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weiterer Artikel
Die Computer-Analogie
Neuroanatomische Vernetzung des Kraniomandibulren Systems
mit anderen Krpersystemen
von Erich Whr
Juli 2004, berarbeitet im Juni 2017
Das Kraniomandibulre System ist hochkomplex vernetzt mit
anderen Krpersystemen. Es besteht deshalb die Notwendigkeit
systemischen Denkens, Entscheidens und Handelns in der Zahn-
medizin (und in der Medizin): Einflsse des Kraniomandibulren
Systems auf andere Krpersysteme mssen bei systemischen
Krankheitsbildern bercksichtigt werden. Und umgekehrt: Einflsse
von anderen Krpersystemen auf das Kraniomandibulre System
mssen bei zahnrztlichen Indikationen bercksichtigt werden. In
diesem Artikel wird die neuroanatomische Vernetzung des
Kraniomandibulren Systems beschrieben. Wir gehen dabei nicht ins
Detail, sondern bleiben bewusst unscharf und konzentrieren uns auf
den berblick: Dieser Blickwinkel ist mehr synthetisch als
analytisch. Fr die Beschreibung der faszialen bzw. bindegewebigen
Vernetzung des Kraniomandibulren Systems gibt es einen eigenen
Artikel: Vernetzung des Kraniomandibulren Systems mit anderen
Krpersystemen ber das Fasziensystem.
Zur Erklrung und Beschreibung der komplexen neuroanatomischen
und neurofunktionellen Vernetzungen im biologischen System
Mensch nutzen wir die Funktion eines Computers als verein-
fachende Analogie. Das Nervensystem und seine einzelnen Teile
funktionieren wie Computer und Computer-Netzwerke: Sie bekom-
men ber ihre afferenten Nerven Input von Sensoren, bewerten
diesen Input in ihren zentralen Kernen und geben dann ber ihre
efferenten Nerven Output zur Steuerung ihrer Erfolgsorgane. Dieses
Funktionsprinzip gilt in verschiedenen Ausprgungen berall im
Nervensystem: Im Bereich der Sinnessysteme, der senso-
motorischen Systeme und der viszeral-peripheren Systeme [18].
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Das Kraniomandibulre System wird hauptschlich durch den
Nervus trigeminus versorgt. Auch der Nervus trigeminus funk-
tioniert wie ein Computer: Seine sensiblen Kerne bekommen Input
ber seine afferenten Nervenfasern vor allem aus dem Zahn-
halteapparat, der Kaumuskulatur und den Kiefergelenkkapseln.
Auffllig ist die Ausdehnung der insgesamt drei sensiblen Kerne [9]:
Sie reichen vom Mittelhirn bis ins zweite Zervikalmarksegment
(Abb. 1). Dort werden die Input-Informationen bewertet. Schlielich
werden ber den motorischen Kern des Nervus trigeminus und seine
motorischen Nervenfasern die Kaumuskeln sowie Teile der Zungen-
und Mundbodenmuskulatur gesteuert.
Noch immer wird in weiten Kreisen der Zahnmedizin dieses System
als in sich geschlossen und unabhngig angesehen. Entsprechend
fokussieren Methoden und Techniken der funktionellen Diagnostik
und Therapie des Kraniomandibulren Systems auf die Okklusion,
die Kaumuskulatur oder das Kiefergelenk. Aber der Trigeminus-
Computer funktioniert alles andere als isoliert von anderen
Computern des Nervensystems.
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Neuroanatomie
des N. trigeminus
Nervus trigeminus
Der N. trigeminus funktioniert
nicht als in sich geschlossenes
System!
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Schon in den 80er Jahren wurde erkannt, dass psychische Einflsse
fr die Funktion des Nervus trigeminus eine groe Rolle zu spielen
scheinen [7]. Besonders offensichtlich sind diese Einflsse beim
Phnomen des Bruxismus: Psychoemotionaler Stress gibt aus dem
Limbischen System Input auf den motorischen Kern des Nervus
trigeminus und veranlasst die Kaumuskulatur zu Knirschen und
Pressen mit den Zhnen. Das kann auf Dauer zu chronischer
Hypertonizitt der Kaumuskeln mit schmerzhaften Verspannungen
und Formstrungen der Kiefergelenke, der Zahnhartsubstanz und des
Zahnhalteapparats fhren (Abb. 1).
Aber die Einflsse von anderen Teilen des Nervensystems auf den
Nervus trigeminus gehen ber die psychischen Einflsse aus dem
Limbischen System hinaus. In Abbildung 2 sind die bisher
bekannten Vernetzungen des Nervus trigeminus schematisch
dargestellt. Demnach soll der Nervus trigeminus derjenige
sensomotorische Nerv im menschlichen Krper sein, der die meisten
synaptischen Verbindungen mit anderen Krpernerven hat [16, 21].
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Vernetzungen
des N. trigeminus
Besonders auffllig sind dabei die Verbindungen zu bei- und
bergeordneten Nervenzentren, die mit der Regulierung der
Einfluss der Psyche auf den
N. trigeminus
Neuroanatomische Vernetzungen
des N. trigeminus
TrigeminothalamischeProjektion
Nucleusmesencephalicus
Nucleusmotoricus
SensorischerHauptkern
Nucleusspinalis
nach Parent, A.: Carpenters Neuroanatomy,9th Edition, William & Wilkins 1996
OkulomotorenObere Molaren(Meyer 1977)
NackenmuskulaturUntere Molaren
(Meyer 1977)
Reflexverbindungen- Trnenfluss
(Nucl. salivatorius)- Niesreflex
(Atmungszentren)- Erbrechen-Reflex
(N. vagus)- Zungen-Reflexe
(N. hypoglossus)
TrigeminocerebellareProjektion
Cortico-bulbreFasern
Verbindungen zuanderen Hirnnerven N. oculomotorius N. trochlearis N. abducens N. facialis N. glossopharyngeus N. vagus N. accessorius N. hypoglossus
TrigeminothalamischeProjektion
Nucleusmesencephalicus
Nucleusmotoricus
SensorischerHauptkern
Nucleusspinalis
nach Parent, A.: Carpenters Neuroanatomy,9th Edition, William & Wilkins 1996
OkulomotorenObere Molaren(Meyer 1977)
NackenmuskulaturUntere Molaren
(Meyer 1977)
Reflexverbindungen- Trnenfluss
(Nucl. salivatorius)- Niesreflex
(Atmungszentren)- Erbrechen-Reflex
(N. vagus)- Zungen-Reflexe
(N. hypoglossus)
TrigeminocerebellareProjektion
Cortico-bulbreFasern
Verbindungen zuanderen Hirnnerven N. oculomotorius N. trochlearis N. abducens N. facialis N. glossopharyngeus N. vagus N. accessorius N. hypoglossus
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Krperhaltung und des Gleichgewichts zu tun haben: Kleinhirn,
Nackenmuskulatur, Okulomotoren und Innenohr.
Was fr den Nervus trigeminus im Kopfbereich gilt, ist ebenso
richtig fr jedes einzelne Rckenmarkssegment im Bereich der
Wirbelsule: In jedem Segment sitzt ein neuraler Computer, der
seinen Input durch afferente Fasern aus der Sttz- und Bewegungs-
muskulatur, aus den Sehnen und Gelenkkapseln, aus den inneren
Organen, aus der Haut und aus den Knochen erhlt. Diese
Informationen werden bewertet, und efferente Fasern geben die
entsprechenden Steuerimpulse dann an die Erfolgsorgane zurck
bzw. weiter (Abb. 3).
Abbildung 3: Segmentale Vernetzung im Rckenmark (aus [1])
Auch diese Rckenmark-Computer arbeiten nicht isoliert
voneinander. Bereits im Rckenmark existieren Verschaltungen mit
den darber und darunter liegenden Segmenten. Darber hinaus
bestehen aus jedem Rckenmarksegment Verbindungen zu den
bergeordneten Zentren im Gehirn. Es werden sowohl Informationen
an diese Zentren weitergeleitet als auch Steuerbefehle von diesen
Zentren erhalten [18]. Wie beim Nervus trigeminus finden wir auch
auf jeder Etage des Rckenmarks den Einfluss der Psyche wieder.
Die bergeordneten Zentren knnen wir in Fortfhrung unserer
Computeranalogie als die Server eines groen und komplexen
Computernetzwerks verstehen (Abb. 4).
Regulierung der Krperhaltung
Computer-Analogie im Bereich
der Rckenmarksegmente
Vernetzungen im Bereich von
Rckenmarksegmenten
Das neurale Netzwerk
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Abbildung 4: Schematische Darstellung des neuralen Netzwerks
Das sensomotorische System gliedert sich funktionell und strukturell
in fnf verschiedene Teilsysteme (Abb. 5) [18]: Ausfhrende Organe
sind die Sttz- und Bewegungsmuskeln. Sie werden vom
Reflexapparat der Hirnnerven und der Spinalnerven unter Mit-
wirkung der komplexen Neuronensysteme des Rckenmarks
Die Kraniomandibulre Funktion
ist von den Wechselwirkungen
des N. trigeminus mit anderen
Teilsystemen des neuralen
Netzwerks abhngig!
Und umgekehrt: Kranio-
mandibulre Dysfunktionen
knnen berall im neuralen
Netzwerk die Funktion neuraler
Systeme belastend beeinflussen!
Sensomotorisches System
In dieses Computernetzwerk ist der Nervus trigeminus
eingebunden. Die Kraniomandibulre Funktion ist deshalb auch
und besonders davon abhngig, welche Informationen der Nervus
trigeminus aus diesem Netzwerk erhlt: Strungen und
Dysfunktionen aus jedem Teil des Nervensystems knnen fr den
Nervus trigeminus und damit fr die Kraniomandibulre Funktion
relevant werden. Umgekehrt ist wichtig, welchen Input der Nervus
trigeminus in das Netzwerk eingibt: Kraniomandibulre
Dysfunktionen knnen berall im Krper als strender Input
relevant werden. Das gilt besonders fr die Steuerung und
Regulierung der Krperhaltung und der Krperbewegung durch
das sensomotorische System.
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selbst gesteuert. Sie we