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Lean Management – Mythos oder Success Story? KVP 1 als Einstieg in leanes Denken Viele Büroangestellte haben nie eine Fabrikhalle von innen gesehen. Auf die Sekunde von einer Sirene getaktete Pau- sen, Akkordarbeit und schmerzende Hände kennen sie, wenn überhaupt, aus Erzählungen oder dem Fernsehen. Bis zu mei- nem Abitur jobbte ich in den Sommerferien immer wieder mal in mittelständischen Unternehmen. Wenn ich eine Minute nach 7.00 Uhr morgens am Werkstor ankam, zeigte die Stech- karte meinen Arbeitsbeginn rot an, nach der Schicht emping mich draußen endlich die Sonne. Ich erinnere mich noch gut an diese Wochen, in denen ich mit einem speziellen Messer In ihrer zentralen Rolle sind Führungskräfte sowohl aktiv als auch passiv die Gestalter von organisationaler Veränderung. Lean Management umzusetzen bedeutet, sich intensiv mit dem sozialen Betriebssystem eines Unternehmens, der Kultur, auseinander zu setzen. Wie kann es Führungskräften angesichts der Mega-Trends gelingen, die verschiedenen Organisationskonzepte und betrieblichen Funktionen gut miteinander zu verzahnen? Ein Blick in das Drehbuch für den kleinen und großen Wandel… Christine Gebler

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Lean Management – Mythos oder Success Story?

KVP1 als Einstieg in leanes DenkenViele Büroangestellte haben nie eine Fabrikhalle von innen gesehen. Auf die Sekunde von einer Sirene getaktete Pau-sen, Akkordarbeit und schmerzende Hände kennen sie, wenn überhaupt, aus Erzählungen oder dem Fernsehen. Bis zu mei-

nem Abitur jobbte ich in den Sommerferien immer wieder mal in mittelständischen Unternehmen. Wenn ich eine Minute nach 7.00 Uhr morgens am Werkstor ankam, zeigte die Stech-karte meinen Arbeitsbeginn rot an, nach der Schicht emping mich draußen endlich die Sonne. Ich erinnere mich noch gut an diese Wochen, in denen ich mit einem speziellen Messer

In ihrer zentralen Rolle sind Führungskräfte sowohl aktiv als auch passiv die Gestalter von organisationaler Veränderung. Lean Management umzusetzen bedeutet, sich intensiv mit dem sozialen Betriebssystem eines Unternehmens, der Kultur, auseinander zu setzen. Wie kann es Führungskräften angesichts der Mega-Trends gelingen, die verschiedenen Organisationskonzepte und betrieblichen Funktionen gut miteinander zu verzahnen? Ein Blick in das Drehbuch für den kleinen und großen Wandel…

Christine Gebler

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Kühlergrille entgratete, Motorradhelme zum Lackieren ab-klebte, Schanktischanlagen montierte und an einer großen Maschine Werbedisplays ausstanzte. Einmal plagten mich ta-gelang entzündete Schleimhäute, weil ich ohne Mundschutz mit einem Lösungsmittel gearbeitet hatte. Die Tage in der schwülen Werkshalle vergingen quälend langsam. Ich fragte mich, wie die Arbeiter - vor allem die Frauen - diese Tortur bis zur Rente durchhielten. Für mich war das Ende absehbar. Ich war motiviert, wollte mit den anderen mithalten und versuch-te, meine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Die Frauen gingen kameradschaftlich mit mir um und ich gehörte bald dazu. Ich lernte, dass „schnell sein“ mehr Geld brachte, weil nach Akkord bezahlt wurde. Eine von ihnen erklärte mir eines Tages, dass man, wenn der Typ mit der Stoppuhr in der Hal-le unterwegs war, weder zu viele Teile schaffen durfte, noch so langsam sein sollte, dass es aufiel. Ich würde ihnen sonst den Akkord kaputt machen. Von ISO-Zertiizierung, Produk-tionssystemen, Lean Management, KVP und KAIZEN wusste damals noch keiner etwas.

Als ich das erste Mal mit Kontinuierlicher Verbesserung, ei-ner der Grundideen des Lean Managements, in Berührung kam, hatte ich acht Jahre Berufstätigkeit hinter mir. Was ich mit KVP erlebte, stellte meine bisherigen Erfahrungen in ei-ner Verwaltung auf den Kopf. Ich saß als Externe in meinem ersten Workshop und konnte völlig frei, sozusagen „unterneh-merisch“ denken, Vorschläge und Ideen wurden ernstgenom-men und diskutiert. Und sie wurden sofort entschieden und in Angriff genommen, nicht erst auf Eis oder in die Schublade gelegt. In dem Workshop ging es um den Ablauf, wenn Bürger oder andere Interessenten bei der Stadtverwaltung in ihre ak-tuellen oder schon vor Jahren archivierten Bauakten schauten und eventuell sogar Kopien daraus ziehen wollten. Die Bürger kamen (und kommen heute noch) zum Beispiel deshalb ins Mannheimer Stadtarchiv, weil sie umbauen wollten und die alte Statik zu ihrem Gebäude nicht mehr fanden. Eine neue kostet mehrere tausend Euro. Unter Anwendung der KAI-ZEN2-Prinzipien hatten wir unzählige Vorschläge gesammelt und geprüft, wie wir den Prozess über die beteiligten Fachbe-reiche hinweg so gestalten könnten, dass sie auf diese Auszü-ge nicht wochenlang warten mussten. Die Maßnahmen setzte das Stadtarchiv tatsächlich sofort um: ein Auszug aus den Bauakten war nun meist am gleichen Tag erhältlich. Das war 1996. Das Stadtarchiv verbesserte den Service über die Jahre immer weiter und heute ist das Institut für Stadtgeschichte mit dem aus diesem Projekt hervorgegangenen Benutzerzentrum eines der prominentesten Beispiele der Stadt Mannheim für das, was mit KVP im administrativen Bereich erreicht wurde.

In dieser Zeit war ich als Personalentwicklerin und in der Ge-schäftsstelle eines kommunalen Bildungsinstituts tätig. Meine Erinnerungen und diese Erfahrung sind vielleicht die Ursa-che dafür, dass ich zur eingeleischten „Leanerin“ geworden bin. Was mich faszinierte, war die Zielorientierung und das Teamerlebnis, die Chance, Einluss zu nehmen auf Dinge und Abläufe, die unveränderlich schienen und die Möglichkeit, mit KVP Missstände abzuschaffen. So wurde ich Mitte der 90er Jahre eine der internen Akteurinnen und Trainerin für dieses Thema.

Später in meiner Zeit, als ich in dieser großen Kommune mit rund 7.000 Mitarbeitern für KVP zuständig war, hatte ich durch einen Erfahrungsaustausch die Gelegenheit, bei einem Powerworkshop beim „Benz“ in Mannheim (das Unterneh-men Daimler) teilzunehmen. Für mich war spannend zu se-hen, dass die Leute beim Daimler ähnlich vorgingen wie wir, und die Teammitglieder freuten sich, dass eine von der Stadt mit ihnen in die Maschinen kroch, um sie zu putzen. Ich war beruhigt und stolz, dass wir in unserem Vorgehen kaum anders als der Weltkonzern waren. KVP bot mir in den folgenden Jahren umfassende Möglichkeiten, Organisationsentwicklung live zu erleben und mich weiter zu entwickeln. Wahrschein-lich bin ich deshalb bis heute diesem Thema treu geblieben.

Wie kam das Thema in die Stadtverwaltung? Der damalige Oberbürgermeister war aufgrund seiner Kontakte in die Auto-mobilindustrie davon überzeugt, dass efiziente Prozesse das Herzstück einer gut funktionierenden Organisation sind. Es war auch die Zeit, in der Ex-Vorstandsmitglied José Ignacio López von 1993 an in den VW-Werken die Arbeit revolutio-nierte. In dem bei der Stadt Mannheim initiierten Projekt zur Einführung von KVP wollte man erst einmal in zwei Pilotpro-jekten testen, ob die damit verbundenen Methoden überhaupt etwas für eine Verwaltung sein könnten. Das erste KVP-Projekt überhaupt bei der Stadt Mannheim fand im Bereich Abfallwirtschaft (damals Amt für Abfall und Stadtreinigung) statt und zeigte sofort, wie nützlich KVP ist, um Abläufe für alle Beteiligten zu verbessern: die Ausliefe-rung von Mülltonnen im Mannheimer Stadtgebiet. Dieses KVP-Team verbesserte den Kundenservice, in dem es die Lieferung der bestellten Mülltonne innerhalb von etwa zwei Tagen anstatt zwölf Tagen erreichte. Gleichzeitig reduzierte es den Verwaltungsaufwand, der mit der Abrechnung verbun-den war, um mehr als ein Drittel.

1 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess: ein strukturiertes Vorgehen, in dem Teams Prozesse mit verschiedenen Methoden, z.B. aus dem KAIZEN, analysieren, verbessern und die Veränderungen sofort umsetzen.2 KAIZEN – japanisch: „Veränderung zum Besseren“. Philosophie und Konzept zur Optimierung von Abläufen und Produkten

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Ein drittes KVP-Beispiel machte in der Mannheimer Verwal-tung Furore: die Vermietung von Turnhallen der Schulen an örtliche Vereine. Den Oberbürgermeister beeindruckte dieses Beispiel mit einer Reduzierung der Durchlaufzeit um 80 % so sehr, dass er von diesem Best Practice Beispiel auch in anderen Verwaltungen, in die er eingeladen wurde, berichtete. Gleich-zeitig veranlasste er, dass priMA3, wie der KVP-Prozess der Mannheimer Stadtverwaltung dann genannt wurde, in der gesamten Verwaltung eingeführt wurde. Er stand weiterhin selbst in vielen Situationen und Führungskräfteveranstaltun-gen dafür ein. Die Einführung von KVP in der Stadtverwal-tung Mannheim wurde also zu einem strategischen Projekt auf höchster Ebene mit Organisationsentwicklungscharakter. Nachdem in den neunziger Jahren KVP, KAIZEN und die Leanmethoden eigentlich nur in der Produktion bekannt wa-ren, wissen wir heute, dass sich diese überall einsetzen las-sen – egal in welchem Unternehmensbereich und gleich in welcher Branche. priMA ist hierfür das beste Beispiel. Als umfassendes, ganzheitliches Management-Konzept scheint Lean Management jedoch nirgendwo in einer öffentlichen Verwaltung vollständig implementiert zu sein. Immerhin, KVP, KAIZEN und Prozessoptimierung haben an der einen oder anderen Ecke der Behörden Einzug gehalten. Das Ma-nagement von Prozessen erlebt aktuell einen kleinen Hype in Verwaltungen, wenn auch noch weit weg von der Lean Phi-losophie.

Toyota und seine Lean KulturIn den fünfziger Jahren richtete das Automobilunternehmen Toyota sein Managementsystem neu aus. Daraus entstand das Toyota Produktionssystem, das zum Best- Practice-Beispiel für industrielle Produktion wurde.

Lean Management kennzeichnet

• die konsequente Ausrichtung der Prozesse auf die Kunden,

• die Synchronisierung und

• Standardisierung von Prozessen,

• die Vermeidung von Fehlern,

• die Optimierung der Produktionsanlagen sowie • die Einbeziehung der Mitarbeiter.Auch die Belange der Händler von Toyota fanden Berück-sichtigung, da sie wesentlicher Faktor für den Erfolg des Un-ternehmens sind. Dem gesamten System liegt die Haltung zu Grunde, sich permanent verbessern zu wollen. In den achtzi-ger Jahren wurde das Toyota Produktionssystem (TPS) durch die veröffentlichte MIT-Studie von Womack und Jones welt-weit bekannt. Das war der Anlass für andere Automobilher-steller, herausinden zu wollen, wie die Japaner so erfolgreich wurden. Manche reisten für Besichtigungen nach Japan oder ließen sich von Beratern dabei begleiten, die Methoden zu ko-pieren und im eigenen Betrieb einzuführen. In den neunziger Jahren wurde deutlicher, dass das, was Toyota so erfolgreich gemacht hatte, nicht nur ein reines Produktionssystem ist, sondern ein soziales System der Zusammenarbeit, das Lean Management. Ein wichtiger Faktor war (und ist) die Führung im Sinne des englischen Begriffs „Leadership“: Kotter4 be-zeichnete Manager „eher als Verwalter, Leader dagegen Visi-onäre - Management stehe eher für das perfekte Organisieren

der Abläufe, planen und kontrollieren. Leadership bedeute da-gegen, die Geführten mit Visionen zu inspirieren und zu moti-vieren. Leadership schaffe Kreativität, Innovation, Sinnerfül-lung und Wandel.“ So ist Lean Management gemeint.

Parallel zum Lean Management entwickelten sich in der Qua-litätsszene weitere Initiativen wie z.B. die Qualitätsmanage-mentsysteme DIN ISO 9000ff. und die Ausschreibung der Qualitätspreise, begonnen in den fünfziger Jahren mit dem Deming Prize in Japan, über den MBNQA5 (1987) in den USA, in Europa den EQA/EEA der EFQM6 (1992) bis hin zum Ludwig-Erhard-Preis in Deutschland. Die Intention der Initiativen für die Qualitätspreise war und ist, das Thema To-tal Quality Management (TQM) bzw. Excellence nach vorne zu bringen. Excellence soll stärker ins Bewusstsein der Öf-fentlichkeit und Manager dringen. Den Qualitätspreisen zu-grunde liegen jeweils ähnliche Modelle. Diese dienen der Be-wertung der sich bewerbenden Unternehmen, um ein Ranking zu erstellen und die Besten für die Auszeichnung auswählen zu können. Von den Initiativen verspricht man sich vermehr-te Aktivitäten für TQM, die wiederum die Wirtschaftskraft der Unternehmen stärken sollen. Die Modelle werden auch intern zur status quo-Bestimmung im Rahmen einer Selbst-bewertung genutzt (Selbstbewertung nach dem Modell der EFQM). Im öffentlichen Sektor wird das europäische Modell des Common Assessment Framework (CAF) seit dem Jahr 2000 genutzt.

Ergebnisse von Studien belegen, dass Unternehmen, die die-se Modelle zur Entwicklung nutzen, langfristig erfolgreicher sind als die, die solche Konzepte nicht anwenden. Lean Ma-nagement und die Selbstbewertung nach EFQM haben also ähnliche Effekte.Selbstbewertung als strategische Relexion des ManagementsystemsDie Selbstbewertung ist ein wichtiges Konzept des Qualitäts-managements, das der Organisationsentwicklung dient. Der Ausgangspunkt ist strategischer Art: Es wird eine umfassende Bestandsaufnahme und Organisationsanalyse durchgeführt. Quasi aus der Vogelperspektive wird die gesamte Organisa-tion hinsichtlich ihrer Vorgehensweisen und Ergebnisse, die in irgendeiner Weise in Bezug auf das Management relevant sind, betrachtet. Die Ergebnisse unterstützen Entscheidungen für strategisch wichtige Projekte und Verbesserungsaktivi-täten. Beide Konzepte, Lean Management und die EFQM-Selbstbewertung, haben auf unterschiedlichen Ebenen diesel-be Zielsetzung und ergänzen sich ideal. Deshalb will ich hier kurz darauf eingehen.

Wie läuft eine Selbstbewertung ab? Das EFQM-Modell mit seinen Kriterien und der RADAR-Matrix7 dient bei der Selbstbewertung als eine Art Blaupause der Organisation. Hier inden sich in den insgesamt neun Themenfeldern alle Aspekte eines optimal („exzellent“) aufgestellten Unterneh-mens mit seinem Managementsystem wieder. Die wichtigsten Aktivitäten und Ergebnisse der Organisation werden anhand einer Art Checkliste auf der Basis des Modells erfasst. Zudem werden sie in einer gemeinsamen Relexion der Beteiligten anhand der Radar-Matrix auf ihre Umsetzungstiefe, Reich-weite, regelmäßige Evaluation nach PDCA8 und mit Blick auf die Ergebnisse auf ihre Wirksamkeit untersucht. Das Ergebnis ist eine umfassende Beschreibung der Stärken und

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Schwächen. Im letzten Schritt werden die erkannten Verbes-serungspotenziale priorisiert und für die wichtigsten Themen Projekte und Maßnahmen aufgesetzt, die das Management-system weiterentwickeln sollen. Am Vorgehen mit dem CAF-Modell für den öffentlichen Sektor inde ich positiv, dass es eine stärkere Beteiligung der Mitarbeiter forciert als das EFQM-Modell, mit dem eine Bewertung in vielen Unterneh-men auf der reinen Managementebene stattindet. Wie ist der Bezug zu Lean Management?

Hinter dem Vorgehen mit EFQM liegen für das gesamte Un-ternehmen die Philosophie der kontinuierlichen Verbesse-rung, der Innovation und des organisationalen Lernens. Mei-ner Ansicht nach bildet das EFQM-Modell das strategische Dach über alle Konzepte, Vorgehensweisen und Ergebnisse, die im Unternehmen relevant sind, so auch über das Lean Management. Die Elemente des Lean Managements zahlen bei einer Selbstbewertung nahezu auf alle Themenfelder ein,

sowohl auf der Befähigerseite (die Themenfelder Führung, Strategie und Planung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Partnerschaften & Ressourcen, Prozesse, Produkte & Dienst-leistungen), als auch auf der Ergebnisseite (die Themenfelder der Ergebnisse bezogen auf Kunden, Mitarbeiter, Schlüsseler-gebnisse). Eine Selbstbewertung in einem Unternehmen, das parallel Lean Management praktiziert, bringt Verbesserungs-potenziale auf der strategischen und operativen Ebene zutage. Hier würde beispielsweise auch deutlich, ob und inwieweit die Umsetzung des Lean Management Konzepts selbst Ver-besserungspotenzial hätte. Lean Management wiederum dient der Entwicklung von Zielsetzungen über Hoshin Kanri9 und der Umsetzung der Prinzipien. Das zum Beispiel wird im EFQM-Modell beim Themenfeld „Strategie“ bewertet. Wei-tere Beispiele sind: das Führungsdenken, die Verschlankung der Prozesse, der Umgang mit Mitarbeitern und die Ausrich-tung auf die Kunden.

3 priMA – Prozessverbesserung in MA (Mannheim)4 John P. Kotter, Harvard-Professor, Quelle: http://www.harvardbusinessmanager.de/heft/artikel/a-620896.html, abgerufen am 24.11.20165 Malcolm Baldrige National Quality Award6 QA – European Quality Award, seit dem Jahr 2006 EEA – European Excellence Award, EFQM – European Foundation for Quality Management7 Bewertungsmodell im Modell der EFQM, siehe www.efqm.org8 PDCA – Plan, Do, Check, Act – der Deming-Zyklus für kontinuierliche Verbesserung9 apanische Systematik zur Ableitung von Zielen, zur Planung und Steuerung eines Unternehmens

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Blaupause für OrganisationsentwicklungOb Selbstbewertung oder Lean Management, beide werden als Erfolg versprechendes Konzept gehandelt. Diese einzu-führen bedeutet, einen Organisationsentwicklungsprozess zu initiieren, und zwar mit allen Nebenwirkungen. Das ist eine Binsenweisheit. Unter Organisationsentwicklung versteht man den bewusst gesteuerten Wandel größerer Ordnung einer Organisation. Der Anlass können Krisen, strategisch erforder-liche Neuausrichtungen oder kulturelle Faktoren sein.

Lean Management steht für eine Kultur und Methoden, die das Unternehmen Toyota prägte. Das Managementsystem konnte sich über Jahrzehnte hinweg bis hinein in die „DNA“ von Toyota entwickeln. Als Konzept für andere Unterneh-men, um Ballast abzuwerfen und Unternehmensgewinne zu steigern, wird es zunächst zu einem abstrakten Konstrukt aus Denkweisen, Vorgehen und Methoden. Es ist trügerisch, da-von auszugehen, dass Lean Management in einem anderen Unternehmen genauso funktioniert, zumal es aus der asiati-schen Kultur kommt. Selbst wenn Top-Management und ei-nige Führungskräfte überzeugt sind, gibt es mindestens eben-so viele Skeptiker und Gegner. Den größeren Teil von ihnen gilt es zu gewinnen, sonst ist das Scheitern vorprogrammiert. Lean Management als Mix von Philosophie, Führungs- und

Mitarbeiterverhalten sowie Methoden muss zur Organisation passen. In den meisten Unternehmen muss das Vorgehen und die Methodik daher angepasst werden.

Um die Komplexität der Einführung von Lean Management zu reduzieren, gehen viele Unternehmen bereichsweise vor. So können erste Erfolgsstories in Vorreiterbereichen als inter-ner Benchmark, Auslöser für Wettbewerb und Anreiz für die übrigen Bereiche fungieren. Der optimale Start erfolgt in Be-reichen, von denen bekannt ist, dass sie veränderungsfreudig sind, oder in denen große Bereitschaft und Potenziale winken. So können unter hoffentlich positiven Bedingungen Erfahrun-gen gesammelt werden. Aus der bereichsweisen Einführung von Lean Management ergibt sich allerdings die Problematik, dass der Reichweite und dem Nutzen von Lean zunächst die natürlichen Grenzen der jeweiligen Organisationseinheit ge-setzt sind. Je nach Strahlkraft und Engagement verläuft die weitere Verbreitung im Unternehmen erfolgreich oder eher schleppend. Unter Umständen bleiben Bereiche ausgespart, die als lean-resistente Inseln „Bremsklötze“ im Unternehmen bilden. Mit solchen Rahmenbedingungen wird es schwieriger, eine einheitliche Unternehmenskultur zu entwickeln. Also doch von Anfang an den Prozess im gesamten Unternehmen einführen? Für diese Entscheidung ist besonders das Top-Ma-nagement gefragt…

Viele Unternehmen führen die Lean Methodik stufenweise ein. Beginnend am einzelnen Arbeitsplatz mit der KAIZEN-Methode „5S“ steigt die Tragweite der Veränderungen bis hin zum Benchmarking mit Klassenbesten. Dieses Einführungs-modell reduziert die Komplexität der Veränderungen. Meiner Meinung nach fehlt jedoch neben „5S“ am Arbeitsplatz als kleinstem Nenner ein wichtiger Aspekt: das Selbstmanage-ment, die Selbststeuerung der Menschen selbst. Insbesondere im Bürobereich würde der kritische Blick auf eigene tägliche

Routinen und Gewohnheiten abseits der optimierten Prozes-se weiteres Potenzial bringen. Für jeden Einzelnen würde das Entlastung und Stressreduzierung bei der heutigen Informa-tionslut und den technischen Möglichkeiten bedeuten, die für Ablenkung von einem Vorgang sorgen. Der Start mit der persönlichen Veränderung von Gewohnheiten bereitet auf die Fähigkeit zur Umstellung, die in den folgenden Stufen gefor-dert ist, vor: Das 7-Level-Modell würde dann so aussehen:

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10 Go & See: Prinzip des KAIZEN: zum „Ort des Geschehens“ (= jap. „Gemba“) gehen und sich anschauen, was tatsächlich im Prozess geschieht.

Letztlich kommt es jedoch auf die richtige Mischung und In-tensität an Einführungsschritten und Interventionen an. Diese müssen wie ein Maßanzug auf die Organisation zugeschnit-ten werden. Verbunden mit einem lexiblen, agilen Projekt-vorgehen können Reaktionen und Wechselwirkungen in die weitere Implementierung einbezogen werden. Der Erfolg und die Nachhaltigkeit sind abhängig von Überzeugung, Glaub-würdigkeit und Durchhaltevermögen der Akteure. An dieser Stelle zeigt sich auch, wie ernst es Führungskräften wirklich ist: immer wieder an der Front zu stehen und für Lean Ma-nagement zu werben. Laden Sie also die Führungskräfte zum „Go & See“10 und zu den Lean-Workshops ein. Sie werden eigene Einblicke und mehr an Glaubwürdigkeit bei den Be-schäftigten gewinnen.

Unverzichtbar ist meiner Erfahrung nach, im Unternehmen stetig und offen über Lean zu berichten. Als Lean-Akteur scheint es einem selbst, wie wenn längst alle Fakten dazu bekannt sind, doch Sie können davon ausgehen, dass keine fünf Prozent der Kommunikation über Lean bei den Beschäf-tigten wirklich angekommen ist. Ich habe dabei gelernt, dass es kaum jemanden anspricht, zu zeigen, wie die Methoden funktionieren. Menschen verändern sich nur, wenn sie Sinn darin sehen und einen persönlichen Nutzen davon haben. Ma-chen Sie deshalb durch Beispiele „an-fassbar“, wie es läuft und wie Verbesserungsideen auf den Weg kommen. Noch besser: sorgen Sie dafür, dass Beteiligte eigene Erfahrungen machen, die sie weitererzählen. Menschen lieben Geschich-ten, darüber erreicht man sie. Passende Nutzenbotschaften an die jeweiligen Interessengruppen ergänzen eine gute interne Kommunikation.

Aus der Lerntheorie weiß man, dass Menschen am meisten lernen und überzeugt werden, wenn sie auf der Gefühlsebene angesprochen werden und Spaß haben. Unsere Gesellschaft, die wieder zum Spielen zurückkehrt, macht es uns vor – nicht umsonst haben Pokemon Go & Co. Hochkonjunktur. Hospita-tionen in anderen Unternehmen sind bestens geeignet, um auf direktem Weg zu vermitteln, wie es läuft und was es bringt. Was früher Planspiel hieß, indet heute unter der Überschrift „Gamiication“ statt. In der Lean-Szene gibt es zum gegen-seitigen Erfahrungsaustausch und praktischen Erfahrungen einige Angebote. Warum also nicht eine kritische Masse an Beschäftigten im ersten Schritt bei der Einführung eine solche Erfahrung machen lassen? Schreiben Sie mit positiven Erleb-nissen die KVP-Geschichte des Unternehmens.

Lean und die Rolle der FührungskräfteVerändern bedeutet immer auch, Neues zu lernen: fachliche Inhalte, aber auch neue Auffassungen, ein anderes Verhalten und Handeln als bisher. Schauen wir uns also an, wie Men-schen lernen. Lernen indet im Wesentlichen aus drei Motiven heraus statt:

• aus eigenem Antrieb, z.B. zur Erreichung eines Ziels, also selbstgesteuert,

• durch Beobachtung, z.B. von Vorbildern oder

• auf Druck, z.B. aus Angst vor Fehlern, vor dem Verlust des Ansehens oder vor Sanktionen.

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Schauen wir uns nun die Rolle der Führungskräfte im Lean Management an. Diese hat mehrere Seiten:

1. Sie sind für den Mitarbeiter disziplinarisch verantwortlich (und vertreten gegebenenfalls den „Druck“).

2. Sie können durch ihr Verhalten in Form von Unterstützung oder Coaching dazu beitragen, dass Mitarbeiter ihr Verhalten ändern (unterstützen die Selbststeuerung)

3. Sie sind im Fokus der Beobachtungen von Mitarbeitern (werden also als Vorbild und Projektionsläche gesehen). Dazu zwei Beispiele: Ein Teamboard zur Visualisierung von Aufgaben und Zielen, das von der Führungskraft eingeführt wird, hilft, das Team zu organisieren. Das Konzept des Kata-Coachings11, also eine feste Abfolge von Fragen zur Zielerrei-chung, ist ein strukturierter Ansatz, wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter bei der Umsetzung von neuen Arbeitsweisen in den Alltag unterstützen können. Nehmen wir nun an, in einem Bereich wird Lean eingeführt. Authentisch wäre, dass die Führungskräfte des Bereichs nach ihrem Commitment zu Lean sich an ihrem Arbeitsplatz gut organisieren, ihre Arbeit über den Tag efizient strukturieren, die Abstimmungsprozesse im Team und bereichsübergreifend effektiv gestalten und die Mitarbeiter bei ihrer eigenen Verän-derung begleiten. Was passiert nun, wenn Führungskräfte für Mitarbeiter sichtbar eher mäßig organisiert ist und sich selbst Veränderungen entziehen? Sie ahnen es… Wenn Führungskräfte es mit Lean Management ernst meinen, sind die Anforderungen an ihre eigene Veränderungsfähigkeit, ihre Eignung als Vorbild und Fähigkeit zur Unterstützung der Mitarbeiter auf Verhaltensebene immens. Energie und Durch-haltevermögen hierfür kommen nur aus einer festen Über-zeugung, dass Lean das genau Richtige für ihren Bereich ist. Für die erfolgreiche Einführung ist meiner Meinung nach ein persönliches Commitment jeder einzelnen Führungskraft zu der Entscheidung notwendig. Und hier komme ich auf meinen Einstieg in diesen Beitrag zurück: überzeugt sind Menschen von etwas meist dann, wenn sie ein einprägsames Erlebnis gemacht haben. Dann werden sie für das Thema brennen. Wichtig wäre also, dass Führungskräfte in der Startphase von Lean eigene, persönliche Erfahrungen dieser Art machen und an Projekten in anderen Bereichen der Organisation oder noch besser mit etwas Abstand in anderen Unternehmen teilneh-men. Die erfolgreiche Umsetzung von Lean Management for-dert von Führungskräften also die eigene Weiterentwicklung als Mensch und als Person. An ihr orientieren sich Mitarbei-ter. Im weiteren Prozess setzen sie wichtige Signale, wenn sie selbst als Vorbild für ihr Team agieren und sich dauerhaft selbst relektieren und verbessern. Führungsarbeit bedeutet Arbeit an der Kultur des Unternehmens.

In seinem Buch von 2009 zeigt Mike Rother mit der „Kata“ bis dahin nicht bekannte Hintergründe für den Erfolg von Toyota. Die Kata greift eine Lücke der bisher vermittelten Inhalte des Lean Managements auf, nämlich die Begleitung der Mitarbeiter durch ihre Führungskräfte (bzw. Mentoren), um Verhaltensänderungen durch neue Routinen nachhaltig zu machen. Dabei indet die Coaching- bzw. die Verbesserungs-Kata Anwendung.

Mir kommt dieses Vorgehen etwas statisch vor. Auf der einen Seite ist positiv, dass sich die Führungskraft hier verantwort-lich mit dem Mitarbeiter auseinandersetzt und ihn dabei un-terstützt, seine Ziele zu erreichen. Auf der anderen Seite wirkt

das Vorgehen mittels Kata fast roboterhaft, denn dieses ba-siert auf der immer gleichen Abfolge an Fragen. Das Konzept birgt ähnlich wie das Vorgehen des Mitarbeitergesprächs das Risiko, dass es Führungskräften zu formal daher kommt und nicht ernst genommen wird. Mit einem klassischen Business Coaching ist es nicht vergleichbar, dieses verläuft in seinen Fragestellungen jeweils individuell. Die Kata bietet aber den Vorteil, dass sie im Gegenteil zum Business-Coaching von Führungskräften ohne umfangreiche Qualiizierung ange-wandt werden kann. Vielleicht sollte die Kata-Routine weiter entwickelt werden, persönlich speziischer werden.

Lean für administrative Prozesse Der Wandel der Arbeitswelt hat in den letzten Jahren deut-lich an Fahrt aufgenommen. Wie in der Produktion sind viele arbeitserleichternde und technische Anwendungen im Büro dazu gekommen. Diese machen die Arbeit schneller und mo-bil möglich (Prinzip „mobile irst12“). Diese Trends werden in den nächsten Jahren ausgebaut. Wir können davon ausgehen, dass die Veränderungen, die sich aus Globalisierung, Digita-lisierung und immer komplexeren Technologien ergeben, uns vor immer größere Herausforderungen stellen werden. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir Arbeit insge-samt und für uns persönlich neu organisieren. Unternehmen müssen die steigenden Anforderungen von Kunden an Pro-dukte, Dienstleistungen, an deren Qualität, Service und Ver-fügbarkeit bedienen können. Sie werden aber auch parallel dazu Lösungen zur Verfügung stellen müssen, die Beschäf-tigte auch im Alter arbeitsfähig halten; mehr Personal wird es kaum geben. Der demograische Wandel wird spätestens im Jahr 2020 seine Wirkung noch deutlicher zeigen, wenn die doppelt so viele Mitarbeiter wie heute in Rente gehen. Erste Symptome wie zum Beispiel den Fachkräftemangel oder die Forderung nach lexibleren Arbeitszeitmodellen wegen Ple-gesituationen sind bereits sichtbar.

Mit moderner Informationstechnologie und Fachverfahren, Dokumentenmanagementsystemen und worklows sowie Email und Internet haben sich viele Arbeitsschritte und Pro-zesse auch im administrativen Bereich deutlich beschleunigt und vereinfacht. Unabhängig davon gibt es nach wie vor ge-nügend Optimierungspotenzial im Büro-Alltag. Die FAZ on-line schreibt dazu13:

„Im Durchschnitt sind es im Jahr fast 20 Arbeitstage, die Büroangestellte dadurch verlieren, dass sie sich mit fehlerhaf-

ter, langsamer oder komplizierter Technik auseinandersetzen

müssen. (…) Rund 22 Minuten am Tag verbringen Büroange-

stellte der Befragung zufolge damit, im Firmennetzwerk nach

Dokumenten oder Bildern zu suchen. Etwa 8 Minuten warten

sie im Schnitt darauf, dass Geräte aufgewärmt und hochge-

fahren sind. Weitere 9 Minuten dauert dann das Ausdrucken

von Papieren. Eine unübersichtliche Dokumentenablage sei

demnach der größte Zeitfresser. 31 Prozent der Befragten

sagten, sie verlören täglich Zeit dadurch, dass Dokumente

nicht leicht aufzuinden oder zu teilen seien. Ein Viertel der Befragten gab zu Protokoll, sich im Alltag mit veralteten

Technologien herumschlagen zu müssen, die ihnen das efizi-ente Arbeiten schwer machten. Ein weiteres Viertel der Büro-

angestellten sagte, sie verbrächten immer wieder Zeit damit,

Kollegen beim Bedienen von Druckern und Scannern zu hel-

fen. (…) Und etwas mehr als ein Fünftel gibt zu: Sie wissen

selbst nicht wirklich, wie die Software der technischen Geräte

funktioniert.“

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Wie ist das bei Ihnen im Büro? Viele Angestellte schreiben am PC seitenlange Texte nach wie vor mit drei oder vier Fin-gern, kaum jemand hat in der Schule oder im Studium ge-lernt, wie man schnell liest, sich am Schreibtisch organisiert und wie man fokussiert an einer Aufgabe bleiben kann. Im Vorstellungsgespräch werden meist nur die Kenntnisse in Standard-Ofice-Programmen abgefragt. Und das, obwohl die obenstehenden Fähigkeiten zu den Basiskompetenzen für Bü-roarbeiter zählen.

In Lean-Management-Workshops und Fortbildungen mit Führungskräften und Beschäftigten sind immer wieder fol-gende Standardthemen gefragt:

• der Informationsaustausch und • die Effektivität von Meetings, • der Umgang mit dem Email-Aufkommen und• die persönliche Efizienz, • der Umgang mit gemeinsamen Laufwerken und Dateien.

Die Lean Prinzipien sind uneingeschränkt im administrati-ven Bereich anwendbar: es geht genauso um den Wert, den Wertstrom, den Flow, den Pull und die Perfektion, nur dass hier Übersetzungsarbeit geleistet werden muss: hier sind es Informationen, die anstatt von Material im Prozess verar-beitet werden. Das riecht nach Verbesserungspotenzial. Es gibt jedoch ein Problem: Prozesse im Büro sind ebenso wie in der Produktion auf Efizienz hin optimierbar. Sie sind je-doch weniger beobachtbar und durchtaktbar als Produktions-prozesse, jedenfalls in den back-ofice-Bereichen, in denen „kreative Wissensarbeit“ stattindet. Anders als in der Pro-duktion kommt zur Prozessebene eine zweite Ebene hinzu, die kaum kontrollierbar ist: die Erledigung von Aufgaben und Abarbeitung von Vorgängen ist abhängig von der Priorität, die ihnen der Mitarbeiter gibt. Güte und Qualität hängen an der Art und Weise, wie Mitarbeiter über Informationen verfü-gen und dieses einsetzen (können). Wissensarbeit lässt meist viele Ergebnis-Variationen und Entscheidungsspielräume zu. Selbst wenn die Prozesse optimiert sind, determinieren die Rahmenbedingungen wie z.B. persönliche Routinen, die Fä-higkeit, „dran zu bleiben“ und der Zugang zu Informationen die Efizienz der Arbeitsergebnisse. Prokrastination ist der Fachausdruck dafür, Dinge aufzuschieben.

Neue ArbeitsweltMit den Anforderungen der Arbeitswelt, nämlich immer schnelleren Reaktionszeiten und höheren Ansprüchen werden die Herausforderungen an Wissensarbeiter noch weiter stei-gen. Zu den Kernkompetenzen im Büro würde also gehören, zu priorisieren, sich selbst organisieren zu können und sich nicht ablenken zu lassen, sondern sich auf Aufgaben fokus-sieren zu können. Die Arbeitgeber haben mit Zeit- und Selbst-management-Seminaren in ihren Weiterbildungsprogrammen reagiert. Das wird nicht reichen. Von der Generation Y, also den Menschen, die nach 2000 geboren und mit Smartphones aufgewachsen sind, wird gesagt, sie sei im Gegensatz zu den vorherigen Generationen in der Lage, alles in Multitasking zu leisten. Ich glaube nicht daran. Für sie dürfte noch wichtiger sein, gerade die obenstehenden Fähigkeiten zu entwickeln. Ganz schön hohe Ansprüche an uns Menschen.Wechselwirkungen zwischen den Ansätzen und betrieblichen Bereichen

Die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Themen ande-rer Disziplinen wurden bereits sichtbar: Zwischen Qualitäts-management (Lean Management), Prozessmanagement, IT, Kompetenz- und Wissensmanagement bis hin zum Organi-sations- und Personalmanagement bestehen eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Verzahnung, die es zu gestalten gilt. Bisher inden sich bei den meisten Ansätzen nur Insellösun-gen, sowohl thematisch als auch bezogen auf die betrieblichen Bereiche, die diese Themen vertreten. In vielen Unternehmen agieren diese nach wie vor wie in Silos. Das gilt auch für das Lean Management, das meist isoliert in einem bestimmten Bereich mit eigenen Interessen und Zielsetzungen verortet ist. In den konventionellen Organisationsstrukturen ist es nur schwer zu realisieren, dass horizontal und vertikal ohne Res-sortegoismen zusammengearbeitet werden kann.

Ressortdenken und Siloverhalten tragen dazu bei, dass die Disziplinen, die so viele Schnittstellen untereinander haben, nebeneinander her existieren. Ich habe selbst erlebt, dass KVP-Projektorganisation und die für interne Organisation Verantwortlichen jahrelang nebeneinander her agierten, ohne sich in der Arbeit miteinander zu verzahnen. Im besten Fall lässt man sich in Ruhe, um die eigenen Felle im Trockenen zu halten. Dabei würden Collaboration-Tools, virtuelle Platt-formen, Methoden und Workshop-Formate wie die Zukunfts-konferenz und RTSC14 es einfach machen, zusammen zu arbeiten. Es sind nicht die Tools, die in vielen Unternehmen fehlen, sondern der Geist und die Kultur, sich ungeachtet von Eigeninteressen gemeinsam für das große Ganze zu engagie-ren. Das Problem ist symptomatisch und zeigt sich im Zusam-menwirken auf operativer Ebene wieder.

14 RTSC – Real Time Strategic Change – ein Großgruppen-Workshopformat in Veränderungsprozessen

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Auch das Wissensmanagement kann eine gute Vernetzung leisten, hier bestehen zu einigen anderen Ansätzen wie Qua-litäts- und Prozessmanagement Verbindungen. An Beispielen wie dem Scrum-Kanban-System15 im agilen Projektmanage-ment oder dem Konzept der Lean-startups16 wird deutlich, dass die Methoden aus den verschiedenen Management-Me-thoden und Konzepten immer mehr miteinander verschmel-zen. In der Kombination bringen sie Synergieeffekte. Umge-kehrt werden Instrumente aus dem Lean Management auch in anderen Bereichen wie z.B. dem Design Thinking genutzt.

Die demograische Entwicklung birgt ein Risiko des Kom-petenzverlusts auf neue Art. Die Entwicklung der „Arbeits-welt 4.0“ führt zu einer immer größeren Spezialisierung. Kompetenz immer mehr zum eigentlichen Produktionsfak-tor werden. Das noch meist recht konventionell aufgestellte Personalmanagement wird in den nächsten Jahren gefordert sein, Lösungen für die veränderten (globalen) Arbeits- und Lebenswelten bis hin zu rechtssicheren Regelungen zu ent-wickeln. Die Ansätze und handelnden Personen und Bereiche in Unternehmen zu vernetzen ist komplex, macht Organisa-tionen aber durchlässiger. Ein Beispiel für ein solches Orga-nisationsmodell ist das Unternehmen spotify17, in dem eine völlig andere Organisationsstruktur („Scaling Model“) als in konventionell organisierten Firmen herrscht, und die sich an Agile- und Scrum-Prinzipien orientiert. Der Austausch von Informationen, gemeinsame Projekte und ziel- und ergebni-sorientiertes Handeln sind oberstes Ziel. Die Zusammenar-beit erfolgt in eigenverantwortlichen Trupps, Verbänden und Stämmen, die horizontal und vertikal miteinander vernetzt sind, extrem lexibel auf Situationen reagieren und sich ge-genseitig in ihrer Aufgabenerfüllung unterstützen. Die Kultur des Unternehmens wirkt kreativ, kundenorientiert und lean. So können Verbesserungen zum Beispiel eingeführt werden, wenn das Team aufgrund ausreichender Tests überzeugt ist, dass eine neue Lösung funktioniert. Unerwartet auftauchen-de Fehler werden schnell behoben, Schuldzuweisungen sind tabu. Agile Coaches unterstützen Teams dabei, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Selbstverantwortung und -organi-sation gehören bei spotify zu den Grundprinzipien.

Wie hält man einen Veränderungsprozess lebendig? Aus meiner Beobachtung heraus drohen Veränderungsprozes-se spätestens nach drei, vier Jahren zu versanden. Das Ein-führungs-Level an Aktivitäten, entstanden in Euphorie über die neuen Effekte, dauerhaft zu halten, benötigt permanent „Energiezufuhr“, denn ein solcher Prozess ist kein Perpetuum mobile.

Eine bessere Identiikation mit dem Veränderungsprozess er-reicht man beispielsweise durch einen eigenen, passenderen Namen anstatt der üblichen Methodenbezeichnung. Auf Dau-er und mit viel Geduld kann sich dieser Name zur „Marke“ des Prozesses im Unternehmen entwickeln (siehe das Beispiel „priMA“). Die wichtigsten Faktoren sind jedoch:

• eindeutige Botschaften,

• Geschichten aus der Praxis, • transparentes und konsequentes Handeln und

• glaubwürdiges, authentisches Verhalten.

Ausprobieren und Experimentieren ist eine gute Haltung, um positive Erfahrungen zu machen – sowohl im gesamten Einführungsprozess, als auch für kleine Veränderungen in Abläufen vor Ort. Das Versprechen, dass Veränderungen zu-rückgenommen oder modiiziert werden, wenn sie nicht den erhofften Effekt bringen, mindert Widerstand und hält Ängste in Schach. Hier die schlechte Nachricht: Es braucht Zeit, so dass die Langsamen mitkommen. Sie brauchen Beharrungs-vermögen und die Fähigkeit, Frust auszuhalten. Sie müssen sich immer wieder selbst neu motivieren können. Das gilt für alle: Management, Führungskräfte, Lean-Verantwortliche, Moderatoren usw.

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Lean Einführung systemisch und strategisch planenAuch wenn der Anlass für die Einführung von Lean Manage-ment eine strategisch induzierte Entscheidung ist, müssen sich die meisten Organisationen parallel noch mit anderen, weitreichenden Veränderungen auseinandersetzen. Das kön-nen große Investitionen sein, die Entwicklung neuer Produk-te, die Umstellung von Produktionsprozessen oder Personal-abbau. Die Synchronizität bringt Wechselwirkungen mit sich und macht jeden der Veränderungsprozesse für sich komple-xer, als er ohnehin ist. Womöglich schießt ein anderer interner Bereich, mit dem es inhaltliche Überschneidungen gibt, quer. Dazu kommt, dass Changeprozesse aufgrund der unberechen-baren Reaktionen der Interessengruppen und äußeren Einlüs-se noch weniger einschätzbar und planbar werden. Inwieweit sind also die Ausgangslage und der Zeitpunkt für so viel Ver-änderung günstig, wenn sie angegangen wird?

Nach Aussage mehrerer Studien liegt die Erfolgsquote von Changeprojekten, und dazu zählt die Einführung von Lean, bei rund 30 %. Im Alltag sind Führungskräfte am meisten mit den Auswirkungen konfrontiert, die sich aus dem Verhalten von Mitarbeitern ergeben – aber auch umgekehrt: Das Füh-rungsverhalten hat größten Einluss auf die Haltung der Mit-arbeiter. Die Ursachen sind jedoch nicht auf den ersten Blick ersichtlich und oft in der „Subkultur“ des Unternehmens un-terwegs: fehlende Zielklarheit und Motivation, Widerstände von Einzelnen und Gruppen oder Bereichen, Missverständ-nisse durch zu wenig Information und Kommunikation usw. Entscheidend für den Erfolg von Organisationsentwick-lungsprojekten ist letztlich, ob und wie sich das Verhalten von Führungskräften und Mitarbeitern tatsächlich verändert. Sind Denkweise und Einstellungen anders als in der Vergan-genheit? Wirkt sich das veränderte Verhalten positiv auf die Zusammenarbeit und Kooperation im Unternehmen aus, auch bereichsübergreifend? An welchen Effekten und Ergebnissen werden die Veränderungen sichtbar? Wie entwickelt sich das Unternehmen?

Schlussfolgernd könnte man bei der Einführung von Lean Management auch die Veränderung der Organisationskultur explizit in die strategische Zielsetzung des Projekts aufneh-men. Die dauerhafte Verankerung wäre als langfristiger Orga-nisationsentwicklungsprozess anzulegen. Darin wäre die Ein-führung der Methoden der eine Teil des Projekts, der andere Teil die Begleitung und Gestaltung der Kulturveränderungen auf organisationaler und personaler Ebene. So steht stärker im Fokus, dass es bei aller Verbesserung der Efizienz und Er-gebnisse auch um einen Wandel von Haltung und Handlungen

der Beteiligten geht. Daraus folgend wäre die Einführung und Integration von Lean Management in die Kultur gemeinsa-me Aufgabe von Führungskräften, Organisationsentwicklern, Lean Experten und Facilitatoren18. In einer guten Beziehung erneuert man den Bund fürs Leben in bestimmten Abständen. Auch im Lean Management lohnt es sich, regelmäßig zu re-lektieren, wie sich Kultur und Arbeitsweisen verändert haben und welche Weiterentwicklung ansteht.

Integriert ist Lean, wenn die Methoden zum Inventar gehören und niemand mehr weiß, dass ursprünglich „Lean Manage-ment“ auf der Toolbox stand. Der Traum eines jeden Lean-Experten wäre: ein Mitarbeiter sagt über den A3-Bogen19: „Das haben wir schon immer so gemacht!“) ;-).

Ein FazitToyota versteht sich als lernende Organisation, in dem die einzelnen Bereiche sich gegenseitig unterstützen. Neben der Organisation der Produktion von Autos macht Lean Manage-ment auch das soziale Betriebssystem dieses Unternehmens aus. Dieses wird von den Menschen stetig weiterentwi-ckelt. Vielleicht braucht Toyota deswegen keine Handbücher, in denen beschrieben ist, wie Lean Management geht: weil es ein lebendiger Organismus ist. In diesem Organismus sind ei-genverantwortliche Menschen Meister darin geworden, Ziele zu verfolgen, gemeinsam zu lernen und die Mission zu leben.

Organisationen haben keinen Selbstzweck, sie sind zunächst nur eine leere Hülse. Das Zusammenwirken von Führungs-kräften und Mitarbeitern haucht ihnen Leben ein. Die Men-schen verleihen Organisationen den darin herrschenden Geist. Letztlich ist auch Lean Management eine menschliche Erin-dung und es sollte Menschen dienen, nicht zuvörderst Orga-nisationen, Ergebnissen oder Gewinnen. Arbeit ist dazu da, uns ein gutes Leben zu ermöglichen, aber auch um uns selbst verwirklichen zu können. Mit Lean Management die kann Arbeit sinnhafter und erfüllender werden. Bei Toyota scheint es so, als würde diese Haltung gelebt. Dort schaut man sich gegenseitig in die Augen und fragt:

Was wollen wir verbessern?Welche Ideen haben wir?Was probieren wir aus?Was setzen wir um?Lean Management kann dazu Vehikel und Gefäß schaffen, um Organisation und Menschen die Chance zu geben, sich wei-ter zu entwickeln. Kontinuierliche Verbesserung ist hier kei-ne Floskel, wird als echte Experimentier-Kultur verstanden. Menschliche Weiterentwicklung bedeutet, Kompetenzen zu

15 Kombination von Methoden aus dem agilen Projektmanagement und dem KAIZEN, um Aufgaben abzuarbeiten.16 Gründung von Unternehmen mit wenig Kapital und schnellem Markteintritt des Produkts17 https://www.brandeins.de/archiv/2015/fuehrung/spotify-nicht-fragen-machen/18 18 Ein Facilitator ist ein Prozessbegleiter, der in Unternehmen, Organisationen und mit Einzelpersonen Veränderungen initiiert, begleitet, unterstützt und fördert. Quelle: http://school-of-facilitating.de/was-ist-ein-facilitator19 A3-Bogen: Systematik zur Problemlösung

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stärken und das Beste im Menschen zutage zu fördern: Ideen, Begeisterung, Motivation, Kreativität und Stolz bei der Ar-beit. Lean Management ist eine Möglichkeit, die Kultur dafür zu schaffen. Lean Management haben wir verstanden. Fangen wir bei uns selbst an: Jeden Tag einen kleinen Schritt, konti-nuierlich uns verbessern.

Wenn Sie sich einem berührenden Erlebnis „aussetzen“ möchten, dann schauen Sie sich die Ausstellung ATMAN20

von Bernd Kolb, dem ehemaligen Telekom-Manager, an. Als gemeinsames Erlebnis, z.B. mit ihrem Team oder ihrer Familie, verspreche ich Ihnen tiefer greifende Gespräche als nach jedem Teamevent und einem echten Kontakt mit ihren Mitmenschen. Diese Erinnerung wird in Ihrem (berulichen) Alltag nachwirken.

Heute weiß ich, dass das Unternehmen, in dem ich einen Teil meiner Sommerferien verbrachte, ein erfolgreicher Automo-bilzulieferer ist. Die Webseite zeigt ein modernes Unterneh-men: einen der größten Spezialisten Europas. „Wir entwickeln schon heute das Equipment, das die Zukunft bestimmt: Fahr-zeugzubehörteile aus Kunststoff – perfekt verarbeitet und un-übertroffen leicht.“21 ist da zu lesen. Dahinter stecken sicher-lich Innovation, Perfektion und Qualität. Ich weiß nicht, ob das Unternehmen inzwischen Lean Management eingeführt hat – es herauszuinden, wäre eine Fahrt in die Heimat wert…

Christine Gebler:Christine Gebler (Dipl.-Verwaltungswirtin (FH)) ist nebenberuliche Trainerin, Beraterin und

Moderatorin für die Themen Qualitätsmanagement, Lean Management und Projektmanagement.

Seit 2011 leitet sie systemische Aufstellungen. Von 1996 bis 2014 war sie verantwortlich für die Einführung und Koordination des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses der Stadtverwaltung Mannheim (priMA – Prozessverbesserung in Mannheim).

Unter anderem war sie von 2013-2016 Mitglied des Beirats für Kontinuierliche Verbesserung bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und Gründungsmitglied der Peter-Drucker-

Society Mannheim e.V. Mehr erfahren Sie unter www.stellraum.de.

20 www.atman.de, abgerufen am 19.11.201621 www.borsi.de/index.php?id=22&L=%2Fproc%2Fself%2Fenviron, abgerufen am 19.11.2016