatur sind verschiedene Klassifikationssysteme für den Schweregrad der Nerven-läsionen gebräuchlich. Für das neurologische Fachgebiet wird in der Regel zurückgegriffen auf die Klassifikation von SEDDON. Hierbei bedeutet Neuroapraxie eine lediglich funktionelle Störung der Nervenweiterleitung, beispielsweise durch eine regionale Demyelinisierung oder sonstige Prozesse an der Nervenmembran (Ionenpumpen etc.). Bei der Axonotmesis kommt es zu einer Unterbrechung der Kontinuität des Nervens mit an-schließend eintretender Waller’scher Degeneration. Die endoneuralen Strukturen bleiben er-halten und der Nerv ist im Prinzip weiterhin regenerationsfähig. Während der Überbrü-ckungsphase wächst der Nerv etwa um 1/4 mm pro Tag, danach etwa 3 - 4 mm pro Tag. Als Mittelwert wird hier allgemein von einer Regenerationsstrecke von 1 mm pro Tag ausgegan-gen. Bei der Neurotmesis kommt es zu einer kompletten Unterbrechung der Kontinuität des Ner-ven. Es sind hier operative Maßnahmen unumgänglich. Hinsichtlich der operativen Optionen sind zu nennen:

U22hag
Textfeld
Powerpoint-Vortrag ab Seite 6
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Neuroraphie/-koaptation, Resektion und Transplantation, externe Neurolyse, intrafaszikuläre Neurolyse sowie nach Ablauf von maximal 18 Monaten (an der Extremität) Durchführung der bekannten Ersatzoperation (Muskelverlagerung). Bei der Diagnostik einer Nervenläsion spielt die klinisch-neurologische Untersuchung und Anamnese weiterhin eine führende Rolle. Die MRT-Untersuchung und sonographische Un-tersuchung des weiteren. Aus neurologischer Sicht wesentlich ist die elektrophysiologische Untersuchung, insbesondere auch hinsichtlich der Prognose der vorliegenden Nervenschä-digung. Zu den eher häufiger gesehenen Nervenläsionen zählt die Schädigung des Plexus cervi-cobrachialis. Es werden hier unterschieden offene vs. geschlossene Läsion, untere vs. obere Läsion, supraklavikulare vs. infraklavikulare Läsion sowie komplette vs. inkomplette Läsion. Insbesondere werden hier häufig sehr schwerwiegende geschlossene Verletzungen gesehen beim Typ der Avulsionsverletzung (Motorradunfall). Differentialdiagnostisch entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang die Frage nach dem Vorliegen eines Nervenwurzelausrisses. Positive Zeichen für das Vorliegen eines Ner-venwurzelausrisses sind blutiger Liquor, Rückenmarksyndrome, das Vorliegen eines HOR-NER-Syndroms (Beteiligung des Halssympaticus), eine erhaltene Schweißsekretion in anal-getischer Hautzone, im Myelogramm leere Wurzeltaschen sowie unter Umständen erhaltene sensible Nervenaktionspotentiale. Eine ebenfalls eher seltene Komplikation bei Verletzungen im Bereich des Schultergürtels ist die isolierte Läsion des Nervus thoracicus longus. Es kommt hierbei zu dem typischen Bild einer Flügelschulter bzw. Scapula alata. Zu berücksichtigen ist hier allerdings, dass auch bei anderen Nervenläsionen ähnliche motorische Ausfälle vorkommen. Auch bei Muskelerkran-kungen oder beispielsweise bei der neuralgischen Schulteramyotrophie können ähnliche Störungsbilder resultieren. Eine ebenfalls seltener gesehene Komplikation hinsichtlich des Nervus radialis ist das soge-nannte Supinatorsyndrom. Es kommt hierbei zu einer Kompression des Ramus profundus (Nervus radialis) im Bereich des vorderseitigen Unterarmes. Intraoperativ findet man bei et-wa 30 % der Erwachsenen eine sogenannte FROHSE-Arkade, ein bindegewebiges Band, welches sich zwischen den beiden Köpfen des Musculus spinator aufspannt. Die Schädi-gung kann, außer als Folge von Verletzungen, insbesondere auch durch repetitive Bewe-gungen beim Tennisspielen, Geigespielen etc. auftreten. Eine Sonderform stellt die nicht selten auftretende rein algetische Form dar. Es fehlen hier in der Regel neurologische Defizite. Die Schmerzen sind häufig sehr beeinträchtigend und be-ziehen sich auf den gesamten Unterarm und die Hand und sind nicht auf das autonome Ge-biet des Radialisnerven beschränkt. Nach der vorliegenden Literatur ergibt sich in ca. 85 % postoperativ eine Besserung. Eine ebenfalls seltener auftretende Läsion des Nervus medianus ist das sogenannte Interos-seus-anterior-Syndrom (Kiloh-Nevin-Syndrom). Es handelt sich hierbei um eine Neuropathie des distalen Medianusnerven am Vorderarm. Dieser Nerv innerviert nur die Flexoren des Daumens sowie den II. und III. Finger sowie den Musculus pronator quadratus. Der Patient kann bei Aufforderung mit Daumen und Zeigefin-ger „kein schönes O“ vormachen. Eine sensible Störung liegt bei diesem Nervenschaden in typischer Weise nicht vor. Wesentlich für die Diagnose und prognostische Vorhersagen ist weiterhin die elektrophysio-logische Diagnostik. Auf die Möglichkeiten der Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit bzw. auch für den Nachweis einer frischen neurogenen Schädigung oder auch der Beurtei-

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lung einer stattfindenden Reinnervation der neurogen geschädigten Muskulatur sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. Bei der Abschätzung des Regenerationstempos eines verletzten Nerven hilfreich ist das so-genannte Hoffmann-Tinel-Zeichen (allerdings keinesfalls beweisend), des weiteren die Kraft-prüfung der Kennmuskulatur. Klinisch-neurologisch untersuchbar ist des weiteren die Wie-derkehr der Empfindungsqualitäten, wobei hier eine Rückkehr der Funktion in der Reihenfol-ge Schmerz vor Temperatur vor Berührung häufig ist. Hinsichtlich der bildgebenden Verfahren bei Läsionen peripherer Nerven ist zunächst die Aussage zu treffen, dass diese bei hoher Sensibilität nach wie vor eine geringe Spezifität haben. Nachgewiesen werden können im MRT insbesondere Veränderungen in den umge-benden Weichteilstrukturen sowie auch Veränderungen in der denervierten Muskulatur. Es kommt hier in den entsprechenden STIR-Sequenzen zu typischen Aufhellungen der betrof-fenen Muskulatur. Die direkten Darstellungsmöglichkeiten geschädigter Nerven sind demgegenüber aufgrund der gegenwärtig zur Verfügung stehenden technischen Optionen noch weniger zufriedenstel-lend. Immerhin gelingt es beispielsweise in Tierversuchen durch Markierung mit Kontrastmit-tel beispielsweise den durchtrennten Ischiadicusnerv einer Ratte in seinem Verlauf darzustel-len. Auch die sogenannte WALLER-Degeneration ist beispielsweise durch Markierung von Makrophagen mittels supraparamagnetischer Eisenoxyde im Tierversuch (Untersuchungen von Bendszus et al) zumindest im experimentellen Stadium möglich. Gewisse diagnostische Möglichkeiten ergeben sich auch bei der Ultraschalldiagnostik peri-pherer Nerven, wobei hier mit Hilfe hochauflösender Sonden (13 MHz-Sonde) globale Ein-schätzungen, etwa zum Vorliegen eines Neuroms oder aber einer narbigen Einschnürung nervaler Strukturen, möglich sind. Differentialdiagnostisch in Erwägung zu ziehen ist bei plötzlich auftretenden Nervenausfällen auch die entzündliche Variante im Sinne einer neuralgischen Schulteramyotrophie (PARSO-NAGE-TURNER-Syndrom). Die Epidemiologie dieser Störung liegt bei 1,64 auf 100.000 (Zahlen aus den USA). Die Ätiologie ist ungeklärt, es wird ein Imunprozess angenommen, welcher sich gegen Nervengewebe, insbesondere im Bereich des Plexus cervicobrachialis, richtet. Die Klinik besteht in Form von heftigsten Schmerzen im Schulter-Oberarm-Bereich. Es ist meist der obere Plexusbereich betroffen, in 30 % kommt die Störung auch beidseits vor. Beweisend ist im EMG der Nachweis einer axonalen Läsion ohne wesentliche Mark-scheidenschädigung. Hinsichtlich der Prognose ist in etwa 90 % von einer weitestgehenden Remission auszugehen. Bezüglich der nach Einschätzung des Berichterstatters zu häufig gestellten Diagnose eines Thoracic-outlet-Syndroms ist neben der üblicherweise vorfindbaren Beteiligung des unteren Primärstranges mit Sensibilitätsstörungen und motorischen Ausfällen im Bereich der Wurzeln C8 und Th1 insbesondere auch eine vaskuläre Form bekannt mit Kompression der Arteria subclavia bei Elevation des Armes. Beweisend ist hier letztlich lediglich die angiographische Untersuchung in Funktionsstellung. Die üblichen klinischen Provokationsmanöver, z.B. AD-SON-Manöver, sind unzuverlässig. Auch die radiologische Untersuchung, etwa nach dem Vorliegen einer Halsrippe, muß den Umstand berücksichtigen, dass eine Halsrippe etwa bei bis zu 1 % der Bevölkerung ohne weitergehende pathologische Bedeutung gefunden wird. Eine Nervenstörung im Bereich der unteren Extremität, welche differentialdiagnostisch häufig Probleme machen kann, ist das Kompressionssyndrom des Nervus cutaneus femoris latera-lis (Meralgia paraesthetica). Der Nerv verläuft am Leistenband in einer physiologischen En-ge, umgeben von knöchernen und fibrösen Strukturen. Im Rahmen der Evolution zum Zwei-beiner ist es im Bereich der Leistenstrukturen bezüglich dieses Nerven zu einer ungünstigen Verlaufsrichtung gekommen. Betroffen sind meistens Erkrankte im Erwachsenenalter, Män-

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ner 3mal häufiger als Frauen. Bei etwa 10 % der Betroffenen tritt die Störung beidseitig auf. Klinisch ist das Syndrom gekennzeichnet durch äußerst unangenehme Parästhesien an der Vorder-/Außenseite des Oberschenkels. Das umgekehrte Zeichen nach LASEGUE ist oft positiv, eine Entlastung oder Besserung der Beschwerden ist in der Regel durch Anbeugen in der Hüfte zu erreichen. Bezüglich der Prognose ist festzuhalten, dass in etwa 25 % eine spontane Remission eintritt. In anderen Fällen sind die Beschwerden anhaltend, wobei allerdings auch hier häufig das Ausmaß der Parästhesien abnimmt und an deren Stelle ein Taubheitsgefühl verbleibt. Nur selten ist eine OP-Indikation gegeben, wobei hier sowohl eine Neurolyse als auch eine Re-sektion möglich sind. Eine diagnostisch häufig ebenfalls schwer einzuordnende Störung an der unteren Extremität ist das sogenannte Tarsaltunnel-Syndrom. Es hier zu unterscheiden ein vorderes von einem hinteren Tarsaltunnel-Syndrom sowie hinsichtlich des hinteren Tarsaltunnels eine obere und eine untere Form. Bei dem hinteren Tarsaltunnel-Syndrom im Bereich des Innenknöchels ist häufig eine operative Maßnahme indiziert mit Spaltung des Retinaculum musculi flexorum (RMF). Häufig kommen hierbei gestaute Gefäße (Vena tibialis posterior) zur Darstellung, der Nerv selbst entzieht sich häufig auch intraoperativ einem direkten Zugang. Ein operativen Vorge-hen sollte möglichst rasch nach Diagnosestellung erfolgen, da ansonsten eine rasche Ent-wicklung des nur noch teilweise reversiblen Störungsbildes resultiert mit Atrophie der Fuß-sohlenmuskulatur, Zehendeformität sowie Schweißsekretionsstörungen und hyperpathischen Störungen im Bereich der Fußsohle. Zur differentialdiagnostischen Abklärung neuropathischer Schmerzen vs. dem sogenannten Morbus SUDECK (CRPS I) kann benannt werden: Eine Schädigung des Nervensystems ist Voraussetzung. Zeichen einer Nervenverletzung liegen vor, wie Taubheitsgefühle, Lähmungen, Reflexab-schwächung, trophische Störungen. Charakteristisch, aber nicht spezifisch sind: a) Allodynie, d.h. primär nicht schmerzhafte Reize führen zu Schmerzen. b) Hyperpathie, d.h. schmerzhafte Reize werden verstärkt wahrgenommen. Hinsichtlich der Schmerzsyndrome lassen sich bei der peripheren Nervenläsion folgende Störungen abgrenzen: - Schmerzhafte Neurome. - Territoriale Schmerzen. - Deafferentierungsschmerzen (z.B. Phantomschmerz). - CRPS II (Kausalgie). Differentialdiagnostisch ist bei den genannten Störungsbildern immer auch an das Vorliegen einer sogenannten somatoformen Schmerzstörung zu denken, welche diese Störungsbilder imitieren kann. Auch ist die Befundkonstellation, bei der es nach ursprünglichem Vorliegen einer organischen Nervenläsion im weiteren Verlauf dann zu einer eher somatoformen Stö-rung kommt ist durchaus nicht selten vorfindbar. Hinsichtlich der sogenannten Kausalgie, also dem chronisch-regionalen Schmerzsyndrom vom Typ II, lassen sich abgrenzen: Autonome Störungen (generalisierte Schwellung, zu warme oder zu kalte Extremität, verän-dertes Schwitzen, Hypertrichose). Motorische Störungen (eingeschränkte Beweglichkeit, Verminderung der groben Kraft, Tre-mor) und Sensibilitätsstörungen (Spontanschmerz, gestörtes Hautschmerzempfinden, gestörtes Be-rührungsempfinden, Bewegungs- und Belastungsschmerz).

Page 5: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

Die Störung ist vom sogenannten Sudeck-Syndrom insbesondere abzugrenzen durch das Vorliegen einer initial stattgehabten Nervenschädigung. Zusammenfassend kann somit hinsichtlich der angesprochenen Themengebiete folgendes Fazit gezogen werden: Läsionen peripherer Nerven sind häufig. In vielen Fällen bestimmen sie die langfristige Prognose. Fortschritte in der Bildgebung werden die Behandlung peripherer Nervenläsionen nachhaltig beeinflussen. Die erfolgreiche Behandlung setzt das enge Zusammenwirken von Unfall-/Handchirurgen sowie Neurologen und Therapeuten voraus. Die Behandlung ist häufig erheblich kompliziert durch komplexe regionale und durch funktio-nelle Schmerzsyndrome. Dr. E. Hampel Arzt für Neurologie/Psychiatrie Dipl.-Psychologe

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Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

E. HampelBUK-Hamburg

NeurotraumatologischesZentrum

Nervenläsionen der oberen Extremität

• Inzidenz bei Unfallverletzten 4 – 6 %

• Ca. ¼ davon iatrogen verursacht

• Häufigkeit von Nervenläsionen steigt mit Schwere der Verletzung

• Häufigkeit : N. radialis > Plexus brachialis > N. ulnaris

Page 7: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

2

Nervenläsionen der Extremitäten

TraumatischeNervenläsionen

Anatomische Schwachstellen

Nervenläsionen der Extremität

Stadien der Degenerationund der Regeneration

WALLER-Degeneration

Denervierung 10-21 Tage

Proliferation Schwann-Zellen

Page 8: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

3

Nervenläsionen der Extremität

Kategorien:Schweregrad Seddon Sunderland Millesi

Neurapraxie Grad I A

Grad II

Axonotmesis Grad III B

Grad IV

Neurotmesis Grad V C

Regeneration:

¼ bis 4mm/d.

Nervenläsionen der oberen Extremität

• Neuroraphie/Koaptation

• Resektion/Transplantation

• Externe Neurolyse

• Interfaszikuläre Neurolyse

• Muskelverlagerung (Ersatzoperationen)

Therapie operativ

Page 9: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Nervenläsionen der Extremität

TraumatischeNervenläsionen Diagnostik

• Klinische neurologische Untersuchung

• Bildgebung (MRT/Sonographie)

• Elektrophysiologie (EMG/NLG)

Nervenläsionen der Extremität

Page 10: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

5

Nervenläsionen der oberen ExtremitätPlexus brachialis

offen – geschlossen

untere – obere

supraklavikulär – infraklavikulär

komplett - inkomplett

Typisch:

Avulsiuonsverletzung

Nervenläsionen der oberen ExtremitätPlexus brachialis

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Nervenläsionen der oberen Extremität

Plexus brachialisPositive Zeichen eines Nervenwurzelausrisses:

•blutiger Liquor

•Rückenmarkssyndrome

•Horner-Syndrom

•Erhaltene Schweißsekretion in analgetischer Hautzone

•Im Myelogramm leere Wurzeltaschen

•Erhaltene sensible Nervenaktionspotentiale

Nervenläsionen der oberen Extremität

N. thoracicus longus

Page 12: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Supinatorsyndrom

Arkade von FROHSE

N. Radialis R. profundus

Nervenläsionen der oberen Extremität

N. radialis

Supinatorloge:„algetische“ Form

Page 13: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Nervenläsionen der oberen ExtremitätN. medianus

Akutes KTS

Interosseus anteriorSyndromKILOH-NEVIN

hohe N. medianus-läsion

N. interosseus anterior

N. MEDIANUS

Page 14: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Elektrophysiologische Diagnostik

TraumatischeNervenläsionen

Nervenleitgeschwindigkeit

Amplitudenreduktion: Leitungsblock

Nervenläsionen der Extremität

• Pathologische

Spontanaktivität

• Muskelaktions-

potentiale

• Interferenzmuster

Elektromyographie

Page 15: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Nervenläsionen der Extremität

• Pathologische

Spontanaktivität

• Muskelaktions-

potentiale

• Interferenzmuster

Elektromyographie

Nervenläsionen der Extremität

• Hoffmann-Tinel-Zeichen• Kraftprüfungen der Kennmuskeln• Wiederkehr der Empfindungsqualitäten

(Schmerz > Temperatur >Berührung)

• Neurophysiologische Funktionsuntersuchungen im Abstand von 6-8 Wochen

Abschätzung des Regenerationstempos:

Page 16: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Bildgebende Verfahren

• Hohe Sensitivität, geringe Spezifität bei Darstellung von Nervenläsionen

• Veränderungen im umgebenden Weichteilgewebe

• Veränderungen in der denervierten Muskulatur

MRT

Nervenläsionen der oberen Extremität

Bendszus et al.

Page 17: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Nervenläsionen der ExtremitätBildgebung (MRT)

Gadofluorin M Superparamagnetische Eisenoxide(Markierte Makrophagen)

Bendszus et al.

N. Ischiadicus(Ratte)

Nervenläsionen der oberen Extremität

Sonographie

1. Neurom 2. narbige Einschnürung

Page 18: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Neuralgische SchulteramyotrophiePARSONAGE-TURNER-Syndrom

• Epidemiologie: 1,64 auf 100 000 (USA)• Ätiologie: ist ungeklärt (Immunprozess)

• Klinik: heftigste Schmerzen Schulter/OA, meist oberer Plexusbereich, in 30% auch Gegenseite.

• EMG: axonale Läsion• Prognose: 90% Remission

Nervenläsionen der oberen ExtremitätThoracic outlet syndrome

Unterer Primärstrang

Halsrippe

ADSON-Test

SEP

Page 19: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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TOS

Arteria subclavia

PANCOAST-Syndrom

HORNER rechts

und

Atrophie Handmuskulatur

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Meralgia Paraesthetica

N. cutaneus femoris lateralis

Meralgiaparaesthetica

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Tarsaltunnel-Syndrom

„Hockeyschläger“Schnittführung

Tibialisläsion

Page 22: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Tarsaltunnel (hinterer)

Retinaculum musculi flexorum (RMF)

Tarsaltunnel-Spaltung des RMF

V. Tibialis posterior /N. tibialis posterior

Page 23: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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Wann sind Schmerzen neuropathisch ?

• Schädigung des Nervensystems Voraussetzung !

• Zeichen einer Nervenverletzung liegen vor: Taubheits-gefühle, Lähmungen, Reflexabschwächungen, trophische Störungen

charakteristisch, aber nicht spezifisch:

• Allodynie: primär nicht schmerzhafte Reize führen zu Schmerzen

• Hyperpathie: schmerzhafte Reize werden verstärkt wahrgenommen

Nervenläsionen der Extremität

„Flaschenzeichen“ N. MEDIANUS

Page 24: Periphere Nervenläsionen und funktionelle Auswirkungen

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„Froment-Zeichen“ N. ULNARIS

Periphere Nervenläsionen

• schmerzhafte Neurome

• territoriale neuropathische

Schmerzen

• Deafferenzierungschmerz

(Phantomschmerz)

• CRPS II (Kausalgie)

• DD: Somatoforme Schmerzstörung

Schmerzsyndrome

TraumatischeNervenläsionen

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Somatoforme Störung (ICD 10 F45)

• Psychogene Störungen• Funktionelle Störungen• Vegetative Dystonie• Allgemeines psychosomatisches Syndrom• Konversionshysterie, Briquet-Hysterie• Psychische Überlagerung

Schmerzsyndrome

Kausalgie(CRPS Typ II)

Autonome Störungen•generalisierte Schwellung•zu warme/zu kalte Extremität•verändertes Schwitzen•Hypertrichiose

Motorische Störungen•Eingeschränkte Beweglichkeit•Minderung der groben Kraft•Tremor

Sensible Störungen•Spontanschmerz (u.U. mit Orthostaseverstärkung)•gestörtes Hautschmerzempfinden (Hyp/Hyperalgesie)•Gestörtes Berührungsempfinden (Hyp/Hyperästhesie)•Bewegungs-/Belastungsschmerz mit/ohne Ausstrahlung

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Nervenläsionen

• Läsionen peripherer Nerven sind häufig• In vielen Fällen bestimmen sie die langfristige Prognose• Fortschritte in der Bildgebung werden die Behandlung

peripherer Nervenläsionen nachhaltig beeinflussen• Die erfolgreiche Behandlung setzt das enge

Zusammenwirken von Unfall-/Neuro-/Handchirurgen, Neurologen und Therapeuten voraus

• Die Behandlung ist häufig erheblich kompliziert durch komplexe regionale und durch funktionelle Schmerzsyndrome.

Fazit: