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Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Magisterstudiengang Geschichte/Politikwissenschaft Magisterarbeit Titel: Funktional geplant. Der Versuch der Realisierung der Charta von Athen in Chandigarh und Brasilia. Vorgelegt von: Boris Niclas Betreuender Gutachter: Prof. Dr. Thomas Etzemüller Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Hans Henning Hahn Oldenburg, den 09.07.2009

Magisterarbeit Funktional geplant. Der Versuch der ...oops.uni-oldenburg.de/899/1/Magisterarbeit.pdf · Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 Chandigarh und Brasilia als Ergebnisse

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Page 1: Magisterarbeit Funktional geplant. Der Versuch der ...oops.uni-oldenburg.de/899/1/Magisterarbeit.pdf · Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 Chandigarh und Brasilia als Ergebnisse

Carl von OssietzkyUniversität Oldenburg

MagisterstudiengangGeschichte/Politikwissenschaft

Magisterarbeit

Titel:

Funktional geplant. Der Versuch der Realisierung der Charta von Athen in Chandigarh und Brasilia.

Vorgelegt von: Boris Niclas

Betreuender Gutachter: Prof. Dr. Thomas Etzemüller

Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Hans Henning Hahn

Oldenburg, den 09.07.2009

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Chandigarh und Brasilia als Ergebnisse funktionaler Stadtplanung

1.2 Die postmoderne Perspektive

1.3 Das Problem der postmodernen Perspektive auf Chandigarh und Brasilia

1.4 Historischer Kontext und länderspezifische Besonderheiten

2 Die funktionale Stadt im Kontext der Stadtplanung des 20. Jahrhunderts

2.1 Die Kritik an der industrialisierten Stadt

2.2 Moderne Stadtplanung im 20. Jahrhundert

2.2.1 Gartenstadt, Regionalplanung und Dezentralisierung

2.2.2 Funktionale Stadt 2.2.3 Organische Stadtplanung: Funktionalisierung

der dezentralisierten Stadt

2.3 Funktionalismus als modernes Wirtschaftsprinzip

2.3.1 Die ökonomischen Ursprünge des Funktionalismus

2.3.2 Das Automobil und die funktionale Stadt

2.4 Postmoderne Kritik

2.4.1 Kritik am autoritären Planungsstil 2.4.2 Der Utopie-Vorwurf

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3 Chandigarh und Brasilia

3.1 Modernisierungspolitik für ökonomische Entwicklung und nationales Selbstbewusstsein

3.2 Die modernistische Avantgarde in Brasilien und Indien 3.2.1 Brasilien 3.2.2 Indien

3.3 Die Masterpläne als Realisierung der Athener Forderungen 3.3.1 Grundrisse 3.3.2 Die vier Stadtfunktionen

3.3.2.1 Wohnen 3.3.2.2 Freizeit 3.3.2.3 Arbeit 3.3.2.4 Verkehr

3.3.3 Verhinderung von Bodenspekulation

3.4 Gescheiterter Modernismus?

3.4.1 Der Vorwurf des utopischen Modernismus 3.4.2 Entwicklung der Projektsituationen

3.5 Zukunftsaussichten

4 Fazit

5 Literatur- und Quellenverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1:La Ville Radieuse, entn. aus: Le Corbusier: The Radiant City, 1964 [1933]

Abb. 2: Fiktive Skizze einer zukünftigen modernen Architektur Indiens, veröffentlicht im Journal of the Indian Institute of Architecture 1946

Abb. 3: Costas Planskizzen für Brasilia

Abb. 4: Costas Wettbewerbsplan 1956

Abb. 5:Albert Mayers und Le Corbusiers Masterpläne im Vergleich

Abb. 6:Ausschnitt aus Albert Mayers "Leaf Plan"

Abb. 7: Lucio Costas Skizze einer Nachbarschaftseinheit aus vier Superquadras

Abb. 8: Grundriss des Modellsektors 22 in Chandigarh

Abb. 9:Bevölkerungsentwicklung Brasilia und Chandigarh 1950 - 2010

Abb: 10:Verschiedene Entwürfe für Superquadra SQN 207

Abb. 11:Mögliche Erhöhung der Wohndichte durch Umgestaltung einer V2 in Chandigarh

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1 Einleitung

1.1 Chandigarh und Brasilia als Ergebnisse funktionaler Stadtplanung

Die brasilianische Hauptstadt Brasilia und Chandigarh, die Provinzhauptstadt des

indischen Bundesstaates Punjab, wurden in den 1950er Jahren in Rekordzeit geplant

und errichtet. Die beiden Projekte, die in dünn besiedelten und wenig erschlossenen

Gebieten initiiert wurden, sind heute die beiden markantesten und zugleich

umfangreichsten Beispiele für die Umsetzung modernistischer funktionaler

Stadtplanung. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie und in welcher

Form ein Planungsdenken, das sich nur wenige Jahre zuvor in Europa entwickelt hatte,

so umfangreich und konsequent an Orten realisiert werden konnte, die sich buchstäblich

auf der anderen Seite der Welt befinden. Wie sich zeigt, sind die beiden Städte keine

isolierten Phänomene, sondern können exemplarisch für den damaligen Trend der

Etablierung moderner Stadtplanungsprinzipien auf einer globalen Ebene betrachtet

werden. Diese hatten sich bereits seit dem 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika

entwickelt, wo die Moderne mit der Industrialisierung und der damit

zusammenhängenden Migration der Bevölkerung vom Land in die Städte zu gewaltigen

sozialen und kulturellen Transformationen, vor allem aber zu einer beispiellosen

ökonomischen und technologischen Entwicklung geführt hatte. In der Mitte des 20.

Jahrhunderts verbreitete sich weltweit ein Modernismus, der den gleichen Fortschritt

sämtlichen Nationen versprach, die die Entwicklung ihrer Volkswirtschaften nach

modernen Prinzipien planten. Dieser Trend beschränkte sich nicht auf Länder, die erst

kurz zuvor aus einer europäischen Kolonialherrschaft entlassen worden waren und nun

mit der Entwicklungshilfe ehemals kolonialer Verwaltungsapparate versuchten, durch

Modernisierung einen ökonomischen und machtpolitischen Anschluss an die

industrialisierten Großmächte zu finden. Auch Länder, die bereits auf eine längere

Geschichte der politischen Unabhängigkeit zurückblicken konnten, sahen in den

globalen Verwerfungen und Transformationen des 20. Jahrhunderts ihre Chance

gekommen, sich von der ökonomischen und kulturellen Dominanz der alten Regime zu

emanzipieren.

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1.2 Die postmoderne Perspektive

Wie heute bekannt ist, führten diese Bemühungen in vielen Fällen nicht zu dem

gewünschten Erfolg einer dem Westen ökonomisch und kulturell gleichrangigen

Industrialisierung und Modernisierung der betroffenen Länder, vor allem in Bezug auf

den Ausbau wirtschaftlicher Zentren und die Bekämpfung von Slums und

Elendsquartieren in den Städten. Die überwiegende Anzahl zeitgenössischer Werke, die

sich mit dem modernen Städtebau auseinandersetzen, führt das auf die Fehlerhaftigkeit

dessen zurück, was in der Postmoderne als „modernistische Utopie“ bezeichnet wird.

Die Postmoderne erweist sich in diesem Zusammenhang als ein schwer

konkretisierbares Paradigma, das sich seit den 1960er Jahren zunehmend in der

Forschung etabliert hat. Einen besonders grundlegenden Einfluss auf das heutige

Verständnis der Geschichtswissenschaft hat dabei das Feld der postmodernen Theorien,

das aufgrund der starken Heterogenität der jeweiligen Werke von Autoren, wie Michel

Foucault, Gilles Deleuze, Jean Baudrillard und vielen anderen, eine Komplexität

aufweist, die in dieser Arbeit nicht reproduziert werden kann. Grob umrissen handelt es

sich hierbei überwiegend um erkenntnistheoretische Ansätze, die dem

homogenisierenden Anspruch der Moderne, eine materielle Wahrheit mit den Mitteln

rationaler Logik und Wissenschaft zu einer globalen Gültigkeit erheben zu können,

widersprechen.1 Postmoderne Theorie basiert auf dem Verständnis eines gesellschafts-

theoretischen Pluralismus, der aus der Vielfalt individueller Perspektiven auf die jeweils

medial verfügbare Realität resultiert. Diese Anerkennung einer Heterogenität

verschiedener subjektiver Realitäten führt zu den verschiedenen linguistischen und

medientheoretischen Ansätzen postmoderner Theorie und steht im Gegensatz zum

allgemeinen Gültigkeitsanspruch moderner Denkansätze, der aus der Sicht

postmoderner Kritiker für einen Großteil des menschlichen Leides im 20. Jahrhundert

verantwortlich ist. In dieser Arbeit findet kein direkter Bezug auf eine spezifische

postmoderne Theorie statt, die Etablierung dieses Denkens hat jedoch zu einem

Paradigmenwechsel im Zugriff zeitgenössischer Historiographien auf die

modernistische Stadtplanung geführt. Dieser drückt sich weniger in der Anwendung

postmoderner Methodik bei der Erstellung der betreffenden Werke aus als vielmehr in

1 Best / Kellner: Postmodern Theory. Critical Interrogation, 1991

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der weit verbreiteten Ansicht eines Epochenwechsels von der Moderne zur

Postmoderne. Ohne sich dabei ausdrücklich auf eine übereinstimmende postmoderne

Stadtplanungstheorie zu beziehen, ist der postmoderne Ansatz in Form von Kritik an

modernistischen Ansätzen der Stadtplanung evident, die als utopisch zurückgewiesen

werden. In der vorliegenden Arbeit wird diese häufig anzutreffende Argumentation als

postmoderner Ansatz der Kritik an der modernistischen Stadtplanung problematisiert.

Eine konkrete Auseinandersetzung mit einigen der betreffenden Werke findet vor allem

in den Kapiteln 2.4 und 3.4 statt sowie im abschließenden Fazit.

1.3 Das Problem der postmodernen Perspektive auf Chandigarh und Brasilia

Ein grundlegendes Problem mit Werken, die von einem Paradigmenwechsel seit den

1960er Jahren von einem modernen zu einem postmodernen Städtebau ausgehen,

besteht in ihrer Konzentration auf die Entwicklungen der modernen Stadtplanung in

ihren Ursprungsregionen, also Nordamerika und Europa. Hier ist ein solcher Wechsel,

für den mit den umfangreichen kulturellen Veränderungen der letzten 50 Jahre

argumentiert wird, nachvollziehbar. Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass

diese Umwälzungen auch auf der Basis eines materiellen Wohlstandes und einer

Technologisierung stattfanden, die sich in dieser Breite nur in den Gesellschaften der

wohlhabenden Industrieländer entwickelten. Das ist vor allem das Ergebnis der

umfangreichen Industrialisierung und Modernisierung dieser Länder. Eine

Historiographie aber, die in ihre Darstellung auch die Entwicklungen in anderen,

weniger modernisierten Regionen der Welt einbezieht, kann die dortigen Zustände nicht

allein mit dem Scheitern einer modernistischen Utopie erklären. Zwar lässt sich der Bau

Brasilias und Chandigarhs nur mit der Existenz starker modernistischer Bewegungen in

Indien und Brasilien erklären, von einer tatsächlich umfassend erfolgten Moder-

nisierung im Sinne einer materiellen und sozialen Transformation der Länder kann

jedoch nicht die Rede sein. Eine Beschreibung, die sich zu sehr auf einen Ansatz

postmoderner Kritik verlässt, läuft indes Gefahr, einen Zustand nicht erfolgter

Modernisierung als Evidenz eines vermeintlichen Widerstandes gegen die Moderne

misszuverstehen.

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1.4 Historischer Kontext und länderspezifische Besonderheiten

Eine internationale Geschichte der modernen Stadtplanung muss länderspezifische

Besonderheiten berücksichtigen, darf dabei aber nicht den Kontext außer Acht lassen,

aus dem diese Planungsphilosophie entstand. Diese Arbeit umfasst daher zwei Teile.

Der erste Teil beinhaltet eine Kontextualisierung des funktionalistischen Städtebaus, der

die Grundlage für die Planungen Brasilias und Chandigarhs ist, der zweite Teil geht auf

die Entstehung und Entwicklung der Städte selbst ein. Bei der Beschreibung des

Kontextes der modernen Stadtplanungsbewegungen stelle ich nach einer kurzen

Einführung in die Motivation des modernen Städtebaus mit der Gartenstadtbewegung,

der funktionalen und der organischen Stadtplanung drei Entwicklungslinien vor, die in

ihrer Gesamtheit entscheidend das Bild der modernen Stadt des 20. Jahrhunderts

prägten. In diesem Zusammenhang wird auch die Entstehung der „Charta von Athen“

thematisiert, die durch den Architekten Le Corbusier als Wiedergabe der Forderungen

des vierten internationalen Kongresses der modernen Architektur veröffentlicht wurde

und die bei der Analyse der Masterpläne Brasilias und Chandigarhs im zweiten Teil der

Arbeit eine zentrale Rolle spielt. Nach dieser Einordnung gehe ich näher auf das

Konzept des Funktionalismus ein, das in diesem Zusammenhang nicht als ästhetisches

Stilmittel zu verstehen ist, sondern als ein Ordnungsdenken, das sich aus einem

ökonomischen Rationalismus heraus entwickelte. Dabei beschreibe ich die Entwicklung

eines frühen Funktionalismus durch die Chicagoer Schule der Architektur und die

Ausrichtung des funktionalen Städtebaus auf das Automobil. Mit diesen Aspekten wird

die Bereitschaft der modernen Stadtplaner betont, neue Technologien konsequent in

ihre Entwürfe einzuplanen und so der Technologie selbst Raum für die industrielle

Verbreitung zu schaffen. Am Ende des ersten Teils komme ich schließlich auf die Kritik

zu sprechen, die seit den 1960er Jahren gegen die moderne Stadtplanung formuliert

wird. Dabei geht es vor allem um den zentralen Ansatz postmoderner Kritik, die

funktionale Stadtplanung als modernistische Utopie abzulehnen, wobei der Begriff der

Utopie selbst durch eine Kontextualisierung mit dem Stadtplanungsdiskurs des 20. Jahr-

hunderts problematisiert wird. Die Literatur, auf die im Rahmen des ersten Teiles

zurückgegriffen wird, besteht zum Teil aus Historiographien, mit denen der aktuelle

Forschungsstand zum Thema reflektiert wird. Durch die Nennung zeitgenössischer

Werke wird allerdings auch der textbasierte Diskurs der Stadtplanung wiedergegeben.

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Im zweiten Teil konzentriere ich mich auf die Städte Chandigarh und Brasilia und deren

direktes politisches und kulturelles Umfeld in Indien und Brasilien. Eine umfassende

Geschichtsschreibung der beiden Länder über die betreffende Zeit kann aufgrund des

begrenzten Umfanges dieser Arbeit nicht geleistet werden, jedoch werden einzelne

Aspekte aufgegriffen, mit denen die Gründung der Städte aus ihrem politischen und

kulturellen Kontext heraus erklärt wird. Die konkrete Verbindung zur funktionalen

Stadtplanung arbeite ich nicht nur durch die Darstellung der personellen Beziehungen

der beteiligten Stadtplaner heraus, sondern auch durch die Untersuchung der Frage nach

der konkreten Umsetzung der Forderungen des vierten internationalen Kongresses der

modernen Architektur. Im Anschluss daran problematisiere ich die Kritik an der

modernen Stadtplanung, wie sie im ersten Teil beschrieben wurde, sich aber auch direkt

gegen die Städte Chandigarh und Brasilia selbst richtet. In diesem Zusammenhang wird

der postmoderne Zugriff auf die Städte mit der ökonomischen und sozialen Problematik

konfrontiert, die durch diesen Ansatz nicht ausreichend beschrieben wird. Im letzten

Kapitel beschreibe ich die gegenwärtige Situation und den Umgang mit dem Erbe der

funktionalen Stadtplanung im Hinblick auf eine zukünftige Entwicklung Brasilias und

Chandigarhs. Insgesamt wird im zweiten Teil stärker auf Studien zurückgegriffen, die

sich unmittelbar mit der Entwicklung der Städte befassen, sowie auf Sekundärliteratur,

die sich mit den Masterplänen der Städte und den Umständen ihrer Realisierung

beschäftigt.

In meinem Fazit komme ich zu der Schlussfolgerung, dass eine internationale

Historiographie, die sich mit der Entwicklung und der Bedeutung der modernen

Stadtplanung des letzten Jahrhunderts auch außerhalb der hochindustrialisierten und

modernisierten Nationen auseinandersetzt, sich von einer ausschließlich postmodernen

Perspektive auf diese Regionen lösen muss. Deren fundamentale Kritik an

modernistischen Ansätzen steht bisweilen im Widerspruch zu der Notwendigkeit einer

fortdauernden Modernisierung, wenngleich diese aus dem moderierenden Einfluss

postmoderner Ansätze durchaus profitieren kann.

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2 Die funktionale Stadt im Kontext der Stadtplanung des 20. Jahrhunderts

2.1 Die Kritik an der industrialisierten Stadt

Während einige kulturelle Zentren und Metropolen Europas auf eine mehr als

zweitausendjährige Geschichte zurückblicken können, entwickelten sich die meisten

europäischen Großstädte erst im Zuge der Transformation von der Agrar- zur

Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts. Hungersnöte und hohe Arbeitslosigkeit auf

dem Land führten zu Auswanderungswellen und einer allgemeinen Landflucht, die

durch den hohen Bedarf an Arbeitskraft in den entstehenden industriellen Zentren

verstärkt wurde.

In Städten wie Manchester, die ihr Wachstum den neu errichteten Industrien

verdankten, verdreißigfachten sich die Einwohnerzahlen zwischen 1801 und 1911, aber

auch in Städten, die wie London schon vor der Industrialisierung Metropolen gewesen

waren oder zumindest bereits kulturelle oder wirtschaftliche Bedeutung besaßen, wie

Berlin oder Hamburg, vervielfachten sich die Einwohnerzahlen.2 Dieses enorme

Wachstum und die Verknappung des Wohnraumes führten zu einer Verschlechterung

der Lebensqualität in den Städten, die bald Gegenstand vielseitiger Kritik wurde.3 In

Deutschland polemisierte der konservative Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl noch

vor der Entstehung der deutschen Großstädte gegen ihre volksschädigenden

Lebensbedingungen und lieferte damit schon lange vor der Katastrophe des dritten

Reiches gedankliche Grundlagen für einen antimodernistischen und agrarorientierten

Traditionalismus, wie ihn später auch die Nationalsozialisten aufgriffen.4

Doch nicht nur konservative, sondern auch die frühsozialistischen Autoren Robert

Owen und Charles Marie Fourier sowie die klassischen Sozialisten Marx und Engels

kritisierten den sich verschärfenden Stadt-Land-Gegensatz, der aus ihrer Sicht

zusammen mit der problematischen Wohnungsfrage das Scheitern der kapitalistischen

2 Durth / Gutschow: Träume in Trümmern I, 1988, S. 1643 Über die Großstadtkritik des 19. Jahrhunderts siehe Bahrdt: Die moderne Großstadt, 1969, S.35—39

und Oswald: Die überschätzte Stadt, S. 65-724 Hengartner: Forschungsfeld Stadt, 1999, S. 47-56 und Durth / Gutschow, Träume in Trümmern I,

1988, S. 164f

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Gesellschaft markierte.5 Erst im späten 19. Jahrhundert mischten sich in die Kritik

auch positivere Sichtweisen des großstädtischen Lebens. So entwickelte der Brite

Ebenezer Howard sein Gartenstadtmodell zwar ebenfalls aus einer stadtkritischen

Perspektive. Allerdings war die Gartenstadt ausdrücklich darauf ausgelegt, die

anerkannten sozialen Vorteile des modernen Lebens in der Großstadt zu erhalten.6

Diese kurze Aufzählung einiger der prominentesten Stadtkritiker kann keinen Anspruch

auf Vollständigkeit erheben. Sie verdeutlicht allerdings, dass die Situation in der

industrialisierten Stadt besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

unabhängig von der sozialphilosophischen Perspektive des Betrachters als

gesellschaftliches Problem wahrgenommen wurde. Mit dem Anbruch des 20.

Jahrhunderts verbreitete sich aber auch die Zuversicht, dieses Problem mit neu

erlernten Mitteln der Moderne lösen zu können. Das 19. Jahrhundert hatte eine

beeindruckende Entwicklung der Wissenschaft erlebt, die den technologischen

Fortschritt vorantrieb, aber auch durch neue Erkenntnisse wie etwa die

Evolutionstheorie das Selbstverständnis der Gesellschaften grundlegend veränderte. So

war es nur konsequent, dass der schottische Biologe Patrick Geddes 1915 eine neue

Wissenschaftsdiziplin der Stadtplanung forderte.7 Aus seiner biologischen Perspektive

betrachtete er das Industriezeitalter als Teil der Evolution der menschlichen

Gesellschaft, die sich in Analogie zum Paläolithicum und dem Neolithicum bis dato auf

der Stufe der „Paläotechnik“ befand und nun mit Hilfe der gezielten wissenschaftlichen

Entwicklung, insbesondere der Stadt als zentraler Manifestation menschlicher

Gesellschaft, auf das Level der „Neotechnik“ voranschreiten würde. Zu diesem Zweck

forderte er eine zielgerichtete Ausbildung der gesamten Bevölkerung und ein

wissenschaftliches Zentrum für eine konkrete lokale Entwicklungsplanung in jeder

Stadt.

Bereits mit den pragmatischen Ansätzen Howards, ganz explizit aber mit dem

wissenschaftlichen Planungsgedanken Geddes' manifestierte sich ein neues Verständnis

der Stadtplanung, das die Chance auf eine Lösung der Probleme der modernen

Gesellschaft nicht in einer Flucht vor den Auswirkungen der Moderne suchte, sondern

in der Anwendung ihrer Prinzipien. Wissenschaft, Wirtschaft und Expertentum hatten

die Industrialisierung möglich gemacht, nun sollten sie genutzt werden, deren negative

5 Kainrath: Die Bandstadt, 1997, S. 18-20, über Owen und Fourier siehe auch: Bollerey, Architekturkonzeptionen der utopischen Sozialisten, 1991

6 Howard: Garden Cities of To-morrow, 1985 [1898], S. 3-127 Geddes: Cities in Evolution, 1949 [1915], S. 97-108

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Auswirkungen zu bekämpfen. Der daraus resultierende Planungsenthusiasmus

beeinflusste das 20. Jahrhundert nachhaltig und revolutionierte das Verständnis von

städtischer und gesellschaftlicher Raumordnung in der Form verschiedenster

Denkansätze. Das Horrorbild des viktorianischen Slums und die Warnungen der

Stadtkritiker des 19. Jahrhunderts, die einen drohenden Kollaps der Gesellschaft

befürchteten, wurden immer dann umso eher herangezogen, je mehr man um die

Legitimierung urbaner Planungsvorhaben fürchten musste.

2.2 Moderne Stadtplanung im 20. Jahrhundert 2.2.1 Gartenstadt, Regionalplanung und Dezentralisierung

Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, wurden Stadt und Land vor dem späten 19.

Jahrhundert überwiegend als Gegensatz wahrgenommen. Damit ist aber unweigerlich

auch die Trennung der Begriffe verbunden, die jeweils mit einer eigenen einheitlichen

Vorstellung, insbesondere ihrer räumlichen Ordnung, assoziiert wurden. Das Land galt

als weit, sauber, menschenleer und die Verhältnisse als geordnet, die Stadt als eng,

schmutzig, überfüllt und chaotisch.

Vor diesem Hintergrund betrachtet, war es nur eine Frage der Zeit, bis die mit diesem

Gegensatz konfrontierten Menschen auf die Idee kamen, selbigen aufzuheben. Als 1898

Ebenezer Howards Buch „Garden Cities of To-morrow“ erschien, hatten bereits andere

vor ihm ähnliche Ideen gehabt.8 Howards Programm, das insbesondere in Fragen der

Finanzierung und Machbarkeit präzise ausgearbeitet war, war jedoch so erfolgreich,

dass es als Meilenstein betrachtet werden kann.

Bei der Gartenstadt handelt es sich um ein relativ simples Konzept einer

Dezentralisierung des Wohnraumes aus der überfüllten Innenstadt in eigenständige

Gartenstädte, die durch breite Grüngürtel und Agrarnutzflächen von der zentralen Stadt

getrennt werden. Auf diese Weise entstehen absichtlich segregierte naturnahe

Wohnräume, die nicht nur die Ruhe und den Frieden ländlichen Wohnens bieten,

sondern auch durch niedrige Grundstückspreise eine großzügige und menschenwürdige

Bebauung erlauben. Gleichzeitig sieht das Konzept eine extensive Nutzung moderner

Massenverkehrsmittel vor, um einen schnellen Transfer in das Stadtzentrum und andere

8 Howard: Garden Cities of To-morrow, 1985 [1898], S. 82-91, und Hartmann: Deutsche Gartenstadtbewegung, 1976, S. 33f

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Gartenstädte zu ermöglichen. Bemerkenswert ist, dass es sich bei diesem Konzept nicht

um eine antimodernistische Forderung nach einer Rückentwicklung der Stadt wie etwa

im Sinne Riehls handelt, sondern um ein neues räumliches Städtebaukonzept, das durch

den extensiven Einsatz moderner Technologien, wie Autostraßen und Eisenbahntrassen,

überhaupt erst ermöglicht wird.

Der ursprünglich kapitalismuskritische Ansatz Howards, der im Rahmen der

Dezentralisierung auch die Möglichkeit der Selbstversorgung der Gartenstadt-

gemeinden betonte,9 wurde nur in den frühen Realisierungen Letchworth und Hollerau

und dort auch nur ansatzweise umgesetzt10 und verschwand in späteren Realisierungen

ganz. Entscheidend für den immensen Einfluss ist die Rolle der Gartenstadt als

Satellitenstadt, die mit ihrem hauptsächlich räumlichen Ordnungskonzept eine effektive

Kontrolle des Städtewachstums ermöglichte. In dieser Form wurde sie von den

Stadtplanern aufgegriffen, deren Ziel eine professionelle regionale Stadtplanung war,

wie sie Patrick Geddes gefordert hatte.11 Besonders die Gründung der „Regional

Planning Association of America“ RPAA in den USA 1923 unter der Beteiligung des

Amerikaners Lewis Mumford fand im Geiste der Ansichten von Patrick Geddes statt.12

Die dezentralisierte regionale Stadtplanung war maßgebend bei den zahlreichen

Gründungen von Satellitenstädten in Großbritannien und den Vereinigten Staaten von

Amerika vor dem zweiten Weltkrieg13 und bei den Gründungen der New Towns der

Nachkriegszeit, die in Folge der grundlegenden Neugestaltung Londons im Sinne des

Greater London Plan von Patrick Abercrombie14 errichtet wurden.15

Die oben beschriebene Grundidee der Gartenstadt von durch Grünzonen segregierten

dezentralisierten Ansiedlungen verbreitete sich so auch von Anfang des 20.

Jahrhunderts an weltweit mit großem Erfolg, auch wenn die verschiedenen

internationalen Gartenstadtbewegungen vor deutlich anderen kulturellen Hintergründen

unterschiedliche Akzente in ihrer konkreten Ausgestaltung setzten.16 Deshalb kann auch

nicht von einer homogenen internationalen Gartenstadtbewegung die Rede sein. Das

Prinzip fand zwar weltweit eine überzeugte Anhängerschaft, diese war jedoch nicht als

9 Fishman: Urban Utopias in the Twentieth Century, 1977, S.27-2910 Ward: The Garden City Introduced, 199211 Ebd.12 Hall: Cities of Tomorrow, 1988, S. 136-15613 Ebd., S. 136-17314 Abercrombie: Greater London Plan 1944, 194515 Ward: The Garden City Introduced, 199216 vgl. Gaudin: The French Garden City, 1992; Watanabe: The Japanese Garden City, 1992; Freestone:

The Australian Garden City, 1992; Hardy: The Garden City campaign: an overview, 1992; über die deutsche Gartenstadtbewegung vgl. Hartmann: Deutsche Gartenstadtbewegung, 1976

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solche organisiert und artikulierte sich daher auch nicht einheitlich.

Mit Bruno Tauts Forderung nach der „Auflösung der Städte“17 und Frank Llyod

Wrights Plänen für eine „Broadacre City“18 erregten in den Jahren 1920 und 1935 zwei

Ansätze Aufmerksamkeit, die eine konsequente Weiterentwicklung der mit der

Gartenstadt begonnenen Dezentralisierung vorschlugen. In beiden Fällen sollten

städtische Existenzformen komplett aufgelöst und durch ein loses ländliches Wohn- und

Arbeitsnetzwerk ersetzt werden. Während es sich bei Bruno Tauts Arbeit um ein

avantgardistisches Werk handelt, das seinen Reiz eher auf einer abstrakt-künstlerischen

als einer konkreten planerischen Ebene entfaltet, präsentierte Wright 1935 ein komplett

ausgearbeitetes konkretes Modell eines weitläufigen Geländes mit vereinzelten Wohn-

und Nutzgebäuden und großzügig angelegten Agrarnutzflächen, verbunden durch

Autostraßen für den Individualverkehr. Weder Tauts noch Wrights Ansätze wurden in

dieser Form jemals realisiert, allerdings übten sie einen starken Einfluss auf den

Städtebau aus. Die Stadtlandschaft, in der die Grenze zwischen Natur und Stadt durch

eine Vermischung von Grünflächen und Siedlungen aufgehoben werden sollte, wurde

zu einem weit verbreiteten Motiv. Während sich Auflockerung und Dezentralisierung

der Städte während des 20. Jahrhunderts so zu einem willkommenen und viel

praktizierten Konzept des Städtebaus entwickelten,19 blieb die völlige Auflösung der

Stadt eine Extremansicht, die niemals wirklich ernsthaft vorangetrieben wurde.

2.2.2 Funktionale Stadt

Mit der Idee der funktionalen Stadt wurde in Europa seit den späten 1920er Jahren ein

modernes Prinzip der Stadtplanung entwickelt. Einige Anhänger der modernen

Architekturbewegung beschäftigten sich mit den Möglichkeiten der Anwendung der

Prinzipien des funktionalen Bauens auf einer städtischen Ebene. Aus ihrer Sicht bestand

die Lösung des Problems der innerstädtischen Verelendung nicht in der Verringerung

der Wohndichte durch Dezentralisierung, sondern in der effizienten Anordnung der

Bevölkerung mit Hilfe der modernen Architektur.20 1928 tagte in La Sarraz in der

Schweiz der erste der internationalen Kongresse der modernen Architektur CIAM (frz.

für Congrès Internationaux d'Architecture Moderne). Die CIAM gingen vor allem auf

17 Taut: Die Auflösung der Städte, 192018 Fishman: Urban Utopias In The Twentieth Century, 1977, S.91-16019 Fishman: The American Garden City: Still relevant? 1992 und: Helfer: Die „Gartenstadt“: Auf Sand

gelaufen? 199020 Le Corbusier: The Radiant City, 1967 [1933], S.104-111

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die Initiative der Pariser Architekten Le Corbusier und Gabriel Guévrékian und des

Schweizer Kunsthistorikers Siegfried Giedion zurück, deren erklärtes Ziel es war, eine

Avantgarde der internationalen modernen Architekturbewegung zu etablieren um den

Einfluss des damals vorherrschenden akademischen Neoklassizismus zu verdrängen.21

Bereits bei diesem ersten Treffen in La Sarraz schloss sich die Versammlung der aus

ganz Europa angereisten Architekten zu einer Erklärung zusammen, die eine

Neuorganisation der Städte durch Bodenaufteilung, Verkehrsregelung und

Gesetzgebung mit dem Ziel forderte, den städtischen Raum unter ausschließlichem

Einsatz moderner Architektur rational nach den Funktionen von Wohnen, Arbeiten und

Erholung zu ordnen.22 Die Verkehrsplanung wurde in der Erklärung von La Sarraz noch

als Rahmenbedingung verstanden und erst einige Zeit später als vierte Funktion in die

Agenda aufgenommen. Eine funktionsorientierte Zonenplanung in Städten war

konzeptuell zu diesem Zeitpunkt nicht neu. Bereits 1919 hatte der Franzose Tony

Garnier mit seiner Studie einer industriellen Stadt einen Plan erstellt, der die

funktionelle Trennung von Wohnbezirken, öffentlichen Einrichtungen und industriellen

Vierteln vorsah,23 in den 1920er Jahren hatte sich die Praxis einer funktionalen

zonenbasierten Planung vor allem in den Vereinigten Staaten und den Niederlanden

etabliert.24 Die CIAM machten aber durch die radikale Ablehnung historisch

gewachsener und akademisch geplanter Urbanität auf sich aufmerksam. Zentrale

Regierungsorgane sollten die Stadt neu planen und umbauen lassen, nicht private

Investoren, wie es bei den Gartenstädten bis dahin der Fall war. Mit Le Corbusiers

Skizzen einer „strahlenden Stadt“ wurde die Vision einer völlig transformierten und in

funktionale Zonen geteilten Stadt präsentiert, in der Industrieanlagen, Wöhnblöcke,

Verwaltungshochhäuser, Hochstraßen, Parkplätze und Grünanlagen in einem streng

geometrischen geradlinigen Raster angeordnet waren.25 Es ist vor allem auf die

geschickte und aggressive Platzierung seiner Präsentationen zurückzuführen, dass Le

Corbusiers Modell einer seriellen Anordnung moderner Architektur und die Schaffung

einer Stadtlandschaft durch die Mischung dichter urbaner Bebauung mit großzügigen

Grünanlagen bis heute als die Idealform des funktionalen Städtebaus anerkannt wird.

Kurz nach dem vierten CIAM, der 1933 in Athen stattgefunden hatte, veröffentlichte er

eine Reihe seiner Skizzen in dem Band „La Ville Radieuse“ und beanspruchte damit die

21 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 922 Erklärung von La Sarraz, in: Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984, S. 102-11123 Garnier: Die ideale Industriestadt, 191924 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 2525 Vgl. Abbildung 1

15

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visuelle Interpretation der Kongressfeststellungen.26

Die Feststellungen selbst konnten indes nicht als Resolutionen veröffentlicht werden,

da man bei dem Kongress nicht in der Lage gewesen war, den Text einheitlich zu

verabschieden. Als Folge einiger Streitigkeiten um die Inhalte wurden daraufhin

26 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 86f

16

Abbildung 1: La Ville Radieuse, entn. aus: Le Corbusier: The Radiant City, 1964 [1933]

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verschiedene Versionen veröffentlicht,27 die sich unter anderem in Fragen möglicher

Enteignungen des Bodens voneinander unterschieden.28 Das selbstbewusste und

einnehmende Auftreten Le Corbusiers sowie sein unmittelbares Monopol einer

visuellen Interpretation der Feststellungen führte dazu, dass sich die Gruppe um Le

Corbusier als Meinungsführer der CIAM der 1930er Jahre in der öffentlichen

Wahrnehmung durchsetzen konnte. Die Feststellungen der Athener Konferenz wurden

schließlich 1941 von Le Corbusier als „Charta von Athen“ veröffentlicht.29 Der

Architekt Josép Lluis Sert griff zwar in seinem Buch „Can Our Cities Survive?“30 auf

die selben Materialien zurück, die „Charta“ Le Corbusiers gilt jedoch bis heute als

Standardwerk des modernen Städtebaus und wird dementsprechend bevorzugt zitiert,

wenn es um die Beschreibung der funktionalen Stadt geht.

2.2.3 Organische Stadtplanung: Funktionalisierung der

dezentralisierten Stadt

Die „reine Lehre“ der funktionalen Stadt, eine radikale Neustrukturierung dicht

besiedelter Stadtzentren nach dem Vorbild der „Ville Radieuse“, fand in Europa und

Nordamerika keine Unterstützung. Le Corbusier, der konsequent an diesem Modell

festhielt, blieb damit trotz der hohen Anerkennung durch andere moderne Architekten

als Vordenker der CIAM viele Jahre lang erfolglos, bis ihm schließlich die Gelegenheit

geboten wurde, seine Vorstellungen im indischen Chandigarh umzusetzen. Die

grundsätzlichen Prinzipien des funktionalen Städtebaus, wie sie auf den CIAM der

1930er Jahre formuliert worden waren, konnten indes außerordentlich erfolgreich mit

bestehenden Strömungen der dezentralen, regionalisierten Stadtplanung fusionieren.

Neue Siedlungen, die nach dem Prinzip der Gartenstädte als Satelliten in der

Reichweite großer urbaner Zentren errichtet wurden, wurden schon bald den

Forderungen der Athener CIAM von 1933 entsprechend geplant und gebaut. Beim Bau

der amerikanischen Stadt Greenbelt, Maryland bei Washington D.C. wurde 1937 im

Rahmen des „New Deal“ unter Roosevelt erstmals durch eine Regierung moderne

Architektur in einer Satellitenstadt eingesetzt, die durch die umgesiedelten Bewohner

27 u.a. in deutscher Sprache durch: Steiger, Rudolf: Die funktionelle Stadt. Feststellungen, in: Weiterbauen, Heft 1-2, Beilagen der Schweizerischen Bauzeitung 104 (Nr. 9/18), 1934

28 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 89-91 und Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“. Texte und Dokumente, 1984, S. 168-197

29 Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“. Texte und Dokumente, 1984, S. 113-21530 Sert: Can our Cities survive? 1979 [1944]

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der innerstädtischen Slums bezogen werden sollte.31 Diese Slums sollten anschließend

niedergerissen und zu Parks umgebaut werden, ein Plan, der bei der Errichtung von

insgesamt drei Greenbelt Towns durchgeführt wurde und mit dem sich das

Planungsbüro unter Rexford Guy Tugwell von der bisherigen privat organisierten

Planungspraxis der RPAA abhob, die bereits mit Satellitenstädten wie Radburn

funktionale Planung und Gartenstadtprinzip miteinander kombiniert hattten.32 Die

Vermischung von Gartenstadtprinzipien und einer funktional differenzierten

Flächenplanung ging dabei mit einem international beobachtbaren Trend zu einem

Organismusdenken einher, das die Stadt als einen zusammenhängenden lebendigen

Körper begriff. Die verschiedenen Stadtviertel oder Zonen wurden dabei als Organe

begriffen, die ähnlich wie in einem Lebewesen spezialisierte Funktionen besaßen,

während man Verkehrswege als Blutbahnen begriff, in denen eine möglichst

reibungslose Zirkulation ermöglicht werden musste. Solche Denkansätze gab es bereits

seit dem 19. Jahrhundert, sie beruhten auf den Erkenntnissen der Biologie, die erkannt

hatte, dass sich Lebewesen aus vielen einzelnen Zellen zusammensetzten und die

komplexen Formen in der Natur oft hochspezialisierten Aufgaben dienten. Seitdem war

es gebräuchlich geworden, Ordnungsprinzipien mit biologischen Metaphern zu

untermauern, um ihre „Natürlichkeit“ zu beweisen. Im Bezug auf die Stadtplanung wird

das besonders an der Entwicklung in Deutschland deutlich, hier zitierte die

nationalsozialistische „Raumordnung“ zunächst das Howardsche Radialschema der

Gartenstadtorganisation.33 Die schematischen Skizzen von Walter Christaller aus dem

Jahr 1941 zeugen dann aber von der Metamorphose zu einem Schema, welches das

Verhältnis eines Stadtzentrums zu den umliegenden Satellitenstädten als die

Organisation einer Zelle mit Zellkern begreift.34 Durch die Anordnung mehrerer

„Siedlungszellen“ konnte so ein großräumiges Besiedlungsschema für die eroberten

Gebiete östlich von Deutschland erstellt werden. Das gleiche Zellschema wurde auch

beim Wiederaufbau Londons in den 1940er Jahren verwendet. An diesem Beispiel wird

der starke Einfluss der funktionalen Stadt auf den organischen Städtebau deutlich. Die

britische CIAM-Gruppe MARS veröffentlichte bereits 1942 einen Plan zur

Neugestaltung Londons, der jedoch sogar von eigenen Mitgliedern als unrealistisch

angesehen wurde, da er sich zu sehr an der Idee einer totalen Transformation Londons

31 Knepper: Greenbelt, Maryland, 200132 Hall: Cities of Tomorrow, 1988, S. 129-13233 Fehl: The Nazi Garden City, 199234 Christaller: Die zentralen Orte in den Ostgebieten, 1990 [1941]

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zu einer Bandstadt orientierte.35 Stattdessen setzte sich der 1944 erschienene Entwurf

von Patrick Abercrombie und J.H. Forshaw durch, der das Zentrum Londons

weitgehend unangetastet ließ und sich stärker auf eine dezentralisierte Regionalplanung

konzentrierte.36 Abercrombies Plan wurde jedoch nicht als Gegenentwurf zu den

Vorstellungen der CIAM wahrgenommen. Die konzentrische Anordnung der Zonen und

insbesondere des großen Grüngürtels um das zentrale London entsprachen zwar eher

den Grundprinzipien der Howardschen Gartenstadt als den zentralistischen

Ordnungsprinzipien der strahlenden Stadt Le Corbusiers oder der Bandstadt des

MARS-Entwurfes. Grundsätzlich wurden funktionalistische Ansätze der Charta von

Athen in dem Plan jedoch berücksichtigt.37 Außerdem entsprach die Einsetzung einer

zentralen Regierungsbehörde für die Organisation des Wiederaufbaus den

baupolitischen Forderungen von Athen. Aus diesem Grund wurde Abercrombies Plan

von der MARS-Gruppe mit der Begründung unterstützt, dass es sich hierbei um einen

der ersten von einer öffentlichen Körperschaft finanzierten Pläne handele, bei dem

moderne Planungsprinzipien an einem ausgebildeten sozialen Organismus angewendet

würden.38

Die deutschen Stadtplaner indes erkannten nach der Niederlage des Nazi-Regimes bald,

dass die „neighbourhood units“ in Abercrombies Plan dem nationalsozialistischen

Konzept der „Siedlungszelle“ entsprachen. Um sich nach dem Krieg von einem

Verdacht der Infiltration faschistischer Parteiideologie in den Städtebau zu befreien,

war es für die deutschen Planer nur notwendig, sich des alten Sprachduktus des dritten

Reiches zu entledigen, etwa indem man die „Siedlungszelle“ zur „Siedlungsknolle“

umbenannte. Die Kontinuität deutscher Planungsprinzipien in der Form eines

organischen Städtebaus wurde dabei als ideologiefrei akzeptiert, da das

Organismusdenken auf internationaler Ebene etabliert war.39 Die deutsche Stadtplanung

erlebte daher nach dem zweiten Weltkrieg im Zuge des Wiederaufbaus einen Boom

organischer Metaphorik. Hans Bernhard Reichow entwarf mit der „organischen

Stadtbaukunst“ ein Städtebauprogramm, das die Ansätze der funktionalistischen

Stadtplanung mit einer dezentralen Regionalplanung konsequent kombinierte.40 Werke

35 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 117-12336 Abercrombie: Greater London Plan 1944, 194537 Ebd., S. 738 Mark Hartland Thomas, Brief an das Architects Journal, in: Mumford, Eric: The CIAM Discourse on

Urbanism 1928-1960, S. 12339 Durth / Gutschow: Träume in Trümmern I, 1988, S. 193-19640 Reichow: Organische Stadtbaukunst, 1948

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wie „Die gegliederte und aufgelockerte Stadt“ präsentierten „räumlich lockere, aber

funktionell eng verflochtene Gewebe einzelner Zellen menschlichen Maßes.“41 Die

Prinzipien der Stadtplanung der Nachkriegszeit glichen sich so in ihrem Ansatz einer

dezentralisierten und zugleich funktionalen Ordnung, sei es beim Wiederaufbau

zerstörter Städte wie Warschau (vor 1949), London, Rotterdam,42 Hamburg, Bremen

oder Frankfurt,43 oder bei der Gründung neuer deutscher Satellitenstädte wie

Sennestadt44, den britischen „New Towns“ und generell bei der rasanten Ausbreitung

der „Suburbs“ in vielen Ländern der industrialisierten Welt.45

Den CIAM indes wurde der Erfolg ihrer Philosophie zum Verhängnis. Als nach einer

Zwangspause aufgrund des zweiten Weltkrieges seit 1937 mit dem Kongress in

Bridgwater 1947 die regelmäßigen Zusammenkünfte wieder aufgenommen wurden,

zeichnete sich bereits ab, dass mit der Verbreitung des funktionalen Städtebaus eine

Heterogenisierung der einzelnen Gruppen stattgefunden hatte. Während sich die durch

Le Corbusier neu errichtete französische Sektion ASCORAL um eine Neuauflage der

Charta von Athen bemühte, trat die britische MARS-Gruppe durch die Erfolge beim

Wiederaufbau Londons in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt mit eigenen Konzepten auf,

die sich vom strengen Funktionalismus entfernten. In den folgenden 10 Jahren erhielten

die CIAM daher zwar zunächst starken Zulauf und konnten die zahlenmäßig größten

Kongresse ihrer Existenz veranstalten, inhaltlich waren diese Versammlungen aber stets

von einer internen Konkurrenz der einzelnen Gruppen geprägt. Als die CIAM 1959 auf

dem letzten Kongress in Otterlo offiziell aufgelöst wurden, geschah dies daher nicht

aufgrund ausbleibenden Erfolges, sondern weil sich der funktionale Städtebau

mittlerweile so weit etabliert hatte, dass eine Repräsentation durch eine einzelne

Avantgarde-Organisation nicht mehr praktikabel war.46

41 Göderitz / Rainer / Hoffmann: Die Gegliederte und aufgelockerte Stadt, 195742 Durth / Gutschow: Träume in Trümmern I, 1988, S. 285-32543 Durth / Gutschow: Träume in Trümmern II, 198844 Reichow: Die autogerechte Stadt, 195945 Hall: Cities of Tomorrow, 1988, S. 274-31846 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 168-266

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2.3 Funktionalismus als modernes Wirtschaftsprinzip 2.3.1 Die ökonomischen Ursprünge des Funktionalismus

Das Motiv für die Entwicklung der modernen funktionalen Stadtplanung bestand von

Anfang an darin, neue architektonische Konzepte in einen urbanen Kontext zu bringen,

in dem die moderne nicht mit der bereits vorhandenen Architektur und Raumordnung

kollidierte. Daher wurde der Grundgedanke der funktionalen Architektur konsequent

auf das gesamte städtische Umfeld erweitert. Dies wird besonders in den Plänen der

„Ville Radieuse“ deutlich. Im Prinzip besteht das Wohngebiet dieser fiktiven Stadt aus

einem streng funktional und rational gestalteten Haus, das auf die Dimensionen einer

Stadt vervielfacht wird, indem Le Corbusier es seriell aneinanderreiht.47

Diese Serialität und die Ablehnung einer architektonischen Ornamentik ist ein typisches

Merkmal der funktionalen Stadtplanung, das ihr in den 1960er Jahren auch den

Vorwurf der Monotonie einbrachte.48 Dennoch war es gerade diese Einförmigkeit, die

von den modernen Planern bis dahin als Ordnungskonzept und ästhetisches Motiv

bewundert und propagiert worden war.

Die Ästhetik der Serialität einer streng rationalen Architektur lässt sich nicht alleine aus

ihrer kunsthistorischen Entwicklung heraus nachvollziehen. Die Suche nach den

ästhetischen Grundlagen des Funktionalismus Le Corbusiers führt zwar zunächst zur

Kunstform des Kubismus, der sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in seiner

Hochphase befand und zu dessen Anhängern sich Le Corbusier zählte, bevor er seine

Tätigkeit als Architekt begann.49 Der Kubismus propagierte klare geometrische Formen

und die Dominanz der geraden Linie ebenso wie die späteren architektonischen

Entwürfe Le Corbusiers. Wie Reyner Banham jedoch bereits 1960 anhand seiner

Auseinandersetzung mit der modernen Architektur zeigte, kann die kubistische

Abstammung nicht die Ästhetik der deutschen modernen Architekten des Bauhauses

erklären, hier waren andere kunsthistorische Einflüsse wie der Expressionismus und der

holländische „Stijl“ von größerer Bedeutung.50 Banham schloss aus dieser

Heterogenität verschiedener Stile und dem Anspruch, diese Stile zu vereinen, dass der

Funktionalismus nur eine internationale Bezeichnung war, die auf einigen wenigen

47 Le Corbusier: The Radiant City, 1964 [La ville radieuse, 1933]48 Siehe dazu Abschnitt 2.4.1 49 Banham: Die Revolution der Architektur, 1964, S. 170-22450 Ebd., S. 237-250

21

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Aussagen wie „Form follows Function“ oder der Übersetzung Le Corbusiers von

„Rationalismus“ in „Funktionalismus“ basierte und letztendlich jeglicher

kunsthistorischer Aussagekraft entbehrte.51

Damit entkräftete Banham aber nicht die Aussagekraft der Bezeichnung an sich. Der

Funktionalismus in Architektur und Stadtplanung war vor allem ein Ergebnis der

Industrialisierung, das mit seiner materialistischen Logik die Entstehung und

Ausformung moderner Ästhetik überhaupt erst veranlasste. Der Kunsthistoriker

Siegfried Giedion, der als Mitbegründer der CIAM und damit des von Banham

kritisierten „internationalen Stils“ als Verteidiger des Funktionalismus gelten darf,

beschrieb in seinem Werk „Raum, Zeit, Architektur“ von 1941 die Bauwerke der

Chicagoer Schule als erste Manifestation einer modernen funktionalen Architektur.52 Er

betonte, dass diese sich weniger aus einer komplexen künstlerischen

Auseinandersetzung mit architektonischen Formen entwickelt habe als aus einem

pragmatischen Umgang mit den damaligen technologischen Möglichkeiten und

wirtschaftlichen Umständen. Das Konstruktionsprinzip des Ballonrahmens, einer

Leichtbauweise für vorgefertigte Holzhäuser, die es dank der Verfügbarkeit billiger

Eisennägel möglich machte, Häuser ohne größere Fachkenntnis „wie eine Kiste“

zusammenzunageln,53 führte mit seiner Weiterentwicklung über verschiedene

Steinbautechniken zur stahlbasierten Skelettbauweise,54 die den Bau von Häusern mit

bis dahin unerreichter Bauhöhe ermöglichte. Der Boom der Chicagoer Architektur

setzte nach einem Großbrand 1871 ein, der große Teile der Stadt vernichtet hatte. In

kürzester Zeit wurde die Stadt wieder aufgebaut und konnte so den Status eines

zentralen industriellen Knotenpunktes der regionalen Wirtschaft weiter ausbauen. Die

lokalen Architekten, die mit einem rasanten Wachstum und explodierenden

Grundstückspreisen konfrontiert wurden, griffen daher zu den neuen

Konstruktionstechniken, um immer höhere Gebäude zu errichten.55 Die rasanten

technologischen Entwicklungen, wie die Methoden der Winterkonstruktion, die das

Gießen von Beton unter Frosttemperaturen ermöglichten, oder der Einsatz von Flutlicht

und Dachaufbauten über den Baustellen, durch die selbst bei Regen und Schneefall

gearbeitet werden konnte, lassen auf einen enormen, für schnell expandierende

Wirtschaftszonen nicht ungewöhnlichen Zeitdruck schließen, der auf die Architekten

51 Ebd., S. 267-27952 Giedion: Raum, Zeit, Architektur, 1965 [1941], S. 244-25853 Ebd., S. 23354 Ebd., S. 251 und Condit: The Chicago School of Architecture, 1964, S.7955 Condit: The Chicago School of Architecture, 1964, S. 14-25

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und Ingenieure ausgeübt wurde.56 Der Funktionalismus entwickelte sich hier quasi von

selbst aus wirtschaftlichen Sachzwängen heraus. Von Zeitgenossen wurde er denn auch

als „kommerzieller Stil“ bezeichnet, der auf eine äußere Ornamentik weitgehend

verzichtete, da diese neben den wirtschaftlichen Prinzipien des Bauens zweitrangig

war.57

Giedion argumentierte außerdem, dass auch das Bauhaus in Deutschland seine Ideen im

Kontext der Umsetzung industrieller Bauprojekte entwickelte.58 Es ist davon

auszugehen, dass bei der Ausgestaltung des modernen Stils ähnliche wirtschaftliche

Faktoren eine Rolle spielten wie bei der Errichtung der Hochhäuser Chicagos. Der

Funktionalismus und Rationalismus dieser Architektur ist also zunächst als Folge

ökonomischer Effizienz zu begreifen, bevor sich daraus eine ästhetische Schule bildete,

die den Begriff zur Grundlage modernen Designs machte.

Das Gleiche ist auch für die funktionale Stadtplanung zu beobachten. Lange vor den

idealisierten Stadtplänen Le Corbusiers entwarf der Franzose Tony Garnier mit seiner

„Cité industrielle“ eine in funktionale Zonen unterteilte Stadt, die in ihrer gesamten

Logik auf die Industrie zugeschnitten war.59 Die Wohnbereiche und sämtliche zivilen

Einrichtungen dieser Stadt dienten ausschließlich dem Zweck, Unterkunft und soziale

Infrastruktur für die Beschäftigten der lokalen Fabriken bereitzustellen. Die funktionale

Stadtplanung der modernen Avantgarde etablierte sich dann wenige Jahre später als

konsequente Anwendung dieser Logik der Industrialisierung auf die urbane

Entwicklung,60 in der Gründungserklärung der CIAM von 1928 heißt es, „die echte

Wirtschaftlichkeit wird die Frucht einer Rationalisierung und einer Normung sein, die

ebenso gut anzuwenden ist auf architektonische Planungen wie auf industrielle

Methoden der Ausführung.“61

Der Funktionalismus, der sich hier in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts

etablierte, beschränkte sich nicht auf eine Weiterentwicklung, die ausschließlich aus

einem ästhetischen Blickwinkel zu erklären ist. Das Ordnungsdenken der modernen

Avantgarde bezog seine Kraft aus dem Versprechen der Industrialisierung, durch

Serienfertigung günstige Qualität für die ganze Gesellschaft zu liefern. Dieser egalitäre

Anspruch ist auch in der Erklärung von La Sarraz zu finden, „der Begriff der

56 Ebd., 1964, S. 26-27 57 Ebd., 1964, S. 2758 Giedion: Raum, Zeit, Architektur, 1965 [1941], S. 30659 Garnier: Die ideale Industriestadt, 191960 Guillien: The Taylorized Beauty of the Mechanical, 200661 Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984, S. 96

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Wirtschaftlichkeit“ wird hier verstanden als „eine Produktion, die genügt, die

Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen.“62

So gesehen war der große Erfolg funktionalen Bauens im Europa der Nachkriegszeit

der logische Griff industrialisierter Nationen zu einem Wiederaufbau mit

industrialisiertem Anspruch. Dass sich die moderne Planung dabei als unpolitisch,

nicht-akademisch und ahistorisch begriff, begünstigte die Identifikation mit dem

Funktionalismus als internationalem Stil, der vor allem auch in nicht-westlichen

Ländern als wertfrei und wohlstandsorientiert geschätzt wurde, wie im zweiten Teil

dieser Arbeit bei der Betrachtung der Städte Brasilia und Chandigarh deutlich werden

wird.

2.3.2 Das Automobil und die funktionale Stadt

Die Geschichte der individuellen Motorisierung und der moderne Städtebau

entwickelten sich im zwanzigsten Jahrhundert in gegenseitiger Abhängigkeit. Die

Nutzung von Synergieeffekten ermöglichte in den Jahrzehnten nach dem zweiten

Weltkrieg ein gemeinsames Zeitalter der Blüte.

Dabei ist der Aufstieg des Automobils mit der Demontage des bis dahin weit

verbreiteten Massentransits in und zwischen den Städten verbunden. Lange bevor das

Auto in so großer Stückzahl produziert wurde, dass eine wirkliche Entwicklung zum

motorisierten Individualverkehr stattfinden konnte, war man beim Ausbau insbesondere

urbaner Transportwege auf Eisenbahn und Tram angewiesen. Sowohl deutsche als

auch amerikanische Aufzeichnungen zeigen, dass in beiden Ländern zu Beginn des 20.

Jahrhunderts bereits ausgiebig auf diese Verkehrsmittel zurückgegriffen wurde.63 Auch

Ebenezer Howards Gartenstadtentwurf setzte auf den breiten Einsatz schneller

Massenverkehrsmittel, um die Siedlungen auf dem Land mit dem jeweiligen urbanen

Zentrum zu verbinden.64

Dass das Automobil schon bald mit diesen Systemen konkurrieren konnte, ist zunächst

auf dessen Verbreitung durch kleine, privilegierte Gruppen zurückzuführen, die schon

früh begannen, sich für die neue Technologie zu begeistern.65 Das bekannteste und

62 Hilpert: Charta von Athen, 1984, S. 9663 Yago: The Decline of Transit, 1984, S. 9-1264 Howard: Garden Cities of Tomorrow, 1985 [1898], S. 106-108 Die „High Roads“, die auf der Grafik

eingetragen sind, sollten durch elektrische Trams befahren werden und sind nicht zu verwechseln mit späteren Hochstraßen für den Autoverkehr.

65 Ladd: Autophobia, 2006, S. 15-17

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extremste Beispiel für die frühe Propagierung des Autofahrens als Lebensgefühl der

Moderne dürfte die Beschreibung der Fahrt des Filippo Tommaso Marinetti und seiner

Freunde durch das nächtliche Mailand sein, die daraufhin, von der Erfahrung der

Geschwindigkeit beeindruckt, das futuristische Manifest von 1909 verfassten.66 Die

stetig steigenden Geschwindigkeiten und die zunehmende Verbreitung des Automobils

führten bald zu Konflikten mit Fußgängern und anderen „traditionellen“

Verkehrsteilnehmern,67 bis in den 1920er Jahren die Forderungen nach ausschließlich

für den Autoverkehr geplanten Straßen zu frühen Autobahnrealisierungen in

Deutschland und Italien führten.68

Der Gedanke einer Straße, die hohe Fahrgeschwindigkeiten zuließ, weil sie

ausschließlich für die Nutzung durch den Autoverkehr vorgesehen war, erregte das

Interesse der zeitgenössischen Stadtplaner. Die Segregation der verschiedenen

Verkehrsteilnehmer und die Trennung der Autostraßen von der Wohnbebauung war ein

grundliegendes Anliegen funktionaler Planungsansätze. In seinen Skizzen der

innerstädtischen Autostraßen der „Ville Radieuse“ verwendete Le Corbusier dieselben

Entwürfe wie der HAFRABA-Verein, der sich seit 1925 mit der Planung einer

Autobahnstrecke zwischen Hamburg und Basel beschäftigte.69 Er plante so faktisch

Autobahnen im Innenstadtbereich, die die verschiedenen urbanen Zonen miteinander

verbinden sollten.70 Das Auto sollte dabei komplett die Funktion des städtischen

Verkehrs übernehmen, ein Einsatz von Trams oder Eisenbahnen war hier schon nicht

mehr vorgesehen. Der Fußgänger und Radfahrer wurde als Verkehrsteilnehmer

zunächst noch stärker berücksichtigt, im Laufe der Zeit jedoch zunehmend auf die

Funktion der Erholung reduziert. Während im nordamerikanischen Radburn neben

gesonderten Autostraßen noch Fuß- und Radwege realisiert wurden, verzichteten

Stadtplaner nach 1945 oft ganz auf diese Wege. Brian Ladd weist in diesem

Zusammenhang darauf hin, dass dies nicht aus böser Absicht geschah, sondern weil

sich herausstellte, dass diese Wege nicht genutzt wurden.71 Die amerikanische

Gesellschaft hatte sich binnen eines halben Jahrhunderts von einer Fußgänger- und

Eisenbahn- zu einer Autogesellschaft gewandelt. Ein vergleichbarer Wandel fand auch

66 Banham: Die Revolution der Architektur, 1964, S.80-8767 Ladd: Autophobia, 2006, S. 15-17 68 Kaftan: Der Kampf um die Autobahnen, 1955, S. 24-33 und Zeller: Straße, Bahn, Panorama, 2002,

S. 4669 Ebd., S. 74-7870 Le Corbusier: The Radiant City, 1964 [La ville radieuse, 1933], S. 167; vgl. mit den HAFRABA

Entwürfen in Kaftan: Der Kampf um die Autobahnen, 1955, S. 98-10471 Ladd: Autophobia, 2008, S. 79

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in Deutschland statt. Beim Wiederaufbau der Zentren zerstörter Großstädte wurde

einem umfangreichen Autoverkehr zentrale Bedeutung zuerkannt.72 Neue Siedlungen

wie Sennestadt bei Bielefeld wurden als „autogerechte Stadt“ geplant und gebaut.73

Hans Bernhard Reichow, der Planer von Sennestadt, bezog dabei, anders als in

zeitgenössischen amerikanischen Städten, durchaus Fußgänger und Radfahrer in die

Planung ein. Ein öffentliches Massenverkehrssystem wie U-Bahn oder Tram wurde

jedoch auch hier nicht geplant. Es muss dabei festgestellt werden, dass der

Bedeutungsverlust von Massenverkehrsmitteln in den USA wesentlich stärker

ausgeprägt ist als in Deutschland, wie vergleichende Studien zeigen.74 Die Ausprägung

dieser Transformation in den USA ist tatsächlich so extrem, dass einzelne Autoren

sogar von einer industriellen „Verschwörung“ zugunsten des Verbrennungsmotors

reden,75 andere begründen den weniger starken Wandel in Deutschland neben einer

diversifizierteren Industrielandschaft mit dem stärkeren Einfluss einer

sozialdemokratischen Mentalität der sozialen Gerechtigkeit, die darauf ausgelegt sei,

auch Menschen ohne Besitz eines Autos am öffentlichen (Verkehrs-)Leben zu

beteiligen.76 Dass die Orientierung am Individualverkehr aber nicht allein auf eine

Betonung der Individualität in kapitalistischen Gesellschaften zurückzuführen, sondern

auch in sozialistischen Industrieländern wie der DDR nachzuweisen ist, betont Barbara

Schmucki in ihrer vergleichenden Untersuchung und begründet dies nicht zuletzt mit

den städtebaulichen Vorstellungen des Funktionalismus und deren Einfluss auf die

realsozialistische Stadtplanung.77

Dass das Auto im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts die öffentlichen

Massenverkehrsmittel stellenweise sogar vollständig verdrängen konnte, ist

offensichtlich auf die autoorientierten Ansätze der funktionalen Stadtplanung

zurückzuführen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es in der Macht einzelner

Planer lag, die Verkehrsgewohnheiten ganzer Gesellschaften mit einem Schlag zu

verändern. Stattdessen lässt sich eher umgekehrt der Erfolg der funktionalen

Stadtplanung mit deren konsequenter Ausrichtung auf den Individualverkehr erklären.

Als die Autobegeisterung der Gesellschaften zunahm, bot die funktionale Stadt mit den

72 Schmucki: Der Traum vom Verkehrsfluss, 2001, S. 118-13873 Reichow: Die Autogerechte Stadt, 1959, über den gesamtdeutschen Wandel zum Individualverkehr:

Schmucki: Der Traum vom Verkehrsfluss, 200174 Yago: The Decline of Transit, 198475 Clair: The Motorization of American Cities, 198676 Yago: The Decline of Transit, 1984, S. 176-21377 Schmucki: Der Traum vom Verkehrsfluss, 2001, S. 400-411

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Autostraßen die Lösung für entstehende Verkehrsprobleme an und bediente so ein

dringendes gesellschaftliches Bedürfnis. Dass die Realisierung der autogerechten Stadt

wiederum den Anspruch des Automobils als alleinigem Verkehrsmittel gesellschaftlich

untermauerte, festigte die gegenseitige Abhängigkeit von funktionaler Stadt und

Automobil. Mark Foster argumentierte 1981, dass der Erfolg des Automobils auf eine

organisatorische und finanzielle Überlegenheit des Autos gegenüber allen anderen

Verkehrsmitteln zurückzuführen sei.78 Ohne die Energiekrise der 1970er Jahre, so

Foster, wäre es nie zu einer Abwertung des Automobils und zu einer Rennaissance der

Massenverkehrsmittel gekommen. Wie im folgenden Kapitel zu lesen sein wird, geriet

auch die modernistische funktionale Stadtplanung in den 1960er und 1970er Jahren

zunehmend unter Kritik. Diese Kritik ist nicht allein auf die Auswirkungen der

Wirtschaftskrise der 1970er Jahre zurückzuführen, allerdings war der damit

zusammenhängende Imageeinbruch des Automobils ein Aspekt, der sich gleichsam

negativ auf die Reputation der funktionalen Stadtplanung auswirkte.79

2.4 Postmoderne Kritik 2.4.1 Kritik am autoritären Planungsstil

In den 1960er Jahren erschienen mehrere einflussreiche Schriften, die sich kritisch mit

dem modernen Städtebau und insbesondere dem Prinzip der funktionalen Zonierung

auseinandersetzten. Veröffentlichungen wie Jane Jacobs „Tod und Leben großer

amerikanischer Städte“, die soziologische Kritik Hans Paul Bahrdts „Die moderne

Großstadt“ und Titel wie „Die gemordete Stadt“ oder „Die Unwirtlichkeit unserer

Städte“ griffen vor allem eben die trennenden Aspekte des Funktionalismus an, die von

den Befürwortern als Ordnungsmaßnahmen gegen das urbane Chaos angesehen worden

waren.80 Was ursprünglich als nüchterner Rationalismus, Geradlinigkeit und Klarheit

beworben worden war, erkannten diese Autoren nun als monoton, langweilig und

einengend. Diese ernüchternde Bilanzierung des modernen Städtebaus wird bisweilen

als Anbruch einer postmodernen Stadtplanung betrachtet, die mit Konzepten von

Mischnutzung, funktionaler Überlagerung und urbaner Vielfalt die funktionale

78 Foster: From Streetcar to Superhighway, 1981, S. 177-18179 Schmucki: Der Traum vom Verkehrsfluss, 2001, S. 153-15880 Jacobs: Tod und Leben großer amerikanische Städte, 1963 [1961]; Bahrdt: Die moderne Großstadt,

1961; Siedler / Niggemeyer / Angreß: Die gemordete Stadt, 1964; Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, 1965

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Stadtplanung obsolet machte,81 und die seit den 1970er Jahren durch Werke wie

„Collage City“ von Colin Rowe und Fred Koetter propagiert wurde.82

Um die 1960er Jahre als Zeit eines beginnenden Paradigmenwechsels zwischen einer

modernen und postmodernen Stadtplanung zu begreifen, ist die Konzentration auf die

Kritik am Funktionalismus allerdings kein ausreichendes Kriterium. Nach wie vor ist er

als Planungstechnik im Städtebau von zentraler Bedeutung, so muss zumindest in der

BRD mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Flächennutzungsplan nach wie vor jede

urbane Fläche als Zone mit einer Funktion definiert werden.83 Damit soll nicht die

Existenz postmoderner Einflüsse in Frage gestellt werden. Es wäre jedoch zu

oberflächlich, die Wiedergabe der städtebaulichen Konfliktlinien der 1960er Jahre auf

die Kritik am Funktionalismus zu beschränken. Michael Eisinger argumentiert in

diesem Zusammenhang, dass das eigentliche Problem der modernen Stadtplanung nicht

die funktionale Raumplanung, sondern das Selbstverständnis der modernen Planung an

sich sei.84 Die modernen Architekten hätten sich als gesellschaftliche Ingenieure oder

auch Chirurgen gesehen, also Experten, die alleine aufgrund ihrer Qualifikation als

modern denkende Menschen in der Lage waren, die im Chaos versinkenden urbanen

Gesellschaften durch räumliche Anordnung neu zu gliedern und so zu heilen und ihre

Effizienz zu optimieren. Das Problem, das zu dem beschriebenen Unbehagen in der

städtebaulichen Kultur der 1960er Jahre führte, bestand in der daraus resultierenden

Arroganz der Planer, die ohne Feedback oder gar demokratische Mitbestimmung der

Bevölkerung Vorstellungen oktroyierten, die meist auf abstrakten, auf dem Zeichenbrett

entworfenen Grafiken basierten.

Damit bewegt sich Eisinger in einer demokratisch motivierten Argumentationstradition,

die bereits von Lewis Mumford in den 1940er Jahren in den Vereinigten Staaten gegen

die Vertreter der modernistischen Avantgarde aufgestellt wurde. Der berühmte

Architekturkritiker hatte sich geweigert, die Veröffentlichung von Josép Lluis Sérts

„Can our Cities survive?“ durch eine Einleitung zu würdigen. Er begründete diesen

Schritt mit einer Kritik an der Unzulänglichkeit der Beschränkung einer Stadtplanung

auf die vier universellen Grundfunktionen „Leben, Wohnen, Arbeiten und Erholen“, mit

denen aus seiner Sicht eine demokratische Gesellschaft kaum ausreichend beschrieben

81 Wolfrum: Funktionale Stadt | Patchwork City, 200882 Rowe / Koetter: Collage City, 197883 vgl. Deutsches Baugesetzbuch, Fassung vom 24.12.2008, unter:

http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bbaug/gesamt.pdf am 16.02.200984 Eisinger: Die Stadt der Architekten, 2006, S. 62-72

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werden konnte.85 Die Kritik der 1960er Jahre am funktionalen Städtebau erfolgte bei

genauerer Betrachtung in den meisten Fällen aus einer ähnlich demokratisch

motivierten Perspektive, die die funktionale Stadt für die Einschränkung eines

Funktionspluralismus' kritisiert, der aus Sicht der Autoren als Grundlage für die

Heterogenität des sozialen Gefüges einer Gesellschaft notwendig ist.

Spätere Autoren der 1970er und 1980er Jahre wie Robert Fishman oder Peter Hall

erklärten schon den Ansatz einer umfassenden Großplanung aufgrund der Komplexität

der einbezogenen Gesellschaft für größenwahnsinnig und unmöglich zu realisieren.86

Dabei ist beachtlich, wie sehr sich das zugrunde liegende Verständnis einer Gesellschaft

als komplexem sozialen Gefüge von dem eines gesellschaftlichen Organismus

unterscheidet, in dem das Individuum allein auf seine zelluläre Funktion reduziert wird.

Die Unberechenbarkeit wird dabei aber nicht negativ im Hinblick auf die Planbarkeit

einer Gesellschaft interpretiert, James C. Scott definierte 1999 den Begriff der „Métis“

als eine Art erfahrungsbasierte Volksweisheit und beschrieb damit einen Gegenentwurf

zum modernen Expertentum, das auf theoretischer Wissensbildung beruht.87 Scotts

Experte ist das praxiserprobte, weil zum arbeitenden Teil der Gesellschaft gehörende

Individuum, das aufgrund alltäglicher Erfahrung und flexibler Intelligenz effizienter auf

Kollisionen des Plans mit unplanbarem, individuellem Verhalten reagieren kann als

eine realitätsferne Intelligenzija. Den selben Grundgedanken vertritt der

Wissenschaftsphilosoph Ian Hacking.88 Er beschreibt die Kollision einer

Expertenrealität mit der Realität des autonomen Verhaltens, auf das auch Eisinger

hinweist.89

Die Dichotomisierung von Planung und individueller Autonomie ist für das Verständnis

einer zunehmenden Ablehnung der modernistischen Planung in der zweiten Hälfte des

20. Jahrhunderts notwendig. Diese wird bisweilen zu sehr auf ihre Opposition gegen

den Funktionalismus als Ordnungsprinzip reduziert. Was hier kritisiert und bekämpft

wird, ist die Manifestation eines autoritären Selbstbildes einer Planergeneration, die in

einer Zeit arbeitete, in der die heterogene demokratische Gesellschaft in Europa

keineswegs so fest etabliert war wie in der Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts, eine

Gegenwart, die sich zu Beginn der 1960er Jahre jedoch bereits abzuzeichnen begann.

85 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 132-13486 Fishman: Urban Utopias in the Twentieth Century, 1977, S. 265-277 und Hall: Cities of Tomorrow,

1988, S. 203-24087 Scott: Seeing Like a State, 1998, S. 309-34188 Hacking: Making up People, in: Biagioli, Science Studies Reader, 199989 Eisinger: Die Stadt der Architekten, 2006, S. 70

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2.4.2 Der Utopie-Vorwurf

Der Avantgarde der modernen funktionalen Stadtplanung, vor allem aber Le Corbusier

und den Architekten, die sich mit ihm in den CIAM organisierten, wird regelmäßig

vorgeworfen, Anhänger einer modernistischen Utopie gewesen zu sein. Bei der

Benutzung dieses Begriffes ist allerdings eine gewisse Differenzierung notwendig.

Gerade im Bereich des Städtebaus wurde die Bezeichnung der Utopie oft und gerne

eingesetzt, um Pläne als unrealistisch und realitätsfremd zu disqualifizieren.

Im zwanzigsten Jahrhundert setzten sich zunächst Patrick Geddes und Lewis Mumford

mit dem Thema in ihren Werken auseinander.90 Beide stellten dabei fest, dass eine

klassische Utopie, wie sie Thomas More91 1516 formuliert hatte,92 nicht einfach auf den

modernen Städtebau übertragbar war. More hatte sein Utopia als „Nicht-Ort“

konstruiert, ein Inselstaat, der fernab und unabhängig von der Realität all das

verköperte, was seiner Idealvorstellung einer Gesellschaft entsprach. So definierte auch

Geddes die Utopie als ein niemals erreichbares Ideal.93 Er entwickelte daraufhin

allerdings als Ersatz für die utopische Vision die Eutopie, ebenfalls eine ideale

Zielvorstellung, die im Gegensatz zur Utopie aber dank einer konkreten Planung

realisierbar sei.94

Dass eine „falsche Utopie“ zu einer falschen Planung führe, betonte Lewis Mumford,

als er 1922 den Gedanken der Eutopie von Geddes aufgriff.95 Es existiere eine Vielzahl

„falscher Utopien“ und „sozialer Mythen“, die eine aus seiner Sicht „gute“, oder auch

„realistische“ Eutopie bis dahin verhindert hätten, indem sie die Ausprägung

vermeintlich universeller gesellschaftlicher Aspekte zu ihrer Idealvorstellung gemacht

hätten.96 Als Beispiele nannte er Nationalismus, religiösen Fanatismus oder den

Sozialismus, den er im betreffenden Kapitel als „proletarischen Mythos“ bezeichnete.97

Was Mumford forderte, war die Befreiung von diesen sozial visionären Störfaktoren

und die Konzentration auf eine regional spezifizierte Eutopie, die sich quasi

entpolitisiert und rein wissenschaftlich auf das „gute Leben“ in ihrem jeweiligen

90 Geddes: Cities in Evolution, 1949 [1915] und Mumford, Lewis: The Story of Utopias, 192291 i.e. Thomas Morus92 More: Utopia, 1964 [1516]93 Geddes: Cities in Evolution, 1968 [1915], S. 72-74 und S. 86-8794 Ebd., S.87 und 40095 Mumford, Lewis: The Story of Utopias, 192296 Ebd., S. 300-30397 Ebd., S. 300

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geographischen und historischen Kontext konzentrieren sollte, ohne sich dabei an einer

einzelnen als universell gültig betrachteten Utopie auszurichten.98 Mit dieser im

Grundsinne des Wortes konservativen Argumentation machte er die Utopie zum

Kampfbegriff, während er seine eigene Vision der regional- und wissenschaftsbasierten

Gesellschaftsentwicklung auf eine vermeintlich neutrale Eutopie projizierte und diese

gegen abweichende Gesellschaftsideale abschottete. Durch die Idealisierung

wissenschaftlicher Planung nimmt die Eutopie selbst jedoch ebenfalls die Züge einer

Utopie nach Geddes eigener Definition an. Wenngleich Mumford und Geddes nicht in

der Lage waren, mit der Eutopie tatsächlich einen Gegenbegriff zur Utopie zu

etablieren, lässt sich an ihrem Scheitern die paradoxe Beziehung der Utopie zum

Begriff der Planung erkennen. Jeder Plan muss zwingend auf einer Idealvorstellung

beruhen, und sei diese noch so banal. Die einzige Differenzierungsmöglichkeit

zwischen einer unrealistischen Utopie und einem eutopischen, also realisierbaren Plan

ist in Geddes' und Mumfords Terminologie daher die subjektive Entscheidung über die

Realisierbarkeit der zugrunde liegenden Idealvorstellungen.

Robert Fishman interpretiert in seinem retrospektiven Werk Le Corbusiers

städtebauliche Vision als eine autoritäre Planungsutopie. Le Corbusier, so Fishman,

gehe davon aus, soziale Unordnung und Konflikte würden sich in einer harmonisch

geplanten Industriegesellschaft auflösen, da diese in der Lage sei, die Probleme

menschlicher Gesellschaften zu erkennen und zu lösen.99 Um eine solche

modernistische Vision realisieren zu können, hätten die Pläne Le Corbusiers jedoch

eine platonische100 Demokratiefeindlichkeit beinhaltet, gemäß der er die Aufgabe der

Volkssouveränität zugunsten der Autorität einer Expertenelite befürwortet habe.101

James C. Scott kritisiert in diesem Zusammenhang das abstrahierte und simplifizierte

Menschenbild des „Hoch-Modernismus“, das aus seiner Sicht die menschlichen

Bedürfnisse auf fixe materialistische und physische Mindestanforderungen begrenze.102

Durch diese Betonung eines technokratischen Egalitarismus, den Scott neben den

Tendenzen zu einer totalitären Planungspraxis verortet, assoziiert er seine Interpretation

des „Hoch-Modernismus“ mit den sozialistisch-utopischen Diktaturen des 20.

Jahrhunderts. Die modernistische Planung wird so als Planungsutopie begriffen, was

98 Ebd., S. 303-30899 Fishman: Urban Utopias in the Twentieth Century, 1977, S. 275100 Fishman bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Staatenlehre Platons, in der die Aristokratie, also die Herrschaft „der besten“ als Staatsform der Demokratie vorgezogen wird. 101 Ebd., S. 258-263102 Scott: Seeing Like a State, 1998, S. 115

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allerdings letztendlich nichts anderes bedeutet, als den Ansatz Lewis Mumfords, Utopie

als Ergebnis eines sozialen Mythos' zu begreifen, in diesem Fall dem Mythos einer

vollständig planbaren Gesellschaft.

Le Corbusier versuchte solche Utopie-Vorwürfe stets mit dem Argument zu entkräften,

die funktionale Stadtplanung sei realistisch, gegenwartsbezogen und unmittelbar

realisierbar.103 Der moderne Mensch befand sich aus seiner Sicht bereits im

Maschinenzeitalter, die gesellschaftliche Transformation, die andere ihm vorwarfen zu

planen, war aus seiner Perspektive durch die Industrialisierung bereits in vollem Gange,

wenn nicht bereits vollzogen. Allein die Stadt hing in ihrem Zustand mit

rückwärtsgewandter Trägheit in der Vergangenheit fest und musste so rasch wie

möglich an die Anforderungen einer modernen Gesellschaft angepasst werden. Thilo

Hilpert gesteht ein gewisses Abschweifen von der Realität in Le Corbusiers

theoretischen Werken ein, führt das jedoch nicht auf eine utopische Grundhaltung

zurück, sondern auf die Frustration über das Ausbleiben praktischer Aufträge.104 Diese

Frustration ist immer wieder deutlich aus Le Corbusiers Ungeduld herauszulesen,

endlich seine Pläne realisieren zu können. In einem Brief an Siegfried Giedion schrieb

er 1933: „Es ist Zeit, Giedion, die Welt brennt. Es bedarf der Bestärkungen. Wir sind

die Techniker der modernen Architektur.“105 Die funktionale Stadt war aus Le

Corbusiers Sicht die notwendige Lösung der urbanen Krise. Dabei war es nicht das

Ziel, dadurch die Transformation der Gesellschaft zu einem politischen Idealzustand zu

erreichen. Der wiederholte Vorwurf des Egalitarismus ist eine falsche und übertriebene

Interpretation von Terminologien wie der „Wohnmaschine“, die sich jedoch weniger

auf ein entsprechendes Gesellschaftsverständnis als auf die Faszination der Ästhetik des

Mechanischen zurückführen lassen.106 An keiner Stelle seines Werkes fordert Le

Corbusier eine Abschaffung sozialer Ungleichheit, die gesellschaftliche Transformation

betrifft stets ausschließlich das Verhältnis des Individuums zur Gesamtgesellschaft, dem

ein Grundrecht auf Raum, hygienische Wohnbedingung und ein gleichberechtigter

Zugang zu einem Mindestmaß an Natur zustehen sollte. Hierbei handelt es sich nicht

um „Gleichmacherei“, sondern um die Eliminierung der negativen Auswirkungen von

Massenarmut mit den technischen Mitteln der Moderne, also durch billige

Wohneinheiten mit einem festgelegten Mindeststandard für alle. Keineswegs aber

103 Hilpert: Die funktionelle Stadt, 1978, S. 185-190104 Ebd., S. 186f105 Le Corbusier an Giedion, 29. August 1933, entnommen aus: Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984106 Zu Le Corbusiers Begriff der Wohnmaschine vgl.: Schnell: Le Corbusiers Wohnmaschine, 2007

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sollten dadurch Armut oder Klassenhierarchie selbst eliminiert werden. Gerade dieses

Fehlen eines wirklich egalitären Ansatzes in seinem Werk führte zu Konflikten mit

sozialistischen Kollegen wie Hans Schmidt, die Le Corbusier aus der Perspektive des

marxistischen Utopie-Begriffes vorwarfen utopisch zu arbeiten, da dieser seine Planung

auf architektonische und räumliche Prinzipien beschränkte, während die Sozialisten es

vorzogen, den Städtebau als sozialökonomischen Prozess zu begreifen.107 Diese Kritik

des Sozialismus an der Stadtplanung orientierte sich an den Kommentaren von Karl

Marx und Friedrich Engels zu den Entwürfen der Frühsozialisten Owen und Fourier.

Diese bezeichneten aus ihrem teleologischen Geschichtsverständnis heraus eine

sozialistische Stadtplanung als utopisch und in diesem Sinne als unrealistisch, sofern

diese stattfinden sollte, bevor die menschliche Gesellschaft die Entwicklungsstufe des

Sozialismus erreicht hätte.108 Hans Schmidt folgte dieser Argumentation in seiner Kritik

so weit, dass er Le Corbusiers Arbeiten sogar als gegenrevolutionär bezeichnete.109

Dass Le Corbusiers Vorstellungen von der autoritären Rolle des Planers dennoch

unbestritten undemokratische Züge annahmen, ist nicht auf eine platonische Utopie

zurückzuführen, wie sie ihm Fishman zur Last legte, sondern auf seine Bereitschaft, die

soziale Ordnung der Moderne zu akzeptieren und der räumlichen unterzuordnen. So

gesehen mag man Le Corbusier persönlich als autoritären Planer bezeichnen, eine

Anwendung des Utopiebegriffes auf sein Werk kann dabei aber nur auf dem Vorwurf

basieren, unrealistisch zu planen. Diese Variante der Utopie-Definition ist jedoch höchst

subjektiv und schwer zu verifizieren.

Was den Begriff der Utopie im Allgemeinen angeht, wurde dieser im zwanzigsten

Jahrhundert als Kampfbegriff deutlich überstrapaziert. Während die Sozialisten unter

der Utopie die räumliche Verschleierung von Klassenunterschieden verstanden, mit der

eine historisch notwendige Transformation aufgehalten werden sollte, beschimpften

konservative Autoren wie Lewis Mumford mit dem Begriff die Absicht eben solcher

Transformationen oder schlicht eine unrealistische Planung. Es ist diese Mehrdeutigkeit

und Subjektivität im Gebrauch des Utopiebegriffes, die eine eindeutige Definition aus

gegenwärtiger Sicht unmöglich macht und diesen so als Klassifikationsmerkmal

historischer Betrachtung letztendlich disqualifiziert.

107 Hilpert: Die funktionelle Stadt, 1978, S. 190-195108 Schumpp: Stadtbau-Utopien und Gesellschaft S. 72-77109 Hilpert: Die funktionelle Stadt, 1978, S. 194

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3 Chandigarh und Brasilia

3.1 Modernisierungspolitik für ökonomische Entwicklung und nationales Selbstbewusstsein

Wie im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, fand die Entwicklung der modernen

Stadtplanung hauptsächlich in einem europäischen und nordamerikanischen Kontext

statt. Dass 1948 in Indien und 1956 in Brasilien zwei neue Hauptstädte nach modernen

Prinzipien geplant und gebaut wurden, lässt auf die damalige internationale

Ausstrahlung dieser Stadtplanungsphilosophie schließen. In der Tat zeigten vor allem

die beteiligten Architekten und Stadtplaner der CIAM ein reges Interesse an einer

globalen Verbreitung ihrer Vorstellungen durch die Erstellung zahlreicher Pläne für

Städte in Afrika, Lateinamerika und Asien, die jeweils bei den einzelnen Konferenzen

präsentiert und diskutiert wurden. Ihre ablehnende Haltung gegenüber

traditionsbewusster Architektur und die Betonung der kulturellen Neutralität moderner

Planung machte den Modernismus besonders für die Regierungen der Länder attraktiv,

deren politisches Interesse im Ausbau der Unabhängigkeit von den ehemaligen

europäischen Großmächten lag. Die Planung und der Bau Brasilias und Chandigarhs

fallen in die in dieser Hinsicht außerordentlich erfolgreichen Regierungszeiten

Jawaharlal Nehrus, der ab 1947 Premierminister Indiens war und Juscelino

Kubitscheks, der ab 1955 Brasilien als Präsident regierte. Ihr Erfolg besteht dabei

weniger in der ökonomischen Bilanz ihrer Regierungen als aus der Leistung,

konstruktiv ökonomische Entwicklung und nationale Emanzipation von der kolonialen

Vergangenheit der Länder zu kombinieren. Dabei gelang es ihnen wie wenigen anderen,

einen autokratischen Führungsstil aufrecht zu erhalten, ohne dabei demokratiefeindlich

zu agieren. Zwar wurde kurz nach Kubitscheks Amtsperiode in Brasilien eine

Militärdiktatur errichtet, diese etablierte sich jedoch erst nach der Absetzung des

Präsidenten Joao Goulart, der mit seiner Politik an Kubitscheks Erfolg nicht anknüpfen

konnte.110 Auch Nehru, der im Rahmen seines autokratisch-sozialistischen

110 Alexander: Juscelino Kubitschek and the Development of Brazil, 1991, S. 356-358

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Regierungsstils leicht eine Diktatur hätte errichten können, betonte stets den Respekt

vor den Institutionen der indischen Demokratie.111 Dabei zeichneten sich beide

Regierungen durch die Verfolgung einer aggressiven Modernisierungspolitik aus, die

auf der wirtschaftspolitischen Strategie einer Import substituierenden Industrialisierung

aufbaute. Diese beinhaltet die Errichtung einer eigenen Industrielandschaft mit dem

Ziel einer wirtschaftlichen Autarkie, um sich von Importen aus dem Ausland

unabhängig zu machen. Diese Unabhängigkeit kann jedoch nur dadurch erreicht

werden, dass das betreffende Land neben leichten und mittelschweren Industrien auch

eine starke Schwerindustrie aufbaut, die das Rückgrat der internationalen

Wirtschaftspolitik eines Landes ist. Da die Errichtung einer solchen Schwerindustrie

extrem teuer und aufwendig ist, wird der Ausbau in drei Stufen gestaffelt und auf einer

zentralen Regierungsebene geplant. In Brasilien wurde diese Strategie bereits seit den

1930er Jahren unter dem Diktator Getúlio Vargas betrieben, Kubitscheks Regierung

von 1956 bis 1961 konnte daran erfolgreich anknüpfen.112 Im Fall Indiens, wo mit

Mahatma Gandhi unter britischer Herrschaft die nationale Unabhängigkeitsbewegung

zunächst antimodernistisch geprägt war, trat nach dessen Tod vor allem Nehru als

Fürsprecher einer umfangreichen Industrialisierung auf, ab der Mitte der 1950er Jahre

wurde dann auf sein Wirken hin das „Mahalanobis-Modell“, die indische Variante einer

Import substitutierenden Industrialisierungsstrategie in der Form mehrerer aufeinander

folgender Fünf-Jahrespläne umgesetzt.113

Die Modernisierungspolitik, die das ausdrückliche Ziel der beiden Länder war, konnte

mit der Errichtung moderner Hauptstädte einerseits regional wirtschaftlich unterstützt

werden, gleichzeitig handelte es sich dabei aber vor allem um Prestigeprojekte, mit

denen der Erfolg der Modernisierung auch im urbanen Erscheinungsbild der Länder

sichtbar gemacht werden sollte. Die Planung und Errichtung ganzer Städte in kurzer

Zeit legitimierte die Machtkonzentration bei den Regierungen durch eine so zur Schau

gestellte Effizienz, darüber hinaus stärkte es das nationale Selbstbewusstsein der

Bevölkerung und demonstrierte nicht zuletzt die technischen Fähigkeiten der Nationen

auf einer internationalen Ebene.

Kubitschek wollte durch die Zusage des Baus Brasilias zunächst hauptsächlich seine

Verfassungstreue demonstrieren.114 Die Verfassung Brasiliens sah bereits seit 1891 die

111 Tharoor: Die Erfindung Indiens, 2006, S. 217112 Alexander: Juscelino Kubitschek and the Development of Brazil, 1991, S. 3-6113 Nayar: Nationalist Planning for Autarchy and State Hegemony. Development Strategy under Nehru, 2007114 Alexander: Juscelino Kubitschek and the Development of Brazil, 1991, S. 214-217

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Errichtung einer neuen Hauptstadt im zentralen Hochland vor. Mit der Platzierung der

Hauptstadt im Landesinneren sollte sich Brasilien stärker als lateinamerikanische

Nation positionieren, nachdem die kulturelle und wirtschaftliche Ausrichtung nach

Europa hauptsächlich zu einer Entwicklung der Küstengebiete geführt hatte. Abseits der

geographischen Peripherie würde sich Brasilia, vor fremden kulturellen Einflüssen

geschützt, so zu einer rein brasilianischen Haupstadt entwickeln.115 Ebenso maßgeblich

für die Entscheidung für den Bau Brasilias war jedoch die bereits aus dem 18.

Jahrhundert stammende Überlegung, durch den Bau einer Hauptstadt die ökonomische

Entwicklung des zentralen Hochlandes Brasiliens zu fördern.116 In einem Interview

sagte Kubitschek 1966, der eigentliche Grund für den Bau Brasilias sei gewesen, einen

Ort zu haben, zu dem hin man Straßen bauen konnte.117 Robert J. Alexander legt dar,

dass es diese nach Brasilia führenden Straßen gewesen seien, die durch ihre Etablierung

einer Nord-Süd Verbindung zwischen den Dschungeln des abgelegenen Bundesstaates

Pará und der wirtschaftlich starken Küstenregionen des Südens in der Tat eine

ökonomische Entwicklung des zentralen Hochlandes und nach dem Kautschukboom im

19. Jahrhundert eine erneute Erschließung der Amazonasgebiete ermöglicht hätten.

Solche Entwicklungsprojekte hätten auch ohne die Errichtung Brasilias wahrscheinlich

ihre ökonomische Wirkung entfalten können, jedoch, so Alexanders Argumentation,

war nur durch die psychologische Zugkraft des Brasilia-Projektes der politische Wille

Brasiliens zur Finanzierung dieser Projekte zu motivieren.118

Während Brasilia also helfen sollte, das geographische Zentrum der brasilianischen

Nation wirtschaftlich und kulturell zu erschließen, war das Motiv für die Errichtung

Chandigarhs die Konstituierung der neuen indischen Nation im westlichen Grenzgebiet,

die aufgrund der damaligen Situation politisch äußerst instabil war. Der Bundesstaat

Punjab hatte durch die Abtrennung des muslimischen Pakistan von Indien im Rahmen

der Unabhängigkeit vom britischen Empire 1947 seine Haupstadt Lahore und einen

großen Teil des ursprünglichen Territoriums verloren.119 Im Verlauf dieser Teilung war

es insbesondere in Punjab zu einem heftigen Bürgerkrieg zwischen Sikhs und

Muslimen gekommen, entwurzelte Angehörige beider Religionsgemeinschaften

flüchteten in die jeweils entgegengesetzten Richtungen. Dabei kam es zu gewaltsamen

Zusammenstößen, bei denen Zehntausende von muslimischen Flüchtlingen massakriert

115 Epstein: Brasilia, Plan and Reality, 1973, S. 28116 Alexander: Juscelino Kubitschek and the Development of Brazil, 1991, S. 214-217117 Ebd., S. 231118 Ebd., S. 228-235119 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 13

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wurden.120 Vor allem die Entwicklung in den neuen Grenzregionen wurde daher auch

angesichts des sich abzeichnenden Konfliktes um Kaschmir für die indische Regierung

unter Nehru zu einer Frage der Etablierung einer neuen indischen nationalen

Identität.121 Das zeigt alleine schon der Name Chandigarh, der übersetzt so viel bedeutet

wie „Chandis Bollwerk“. Bei Chandi handelt es sich um eine Manifestation der Hindu-

Göttin Shakti, die den allgegenwärtigen Wandel der Welt verkörpert.122 Während man

hier also durchaus passend einen zukunftsgewandten und transformationsorientierten

Geist beschwor, sollte vergegenwärtigt werden, dass es sich dabei um einen

hinduistischen Geist handelt und die Hauptstadt des neuen Punjabs damit ein

ausdrücklich hinduistisches Symbol wurde. Nun war es gerade die Regierung Nehrus,

die die Abtrennung Pakistans von Indien abgelehnt hatte und die sich nun nach allen

Kräften bemühte, die verbleibenden Muslime in Indien zu schützen und vor

Diskriminierung durch Hindu-Nationalisten zu bewahren. Dennoch ist die Benennung

einer Landeshauptstadt ein aller Wahrscheinlichkeit nach bewusster politischer Akt, und

auch wenn sich Chandigarh in keiner Weise mit einem martialischen Nationalismus in

Verbindung bringen lässt, signalisierte dieser Name den Bewohnern des Punjab doch,

dass die neue indische Nation eine hinduistische sei. Dass man sich in Neu Delhi von

der Errichtung Chandigarhs gleichzeitig eine Emanzipation von den ehemaligen

britischen Kolonialherren versprach, zeigt auch Nehrus wiederholte Intervention bei der

Planung. Seine Regierung erklärte es zum zentralen Anliegen, mit Chandigarh eine

moderne indische Stadt errichten zu lassen, ohne dafür auf britische oder amerikanische

Hilfe bei der Planung angewiesen zu sein.123 Chandigarh sollte für ein neues

hinduistisches Indien stehen, das sich ohne westliche Bevormundung selbst

modernisieren konnte.

120 Kulke / Rothermund: Geschichte Indiens, 1982 S.326-339 und Ludden: Geschichte Indiens, 2002, S. 214-244121 Ludden: Geschichte Indiens, 2002, S.237-241122 Prakash: Chandigarh's Le Corbusier, 2002, S. 8123 Ebd., S. 39-43

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3.2 Die modernistische Avantgarde in Brasilien und Indien 3.2.1 Brasilien

Die Zeit, in der Brasilien eine portugiesische Kolonie gewesen war, endete bereits

1808, als die Monarchie ihren Regierungssitz auf der Flucht vor Napoleon nach Rio de

Janeiro verlegte. Die so entstandene brasilianische Kaiserdynastie mit portugiesischem

Ursprung war 1889 im Zuge eines Militärputsches durch eine Republik ersetzt worden,

bis es Getulio Vargas in den 1930er Jahren gelang, seine Diktatur des „Estado Nuovo“

einzurichten. Auch wenn Kubitschek mit seiner Politik Brasilien nach Vargas in

demokratische Verhältnisse zurückführte, betonte auch seine Regierung stets den

Ansatz eines Brasilien, das sich radikal erneuerte und führte so die Politik des „Estado

Nuovo“ unter geänderten Rahmenbedingungen fort. Die Modernität Brasilias war über

ihre weiter oben beschriebene Bedeutung als Rückgrat der Entwicklung des zentralen

Hochlandes hinaus Teil dieser Aufbruchs-Inszenierung, mit der einem

„Minderwertigkeitskomplex“ entgegengewirkt werden konnte, wie ihn Robert J.

Alexander der brasilianischen Gesellschaft der 1940er Jahre zuschreibt.124 Die moderne

Architektur sollte dabei, so der Brasilia-Experte James Holston, bewusst mit dem

europäischen Erbe des iberischen Barock und des Neoklassiszismus brechen.125

In Brasilien hatte sich bereits seit den 1920er Jahren mit jungen Architekten wie Lucio

Costa, Rino Levi und Gregori Warchavchik eine Gruppe etabliert, die sich ausdrücklich

am modernen Stil Le Corbusiers orientierte.126 Zu dieser Zeit bestand ein enger Kontakt

zu den Architekten Europas. Die brasilianische Avantgarde schickte unter der Leitung

von Warchavchik Delegationen zu den frühen CIAM-Kongressen und Le Corbusier

selbst besuchte Brasilien 1929 und 1935, um sich mit der modernen Bewegung vor Ort

auszutauschen. Bei seinem zweiten Besuch 1935 beteiligte er sich zusammen mit Lucio

Costa und Oscar Niemeyer an den Entwürfen für das Gebäude des brasilianischen

Ministeriums für Erziehung und Gesundheit, vermutlich das repräsentativste Projekt

der brasilianischen Moderne der 1930er Jahre. Aus der Perspektive des Baus von

Brasilia ist das Ministeriumsgebäude auch deshalb interessant, weil bereits zu diesem

Zeitpunkt mit Niemeyer und Costa die beiden wichtigsten Architekten Brasilias in

einem Team mit ihrem Lehrmeister Le Corbusier zusammenarbeiteten. Die moderne

124 Alexander: Juscelino Kubitschek and the Development of Brazil, 1991, S. 10-12125 Holston: Brasilia: Modernität als Experiment und Risiko, 2003126 Deckker: Brazil Built, 2001, S. 7-21

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Architektur konnte sich während dieser und der darauf folgenden Dekade in Brasilien

so erfolgreich vom internationalen zu einem eigenständigen Stil entwickeln und sich

etablieren, dass das Museum of Modern Art in New York 1942 der Entwicklung der

modernen brasilianischen Architektur eine eigene Ausstellung widmete. Der Katalog zu

dieser Ausstellung, „Brazil Builds“,127 wurde aufgrund der hohen Nachfrage dreimal

neu aufgelegt und erregte internationale Aufmerksamkeit insbesondere in der Zeit, in

der Europa in Trümmern lag und dort über die Form des Wiederaufbaus debattiert

wurde.128 Siegfried Giedion schrieb 1956 im Geleitwort der deutschen Ausgabe des

Bandes „Neues Bauen in Brasilien“: „Es gibt in der heutigen Architekturentwicklung

zwei Länder, deren allgemeiner Standard höher ist als der aller anderen Gebiete:

Finnland und Brasilien.“129 Ihre Eigenständigkeit unterstrich die brasilianische

Avantgarde insbesondere auch dadurch, dass zu den neu aufgelegten CIAM-

Konferenzen nach 1945 keine brasilianische Delegation mehr geschickt wurde.130 Der

besondere brasilianische Anstrich, den die ursprünglich als internationaler Stil

bezeichnete Architektur hier nun erhielt, unterstreicht deren kulturell emanzipatorische

Bedeutung für die brasilianische Gesellschaft.

Dass durch Politik und Architektur beim Bau Brasilias durchaus ähnliche Philosophien

vertreten wurden, zeigt die politische und persönliche Freundschaft zwischen Juscelino

Kubitschek und Oscar Niemeyer und wurde durch Niemeyer auch im Nachhinein

immer wieder betont. Eigentlich hatte Kubitschek Niemeyer allein ohne größere

Umschweife mit dem Bau Brasilias betrauen wollen, doch der Widerstand der

brasilianischen Architektenkammer führte 1956 dazu, dass ein Wettbewerb um die

Auftragsvergabe durchgeführt werden musste.131 Dessen Verlauf kann allerdings kaum

als fair bezeichnet werden. Niemeyer saß als einflussreiches Mitglied in der Jury und

konnte so erheblich dazu beitragen, dass mit Lucio Costa trotz einiger Proteste durch

Vertreter der Architektenkammer sein alter Lehrmeister und Freund den Wettbewerb

gewann, obwohl dessen Beitrag im Vergleich mit den anderen am wenigsten

ausgearbeitet worden war und noch nicht einmal alle Anforderungen des Wettbewerbs

erfüllte.132

Mit dem Team um Lucio Costa und Oscar Niemeyer wurde eine Architektengruppe mit

127 Goodwin: Brazil Builds, 1943128 Deckker: Brazil Built, 2001, S.135-142129 Mindlin: Neues Bauen in Brasilien, 1956, S. IX130 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 185131 Evenson: Two Brazilian Capitals, 1973, S. 117-121132 Fils: Brasilia, 1988, S. 105-115

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dem Bau der neuen Hauptstadt beauftragt, der es gelungen war, den internationalen

modernen Architekturstil der 1920er und 1930er Jahre als eigenständige brasilianische

Moderne zu etablieren. Sie hatten sich dabei zwar an europäischen Architekten,

insbesondere an Le Corbusier orientiert, die Assimilation der modernen Architektur

durch die brasilianische Kultur war jedoch bereits so weit vorangeschritten, dass

zumindest aus architektonischer Sicht zum Zeitpunkt der Gründung Brasilias kein

Zweifel an einer brasilianischen Eigenleistung aufkommen konnte. Anders verhielt es

sich mit brasilianischen Vorleistungen auf dem Gebiet der Stadtplanung. Während die

moderne Architekturbewegung Brasiliens mit einer Vielzahl von Publikationen heute

sehr gut dokumentiert ist, gibt es in der Literatur nur wenige Hinweise auf eine

ausgeprägte brasilianische Planungstradition, stattdessen wird die Entwicklung von

Städten wie Rio de Janeiro auf eine Folge von Einzelentscheidungen und eine

Entwicklung aus sich selbst heraus dargestellt.133 Die Planung Brasilias war insofern

von den architektonischen Herausforderungen abgesehen Neuland für Brasilien. Hier

konnten sich Costa und Niemeyer nur nach dem Lehrbuch richten und das war für sie

als Schüler Le Corbusiers und Teilnehmer der CIAM der 1930er Jahre die Charta von

Athen. Da in Chandigarh 1956 bereits sechs Jahre lang gearbeitet wurde, ist es darüber

hinaus nicht unwahrscheinlich, dass Costa und Niemeyer sich sogar bewusst an den

Plänen für Chandigarh orientierten oder sich zumindest durch den Erfolg Le Corbusiers

in Indien in ihrer Arbeit bestätigt fühlten.

3.2.2 Indien

In Indien war der Einfluss des Kolonialismus auf die Architektur im 20. Jahrhundert

noch wesentlich präsenter als in Brasilien. Bis zur Unabhängigkeit von 1947 bestand

der Großteil architektonischer und städteplanerischer Leistungen aus Projekten, die

durch die britische Verwaltung durchgeführt wurden. Der vorherrschende Stilmix aus

britischem Kolonialismus und Imperialismus war nicht darauf ausgelegt, eine native

indische Gesellschaft zu reflektieren. Mit dem Aufstieg einer wohlhabenden indischen

Mittelschicht, die von der Herrschaft der Briten profitierte, und einer westlichen

Liebhaberschaft der Exotik alter indischer Architektur konnte sich zwar seit dem späten

19. Jahrhundert daneben der indisch-sarazenische Stil etablieren, ein Gemisch aus

europäischer Gothik und vermeintlich indischer, weil schnörkelreicher Ornamentik, das

133 Evenson: Two Brazilian Capitals, 1973, S. 32-70

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sich jedoch nur oberflächlich mit der räumlichen Logik traditioneller indischer

Architektur auseinandersetzte.134 Die Stadtplanung, die in Indien vor 1947 durchaus

umfangreich betrieben wurde, diente überwiegend kolonialen Interessen und entsprach

jeweils den europäischen und insbesondere britischen Trends. Die vorherrschenden

Paradigmen waren dabei die Machtdemonstration der Kolonialherren durch

monumentale Planungen vor allem beim Bau der Hauptstadt Neu Delhi, die Schaffung

billiger Wohnquartiere für die vielen Arbeiter der wachsenden Textilindustrie und

Seuchenprävention durch die Anwendung stadthygienischer Maßnahmen auf die

indischen Großstädte, die ähnlich wie in Europa einem starken Wachstum ausgesetzt

waren.135 Letzteres ging aufgrund der besonderen Empfindlichkeit der Kolonialherren

für tropische Krankheiten mit einer räumlichen Klassen- und Rassensegregation einher,

die sich grundsätzlich an Ebenezer Howards Gartenstadt orientierte, darüber hinaus

allerdings nicht viel mit dem Gartenstadtgedanken gemein hatte.136 Umfangreich

durchgeführte Verbesserungen der hygienischen Situation, wie die Verbreiterung der

Straßen in den indischen Städten und die Schaffung neuer Wohnflächen, waren im

Prinzip notwendige Modernisierungsmaßnahmen. Allerdings wird eine rassistische

Grundhaltung der kolonialen Entwicklungspolitik an der Rücksichtslosigkeit deutlich,

mit der koloniale Planungsorganisationen wie der „Improvement Trust“ in Kalkutta

große Teile indischer und chinesischer Viertel niederreißen ließen.137 Die Rolle der

Stadtplanung in Indien zu Zeiten der britischen Herrschaft ist also durchaus ambivalent

zu bewerten und wurde von indischer Seite auch so empfunden. Einerseits handelte es

sich zweifelsohne um ein Instrument kolonialer Machtausübung, andererseits war damit

auch eine Industrialisierung und Modernisierung verbunden, von der einige Inder

durchaus profitieren konnten.

Die indische Diskussion über die moderne Architektur setzte in den 1930er Jahren ein,

als die Visionäre der Unabhängigkeit begannen, sich mit der Architektur eines

zukünftigen freien Indien auseinanderzusetzen.138 Für viele waren es jedoch nicht der

Rationalismus und die historische Wertfreiheit eines internationalen Stils, die die

moderne Architektur als erstrebenswert erscheinen ließen. Vielmehr wurde die moderne

Architektur als explizit westlicher Stil wahrgenommen, doch gerade das machte sie

umso interessanter. Junge indische Architekten, die in Europa studiert hatten, lehnten

134 Evenson: The Indish Metropolis, 1989, S. 82-112135 Ebd., S. 113-156136 Hall: Cities of Tomorrow, 1988, S. 189-192137 Evenson: The Indish Metropolis, 1989, S. 130-132138 Vgl. Abbildung 2

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eine völlige Abkehr von den westlichen Nationen und architektonischen Trends ab, da

sie deren Modernität bewunderten.139

In der Diskussion um die moderne Architektur spiegelte sich so der innere Konflikt

wider, der für die indische Gesellschaft an der Schwelle zur Unabhängigkeit

charakteristisch war. Gandhis Symbolismus des Spinnrades betonte zwar die kulturelle

Eigenständigkeit Indiens, war aber zugleich auch ein Symbol mittelalterlicher

Manufaktur. Wie Nehru Modernität zu befürworten, hieß hingegen, eine materielle und

personelle Abhängigkeit vom ehemaligen Kolonialherren Großbritannien zu

akzeptieren. Von dieser inneren Spannung zwischen Emanzipation und Abhängigkeit

war die indische moderne Architekturbewegung genauso geprägt wie die gesamte

Gesellschaft sowie die Regierung des unabhängigen Indien. Nur vor diesem

Hintergrund ist die Kontinuität vor allem im Bereich der Stadtplanung zu erklären, mit

der in Indien auch nach der Unabhängigkeit noch lange Zeit auf britische

Entwicklungshilfe zurückgegriffen wurde.140

Diese Kontinuität lässt sich im Fall Chandigarhs im frühesten Entwicklungsstadium

deutlich feststellen. Anders als bei anderen indischen Projekten unmittelbar nach der

Unabhängigkeit wurde im Laufe der Planungen jedoch immer wieder versucht, die

britische Dominanz durch eine Betonung indischer Interessen zurückzudrängen. A.L.

139 Evenson: The Indian Metropolis, 1989, S. 180-181140 Ebd., S. 182-184

42

Abbildung 2: Fiktive Skizze einer zukünftigen modernen Architektur Indiens, veröffentlicht im Journal of the Indian Institute of Architecture 1946, entn. aus: Evenson: The Indian Metropolis, 1989, S.181

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Fletcher, der von der Regierung Punjabs eingesetzte Sonderbeauftragte für die Planung

einer neuen Hauptstadt, orientierte sich in seinen Vorstellungen ausdrücklich an den

Arbeiten Patrick Abercrombies, der 1943 den Plan zur Neugestaltung Londons

veröffentlicht hatte. Fletcher war ein ausgesprochener Anhänger der britischen

Stadtplanungsavantgarde. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre Chandigarh ein

System aus drei miteinander vernetzten „New Towns“ geworden, von denen eine als

klassische Gartenstadt geplant wurde, während es sich bei den anderen beiden um eine

Universitäts- und eine Verwaltungsstadt handeln sollte.141 Der Chefingenieur des

staatlichen Bauamtes, P.L. Verma, kritisierte an den Plänen Fletchers jedoch, dass sie zu

sehr aus einer britischen Stadtplanungstradition heraus erdacht worden seien und

keinen Bezug zur indischen Realität hätten. So hätte die Vernetzung der drei

Satellitenstädte eine Motorisierung der Bevölkerung vorausgesetzt, wie sie in Indien

1948 nicht gegeben war. Auch die von Fletcher geplante Bevölkerung von insgesamt

maximal 200.000 Einwohnern schien ihm als zu gering angesetzt, da er unter anderem

mit einer stärkeren industriellen Entwicklung und einem Zuzug von Flüchtlingen aus

Pakistan rechnete, was Fletcher nicht einplante. Auf Vermas Druck hin entschied sich

die Regierung im November 1948, Fletcher zu entlassen und sich Vermas Vorstellungen

anzuschließen, die Chandigarh als eine einzelne Stadt für 500.000 Einwohner

vorsahen.142 Vermas Vorhaben, gemeinsam mit Fletchers Nachfolger P. N. Thapar im

Rahmen einer Europareise einen geeigneten Stadtplaner für den Bau von Chandigarh zu

suchen, wurde jedoch durch eine Intervention Nehrus gestoppt. Dieser wollte für den

Bau einen Stadtplaner beauftragen, der mit der indischen Gesellschaft vertraut war, da

er andernfalls die selbe Dominanz fremder Traditionen befürchtete, die auch schon

Verma an Fletchers Plänen kritisiert hatte. Mit dem Amerikaner Albert Mayer wurde

daher ein Stadtplaner beauftragt, der bereits seit 1946 die indische Regierung beriet.

Mayer, der sich im Rahmen des New Deals der 1930er Jahre unter Roosevelt in

Amerika etabliert hatte, hatte bereits einige Erfahrungen bei Projekten in Indien

gesammelt und war insofern aus Sicht Nehrus der ideale Kandidat für die Planung

Chandigarhs.143 Mayer entwarf den ersten Masterplan der Stadt, dessen Grundriss auch

später unter Le Corbusier im wesentlichen beibehalten wurde. Bevor die Bauten jedoch

beginnen konnten, starb Mayers wichtigster Architekt Matthew Nowicki bei einem

Flugzeugunglück. Thapar und Verma nutzten diese Tragödie, um 1950 ihre geplante

141 Prakash: Chandigarh's Le Corbusier, 2002, S. 36142 Ebd., S. 37-39143 Ebd., S. 39-41

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Europareise doch durchführen und einen europäischen Architekten für Chandigarh

gewinnen zu können. Mayer hatte seine Arbeiten größtenteils von New York aus

koordiniert, was offensichtlich auf indischer Seite zu Unzufriedenheit angesichts der

fehlenden Organisation vor Ort geführt hatte. Daher sollte sichergestellt werden, dass

das neue Team verpflichtet werden sollte, direkt in Indien zu arbeiten.144 Es wird aus

der Literatur nicht deutlich, ob die Durchsetzung der Europareise Thapars und Vermas

darüber hinaus Ausdruck einer politisch motivierten Opposition gegen Nehrus

Personalentscheidung war, jedenfalls versuchte dieser vergeblich, auch ein zweites Mal

die Reise zu stoppen.145

Auf ihrer Reise trafen Verma und Thapar in Frankreich zunächst auf Le Corbusier.

Obwohl Le Corbusier auch damals schon berühmt für seinen Einfluss auf die moderne

Stadtplanung war, hatte er bis zu diesem Zeitpunkt außer vereinzelten Gebäuden keinen

seiner städtebaulichen Pläne durchsetzen können. Zuletzt war er 1945 mit seinem

Auftrag, in Frankreich die beiden kriegsverwüsteten Kleinstädte St. Dié und La

Rochelle nach seinen Vorstellungen neu zu erbauen, am Widerstand der lokalen

Bevölkerung gescheitert.146 Auch das Treffen mit Verma und Thapar verlief zunächst

nicht erfolgreich. Sein Maison d'Unité in Marseille konnte die beiden nicht

beeindrucken und da Le Corbusier selbst dem Projekt eher skeptisch gegenüber stand

und betonte, Chandigarh, wenn überhaupt, von Frankreich aus planen zu wollen,

versuchten Verma und Thapar nicht weiter, ihn für das Vorhaben zu gewinnen und

reisten weiter nach Großbritannien. Dort lernten sie schließlich eher zufällig das

Architektenehepaar Edwin Maxwell Fry und Jane Beverley Drew kennen.147 Erst mit

Fry und Drew stießen die beiden Inder auf Architekten, die sich enthusiastisch für

Chandigarh interessierten. Beide hatten bereits in den 1940er Jahren in den britischen

Kolonien in Afrika und in Kuwait gearbeitet und kannten sich daher mit den

Anforderungen an Bauprojekte in den Tropen aus.148 Vor allem auf Drews Begeisterung

ist es zurückzuführen, dass sie einen Vertrag unterschrieben, der sie bei geringer

Bezahlung zu drei Jahren Arbeit in Indien verpflichtete. Nur der Vermittlungs- und

Überzeugungsarbeit von Fry und Drew ist es zu verdanken, dass schließlich auch Le

Corbusier zu einer Beteiligung überredet werden konnte. Seine Bedingung lautete,

überwiegend von Frankreich aus arbeiten zu können. Außerdem sollte auch sein Cousin

144 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 39145 Prakash: Chandigarh's Le Corbusier, 2002, S. 43146 Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism 1928-1960, S. 156147 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 25-27148 Prakash: Chandigarh's Le Corbusier, 2002, S. 43

44

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Pierre Jeannerett in das Projekt einsteigen.149

Die Verträge mit Fry, Drew, Le Corbusier und Jeannerett wurden noch 1950

unterzeichnet. Auch wenn Le Corbusier in der Öffentlichkeit seine Beteiligung 1958 als

gutes Werk bei schlechter Bezahlung darstellte,150 zeigt sein Briefverkehr mit Fry und

Drew aus dem Jahr 1950, dass er das Projekt nach jahrelangen Misserfolgen als

Gelegenheit wahrnahm, endlich die Charta von Athen umzusetzen. Er schrieb: „After

22 Years of CIAM action the moment to be heard has arrived to realize a magnificient

work [...]“ und „ […] It is a grand Victory fo CIAM, it is also an occasion for proving

that the CIAM congresses are capable of real action. [...]“.151

1951 reiste das Team nach Indien und begann mit der Arbeit. Dabei erhielt Le

Corbusier die volle Verantwortung für die Stadtplanung, um interne Konflikte bei der

Erstellung des Masterplanes von vornherein zu vermeiden. Maxwell Fry, der ebenfalls

als Stadtplaner qualifiziert gewesen wäre, stellte aus Respekt vor der Persönlichkeit Le

Corbusiers seine Ansprüche auf die Mitgestaltung des Masterplans zurück und

konzentrierte sich mit seiner Frau Jane Drew und Pierre Jeannerett auf die Architektur

der Wohnsektoren.152 Albert Mayer versuchte verzweifelt, von New York aus seinen

Einfluss zu erhalten, doch gegen die engagierte Gruppe vor Ort konnte er sich nicht

durchsetzen. Noch im selben Jahr stieg er frustriert aus dem Projekt aus.153 Damit hatte

Le Corbusier nach langen Jahren persönlichen Engagements das Ziel erreicht, eine

vollständige Stadt nahezu in Eigenregie planen zu können.

3.3 Die Masterpläne als Realisierung der Athener Forderungen 3.3.1 Grundrisse

Aus der Luft oder auf der Landkarte betrachtet, ähneln sich die Grundrisse von

Chandigarh und Brasilia auf den ersten Blick nicht. Bei Brasilia fällt sofort die

geschwungene, kreuzförmige Form auf, die schon Anlass zu den verschiedensten

Interpretationen geliefert hat.154 Die Assoziationen reichen dabei von einem Vogel oder

149 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 39-41150 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 26151 Zit. aus: Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 42-43152 Fry: Le Corbusier at Chandigarh, 1977153 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 27154 Vgl. Abbildungen 3 und 4

45

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einer Libelle155 bis hin zu einem gespannten Indianerbogen156. Die geläufigste erkennt

in dem Grundriss ein Flugzeug, was vor allem auf die falsche Übersetzung des

brasilianischen Begriffes „Plano Piloto“ für den Flächennutzungsplan zurückzuführen

ist.157 Costa selber dachte bei dem Entwurf laut eigener Angabe hauptsächlich an das

Symbol des Kreuzes als ursprünglichste und logischste geometrische Form bei der

Besiedelung eines Ortes.158 Norma Evenson weist in diesem Zusammenhang darauf hin,

dass das Kreuz bereits in der antiken römischen und indischen Stadtplanung

formgebend eingesetzt wurde.159

In Chandigarh spielt das Kreuz bestenfalls in Form der Straßenkreuzung eine Rolle.

Gäbe es nicht das Regierungsviertel, das als separates quaderförmiges Areal am

„Kopfende“ der Stadt angelegt wurde, wäre Chandigarh eine rechteckige Stadt, die

nach einem kartesischen Schachbrettmuster geformt wurde. Mit dieser Form bekräftigte

Le Corbusier seine persönliche Präferenz der geraden Linie, was besonders bei einem

Vergleich mit dem früheren Masterplan von Albert Mayer deutlich wird.160 Dieser hatte

155 Epstein: Brasilia, 1973, S. 50156 Shoumatoff: The Capital of Hope, 1980, S. 39157 Fils: Brasilia, 1988, S. 41158 Evenson: Two Brazilian Capitals, 1973, S. 146 und Shoumatoff: The Capital of Hope, 1980, S. 39159 Ebd. S. 146160 Vgl. Abbildung 5

46

Abbildung 4: Costas Wettbewerbsplan 1956, entn. aus: Fils: Brasilia, 1988, S. 44

Abbildung 3: Costas Planskizzen für Brasilia, entn. aus: Fils: Brasilia, 1988, S. 41

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sich bei seinem Entwurf an der Form eines Blattes orientiert,161 womit er dem Prinzip

der organischen Stadtplanung gefolgt war, das 1948 in nahezu gleicher Form von Hans

Bernhardt Reichow in Deutschland beworben wurde.162

161 Vgl. Abbildung 6162 Reichow: Organische Stadtbaukunst, 1948

47

Abbildung 6: Ausschnitt aus Albert Mayers "Leaf Plan" , entn. aus: Evenson: Chandigarh, 1966, Abb. 3

Abbildung 5: Albert Mayers und Le Corbusiers Masterpläne im Vergleich, entn, aus: Prakash: Chandigarhs Le Corbusier, 2002, S. 44

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Le Corbusier widersetzte sich durch die Revision von Mayers Plan gezielt diesem

Trend und griff mit seinem Entwurf die Form seiner eigenen Vision der „Ville

Radieuse“ wieder auf. Auch Costas Plan von Brasilia folgt bei einer näheren

Betrachtung der Anordnung von Straßen und Wohnvierteln eher einer rechtwinkligen

Raumplanung als die organisch geschwungenen Seitenachsen zunächst vermuten

lassen. Wenn man die organische Stadtplanung mit ihren dynamisch geschwungenen

Linien als dominierenden Trend der späten 1940er und 1950er Jahre anerkennt,

bedeutet das, dass die geometrische Form Chandigarhs und Brasilias zu diesem

Zeitpunkt nicht „state of the art“ war, sondern in ihrer rechtwinkligen Systematik auf

die strengere Corbusianische Geometrie der 1930er Jahre zurückgriff.

Beide Städte wurden außerdem in ihrer Eigenschaft als Pioniersiedlungen

zusammenhängend und als vereinzelte dicht besiedelte Räume auf einer überwiegend

menschenleeren Fläche geplant und gebaut, also in einem gänzlich anderen räumlichen

Umfeld als vergleichbare Siedlungsbauten in Europa oder Nordamerika, die meistens

auch im großräumigen regionalen Zusammenhang geplant wurden. Mit dieser neuen

Herausforderung ergab sich zwangsläufig eine Umkehrung des zugrunde liegenden

Planungsmotivs. Während die amerikanischen Greenbelt Towns, die britischen New

Towns und deutsche Vorstädte geplant wurden, um die Bevölkerungsdichte in den

urbanen Zentren aufzulockern, bestand der Zweck Brasilias und Chandigarhs in der

Neuschaffung solcher Zentren. Über den regionalen Kontext, in dem die beiden neuen

Städte standen, machte man sich weder in Chandigarh noch in Brasilia Gedanken, die

über grob formulierte Richtlinien hinausgingen. Lucio Costa begründete diesen

bewussten Schritt damit, dass Brasilia „nicht das Resultat regionaler Planung, sondern

die Ursache“ sei, die Stadtgründung sollte erst als Startpunkt für die zukünftige

Entwicklung eines Regionalplanes dienen.163 Chandigarh war ursprünglich von

Fletcher, wie weiter oben bereits erwähnt, als regionaler Stadtkomplex, bestehend aus

drei Siedlungen, geplant worden. Auch hier hatte man sich aber mit der Kündigung

Fletchers und zuletzt mit der Weiterentwicklung von Mayers Masterplan zu einer

weiteren Verdichtung für ein kompaktes urbanes Zentrum entschieden.164

An diesen unterschiedlichen Vorraussetzungen lassen sich die Grenzen der

Aussagekraft der CIAM-Forderungen des Athener Kongresses von 1933 verdeutlichen.

Diese richteten sich überwiegend an bestehende Städte, deren Zustand die

163 Evenson: Two Brazilian Capitals, 1973, S. 145164 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 26

48

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Kongressteilnehmer kritisiert hatten. Dadurch lieferte der Text zwar

Gestaltungsprinzipien, an denen sich die Planung in Chandigarh und Brasilia auch

orientierte, eine Forderung nach einer konkreten Form der Stadt enthielt er aber nicht.

Während die Charta von Athen daher sinnvoll auf die Prinzipien der Satellitenstädte

und der Regionalplanung angewendet werden konnte und daraus die verschiedenen

Formen der modernistischen Stadtplanung im Europa und Nordamerika der 1930er bis

in die 1950er Jahre entstanden, konnten sich Costa und Le Corbusier an den selben

Prinzipien orientieren und gleichzeitig wesentlich kompakter und zentralistischer

planen.

3.3.2 Die vier Stadtfunktionen

Das zentrale Prinzip der modernistischen Stadtplanung der CIAM in den 1930er Jahren,

war die bereits in Abschnitt 2.2.2 erläuterte Funktionsdifferenzierung der städtischen

Flächen. Dementsprechend wurden Chandigarh und Brasilia konsequent nach den vier

Funktionen „Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr“ gestaltet. Chandigarh wurde von

Le Corbusier sogar ausdrücklich als Realisierung der „Charta von Athen“ definiert.165

Das bedeutete auch, dass die Städte in Zonen unterteilt wurden, für die die Funktionen

im Voraus festgelegt worden waren. Die folgenden Abschnitte, mit denen ich

detaillierter auf die beiden Masterpläne der Städte eingehe, sind der Charta von Athen

entsprechend nach den vier Grundfunktionen gegliedert. So kann durch einen direkten

Vergleich mit dem Text der Charta gezeigt werden, wie die Forderungen bei der

Stadtplanung umgesetzt wurden. Vor allem in Chandigarh, aber auch in Brasilia ist zu

beachten, dass es in den verschiedenen Planungsstadien zum Teil unterschiedliche

Versionen der Pläne gab. Sofern im Text nicht auf eine andere Version hingewiesen

wird, bezieht sich der Vergleich auf die jeweils erste ausgearbeitete Version des

Masterplans, der schließlich realisiert wurde, also auf die Version Le Corbusiers für

Chandigarh und Lucio Costas für Brasilia.

165 Sarin: Chandigarh as a Place to Live in, 1977

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3.3.2.1 Wohnen

Die zentrale Forderung, die in der Charta formuliert worden war, war die Verbesserung

der Lebens- und Wohnsituation in den Städten. Um die minimalen Anforderungen an

die Funktion des Wohnens zu erfüllen, sollten Wohnviertel in den topographisch und

klimatisch besten Lagen des Stadtgebietes positioniert und nach hygienischen

Gesichtspunkten angeordnet und konstruiert werden. Die Wohndichte sollte genau

vordefiniert sein, da sich die Formen der Wohnbebauung verpflichtend an dieser

festgelegten Dichte ausrichten sollten. Dabei sollte für jedes Individuum ein von den

CIAM festgelegtes Mindestmaß an Wohnraum bereitgestellt werden. Gebäude sollten

außerdem so ausgerichtet werden, dass eine ausreichende Sonneneinstrahlung

gewährleistet und eine Bebauung längs von Verkehrsstraßen vermieden wurde. Durch

den Bau mehrstöckiger Häuser sollte bei einer hohen Wohndichte eine zu hohe

Bebauungsdichte vermieden werden. Eine gegenseitige Beeinträchtigung dieser Häuser

sollte durch großzügig angelegte, möglichst begrünte Zwischenflächen vermieden

werden.166

Auch in Bezug auf die Wohnviertel enthält die Charta keine Aussage über deren

konkrete Form. Mit der „Ville Radieuse“ hatte Le Corbusier einen Modellentwurf

veröffentlicht, der diese Prinzipien grundsätzlich visualisierte. In der modernen

Stadtplanung hatte sich seit den 1920er Jahren zusätzlich die Praxis durchgesetzt, neue

Großsiedlungen in Nachbarschaftseinheiten zu unterteilen. Diese Nachbarschaften, die

man als „Keimzellen“ der Gesellschaft bezeichnete, waren um einige Einrichtungen des

unmittelbaren Bedarfs gruppiert, also kleinere Geschäftszonen, Grundschulen oder

Sportanlagen.167 Die Gliederung der Wohnflächen in Nachbarschaften wurde auch in

Brasilia und Chandigarh angewandt. Lucio Costa unterteilte die beiden „Wohnflügel“

Brasilias ursprünglich in 98 „Superquadras“, mit jeweils 78.000 Quadratmetern Fläche,

auf denen 2.500 Menschen in überwiegend dichter und mehrstöckiger Bebauung

angesiedelt werden sollten.168 Die „Interquadras“, die zwischen diesen Wohnvierteln

entstanden, waren für kleinere Geschäftsstraßen, Zufahrtsstraßen und öffentliche

Einrichtungen reserviert. Die „Superquadras“ sind dabei jedoch nicht gleichbedeutend

mit den übergeordneten Nachbarschaftseinheiten Brasilias. Diese plante Costa als ein

166 Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984, S. 131-135 (§ 23-29) 167 Gorovitz: Unidade de Vizinhanca: Brasilia's „Neighborhood Unit“, 2005168 Costa: The Superquadra in Numbers and Context, 2005

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System aus jeweils vier sich überlappenden „Superquadras“, so dass jeweils zwei

davon zu zwei Nachbarschaftseinheiten gehörten.169 So sollte ein sozialer Austausch

zwischen den Nachbarschaften ermöglicht und angeregt werden.170 Dieser sollte dabei

auch zwischen den sozialen Schichten stattfinden. Anders als es oft dargestellt wird,

sollten Menschen unterschiedlicher Einkommensklassen in Brasilia nämlich nicht „Tür

an Tür“ in den selben „Superquadras“ angesiedelt werden, sofern es sich nicht um

integrierte Quartiere für Hausdiener handelte. Stattdessen sollten „Superquadras“ mit

verschiedenen sozialen Standards in Nachbarschaften zusammengefasst werden. Durch

die gemeinsame Nutzung der öffentlichen und kommerziellen Einrichtungen in den

„Interquadras“ sollten sozial bedingte Unterschiede der Lebensstandards ausgeglichen

werden. Ziel der Planung war also nicht eine Aufhebung der sozialen Segregation,

sondern eine Verminderung von deren negativen Auswirkungen.171

Chandigarh wurde nach einem ähnlichen Nachbarschaftsprinzip in einzelne Sektoren

aufgeteilt. Der Masterplan von 1952 sah noch lediglich 25 Sektoren vor, die

Erweiterung nach Süden durch den Anbau weiterer Sektoren war jedoch bereits im Plan

angelegt.172 Darin unterscheidet sich der Masterplan Chandigarhs von dem Brasilias, in

dem die Stadt als abgeschlossenes Objekt entworfen worden war. Jeder Sektor

Chandigarhs sollte aus vier Dörfern mit jeweils ungefähr 150 Häusern bestehen, was

der durchschnittlichen Dorfgröße in Punjab entsprach.173 Auch hier wurden die Flächen

zwischen den Dörfern für öffentliche Einrichtungen und Geschäfte genutzt.174

Allerdings wurde keine allgemein gültige Wohndichte festgelegt. Diese richtete sich

nach der erwarteten Verteilung der Einkommensklassen. Die nördlichen Sektoren, vor

allem die auf kleinerer Fläche angelegten ersten sechs, waren dabei den

wohlhabenderen Einwohnern mit größeren Grundstücken und großzügigeren Häusern

vorbehalten, weswegen die Wohndichte mit 5.000 Einwohnern pro Sektor dort

wesentlich geringer war als im Süden der Stadt, wo in einzelnen Sektoren bis zu 20.000

Einwohner untergebracht werden sollten.175 Eigentlich hätte nach Le Corbusiers

Planung die Dichte in den nördlichen Sektoren vor einer Erweiterung der Stadt nach

Süden erhöht werden sollen. Da das aber bedeutet hätte, die Regierenden der Stadt, die

169 Vgl. Abbildung 7170 Gorovitz: Unidade de Vizinhanca: Brasilia's „Neighborhood Unit“, 2005171 el-Dahdah: The Superquadra and the Importance of Leisure, 2005172 Joshi: Documenting Chandigarh, 1999, S. 30173 Ebd., S. 30174 Vgl. Abbildung 8175 Joshi: Documenting Chandigarh, 1999, S. 30

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hier wohnten, in engere Verhältnisse umzusiedeln, wurde dieser Teil des Plans

ignoriert.176 Dennoch weist Norma Evenson darauf hin, dass die ausschließliche

Segregation nach Einkommensschichten zumindest ein Fortschritt gegenüber den

herkömmlichen indischen Segregationsmustern seien, die sich am traditionellen

Kastensystem orientierten.177

Trotz der Akzeptanz sozialer Ungleichheit und deren Manifestation in Wohndichte und

Architektur, mit der sich Lucio Costa und Le Corbusier von teilweise radikal egalitären

Vorstellungen der frühen CIAM-Kongresse distanzierten, erfüllten beide Masterpläne

aber im Wesentlichen die Ansprüche der Charta von Athen, die keine Forderungen nach

einer Aufhebung von Klassenunterschieden enthält. Strom- und Wasserversorgung, eine

lockere Bebauung zur Gewährleistung von Sonneneinfall und eine Ausrichtung der

Gebäudefronten weg von den Verkehrsstraßen waren in beiden Städten auch in den

Gebieten der sozial schwächeren Bevölkerung Standard.178 Die Planung und

Verwaltung der Architektur, die in beiden Fällen von staatlichen Behörden durchgeführt

wurde, sollte die Einhaltung dieser Standards gewährleisten.

176 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 73177 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 45-46 178 Sarin: Chandigarh as a Place to Live in, in: Walden (Hg.): The Open Hand. Essays on Le Corbusier, Cambridge / London 1977, S. 374-411

52

Abbildung 7: Lucio Costas Skizze einer Nachbar-schaftseinheit aus vier Superquadras, entn. aus: El Dahdah: Lucio Costa. Brasilias Superquadra, 2005, S. 40

Abbildung 8: Grundriss des Modell-sektors 22 in Chandigarh, entn. aus: Joshi: Documenting Chandigarh, 1999, S. 34

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3.3.2.2 Freizeit

Die Definition von Freizeit als einzige in der Charta von Athen berücksichtigte Form

kultureller Betätigung beschränkt sich auf die Aspekte von Sport und Erholung in der

Natur. Lediglich den jüngeren Stadtbewohnern sollten darüber hinaus in Form von

Jugendzentren oder Kinderhorten Flächen zur Entfaltung außerhalb des

Bildungsbetriebes geboten werden. Doch auch diese Einrichtungen werden lapidar auf

„Grünflächen“ verwiesen.179 Der distanzierte Blick auf die Freizeitfunktion der Stadt

lässt sich aus dem Kommentar Le Corbusiers ablesen: „Ein Erholungsprogramm muss

aufgestellt werden, das Beschäftigungen aller Art zulässt: den Spaziergang – allein oder

in Gesellschaft – in der Schönheit der Natur, Sport aller Art, […]; Unterhaltungen wie

Konzerte, Freilichtaufführungen, Spiele im Stadion, verschiedene Wettkämpfe.“180

Dieser Forderung entsprechend wurde bei der Planung Chandigarhs und Brasilias auf

den großflächigen Einsatz von Grünflächen Wert gelegt. Alle Sektoren und

Superquadras waren von mehr oder weniger breiten Grüngürteln umgeben, die

Wohnflächen wurden zu Gunsten einer üppigen Bepflanzung innerhalb der

Wohngebiete begrenzt. So verfügte jedes Haus über öffentliche Grünanlagen in

unmittelbarer Umgebung, in denen meistens auch die öffentlichen Einrichtungen

untergebracht wurden. Insgesamt vermitteln die Pläne den Eindruck einer

Stadtlandschaft, in der die Trennung von Natur und Urbanität aufgehoben wurde.

Zusätzlich wurde die Schaffung von Naherholungsgebieten als integraler Bestandteil

der Stadtplanung betrachtet. In beiden Fällen wurden künstliche Seen angelegt, deren

Ufer als Strandpromenaden von Bebauung freigehalten werden sollten. Die aufwändige

Gestaltung von Parks und repräsentativen Grünflächen wurde in Brasilia in die Hände

des Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx gelegt, der bereits beim Bau des

Ministeriums für Erziehung und Gesundheit die Außenflächen gestaltet hatte.181 In

Chandigarh übernahm Le Corbusier diese Aufgabe und erklärte das breite Flussbett, das

sich durch die Mitte der Stadt zieht, zu einem Park, den er „Valley of Leisure“

nannte.182 Alle diese Maßnahmen können mit ihrem Umfang nicht darüber

hinwegtäuschen, dass die Operationalisierung der „Freizeitfunktion“ in der Charta von

179 Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984, S. 138-140 (§ 35-40) 180 Ebd., S. 139181 Hoffjann: Gärten für die Stadt: Der Landschaftsarchitekt Roberto Burle Marx, 2000182 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 34

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Athen und damit auch in Brasilia und Chandigarh auf einige wenige Tätigkeitsbereiche

eingeschränkt ist. Abgesehen von einigen Sportclubs in der Peripherie gab es keine

Vergnügungssektoren, eine „Downtown“ oder dergleichen. Der Grund dafür ist die

konsequent funktionale Philosophie der Charta von Athen. Diese definierte „Freizeit“

als rationalen Akt des Ausgleichs zum modernen Lebens durch Naturerfahrung und

körperliche Regeneration. Es ist davon auszugehen, dass alles, was über dieses

rationale Bild von Freizeit hinausging, nicht nur vergessen, sondern bewusst abgelehnt

wurde.

3.3.2.3 Arbeit

Die Charta von Athen unterscheidet im Hinblick auf die Funktion der Arbeit zwischen

drei Beschäftigungsbereichen. Industriebetriebe sollten möglichst außerhalb der Stadt

an Fernverkehrswegen angelegt werden und durch einen Grüngürtel von den

Wohngebieten abgeschnitten sein. Handwerksbetriebe sollten aufgrund ihrer

„wesentlich städtischen Tätigkeiten“ an den „intensivsten Punkten“ der Stadt

angesiedelt werden, während Dienstleistungs- und Verwaltungsgebäude in einer

„Geschäftsstadt“ konzentriert werden sollten.183

Da Chandigarh und Brasilia ausschließlich als Verwaltungsstädte vorgesehen waren,

wurde in keiner der Städte ein industrieller Bezirk geplant. Zwar gibt es in beiden

Städten Gebiete außerhalb des Stadtzentrums, in denen kleinere Versorgungsbetriebe

angesiedelt wurden, von einer Schwerindustrie kann jedoch in beiden Fällen keine

Rede sein. Umso bedeutender sind die monumentalen Regierungs- und

Verwaltungsbauten. In Chandigarh befindet sich der Kapitolkomplex als erster Sektor

auf einer Hochebene nordöstlich der Stadt. Le Corbusier, der den Regierungssektor

komplett mit sämtlichen Gebäuden als Gesamtkomposition entwarf und hier auch

einige Skulpturen wie die berühmte offene Hand Chandigarhs platzierte, wurde oft für

die Weitläufigkeit des Geländes, mit der er britisch-imperiale Monumentalität zitierte,

und für dessen räumliche Trennung von der Stadt kritisiert, die der Funktion des

Geländes als Ort öffentlicher Versammlung und Kommunikation zuwiderläuft.184 Das

Gegenstück zum Kapitolgelände Chandigarhs sind der Platz der drei Gewalten und die

Esplanade der Ministerien, die in Brasilia als zusammenhängende Regierungsachse von

183 Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984, S. 143-145 (§ 46-50)184 Prakash: Chandigarh's Le Corbusier, 2002, S.71-122

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Oscar Niemeyer entworfen wurden. Die gewaltigen Ausmaße dieses Bereiches

arrangierte Oscar Niemeyer, so Norma Evenson, durch die surreal anmutende

Auflösung monumentaler Raumlogik bewusst anti-monumental, um mit dem Ensemble

eine demokratische Grundstimmung zu erzeugen.185 In Bezug auf die Logik der Charta

von Athen handelt es sich bei den Regierungkomplexen prinzipiell um eine

Erweiterung der Geschäftsstadt, also des Bereiches, in dem Stadtverwaltung und

kommerzielle Einrichtungen untergebracht sind. Das wird vor allem in Brasilia

deutlich. Hier bildet die Regierungsachse das östliche Ende der Monumentalachse, die

in westlicher Richtung auf den Hauptbahnhof Brasilias zuläuft. An dieser Achse

befinden sich neben städtischen Verwaltungsgebäuden das Bankenviertel, einige Hotels,

der Busbahnhof und zahlreiche Bürogebäude, also das wirtschaftliche Zentrum. Bis in

die 1980er Jahre waren in diesem Bereich 80 Prozent der Arbeitsplätze Brasilias

untergebracht.186 In Chandigarh wurde mit der Fußgängerzone auf dem „Bridge

Market“ in Sektor 17 ein ähnliches Zentrum errichtet, das über das „Valley of Leisure“

in den Sektoren 3, 10 und 16 mit dem Kapitolkomplex verbunden ist. Auch hier

befinden sich die Stadtverwaltung, die Banken und einige zentrale Geschäfte. Dass

dieses Geschäftsviertel in seinen Ausmaßen heute jedoch nicht mit dem der Hauptstadt

Brasilia vergleichbar ist, ist darauf zurückzuführen, dass in Chandigarh bereits bald

nach dem Beginn der Realisierung von der zentralisierten Geschäftsstadtentwicklung

Abstand genommen wurde.187 Entscheidend ist aber, dass der erste Masterplan ein

vollwertiges kommerzielles Zentrum vorsah, wie es die Charta von Athen forderte. Für

handwerkliche, also semi-industrielle Kleinbetriebe, die nach der Charta eigentlich in

der Innenstadt hätten angesiedelt werden sollen, existierte weder in Chandigarh noch in

Brasilia eine ausdrückliche Planung. Es ist davon auszugehen, dass Costa und Le

Corbusier hier nicht zwischen handwerklichen Betrieben und allgemeinen

Einrichtungen des Dienstleistungssektors unterschieden.

3.3.2.4 Verkehr

Der Verkehr in der funktionalen Stadt war vor allem darauf angewiesen, eine schnelle

und direkte Verbindung zwischen allen Quartieren der Stadt zu ermöglichen. Durch die

Aufteilung der Stadt in absichtlich voneinander segregierte Zonen und den

185 Evenson: Two Brazilian Capitals, 1973, S. 201-207186 Holston: The Modernist City, 1989, S. 154-163187 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 90-95

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gleichzeitigen Anspruch der Stadtplanung, kurze Wege zu den Arbeitsplätzen zu

schaffen, entstand ein Widerspruch, der nur durch einen störungsfreien Verkehrsablauf

und die Ermöglichung von hohen Geschwindigkeiten aufgelöst werden konnte. Zu

diesem Zweck sollte der Verkehr in der modernen Stadt ebenfalls räumlich nach seinen

Funktionen getrennt werden. Fußgänger und Fahrzeuge sollten sich auf getrennten

Wegen bewegen, die sich möglichst nicht überschneiden sollten, die Verkehrsstraßen

für Fahrzeuge sollten nach unterschiedlichen Geschwindigkeiten separiert werden, im

Notfall auch auf verschiedenen Höhenniveaus, also durch die Errichtung von Brücken,

Tunneln und Hochstraßen. Hochgeschwindigkeitsstraßen sollten durch dichte

Grünstreifen von ihrer Umgebung abgeschirmt werden.188 Die Charta von Athen setzt

dabei kompromisslos auf das Auto als das dominierende Verkehrsmittel in der

funktionalen Stadt. Straßenbahnlinien, Busstationen oder andere Planungsansätze für

einen öffentlichen Personennahverkehr sind in den Forderungen nicht enthalten.

Dementsprechend wurde auch die Verkehrsplanung Brasilias und Chandigarhs

hauptsächlich auf den PKW ausgerichtet. Durch die Vernetzung von Schnellstraßen und

Stadtautobahnen mit Zufahrtswegen und großzügig verteilten Parkplätzen sollte jeder

Bewohner der Stadt jederzeit an das Hochgeschwindigkeitverkehrsnetz der Stadt

angeschlossen sein. In Chandigarh erreichte Le Corbusier dieses Ziel durch sein

standardisiertes System der sieben V's. Jedes V, als Abkürzung für das französische

voie (Straße) steht dabei für einen Straßentyp, wobei die V1 für die regionale Autobahn

steht, die in die Stadt führt und die V2 und V3, die als stadtinterne Autobahnen das

städtische Raster bilden. Innerhalb der einzelnen Sektoren verästeln sich die Straßen zu

kleineren Zufahrtswegen bis zur Ebene der V7, die ausschließlich den Fußgängern und

Fahrradfahrern vorbehalten sind.189 In Brasilia existiert eine nahezu identische

Straßenordnung, die sich an den beiden kreuzförmig zueinander ausgerichteten

Hauptachsen ausrichtet und von dort in die Superquadras verästelt.190 In beiden

Planungen wurden Ampeln weitgehend vermieden, stattdessen wurde an Knoten- und

Kreuzungspunkten auf Kreisverkehr oder die bautechnisch aufwändigeren

Kleeblattlösungen zurückgegriffen, wie sie bereits seit den 1920er Jahren beim

Autobahnbau geplant und eingesetzt wurden.

188 Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984, S. 149-151 (§ 59-64)189 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 32-33190 Holston: The Modernist City, 1989, S. 137-138

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3.3.3 Verhinderung von Bodenspekulation

Als zentrale Vorraussetzung für die zusammenhängende Realisierung großangelegter

Projekte hielt man den direkten Zugriff auf das gesamte Planungsgebiet für notwendig.

Als ein großes Übel der Gegenwart wurde daher die „Zerstückelung“ urbaner Flächen

durch private Bodenspekulation identifiziert. Die notwendige Lösung zur Verhinderung

dieses Problems erkannte man in der Übernahme der übergreifenden

Planungsverantwortung durch den Staat. In der Charta von Athen wurde daher der

staatliche Zugriff auf private Flächen und die gesellschaftsorientierte, ganzheitliche

Entwicklung urbaner Räume gefordert, hinter der Privatinteressen grundsätzlich

zurückstehen sollten.191 Mit dem Verhindern der Bodenspekulation war gleichzeitig die

Vorstellung verbunden, durch eine staatlich geplante Bebauung der Flächen die

Grundstücks- bzw. Wohnungspreise kontrollieren zu können, da nur so gewährleistet

werden konnte, dass die angestrebten Mindeststandards auch für alle

Einkommensklassen zugänglich waren.

Für den Bau von Brasilia und Chandigarh wurden aus diesem Grund mächtige

staatliche Einrichtungen geschaffen. Die „New Capital Urbanizing Company“

NOVACAP in Brasilia und die „Capital Planning Organization“ CPO in Chandigarh

verfügten zu Beginn der Planung über das gesamte jeweilige Territorium, das zu diesem

Zweck verstaatlicht worden war. Wenngleich dabei keine Akte von körperlicher Gewalt

dokumentiert wurden, ist bekannt, dass zumindest die Repräsentanten der indischen

Regierung einige Dorfbewohner in der Gegend des späteren Chandigarh nur durch die

Androhung ihrer Erschießung umsiedeln konnten, was vor allem in der Zeit des

unmittelbar postkolonialen Punjab eine gewisse moralische Vorbelastung für die neue

Hauptstadt bedeutete.192

Bei der Verteilung der entstehenden Wohnräume gingen die beiden Organisationen

unterschiedlich vor. Die CPO errichtete vor allem in der ersten Phase für 90 Prozent der

Staatsangestellten Häuser, die von den Architekten Maxwell, Drew und Jeanneret

geplant wurden. Dabei wurden die Mietpreise für diese Objekte auf jeweils 10 Prozent

der Einkommen festgelegt.193 Trotz der niedrigen Mietpreise verfügten selbst die für die

niedrigsten Einkommensklassen gebauten Häuser über Küchen, sanitäre Einrichtungen

191 Hilpert: Le Corbusiers „Charta von Athen“, 1984, S. 165-166 (§ 93-95)192 Evenson: Chandigarh, 1966, S. 7193 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 64

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und Wasseranschlüsse.194 Der staatliche Wohnungsbau sollte sich dabei durch den

Landverkauf an private Investoren finanzieren. NOVACAP in Brasilia ging bei der

Finanzierung ähnlich vor, indem Superquadras anteilig oder vollständig an öffentliche

Institutionen weiterverkauft wurden, deren Angestellte in Brasilia arbeiten sollten.

Diese verkauften nicht selten ihre Anteile an die Angestellten weiter, um Anreize für

einen Aufenthalt in der sich noch im Bau befindenden Stadt zu schaffen.195 Der Vorteil

einer umfassenden Planung ging dabei nicht verloren. In beiden Städten wurde die

Infrastruktur vollständig durch die staatlichen Organisationen errichtet und private

Bauinvestoren mussten sich an die strengen Vorlagen der Entwicklungspläne halten.

Das beiden Finanzierungsstrategien zugrunde liegende Modell entsprach dem

Gedanken, mit dem Verkauf entwickelten Landes den Bau neuer moderner Städte zu

finanzieren und war zu dieser Zeit international weit verbreitet. Die Tatsache, dass im

Zuge dieser Strategie die Bodenpreise in den entwickelten Gebieten zwangsläufig

stiegen, gab dabei keinen Anlass zur Sorge, sondern wurde zunächst als Indiz für den

Erfolg der Planung betrachtet.196

3.4 Gescheiterter Modernismus? 3.4.1 Der Vorwurf des utopischen Modernismus

Wenn in den letzten Jahren von Brasilia und Chandigarh die Rede war, verblieb wenig

von der Euphorie, mit der vor über fünfzig Jahren die Bauarbeiten auf der zentralen

Brasilianischen Hochebene und am Rande des Vorgebirges des Himalaya begonnen

wurden. Brasilia und Chandigarh werden oft und gerne als Klimax einer zum Scheitern

verurteilten Bewegung des modernistischen Städtebaus genannt. Wie bereits in

Abschnitt 2.4.2 beschrieben wurde, betrachten Autoren wie James C. Scott oder

Angelus Eisinger die funktionale modernistische Stadt als ein utopisches Projekt, dem

der Bezug zur Realität fehlt.197 Chandigarh und Brasilia sind aus deren Perspektive die

Umsetzung abgehobener und menschenverachtender Wohnmaschinen, wie sie von der

modernistischen Avantgarde in einem technokratischen Irrglauben bereits seit den

1920er Jahren skizziert wurden. Die monumentale Ausbreitung des öffentlichen

Raumes und das durch eine übertriebene Segregation funktional differenzierter Zonen

194 Joshi: Documenting Chandigarh, 1999, S. 43-45195 Batella de Siqueira: Free Passage: Landownership in the Superquadras, 2005196 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 60197 Scott: Seeing Like a State, 1998, S. 114-132 und Eisinger: Die Stadt der Architekten, 2006, S. 83-94

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erreichte Gefühl der Leere selbst im Stadtzentrum verhindert die Kommunikation des

Individuums mit der Gesellschaft. Für James Scott ist dieser Effekt einer künstlich

hervorgerufenen Einsamkeit durchaus beabsichtigt, er identifiziert in der

modernistischen Utopie ein totalitäres Ordnungsdenken, das nicht nur den Slum,

sondern auch den Raum lebendiger Öffentlichkeit gleichermaßen bewusst eliminiert.

Seine Assoziation mit dem totalitären Raum der Diktatur unterstreicht er durch einen

Vergleich des Platzes der drei Gewalten in Brasilia mit dem Roten Platz in Moskau und

dem Platz des himmlischen Friedens in Peking, die daneben einen „gemütlichen und

persönlichen“ Eindruck machten.198

Eisinger und Scott berufen sich dabei auf James Holstons anthropologische Studie über

Brasilia.199 Holston beschreibt darin vor allem die Auswirkungen des Modernismus'

Brasilias auf die brasilianische Gesellschaft. Die Eliminierung des öffentlichen

Raumes, bei Holston „der Tod der Straße“ genannt, resultiert hier aus der Abschaffung

des „Straßenkorridors“ der traditionellen brasilianischen Großstadt. Dieser belebte Ort

unmittelbarer Nachbarschaft sei jedoch ein wesentlicher Bestandteil brasilianischer

Stadtkultur, weswegen Brasilianer laut Holston bei ihrer Begegnung mit Brasilia vor

allem das Fehlen eines menschlichen „Gedränges“ bemängelten.200 Eben dieses

„Gedränge“, das Brasilianer als „menschliche Wärme“ empfänden, ist es aber, das der

funktionale Städtebau mit der Etablierung großer Freiflächen auflösen wollte. Holston

zieht daraus den Schluss, dass hier eine präindustrielle Kultur mit einem westlichen

Modernismus konfrontiert wurde. Neben die Interpretation des städtebaulichen

Modernismus als generell unrealistischer Utopie reiht sich so die mögliche Lesart der

Kollision eines Konzeptes, das für westliche hochindustrialisierte Gesellschaften

entwickelt wurde, mit Kulturen, deren industrielle Entwicklung nicht dementsprechend

fortgeschritten war. Gerade solch eine Konfrontation aber war durch die der

Regierungen Nehrus und Kubitscheks beabsichtigt. Die Errichtung moderner Städte

wurde als zivilisatorischer Fortschritt begriffen, Chandigarh und Brasilia sollten ihre

Gesellschaften in die Moderne katapultieren, von der man annahm, dass sie in Europa

und Nordamerika bereits der Status Quo sei. Der Kritik des indischen Stadtplaners

Charles Correa, Chandigarh sei zu modern, um eine wirklich „indische“ Stadt zu

sein,201 wird von seinem Landsmann Vikramaditya Prakash entgegengehalten, die

198 Scott: Seeing Like a State, 1998, S. 121199 Holston: The Modernist City, 1989200 Ebd., S. 105201 Correa: Chandigarh: The View from Benares, 1987

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Begriffe „modern“ und „indisch“ seien kein Gegensatz, wenn man akzeptiere, dass es

in Indien eine „indische Moderne“ gäbe, die in Städten wie Chandigarh ihren Ausdruck

fände.202

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Bewertung dieser Stadtplanungen in den

meisten Fällen abhängig von der allgemeinen historischen Einschätzung

modernistischer Bewegungen ist, die ihre Grundlagen jedoch nicht in einer Analyse der

Situation vor Ort hat, sondern aus einem historischen Zusammenhang argumentiert, der

seine Grundlage in der westlichen Historiographie der Moderne hat. Die Ablehnung

gesellschafts- und kulturtransformierender Auswirkungen des Modernismus, die auch

in den westlichen Industrienationen im Laufe der letzten 200 Jahre stets Teil des

betreffenden Diskurses waren, manifestiert sich dabei in Bezug auf Brasilia und

Chandigarh umso heftiger, als hier der Versuch einer beschleunigten Modernisierung

unternommen wurde.

Die Alltagskonflikte der Bevölkerung mit der durchgeplanten Umgebung, die von

verschiedenen Autoren bisweilen mit einem gewissen Hohn dargestellt werden, weisen

jedoch vor allem darauf hin, dass eben diese beschleunigte Modernisierung nicht

stattgefunden hat. Dieses Problem ist allerdings nicht zwangsläufig planimmanent, es

kann daher nur im Kontext der spezifischen lokalen Entwicklung erklärt werden.

3.4.2 Entwicklung der Projektsituationen

Chandigarh und Brasilia waren ursprünglich als Verwaltungsstädte geplant worden. Als

solche sollten sie hauptsächlich von Regierungsangestellten und den dazugehörigen

Dienstleistern bewohnt werden. Die Masse der Arbeiter, die die Stadt errichten sollte,

war dabei nicht vergessen worden. Die Pläne sahen allerdings vor, dass diese Menschen

die Städte nach der Fertigstellung wieder verließen. Angesichts der nationalen

Modernisierungspläne, die die Hauptstädte als punktuellen Anstoß für eine

großräumige Wirtschaftsentwicklung betrachteten, ist diese Vorstellung durchaus

nachvollziehbar. Hätten sich in Indien und Brasilien zu jener Zeit Strukturen eines

„Wirtschaftswunders“ wie im Deutschland der 1950er Jahre entwickelt, hätte sich

möglicherweise landesweit genug Bedarf an Arbeitskräften ergeben, um alle Arbeiter

auf anderen Baustellen zu beschäftigen, alleine diese Wirtschaftswunder fanden nicht

statt. Trotz großangelegter Bemühungen, die bereits an anderer Stelle angesprochen

202 Prakash: Chandigarh's Le Corbusier, 2002, S. 25-28

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worden sind, konnten die nationalen Wirtschaftspläne nicht die massive Armut

ausgleichen, die in den Ländern herrschte. Die meisten Bauarbeiter blieben vor Ort und

arbeitslose Menschen, die von Jobaussichten auf den Baustellen gehört hatten,

strömten in der Hoffnung in die entstehenden Städte, irgendwie an deren Reichtum

teilhaben zu können. Zunächst wurde noch mit breit angelegten Kampagnen durch

NOVACAP und CPO für die Arbeitsplätze auf den Baustellen geworben, schon nach

kurzer Zeit standen jedoch weit mehr Arbeiter zur Verfügung, als man benötigte. In

Brasilien kamen sie aus den bevölkerungsreichen Zentren der armen Regionen des

Nordens und Nordostens, nur wenige Brasilianer aus den reichen Südprovinzen

gesellten sich unter die „Pioniere“.203 Die Erbauer Chandigarhs waren entwurzelte

Flüchtlinge aus Punjab und Wirtschaftsflüchtlinge aus den armen Bundesstaaten der

Umgebung, die unter der Beschäftigungskrise in den ländlichen Regionen litten, aber

auch vor der sozialen Ungerechtigkeit des indischen Kastensystems flohen.204 Diese

Migration wurde außerdem dadurch verstärkt, dass viele Arbeiter ihre Familien

mitbrachten. So entstand eine Bevölkerungsdichte, die ihre eigene Versorgungs-

infrastruktur benötigte, selbst neue Arbeitsmöglichkeiten bot und dadurch weitere

Menschen auf Arbeitssuche anlockte.205

203 Epstein: Brasilia, Plan and Reality, 1973, S. 139-144204 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 145-148205 Vgl. Abbildung 9

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Abbildung 9

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Die ungeplante Zuwanderung an sich stellt prinzipiell kein Problem dar. Allerdings

handelte es sich bei den Migranten in den neuen Städten in der überwiegenden Anzahl

um arbeitslose und wenig gebildete Menschen, die außer ihrer gering qualifizierten

Arbeitskraft kein Kapital in die Städte brachten. Der Ansturm überforderte die

Finanzierungspläne des öffentlichen Wohnungsbaus, die für Chandigarh und Brasilia

aufgestellt worden waren. Diese sahen in beiden Fällen vor, sich durch den Verkauf

staatlich entwickelten und somit im Wert gesteigerten Baulandes an private Investoren

zu finanzieren.206 Madhu Sarin behauptet, dieser Plan hätte in einem Land der dritten

Welt so grundsätzlich nicht funktionieren können, da der Mehrheit der Bevölkerung

nicht die finanziellen Ressourcen zur Verfügung stünden, um als private Investoren

Bauland oder gar fertig entwickelte Immobilien zu erwerben oder zu mieten.207 Aus der

Perspektive von 1982 ist diese Kritik an der klar gescheiterten Finanzierungsplanung

beider Projekte grundsätzlich gerechtfertigt, dennoch impliziert Sarin damit, die

indischen und brasilianischen Planer hätten von einer permanent desolaten

Wirtschaftssituation ihrer Länder ausgehen müssen. Das aber hätte bedeutet, vorab mit

einem Misserfolg der Bemühungen ihrer Regierungen für eine schnelle

Industrialisierung und Modernisierung der Länder zu rechnen. Stattdessen versuchten

die Stadtplaner, trotz eklatanter Unterfinanzierung die Realisierung der Masterpläne zu

retten. In Brasilia, gelang dieses Unterfangen bis zu einem gewissen Grad nur durch

eine außerordentlich elitäre Abschottung der geplanten Stadt. Der Zugang in das Gebiet

des Masterplans wurde streng reguliert, nur Staatsangestellten wurde es erlaubt, dort zu

wohnen.208 Sämtliche außerplanmäßigen Ansiedlungen auf dem 14 Kilometer breiten

naturbelassenen „Grüngürtel“ um die Stadt wurden in neu gegründete Satellitenstädte

außerhalb des beplanten Gebietes umgesiedelt und selbst dort war es aufgrund der

vielen durch NOVACAP absichtlich geschaffenen Hürden besonders für die ärmeren

Zuzügler extrem schwierig, ein Grundstück zu erwerben.209 Das ursprünglich geplante

harmonische Nebeneinander von Arm und Reich in den Superquadras entwickelte sich

in der Folge zur Segregation einer urbanen Elite im Zentrum, den „Brasilienses“, von

einer Masse sozial benachteiligter „Candangos“ in den Außenbezirken, die seitdem

stetig anwachsen.210 Gegenwärtig lebt aufgrund des stetigen Zuzuges in die

Satellitenstädte nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung von inzwischen 3,5 Millionen

206 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982, S. 58-63207 Ebd., S. 77-80208 Holston: The Modernist City, 1989, S. 279-288209 Epstein: Brasilia, Plan and Reality, 1973, S. 66-87210 Holston: The Modernist City, 1989, S. 282-283

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Menschen in den Superquadras. Die Fläche des „Grüngürtels“ wurde mittlerweile für

die Besiedlung freigegeben, 1987 entwarf Lucio Costa in seinem Entwurf „Brasilia

revisited“ für die Fläche zwischen der Satellitenstadt Taguatinga und der Kernstadt

Brasilia sogenannte „Proletarier Blocks“. Seitdem entstanden dort mindestens sechs

neue Satellitenstädte.211 Die Entwicklung in Chandigarh verlief ähnlich, wenn auch

nicht so drastisch wie in Brasilia. Hier war im Masterplan bereits eine mögliche

Erweiterung der Stadt nach Süden vorgesehen. Die Stadtverwaltung musste also nicht

grundsätzlich vom räumlichen Plan abweichen, um die Zuzügler unterzubringen.

Allerdings bedeutete deren Integration in die Stadt, dass sich die Wohndichte extrem

erhöhte, je weiter sich die Stadt nach Süden ausbreitete.212 Dabei erweist es sich im

Nachhinein als besonders problematisch, dass die von Le Corbusier geplante

Zwischenphase der Verdichtung der nördlichen Sektoren vor einer Ausbreitung nach

Süden übergangen wurde, weil das die Verringerung der individuellen Wohnflächen in

den privilegierten Sektoren des Nordens bedeutet hätte. Das zog allerdings einen

zusätzlichen Bedarf an Infrastruktur im Süden der Stadt nach sich, was die Verwaltung

zusätzliches Geld kostete. Darüber hinaus wurde der starke Zuzug durch die

Zusammenlegung mehrerer Bundesstaaten 1956 und 1966 und den dadurch

wachsenden Bedarf an Regierungspersonal noch verstärkt.213 Der gestiegene Bedarf an

subventioniertem Wohnungsbau für Regierungsangestellte konnte auch hier durch den

Verkauf von Land zu festgelegten Preisen nicht ausreichend finanziert werden. Als die

CPO daher dazu überging, Bauland über Auktionen zu verkaufen, schnellte der Wert

des Bodens rapide in die Höhe.214 Die hohen Wohnungspreise, die dadurch entstanden,

konnten von vielen nur durch Untervermietung des erworbenen Wohnraumes bezahlt

werden. Das Resultat ist genau die hohe Wohndichte in chaotischen Verhältnissen, die

durch die funktionale Stadtplanung eigentlich hatte verhindert werden sollen.215 Das

betrifft allerdings nicht nur die Wohnungssituation. Von der Armut ist ebenso die

Verkehrs- und Geschäftsentwicklung betroffen. In Chandigarh stand von Beginn an

eine exzellente Infrastruktur für den Autoverkehr zur Vefügung. Die Mehrheit der

Bevölkerung war für den Erwerb eines Autos jedoch viel zu arm, die überwiegenden

Verkehrsmittel in Chandigarh waren 1982 Fahrräder und Rikschas. Für einen

211 Batista u.a.: Brasilia: A Capital in the Hinterland, 2006212 Sarin: Urban Planning in the Third World, 1982213 Ebd., S. 74214 Ebd., S. 80-81 215 Ebd., 1982, S. 85-90

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umfangreichen Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel fehlte der Stadtverwaltung das

Geld.216 Die Trennung nach funktionalen Zonen konnte so auch aufgrund der fehlenden

Mobilität nicht aufrecht erhalten werden, überall in den Wohngebieten entstanden

Märkte und Geschäfte mit räumlich begrenzten Einzugsgebieten, sofern sich die

Verkäufer überhaupt eine Ladenmiete leisten konnten und ihre Waren nicht auf der

Straße von ihren Rehris, handgezogenen Transportkarren, verkauften.217

Auch wenn sich die Entwicklung im Detail zwischen Chandigarh und Brasilia vor

allem in Bezug auf die räumliche Integration der Zuwanderung unterscheidet, lässt sich

doch feststellen, dass beide Städte grundsätzlich mit derselben problematischen

Entwicklung konfrontiert wurden. Die funktionale Reduktion der Städte auf ihre

administrativen Aufgaben muss angesichts der neuen Rolle der Städte als regionale

Anziehungspunkte einer Land-Stadt-Migration als gescheitert angesehen werden. Das

unvorhergesehene Wachstum über die ursprüngliche Planung hinaus machte die

Realisierung der Pläne entlang der vorgegebenen Linien unmöglich. In beiden Städten

konnte der ursprünglich beabsichtigte Mindeststandard des Wohnens nicht für alle zur

Verfügung gestellt werden, da die notwendigen finanziellen Mittel weder von den

Regierungen noch von den Bewohnern der Städte aufgebracht werden konnten. Die

städtebaulich gut entwickelten Gebiete wurden zu einem knappen Gut, das nur

privilegierten Kreisen der Gesellschaften zur Verfügung stand. Eine These wie die von

James Holston, im Zentrum Brasilias würde die brasilianische Kultur durch eine

modernistische Raumlogik unterdrückt, während in den Satellitenstädten eine

„Brasilianisierung“, also eine Rückeroberung des urbanen Raumes durch die

brasilianische Kultur stattfinde,218 ist vor dem Hintergrund verstärkter sozialer

Verteilungskämpfe in diesen Randgebieten der Stadt allerdings geradezu zynisch. Eine

Studie, die 1999 im Rahmen der Einstufung Brasilias als Weltkulturerbe der UNESCO

durchgeführt wurde, besagte, dass die überwiegende Mehrheit der Bewohner mit der

Wohnqualität in den Superquadras zufrieden seien. Hierbei wurden vor allem die

Grünanlagen sowie die gute Erreichbarkeit von Einrichtungen des alltäglichen Bedarfs

als positive Aspekte hervorgehoben. Als negativster Aspekt des Lebens in den

Nachbarschaften wurde die allgemeine Kriminalität bemängelt, ein Zustand, der jedoch

auf das gesamte Stadtgebiet zutreffen dürfte.219

216 Ebd., S. 98-99217 Ebd., S. 182-205218 Holston: The Modernist City, 1989, S. 289-318 und Holston: Brasilia: Modernität als Experiment und Risiko, 2003219 Ribeiro / Sinoti: A Post-Occupancy Assessment of the Neighborhood Unit, 2005

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Auch wenn die oft geäußerte Kritik am Modernismus hinsichtlich einer monumentalen

Leere ihre Berechtigung hat, geht sie doch am Hauptproblem der Städte vorbei. Dieses

besteht aus einer großen Fläche inoffizieller Besiedlungen, die zu großen Teilen als

Slums bezeichnet werden müssen und einer offiziellen Besiedlung, die von sozialer

Ungleichheit und materiellen Verteilungskämpfen geprägt ist. Die Lösung dieses

Problems wäre ein umfassender staatlich subventionierter Wohnungsbau, um den

Bedarf an Wohnraum zu senken und so die Marktsituation zu entspannen. Ein solcher

Wohnungsbau müsste vor allem der gesamten Bevölkerung die Mindeststandards

gewährleisten, die bereits seit dem Athener CIAM von 1933 gefordert werden. Dabei

sollte er sich kritisch mit dem städtebaulichen Diskurs der letzten fünfzig Jahre

auseinandersetzen und selbstverständlich nach aktuellen stadtsoziologischen

Erkenntnissen durchgeführt werden. Das kann aber nicht bedeuten, im Zuge einer

übertriebenen Dichotomisierung von Planung und kultureller Freiheit auf eine

umfassende Stadtplanung zu verzichten.

3.5 Zukunftsaussichten

Die Herausforderung, mit denen Brasilia und Chandigarh in der Zukunft konfrontiert

sein werden, ist in erster Linie eine weitere Verschärfung der bestehenden

Zuwanderungsproblematik der letzten Jahrzehnte. Die Stadtverwaltungen werden daher

in erster Linie die Aufgabe haben, angemessen auf das unvermeidliche

Bevölkerungswachstum zu reagieren. Die Fähigkeit, diese Aufgabe zu erfüllen, wird zu

nicht unerheblichen Teilen von der ökonomischen Entwicklung der Regionen

abhängen, die an dieser Stelle nicht prognostiziert werden kann. Dennoch möchte ich

hier kurz auf einige der jüngeren Überlegungen für die zukünftige Entwicklung der

Städte eingehen, da sich in ihnen die Erkenntnis der Notwendigkeit widerspiegelt, die

fundamentalen Prinzipien der Masterpläne zu erhalten, sie aber gleichzeitig an die

gesellschaftliche Realität des 21. Jahrhunderts anzupassen.

Brasilia hat sich zu einer gewaltigen Metropole im Herzen Südamerikas entwickelt. Ihr

Dasein der letzten Jahrzehnte ist von einem rasanten Wachstum der Satellitenstädte

geprägt, während der Masterplan abgesehen von der schnellen Errichtung der

Infrastruktur und des Regierungsviertel in den ersten vier Jahren eher langsam realisiert

wurde. Der Ausbau des letzten Superquadra SQN 207 befindet sich bislang noch in der

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Planungsphase, die verschiedenen Entwürfe, die für die Bebauung präsentiert wurden,

zeugen von einer spannenden Auseinandersetzung mit den modernistischen Wurzeln

der Stadt.220 Auch wenn sich die architektonische Formensprache dabei der

Heterogenität der zeitgenössischen Stilvielfalt anpasst, zeigen die Ansätze aber, dass

sich das Raumaufteilungsprinzip der Superquadra als Grundlage für eine aktuelle und

vielversprechende Siedlungsplanung eignet.221 Der Bau einer U-Bahn, der mittlerweile

weit fortgeschritten ist, sowie ein Straßenbahnnetz, das in den nächsten Jahren in das

Verkehrssystem Brasilias integriert werden wird, dient der effektiveren Verbindung der

Satellitenstädte mit dem Zentrum.222 Damit werden die ungeplanten Außenbezirke als

Teil der Stadt anerkannt, deren räumliche Abgrenzung vom Zentrum auch durch die

Freigabe der Bebauung des Grüngürtels 1987 aufgehoben wurde. Das Heranwachsen

der Außenbezirke an die zentrale Stadt ermöglicht dabei nicht nur die Fusion der

bislang voneinander segregierten Stadtteile, sondern konzentriert das Wachstum auf den

Kern der Region und wirkt so einer weiteren flächenmäßigen Ausbreitung der Stadt

entgegen.223

220 El-Dahdah: The Last Superquadra, SQN 207, 2005221 Vgl. Abbildung 10222 Informationen von: http://www.metro.df.gov.br/ am 27.05.2009223 Zimbres: Brasilia facing the future, 2000

66

Abbildung 10: Verschiedene Entwürfe für Superquadra SQN 207, entn. aus: El-Dahdah (Hg.): Lucio Costa: Brasilias Superquadra, 2005, S. 102-104

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Das Wachstum Chandigarhs ist weniger stark verlaufen, dennoch hat die Stadt bereits

doppelt so viele Einwohner, als im Masterplan vorgesehen waren. Laut einer Studie des

Massachusetts Institute of Technology MIT wird die Stadt in den nächsten Jahren mit

einem weiteren starken Bevölkerungszuwachs rechnen müssen.224 Die Studie schlägt

daher vor, ungenutzte Flächen der Stadt für eine Erhöhung der Wohndichte zu nutzen.

Als Beispiel werden die Grünflächen genannt, die aufgrund der sektorzentrierten

Planung an den Rändern der V2- und V3-Straßen zwischen den Sektoren bislang nicht

genutzt wurden.225 In Folge einer solchen Verdichtung würde es sich anders als in der

gegenwärtigen Situation finanziell lohnen, öffentliche Massenverkehrsmittel wie ein

Straßenbahnnetz einzuführen, um so eine bessere gesellschaftliche Mobilität zu

ermöglichen. Während die MIT-Studie auch die Bebauung von Parkanlagen und

repräsentativen Freiflächen in den Vorschlag einbezieht, betont eine andere Studie der

Hochschule für Architektur, urbanes Design und Planung Ahmedabads das Potential der

sogenannten „übriggebliebenenen“, also nicht entwickelten Flächen.226

Die Autoren beider Studien bemerken, dass das größte Hindernis für eine solche

Strategie nach wie vor in der unnachgiebigen Haltung der Stadteliten liegt, die den

nördlichen und weniger verdichteten Teil der Stadt bewohnen. Diese konnten bislang

eine Rückkehr zu der ursprünglichen Planung einer nachträglichen Verdichtung ihrer

224 Agrawal: Privatizing the Public. A Strategy for Transit oriented Development in Chandigarh, 2002225 Vgl. Abbildung 11226 Doshi, u.a. : In Search of India's Future Cities, 2002

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Abbildung 11: Mögliche Erhöhung der Wohndichte durch Umgestaltung einer V2 in Chandigarh, entn. aus: Takhar (Hg.): Celebrating Chandigarh, 2002, S. 291

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Sektoren aus eigenem Interesse verhindern. Durch die Nutzung ungenutzter Flächen

könnte diese Verdichtung zunächst ohne einen Zugriff auf bewohnte Grundstücke

erfolgen, auch wenn durch die vorgeschlagene Nutzung der Grüngürtel deren

eigentliche Trennfunktion von Siedlung und Straße aufgehoben würde. Die Alternative

wäre aber ein weiteres Anwachsen ungeplanter und illegaler Siedlungen und Slums,

denn die Migration vom Land in die Städte wird sich hier ebenso wenig aufhalten

lassen wie in Europa im 19. Jahrhundert.

Es ist bemerkenswert, dass sich die zukünftigen Strategien der Anpassung an die

aktuelle Situation in Chandigarh und Brasilia im Prinzip ähneln. In beiden Fällen

müssen die Städte, die für eine wesentlich geringere Größe geplant waren, durch die

Raumnutzung in ihren Kerngebieten eine Wohndichte herstellen, die eine effektive

Verwendung des urbanen Raumes ermöglicht. Die Diskussion um die Nutzung der

Freiflächen Chandigarhs zeigt dabei die Wichtigkeit einer festgelegten hohen

Wohndichte, wie sie in der Charta von Athen gefordert, in Chandigarh aber nicht

konsequent umgesetzt wurde. Hier profitiert Brasilia von der fixierten Wohndichte in

den Superquadras, die in der mittelfristigen Debatte auch ohne den Schutz durch das

Unesco Weltkulturerbe nicht zur Disposition stünden. Die Notwendigkeit der

Bereitstellung von öffentlichen Verkehrsmitteln in beiden Städten zeigt, dass die

Betonung einer Massenverkehrsfunktion durch die Charta von Athen bis heute nichts

von ihrer Aktualität verloren hat. Die Umstellung des Fokus vom PKW auf

schienengebundene Alternativen resultiert dabei aus einer veränderten Einschätzung der

Bedeutung des Automobils vor allem aus sozialen, aber auch aus umwelttechnischen

Gründen. Dennoch bleibt es die Aufgabe der Stadtplanung, einen möglichst großen Teil

der Gesellschaft möglichst effizient an das Verkehrsnetz anzubinden. Chandigarh und

Brasilia können insofern von ihrem modernistischen Erbe in Zukunft mehr profitieren,

als sie bisher darunter leiden mussten. Das Hauptproblem wird jedoch weiterhin die

Finanzierung des Wachstums und die Verhinderung einer weiteren Segregation der

sozialen Klassen darstellen. Hier kann die Stadtplanung jedoch nur bedingt eingreifen.

Um diese Probleme zu lösen, sind die nationalen Wirtschaftssysteme Brasiliens und

Indiens gefragt.

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4 Fazit

Als die Prinzipien des Funktionalismus in Nordamerika und Europa im Zuge des New

Deals, des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg und einer anhaltenden

Urbanisierung zur Grundlage einer modernen Stadtplanung wurden, offenbarten sich

mit den neu errichteten Siedlungen auch die Schwächen des Modernismus. Die allzu

rationale und serielle Ordnung, die auf der willkürlichen Festlegung eines

„menschlichen Maßstabes“ durch selbsternannte Heiler der Gesellschaft basierte, wurde

als bedrückende Dominanz eines Ordnungsdenkens kritisiert, welches das menschliche

Individuum auf die Existenz als Zelle in einem Organismus reduzierte. Die Kritiker der

Moderne weisen zu Recht auf dessen katastrophale Auswirkungen im 20. Jahrhundert

hin. Mit der gleichen Rationalität, die Wohnraum für Hunderttausende schaffte, wurde

auch deren totale Vernichtung geplant.227 Die Forderungen nach einem postmodernen

pluralistischen Urbanismus, die ab den 1960er Jahren formuliert wurden, sind aus

dieser Perspektive eine nachvollziehbare Konsequenz aus den historischen Erfahrungen

des 20. Jahrhunderts. Doch hat diese Konsequenz außerhalb der hochindustrialisierten

Gesellschaften die gleiche Aussagekraft? Es stellt sich die Frage, welcher Stellenwert

ihr im Hinblick auf Chandigarh und Brasilia beizumessen ist. Wie in dieser Arbeit

gezeigt wurde, wurden die beiden Hauptstädte auf der Grundlage derselben Philosophie

geplant, die sich in Europa und Nordamerika zwischen den 1920er und 1940er Jahren

entwickelte und die bisweilen als „Hochmodernismus“ identifiziert wird.228 Brasilia und

Chandigarh als Beispiele für modernistische Stadtplanung zu nennen, ist also durchaus

richtig. Allerdings halte ich es für falsch, die Probleme und Misserfolge, die sich bei der

Umsetzung der Planung ergaben, als Resultat dieser Philosophie darzustellen. Dies

geschieht vor allem im Falle Brasilias durch die wiederholte Berufung auf die Studie

von James Holston, wobei hauptsächlich dessen Aussage wiedergegeben wird, Brasilia

sei ein Stück oktroyierter westlicher Kultur, weil es nicht im Sinne der brasilianischen

Straßenkultur geplant worden sei. Daraus wird geschlossen, die Moderne Brasilias sei

mit der Kultur Brasiliens nicht kompatibel.

Eine solche Argumentation setzt allerdings voraus, dass es sich bei Brasilia und

Chandigarh tatsächlich um moderne Städte handelt. Diese Annahme scheint aufgrund

227 Bauman: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust, 1992228 Scott: Seeing Like a State, 1998

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der modernistischen Planungsgrundlage logisch, ist aber nicht zutreffend, da hier

fälschlicherweise eine akkurate Umsetzung der Pläne angenommen wird. Die

plangetreue Realisierung der Masterpläne wurde aber in beiden Fällen vor allem durch

zwei Faktoren verhindert. Der erste Faktor bestand in einer Nichteinhaltung der

Bevölkerungslimits. Beide Städte wurden durch Immigranten besiedelt, die in der

Planung nicht vorgesehen waren. Der zweite Faktor bestand in der Unfähigkeit der

Planungsbehörden, die Modernität der neuen Städte auf die Bedürfnisse der

Neuankömmlinge auszudehnen. Die Ursache dieser beiden Faktoren ist der

ausbleibende ökonomische und politische Erfolg der Modernisierungsbestrebungen

Nehrus und Kubitscheks auf der nationalen Ebene. Zum Zeitpunkt des enormen

Bevölkerungszulaufes in den Städten hätte eine zusätzliche Finanzierung eines breit

angelegten sozialen Wohnungsbaus erfolgen müssen, um die Planungen zu retten. Die

Regierungen Indiens und Brasiliens konnten sich aber kein solches Programm im

Umfang des amerikanischen New Deals oder des Wiederaufbaus in Europa leisten.

So entstanden zwei Städte, die in ihrer räumlichen Logik und der visuellen Gestaltung

ihrer Architektur durchaus modern wirken, in ihrer sozialen Realität aber die Merkmale

moderner Gesellschaften vermissen lassen. Die Forderungen der Athener CIAM-

Konferenz begreifen die Moderne jedoch nicht nur als ästhetischen Stil oder eine

räumliche Ordnung, sondern eben auch als soziales Prinzip des Städtebaus. Ein

eindeutiges Kriterium für die Erfüllung der Charta von Athen besteht darin, das

Entstehen von Slums und Wohnungsspekulation zu verhindern und allen

Stadtbewohnern einen Mindeststandard des Wohnens zu gewährleisten. Hierin bestehen

aber die vorherrschenden Probleme Chandigarhs und Brasilias. Keine der Städte wird

aufgrund ihrer Modernität in Frage gestellt, von einer ästhetischen Kritik abgesehen. Zu

kritisieren sind aber die prämodernen Lebensbedingungen für einen Großteil der

Bevölkerung. Fließendes Wasser, Stromanschlüsse und ein Mindeststandard an Hygiene

sind in vielen Bereichen nicht vorhanden, nur die Privilegierten verfügen über einen

Anschluss an das Verkehrssystem und Wohnraum bleibt ein im Wortsinn umkämpftes

Gut. Aus diesem Grund können die beiden Städte nur bedingt als „modern“ im Sinne

des modernistischen Städtebaus anerkannt werden. Hier offenbart sich ein

grundlegendes Problem postmoderner Theorieansätze. Diese entwickelten sich aus der

modernen Perspektive einer materiellen Sättigung der biederen Wirtschaftswunder-

gesellschaft und standardisierten „Suburbias“, in denen die existenzbedrohenden

Zustände des Industriezeitalters einem geistigen Unbehagen des Individuums in einer

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Gesellschaft mit übermäßigem Ordnungsanspruch gewichen waren. Auf die Realität

prämoderner Slums angewendet, wirkt die postmoderne Kritik jedoch deplatziert. Hier

existieren noch die Probleme, die in Europa und Nordamerika durch den modernen

Städtebau tatsächlich gelöst wurden. Das aber wird in den meisten postmodernen

Ansätzen nicht ausreichend berücksichtigt, da sie sich fälschlicherweise darauf

beschränken, sämtliche Missstände als Folge der modernistischen Planungsphilosophie

zu begreifen. Chandigarh und Brasilia existieren in dieser Wahrnehmung häufig nur als

exotische Ausläufer einer westlich zentrierten Historiographie des modernistischen

Städtebaus, die mit dem Paradigmenwechsel der 1960er und 1970er Jahre endet. In

Ländern wie Indien und Brasilien aber hat das Versprechen der Moderne, allgemeinen

Wohlstand durch Industrialisierung und technischen Fortschritt zu bringen, weniger von

seiner Verheißungskraft verloren als in Ländern, in denen diese Versprechen auf

breiterer Ebene erfüllt wurden. Hier wird deutlich, wie sehr postmodernes Denken von

der Existenz eines modernen Unterbaus abhängig ist. Auch in Bezug auf den westlichen

Diskurs ist es falsch, die Postmoderne als einen grundsätzlichen Gegensatz zur

Moderne zu verstehen. Stattdessen ist postmodernes Denken als eine Modifizierung

modernistischen Denkens zu begreifen. Tatsächlich liefert vor allem in Indien und

Brasilien die Kritik am Modernismus sinnvolle Impulse für die unausweichliche

Modernisierung, indem sie konstruktiv deren progressive Dynamik ergänzt. Ein

Beispiel dafür ist die indische Aranya Township in Indore bei Ahmedabad, ein Projekt,

das in den 1980er Jahren begonnen wurde.229 Im Zuge dieser Maßnahme ließ die Indore

Development Agency ausschließlich die Infrastruktur einer großflächig geplanten

modernen Siedlung errichten, also Kindergärten, Schulen, verschiedene öffentliche

Einrichtungen, Verkehrswege, Wasserleitungen, eine Kanalisation und gemeinschaftlich

genutzte sanitäre Einrichtungen. Der Bau von Wohneinheiten auf den zugeteilten

Landstücken wurde den Bewohnern selbst überlassen, wobei allerdings grobe

Designorientierungen zur Verfügung gestellt wurden. Wenngleich hier also auf eine

monotone Reihenbebauung verzichtet und selbst den armen Siedlungsbewohnern eine

Gestaltungsfreiheit ihres Wohnraumes ermöglicht wird, greift das Konzept im Kern auf

die Grundlagen der modernen Stadtplanung zurück, die bereits 1933 formuliert wurde.

Moderne und postmoderne Ansätze schließen sich also in diesem Falle nicht aus,

sondern ergänzen sich gegenseitig.

In Bezug auf Chandigarh und Brasilia bleibt zu bemerken, dass die Errichtung dieser

229 Bhatt/ Scriver: After the Masters. Contemporary Indian Architecture, Ahmedabad 1990, S. 98

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Städte ebenso wenig abgeschlossen ist wie die Modernisierung Indiens und Brasiliens.

In der gegenwärtigen Situation eines weltpolitischen Paradigmenwechsels von einer

Bipolarität des kalten Krieges zu einer globalen Multipolarität sind diese Länder

erfolgreich dabei, sich ökonomisch und politisch neu zu positionieren. Damit ist ein

neuer Schub für die regionalen Modernisierungsbestrebungen verbunden, der sich auch

auf den Städtebau auswirkt. Bei den aktuellen Diskussionen um die zukünftige

Stadtplanung in beiden Städten ist festzustellen, dass die modernistischen

Vermächtnisse in zunehmendem Maß als Chance für eine nachhaltige Stadtentwicklung

wahrgenommen werden, anstatt, wie in der Vergangenheit üblich, als fehlgeschlagene

Experimente.

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Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbständig verfasst

und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel und Quellen

benutzt habe.

(Boris Niclas)

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