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ANDREAS HEINZ Lebendiges Erbe Beiträge zur abendländischen Liturgie- und Frömmigkeitsgeschichte A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL

Lebendiges Erbe - download.e-bookshelf.de · Die Christen und der Kaiser, Trier 2006, 139–182, 3. Aufl. 2007. Es handelt sich um die Druckfassung eines Vortrags im Rahmen des im

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ANDREAS HEINZ

Lebendiges ErbeBeiträge zur abendländischen Liturgie-

und Frömmigkeitsgeschichte

A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL

Lebendiges Erbe

PIETAS LITURGICA · STUDIAInterdisziplinäre Beiträge zur Liturgiewissenschaft

begründet vonHansjakob Becker

herausgegeben vonAnsgar Franz

Die Reihe »Pietas Liturgica« erscheint in Zusammenarbeit mit»KULTUR – LITURGIE – SPIRITUALITÄT e.V.«

Interdisziplinäre Vereinigung zurwissenschaftlichen Erforschung und Erschließung

des christlichen Gottesdienstes

ANDREAS HEINZ

Lebendiges Erbe

Beiträge zur abendländischen Liturgie- und

Frömmigkeitsgeschichte

Titelabbildung:

Hella De Santarossa, Marienfenster, Katholische Kirche St. Florian,München-Riem

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de>

abrufbar.

© 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages

unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier.

Internet: http://www.francke.deE-Mail: [email protected]

Satz: Informationsdesign D. Fratzke, KirchentellinsfurtDruck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

Printed in Germany

ISSN 1862-2704ISBN 978-3-7720-8380-8

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

A LITURGIE IM WERDEN

1 Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) für die Liturgie der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Bischof Martin von Tours (370/371–397) und die Liturgie seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3 Papst Gregor der Große (590–604) und die römische Liturgie. . . . . . 57

B MESSFRÖMMIGKEIT UND EUCHARISTIEVEREHRUNG

4 Eucharistische Frömmigkeit in einem mittelalterlichen Frauen-kloster. Das Zeugnis eines Gebetbuchs (um 1300) aus der ehemaligen Zisterzienserinnenabtei St. Thomas (Bistum Trier) . . . . . 73

5 Priesterliche Messfrömmigkeit im benediktinischen Reform-mönchtum des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

6 Die Sonne des Sakramentes. Ein Zugang zur Eucharistie-frömmigkeit Friedrich Spees SJ (†1635) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

C LITURGIE UND GESELLSCHAFT

7 Das Gebet für die Feinde in der abendländischen Liturgie . . . . . . . . . 141 8 Das Bild der Kaiserin Helena in der Liturgie des lateinischen

Westens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 9 Zeittypische Züge in der Frömmigkeit der seligen Yolanda

von Vianden (1231–1283) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17710 Der Dienst der Glocke im Licht des mittelalterlichen Ritus

der Glockenweihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19211 „Waffensegen“ und Friedensgebet. Zur politischen Dimension

der Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22112 Antijudaismus in der römischen Liturgie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24213 Der heilige Erzengel Michael – Schutzpatron der Deutschen?

Geschichte – Kult – Liturgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Inhalt6

D LITURGIEREFORM IM UMKREIS DES VATIKANUM II

14 Liturgiereform vor dem Konzil. Die Bedeutung Pius’ XII. (1939-1958) für die gottesdienstliche Erneuerung . . . . . . . . . . . . . . . . 281

15 Liturgiewissenschaftliche Forschung und liturgisches Leben der Pfarreien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

16 Der Tag, den der Herr gemacht hat. Gedanken zur Spiritualität des Sonntags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

17 Das Friedensgebet in der römischen Messe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34318 „Gott liebt einen fröhlichen Geber“. Der Gedanke der „Diakonia“

in der Messliturgie des Laurentiusfestes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35819 Ars celebrandi. Überlegungen zur Kunst, die Liturgie der Kirche

zu feiern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

Schriftstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Abkürzungen

DLI Deutsches Liturgisches Institut e. V. TrierGORM Grundordnung des Römischen Messbuchs. Vorabpublikation zum

Deutschen Messbuch (3. Auflage). Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2007 (Arbeitshilfen 215)

IGMR Institutio Generalis Missalis Romani 2002

Den übrigen Abkürzungen liegt das Abkürzungsverzeichnis der 3. Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche. Freiburg u. a. 1993, zugrunde.

Vorwort

Fast ein halbes Jahrhundert ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) vergangen. Der große spirituelle Aufbruch, den es eigentlich einleiten wollte, ist – zumindest im deutschsprachigen Raum – weitgehend ausgeblieben. Die Li-turgiereform hat viele äußere Veränderungen gebracht. Aber hat sie auch erreicht, was ihr eigentliches Ziel war und weiterhin bleibt, nämlich „das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr (zu) vertiefen“ (SC 1)? Dass die Zahlen und die Mittel geschrumpft sind, belegen die Statistiken. Entscheidender ist die Frage nach der Qualität des Christseins der Christen. Diese Qualität und Intensität hängt letztlich nicht von finanziellen Ressourcen und staatlicher Reputation ab; ihre ei-gentliche Kraftquelle ist die geistlich fruchtbare Mit-Feier der Liturgie der Kirche (vgl. SC 10). Entscheidend für das Leben und Überleben der Kirche in allem Auf und Ab ihrer Geschichte war – und ist noch immer – der ununterbrochene Strom des gefeierten Glaubens, „der in der Liebe wirksam ist.“ (Gal 5,6).

Um diesen Strom des geistlichen Lebens geht es in den Beiträgen dieses Sam-melbandes. Die Einzelstudien beleuchten wichtige Werde- und Wendezeiten der abendländischen Liturgiegeschichte, angefangen von der Spätantike (Konstantin) bis zur Schwelle des Mittelalters (Martin, Gregor der Große); in den Blick kom-men die Höhepunkte mittelalterlicher und neuzeitlicher Frömmigkeitsbewegun-gen (Zisterzienser, Devotio moderna, barocke Eucharistieverehrung), aber auch brisante Gegenwartsfragen, die zeigen, dass Liturgie und Leben, Gottesdienst und Gesellschaft, nicht unverbunden nebeneinander stehen: Liturgie hat immer auch eine „politische“ Dimension. Das ist unverkennbar bei Themen wie „Waffense-gen“ und Gebet für die Feinde, Friedensgebet und Judenfürbitte, wird aber auch deutlich bei der Analyse des traditionellen Ritus der Glockenweihe und bei der zeitweise nationalistisch aufgeladenen Michaelsverehrung der Deutschen.

Der Strom, der seinen Quellgrund im Pascha Christi hat, strömt noch immer. Er führt mit sich den geistigen und geistlichen Reichtum der Jahrhunderte. Das ist kein totes Treibgut, sondern lebendiges Erbe aus den Quellen des Heils. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dieses Erbe nicht über Bord werfen wollen. Papst Benedikt XVI. wird nicht müde zu betonen, dass nur eine Hermeneutik der Konti-nuität den Intentionen des Konzils gerecht wird. Auf dieser Linie befassen sich die letzten Aufsätze dieser Sammlung mit der Liturgiereform im Umkreis des Zweiten Vatikanums, vor allem mit einigen geistlichen Aspekten, etwa der Spiritualität der Sonntagsfeier und der Verankerung der christlichen Caritas in der Liturgie der Kirche.

Schon vor einigen Jahren hat der bekannte Laacher Liturgiewissenschaftler P. Angelus A. Häußling OSB angeregt und mich ermutigt, eine Auswahl meiner frömmigkeitsgeschichtlichen Studien gesammelt herauszugeben. Diese Innensei-te der Liturgiegeschichte sei bisher in unserem Sprachgebiet wenig aufgegriffen

Vorwort8

worden. Dabei sei „die Frage, wie der katholische Christ heute fromm sein kann und soll“, doch wahrhaftig von größter Wichtigkeit. „Die Frage kann aber nur im Zusammenhang der Geschichte der Frömmigkeit angegangen werden.“ Dass deren Kenntnis vieles klärt, hat vor allem der Altmeister der deutschsprachigen Liturgie-wissenschaft, P. Josef Andreas Jungmann SJ (†1975), gezeigt.

Die in diesem Band zusammengetragenen liturgie- und frömmigkeitsgeschicht-lichen Studien sind während der letzten Jahrzehnte in in- und ausländischen Fachzeitschriften und in zum Teil schwer erreichbaren Sammelwerken erschienen; der Aufsatz über den Kult des Erzengels Michael, der bisher nur in französischer Sprache vorlag, wird hier erstmals in seiner deutschen Originalfassung abgedruckt. Vor dem Nachdruck wurden alle Beiträge durchgesehen und im Bedarfsfall leicht überarbeitet. Wichtige zwischenzeitlich erschienene Literatur wurde in den An-merkungen in eckigen Klammern hinzugefügt. Nachdem ein Sammelband mit Beiträgen zur regionalen Gottesdienst- und Frömmigkeitsgeschichte des (Erz-)Bistums Trier und Luxemburgs zwischen Tridentinum und Zweitem Vatikanum bereits 2008 erschienen ist, der ein Verzeichnis aller einschlägigen regionalen Veröffentlichungen enthält, beschränkt sich die Auswahlbibliographie am Ende dieses Bandes darauf, liturgie- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien von eher überregionaler Bedeutung aufzulisten.

Dass dieses Buch erscheinen konnte, habe ich vielen zu danken. Meinem Main-zer Kollegen, Prof. Dr. Ansgar Franz, danke ich für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „Pietas Liturgica. Studia“, den Verlagen für die freundlich erteilte Nachdruckerlaubnis und dem Francke Verlag in Tübingen für die kompetente Be-treuung des Projekts und seine ansprechende Realisierung. Vor allem aber bin ich zwei Mitarbeiterinnen zu großem Dank verpflichtet, Frau Stephanie Eimer, Sach-bearbeiterin im Sekretariat der Theologischen Fakultät Trier, und Frau Ingrid M. Embach, Sekretärin der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Liturgischen Instituts. Sie haben alle Beiträge für den Nachdruck neu erfasst; Frau Embach hat zudem die Register erstellt.

Trier, am 18. August 2010, dem Gedenktag der hl. Kaiserin Helena Andreas Heinz

A Liturgie im Werden

1 Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) für die Liturgie der Kirche

Die bekannte Rede von der „konstantinischen Wende“ ist ein Schlagwort. Wie jedes Schlagwort will es höchst komplexe und vielschichtige Veränderungen und Entwicklungsprozesse vereinfachend auf einen Nenner bringen. Einen zäsur-artigen Neubeginn hat es aber gewiss mit Konstantins Machtübernahme nicht gegeben. Doch wird man die konstantinische Ära aus der Sicht der Liturgiewis-senschaft nicht nur als eine Zeit der Konsolidierung, sondern gewiss auch und vor allem als eine Epoche neuer Aufbrüche, des Ausbaus und der Entfaltung charakterisieren können. Seit dem Ereignis von York im Sommer 306, als der junge Konstantin nach dem Tod seines Vaters handstreichartig dessen Platz okku-pierte und über Nacht zum Caesar des Westens avancierte, haben sich, zunächst im Westen des Römischen Reiches, die Rahmenbedingungen für das kirchliche Leben entscheidend verbessert. Zwar gab es unter Diokletian (284–305), anders als im Osten des Imperiums, in Gallien keine blutigen Christenverfolgungen. So ist beispielsweise keiner von den in vorkonstantinischer Zeit in Trier amtierenden Bischöfen als Märtyrer gestorben. Der Kirchenschriftsteller Laktanz, der um 312 als Erzieher des ältesten Konstantinsohnes Crispus aus dem Reichsosten an den Hof nach Trier berufen wurde, berichtet in seinem Werk „Über die Todesarten der Verfolger“ durchaus glaubhaft, Constantius Chlorus, der Vater Konstantins, habe in der Verfolgungszeit lediglich hingenommen, dass „die Versammlungshäu-ser“ – das heißt die Mauern, die sich wiederherstellen ließen – zerstört wurden, „den wahren Tempel Gottes aber, der in den Menschen ist“, habe er unversehrt gelassen.1 Von Konstantin sagt unser Gewährsmann, er habe nach seinem Regie-

[Erstveröffentlichung: Die Bedeutung der Zeit Konstantins (306–337) für die Liturgie der Kir-che, in: M. Fiedrowicz, G. Krieger, W. Weber (Hg.), Konstantin der Große. Der Kaiser und die Christen. Die Christen und der Kaiser, Trier 2006, 139–182, 3. Aufl. 2007. Es handelt sich um die Druckfassung eines Vortrags im Rahmen des im Herbst 2006 in der Katholischen Akademie Trier veranstalteten Wissenschaftlichen Kolloquiums zum „Konstantin-Jahr“.]

1 Lact., mort. 15,7 (CSEL 27, S. 189): Nam Constantinus, ne dissentire a maiorum praeceptis videretur, conventicula, id est parietes, qui restitui poterant, dirui passus est, verum autem dei templum, quod est in hominibus, incolume servavit. Zu Laktanz in Trier vgl. K. Kremer, Laktanz. Erzieher von Konstantins Sohn Crispus zu Trier, in: Kurtrierisches Jahrbuch 25 (1985) 35–59; vgl. auch die Einleitung von J. Moreau zu seiner Ausgabe von De mortibus persecutorum (SC 19); eine Erstinformation bietet K.-H. Schwarte, Art. Laktanz, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. von S. Döpp, W. Geerlings, Freiburg-Basel-Wien 21999, 387f.

Liturgie im Werden10

rungsantritt nichts Eiligeres zu tun gehabt, als die Christen wieder ihrem Kult und ihrem Gott zurückzugeben.2

1. Günstige neue Rahmenbedingungen

Bei dieser Aussage über eine sofortige Wiederherstellung des christlichen Got-tesdienstes muss man freilich in Rechnung stellen, dass unser Autor geneigt ist, in seiner polemischen Abrechnung mit den Verfolgern von gestern die christen-freundliche Haltung der neuen aufsteigenden konstantinischen Dynastie ins hellste Licht zu rücken. Das gilt noch mehr für unseren wichtigsten Zeitzeugen der Ära Konstantins des Großen (306–337), Bischof Eusebius von Caesarea in Palästina (†339). In seiner Vita Constantini schreibt er, bereits zu Lebzeiten von Konstan-tins Vater, als im Osten des Reiches Christen noch als Märtyrer starben, sei in der westlichen Kaiserresidenz Trier christlicher Gottesdienst sogar im Palast selbst geduldet worden. Constantius Chlorus habe, so Eusebius, seine Familie und seine Dienerschaft „dem einzigen und höchsten Herrscher“ geweiht. Unter dem Hof-personal habe es „Diener Gottes“ gegeben, „die fortwährend Gottesdienst für den Kaiser feierten.“3 In der Terminologie des Eusebius sind „Diener Gottes“ nicht irgendwelche Kultdiener, sondern eindeutig Bischöfe oder Priester der Kirche.

Der Wahrheitsgehalt dieser Mitteilung wird von der kritischen Geschichtswis-senschaft skeptisch beurteilt. Mit dem Trierer Althistoriker Heinz Heinen wird man wohl annehmen müssen, dass der herrscherfromme Konstantin-Biograph hier idealisierend die Zustände seiner Zeit am Kaiserhof in Konstantinopel in die Trierer Anfangszeit der konstantinischen Dynastie zurückprojiziert hat.4 Doch das, was der Spaten der Archäologen im Bereich des Trierer Domes und der an-grenzenden Liebfrauenbasilika in den letzten Jahrzehnten zu Tage gefördert hat5, wirft auch neues Licht auf das zitierte Eusebius-Zeugnis. Fest steht jedenfalls, dass die Annahme eines vorkonstantinischen Gottesdienstraumes in nächster Nähe zur Trierer Kaiserresidenz nicht mehr als fromme Legende abgetan werden kann. Ge-sichert ist für das zweite Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts, das heißt in der Amtszeit des Trierer Bischofs Agricius, der durch seine Unterschrift unter die Akten des

2 Vgl. Lact., mort. 24,9 (CSEL 27, S. 201): Suscepto imperio Constantinus Augustus nihil egit prius quam Christianos cultui ac deo suo reddere. Haec fuit prima eius sanctio sanctae religionis restitutae. Zurückhaltend dazu H. Heinen, der eine sofort mit dem Jahr 306 beginnende Res-titution für eher unwahrscheinlich hält; vgl. Ders., Frühchristliches Trier. Von den Anfängen bis zur Völkerwanderung, Trier 1996, 82–84.

3 Vgl. Eus., Vita Constantini; Des Eusebius Pamphili vier Bücher über das Leben des Kaisers Konstantin und des Kaisers Konstantin Rede an die Versammlung der Heiligen, aus dem Griechischen übersetzt von J. M. Pfättisch (BKV2 12), Kempten-München 1913, 18.

4 Vgl. Heinen, Trier (wie Anm. 2), 85. 5 Vgl. dazu die einschlägigen Veröffentlichungen des derzeitigen Direktors des Trierer Bi-

schöflichen Dom- und Diözesanmuseums, der die Ausgrabungen geleitet hat: W. Weber, Die Anfänge des Trierer Domes, in: TThZ 98 (1989) 147–155; Ders., Archäologische Zeugnisse aus der Spätantike und dem frühen Mittelalter zur Geschichte der Kirche im Bistum Trier (3.–10. Jahrhundert), in: H. Heinen, H. H. Anton, W. Weber (Hg.), Im Umbruch der Kulturen. Spä-tantike und Frühmittelalter. Geschichte des Bistums Trier 1, Trier 2003, 407–541.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 11

Konzils von Arles im Jahre 314 historisch klar einzuordnen ist, eine schon recht ansehnliche, dreischiffige, apsisgeostete Basilika in dem betreffenden Areal vor der heutigen Liebfrauenkirche.6 Dieses Kirchengebäude lag in unmittelbarer Nähe des damaligen administrativen Zentrums der Haupt- und Residenzstadt Galliens. Der Grabungsbefund zeigt, dass sich diese Basilika aus der frühen Zeit der konstanti-nischen Ära wohl aus einer vorkonstantinischen Hauskirche entwickelt hat. Im Zuge der auch für Trier anzunehmenden christenfeindlichen Maßnahmen unter Diokletian könnte diese zerstört worden sein. Die an ihrer Stelle unter Konstantin errichtete „Agricius-Basilika“ wäre dann eine eindrucksvolle Demonstration der konstantinischen Restitutionspolitik am prominenten Ort seiner ersten Residenz-stadt. Der Bau der ersten Trierer Bischofskirche fällt dann ungefähr zusammen mit dem von Konstantin nach seinem Sieg an der Milvischen Brücke am 28. Oktober 312 veranlassten Bau der viel größeren Lateranbasilika, der Bischofskirche Roms.

In Trier entstand gegen Ende der konstantinischen Ära neben der erwähnten „Agricius-Basilika“ ein noch weiträumigerer Kirchenkomplex von wahrhaft impe-rialen Ausmaßen.7 Konstantins erste Residenz behauptete nach seinem Tod (337) weiterhin ihren Rang als Kaiserstadt, insofern in Trier der älteste, für den Westen des Reiches zuständige Kaisersohn, Konstantin II. (†340), residierte.8 Die Kaiser-residenz an der Mosel blieb so einbezogen in das großangelegte konstantinische Kirchenbauprogramm. Es ließ repräsentative christliche Kultgebäude an markan-ten Orten entstehen, in Rom und Jerusalem vor allem, aber auch in Alexandrien, Aquileia und Trier. In Trier sah Athanasius von Alexandrien während seines ersten Exils in den Jahren 335–337 die Mauern der gewaltigen Trierer Kirchenanlage emporwachsen.9

Es liegt auf der Hand, dass die Restitution und Wiederherstellung der christli-chen Kultgebäude und die Förderung des Baus von großen und reich ausgestatte-ten Gotteshäusern durch die konstantinische Dynastie Auswirkungen hatten auf die in diesen Räumen gefeierte Liturgie, die sich nun frei entfalten konnte.

Wie sah diese Liturgie näherhin aus? Was war das für ein „Kult“, dem – um mit Laktanz zu reden – Konstantin die Christen zurückgeben wollte? Und wie hat die Kirche unter den neuen, für sie günstigen Rahmenbedingungen ihr liturgisches Leben entwickelt und entfaltet?

In diesem Fragenhorizont lassen sich mehrere Schwerpunkte ausmachen, die hier nicht alle aufgegriffen werden können. Ich beschränke mich auf drei liturgie-historisch besonders gewichtige: 1. die Sonntagsfeier, 2. die Osterfeier und 3. das

6 Weber, Anfänge (wie Anm. 5, 153f.) beschreibt sie als „dreischiffigen Bau mit rechteckigem Chorraum und kleiner Apsis. Zwei Stützreihen mit jeweils fünf Säulen teilen das 14 m breite Mittelschiff und die ca. 7 m breiten Seitenschiffe.“ Vgl. dazu auch Heinen, Trier (wie Anm. 2), 98–117.

7 Vgl. Weber, Zeugnisse (wie Anm. 5), 428–435. 8 Vgl. Heinen, Trier (wie Anm. 2), 77–79. 9 Heinen hält die Beobachtung des Dombaus durch Athanasius während dessen erstem

(335–337) oder zweitem Aufenthalt in Trier (343) für möglich. Aufgrund des archäologischen Befundes kommt jedoch am ehesten die Zeit des Exils, also Ostern 336 oder 337, in Frage; vgl. Weber, Zeugnisse (wie Anm. 5), 429 Anm. 81.

Liturgie im Werden12

Geburtsfest Christi am 25. Dezember in seiner Korrelation mit Epiphanie am 6. Januar. Abschließend soll kurz die in jüngster Zeit wieder lebhaft diskutierte Frage der Gebetsrichtung angesprochen werden.10 In konstantinischer Zeit dürfte die Ostung allgemeine Regel und Norm geworden sein.

2. Der Sonntag in konstantinischer Zeit

Der Sonntag als der allwöchentlich wiederkehrende Tag der Eucharistiefeier der an diesem oder jenem Ort lebenden Christen ist selbstverständlich keine Erfindung der konstantinischen Ära. Der liturgische Kern der christlichen Sonntagsfeier ist ein Erbe der apostolischen Zeit.11 Das Zweite Vatikanische Konzil steht auf litur-giehistorisch festem Fundament, wenn es in dem großartigen Sonntagsartikel sei-ner Liturgiekonstitution (SC 106) feststellt: „Aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Pascha-Mysterium jeweils am achten Tage, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Herrentag (dies dominica) genannt wird.“

Der Name für den Gottesdiensttag der Christen:

a) Herrentag oder Sonn-Tag

Das Konzil bezeichnet den privilegierten christlichen Gottesdiensttag hier mit dem neuen Namen, den die Christen des Anfangs erfunden haben. Im Bewusstsein seines christozentrischen Eigencharakters nannten sie den Tag nach dem Sabbat der von ihnen übernommenen jüdischen Sieben-Tage-Woche „Herrentag“. Schon die Offenbarung des Johannes bezeugt uns die griechische Namensform: kuriakØ ≤m°ra (Offb 1, 10). Sie dürfte die ursprüngliche sein. Der namengebende „Herr“ dieses neuen christlichen Sonntagsnamens ist Christus, der auferstandene und zum Vater erhöhte Kyrios.12 In der griechischsprachigen Osthälfte des Römischen Rei-ches hat sich dieser Name auf Dauer durchgesetzt, im lateinischen Westen immer-hin in den romanischen Nachfolgesprachen des Lateinischen. Wir werden sehen, dass die Sonntagsgesetzgebung Konstantins auch die keineswegs nebensächliche Frage des Namens für diesen durch das Osterereignis herausgehobenen Tag be-rührte und nicht unbedingt im christlichen Sinn beeinflusste.

Dies dominica – „Herrentag“ ist der Sonntag für die Christen vor allem, weil er der Tag des Herrenmahles ist.13 Denn daran kann es keinen Zweifel geben: Der Kern der christlichen Sonntagsfeier besteht nicht, in Anlehnung an das jüdische Sabbatgebot, in der Arbeitsruhe, die es tatsächlich bis in die konstantinische Zeit

10 A. Gerhards, (Erneuerung von innen, in: HerKorr Spezial, Freiburg 2005, 30–34) hat in seinen Überlegungen zur Liturgiereform 40 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum darauf hingewiesen.

11 Vgl. den Überblick über die Sonntagsfeier in der Antike mit weiterführenden Literaturanga-ben bei Hj. Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit I. Herrenfeste in Woche und Jahr (GdK 5), Regensburg 1983, 35–49.

12 Vgl. A. Heinz, Der Tag, den der Herr gemacht hat. Gedanken zur Spiritualität des Sonntags, in: ThGl 68 (1978) 40–61, bes. 40–48. Nachdruck in diesem Band.

13 Vgl. 1 Kor 11,17–34; Heinz, Tag (wie Anm. 12), 48–51.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 13

nicht gab, sondern in der Feier der Sonntagseucharistie. Der bereits zitierte Sonn-tagsartikel des Zweiten Vatikanums trifft deshalb ins Schwarze, wenn er als über-zeitlich gültigen Imperativ der christlichen Sonntagsbegehung herausstellt: „An diesem Tag müssen die Christgläubigen zusammenkommen, um das Wort Gottes zu hören, an der Eucharistiefeier teilzunehmen und so des Leidens, der Auferste-hung und der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu gedenken und Gott dankzusagen, der sie ‚wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten‘ (1 Petr 1,3).“ (SC 106).

Wir haben in dieser Sache aus vorkonstantinischer Zeit das klare Zeugnis Justins des Märtyrers (†165). Im 67. Kapitel seiner um die Mitte des zweiten Jahr-hunderts verfassten 1. Apologie klärt er seine heidnischen Adressaten über die Gottesdienstpraxis der Christen auf. Er schreibt: „An dem so genannten Sonn-Tag (≤ toË ≤l¤ou legom°nh ≤m°ra) findet eine Zusammenkunft am gleichen Ort all jener statt, die in den Städten oder auf dem Land wohnen.“14 In dieser Vollver-sammlung, so erfahren wir weiter, werden Lesungen aus den Schriften der Apostel und Propheten vorgetragen. Der Gottesdienstleiter, konkret ist es der Ortsbischof oder ein Presbyter, hält danach eine Ansprache. Dann stehen alle zum gemeinsa-men Gebet in verschiedenen Anliegen und für unterschiedliche Personen auf. Die solchermaßen erlebte Gebetsgemeinschaft wird durch den Friedenskuss, den alle untereinander tauschen, besiegelt. Anschließend werden Brot, Wein und Wasser herbeigebracht. Der Vorsteher spricht mit eigenen Worten über die bereitgestell-ten Gaben ein großes Dankgebet, das die ganze Versammlung mit ihrem „Amen“ bekräftigt. Dann wird „das, worüber Dank gesagt wurde“, den Anwesenden ausgeteilt und den abwesenden Gemeindemitgliedern durch Diakone überbracht. Justin nennt an anderer Stelle die durch das Gebet des Bischofs oder Priesters geheiligten Gaben von Brot und Wein „Eucharistie“. Er betont, dass sie Leib und Blut „des Fleisch gewordenen Jesus“ sind, deren Genuss nur den getauften und an der Lehre Christi festhaltenden Gläubigen erlaubt ist.15 Justin vergisst nicht, eigens die soziale Komponente des christlichen Sonntagsgottesdienstes zu erwähnen: Wer dazu in der Lage ist, hinterlegt etwas beim Gemeindevorsteher, damit den Not Leidenden geholfen werden kann.16 Hier treffen wir auf die von den heidnischen Zeitgenossen viel bewunderte christliche Caritas, die liturgisch verwurzelt ist und in dem römischen Märtyrer-Diakon Laurentius (†258) ihre strahlende Verkörpe-rung gefunden hat.17

Auf den ersten Blick überrascht, dass in diesem Dokument ein christlicher Au-tor den wöchentlichen Gottesdiensttag der Christen nicht mit seinem christlichen

14 Justin., 1 Apol. 67,3; eigene Übersetzung; vgl. die Kommentierung der Justin-Stelle bei H. B. Meyer, Eucharistie. Geschichte. Theologie, Pastoral (GdK 4), Regensburg 1989, 100–104; J. A. Jungmann, Missarum Sollemnia, 2 Bde., Wien 51968, Bd. 1, 29–33.

15 Justin., 1. Apol. 65 und 66. 16 Vgl. ebd., 67. 17 Laurentius war römischer Diakon unter Papst Sixtus II. (257–258); vgl. unseren Beitrag über

Laurentius in diesem Band. Zum konstantinischen Kirchenbauprogramm gehörte auch die Errichtung der Memorialbasilika San Lorenzo fuori le mura an der Via Tiburtina. In der Basilika Konstantins führte eine Treppe hinunter zum in situ belassenen Märtyrergrab; vgl. A. Weiland, Art. Laurentius, in: LThK 6 (Freiburg 31997), 588f.

Liturgie im Werden14

Namen nennt. Mit merkwürdiger Umständlichkeit spricht Justin von dem „so genannten Tag der Sonne“.18 Die Erklärung ist einfach: Justins Apologie richtet sich an einen heidnischen Adressatenkreis, der mit dem Ausdruck „Herrentag“ nichts hätte anfangen können. Aber auch der Name „Sonn-Tag“ war offenbar in diesen Kreisen um diese Zeit noch nicht allgemein rezipiert. Dieser Name klang, wie Martin Wallraff in seiner Monographie über „Sonnenverehrung und Christen-tum in der Spätantike“ nachgewiesen hat, auch für heidnische Ohren damals noch neu und ungewohnt. An anderer Stelle hält es Justin nämlich für nötig zu erklären, dass mit diesem „Sonn-Tag“ der Tag nach dem seinem Publikum offenbar vertrau-teren Saturntag gemeint ist.19 Der Saturntag, unserem Samstag entsprechend, hatte sich unter dem Einfluss der jüdischen Sabbatfeier auch in heidnischen Kreisen als eine Art Wochenfeiertag im Kontext der sich allmählich im Imperium Romanum etablierenden Sieben-Tage-Woche herausgebildet. Die Sieben-Tage wurden im pa-ganen Milieu jedoch nach den Planeten unseres Sonnensystems benannt, zu denen nach damaliger Vorstellung auch Sonne und Mond gehörten. In dieser heidnischen Planetenwoche20, die sich im zweiten Jahrhundert herausbildete und im Laufe des dritten allgemein durchsetzte, gab das lichtstärkste Gestirn, die Sonne, dem ersten Tag seinen Namen, der Mond dem zweiten; die folgenden Tage trugen ebenfalls Planetennamen, die in den romanischen Sprachen bis heute weiterleben. In der Spätantike war diese Planetenwoche aufs Engste mit dem paganen Astralkult ver-knüpft. Die Christen standen ihr deshalb – wegen dieser polytheistischen Konta-mination – höchst reserviert gegenüber. Doch entdeckten sie gewiss zu ihrer Freu-de eine erstaunliche Übereinstimmung: In dem neuen Sieben-Tage-Zyklus war ihr Gottesdiensttag, der „Herrentag“, dabei, sich auch bei den Heiden als der erste Tag der Woche und – aufgrund der sich intensivierenden Sonnenverehrung – als ein besonderer Tag zu etablieren. Das bot missionsstrategische Anknüpfungspunkte. So versäumt es Justin nicht, seine heidnischen Leser darauf hinzuweisen, dass der „Sonnen-Tag“ auch für die Christen der erste Tag ist, allerdings nicht wegen der Dignität des Sonnengestirns und Sonnengottes. Für sie ist er der erste als Anfangs-tag der Schöpfung und – so Justin wörtlich –, „weil Jesus, unser Erlöser, an diesem Tag von den Toten auferstanden ist.“21

Martin Wallraff hat darauf aufmerksam gemacht, dass die in konstantinischer Zeit allgegenwärtige „Sol-Christologie“22 als Interpretationsmodell für eine christ-

18 Vgl. zu den folgenden Ausführungen besonders M. Wallraff, Christus Versus Sol. Sonnenver-ehrung und Christentum in der Spätantike, Münster 2001, 89–96.

19 Vgl. Justin., 1 Apol. 67; vgl. Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 90. 20 Vgl. F. J. Dölger, Sol salutis. Gebet und Gesang im christlichen Altertum (LQF 4/5), Münster

31972; Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 90–96 und die dort diskutierte ältere Literatur. Der als Erzieher Gratians um 365 nach Trier berufene, hochgebildete, zum Christentum konvertierte Rhetor Ausonius besingt die klassischen Planetennamen der Woche in einem Gedicht De no-minibus septem dierum; vgl. Aus. 5,1 (MGH. AA 5,2,9 Schenkel). Es beginnt und schließt mit dem Sonntag als dem achten Tag, wobei der christliche Sonntagsname aber unerwähnt bleibt; es ist am Anfang und Ende nur von Sol die Rede.

21 Justin., 1. Apol. 67. 22 Vgl. dazu Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 41–59; dort auch die Einzelbelege zu den folgenden

Ausführungen.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 15

liche Deutung des von Hause aus heidnischen Namens „Sonn-Tag“ bei Justin noch fehlt. Ansätze dazu finden sich dann aber schon bei Tertullian (†220), Klemens von Alexandrien (um 220) und vor allem Origenes († um 253), doch eher sparsam und zurückhaltend. Denn eine vorschnelle Deutung der „göttlichen Sonne“ auf Chris-tus, den die Christen als das wahre „Licht der Welt“ (Joh 8,12) bekannten und den sie beim Propheten Maleachi (Mal 3,20) als die aufgehende „Sonne der Gerechtig-keit“ vorausgesagt fanden, war insofern gefährlich, als eine solche Gleichsetzung nicht klar zu trennen gewesen wäre von dem paganen Astralkult, der seine Götter in den übrigen Wochentagsnamen wiedererkannte. Trotzdem drang der neue Name „Sonn-Tag“ mit der faktischen Etablierung der Planetenwoche im Laufe des 3. Jahrhunderts auch in den christlichen Sprachgebrauch ein, besonders im lateinischen Westen. Grabinschriften belegen dies, allerdings nur in Einzelfällen.23

Zusammenfassend lässt sich feststellen: An der Schwelle der konstantinischen Ära ist der Sonntag für die Christen ihr allwöchentlicher Gottesdiensttag. In ihren Kreisen heißt der Tag „Herrentag“. An ihm kommen sie zusammen, um aus ihren heiligen Schriften zu lesen und Eucharistie zu feiern. Diese Sonntagsversammlung ist für sie lebens- und überlebenswichtig, weshalb sie auch in Zeiten der Verfolgung trotz staatlicher Sanktionen durchgehalten wird. Nicht alle Gemeindemitglieder werden allerdings den Heldenmut der nordafrikanischen „Sonntagsmärtyrer“ von Abitinae besessen haben. Trotz akuter Gefahr für Leib und Leben waren diese der Sonntagseucharistie nicht fern geblieben und sie waren dafür in den Tod gegan-gen.24 Dass wir aber auch in der Märtyrerzeit keine Idealverhältnisse voraussetzen dürfen, beweist ein Beschluss der Provinzialsynode von Elvira in Südspanien aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts.25 Dort wurde sinngemäß bestimmt: Ein in der Stadt lebender Gläubiger, der an drei aufeinander folgenden Sonntagen nicht zur Kirche kommt, ist zu maßregeln; er soll eine gewisse Zeit lang (pauco tempore) vom Eucharistieempfang ausgeschlossen werden.

b) Konstantins Sonntagsgesetzgebung

Als diese Synode tagte, war der Sonntag noch ein gewöhnlicher Arbeitstag. Zwar war im Zuge der sich zunehmend ausbreitenden, seit der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts auch von höchster Warte als Staatskult geförderten Sonnenverehrung „der nach der Sonne benannte Tag“ dabei, nach und nach auch in heidnischen Bevölkerungskreisen Feiertagscharakter anzunehmen. Doch die entsprechende bis heute geltende amtliche Regelung erfolgte erst in konstantinischer Zeit. Am 3. Juli 321 erließ Kaiser Konstantin sein Sonntagsdekret, dessen Wortlaut uns glücklicherweise überliefert ist. Es besagt: Alle Richter, die Stadtbewohner und Gewerbetreibende sollen am „verehrungswürdigen Sonn-Tag“ (venerabili die

23 Vgl. ebd., S. 95f. 24 Im Verhör gaben sie zu Protokoll, dass Christen ohne die Sonntagseucharistie nicht leben

könnten; vgl. Passio SS. Dativi, Saturnini, Presbyteri et aliorum, in: A.-G. Martimort u. a. (Hg.), Handbuch der Liturgiewissenschaft, 2 Bde., Freiburg 1963/1965, Bd. 2, 215.

25 Gewöhnlich wird die Synode in das Jahr 306 datiert; vgl. can. 21 (Mansi, Bd. 2, S. 9); vgl. Auf der Maur, Zeit (wie Anm. 11), 41.

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solis) die Arbeit ruhen lassen. Die Landbevölkerung bleibt aber frei, ihrer Arbeit nachzugehen, besonders zur Zeit der Aussaat und wenn die Witterung dazu rät.26

Es handelt sich also nicht um eine totale, aber doch weitgehende Sonntagsruhe. Sie betrifft alle Staatsgeschäfte sowie Handel und Gewerbe, lässt aber der witte-rungsabhängigen Landwirtschaft einen Freiraum. Vielfach hat man diese Maßnah-me Konstantins als bewusste und gewollte Privilegierung der christlichen Sonn-tagsfeier verstanden. Doch das Dekret hatte keineswegs nur die Christen im Blick. Der christliche Sonntagsname kommt darin nicht vor, noch wird das erwähnt, was für die Christen das Wichtigste am Sonntag ist: der Gottesdienst. Nicht von der dies dominica spricht der Kaiser, sondern vieldeutig vom venerabilis dies solis, der durch Arbeitsenthaltung geehrt werden soll.

Den Christen war dieser Erlass gleichwohl willkommen, da er bessere Rah-menbedingungen für die Feier der Sonntagseucharistie schuf. Diese konnte nun aus der frühen Morgenstunde in den hellen Tag verlegt werden. Als klassische „Zeit der Messe“ setzte sich in der Folgezeit die dann auch symbolisch gedeutete hora tertia durch, also etwa 9.00 Uhr unserer Zeitrechnung.27 Die von der staatli-chen Autorität verfügte Arbeitsruhe wurde in diesem Sinn von der Kirche als ein Entgegenkommen gegenüber ihrer Sonntagstradition durchaus begrüßt. Sie wurde aber nicht als wesentlicher Bestandteil der christlichen Sonntagsfeier – etwa im Rückgriff auf das biblische Sabbatgebot – besonders urgiert. Solche Tendenzen beobachten wir – sieht man von einem singulären Versuch in einem Spätwerk des Eusebius ab28 – erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts.

Nicht weniger als die Christen konnten andere religiöse Strömungen in die-sem Dekret Konstantins eine wohlwollende Geste ihnen gegenüber erblicken. Den Anhängern des Mithraskults, in dem die Verehrung der „göttlichen Sonne“ eine besondere Rolle spielte, musste die Privilegierung des Sonn-Tages höchst willkommen sein. Vor allem aber ist Konstantins Erlass in Verbindung mit dem Kult des Sol invictus zu sehen. „Seit Aurelian war dieser Kult zur staatstragen-den Kraft aufgestiegen und stand in enger Verbindung zum Kaiserkult. Doch der Kult wurde nicht nur offiziell und von oben gefördert, sondern er war auch enorm populär und erfreute sich besonders im Heer großer Beliebtheit. Die Aus-zeichnung des Sonn-Tages musste dieser Tradition Auftrieb verschaffen – und daher die Stellung des Kaisers stärken.“29 Letzteres dürfte Konstantin vor allem im Sinn gehabt haben. Er betrachtete seit seiner Lichtvision im Jahre 310 den Sol invictus als persönlichen Schutzgott.30 So kam sein bewusst offen und vieldeutig formuliertes Sonntagsdekret den verschiedenen großen religiösen Bewegungen der Zeit entgegen, die sich auf ihre Weise darin eingeschlossen und mitgemeint fühlen

26 Vgl. Eus., Vita Constantini 4,23; der Wortlaut in deutscher Übersetzung und mit Kommentar bei Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 96–102.

27 Vgl. Jungmann, Missarum (wie Anm. 14), Bd. 1, 323–325. 28 In seinem Psalmenkommentar bietet Eusebius zu Psalm 92/91 eine ausführliche Sabbattheo-

logie; dort taucht der Gedanke der Übertragung des Ruhegebots vom Sabbat auf den Sonntag auf; vgl. Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 100f.

29 Ebd., 97. 30 Vgl. ebd., 127–131.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 17

konnten. Wallraff sieht die Genialität dieses knappen und nüchternen Dekrets in seinem „integrativen Potential“31; in dieser Hinsicht ist es typisch für die gesamte Religionspolitik Konstantins.

Wie sah das christliche Echo auf diese kaiserliche Maßnahme aus? Es versteht sich von selbst, dass Christen und Juden es gut fanden, dass die biblisch begründete Sieben-Tage-Woche in Gestalt der Planetenwoche nun offiziell im ganzen Imperi-um Romanum verbindlich geworden war. Auch die Auszeichnung des christlichen Gottesdiensttages als Wochenfeiertag war – wie bereits erwähnt – eine willkom-mene Regelung. Doch selbst einem kaiserfrommen Kirchenmann wie Bischof Eusebius entging nicht die Zwiespältigkeit, ja Gefährlichkeit der konstantinischen Sonntagsgesetzgebung. Sie war nämlich dazu angetan, dem paganen Sonnenkult kräftigen Auftrieb zu geben.

Diese Gefahr ist noch greifbarer in den Ausführungsbestimmungen des Sonn-tagsdekrets. So berichtet Eusebius, der Kaiser habe angeordnet, dass die Soldaten am arbeitsfreien Sonntag zu einem Sonntagsgebet unter freiem Himmel anzutreten hatten.32 Auf Kommando sprachen sie eine Gebetsformel gemeinsam im Chor. Den Text hat nach Eusebius Konstantin selbst verfasst. Er lautet:

„Dich allein erkennen wir als Gott, dich bekennen wir als König, dich rufen wir an als Helfer, von dir erflehen wir den Sieg, durch dich überwinden wir unsere Feinde, dir sind wir dankbar für die Gaben der Vergangenheit, auf dich hoffen wir auch für die Zukunft, zu dir kommen wir alle und bitten dich: Erhalte unseren Kaiser Konstantin und seine gottgeliebten Söhne heil und siegreich in einem langen Leben.“33

Auch in diesem Fall begegnet uns ein Text von vager Offenheit und Vieldeutigkeit. Sein integratives Potential ist so weit gespannt, dass christliche Soldaten das mo-notheistisch formulierte Sonntagsgebet mitsprechen konnten. Doch bedenkt man den „Sitz im Leben“, liegt ein solares Verständnis näher als ein christliches. Unter offenem Himmel, nach Osten, der aufsteigenden Sonne zugewandt, am „vereh-rungswürdigen Tag der Sonne“, erflehen Konstantins Truppen den Sieg über die Feinde des Reiches von einem Gott, der als Geber aller Gaben und als Schutzgott der konstantinischen Dynastie angerufen wird. Das lässt eher an den Sol invictus denken als an Jesus Christus. Insofern ist es verständlich, dass Eusebius sichtlich bemüht ist, in seiner Schilderung des Sachverhalts, die von Konstantin favorisier-te Benennung des hervorgehobenen Tages, nämlich Dies Solis – „Sonn-Tag“, zu marginalisieren und ins Christliche umzubiegen. Für ihn ist dieser Tag „der Tag des Herrn und Erlösers“, der lediglich „zufällig“ auch als „Tag des Lichtes und

31 Vgl. ebd., 98. 32 Vgl. Eus., Vita Constantini 4,19. 33 Ebd., 4, 20; die Übersetzung (Pfättisch, 157) wurde von uns leicht überarbeitet; vgl. auch

Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 98f.

Liturgie im Werden18

Tag der Sonne“ bezeichnet werde.34 Auch Konstantins Sonntagsgebet konnte sich Eusebius nicht von christlichen Soldaten gesprochen vorstellen. Es dürfte wohl auf das Konto der eusebianischen Interpretation der konstantinischen Sonntagsgesetz-gebung gehen, wenn Eusebius in seiner Vita Constantini berichtet, die christlichen Soldaten seien zum Besuch der Sonntagseucharistie abkommandiert worden35; das kaiserliche Sonntagsgebet wäre dann nur Sache der Nichtchristen im Heer gewesen.

Der Kaiser hatte den „ehrwürdigen Sonnen-Tag“ zum Wochenfeiertag erklärt. Die Kirche, als deren Interpreten wir Eusebius in dieser Sache ansehen dürfen, tat so, als habe Konstantin den Sonntag zum allgemeinen Gebets- und Gottesdienst-tag gemacht. Dabei wird der Gottesdienst in der kaiserlichen Verordnung gar nicht erwähnt. Doch er war und bleibt das Herzstück der christlichen Sonntagsfeier. Deshalb stellt Eusebius, bevor er vom vorgeschriebenen Sonntagsgebet der Solda-ten spricht, den Kaiser selbst als Muster und Vorbild christlicher Sonntagsfröm-migkeit heraus: Im Kaiserpalast in Konstantinopel hatte er – so informiert uns Eusebius36 – einen Gebets- und Gottesdienstraum, „eine Art Kirche“, einrichten lassen. Konstantin gab allen Palastbewohnern und Bediensteten ein Beispiel, in-dem er sich dorthin zur Schriftlesung und Betrachtung zurückzog; er war selbst zugegen, wenn das Palastpersonal dort gemeinsam betete. Der Sonntag hatte, so umschreibt Eusebius die entsprechende konstantinische Verordnung, fortan als „der dem Gebet geweihte Tag“ zu gelten. Diakone und andere ehrenwerte Män-ner wachten im Kaiserpalast über den sakralen Charakter des Tages, an dem der Kaiser sich selbst seinen Untergebenen als „Lehrer der Frömmigkeit“ zeigte und sie anstiftete, auch ihrerseits am Sonntag ihr Gebete zu verrichten. Das sollten nach seinem Willen nach und nach alle Bürger des römischen Reiches tun. Für die kaiserlichen Truppen erging ein entsprechender Befehl.37 Wann das erwähnte Sonntagsgebet der Soldaten angeordnet wurde, wissen wir nicht; sicher erst nach 321, vermutlich erst nach dem Sieg über Licinius (324).

3. Der Ostertermin und die Entfaltung der Osterfeier

An der Schwelle der konstantinischen Zeit gab es für die Christen nur ein einziges Jahresfest, das von allen und überall gefeiert wurde. Dieses Fest hatte bei ihnen wie bei ihren jüdischen Zeitgenossen den biblischen Namen „Pascha“. Die Christen feierten es auch am jüdischen Festtermin, oder doch in seiner unmittelbaren Nähe. Dieser Termin ist nach Ex 25,1–14 der 14. Tag des ersten Monats im neuen Jahr, das der jüdische Mondkalender im Frühling beginnen ließ.38

34 Vgl. Eus., Vita Constantini 4,18. 35 Vgl. ebd. 36 Vgl. ebd., 4,17.18. 37 Vgl. oben Anm. 32. 38 Zur frühchristlichen Paschafeier und ihrem jüdischen Wurzelgrund vgl. den Überblick mit

weiterführenden Literaturangaben bei Auf der Maur, Zeit (wie Anm. 11), 56–70; vgl. ferner W. Huber, Passa und Ostern. Untersuchungen zur Osterfeier der alten Kirche, Berlin 1969; K. Gerlach, The Antenecene Pascha, Leuven 1998.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 19

Das Fest begann gegen Abend des 14. Nisan mit der Schlachtung des Pascha-Lammes. Im Zentrum des Festes stand – und steht noch immer – ein rituell reich ausgestaltetes nächtliches Mahl. Der Festtermin ist also die Nacht vom 14. auf den 15. Nisan, die, weil sie in der Mitte des mit dem Neumond beginnenden Monats liegt, immer eine Vollmondnacht ist. Es schließen sich die sieben Tage der ungesäu-erten Brote (Mazzot) an (Ex 12,15–20). Die jüdische Pascha-Feier kannte zur Zeit Jesu und der Apostel zudem bereits eine 50-tägige Nachfeier. Sie fand nach sieben Mal sieben Tagen mit dem „Wochenfest“ (Ex 34,22) am 50. Tag ihren krönenden Abschluss.39

a) Verschiedene Termine der christlichen Pascha-Feier

Wir haben im Neuen Testament Anzeichen dafür, dass diese jüdischen Festtermine auch für die Christen von Anfang an Bezugsgrößen waren und blieben. Man darf etwa an die nächtliche Befreiung des Petrus aus dem Kerker denken, von der die Apostelgeschichte sagt, sie sei in den „Tagen der Ungesäuerten Brote“ geschehen (Apg 12,1–17). Diese waren somit auch für die Christen Anlass für eine nächtliche Gebetsversammlung, liturgisch gesprochen eine Vigilfeier. Auch das Pfingstereig-nis der Geistsendung setzt eine christliche Gebetsversammlung am fünfzigsten Tag der jüdischen Pascha-Feier voraus (Apg 2,1). Die Mehrheit der Forscher nimmt denn auch an, dass die christliche Pascha-Feier bis in die apostolische Zeit zurück-reicht. Denn es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass jedes Mal, wenn das jüdische Pascha-Fest anbrach, die Christen nicht an das gedacht hätten, was an einem sol-chen jüdischen Pascha-Fest mit Jesus von Nazareth geschehen war. Dieses Geden-ken war gewiss nicht bloß eine subjektive Erinnerung, sondern ein gemeinsames kultisches Gedenken. Seinen wesentlichen Inhalt bringt Paulus schon ins Wort, wenn er im Blick auf die Schlachtung der Osterlämmer im Vorhof des damals noch unzerstörten Jerusalemer Tempels im 1. Korintherbrief (1 Kor 5,7) schreibt: „Als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden.“ Der vierte Evangelist sieht ebenfalls das Vorausbild des geschlachteten Pascha-Lammes in jenem Augenblick erfüllt, als der Soldat die Seite Christi durchbohrte (vgl. Joh 19,34). Nach ihm ge-schah das genau zu dem Zeitpunkt, als im Vorhof des Tempels die Pascha-Lämmer geopfert wurden. Auch die Abendmahlsberichte und die Passions- und Osterbe-richte des Neuen Testaments scheinen ihren „Sitz im Leben“ in der christlichen Pascha-Feier der apostolischen Zeit zu haben.

Es dürfte am Anfang wohl auch so gewesen sein, dass sich die ja in ihrer Mehr-zahl aus dem Judentum gekommenen Christen exakt an den jüdischen Festtermin gehalten haben. Auch für sie war die Nacht vom 14. auf den 15. Nisan weiterhin die große Nacht des Wachens für den Herrn. Bei ihrer liturgischen Nachtwache wurden allerdings die Pascha-Ereignisse des Alten Testaments im Licht ihrer Er-füllung gesehen: Was Gesetz und Propheten in Worten und Zeichen vorausgesagt und angedeutet hatten, war durch die Passion, den Tod und die Auferstehung Jesu verwirklicht worden; erst das Pascha Christi hat die tatsächliche und ewige

39 Vgl. Auf der Maur, Zeit (wie Anm. 11), 81.

Liturgie im Werden20

Erlösung bewirkt (vgl. Hebr 9,12). Die ältesten Osterhomilien aus der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts – zu denken ist vor allem an Melito von Sardes40 – sind Pa-radebeispiele dieser christlichen Um- und Neuinterpretation von Ex 12–14. Die Osterlamm-Typologie und ihr Anti-Typos, die Passion Christi, spielen in ihnen eine zentrale Rolle.

Mit dem Namen „Pascha“ konnten griechischsprachige Christen zudem leicht das Verb pãsxein, was „leiden“ bedeutet, assoziieren. An Eindruck gewinnt dieses Bild vom geopferten Lamm, das in der Passion Christi seine Erfüllung fand, zu-sätzlich durch die Tatsache, dass die Kirchen Kleinasiens, wo diese Osterhomilien gehalten wurden, damals nachweislich Ostern am jüdischen Termin gefeiert haben. Ihr Ostern war immer noch die Nacht vom 14. auf den 15. Nisan. In dieser quar-todezimanischen Observanz, wie die Forschung diese Tradition nennt, gab es so etwas wie einen Ostersonntag nicht. Ostern konnte – wie das jüdische Pesach – auf jeden beliebigen Wochentag fallen.41

Daneben bestand in der frühen Kirche aber noch eine andere Tradition der Osterfeier. Sie dürfte ebenfalls bis in die apostolische Zeit zurückreichen. Ihr sollte die Zukunft gehören. Seit dem von Konstantin nach Nizäa einberufenen ersten Ökumenischen Konzil (325) hat sie sich endgültig und allgemein durchgesetzt. Es ist die dominikale Observanz. Sie legt Wert darauf, dass die Christen das Pascha-Fest nicht mit den Juden zusammen, sondern jenseits des Frühlingsäquinoktiums am Sonntag nach dem 14. Nisan begehen. Es dürfte die heidenchristlich geprägte Kirche von Antiochien in Syrien gewesen sein, in der dieser Brauch zuerst aufkam. Es drückt sich in ihm die christliche Neubewertung und hohe Wertschätzung des Sonntags aus. Wenn allwöchentlich am Sonntag, dem Auferstehungstag, in der Ge-meindeeucharistie des Herrn und seines Erlösungswerks gedacht wurde, dann soll-te dieses Gedächtnis alljährlich am Pascha-Sonntag in besonderer Weise begangen werden. Dieser Sonntag nach der jüdischen Pesach-Feier musste im Bewusstsein der Christen zu einem Sonntag mit besonderem Relief werden. Er war gleichsam der Jahrgedächtnistag des Pascha Christi, besonders seiner Auferstehung.

Ostern wird also in dieser dominikalen Observanz grundsätzlich immer an einem Sonntag, und zwar am Sonntag nach dem 14. Nisan, gefeiert. Die Nähe zum jüdischen Termin bleibt erhalten, doch der christliche Eigencharakter des Festes wird durch das den Christen eigentümliche Ostersonntagsdatum stärker betont. Die Tatsache, dass die Mehrzahl der Christen auf diese Weise in bewusster Distan-zierung zum jüdischen Termin ihr Pascha-Fest feierte, ist ein wichtiges Element der Identitätsfindung der jungen Kirche in Abgrenzung zum Judentum.

40 Vgl. die kommentierte deutsche Übersetzung von J. Blank, Melito von Sardes: Vom Pascha. Die älteste christliche Osterpredigt (Sophia 3), Freiburg 1963; Gerlach, Pascha (wie Anm. 38), 61–78.

41 Vgl. die eingehende Untersuchung von A. Strobel, Ursprung und Geschichte des frühchrist-lichen Osterkalenders, Berlin 1977; ferner Auf der Maur, Zeit (wie Anm. 11), 66f.; Gerlach, Pascha (wie Anm. 38), 319–387.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 21

b) Der „Osterfeststreit“ des 2. Jahrhunderts

Diese Feierpraxis wurde früh in zwei führenden christlichen Zentren rezipiert: in Rom und in Alexandrien. Dagegen blieben die traditionsreichen Kirchen im Wes-ten Kleinasiens bei ihrer quartodezimanischen Observanz. Die Kirchengeschichte weiß vom „Osterfeststreit“ in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts.42 Es waren wahr-scheinlich die speziellen Verhältnisse der multikulturellen Haupt- und Weltstadt Rom, die den dortigen Bischof damals veranlassten, in der Frage des Ostertermins auf Einheitlichkeit zu drängen. In seiner Hauptstadtgemeinde gab es nämlich Christen aus allen Provinzen des Imperiums, gewiss auch solche aus Kleinasien. Diese scheinen auch in Rom an ihrer heimischen Osterobservanz festgehalten zu haben, so dass sie mit den Juden schon Pascha feierten, während die ortsansässigen Christen in Erwartung ihres Ostersonntags noch fasteten. Führende Bischöfe aus den kleinasiatischen Metropolen Ephesus und Smyrna reisten damals nach Rom. Sie konnten sich mit ihrem römischen Amtskollegen nicht auf einen einheitli-chen Ostertermin einigen. Es gab aber auch kein Schisma. Man verständigte sich dahingehend, dass die einzelnen Ortskirchen ihre eigene Tradition beibehalten sollten. Das war eine irenische Lösung im Geist des späteren weisen Grundsatzes von Papst Gregor I. (590–604): In una fide nil officit consuetudo diversa, was so viel heißt wie: „Wenn nur der Glaube derselbe ist, dann schaden unterschiedliche Gottesdienstgewohnheiten nichts.“43

c) Die Frage des Ostertermins auf dem Konzil von Arles (314)

Bei Regierungsantritt Kaiser Konstantins war das Anliegen eines einheitlichen Ostertermins für die ganze katholische Kirche noch immer unerfüllt. Zwar waren im Laufe des 3. Jahrhunderts die Kirchen Kleinasiens zur dominikalen Observanz übergegangen. Abgesehen von einigen Rand- und Splittergruppen im Osten spielte der 14. Nisan selbst als christlicher Ostertermin keine Rolle mehr. Aber weil es keine verbindliche Regelung für alle gab, folgten die einzelnen Ortskirchen ihren eigenen Berechnungen. Das führte nicht selten zu unterschiedlichen Ostertermi-nen in den verschiedenen Regionen. Deshalb verwundert es nicht, dass die Frage eines einheitlichen Osterdatums nicht erst auf dem ersten Ökumenischen Konzil in Nizäa (325) besprochen wurde; sie stand schon auf der Tagesordnung des Kon-zils von Arles (314).44

Vergegenwärtigen wir uns zunächst den zeitgeschichtlichen Rahmen. Voraus-gegangen war das Toleranzedikt des Galerius von 311. Dann 313 das so genannte Edikt von Mailand. Die katholische Kirche war fortan eine legale Religionsge-meinschaft im Römischen Reich. Dieser neue Freiraum begünstigte die Aus-tauschbeziehungen zwischen den einzelnen Ortskirchen. Unterschiede wurden

42 Vgl. W. A. Bienert, Art. Osterfeststreit, in: LThK 7 (Freiburg 31998), 1171–1173. 43 Vgl. dazu A. Heinz, Gregor der Große und die römische Liturgie, in: LJ 54 (2004) 69–84, bes.

82–84. Nachdruck in diesem Band. 44 Vgl. Concilia Galliae (CCL 148), S. 3–24; eine gute Übersicht über die Konzilsbeschlüsse und

eine Skizze des zeitgeschichtlichen Kontextes bietet Heinen, Trier (wie Anm. 2), 63–75.

Liturgie im Werden22

bewusster wahrgenommen und stärker als störend empfunden. Der Kaiser hatte ein Interesse an einer in Lehre und Disziplin geeinten Kirche.

Nach dem Sieg Konstantins über seinen Gegenspieler Maxentius an der Mil-vischen Brücke im Oktober 312 fielen mit dem Herrschaftsbereich des Besiegten, Italien und Nordafrika, auch die ungelösten Probleme dieser Gebiete dem neuen Herrscher zu. In Afrika war in der Kirche von Karthago eine Spaltung entstan-den. Weil die um 309 erfolgte Wahl und Weihe des neuen Bischofs Caecilianus in ihrer Legitimität umstritten war (im Hintergrund stand das Problem der lapsi), hatte eine regionale Bischofsversammlung einen Gegenbischof gekürt, zunächst Maiorinus, dann Donatus. Das war der Anfang des donatistischen Schismas, das bis ins 6. Jahrhundert fortdauern sollte.45 Konstantin versuchte den Konflikt schon 313 auf einer Synode in Rom bereinigen zu lassen, was aber nicht gelang. Daraufhin berief der Kaiser zum 1. August 314 eine neue Bischofsversammlung nach Arles ein. Es war kein Ökumenisches Konzil, aber doch eine repräsentative Versammlung des Episkopats der westlichen Reichshälfte. Wie die römische Sy-node entschied auch das Konzil von Arles gegen die Donatisten, die sich dieser Entscheidung aber nicht beugten.

Das Konzil von Arles befasste sich außer mit der Donatistenfrage auch mit „ur-eigenen Angelegenheiten“ disziplinärer Art. Die dort versammelten 33 Bischöfe teilten nach Abschluss ihrer Beratungen die gefassten Beschlüsse dem nicht anwe-senden Bischof von Rom, Papst Silvester I. (314–335), mit. Bemerkenswerterweise steht in der Reihe der Canones an erster Stelle der Beschluss über den Ostertermin. Er lautet: „Was die Beobachtung des Pascha-Festes des Herrn betrifft, (wurde be-schlossen), dass es an ein und demselben Tag und zu ein und derselben Zeit auf der ganzen Welt von uns beobachtet werde, und dass der Gewohnheit entsprechend du es seist, der die (Oster-)Briefe an alle richtet.“46

Die in Arles versammelten Bischöfe aus dem lateinischen Westen kannten als eigene Praxis nur die Osterfeier am Sonntag, und zwar am Sonntag nach dem 14. Nisan, jenseits des Frühlingsäquinoktiums. So hielt es auch die römische Kirche. Wenn die Konzilsväter trotzdem eine einheitliche Regelung für „die ganze katho-lische Welt“ verlangten, dürften sie wohl weniger an die Restgruppen von Quar-todezimanern im fernen Osten gedacht haben, als an Abweichungen im Westen. Die eigenen Berechnungen des Ostertermins führten nicht immer zu dem gleichen Ergebnis. Die Folge war eine Pascha-Feier der einzelnen Ortskirchen an unter-schiedlichen Ostersonntagen. Um eine einheitliche Feierpraxis zu garantieren, bekräftigte deshalb das Konzil eine im lateinischen Westen schon bestehende, aber wohl noch nicht konsequent praktizierte Gewohnheit: In Zukunft sollte es Sache des Bischofs von Rom sein, rechtzeitig durch einen Brief allen anderen Bischöfen den korrekten Ostertermin des jeweiligen Jahres mitzuteilen.

Dass diese Aufgabe dem Bischof von Rom zuerkannt wurde, bestätigte und stärkte dessen Autorität. Doch darf diese Weisungsbefugnis in der Frage des Os-tertermins nicht vorschnell als Beweis für einen universellen Jurisdiktionsprimat

45 Vgl. B. Kriegbaum, Art. Donatismus, in: LThK 3 (Freiburg 31995), 332–334. 46 Nach der Übersetzung von Heinen, Trier (wie Anm. 2), 67.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 23

des Papstes in Anspruch genommen werden. Wenn in Arles von einer Regelung für die „ganze Welt“ geredet wurde, dachten die Teilnehmer dieses westlichen Regio-nalkonzils tatsächlich nur an ihr Territorium, den lateinischen Westen. Auch ist zu beachten, dass die Durchführung dieser Grundsatzentscheidung nicht störungsfrei funktionierte. Jedenfalls haben wir noch Ende des 4. Jahrhunderts Belege dafür, dass selbst große Ortskirchen wie Rom und Mailand in manchen Jahren Ostern nicht am gleichen Sonntag gefeiert haben.47

d) Die gesamtkirchliche Regelung des Konzils von Nizäa (325)

Für die gesamte Reichskirche wurde die Frage des korrekten und einheitlichen Ostertermins auf dem ersten Ökumenischen Konzil erneut aufgegriffen.48 Kon-stantin hatte es, nachdem er im Jahre 324 Licinius besiegt hatte und damit auch Al-leinherrscher über den Osten des Imperiums geworden war, zum 20. Mai 325 nach Nizäa einberufen. Dem Kaiser ging es vor allem um eine Einigung im Streit mit den Anhängern des Arius. Die ökumenische Bischofsversammlung sollte sich auf ein einheitliches Christus-Bekenntnis einigen. Doch neben dem christologischen Hauptthema wurden auch Fragen der Kirchendisziplin verhandelt und entschie-den. Was den Ostertermin betrifft, schweigen die auf uns gekommenen Canones zwar darüber.49 Dass das Konzil sich aber auch mit dieser Frage befasst und eine Regelung getroffen hat, erfahren wir aus erster Hand, nämlich aus dem Brief, den die in Nizäa versammelten Bischöfe an ihre Mitbrüder in Ägypten gerichtet haben, um sie über die wichtigsten Konzilsbeschlüsse zu informieren.50 Des Weiteren berichtet Eusebius in seiner Vita Constantini ausführlich über die Einigung in der Frage des Ostertermins und informiert uns über das diesbezügliche Schreiben Konstantins an alle Kirchen des Reiches.51

Im Schreiben der Konzilsväter an ihre ägyptischen Amtsbrüder betrifft der letzte Punkt die Osterfeier. Dazu heißt es: „Als gute Botschaft teilen wir euch auch die Übereinstimmung über das heilige Pascha mit: Dank eurer Gebete kam es auch in diesem Punkt zu einer glücklichen Lösung. Alle Brüder im Osten, die es bisher mit den Juden gefeiert haben, werden von jetzt an in Übereinstimmung mit den Römern, mit euch und mit uns allen, die seit den ältesten Zeiten mit euch daran festhalten, das Pascha feiern.“52

Wie ist diese knappe Mitteilung zu verstehen? Klar ist: Es soll in Zukunft ein einheitliches Osterdatum für alle geben. Im Brief des Kaisers heißt es dazu, es sei beschlossen worden, dass „alle dasselbe überall an einem Tag feierten“.53 Klar ist ferner: Das Konzil hat die römische und alexandrinische Praxis der dominikalen

47 Vgl. Gerlach, Pascha (wie Anm. 38), 302. 48 Vgl. ebd., 247–317; Dekrete der Ökumenischen Konzilien, hg. von G. Alberigo u. a., Pader-

born 1973, 1–4 (Einführung mit Lit.), 5–19 (Dekrete); Ph. Harnoncourt, Der Kalender, in: Ders., Hj. Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit II/1, Regensburg 1994, 9–63, hier 33f.

49 Vgl. Dekrete (wie Anm. 48), 6–16. 50 Text ebd., 16–19. 51 Vgl. Eus., Vita Constantini 3,5.14.18–20. 52 Dekrete (wie Anm. 48), 19. 53 Eus., Vita Constantini 3,18 (Pfättisch, 107).

Liturgie im Werden24

Osterfeier bestätigt und – das ist das Entscheidende – die ihr zugrundeliegende Berechnungsmethode. In Konstantins Brief werden als Repräsentanten dieser Observanz nicht nur die beiden führenden Zentren, Rom und Alexandrien, na-mentlich genannt, sondern alle Regionen einzeln aufgezählt, die bis dahin schon übereinstimmend die vom Konzil für die Zukunft allgemein verbindlich gemachte Regelung beobachtet haben: An erster Stelle die Urbs Roma, dann ganz Italien, Afrika, Ägypten, Spanien, Gallien, Britannien, Libyen, Griechenland, Kleinasien und Kilikien. Das ist mit weitem Abstand die Mehrheit der Ortskirchen, der sich die Minderheit billigerweise anschließen sollte. Das ausschlaggebende Argument für das Einlenken der Minderheit waren aber nicht die Mehrheitsverhältnisse. Wenn auch die Regionen des Ostens, die bis dahin offenbar eine abweichende Berechnung des Ostersonntagstermins praktiziert hatten, es vorzogen, mit ihren Schwesterkirchen im Norden, Westen und Süden zusammen Ostern zu feiern, war der entscheidende Grund für ihre Kompromissbereitschaft die dezidierte Absicht, nicht länger „mit den Juden“ das Pascha Christi zu feiern. In Nizäa wollte keine Kirche sich dem Vorwurf aussetzen, in diesem Punkt „mit den Juden“ übereinzu-stimmen.54

Wer „die Brüder im Osten“ waren, die bis dahin „mit den Juden“ Ostern gefeiert hatten, ist schon angedeutet worden. Quartodezimanische Splittergrup-pen außerhalb der Großkirche können damit nicht gemeint sein. Sie hätten die Konzilsväter nicht ihre „Brüder“ genannt. Die in Nizäa versammelten Väter, auch die Bischöfe Syriens und Mesopotamiens, sowie aus den östlichen Grenzgebieten des Reiches, feierten tatsächlich zu diesem Zeitpunkt „das heilige Pascha“ am Sonntag. Die syrische Metropole Antiochien dürfte sogar, wie bereits erwähnt, der Ausgangspunkt der dominikalen Observanz gewesen sein. Trotzdem sind die „Abweichler“ in den östlichen Gegenden des Imperiums zu suchen, im Verwal-tungsgebiet Oriens, kirchlich gesprochen im Patriarchat von Antiochien. Denn dieses Gebiet fehlt in der Aufzählung Konstantins, gehörte also nicht zur Mehrheit der Kirchen, die mit Rom und Alexandrien und dem Rest der katholischen Welt in der Frage des Ostertermins übereinstimmten.

Wieso aber haben die Kirchen Syriens und Mesopotamiens bis dahin Ostern „mit den Juden“ gefeiert? Sie waren, wie bereits klargestellt wurde, keine Quar-todezimaner. Das „mit den Juden“ feiern, hatte etwas zu tun mit der Art, wie sie das Datum des Pascha-Sonntags berechneten. Für ihre Pascha-Kalkulation war offenbar die allein maßgebliche Bezugsgröße der jüdische Termin des 14. Nisan. Sie feierten Ostern am Sonntag nach dem jüdischen Pesach-Termin, ohne Berück-sichtigung des Frühlingsäquinoktiums. In der alexandrinischen und römischen Berechnung kam dagegen zum rein lunaren Berechnungselement die Beachtung der solaren Komponente dazu: Ostern war der Sonntag nach der ersten Vollmond-nacht jenseits des Frühlingsäquinoktiums.55 Das war im römischen Julianischen Kalender auf den 25. März terminiert. Die astronomisch geschulten Ägypter wuss-ten, dass der tatsächliche Eckpunkt im Sonnenjahr etwas früher lag, nämlich am

54 Vgl. Dekrete (wie Anm. 48), 19. 55 Vgl. Harnoncourt, Kalender (wie Anm. 48), 33.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 25

21. März. Somit war der frühest mögliche Ostertermin nach dieser Berechnungs-methode der 22. März. In Antiochien konnte der Ostersonntag dagegen schon davor liegen. Im Konzilsjahr 325 beispielsweise fiel die erste Vollmondnacht im Monat Nisan auf Montag, den 15. März. Der Ostersonntag war deshalb für „die Brüder im Osten“, die nur auf diesen jüdischen Termin achteten, in jenem Jahr schon der 21. März.56 Rom dagegen beging Ostern erst am Sonntag nach der ersten Vollmondnacht jenseits des Frühlingsäquinoktiums, das heißt im halben April.

Den Antiochenern war die Einbeziehung der solaren Komponente in die Pascha-Berechnung wegen ihrer Kontamination durch den paganen Sonnenkult an sich suspekt. Sie konnten aber schließlich dafür gewonnen werden, weil in christ-lichen Kreisen sich mittlerweile weithin die Überzeugung durchgesetzt hatte, dass die westliche Berechnungsart den biblischen Passionsberichten entsprach, die Ju-den dagegen mit ihrer Pascha-Kalkulation falsch lagen. Auch der Konstantin-Brief hebt hervor, dass das Konzil sich auf die „richtigere“ Ordnung geeinigt hat, „wie die Berechnung sie offenbar verlangt“.57 Vor allem aber betont Konstantin den allgemeinen Willen, sich von den Juden deutlich abzusetzen. Sie werden charakte-risiert als Leute, die ihre Hände mit Blut befleckt haben. Mit „dem verhassten Volk der Juden“, die „den Mord unseres Herrn“ auf sich geladen haben, wie Eusebius Konstantin sagen lässt, sollten Christen nichts gemein haben.58 In diesem Klima eines massiven Anti-Judaismus, den die Antiochener teilten, wollten sie auf keinen Fall länger „mit den Juden“, das heißt in direkter Abhängigkeit von deren Pascha-Berechnung, ihr Pascha begehen. Eusebius, der diplomatische Drahtzieher der Eini-gung von Nizäa, bemerkt dazu in seinem Traktat „Über das Pascha-Fest“: „Sie (die Orientalen) setzten sich von den Mördern des Herrn ab, um den Gleichgesinnten (im Glauben) zugesellt zu werden, denn die Natur zieht Gleiches zu Gleichem.“59

Die Einigung von Nizäa war grundsätzlicher Natur. Um eine tatsächlich ein-heitliche Praxis zu gewährleisten, wurde dem Bischof der ägyptischen Metropole Alexandrien, wo die besten Astronomen saßen, aufgetragen, jedes Jahr rechtzeitig den wichtigsten Ortskirchen in Ost und West das korrekte Osterdatum des jewei-ligen Jahres mitzuteilen. Hier haben die großartigen alexandrinischen Osterbrie-fe60 ihren „Sitz im Leben“, die eine der wichtigsten Quellen der patristischen Os-tertheologie sind. Nicht immer erreichten sie rechtzeitig ihre Adressaten. Manche Ortskirchen stellten weiterhin auf der Grundlage der nizänischen Einigung ihre eigenen Berechnungen an, Rom bis in die Zeit Leos des Großen (440–461).

e) Auf dem Weg zu einer entfalteten Osterfeier

Es kann hier nur angedeutet werden, dass im neuen Freiraum der konstantini-schen Ära auch die Feiergestalt des ältesten und damals noch einzigen christlichen

56 Vgl. Gerlach, Pascha (wie Anm. 38), 315. 57 Eus., Vita Constantini 3,19 (Pfättisch, 109). 58 Vgl. ebd., 3,18 (Pfättisch, 107). 59 Eus., pasch. 8; nach der deutschen Übersetzung von Strobel, Ursprung (wie Anm. 41), 24. 60 Vgl. Harnoncourt, Kalender (wie Anm. 48), 33; Ch. Kannengießer, Art. Osterfestbriefe, in:

LThK 7 (Freiburg 31998), 1170.

Liturgie im Werden26

Jahresfestes sich reicher entfalten konnte. Wir haben diesbezüglich mit regional unterschiedlichen Entwicklungen zu rechnen. Im Laufe des vierten Jahrhunderts hat sich aber in allen Ortskirchen die ursprünglich eine Pascha-Nacht, in der konzentriert in einer zweiphasigen Ganznachtfeier das Gedächtnis sowohl des Leidens und Sterbens als auch der Auferstehung und Erhöhung Christi begangen wurde, ausgedehnt zu einer Dreitagefeier.61 Augustin nennt sie „das Triduum des Gekreuzigten, Begrabenen und Auferstandenen“.62

Wie dieser Entfaltungsprozess im Einzelnen verlaufen ist, lässt sich wegen feh-lender Quellen nicht mehr rekonstruieren. Vieles spricht dafür, dass die entschei-denden Impulse dazu aus Jerusalem kamen. Dort begegnet uns in den 80er-Jahren des 4. Jahrhunderts im Augenzeugenbericht der aquitanischen Pilgerin Egeria die Osterfeier in ihrer voll entfalteten Gestalt mit der vorgelagerten Fastenzeit, einer liturgisch durchgeformten Karwoche und einer fünfzigtägigen Nachfeier, die mit dem Himmelfahrts- und Geistsendungsgedächtnis an Pfingsten schließt.63 Von grundsätzlicher und überörtlicher Bedeutung ist das hinter der entfalteten Jerusa-lemer Pascha-Feier stehende Baugesetz, dass nämlich die liturgischen Feiern zur richtigen Zeit und am richtigen Ort die jeweiligen Einzelereignisse des Pascha-Christi kommemorieren sollen. Das Passionsgedächtnis wird dementsprechend auf den Karfreitag vorgezogen, während die Osternacht nun stärker und eindeuti-ger von der Auferstehungsfreude geprägt ist.

Freilich darf das, was Egeria als Jerusalemer Praxis gegen Ende des 4. Jahr-hunderts bezeugt64, nicht unbesehen verallgemeinert werden. Erst recht darf diese schon voll entfaltete Osterfeier nicht in die konstantinische Zeit zurückprojiziert werden. Aber wir dürften nicht fehl gehen, wenn wir die Anfänge dieser Ent-wicklung hin zu einer historisierenden, auf mehrere Feiern aufgeteilten Begehung des Pascha Christi dort suchen, wo sich diese Ereignisse zugetragen haben. Der anzunehmende Terminus post quem dieser Entwicklung fällt noch in die konstan-tinische Ära: Es ist die im Jahre 335 mit großem Aufwand begangene Einweihung der Grabeskirche in Jerusalem.65 Sie war das wichtigste Projekt im Rahmen des großangelegten konstantinischen Kirchenbauprogramms, zu dem im Heiligen Land auch die von Helena anlässlich ihres Palästina-Besuchs gestiftete Basilika über der Geburtsgrotte in Betlehem und die Eleona-Kirche am Ölberg gehörten.66

61 Vgl. Auf der Maur, Zeit (wie Anm. 11), 70–83; M. Klöckener, Art. Conversi ad Dominum, in: AugL 1 (Basel 1986/1996), 1280–1282.

62 Aug., ep. 55, 14, 24 (CSEL 34,2, S. 195): Sacratissimum triduum crucifixi, sepulti, suscitati; vgl. B. Studer, Zum Triduum Sacrum bei Augustinus von Hippo, in: J. Scicolone OSB (Hg.), La celebrazione del Triduo Pasquale. Anamnesis e Mimnesis, Rom 1990, 273–286.

63 Vgl. Egeria, Peregr. 30–43 (FC 20, 89–102 Einführung; 256–293 lat./dt. Text). 64 Wahrscheinlich hat Egeria die Jerusalemer Osterfeier im Jahre 383 miterlebt. 65 Sie hat wohl am 13. September 335 stattgefunden; vgl. Eus., Vita Constantini 4,40.43–46;

Egeria berichtet von dem alljährlich hochfeierlich begangenen Anniversar der Weihe; vgl. Egeria, Peregr. 48f. (FC 20, 304–307; dazu die Kommentierung ebd., 102–104). Den ältesten Bericht über eine Kirchweihe, die von Tyrus im Jahre 315, verdanken wir ebenfalls Eusebius: h. e. 10,3 (Schwartz, 370).

66 Vgl. Eus., Vita Constantini 3,41–43 (Pfättisch, 120–122).

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f) Konstantin und die Feier der Osternacht

Jerusalemer Quellen sind es auch, die uns zeigen, dass im Zuge dieser Entfaltung der Pascha-Feier zwei Elemente stärker in den Vordergrund treten und die Gestalt der Osternacht prägen: die Feier der Initiationssakramente und das Luzernar, eine Lichtliturgie. Beides hat Eusebius wohl schon im Blick, wenn er in seiner Vita Constantini berichtet, Konstantin selbst habe die Pascha-Nacht als Vigilnacht im Gebet durchwacht und – so wörtlich – „die göttlichen Geheimnisse“ – mitgefei-ert.67 Hier will Eusebius unverkennbar rühmend herausstellen, dass der Kaiser selbst vorgelebt hat, wie gute Christen die Pascha-Nacht begehen sollten. Am Wahrheitsgehalt dieses Herrscherlobs dürfen wir zweifeln. Immerhin ist zu beden-ken, dass Konstantin kein einziges Osterfest als Getaufter erlebt hat, nicht einmal als Katechumene. Erst als ihn eine lebensgefährliche Krankheit befallen hatte und auch Heilbäder und der Besuch am Grab des Märtyrerpriesters Lucianus in He-lenopolis in Bithynien keine Besserung brachten, ließ er in diesem Märtyrerheilig-tum an sich die Katechumenatsriten vollziehen.68

Eusebius bemerkt an anderer Stelle, der Kaiser habe vor diesem seinem Auf-bruch nach Bithynien in Konstantinopel noch „die ersten Übungen des Oster-festes“ gemacht; er habe den „Tag des Erlösers“ heiter und freudig verbracht und auch allen anderen das Fest zu einem Freudentag gestaltet.69 Es bleibt unklar, was man sich unter den von Konstantin an jenem letzten Osterfest seines Lebens vollzogenen „ersten Übungen des Osterfestes“ vorzustellen hat. Ob wir an eine Präsenz des Kaisers bei den Schriftlesungen zu Beginn der nächtlichen Vigilfeier denken dürfen? Oder war es eher eine private Andacht in den „innersten und geheimsten Gemächern seines Palastes“?70 Auf jeden Fall war für ihn als Nicht-getauften eine wirkliche Mitfeier der „göttlichen Geheimnisse“ der Pascha-Nacht, nämlich von Taufe und Eucharistie, nicht möglich. Die Taufe empfing Konstantin bekanntlich erst sieben Wochen später auf dem Sterbebett im Kaiserpalast von Nikomedien. Eusebius streicht bei der Schilderung dieses Ereignisses wirkungsvoll heraus, dass es auf dem Gipfel der fünfzigtägigen Osterfeier war, als der Kaiser die Taufe erbat und empfing, und dass es um die Mittagszeit des Pfingstfestes geschah, dem Gedenktag der Himmelfahrt Christi und der Geistsendung, dass die Seele des Kaisers zu ihrem Gott aufstieg.71 Die Christen konnten so den Heimgang des Kaisers mit der Himmelfahrt ihres Herrn assoziieren; den Verehrern der Sonne musste es bedeutungsvoll erscheinen, dass der sonnengleiche Kaiser zu seinem Gott, der in ihren Augen der Sol Invictus war, gerade in dem Augenblick aufstieg,

67 Vgl. ebd., 4,22 (Pfättisch, 158). 68 Vgl. ebd., 4,61 (Pfättisch, 181f.). 69 Vgl. ebd., 4,60 (Pfättisch, 181). 70 Vgl. ebd., 4,22 (Pfättisch, 158). 71 Vgl. ebd., 4,64 (Pfättisch, 183f.); zur Entwicklung der Pfingstfeier, die zunächst das Himmel-

fahrtsgedächtnis einschloss, vgl. Auf der Maur, Zeit (wie Anm. 11), 80–83. Noch Egeria erlebt um 380 die Feier in Jerusalem als Gedächtnis des Pfingstereignisses (Apg 2) und der Himmel-fahrt Christi an zwei verschiedenen Feierorten (Zion und Ölberg); vgl. Egeria, Peregr. 43 (FC 20, 287–293; dazu der Kommentar, 100–102). Zur solaren Deutung von Konstantins Tod vgl. Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 135f.

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als die Sonne am Himmel am höchsten stand und am hellsten und weitesten über die Erde hin strahlte.

Doch kommen wir auf die Frage nach der Feiergestalt von Ostern zurück. In welcher Weise hat Konstantin das Osterfest für die Allgemeinheit zu einem „Freu-dentag“ gestaltet? Eusebius von Caesarea spricht in diesem Zusammenhang von einer Illumination der Osternacht. „Die heilige Vigil verwandelte er in Tageslicht, indem er durch dazu bestellte Männer in der ganzen Nacht Wachssäulen von ge-waltiger Höhe anzünden ließ; es waren dies Feuerfackeln, die jede Stelle erhellten, so dass die geheimnisvolle Vigil heller wurde als der strahlende Tag.“72 Nichts spricht dafür, dass Eusebius hier Konstantin die Einführung einer Lichtfeier in die Liturgie der Osternacht zuschreiben möchte. Wir haben in dieser konstantinischen Anordnung auch nicht die Wurzeln des Osterfeuers zu suchen. Vielmehr spricht alles dafür, dass ein bei einem Nachtgottesdienst ohnehin notwendigerweise vorhandenes liturgisches Element, nämlich die Beleuchtung des Gottesdienstrau-mes durch Öllampen und Wachssäulen, in der Ostervigil, die nach einem Wort Augustins die „Mutter aller Vigilien“73 ist, besonders glanzvoll und aufwendig ausfiel. Den im Inneren der Feierräume verborgenen Glanz der Osternacht, hat Konstantin – so dürfen wir die Mitteilung von Eusebius verstehen – in die Öffent-lichkeit ausstrahlen lassen. Er hat an allen Ecken und Enden Konstantinopels hoch aufragende Fackeln aufstellen lassen; sie machten die Pascha-Nacht taghell und illuminierten die ganze Stadt. Der Brauch dürfte nach dem Vorbild der Hauptstadt auch in anderen Städten nachgeahmt worden sein. Vielleicht spielt der Kappado-kier Gregor, Bischof von Nazianz (329–374), darauf an, wenn er in einer Predigt die Osternacht als die „strahlende Nacht“ preist, „in der wir in einem Lichtmeer die Erlösung feiern, in der wir, mitgestorben mit dem Licht, das für uns starb, mit ihm bei seiner Auferstehung mit auferstehen“ zum „Fest aller Feste, zum Feiertag aller Feiertage, der alle (anderen) … so sehr überstrahlt wie die Sonne die Sterne (überstrahlt).“74

4. Weihnachten und Epiphanie – neue Kirchenfeste aus konstantinischer Zeit

Weihnachten ist, obwohl das Fest in den letzten Jahrzehnten in den Sog einer gnadenlosen Kommerzialisierung geraten ist, ein Fest, das wie kein anderes „auch heute noch christliche und nichtchristliche Herzen bezaubert“.75 Es wirkt auf viele schockierend, wenn ihnen gesagt wird: Drei Jahrhunderte lang haben die Christen von einem Weihnachtsfest nichts gewusst. Erst in konstantinischer Zeit hat die Kirche begonnen, das Fest der Geburt ihres Herrn am 25. Dezember zu feiern. Der Versuch einiger anglophoner Liturgiehistoriker, die Entstehung von Weihnachten

72 Eus., Vita Constantini 4,22 (Pfättisch, 158); vgl. Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 113. 73 Aug., serm. 219 (PL 38, 1088): Mater omnium vigiliarum. 74 Or. 18,28 (PG 35, 1017 D); or. 45,2 (PG 36, 624 C); unsere deutsche Übersetzung folgt mit

geringen Abweichungen Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 114f. 75 Vgl. H. Rahner, Die Weihnachtssonne, in: Griechische Mythen in christlicher Deutung,

Darmstadt 1966, 121–140, hier 134.

Die Bedeutung der Zeit Konstantins des Großen (306–337) 29

vor dem Ausbruch des donatistischen Schismas in Nordafrika (312) anzusetzen76, hat keinen Anklang gefunden. Es bleibt dabei, dass der erste sichere Beleg für die Feier des Geburtsfestes Christi octavo Kalendas Ianuarii aus Rom stammt. Wir besitzen ihn in der bekannten Notiz des römischen Chronographen aus dem Jahre 354.77 Der Jahreskalender dieses Dokuments vermerkt die damaligen paganen staatlichen Feiertage; er enthält parallel dazu aber auch eine Liste der Begräbnista-ge der römischen Bischöfe und eine weitere mit den Depositionstagen römischer Märtyrer, die in der Regel auch die Tage ihrer Hinrichtung waren. Die lateinische Liturgiesprache spricht insofern vom Gedenktag eines Märtyrers als von seinem Natale. Denn der Sterbetag eines Blutzeugen war sein Geburtstag für den Himmel.

a) Weihnachten: Ursprung in Rom vor 336

In unserem Zusammenhang der Frage nach den ersten Anfängen des Geburtsfestes Christi ist es nun von größtem Interesse, dass an der Spitze der Märtyrergedenk-tage im Chronographen von 354 das Natale Christi verzeichnet ist. Der Eintrag lautet: VIII kal. Ian. natus Christus in Betleem Iudeae (25. Dezember. Geboren ist Christus in Betlehem in Judäa).78 Der Charakter der Quelle schließt die Ver-mutung aus, es handle sich hierbei um eine bloße historische Notiz. Der Kontext der liturgisch begangenen römischen Märtyrergedenktage lässt nur den Schluss zu, dass hier der Geburtstag Christi ebenfalls als alljährlich von der römischen Kirche liturgisch begangener Gedenktag vermerkt ist. Eine nähere Untersuchung der Bi-schofsliste des erwähnten Chronographen, deren Abfassung aufgrund verschiede-ner Indizien in das Jahr 336 zurückdatiert werden kann, zeigt, dass auch sie – wie die Märtyrerliste – nach dem 25. Dezember beginnt. Sie setzt also das Geburtsfest Christi voraus und zwar als Ausgangspunkt des liturgischen Jahres. Weihnachten als Jahresanfang hat sich in den späteren römischen Liturgiebüchern bis um die Wende des ersten Jahrtausends behauptet. Der berühmte Codex Egberti der Trie-rer Stadtbibliothek aus dem späten 10. Jahrhundert lässt seine Perikopenreihe noch mit der Vigil von Weihnachten beginnen.79

Die erste sichere Bezeugung von Christi Geburtsfest fällt somit in das Jahr 336, also noch in die Zeit Kaiser Konstantins (†22. Mai 337). Es ist nicht nur der aus der Stadt Rom stammende früheste Beleg, der Rom als Entstehungsort des Weihnachtsfestes wahrscheinlich macht, sondern auch das Festdatum. Es handelt sich nämlich beim 25. Dezember um den Tag der Wintersonnenwende nach dem Julianischen Kalender. Entsprechend diesem originär römischen Kalender wurde im römisch-lateinischen Milieu der 25. Dezember, auch wenn die astronomische Wirklichkeit im 4. Jahrhundert nicht mehr damit übereinstimmte, als der kürzeste Tag des Jahres betrachtet. Er hatte den besonderen Namen bruma, eine archaische

76 Vgl. bes. Th. J. Talley, The Origins of the Liturgical Year, New York 1986, 85–112. 77 Vgl. Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 175–182. Zum gegenwärtigen Stand der Forschung vgl. S. K.

Roll, Toward the Origins of Christmas, Kampen 1995; eine Erstinformation bietet Auf der Maur, Zeit (wie Anm. 11), 165–168 (Lit.).

78 Zit. n. Wallraff, Sol (wie Anm. 18), 179. 79 Vgl. F. Ronig u. a. (Hg.), Egbert – Erzbischof von Trier 977–993 (Trierer Zeitschrift. Beiheft

18), 2 Bde., Trier 1993, Bd. 2, 23f.