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Limbic Marketing Christian Kaernbach Institut für Psychologie Philosophische Fakultät Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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Limbic Marketing

Christian Kaernbach

Institut für PsychologiePhilosophische FakultätChristian-Albrechts-Universität zu Kiel

Page 2: Limbic Marketing Christian Kaernbach Institut für Psychologie Philosophische Fakultät Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Think LimbicVorwortEinführung1 Limbic Power: Die große Macht des Unbewussten2 Limbic Revolution: Der Thronsturz des Großhirns

[Die drei „limbischen Instruktionen“:]3 Balance: Die Kraft der Beharrung und Erhaltung4 Dominanz: Die Kraft des Wachstums und der Zerstörung5 Stimulanz: Die Kraft der Innovation und der Kreativität6 Limbic Personality: High Performer erkennt man am

limbischen Profil7 Limbic Motivation: Abschied von Maslow & Co8 Limbic Culture: Was wir vom erfolgreichsten Unternehmen

aller Zeiten lernen können9 Limbic Marketing: Starke Marken entstehen im Reptilienhirn10 Limbic Products: Die limbische Botschaft erfolgreicher

Produkte11 Limbic Shopping: Von Jägern und Sammlern12 Limbic Customer Relations: Wie man Kunden dauerhaft und

fest an sich bindet13 Limbic Money: Wie Anlageentscheidungen wirklich getroffen

werden14 Limbic Check: Erkennen Sie Ihr eigenes limbisches ProfilNachwortLiteratur

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Gliederung

• Geschichte der Emotionstheorien– James, Cannon– Papez, MacLean: Das Limbisches System– LeDoux

• Das Reptiliengehirn

• Die Rolle des Unbewussten

• Die Suche nach der Geheimtür– „Limbische Instruktionen“ als

„Geheimtür zur Seele“

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James und der Bär

• Warum rennen wir vor einem Bär weg?– Wir fürchten, er könnte uns fressen. Deshalb rennen wir weg.

– Wir rennen „automatisch“ weg, weil die Evolution uns das lehrte. Und weil wir wegrennen, fürchten wir uns.

• Naiv: Reiz Gefühl Reaktion

• James, 1884: Reiz Reaktion Gefühl

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Zwei Systeme

• James, 1884: Reiz Reaktion Gefühl• Cannon, 1929:

Erregung und Gefühl entstehen unabhängig.unbewusst: Reiz Erregung (unspezifisch)bewusst: Reiz GefühlErregung verleiht dem Gefühl Dringlichkeit.

– Zwei System: Claparède, 1911 emotionales Gedächtnis bei einer Amnestikerin

– Schachter und Singer, 1962; Valins, 1966: Kognition deutet Erregung

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Erste Lokalisation

• Bard, 1929:Läsionsexperimente an Katzen:– Ohne Großhirnrinde:

fast vollständiges emotionales Repertoire• Tiere leicht reizbar, fehlende Kontrolle

– Ohne Hypothalamus:nur fragmentarische emotionale Reaktionen.

– Cannon – Bard – Theorie: • Sinnesorgan ... Thalamus ... Großhirnrinde ... Gefühl• Sinnesorgan ... Thalamus ... Hypothalamus ... Reaktion

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Erste Theorie

• Papez, 1937: Papez-KreisHippocampus via Fornix

Mammilarkörper (Hypothalamus)ThalamusGyrus cinguliHippocampus

• Spekulation damals waren Verbindungen nicht zu erheben LeDoux: Papez handelte aus Patriotismus

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Das limbische System

• MacLean, 1952: Erweiterung– Rückgriff auf Broca, 1878

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Der limbische Lappen

• Broca, 1878: « grand lobe limbique »– auf deutsch in etwa:

großer Saumlappen– keine Funktionszuweisung– zu dieser Zeit war unklar,

ob es Einzelneurone gibt.

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Das limbische System

• MacLean, 1952: Erweiterung– Rückgriff auf Broca– spekulativ, keine Tracer-Daten

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Der Schaltplan der Furcht

• LeDoux, 1996:Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. dtv, 2001.

– Verwendet Lokalisationsdaten und Tracer-Daten

– Grundannahme: es gibt nicht ein emotionales System, sondern viele

• Furcht, Freude, Ekel, Wut...

• Damasio, 1995: Amygdalaläsion

– LeDoux untersucht Furcht

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Der Schaltplan der Furcht

Hypophyse

ANS

Amygdala

Reiz Thalamus

Nebennierenmark

Vagus

Hypothalamus

Hippocampussensorischer

Kortex

Adrenalin

Locus caeruleus

Noradrenalin

Corticoide

CRF

ACTH

Medula

Nebennierenrinde

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Limbisches System: Kritik

• Ein spekulatives System von 1952, basierend auf Lokalisationsdaten von 1929, das alle Emotionen gleichzeitig behandeln soll. Keine Möglichkeit, unterstellte Verbindungen zu verifizieren.

• Gegenposition heute:– mit Tracer-Daten verifizierte Einzelschaltpläne für

einzelne Elementaremotionen unter Einbeziehung des autonomen Nervensystems und der HormoneJ. LeDoux: Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. dtv, 2001.

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Limbic Marketing

• Betrachten wir Limbic Marketing als Misnomer.

• Was bleibt?– Das Reptiliengehirn– Das Unbewusste– Die Suche nach der Geheimtür

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Das Reptiliengehirn

• MacLean, 1952:Das „Dreieine Gehirn“– Reptiliengehirn– Altsäugergehirn

• Limbisches System

– Neusäugergehirn

• evolutionsbiologische Spekulation

• Vögel haben laut MacLean nur ein „Reptiliengehirn“

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Echogedächtnis bei Vögeln

• Periodisches Rauschen als Paradigma derGedächtnisforschung– schlechte Ergebnisse

für Wüstenrennmaus und Katze

– Kooperation / Wettemit Onur Güntürkün:„Tauben können das“

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Ich-Bewusstsein

• Rougetest: Anbringung einer Markierung

Kindern ab 2. Lebensjahr Katzen, Hunde Schimpansen, Orang-Utans Gorillas Delphine („Grimassen“ vor Spiegeln) Elefanten Elstern

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Das Unbewusste• Was ist denn vom “Limbic Marketing” zu retten?

– Vergessen wir • das limbische System • und das Reptiliengehirn.

– Andererseits: Ein Marketingfachmann muß nichts von Hirnanatomie und Evolutionsbiologie verstehen.

• Die „psychologische“ Seite des Limbic Marketing– Gesucht wird eine Marketing, das

• an emotionale Prozesse appelliert,• dabei bewusste Kontrollen umgeht.

Was sagt die Psychologie über das

Unbewusste?

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Das Unbewusste• Sigmund Freud, 1890

– Das Unbewusste– Das Vorbewusste– Das Bewusste

• unbewusste Verarbeitung– als Trivialität

• automatischablaufende Prozesse

• LeDoux: (zum Thema „Emotion“): „Was hat denn das mit Liebe zu tun?“

– als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand, Gegenstück zur Aufmerksamkeitsforschung

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Unbewusste Verarbeitung

• Eat Popcorn! Drink Coke!– kurze, unbemerkbare Einblendungen in einen Film

führten angeblich zu Umsatzsteigerungen– eine Wissenschaftsfälschung von J. Vicary, 1957,

zugegeben in einem Zeitungsinterview 1962.– Mord und Aufklärung

in der Fernsehserie Columbo(“Double Exposure”, 1973)

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Unbewusste Verarbeitung

• Semantisches Priming– Fixationskreuz –Maske – Prime – Maske – Target

– Aufgabe: Ist das Target ein Wort?– Prime kann unbewusst bleiben

• Kriterien für Nichtbewusstwerdung (s. u.)

– Reaktionszeit kürzer, wenn Prime und Target semantisch verwandt (Dauer des Effekts: ca. 200 ms)

1000 ms 500 ms 20 ms 100 ms 1000 ms

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Unbewusste Verarbeitung

• Bornstein, 1992– „bloße Darbietung“:

• bekannten Gesichtern wird mehr geglaubt• wirkt besser, wenn Gesichtsdarbietung unbewusst bleibt

• Bargh, 1990– Bearbeiten gerontologischer Wortlisten führt zu

langsameren Bewegungen• Darbietung überschwellig, aber Implikationen unbewusst

• Schachter und Singer, 1962; Valins, 1966– manipuliertes Feedback wirkt nur, wenn uninformiert

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Unbewusste Verarbeitung

• Corteen & Wood, 1972; Corteen & Dunn, 1974– Versuchsperson hört Wortlisten über Kopfhörer– Vorphase: ein Zielwort (z. B. „Zimmer“) wird negativ

konditioniert– Experiment: unterschiedliche Wortlisten links/rechts

• Wortliste auf dem linken Ohr nachsprechen• Wortliste auf dem rechten Ohr entgeht der Aufmerksamkeit• ab und zu wird rechts das Zielwort eingespielt

– Versuchsperson berichtet, dieses Wort nicht gehört zu haben– Hautleitwertreaktion zeigt aber eindeutige Schreckreaktion

• Zielwort (rechts) kann ersetzt werden durch phonetisch oder semantisch ähnliches Wort

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Implizites Lernen

• Kriterien: Implizites Lernen– findet beiläufig statt– ohne Aufmerksamkeitszuwendung– bleibt unbewusst

• Experimentelle Paradigmen– Steuerung komplexer Systeme– Erlernen von versteckten Kovarianzen– Sequenzenlernen– Erlernen einer finite state Grammatik

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Wann ist etwas „unbewusst“?

• Wann ist etwas „bewusst“?– freie Reproduktion– auf Nachfrage vollständige Wiedergabe– auf Nachfrage fragmentarische Wiedergabe– ...– multiple choice

• Risiko eines Aha-Effekts (Messmethode verändert Bewusstheitsgrad)

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Therapeutische Breite

• Medikamente:– ED50: Effektive Dosis, bei der bei 50% der Patienten

der gewünschte Effekt eintritt

– LD50: Letale Dosis (50% der Patienten sterben)

– Therapeutische Breite: TB = LD50/ED50

– Penicillin: TB = 10.000– Digitalis: TB = 2!– Narkotika: TB = 2!– geringe therapeutische Breite: ständige Überwachung

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Therapeutische Breite

• Therapeutische Breite des Unbewussten:– gering

• Störvariablen:– Aufmerksamkeit– Vorwissen– Öffentlichkeit– ...

• Experimente zur unbewussten Verarbeitung erfordern eine genaue Kontrolle der Versuchsbedingungen.

• Die Kunden lassen sich nicht so genau kontrollieren.

Schema

0

20

40

60

80

100

0 10 20 30 40 50Darbietungszeit Prime [ms]

Pro

zen

t PrimingBewusstsein

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Suche nach der Geheimtür

• Prähistorisch: Beschwörungen, Flüche• Mesmer, 1775: „Animalischer Magnetismus“• Puységur, 1785; Braid, 1843: Hypnose

Das neue Werk von Georg Häusler „Hypnomarketing“ liefert eine detaillierte Anleitung, wie Sie Ihre Kunden in Hypnose versetzen und zum Kauf zwingen. Einfacher kann Marketing nicht sein. (fiktiver Werbetext für ein fiktives Werk)

• Freud, 1890: Das Unbewusste• Häusel, basierend auf MacLean, 1952:

„Limbic Marketing“• ... In unserer ach so aufgeklärten Zeit

bleibt keine Geheimtür lange geheim!

zur Seele

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Die Öffentlichkeit

• Dezember 2006 • fiktive MeldungAudi hat zusammen mit Häusler-Marketing eine Kampagne entwickelt, die mit limbischen Instruktionen an das Reptiliengehirn der Kunden appelliert. Ein entsprechender Aufkleber begleitet die Kampagne.

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Fazit

• Das „limbische System“ (MacLean, 1952) ist out.• Das „dreieine Gehirn“ (MacLean, 1952) ist out.• Häusler baut auf MacLean auf, hat ihn aber nicht gelesen.

Keine einzige seiner Aussagen ist empirisch begründet.• „Reptiliengehirn“ kommt gar nicht gut.• Suchen Sie keine Geheimtür:

sie bleibt nicht lange geheim.• Unbewußt bleibende Werbung

wäre evtl. ein Gewinn... wenn sie denn unbewußt bliebe.

• Grundlagenforschung tut not.• Think limbic? Think cortical!

Ihre Kunden tun es auch.

Homer Simpson‘s brain