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Dass das LSG die Anwendung des Nikolausbeschlusses aber nicht schon mangels einer akut lebensbedrohlichen Erkran- kung verneint, zeigt die offensichtliche Bereitschaft des LSG, diese Grundsätze möglicherweise auch bei harmlose- ren Krankheiten zu berücksichtigen. Das LSG vertieft sei- ne Auslegung jedoch nicht weiter, da im vorliegenden Fall keinerlei Indizien für eine Wirksamkeit der Tomatistherapie bestanden und überdies Alternativmethoden zur Verfügung standen, so dass ein Leistungsanspruch nach dem Nikolaus- beschluss ohnehin ausgeschlossen war. Fortpflanzungsmedizingesetz. Augsburg-Münchner- Entwurf. Von Ulrich Gassner, Jens Kersten, Matthias Krüger, Josef Franz Lindner, Henning Rosenau und Ulrich Schroth. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2013, 88 S., kart., € 19,00 In der Bundesrepublik Deutschland fehlt ein schlüssiges Fortpflan- zungsmedizingesetz, das Ärzten, Patientinnen bzw. Kinderwunsch- paaren, die In-vitro-Fertilisation nachfragen, sowie weiteren Betei- ligten wie z. B. Samenspendern Rechtssicherheit gewährleistet. Die gesetzlichen Vorgaben, die zurzeit gelten, entsprechen nicht mehr heutigen fachlichen Standards. Teilweise sind sie auch ethisch frag- würdig sowie unzweckmäßig. Für Patientinnen und für durch IVF entstandene Kinder bewirken sie sogar Gesundheitsgefahren, die ver- meidbar wären. Dies betrifft vor allem die sog. Dreierregel, die sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 i. V. mit Nr. 3 ESchG ergibt und u. a. zu nicht vertretbaren Mehrlingsschwangerschaften zu führen droht. Ungeach- tet aller juristischen Bemühungen um eine praxistaugliche Auslegung dieser Bestimmung sind für Reproduktionsmediziner die Rechtsun- sicherheiten bis heute nicht behoben. Die wiederholten Versuche, den Gesetzgeber zu veranlassen, wenigstens diese Einzelbestimmung zu korrigieren, liefen ins Leere. Der vorliegende Band kritisiert zutref- fend, dass der Gesetzgeber sich zur Reproduktionsmedizin faktisch einer „Strategie veralteten Rechts“ verschrieben hat (S. 20). Rechts- und gesundheitspolitisch ist dies inakzeptabel. Daher ha- ben Augsburger und Münchner Rechtswissenschaftler die Initiative ergriffen und ein Fortpflanzungsmedizingesetz neu konzipiert. Ihr Vorstoß setzt nicht nur punktuell Korrekturen, sondern ist umfassend und grundsätzlich angelegt. Er basiert auf einer normativen Grund- lagenentscheidung, durch die – sollte der Gesetzgeber sie überneh- men – die medizinisch assistierte Reproduktion in der Bundesrepublik Deutschland ganz neu aufgestellt würde. Zurzeit wird sie durch das Embryonenschutzgesetz reguliert, das Nebenstrafrecht darstellt und weitgehend als Verbotsgesetz konstruiert worden ist. Der Augsburg- Münchner Entwurf legt stattdessen die Selbstbestimmungs- und Per- sönlichkeitsrechte zugrunde, auf die Menschen mit Kinderwunsch sich berufen können, und präsentiert sich konzeptionell als Erlaubnis- und Ermöglichungsgesetz (vgl. S. 38 f., 44). Neben der Samen- und der Embryospende lässt er die Eizellspende sowie Leihmutterschaft zu – statt von Leihmutterschaft könnte man auch von Schwanger- schaftsspende sprechen – und enthält hierzu Regelungen. Für Keim- bahneingriffe, die zurzeit noch hypothetisch sind, hält er zumindest einen Spalt offen. Indem der Entwurf systematisch vom Selbstbestim- mungsrecht und den Persönlichkeitsrechten ausgeht, orientiert er sich an der Logik des Bonner Grundgesetzes, der gemäß nicht die Inan- spruchnahme, sondern die Einschränkung von Freiheitsrechten be- gründungspflichtig ist (vgl. S. 30, 34 f. ). Zugleich trägt er dem weltan- schaulich-religiösen Pluralismus unserer Gesellschaft Rechnung und schließt zu normativen Standards auf, die heutzutage international anerkannt sind, etwa dem Recht auf reproduktive Autonomie. Manche Einzelheiten des Gesetzesvorschlags bedürfen der genaue- ren, auch kritischen Diskussion. Hier sei nur ein einzelner terminolo- gischer Aspekt erwähnt. Das Wort „Embryo“ – also die extrakorporal befruchtete Eizelle, der pränidative Embryo oder Präembryo – bedarf der Legaldefinition. Überraschend ist, dass die Autoren hierfür den normativ hochaufgeladenen Term der Totipotenz aufnehmen und jede totipotente Zelle als Embryo bezeichnen (S. 46). Naturwissenschaft- lich ist Totipotenz jedoch nicht trennscharf erfassbar; philosophisch und ethisch ist der Begriff gravierenden Einwänden ausgesetzt. Indem der Entwurf die Kategorie der Totipotenz rezipiert, die mit bestimm- ten ontologischen, im Ergebnis restriktiven Vorstellungen assoziiert ist, schwächt er sein eigenes Anliegen, Verfahren wie die morpho- logische Beobachtung von Embryonen oder – um einen aktuellen Sachverhalt zu ergänzen – das time lapse-monitoring von Embryo- nen oder auch eine im Umkreis des Achtzellstadiums erfolgende PID zu gestatten. Mit dem Wort „Totipotenz“ bleibt der Entwurf der in Deutschland bislang üblichen Einschätzung verhaftet, die in § 8 Abs. 1 ESchG und § 3 Abs. 4 StZG ihren Niederschlag fand und – auch im europäischen Vergleich – stark auf eine Verbotsmoral hinauslief. Eigentlich besteht die Pointe des Entwurfs jedoch darin, das Selbst- bestimmungsrecht ins Zentrum zu rücken und − sofern keine triftigen Vorbehalte geltend zu machen sind − Interessierten die Angebote me- dizinisch assistierter Reproduktion verfügbar zu halten. Der Entwurf konkretisiert diese Intention u. a. an der Präimplantationsdiagnostik. Zwar kann man bezweifeln, ob es tragfähig ist, wenn er die PID allzu schematisch in Analogie zur pränatalen Diagnostik und zur medizi- nisch-sozialen Indikation des Schwangerschaftsabbruchs zu regulieren vorschlägt (S. 51). Völlig zu Recht lehnt er es dann aber ab, dass der eigenverantwortete Entschluss von Frauen zur PID von „Ethik“-Kom- missionen bewertet und genehmigt werden müsse (S. 52). Mit die- sem Nein widerspricht er der Sache nach der PID-Rechtsverordnung (PIDV) vom 25. 2. 2013. § 6 Abs. 2 und 4 PIDV billigt den Ethikkom- missionen sogar zu, Frauen persönlich vorzuladen, um sie „anzuhö- ren“ und sie auf „psychische“ oder „ethische“ Aspekte hin zu befragen. Hiermit konterkariert die aktuelle PIDV das Selbstbestimmungsrecht, die Gewissensfreiheit sowie das Recht auf Privatsphäre, das Patientin- nen und Kinderwunschpaare besitzen. Umso wichtiger ist, dass der Augsburg-Münchner Entwurf einen gegenläufigen Akzent setzt. Exemplarisch sei noch ein weiterer Impuls des Entwurfs hervor- gehoben. Er sieht vor, dass künftig auch in Deutschland an über- zähligen Embryonen geforscht werden darf, sofern wohlbegründete Ziele verfolgt werden, Transparenz gewahrt und staatliche Kontrolle gewährleistet sind (S. 73). Diesem Anliegen ist zuzustimmen. Ethisch und rechtspolitisch ist es unplausibel, dass in Deutschland reproduk- tionsmedizinische Therapien erfolgen, deren Voraussetzung auslän- dische Embryonenforschung ist, wohingegen diese Forschung im Inland − trotz Art. 5 Abs. 3 GG − verboten ist. Auch dieser Punkt gehört zu dem Diskussionsbedarf und Reformstau, auf den der vor- liegende Band zu Recht aufmerksam macht. DOI: 10.1007/s00350-013-3522-1 Sicherheitsvorschriften für Medizinprodukte. Kommentar zum MPG und zur MPBetreibV mit weiteren Vorschriften und Texten. Begründet von Matthias Nöthlichs, bearbeitet von Uwe Kage. Verlag Erich Schmidt, Berlin, Bielefeld, München, Grundwerk einschließlich 33. Erg.-Lfg. Januar 2013, 1416 S., Loseblatt, € 76,00 Der Kommentar ist zusammen mit dem Wiesbadener Kommentar zuletzt 2011 in dieser Zeitschrift besprochen worden (MedR 2011, 755). Seither sind zu ihm vier weitere Nachlieferungen erschienen. Prof. Dr. theol. Hartmut Kreß, Universität Bonn, Evang.-Theol. Fakultät, Abt. Sozialethik, Bonn, Deutschland Rechtsanwalt Dr. iur Hans-Dieter Lippert, KNORR Rechtsanwälte AG, Ulm, Deutschland Rezensionen 642 MedR (2013) 31: 642–643 REZENSIONEN

Matthias Nöthlichs, Uwe Kage, Sicherheitsvorschriften für Medizinprodukte

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Page 1: Matthias Nöthlichs, Uwe Kage, Sicherheitsvorschriften für Medizinprodukte

Dass das LSG die Anwendung des Nikolausbeschlusses aber nicht schon mangels einer akut lebensbedrohlichen Erkran-kung verneint, zeigt die offensichtliche Bereitschaft des LSG, diese Grundsätze möglicherweise auch bei harmlose-ren Krankheiten zu berücksichtigen. Das LSG vertieft sei-

ne Auslegung jedoch nicht weiter, da im vorliegenden Fall keinerlei Indizien für eine Wirksamkeit der Tomatistherapie bestanden und überdies Alternativmethoden zur Verfügung standen, so dass ein Leistungsanspruch nach dem Nikolaus-beschluss ohnehin ausgeschlossen war.

Fortpflanzungsmedizingesetz. Augsburg-Münchner-Entwurf.

Von Ulrich Gassner, Jens Kersten, Matthias Krüger, Josef Franz Lindner, Henning Rosenau und Ulrich Schroth. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2013, 88 S., kart., € 19,00

In der Bundesrepublik Deutschland fehlt ein schlüssiges Fortpflan-zungsmedizingesetz, das Ärzten, Patientinnen bzw. Kinderwunsch-paaren, die In-vitro-Fertilisation nachfragen, sowie weiteren Betei-ligten wie z. B. Samenspendern Rechtssicherheit gewährleistet. Die gesetzlichen Vorgaben, die zurzeit gelten, entsprechen nicht mehr heutigen fachlichen Standards. Teilweise sind sie auch ethisch frag-würdig sowie unzweckmäßig. Für Patientinnen und für durch IVF entstandene Kinder bewirken sie sogar Gesundheitsgefahren, die ver-meidbar wären. Dies betrifft vor allem die sog. Dreierregel, die sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 i. V. mit Nr. 3 ESchG ergibt und u. a. zu nicht vertretbaren Mehrlingsschwangerschaften zu führen droht. Ungeach-tet aller juristischen Bemühungen um eine praxistaugliche Auslegung dieser Bestimmung sind für Reproduktionsmediziner die Rechtsun-sicherheiten bis heute nicht behoben. Die wiederholten Versuche, den Gesetzgeber zu veranlassen, wenigstens diese Einzelbestimmung zu korrigieren, liefen ins Leere. Der vorliegende Band kritisiert zutref-fend, dass der Gesetzgeber sich zur Reproduktionsmedizin faktisch einer „Strategie veralteten Rechts“ verschrieben hat (S. 20).

Rechts- und gesundheitspolitisch ist dies inakzeptabel. Daher ha-ben Augsburger und Münchner Rechtswissenschaftler die Initiative ergriffen und ein Fortpflanzungsmedizingesetz neu konzipiert. Ihr Vorstoß setzt nicht nur punktuell Korrekturen, sondern ist umfassend und grundsätzlich angelegt. Er basiert auf einer normativen Grund-lagenentscheidung, durch die – sollte der Gesetzgeber sie überneh-men – die medizinisch assistierte Reproduktion in der Bundesrepublik Deutschland ganz neu aufgestellt würde. Zurzeit wird sie durch das Embryonenschutzgesetz reguliert, das Nebenstrafrecht darstellt und weitgehend als Verbotsgesetz konstruiert worden ist. Der Augsburg-Münchner Entwurf legt stattdessen die Selbstbestimmungs- und Per-sönlichkeitsrechte zugrunde, auf die Menschen mit Kinderwunsch sich berufen können, und präsentiert sich konzeptionell als Erlaubnis- und Ermöglichungsgesetz (vgl. S. 38 f., 44). Neben der Samen- und der Embryospende lässt er die Eizellspende sowie Leihmutterschaft zu – statt von Leihmutterschaft könnte man auch von Schwanger-schaftsspende sprechen – und enthält hierzu Regelungen. Für Keim-bahneingriffe, die zurzeit noch hypothetisch sind, hält er zumindest einen Spalt offen. Indem der Entwurf systematisch vom Selbstbestim-mungsrecht und den Persönlichkeitsrechten ausgeht, orientiert er sich an der Logik des Bonner Grundgesetzes, der gemäß nicht die Inan-spruchnahme, sondern die Einschränkung von Freiheitsrechten be-gründungspflichtig ist (vgl. S. 30, 34 f. ). Zugleich trägt er dem weltan-schaulich-religiösen Pluralismus unserer Gesellschaft Rechnung und schließt zu normativen Standards auf, die heutzutage international anerkannt sind, etwa dem Recht auf reproduktive Autonomie.

Manche Einzelheiten des Gesetzesvorschlags bedürfen der genaue-ren, auch kritischen Diskussion. Hier sei nur ein einzelner terminolo-gischer Aspekt erwähnt. Das Wort „Embryo“ – also die extrakorporal befruchtete Eizelle, der pränidative Embryo oder Präembryo – bedarf der Legaldefinition. Überraschend ist, dass die Autoren hierfür den normativ hochaufgeladenen Term der Totipotenz aufnehmen und jede

totipotente Zelle als Embryo bezeichnen (S. 46). Naturwissenschaft-lich ist Totipotenz jedoch nicht trennscharf erfassbar; philosophisch und ethisch ist der Begriff gravierenden Einwänden ausgesetzt. Indem der Entwurf die Kategorie der Totipotenz rezipiert, die mit bestimm-ten ontologischen, im Ergebnis restriktiven Vorstellungen assoziiert ist, schwächt er sein eigenes Anliegen, Verfahren wie die morpho-logische Beobachtung von Embryonen oder – um einen aktuellen Sachverhalt zu ergänzen – das time lapse-monitoring von Embryo-nen oder auch eine im Umkreis des Achtzellstadiums erfolgende PID zu gestatten. Mit dem Wort „Totipotenz“ bleibt der Entwurf der in Deutschland bislang üblichen Einschätzung verhaftet, die in § 8 Abs. 1 ESchG und § 3 Abs. 4 StZG ihren Niederschlag fand und – auch im europäischen Vergleich – stark auf eine Verbotsmoral hinauslief.

Eigentlich besteht die Pointe des Entwurfs jedoch darin, das Selbst-bestimmungsrecht ins Zentrum zu rücken und − sofern keine triftigen Vorbehalte geltend zu machen sind − Interessierten die Angebote me-dizinisch assistierter Reproduktion verfügbar zu halten. Der Entwurf konkretisiert diese Intention u. a. an der Präimplantationsdiagnostik. Zwar kann man bezweifeln, ob es tragfähig ist, wenn er die PID allzu schematisch in Analogie zur pränatalen Diagnostik und zur medizi-nisch-sozialen Indikation des Schwangerschaftsabbruchs zu regulieren vorschlägt (S. 51). Völlig zu Recht lehnt er es dann aber ab, dass der eigenverantwortete Entschluss von Frauen zur PID von „Ethik“-Kom-missionen bewertet und genehmigt werden müsse (S.  52). Mit die-sem Nein widerspricht er der Sache nach der PID-Rechtsverordnung (PIDV) vom 25. 2. 2013. § 6 Abs. 2 und 4 PIDV billigt den Ethikkom-missionen sogar zu, Frauen persönlich vorzuladen, um sie „anzuhö-ren“ und sie auf „psychische“ oder „ethische“ Aspekte hin zu befragen. Hiermit konterkariert die aktuelle PIDV das Selbstbestimmungsrecht, die Gewissensfreiheit sowie das Recht auf Privatsphäre, das Patientin-nen und Kinderwunschpaare besitzen. Umso wichtiger ist, dass der Augsburg-Münchner Entwurf einen gegenläufigen Akzent setzt.

Exemplarisch sei noch ein weiterer Impuls des Entwurfs hervor-gehoben. Er sieht vor, dass künftig auch in Deutschland an über-zähligen Embryonen geforscht werden darf, sofern wohlbegründete Ziele verfolgt werden, Transparenz gewahrt und staatliche Kontrolle gewährleistet sind (S. 73). Diesem Anliegen ist zuzustimmen. Ethisch und rechtspolitisch ist es unplausibel, dass in Deutschland reproduk-tionsmedizinische Therapien erfolgen, deren Voraussetzung auslän-dische Embryonenforschung ist, wohingegen diese Forschung im Inland − trotz Art. 5 Abs. 3 GG − verboten ist. Auch dieser Punkt gehört zu dem Diskussionsbedarf und Reformstau, auf den der vor-liegende Band zu Recht aufmerksam macht.

DOI: 10.1007/s00350-013-3522-1

Sicherheitsvorschriften für Medizinprodukte.

Kommentar zum MPG und zur MPBetreibV mit weiteren Vorschriften und Texten. Begründet von Matthias Nöthlichs, bearbeitet von Uwe Kage. Verlag Erich Schmidt, Berlin, Bielefeld, München, Grundwerk einschließlich 33. Erg.-Lfg. Januar 2013, 1416 S., Loseblatt, € 76,00

Der Kommentar ist zusammen mit dem Wiesbadener Kommentar zuletzt 2011 in dieser Zeitschrift besprochen worden (MedR 2011, 755). Seither sind zu ihm vier weitere Nachlieferungen erschienen.

Prof. Dr. theol. Hartmut Kreß, Universität Bonn, Evang.-Theol. Fakultät, Abt. Sozialethik, Bonn, Deutschland

Rechtsanwalt Dr. iur Hans-Dieter Lippert, KNORR Rechtsanwälte AG, Ulm, Deutschland

Rezensionen642 MedR (2013) 31: 642–643

R E Z E N S IO N E N

Page 2: Matthias Nöthlichs, Uwe Kage, Sicherheitsvorschriften für Medizinprodukte

Beim Nöthlichs hat sich nach dessen Tod ein erneuter Wechsel in der Bearbeitung vollzogen. Nunmehr zeichnet Kage allein für den Kom-mentar verantwortlich. Die letzten Lieferungen brachten keine neu-en Kommentierungen, sondern beschränkten sich darauf, neugefasste Normtexte zu ersetzen, wie z. B. die Eichordnung oder die DIMDI-Verordnung. Neu aufgenommen wurde die Verordnung über die kli-nische Prüfung von Medizinprodukten (MPKPV). Leider ist sie nur im Wortlaut abgedruckt und nicht kommentiert. Bei der Medizinproduk-te-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) ist dies anders. Sie enthält eine, wenn auch knappe, Kommentierung. Mit der 32. Ergänzungslieferung wurden in das Werk u. a. die Aktualisierung der Richtlinie der Bun-desärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinische Untersuchungen und der Leitfaden zu messtechnischen Kontrollen von Medizinprodukten mit Messfunktionen (LMKM) aufgenommen.

Durch die 33. Lieferung wurden neu aufgenommen: Das Produkt-sicherheitsgesetz (ProdSG), die elektronischen Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte, Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und Wohlfahrtspflege – TRBA 250.Es wurden u. a. aktualisiert: Das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknah-me und umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronik-geräten – (ElektroG) in Auszügen, die Änderung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln – FTEG, ferner EU-rechtlich von Bedeutung: Technische Spezifikationen für In-vitro-Diagnostika, Anforderungen an unter Verwendung von Ge-webe tierischen Ursprungs hergestellte aktive implantierbare medizi-nische Geräte und Medizinprodukte.

Ingesamt wird der Nöthlichs durch die neuen Materialien aktuel-ler und bleibt dennoch handlich. Allerdings sollte der Wunsch nach weiteren Kommentierungen rund ums Medizinproduktegesetz nicht ungehört verhallen.

Transplantationsgesetz – Kommentar.

Herausgegeben von Wolfram Höfling. Verlag Erich Schmidt, 2. Aufl. Berlin 2013, 934 S., geb., € 164,00

Im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes (TPG; BGBl.  I S.  1601) und das Gesetz zur Einführung der Entscheidungslösung (BGBl. I S. 1504) verab-schiedet (zu den dadurch bewirkten Änderungen im Einzelnen vgl. Otto, JURA 2012, 745; Neft, MedR 2013, 82; Weyd, JURA 2013, 437). Damit war und ist die Intention verbunden, neben der Um-setzung der Europäischen Organspenderichtlinie (RL 2010/53/EU; ABl. 243/68) die Bereitschaft zur Organspende zu fördern (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 TPG). Diese Zielsetzung wurde allerdings durch die im gleichen Zeitraum publik gemachten Vorfälle innerhalb der Leber-transplantationsprogramme der Transplantationszentren Göttingen, Regensburg, München rechts der Isar und Leipzig konterkariert. In Reaktion hierauf erfolgten weitere gesetzgeberische Maßnahmen (vgl. BT-Dr. 17/13947).

Nur ein knappes halbes Jahr nach dem Inkrafttreten der beiden Gesetze aus dem Jahr 2012 ist die zweite Auflage des von Höfling he-rausgegebenen Kommentars zum TPG erschienen und liefert einen präzisen Überblick über den Sachstand des Transplantationsrechts. Wesentlich erweitert wurde insbesondere der Einführungsteil, der sich mit übergreifenden Fragen, den europarechtlichen Bezügen und der Abgrenzung zu benachbarten Rechtsgebieten befasst. Besonders hervorzuheben ist der ausführliche Überblick über die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten.

Im Rahmen der Kommentierung wird zutreffend festgestellt, dass der Gesetzgeber die Chance zur Korrektur der hinlänglich bekann-ten Schwachstellen, entgegen entsprechender Anträge der Länder im Bundesrat (BR-Dr. 457/11), ungenutzt hat verstreichen lassen (vgl. Höfling, § 16, Rdnr. 4). Auch nach der Reform des TPG ist das Trans-plantationsrecht noch immer nicht verfassungskonform ausgestaltet. Sowohl die Regelungen über die Aufnahme auf die Warteliste (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG) als auch über die Verteilung der postmortal gespendeten Organe (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG) genügen nicht rechts-staatlichen Anforderungen. Dabei arbeitet die Kommentierung (vgl. Lang, § 10, Rdnrn. 16 ff.) die wesentliche Erkenntnis heraus, dass es

sich bei diesen zentralen Fragen des TPG nicht um die bloße Fi-xierung wissenschaftlicher Standards handelt, sondern normative Wertentscheidungen getroffen werden, die rechtlich zwingend vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst geregelt, zumindest aber stär-ker, entsprechend der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG, von diesem vorstrukturiert werden müssen. Der Rechtsschutz – vor allem bezüglich der Organverteilung – bleibt defizitär. Diese bereits seit Erlass des TPG im Jahre 1997 bekannten Kritikpunkte werden in der Kommentierung umfangreich und sachgerecht aufgearbeitet. Mit der Übertragung von Regelungsbefugnissen auf die Koordi-nierungsstelle (§ 11 Abs. 1a TPG) ist überdies ein weiterer Baustein hinzugetreten, der unter dem Blickwinkel demokratischer Legiti-mation als problematisch zu bewerten ist, was die Kommentierung zutreffend analysiert (Lang, § 11, Rdnr. 25). Die aus legitimatorischer Sicht ebenfalls problematische Überantwortung der Konkretisierung wesentlicher Details auf die Bundesärztekammer (§ 16 TPG) wird nunmehr durch einen Genehmigungsvorbehalt abgemildert (BT-Dr. 17/13947, BR-Dr. 493/13). Diese Neuerung sowie die Strafbar-keit der Wartelistenmanipulation wurden erst nach der Veröffentli-chung des Kommentars vom Gesetzgeber beschlossen.

Die Einführung einer Entscheidungslösung – ohne Entschei-dungspflicht (vgl. § 2 Abs. 2a TPG) – darf nicht darüber hinwegtäu-schen, dass sich an der bislang geltenden erweiterten Zustimmungs-lösung nichts ändert. Dies führt aufgrund der Tatsache, dass nur eine Minderheit der Bürger ihre Entscheidung zur Organspende doku-mentiert und kommuniziert, dazu, dass weiterhin Dritte nach eige-nem Ermessen über die Zulässigkeit der Organentnahme entscheiden müssen (§ 4 TPG). Und das im denkbar ungünstigsten Zeitpunkt der Übermittlung der Todesnachricht. Ob es der Entscheidungslösung gelingt, dieses zeitliche Spannungsverhältnis aufzubrechen, bleibt abzuwarten. Die Einführung der von einigen Ländern geforderten Widerspruchslösung fand bereits im Bundesrat keine Mehrheit. Der Kommentar lehnt die Widerspruchslösung wegen verfassungsrechtli-cher Bedenken ab und scheint sich sogar für eine enge Zustimmungs-lösung auszusprechen (Weber, § 4, Rdnr. 28). Die Auswirkungen einer solchen Regelung auf die Transplantationsmedizin in Deutschland werden allerdings nicht weiter diskutiert.

Nur an ganz wenigen Stellen vermögen die Kommentierungen nicht zu überzeugen. Im Rahmen der Frage, ob die nach § 4 Abs. 1 TPG erforderlichen Gespräche mit den Angehörigen auch von nicht-ärztlichen Personen geführt werden dürfen, wird auch auf die Rolle der Transplantationsbeauftragten eingegangen (Weber, § 4, Rdnr. 10). Mit Verweis auf die bayerischen Ausführungsbestimmungen (Gesetz zur Ausführung des Transplantationsgesetzes – AGTPG, GVBl. 1999, 464) wird festgestellt, dass in Bayern auch Pflegekräfte als Beauftrag-te (der Kommentar spricht irrtümlich von Koordinatoren)  bestellt werden können. Dies trifft nicht zu, da Art.  6 Abs.  2 S.  1 AGT-PG ausnahmslos einen im Bereich der Intensivmedizin erfahrenen Facharzt fordert. Dieser wäre also unproblematisch in der Lage, die von § 4 Abs. 1 TPG einem Arzt übertragene Unterrichtung der An-gehörigen zu übernehmen, wenn das bayerische Ausführungsrecht dies auch nicht vorsieht, sondern ihm lediglich die Sicherstellung der Angehörigenbetreuung überantwortet (Art.  8 Abs.  1 Nr.  6 AGT-PG). Gleichwohl ist die aufgeworfene Frage nach der Einbeziehung nichtärztlicher Mitarbeiter von aktueller Relevanz, da § 9 b Abs.  1 S. 1 TPG die Qualifikation der nun bundesweit an allen Entnahme-krankenhäusern zu bestellenden Transplantationsbeauftragten offen lässt und der Regelung durch die Länder anheimstellt (§ 9 b Abs. 3 S. 1 TPG). Dabei ging der Gesetzgeber ausweislich der Begründung davon aus, dass ausnahmsweise auch Pflegekräfte die Rolle des Be-auftragten ausüben können (BT-Dr.  17/9773, S.  32). Leider wird diese Fragestellung im Rahmen der knappen Kommentierung der §§ 9 a, 9b TPG nicht weiter aufgenommen. Zu dieser ist vor allem anzumerken, dass die Länder im Bundesrat nicht eine vollumfäng-liche Freistellung aller Transplantationsbeauftragter gefordert haben (so Rixen, § 9 b, Rdnr. 6), sondern nur für die Beauftragten, die an einem Transplantationszentrum tätig sind (BR-Dr. 457/11). In den übrigen Entnahmekrankenhäusern sollte sich der Umfang der Frei-stellung nach der Anzahl der zu betreuenden Intensivbetten richten. Unerwähnt bleibt im Rahmen des § 9 b TPG auch die – bislang in der Praxis noch völlig unzureichend geklärte – Frage der Finanzierung der Beauftragten, auf die erst bei § 11 TPG (Lang, § 11, Rdnr.  52) knapp eingegangen wird.

Nicht beleuchtet wird im Rahmen der Kommentierung des § 4 TPG hingegen, ob Mitarbeiter der Koordinierungsstelle das Ange-hörigengespräch führen können, was später (Lang, § 11, Rdnr. 29) als deren Aufgabe angenommen wird. Nicht näher eingegangen wird auf die im Rahmen der Zulassung von Transplantationszentren in § 10

Dr. iur. Jens Weyd, München, Deutschland

Rezensionen MedR (2013) 31: 643–644 643