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NATURWISSENSCHAFTLICHE RUNDSCHAU Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft m. b. H., Stuttgart N, Birkenwaldstraße 44, Postfach 40 Sonderdruck aus Band 18, Heft 10, Oktober 1965, Seite 385 bis 392 Probleme der theoretischen Klimatologie Von Prof. Dr. HERMANN FLOHN, Bonn In den letzten Jahren erleben wir eine wirkliche Wiedergeburt, eine Renaissance der Klimatologie. Dabei handelt es sich hier nicht um die immer viel- fältiger werdenden Anwendungen, von denen nur das in neue Meßbereiche vorstoßende, in der Praxis überaus wichtige Gebiet der Gelände- oder Topo- klimatologie (17) genannt sei. Wichtiger ist die Grundlagenforschung der Klimatologie, die zuneh- mendem Interesse begegnet. Dabei konvergieren die verschiedensten Ansätze empirischer und theoreti- scher Art immer mehr zu einer Gesamtkonzeption, die den anspruchsvollen Namen einer „theoretischen Klimatologie" führt und der sich heute eine wach- sende Zahl führender Meteorologen widmet. In seinem prägnant formulierten Vortrag vor der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft in Dresden 1929 umriß T. BERGEKON (3) den Gedanken einer „dynamischen Klimatologie" und sah das Klima als Folge der Eigenschaften und Häufigkeiten der Luft- massen und Fronten an. Wir würden heute mit A. COURT (6) diese Richtung als synoptische Klimato- logie bezeichnen; ihre Probleme sind noch vielfach ungelöst, wie TREWARTHAS Buch über die Problem- klimate der Erde (33) zeigt. Wenn wir den Begriff dynamisch parallel zur Hydrodynamik und zur Dy- namik der Atmosphäre definieren, dann hat HESSEL- BERG (15) zuerst das Gebiet einer dynamischen Klima- tologie umrissen, die zum Beispiel den meridionalen Austausch von Drehimpuls, Wärme und Wasser- dampf verfolgt, allgemein die Energietransporte MÖLLERS „energetische Klimatologie" (24) — in den verschiedenen Größenordnungen, von der Mikro- meteorologie bis zur globalen Zirkulation der Atmo- sphäre. Seit den Arbeiten von F. ALBRECHT (2) ent- wickelt sich ab 1932 das Gebiet des Wärme- und Strahlungshaushalts der Erdoberfläche; damit wurde die anfangs vielfach beschreibende Mikroklimatolo- gie zu ihren physikalischen Grundlagen zurückge- führt (14). Für unsere Fragestellung ist noch bedeut- samer der Strahlungs- und Wärmehaushalt der At- mosphäre, wie ihn zum Beispiel LONDON (19) und BUDYKO (5) zahlenmäßig zu erfassen versuchen. Alle diese Arbeitsrichtungen sind ihrer Methodik nach empirisch, auch dann, wenn sie von klaren theoreti- schen Konzeptionen ausgehen: sie benötigen eine spezielle Auswertung von Beobachtungsdaten oder die Durchführung neuer Meßreihen zur quantitativen Abschätzung der wirksamen physikalischen Vor- gänge. Der entscheidende Fortschritt gegenüber der Zeit vor 1940 ist auf allen diesen Gebieten der Über- gang von qualitativer Beschreibung zu quantitativen Rechnungen und Bilanzen. Aber mit diesen sich gegenseitig ergänzenden Ar- beitsrichtungen, die heute noch in vollem Fluß sind, ist die heutige Entwicklung keinesfalls erschöpft. Der übergeordnete Begriff, in den die wichtigen Erkennt- nisse und Ergebnisse dieser Richtungen einmünden, ist die theoretische Klimatologie. Wie schon früher erwähnt (8), geht ihre Konzeption aus von einer heute vergessenen, aber überraschend modernen Definition des 73jährigen ALEXANDER v. HUMBOLDT (1843): „Wenn die Oberfläche eines Planeten eine regel- mäßige Kurve bildet, wenn sie aus ein und derselben homogenen flüssigen Masse oder aus Gesteinschich- ten zusammengesetzt wäre, welche gleiche Farbe, gleiche Dichtigkeit, gleiches Absorptionsvermögen gegen die Sonnenstrahlen besäßen und auf gleicher Weise gegen den Weltraum ausstrahlten, so würden die Isothermen . . . sämtlich dem Äquator parallel laufen. Auf einer solchen glatten und homogenen, flüssigen oder festen Fläche würden allein die geo- graphischen Breiten, die Solstitialhöhen, die Luft- strömungen, welche durch die ungleiche Erwärmung der Oberfläche vom Äquator nach den Polen zu und durch den Einfluß der Erdrotation auf die Geschwin- digkeit der Luftteilchen entstehen, und endlich die Wärme, welche seit Hunderttausenden von Jahren das Innere eines Planeten bei seiner Abkühlung der äußeren Rinde mitgeteilt hat, die Verteilung der Wärme bestimmen. Mit dieser allgemeinen Betrach- tung, die minder unfruchtbar ist, als man vielleicht glauben möchte, muß die theoretische Klimatologie beginnen." HUMBOLDTS Konzeption beschränkt sich nicht nur auf das „solare Klima", das heißt eine strahlungs- geometrische Ableitung der Sonneneinstrahlung und ihrer Auswirkung in der Temperaturverteilung, wie sie MILANKOWITSCH (21) in den Jahren 1920—1941 gegeben hat. HUMBOLDT sah auch hier ganz weit in die Zukunft und faßte die Temperaturverteilung nicht nur als Ursache, sondern auch als Folge der atmosphärischen Zirkulation auf. In der Tat ist die erste alle übrigen bestimmende Aufgabe einer theoretischen Klimatologie eine Theorie der allge- meinen Zirkulation der Erdatmosphäre, ein Problem, das in den letzten Jahren ernsthaft in Angriff genom- men wird. Eine solche Theorie darf sich nicht damit begnügen, etwa aus der gegebenen Temperaturver- teilung die Windsysteme zu berechnen oder zahlen- mäßig den Anteil der verschiedenen Mechanismen der Energietransporte nachzurechnen: so wichtig diese Schritte sind, so stellen sie doch nur Teillösun- Prof. Dr. H. FLOHN (geb. 19. Februar 1912) habilitierte sich 1941 an der Universität Würzburg, war 1952—1961 Leiter der For- schungsabteilung des Deutschen Wetterdienstes und ist seither ordentlicher Professor und Direktor des Meteorologischen In- stituts an der Universität Bonn.

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  • N A T U R W I S S E N S C H A F T L I C H E RUNDSCHAUWissenschaftliche Verlagsgesellschaft m. b. H., Stuttgart N, Birkenwaldstraße 44, Postfach 40

    Sonderdruck aus Band 18, Heft 10, Oktober 1965, Seite 385 bis 392

    Probleme der theoretischen KlimatologieVon Prof. Dr. HERMANN FLOHN, Bonn

    In den letzten Jahren erleben wir eine wirklicheWiedergeburt, eine Renaissance der Klimatologie.Dabei handelt es sich hier nicht um die immer viel-fältiger werdenden Anwendungen, von denen nurdas in neue Meßbereiche vorstoßende, in der Praxisüberaus wichtige Gebiet der Gelände- oder Topo-klimatologie (17) genannt sei. Wichtiger ist dieGrundlagenforschung der Klimatologie, die zuneh-mendem Interesse begegnet. Dabei konvergieren dieverschiedensten Ansätze empirischer und theoreti-scher Art immer mehr zu einer Gesamtkonzeption,die den anspruchsvollen Namen einer „theoretischenKlimatologie" führt und der sich heute eine wach-sende Zahl führender Meteorologen widmet.

    In seinem prägnant formulierten Vortrag vor derDeutschen Meteorologischen Gesellschaft in Dresden1929 umriß T. BERGEKON (3) den Gedanken einer„dynamischen Klimatologie" und sah das Klima alsFolge der Eigenschaften und Häufigkeiten der Luft-massen und Fronten an. Wir würden heute mitA. COURT (6) diese Richtung als synoptische Klimato-logie bezeichnen; ihre Probleme sind noch vielfachungelöst, wie TREWARTHAS Buch über die Problem-klimate der Erde (33) zeigt. Wenn wir den Begriffdynamisch parallel zur Hydrodynamik und zur Dy-namik der Atmosphäre definieren, dann hat HESSEL-BERG (15) zuerst das Gebiet einer dynamischen Klima-tologie umrissen, die zum Beispiel den meridionalenAustausch von Drehimpuls, Wärme und Wasser-dampf verfolgt, allgemein die Energietransporte —MÖLLERS „energetische Klimatologie" (24) — in denverschiedenen Größenordnungen, von der Mikro-meteorologie bis zur globalen Zirkulation der Atmo-sphäre. Seit den Arbeiten von F. ALBRECHT (2) ent-wickelt sich ab 1932 das Gebiet des Wärme- undStrahlungshaushalts der Erdoberfläche; damit wurdedie anfangs vielfach beschreibende Mikroklimatolo-gie zu ihren physikalischen Grundlagen zurückge-führt (14). Für unsere Fragestellung ist noch bedeut-samer der Strahlungs- und Wärmehaushalt der At-mosphäre, wie ihn zum Beispiel LONDON (19) undBUDYKO (5) zahlenmäßig zu erfassen versuchen. Allediese Arbeitsrichtungen sind ihrer Methodik nachempirisch, auch dann, wenn sie von klaren theoreti-schen Konzeptionen ausgehen: sie benötigen einespezielle Auswertung von Beobachtungsdaten oderdie Durchführung neuer Meßreihen zur quantitativenAbschätzung der wirksamen physikalischen Vor-gänge. Der entscheidende Fortschritt gegenüber derZeit vor 1940 ist auf allen diesen Gebieten der Über-gang von qualitativer Beschreibung zu quantitativenRechnungen und Bilanzen.

    Aber mit diesen sich gegenseitig ergänzenden Ar-beitsrichtungen, die heute noch in vollem Fluß sind,

    ist die heutige Entwicklung keinesfalls erschöpft. Derübergeordnete Begriff, in den die wichtigen Erkennt-nisse und Ergebnisse dieser Richtungen einmünden,ist die theoretische Klimatologie. Wie schon frühererwähnt (8), geht ihre Konzeption aus von einerheute vergessenen, aber überraschend modernenDefinition des 73jährigen ALEXANDER v. HUMBOLDT(1843):

    „Wenn die Oberfläche eines Planeten eine regel-mäßige Kurve bildet, wenn sie aus ein und derselbenhomogenen flüssigen Masse oder aus Gesteinschich-ten zusammengesetzt wäre, welche gleiche Farbe,gleiche Dichtigkeit, gleiches Absorptionsvermögengegen die Sonnenstrahlen besäßen und auf gleicherWeise gegen den Weltraum ausstrahlten, so würdendie Isothermen . . . sämtlich dem Äquator parallellaufen. Auf einer solchen glatten und homogenen,flüssigen oder festen Fläche würden allein die geo-graphischen Breiten, die Solstitialhöhen, die Luft-strömungen, welche durch die ungleiche Erwärmungder Oberfläche vom Äquator nach den Polen zu unddurch den Einfluß der Erdrotation auf die Geschwin-digkeit der Luftteilchen entstehen, und endlich dieWärme, welche seit Hunderttausenden von Jahrendas Innere eines Planeten bei seiner Abkühlung deräußeren Rinde mitgeteilt hat, die Verteilung derWärme bestimmen. Mit dieser allgemeinen Betrach-tung, die minder unfruchtbar ist, als man vielleichtglauben möchte, muß die theoretische Klimatologiebeginnen."

    HUMBOLDTS Konzeption beschränkt sich nicht nurauf das „solare Klima", das heißt eine strahlungs-geometrische Ableitung der Sonneneinstrahlung undihrer Auswirkung in der Temperaturverteilung, wiesie MILANKOWITSCH (21) in den Jahren 1920—1941gegeben hat. HUMBOLDT sah auch hier ganz weit indie Zukunft und faßte die Temperaturverteilungnicht nur als Ursache, sondern auch als Folge deratmosphärischen Zirkulation auf. In der Tat ist dieerste — alle übrigen bestimmende — Aufgabe einertheoretischen Klimatologie eine Theorie der allge-meinen Zirkulation der Erdatmosphäre, ein Problem,das in den letzten Jahren ernsthaft in Angriff genom-men wird. Eine solche Theorie darf sich nicht damitbegnügen, etwa aus der gegebenen Temperaturver-teilung die Windsysteme zu berechnen oder zahlen-mäßig den Anteil der verschiedenen Mechanismender Energietransporte nachzurechnen: so wichtigdiese Schritte sind, so stellen sie doch nur Teillösun-

    Prof. Dr. H. FLOHN (geb. 19. Februar 1912) habilitierte sich 1941an der Universität Würzburg, war 1952—1961 Leiter der For-schungsabteilung des Deutschen Wetterdienstes und ist seitherordentlicher Professor und Direktor des Meteorologischen In-stituts an der Universität Bonn.

  • 386 FLOHN: Probleme der theoretischen KlimatologieNaturw.

    Rdsch.

    gen dar. Vielmehr müssen wir hier ganz von vornanfangen: Berechnung der planetarischen Verteilungvon Temperatur, Druck, Wind (und schließlich auchBewölkung, Niederschlag und Verdunstung) aus denklassischen Grundgesetzen der Physik: den Bewe-gungsgleichungen (NEWTON, EULER), dem erstenHauptsatz der Thermodynamik, der Gesetze von derErhaltung der Masse, des Drehimpulses und derEnergie, des statischen Grundgesetzes usw. Dasverspricht eine ganz allgemeine Lösung, die für allePlanetenatmosphären gilt, unabhängig von den Zah-lenwerten der geophysikalischen Parameter, die indie quantitative Lösung eingehen, wie Solarkon-stante, Winkelgeschwindigkeit der Rotation, Erd-radius, Zustandsgrößen der atmosphärischen Gaseund (besonders komplex) die Verteilung von Landand Meer, der Gebirge usw. Die gefundene Lösungmuß aber auch realistische Zahlenwerte für dieTransporte von Impuls (momentum), Wärme, Was-serdampf usw. liefern, die die atmosphärische Zirku-lation zur Aufrechterhaltung einer guasistationärenBilanz leisten muß (30, 31). Diese allgemeine planeta-rische Fragestellung der Weltraumforschung ist viel-leicht der wichtigste Anlaß gewesen, dieses Arbeits-gebiet aufzugreifen: die konkrete Frage nach demKlima auf dem Mond, auf Mars oder Venus vermaganscheinend mehr die schöpferische Phantasie (und— last not least — die Bewilligung von Mitteln) an-zuregen, als noch so wichtige irdische Probleme.Aber wir dürfen diese keinesfalls außer acht lassen:mit dem gleichen Rechenmodell können wir auch Pro-bleme wie die Klimate geologischer Vorzeiten, dieUrsachen der Klimaschwankungen beziehungsweisedie Beeinflussung des Makroklimas einer Antwortnäherbringen.

    Die ganze Kühnheit dieser Konzeption kann manerst ermessen, wenn man sie mit den umständlichenRechnungen von MILANKOWITSCH mit ihren Reihen-entwicklungenkonfrontiert. Sie wäre unmöglich ohnedie technische Entwicklung elektronischer Rechen-automaten; einer ihrer Schöpfer, der große Mathe-matiker JOHN v. NEUMANN (1903—1957) hat gemein-sam mit C. G. ROSSBY (1898—1956) gerade diese Mög-lichkeiten erkannt und propagiert, bis schließlich diebesten jüngeren Kräfte sich an Probleme dieser Grö-ßenordnung wagten (25). Die Entwicklung einernumerischen Wetter-Vorhersage begann mit jenerRechenanlage von Princeton N. J. (1949), deren kaumentwirrbaren Drahtrnengen und Röhrenkomplexe in-zwischen längst verschrottet sind. Die numerischeVorhersage und Analyse führt heute zu einer radika-len Umbildung der modernen Wetterdienste. Es lagnahe, den Gültigkeitsbereich dieser Vorhersagen so-weit wie möglich auszudehnen, aber die unvermeid-lichen Fehlerquellen der einfachen Atmosphären-Modelle erwiesen sich als viel zu groß, als daß diesesVerfahren praktischen Erfolg haben konnte. Das Pro-blem der Langfristvorhersage, das den Meteorologenstets so besonders fasziniert hat: wird es jetzt mitdiesen modernen Rechenanlagen ernsthaft angreif-bar? Dieses Fernziel setzt ein wirkliches physikali-sches Verständnis der atmosphärischen Vorgängevoraus, eine vollständige Modellvorstellung der in-einandergreifenden Prozesse, über eine Kenntnis derräumlich-zeitlichen Verteilung der Energiequellen

    und -senken. Hierzu reichen die zunächst verwende-ten, physikalisch übermäßig vereinfachten Atmo-sphärenmodelle natürlich nicht aus.

    Tatsächlich unterscheidet sich das Problem derLangfristvorhersage von dem der Ursachen der Kli-maschwankungen nur in der Zeitskala. Die Betrach-tung großräumiger Vorgänge mittels leistungsfähi-ger Rechengeräte wird zur Zeit in drei Zeitskalen inAngriff genommen:

    a. kurzfristige Vorhersage: Zeitskala l—3 Tage,entsprechend der Lebensdauer der individuellen(„synoptischen") Wirbel. Hierbei ist entscheidenddie exakte Kenntnis des Anfangszustandes, wäh-rend die räumliche Differenzierung der Reibung inerster Näherung vernachlässigt werden kann,ebenso wie alle energieliefernden (diabatischenProzesse, wie Heizung und Abkühlung, Konden-sation usw.b. Klimatogenese: Zeitskala Jahrzehnte, sofern —wie v. NEUMANN und CHAKNEY vermuteten (25) —eine statistische Integration über „synoptische"Wirbel (Makroturbulenz) prinzipiell möglich ist.Diese wichtige Frage ist noch offen: die Lücke zwi-schen den Bereichen der Makroturbulenz (Frequenzum 10~5/s) und der Mikroturbulenz (Frequenz um0.1—l/s) schließt anscheinend die Anwendung all-gemeiner Turbulenztheorien über das gesamteSpektrum der Bewegungsvorgänge hin aus. Ande-rerseits müssen hier die diabatischen Prozesse inmöglichst realistischer Form einbezogen werden,ebenso räumliche Unterschiede der Reibung, oro-graphische Effekte usw.c. langiristigeVorhersage: Zeitskala 30—100Tage;hierbei ist die Berücksichtigung der individuellenWirbel und des Anfangszustandes notwendig,ebenso aber auch die Einbeziehung diabatischerProzesse und differenzierter Reibung.Für die Langfristvorhersage erschien — neben der

    direkten zeitlichen Integration der Bewegungsglei-chung über Zeiträume von 30—200 Modelltagen hin-weg — auch der unter b genannte Weg möglich.Hierbei faßt man die großräumigen Bewegungen derZyklonen und Antizyklonen im Sinne von A. DEFANT(1921) als Turbulenz auf. Einige der überwiegend em-pirischen Arbeiten von NAMIAS und Mitarbeitern inden USA, die theoretischen Experimente vonBLiNovAin der Sowjetunion — bei denen der erste Hauptsatzder Thermodynamik durch die Einbeziehung makro-turbulenter Wärmetransporte erweitert wurde —gingen in diese Richtung. Einen weiteren Fortschrittstellen die Arbeiten (1) von J. ADEM (Mexico) dar,der die Wärmespeicherung im Ozean, die Strahlungs-bilanz der Troposphäre und an der Erdoberfläche, dieAbgabe von fühlbarer und latenter Wärme von derErdoberfläche an die Atmosphäre, die in der Tropo-sphäre durch Kondensation freiwerdenden Wärmesowie den turbulenten Anteil des Wärmetransportesin der Atmosphäre berücksichtigt.

    Andererseits ist der Anteil der Störungen an dertotalen kinetischen Energie des Windes (Abb. 1) —wie er sich aus dem Verhältnis der Varianz des Win-des o2 zu der Summe aus Varianz und dem Quadratder Resultanten (a'- + vrä) errechnen läßt — imgrößten Teil der Atmosphäre größer als die Hälfte,

  • Heft 101965 FLOHN: Probleme der theoretischen Klimatologie 387

    Winter Sommer

    80'N 60' 40' 20° 0' 20' 40' 60' 80°N

    Abb. 1. Anteil der Störungen (°/o) an der totalen kinetischenEnergie der Windverteilung.

    10'N 60* 40' 20

    VI-VIII N-Sommer

    Abb. 2. Verhältnis zwischen zonaler und meridionaler Streuung(öx/Oy) des Höhenwindes (Lit. 11) als Maß der Isotropie des

    atmosphärischen Großaustausches.

    im Bereich der gemäßigten und polaren Breiten so-wie in der subtropischen Übergangszone zwischenOst- und Westwind sogar größer als 80°/o. DieseZahlenwerte zeigen deutlich, daß eine vollständigeBetrachtung der allgemeinen Zirkulation der Atmo-sphäre und ihrer Energetik die Grundströmungenebenso wie die makroturbulenten Austauschprozesseberücksichtigen muß. Sie muß also die — in einerdynamisch (oder thermisch) instabilen Atmosphäreablaufenden — zyklogenetischen Prozesse mit inRechnung stellen. Diese Rolle großräumiger Instabili-täten zwingt uns die Frage auf, inwieweit die Atmo-sphäre in diesen Bereichen noch deterministisch ar-beitet. Falls ein Ansatz für die Makroturbulenz über-haupt möglich, ist, muß auch noch die Anisotropie desatmosphärischen Großaustausches in der Tropenzone

    und in der Stratosphäre (Abb. 2) berücksichtigt wer-den.

    Gegenüber dem derzeitigen Stand der (kurzfristi-gen) numerischen Vorhersage erhöhen sich also beider theoretischen Klimatologie und erst recht beider Langfristvorhersage die Schwierigkeiten ummehrere Größenordnungen. Eine Lösung des Pro-blems der Klimatogenese ist aber eine Voraussetzungeines der kühnsten und wichtigsten Menschheitspro-bleme: der Modifikation des Klimas. Ihre Möglich-keit ist von Ingenieuren und phantasievollen Jour-nalisten maßlos überschätzt worden, während dieMehrheit der Fachleute allzulange auf einem konser-vativen Standpunkt beharrte. Die Rechenmaschinekann hierzu erst dann sinnvoll eingesetzt werden,wenn vorher ein genügend realistisches Rechen-modell entwickelt und „programmiert" ist: dannkann man mit diesem Modell experimentieren wiein einem Laboratoriumsversuch, kann die vorzuge-benden Parameter variieren, kann das Modell schritt-weise verfeinern und spezialisieren. Hier wird derMeteorologe endlich frei zu schöpferischem Spiel,vergleichbar etwa der Kosmologie i hier muß aberauch jedes Resultat mit der Wirklichkeit konfrontiertwerden.

    Bevor wir diese Möglichkeiten und Probleme näherdiskutieren, sei kurz auf die wichtigsten Arbeiten derletzten Jahre hingewiesen. Auf dem Gebiet der nu-merischen Vorhersage haben KIBEL (16) und PH. D.THOMPSON (32) zusammenfassende Darstellungen ge-geben; ferner muß der Bericht einer Arbeitsgruppeder World Meteorological Organization (4) erwähntwerden. In der Mikroklimatologie sind manche Teil-probleme bereits in Angriff genommen; erwähnt sei— neben mehreren Arbeiten von H. LETTAU (18) —eine nachgelassene Arbeit von H. PHILIPPS (26) überdie Theorie des Tagesganges der Temperatur in Bo-dennähe.

    Im Gegensatz zum Mikroklima ist nun das Makro-klima keinesfalls ausschließlich durch den Wärme-haushalt der Erdoberfläche bestimmt; das gilt offen-bar bereits für Temperatur und Feuchte in der üb-lichen Hütte in 2 m über dem Erdboden. Die Glei-chungen für die Strahlungsbilanz Q und die Wärme-bilanz lauten (2, 14) — unter Verzicht auf einigenormalerweise kleine Größen:

    Strahlungsbilanz: Q = (S+H) (1-a) - (E-G)effektive effektive

    Einstrahlung Ausstrahlung

    Wärmebilanz: Q — Uß + Uj_ 4 Uy + Ug

    Dabei bedeutet S + H die Globalstrahlung von Sonne(direkt) und Himmel (diffus), a das Reflexionsver-mögen (Albedo) der Erdoberfläche, E die terrestrischeAusstrahlung, G die (infrarote) atmosphärische Ge-genstrahlung, U den Wärmeumsatz (mit dem Bodenbeziehungsweise dem Meere B, mit der Luft L, durchVerdunstung V und durch Schmelzen von Eis undSchnee S). Hierzu tritt die Wirkung der Advektion,die bei makroklimatischen Überlegungen eben nichtausgeschaltet werden darf; dies ist nur an der Erd-oberfläche selbst berechtigt. Für den Wärmehaushaltin der normalen Höhe der Messung (2 m über demErdboden) ergibt sich

    div Q = cp div (i)T) + L div (uq),

    wobei div die dreidimensionale Divergenz, cp die

  • 388 FLOHN: Probleme der theoretischen KlimatologieNaturw.

    Rdsch.

    spezifische Wärme der Luft bei konstantem Druck,L die Verdampfungswärme des Wassers, v den Wind-vektor in 0—2 m Höhe, T die Temperatur und q diespezifische Feuchte bedeutet. Unter der Vorausset-zung einer räumlich homogenen Oberfläche kannman auch näherungsweise schreiben (div2 = hori-zontale Divergenz):

    aa/Az - UB = UL + uv + cp div., (vT) + L div, (uq)

    Konvektion horizontale Advektion

    Will man diese Vorgänge im einzelnen quantitativerfassen, so stellen sich erhebliche meßtechnischeSchwierigkeiten ein; das gilt sowohl für die Diver-genz der Strahlungsströme, als für die horizontaleDivergenz des Wärme- und Wasserdampftransportes.Die Unterscheidung zwischen advektiven und kon-vektiven Prozessen, zwischen „eigenbürtigen" und„fremdbürtigen" Vorgängen ist bisher noch nichtquantitativ gelungen. Wenn wir uns auf die Wärme-übertragung fühlbarer Wärme und auf tagesperiodi-sche konvektive Vorgänge beschränken, dann ergibtsich ein einfacher Näherungswert durch den Ver-gleich zwischen der gesamten Streuung aller stünd-lichen Temperaturwerte (aap) eines Monats und der(periodischen) Streuung der 24 Stundenmittel (op) desgleichen Zeitraumes. Der Anteil F advektiver un-periodischer Vorgänge ist dann (10)

    F =• ap- "P"ap

    Die entscheidende Aufgabe der theoretischen Kli-matologie liegt auf dem Gebiet der großräumigenPhänomene, die jedoch ihrerseits die Summe allerkleinräumigen Vorgänge voraussetzen. Jede Theo-rie eines so komplexen, alle Größenordnungenmeteorologischer Vorgänge umfassenden Phänomenswie die allgemeine Zirkulation der Atmosphäre kannnur auf einem vereinfachten, idealisierten Modellaufbauen. Die heutige Entwicklung begann mit denvon ROSSBY angeregten Modellversuchen von D. FULTZ(Chicago) und anderen, die in einer Flüssigkeit dieatmosphärische Zirkulation zu simulieren versuchten.Solche Versuche (13) sind faszinierend: man siehtdie Ausbildung von Wellen und Wirbeln in zwei-oder dreidimensionalen Systemen, von plötzlich los-schießenden Strahlströmen, die ihre kinetische Ener-gie einzelnen Wirbeln entnehmen und sie an andereWirbel übertragen, die von Hindernissen induzier-ten Wellen und anderen Analogien zur wirklichenAtmosphäre. Die ersten Versuche in einer rotieren-den Kugelschale betrafen thermisch betriebene Zir-kulationen, mechanisch angetriebene Zweischichten-systeme und Bewegungen an Hindernissen; wesent-liche Eigenschaften des Windfeldes der allgemeinenZirkulation, von Zyklonen und Antizyklonen undder ROSSBY-Wellen der Westdrift wurden erzeugt.Aber zu genaueren Messungen war es doch not-wendig, auf Zylindermodelle zurückzugreifen: beidiesen ist allerdings die Coriolisbeschleunigungf = 2 Q sin

  • Heft 101965 FLOHN: Probleme der theoretischen Klimatologie 389

    fläche von überall gleicher Rauhigkeit und Wärme-leitfähigkeit.

    Von besonderer Bedeutung sind die nichtadiaba-tischen Effekte, also Heizung und Abkühlung inner-halb der Atmosphäre durch Strahlungsströme unddie hierdurch erzwungenen Wärmetransporte. SMA-GORINSKY geht hierbei von den Daten von LONDON (19)und BUDYKO (5) aus. Hierbei wird die sehr wichtigeRolle des Wasserkreislaufs und der bei der Konden-sation freiwerdenden Wärme jedenfalls in der Formvon Jahresmittelwerten als Funktion der Breite be-rücksichtigt. Immerhin liefert die latente Wärmemit 136 Ly/d etwa 64°/o der Strahlungsbilanz am Erd-boden; nach BUDYKO (1963) ergeben sich sogar 164Ly/d (l Langley = l gcal cm"2) gegenüber einerStrahlungsbilanz von 225 Ly/d.

    Einige Breitenkreismittelwerte sind in Abb. 3 zu-sammengestellt; dabei ist die Kältequelle der lang-welligen Ausstrahlung E0 des Systems Erde + At-mosphäre in den Weltraum — die jetzt fortlaufenddurch Satelliten gemessen wird — nur relativ geringvon der Breite abhängig.

    Grundlegend ist zunächst die Unterscheidung derstabilen axialsymmetrischen Zirkulation vom HAD-

    Obergrenze der Atmosphäre

    Sommer Winter

    Erdoberfläche

    30' 60' N

    Abb. 3. Strahlungs- und Wärmehaushalt der Atmosphäre nachJ. LONDON (1957, Lit. 19), Nordhalbkugel.

    Breitenlage des Subtropenhochs(Grenzbedingung Ri • RoT • ctgip=1)

    0° 2' t,' 6° 8' iO° 12° W /1000km3T/3y (isobar) —>

    Abb. 4. Breitenlage des subtropischen Hochdruckgürtels (alsGrenze zwischen der tropischen HADLEY-Zelle und dem außer-tropischen FERREL-Regime) nach dem Z-Kriterium von SMAGO-

    RINSKY (Lit. 29).

    LEY-Typ von einer asymmetrischen Wellenzirkula-tion vom FERREL-RossBY-Typ; sie hängt von einembaroklinen Instabilitäts-Kriterium ab. SMAGORINSKY(29) erhält hierfür ein Kriterium Z, in dem die Ri-CHARosoN-Zahl (als Maß der vertikalen Stabilität)und die thermische RossBY-Zahl ROT (als Maß derBaroklinität) enthalten sind. Selbstverständlich istdieses ebenso einfache wie elegante Kriterium vonder Breite abhängig. Zur Abschätzung der Grenzezwischen beiden Formen können wir annehmen, daßdie von PHILLIPS und SMAGORINSKY verwendete (li-nearisierte) Grenzbedingung auch für nichtlineareStörungen gilt. Dann lautet die Bedingung für denÜbergang stabiler in instabiler Formen Z = l, undhieraus ergibt sich (als Näherungslösung) für dieBreite

  • 390 FLOHN: Probleme der theoretischen KlimatologieNaturw.

    Rdsch.

    Die Arbeiten von Y. MINTZ beziehen sich zum Teil(23) auf das allgemeine Problem der Planetenatmo-sphäre, wobei Venus und Mars die am besten be-kannten Beispiele liefern. Für die gesamte Erde mitihrer Land-Meer-Verteilung — vgl. bereits (22) —wurde ein schon recht realistisches Zweischichten-modell entwickelt, das in einem (allerdings groben,horizontal nur 1000 Punkte umfassenden) Gitternetzzwei verschiedene Formen der thermischen Konvek-tion (flache und mächtige, letztere unter Berücksich-tigung der freiwerdenden Kondensationswärme) ein-bezieht und sich auf die Troposphäre beschränkt.Von einer ruhenden, isothermen Atmosphäre aus-gehend, die über dem Meer durch die gegebene mitt-lere Wassertemperatur angeheizt wird, sowie unterBerücksichtigung der Strahlungsströme in der At-mosphäre sowie einer (nach Deklination konstanten)Zustrahlung durch die Sonne erhält er nach 40 Mo-delltagen die voll entwickelte Windverteilung in derAtmosphäre, sowie eine sehr realistische Verteilungvon Temperatur und Druck. Die drei meridionalenZellen tauchen auf, ja es erscheinen bereits trotz desweiten Gitternetzes einige regionale Klima-Anoma-lien, die den beobachtenden Anomalien ähneln. DerUmfang dieser Rechnung zeigt sich auch daran, daßdie Rechenzeit auf der hier benutzten IBM 7090 —deren Rechengeschwindigkeit bei 4 ßs pro Additionliegt — schon auf über 3500 h angeschwollen ist.

    Die Arbeitsgruppe von C. LEITH (Livermore Col-lege, Cal.) hat ein 5-Schichten-Modell entwickelt, indem besonders eingehend der Wasserkreislauf unddie ihn begleitenden Energieumsätze berücksichtigtworden sind. Das Modell ist anspruchsvoller als dasvon MINTZ, vernachlässigt jedoch den Einfluß der Ge-birge; die Ergebnisse zeigen, daß dieser Einflußoffenbar hauptsächlich thermischer (und nicht mecha-nischer) Natur ist. Verblüffend eindeutig kommt dieRolle der innertropischen Konvergenz mit ihren ho-hen Niederschlägen heraus; in den ariden Regionenwurde die Verdunstung allgemein = 0 gesetzt. Die-ses Modell läuft vollautomatisch ab: Breitenkreis-mittel aller Größen werden als Funktion der Zeitdargestellt, Zeitrafferfilme fassen die zeitliche Fluk-tuationen — zu denen auch die in den Tropen domi-nierende halbtägige Druckschwankung gehört — zu-sammen. All diese Arbeitsgruppen sind in ihren Re-sultaten schon wesentlich weiter gediehen als ausden Veröffentlichungen ersichtlich ist; obige Darstel-lung stützt sich auf die auf einem Symposium überdie Forschungsaspekte der Langfristvorhersage inBoulder (Colorado) Anfang Juli 1964 gehaltenenVorträge (34).

    Die ganze Problemstellung erfordert eine denkbarenge Zusammenarbeit zwischen den Spezialisten derverschiedensten Fachrichtungen: Hydro- und Ther-modynamik, Turbulenzlehre, Strahlungs- und Wär-mehaushalt von Erdoberfläche und Atmosphäre undviele andere. So haben zum Beispiel F. MÖLLER undMANABE (20) die Zusammenhänge zwischen dem ver-tikalen Temperaturgefälle und den Strahlungsströ-men beziehungsweise dem Vertikalaustausch quan-titativ geklärt. Aber bisher fehlt noch eine vollstän-dige Theorie der (wechselseitigen) Koppelung zwi-schen Ozean und Atmosphäre, die eine fundamentaleRolle bei dem Gesamtkomplex spielt: das bedeutet

    die Berücksichtigung der von den windgetriebenenMeeresströmungen transportierten Wärmemengen,die ähnlich Beträge erreichen wie der atmosphärischeTransport fühlbarer Wärme. Manche bisher unzu-gänglichen Daten — vor allem die langwellige Aus-strahlung in den Weltraum sowie die von der Be-wölkung abhängige kurzwellige Rückstrahlung (Al-bedo) — liefern nunmehr die hervorragend instru-mentierten TIROS-Satelliten.

    Dennoch ergeben sich schon jetzt weite Perspek-tiven, die gründliches Nachdenken lohnen. In einembescheidenen Beitrag (9, 12) wurden einige Prob-leme der Klimaschwankungen geologischer Vorzei-ten diskutiert, insbesondere hinsichtlich der Varia-tion geo- und astrophysikalischer Parameter. Hierbeibeschränken wir uns auf den Zeitraum seit Beginndes Paläozoikums vor etwa 500 Millionen Jahren, davorher kaum einwandfreie Belege vorliegen; dieserZeitraum stellt aber nur etwa ein Zehntel der ge-samten Erdgeschichte dar.

    Die Diskussion dieser Parameter führt zu demResultat, daß in dieser Zeitspanne die wichtigstengeo- und astrophysikalischen Parameter zwar wohlkaum völlig konstant geblieben sind, daß aber ihrezeitlichen Änderungen wenige Prozent (meist < 5°/o)nicht überschritten haben. Zu diesen Parameternzählen die Solarkonstante — deren relative Kon-stanz am besten aus der Gleichheit der tropischenOzeantemperaturen von 25—27° (außer den quar-tären Kaltzeiten) hervorgeht —, die Schwerkraft,die Rotationsdauer und der Radius der Erde. Der ausdem Erdinnern stammende Wärmestrom (heute0,13 Ly/d) kann zwar in vulkanisch aktiven Gebie-ten, wie in Neuseeland, Japan oder Oberitalien, umeinen Faktor 10—50 ansteigen: selbst dann ist seinAnteil noch klein gegenüber der Strahlungsbilanz.Die von den Schwankungen der Erdbahnelementehervorgerufene Änderung der jahreszeitlichen Zu-strahlung, die MILANKOWITSCH (21) in den Mittelpunktseiner vieldiskutierten Theorie der Eiszeiten stellte,bleiben auf wenige Prozent beschränkt.

    Gegenüber diesen konservativen Parametern gibtes einige Zustandsgrößen, die im geologischen Zeit-maßstab erheblichen Schwankungen unterliegen.Hierzu gehört einmal der CO2-Gehalt der Atmo-sphäre, der zusammen mit dem Aerosolgehalt (vonVerbrennungsvorgängen wie von Vulkanausbrüchenherrührend) die Strahlungsbilanz der Erdoberflächeentscheidend beeinflussen kann. Zweifellos liegendie Probleme auch hier sehr komplex und lassen sichkaum durch einfache Hypothesen klären. Dazu ge-hört auch der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre,der zu einem erheblichen Teil von dem Anteil derOzeane der Gesamtoberfläche der Erde (heute 71%)und von ihrer Temperatur (das heißt von Strahlungs-bilanz und Wind) abhängt. Hierzu gehört aber auchdie Lage und Ausdehnung der Kontinentalschollenund der Ozeane: es spricht vieles dafür, daß das Auf-treten der quartären und der permokarbonen Eiszeitin erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß zu Be-ginn dieser Zeitabschnitte große Kontinentalschollen(Antarktika, Gondwanaland) in Polnähe gerieten.In den viel längeren Warmzeiten dagegen (währenddes ganzen Mesozoikums und dem Tertiär) erzeugtdie Existenz weiter Meere in den Polargebieten mit

  • Heft 101905 FLOIIN: Probleme der theoretischen Klimatologie 391

    offener ozeanischer Zirkulation zu den tropischenOzeanen ein völlig anderes „akryogenes" (eisfreies)Klima, das wir näherungsweise rekonstruieren wol-len. Die relativ geringe Zeitdauer der Existenz po-larer Kontinente ist vielleicht eine einfache Folgeder mit der Abplattung der Erde zusammenhängen-den Polfluchtkraft.

    +30'

    Abb. 5. Aktuelles Jahresmittel der Temperatur, rekonstruierteMitteltemperatur in der letzten Eiszeit (E) und in den Warm-

    zeiten (W) der Erdgeschichte (Lit. 12).

    Für das Modell eines eisfreien Klimas gehen wiraus (12) von zwei Gruppen von Meßdaten, die mitdem 016/018-Thermometer von EMILIANI und anderenForschern aus Tiefsee-Bohrkernen gewonnen wor-den sind. Sie liefern für die Oberflächentemperaturder tropischen Ozeane den oben schon erwähntenWert von 25—27 °C, dagegen für die Tiefseetempe-raturen + 8—10° (gegenüber heute 0 bis + 2°).Wenn wir eine ungestörte ozeanische Zirkulationentsprechend der heutigen annehmen, dann ent-spricht der letztgenannte Wert der Oberflächentem-peratur der polaren Meere. Damit ergibt sich das me-ridionale Temperaturgefälle Äquator-Pol an der Erd-oberfläche zu rund 16° anstatt 40—60° wie heute;hieraus kann man den Maximalwert von

  • 392 FLOHN: Probleme der theoretischen KlimatologieNaturw.

    Rdsch.

    — (7) H. FLOHN, H. TKENKLE, Arch. Meteor. Geophys. Biokl. A 7,85 (1954). — (8) H. FLOHN, Ber. Dt. Wetterdienst 59, 9 (1959). —(9) H. FLOHN, Naturw. Rdsch. 12, 375 (1959). — (10) H. FLOHN,Meteor. Rundsch. 17, 83 (1964). — (11) H. FLOHN, Beitr. Phys.Atmos. 37, 17 (1964). — (12) H. FLOHN, Geol. Rundsch. (im Druck).— (13) D. FULTZ and Coll., Meteor. Monogr. 4, No. 21 (1959). —(14) R. GEIGER, Das Klima der bodennahen Luftschicht (4. Aufl.).Braunschweig 1961. — (15) E. HESSELBEKG, Beitr. Phys. Atmos. 19,291 (1932). — (16) J. A. KIBEL, An introduction to the hydro-dynamical methods of short period weather forecasting. Russ.Moskau 1957, engl. Oxford 1963. — (17) K. KNOCH, Ber. Dt. Wet-terdienst 12, Nr. 85 (1963). — (18) H. LETTAU, Ber. Dt. WetterdienstUS-Zone 38, 127 (1952); Arch. Meteor. Geophys. Biokl. A 7, 133(1954). — (19) J. LONDON, A study on the atmospheric heat ba-lauce. Final Report AF 19 (122) — 165. New York 1957. — (20)S. MANABE, F.MÖLLER, Monthly Weather Review 89, 503 (1961).

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    Die NATURWISSENSCHAFTLICHE RUNDSCHAU erscheint monatlich. Bestellungen nimmt jede Buchhandlung des In- undAuslandes, die Post oder der Verlag entgegen. In den Ländern Belgien, Dänemark, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Nie-derlande, Norwegen, Portugal, Schweden, der Schweiz und der Vatikanstadt ist der Bezug durch die Post ebenfalls möglich.Bezugspreis: viertel]. DM 9.60, Einzelheft DM 3.80. Studenten u. Assistenten in nicht voll bezahlter Stellung viertel]. DM 7.80.

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