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Intensiv und Notfallbehandlung, Jahrgang 43, Nr. 1/2018, S. 29-35 © 2018 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0947-5362 DOI 10.5414/IBX0517 Case Report Kasuistik Schlüsselwörter Tauchunfall – Schwimm- bad – Dekompressions- krankheit – Dekom- pressionserkrankung – arterielle Gasembolie – Hyperbare Sauerstoff- therapie – Druckkammer Key words diving accident – swim- ming pool – decompres- sion sicknes – decom- pression illness – arterial gas embolism – hyper- baric oxygen therapy – hyperbaric chamber Tauchunfall im Schwimmbad Fallbericht und Diskussion der aktuellen Literatur C.A. Pasedach 1 , M. Liebl 2 und S. Schröder 3 1 Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, 2 Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, 3 Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Krankenhaus Düren gem. GmbH Tauchunfall im Schwimmbad. Fallbe- richt und Diskussion der aktuellen Litera- tur Ein Tauchschüler erlitt während eines Tauchkurses mit einem Drucklufttauchge- rät einen Tauchunfall, obwohl er in einem Schwimmbad tauchte und nicht in einem Gewässer im Freien. Als ursächliches Ereig- nis wird ein Notaufstieg aus 5 Metern Tie- fe angenommen, der vermutlich zu einem pulmonalen Barotrauma führte. Symptome zeigten sich nicht sofort, sondern verspätet mit neurologischen Defiziten und thoraka- len Schmerzen. Es wurden zwei Therapien mit hyperbarem Sauerstoff durchgeführt und eine Diagnostik auf prädisponierende Lun- generkrankungen durchgeführt. Nach weni- gen Tagen konnte der Patient beschwerdefrei entlassen werden. Diving accident in a swimming pool. Case report and discussion of current lit- erature A scuba beginner suffered a diving ac- cident during a self-contained underwater breathing apparatus (scuba) diving course, although he was diving in a swimming-pool, not outside in deep water. As a causal event an emergency rise from the depth of 5 meters is accepted and led presumably to a pulmo- nary barotrauma. Symptoms did not appear immediately, separated late with neurologi- cal deficits and thoracic pain. Two therapies with hyperbaric oxygen were carried out and a diagnostic on risk factors for pulmonary barotrauma followed. After a few days the patient could get dismissed without symp- toms. Einleitung Ein Tauchunfall ist für den Notfall- mediziner eine Rarität und die patho- physiologischen Zusammenhänge werden im Medizinstudium nicht ausreichend ge- lehrt. Es ist daher nicht außergewöhnlich, wenn sich ein Notarzt mit einem solchen Krankheitsbild nicht auskennt. Auch wird ein Tauchgang im Schwimmbad meist un- terschätzt, da ein häufiger Irrglaube ist, dass man lange und tief tauchen muss, damit es zu einem Tauchunfall kommen kann. Dieser Fallbericht zeigt, dass selbst ein Tauchgang in einem Schwimmbad erhebliche gesund- heitliche Risiken bergen kann. Es gibt zwei unterschiedliche pathophy- siologische Mechanismen bei einem Tauch- unfall. Die Dekompressionserkrankung kann zum einen durch Ausperlen von Gasblasen bei einer Übersättigung des Gewebes mit Inertgas entstehen, wie es bei der zu schnel- len Dekompression zustande kommt. Ande- rerseits entsteht eine arterielle Gasembolie (AGE) durch sich ausdehnendes Gas mit Ruptur der Alveolarkapillaren, wodurch das Gas ins arterielle System übertritt [1]. Da- bei ist die klinische Symptomatik abhängig davon, wo die Gasblasen im Gefäßsystem hängen bleiben. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen die pathophysiologischen Zusam- menhänge nicht eindeutig sind [2], so dass zusammenfassend von der Dekompressions- erkrankung gesprochen wird [3]. In dem dargestellten Fall wird von ei- nem Tauchunfall berichtet, der sich in einem Schwimmbad ereignet hat. Zunächst wird der Behandlungsverlauf geschildert. Danach schließt sich eine Diskussion zur Differen-

Kasuistik Case Report Tauchunfall im Schwimmbad · Tauchunfall im Schwimmbad – Fallbericht und Diskussion der aktuellen Literatur 31 Überdruckmedizin alle Verlängerungen des Therapieschemas

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Intensiv und Notfallbehandlung, Jahrgang 43, Nr. 1/2018, S. 29-35

© 2018 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0947-5362DOI 10.5414/IBX0517

Case ReportKasuistik

SchlüsselwörterTauchunfall – Schwimm-bad – Dekompressions-krankheit – Dekom-pressionserkrankung – arterielle Gasembolie – Hyperbare Sauerstoff-therapie – Druckkammer

Key wordsdiving accident – swim-ming pool – decompres-sion sicknes – decom-pression illness – arterial gas embolism – hyper-baric oxygen therapy – hyperbaric chamber

Tauchunfall im SchwimmbadFallbericht und Diskussion der aktuellen Literatur

C.A. Pasedach1, M. Liebl2 und S. Schröder3

1Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, 2Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, 3Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Krankenhaus Düren gem. GmbH

Tauchunfall im Schwimmbad. Fallbe-richt und Diskussion der aktuellen Litera-tur

Ein Tauchschüler erlitt während eines Tauchkurses mit einem Drucklufttauchge-rät einen Tauchunfall, obwohl er in einem Schwimmbad tauchte und nicht in einem Gewässer im Freien. Als ursächliches Ereig-nis wird ein Notaufstieg aus 5 Metern Tie-fe angenommen, der vermutlich zu einem pulmonalen Barotrauma führte. Symptome zeigten sich nicht sofort, sondern verspätet mit neurologischen Defiziten und thoraka-len Schmerzen. Es wurden zwei Therapien mit hyperbarem Sauerstoff durchgeführt und eine Diagnostik auf prädisponierende Lun-generkrankungen durchgeführt. Nach weni-gen Tagen konnte der Patient beschwerdefrei entlassen werden.

Diving accident in a swimming pool. Case report and discussion of current lit-erature

A scuba beginner suffered a diving ac-cident during a self-contained underwater breathing apparatus (scuba) diving course, although he was diving in a swimming-pool, not outside in deep water. As a causal event an emergency rise from the depth of 5 meters is accepted and led presumably to a pulmo-nary barotrauma. Symptoms did not appear immediately, separated late with neurologi-cal deficits and thoracic pain. Two therapies with hyperbaric oxygen were carried out and a diagnostic on risk factors for pulmonary barotrauma followed. After a few days the patient could get dismissed without symp-toms.

Einleitung

Ein Tauchunfall ist für den Notfall-mediziner eine Rarität und die patho-physiologischen Zusammenhänge werden im Medizinstudium nicht ausreichend ge-lehrt. Es ist daher nicht außergewöhnlich, wenn sich ein Notarzt mit einem solchen Krankheitsbild nicht auskennt. Auch wird ein Tauchgang im Schwimmbad meist un-terschätzt, da ein häufiger Irrglaube ist, dass man lange und tief tauchen muss, damit es zu einem Tauchunfall kommen kann. Dieser Fallbericht zeigt, dass selbst ein Tauchgang in einem Schwimmbad erhebliche gesund-heitliche Risiken bergen kann.

Es gibt zwei unterschiedliche pathophy-siologische Mechanismen bei einem Tauch-unfall. Die Dekompressionserkrankung kann zum einen durch Ausperlen von Gasblasen bei einer Übersättigung des Gewebes mit Inertgas entstehen, wie es bei der zu schnel-len Dekompression zustande kommt. Ande-rerseits entsteht eine arterielle Gasembolie (AGE) durch sich ausdehnendes Gas mit Ruptur der Alveolarkapillaren, wodurch das Gas ins arterielle System übertritt [1]. Da-bei ist die klinische Symptomatik abhängig davon, wo die Gasblasen im Gefäßsystem hängen bleiben. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen die pathophysiologischen Zusam-menhänge nicht eindeutig sind [2], so dass zusammenfassend von der Dekompressions-erkrankung gesprochen wird [3].

In dem dargestellten Fall wird von ei-nem Tauchunfall berichtet, der sich in einem Schwimmbad ereignet hat. Zunächst wird der Behandlungsverlauf geschildert. Danach schließt sich eine Diskussion zur Differen-

Pasedach, Liebl und Schröder 30

tialdiagnose an, welche Rolle ein persistie-rendes Foramen ovale (PFO) dabei spielen könnte und ob die Behandlung nach der ak-tuellen Leitlinie erfolgte.

Fallbericht

Unfallgeschehen an Tag 1

Ein 40-jähriger Mann hatte im Rahmen eines Tauchkurses in einem Schwimmbad mehrere Tauchgänge mit einem Druckluft-tauchgerät durchgeführt. Das Schwimmbad hatte eine maximale Tiefe von 10 Metern. Beim 1. Tauchgang war er bis auf 10 Me-ter getaucht. Beim 2. Tauchgang auf 5 Me-ter hatte er im Rahmen einer Übung seinen Atemregler aus dem Mund genommen, ihn aber nicht wiedergefunden. Sein Tauchlehrer war zu weit entfernt und infolgedessen geriet der Tauchschüler in Panik und führte einen Notaufstieg durch. Er fühlte sich danach gut und absolvierte einen 3. Tauchgang bis auf 10 Meter. In der darauffolgenden Nacht entwickelten sich bei ihm Gefühlsstörungen in beiden Beinen, gefolgt von einer leichten Parese des linken Beins. Zudem breiteten sich Sensibilitätsstörungen in den Händen und am Thorax sowie im rechten Nierenla-ger aus. Am nächsten Morgen berichtete er seine Symptome dem Tauchlehrer, der ihn nach Rücksprache mit einem erfahrenen Tauchmediziner mit dem Verdacht auf einen Tauchunfall sofort in das nächste Druckkam-merzentrum schickte.

Patient

– 40 Jahre – Tauchschüler – Vorerkrankungen: Neurodermitis – keine Dauermedikation – Symptome: persistierende Sensibilitäts-

störungen in beiden Beinen, am Thorax und Abdomen, sowie in den Fingern

– kardiopulmonal stabil

Notaufnahme an Tag 2

Notfallmäßige Vorstellung in der Aufnah-me der Universitätsklinik Aachen am Mittag des 2. Tages: Hier zeigte sich ein kardiopul-monal stabiler Patient. Nach einer kurzen klinischen Untersuchung mit dem auskul-tatorischen Ausschluss eines Pneumothorax erfolgte die Verlegung in die Druckkammer zur Hyperbaren Oxygenation (HBO).

Initiale HBO-Therapie an Tag 2

Bei der Ankunft im Druckkammerzent-rum Aachen persistierten die Sensibilitäts-störungen, Paresen waren zum Zeitpunkt der Vorstellung nicht mehr festzustellen.

Es erfolgte eine HBO-Therapie nach United States (US) Navy Tabelle 6 mit allen Erweiterungen. Es ist die Standardtherapie für alle Tauchunfälle. Sie beginnt mit einer Kompression bis auf 280 kPa Umgebungs-druck für mindestens eine Stunde, was einer Tauchtiefe von 18 Metern entspricht, und es folgt anschließend eine Therapie mit 190 kPa Umgebungsdruck, entsprechend einer Tauchtiefe von 9 Metern. Die Gesamtdauer der Therapie ohne Verlängerungen beträgt 290 Minuten, bei persistierenden Beschwer-den werden Verlängerungen durchgeführt, bis zu einer maximalen Therapiedauer von 495 Minuten. Intermittierend werden Sauer-stoffpausen von 5 Minuten zur Verhinderung der toxischen Wirkung von Sauerstoff durch-geführt. Bereits nach 60 Minuten auf initialer Therapietiefe besserte sich die Symptomatik in dem dargestellten Fall deutlich, der Pa-tient berichtete über einen subjektiven Rück-gang der Parästhesien vor allem am Thorax und Abdomen. Bei noch vorhandenen Paräs-thesien im linken Oberschenkel und in den Fingern wurden gemäß der Leitlinie Tauch-unfall von der Gesellschaft für Tauch- und

Abkürzungen

AGE Arterielle Gasembolie

CK Kreatininkinase

CK-MB Isoenzym der Kreatininkinase in der Herzmuskelzelle

CT Computertomographie

EKG Elektrokardiogramm

HBO Hyperbare Oxygenation

HF Herzfrequenz

PFO persistierendes Foramen ovale

RR Blutdruck nach Riva Rocci

scuba Self-contained underwater breathing apparatus, Drucklufttauch-gerät

Trop T Tropinin T

US United States

Verzögerter Beginn der Symptomatik

1. HBO-Therapie mit US Navy Tabelle 6

Tauchunfall im Schwimmbad – Fallbericht und Diskussion der aktuellen Literatur 31

Überdruckmedizin alle Verlängerungen des Therapieschemas durchgeführt. Während der letzten Verlängerung gab der Patient thorakalen Druckschmerz beim Einatmen an. Die Vitalparameter waren unauffällig, im Elektrokardiogramm(EKG)-Monitoring, das kontinuierlich erfolgte, gab es keine Hinweise auf eine frische Ischämie und auch die Lunge war auskultatorisch ohne patholo-gischen Befund. Es wurde Rücksprache mit den behandelnden Ärzten in der Klinik ge-halten, dass im Verlauf ein Infarktausschluss erfolgen sollte. Die weitere Therapie verlief unauffällig. Im Laufe der Behandlung wurde der Patient komplett beschwerdefrei. Zur sta-tionären Überwachung wurde der Patient im Klinikum Aachen aufgenommen.

HBO-Folgetherapie an Tag 3

Da der Patient trotz Beschwerdefreiheit nach der 1. Therapie wieder Parästhesien entwickelte, wurde am darauffolgenden Tag eine 2. Therapie durchgeführt. Diese erfolg-te nach dem Problemwunden-Schema von Marx [4, 5]. Hierbei handelte sich um ein Therapieschema mit 240 kPa Umgebungs-druck, entsprechend einer Tauchtiefe von 14 Meter, mit insgesamt 90 Minuten Sau-erstoffatmung. Es erfolgten intermittierende Sauerstoffpausen von 10 Minuten Länge. Während der Therapie kam es zu einer kur-zen Episode mit Stechen in der Brust und Atemnot. Auch dieses Mal war der Patient kardiopulmonal stabil und weder das Mo-nitoring noch die klinische Untersuchung zeigten Auffälligkeiten. Wieder wurde Rück-sprache mit den behandelnden Ärzten gehal-ten und erneut darauf hingewiesen, dass ein EKG zum Infarktausschluss erforderlich sei. Des Weiteren sollte eine Computertomogra-phie (CT) der Lunge erstellt werden, um prä-disponierende Faktoren für ein pulmonales Barotrauma feststellen zu können.

Untersuchungsbefunde und klinischer Verlauf

Direkt nach der Rückkehr von der 2. The-rapie in der Druckkammer wurde das EKG

Abb. 1. US Navy Behandlungstabelle 6. Auf der x-Achse ist die Zeit in Minuten dargestellt, während auf der y-Achse der Therapiedruck in kPa angege-ben ist. Dunkelgrau sind die Therapieblöcke ohne Verlängerungen und in hellgrau sind die Verlänge-rungen markiert. Zwischen den Therapieblöcken mit reiner Sauerstoffatmung gibt es Pausen, in de-nen nur Luft geatmet wird [4].

Abb. 2. Druckkammer Aachen von HAUX-LIFE-SUPPORT GmbH (Foto: C.A. Pasedach).

2. HBO-Therapie nach Problem-wundenschema

Pasedach, Liebl und Schröder 32

in der Klinik geschrieben. Hier zeigten sich keinerlei Auffälligkeiten.

Bei der laborchemischen Untersuchung 3 Tage nach dem Tauchunfall erschien die Kreatininkinase (CK) leicht erhöht, bei Wer-ten innerhalb der Referenz für CK-MB und Troponin T wurde eine kardiale Ischämie ausgeschlossen (Tab. 1).

Die Mehrzeilen-Spiral-CT-Untersuchung des Thorax erfolgte 5 Tage nach dem Tauch-unfall in nativer Technik (Weichteil und Lungenfenster) mit computergestützter Ana-lyse und Anfertigung multiplaner Rekon-struktionen. Die Befundung ergab bis auf eine kleine subpleurale Bulla links ein alters-entsprechendes unauffälliges CT (Abb. 4).

Im weiteren Verlauf war der Patient be-schwerdefrei, so dass keine weiteren Druck-kammertherapien notwendig waren. Am 6. Tag nach dem Tauchunfall wurde der be-schwerdefreie Patient mit der Empfehlung der körperlichen Schonung entlassen. Außer-dem wurde er darauf hingewiesen, dass seine Tauchtauglichkeitsbescheinigung wegen des Tauchunfalls die Gültigkeit verloren habe, so dass er sich diese erneut attestieren lassen müsse, falls er wieder tauchen möchte.

Diskussion

Durch einen Notaufstieg aus 5 Metern Tiefe erlitt ein Tauchschüler einen Tauchun-fall mit vor allem neurologischen Defiziten. Es folgten zwei Therapien mit hyperbarem Sauerstoff, bis der Patient symptomfrei war. Im CT Thorax zeigte sich eine kleine Bulla.

Tab. 1. Gemessene Laborparameter mit ent-sprechenden Normalwerten für die Parameter Kreatinkinase (CK), Isoenzym der Kreatinkinase in der Herzmuskelzelle (CK-MB) und Troponin T (Trop T).

Laborparame-ter (Einheit)

Gemessener Wert

Normwert

CK (U/l) 226 (↑) < 190CK-MB (µg/l) 1,6 < 6,22Trop T (pg/ml) 4 < 14,0

Abb. 4. Computertomographie des Thorax, An-sicht von kaudal nach kranial, winzige subpleurale Bulla (Pfeil) dorsal im posterobasalen Unterlap-pensegment der linken Lunge in axialer Schnit-tebene in der Vergrößerung

Abb. 3. Problemwunden-Schema. Auf der x-Ach-se ist die Zeit in Minuten dargestellt, während auf der y-Achse der Therapiedruck in kPa angegeben ist. Grau sind die Therapieblöcke markiert. Zwi-schen den Therapieblöcken mit reiner Sauerstoff-atmung gibt es Pausen, in denen nur Luft geatmet wird [5].

Im CT kleine subpleurale Bulla

Tauchunfall im Schwimmbad – Fallbericht und Diskussion der aktuellen Literatur 33

Differentialdiagnose Tauchunfall

Die Diagnose eines Tauchunfalls wird durch die Klinik gestellt [1, 3]. Das Neu-auftreten von klinischen Symptomen nach einem Aufenthalt mit Atmung unter Wasser, wie Juckreiz, Muskel- und Gelenkschmer-zen, Müdigkeit sowie neurologische Aus-fälle jeglicher Art, gilt bis zum Beweis des Gegenteils als ein Tauchunfall [4]. In die-ser Kasuistik waren die Symptome unter der Therapie in der Druckkammer schnell rückläufig, was für die Theorie eines Tauch­unfalls spricht. Es sind Fälle beschrieben, wo die Diagnose eines Tauchunfalls initial unwahrscheinlich erschien, dennoch waren die klinischen Symptome unter einer HBO-Therapie rückläufig, so wie auch in dem hier dargestellten Fall [6, 7]. Im Zweifel darf die Therapie nicht verzögert werden [3], um kei-ne bleibenden neurologischen Defizite zu provozieren.

Ein Herzinfarkt konnte als Differential-diagnose bei unauffälligem EKG und nor-malen Herzenzymen ausgeschlossen wer-den. Ein zerebraler Insult hätte eher eine Halbseitensymptomatik gezeigt und ein Dis-kusprolaps hätte neurologische Defizite in einem dazugehörigen Dermatom verursacht. Da der Patient diffuse Parästhesien am ge-samten Körper hatte, wurde auf eine gezielte Diagnostik zum Ausschluss dieser Differen-tialdiagnosen verzichtet.

Viele Taucher gehen davon aus, dass eine Dekompressionserkrankung in flachen Ge-wässern nicht stattfinden könne, aber Gas-blasen können schon ab einer sehr geringen Tauchtiefe im Körper entstehen. Bereits nach einem längeren Aufenthalt auf 3,35 Metern Tauchtiefe konnten Bläschen in einer Dopp-ler-Untersuchung nachgewiesen werden [8]. Diese Menge reicht nicht für eine Übersät-tigung des Gewebes aus, aber durch einen Rechts-Links-Shunt (z.B. bei persistieren-dem PFO) könnten die Blasen ins arterielle System gelangen. Somit ist ein Tauchunfall, insbesondere eine AGE, in flachem Gewäs-ser möglich.

Das im Behandlungsverlauf durchgeführ-te Feinschicht-CT der Lunge zeigte eine win-zige subpleurale Bulla. Ob diese Bulla Folge eines pulmonalen Barotraumas ist, bleibt ungeklärt. So lassen sich auch nicht bei je-dem pulmonalen Barotrauma Lungenverän-

derungen im CT nachweisen [9]. Gleiches gilt auch für ein Röntgen­Thorax­Bild. In 58% der Fälle von arteriellen Gasembo lien, die Harker und Mitarbeiter untersuchten, war die Röntgendiagnostik unauffällig [10]. Es konnte kein Pneumothorax als Folge ei-

Ausschluss Herzinfarkt, zerebraler Insult, Diskusprolaps

Pasedach, Liebl und Schröder 34

nes pulmonalen Barotraumas nachgewiesen werden, welches ursächlich für eine AGE sein könnte. Dennoch ist nicht auszuschlie-ßen, dass die neurologische Symptomatik bei dem Taucher in der vorliegenden Kasuistik Folge eines pulmonalen Barotraumas mit AGE ist.

Bei einer AGE wurde die Symptomatik mit Parästhesien und thorakalen Schmerzen beschrieben [3, 11, 12, 13]. In der vorliegen-den Kasuistik könnte der unkontrollierte Not-aufstieg mit möglicherweise angehaltenem Atem ein pulmonales Barotrauma mit AGE verursacht haben. Die Symptomatik begann erst mehrere Stunden nach dem Tauchgang. Dies ist eher unüblich für eine arterielle Gas-embolie, bei der die Beschwerden während des Tauchgangs oder direkt danach auftreten [14]. Aber es gibt Fälle, in denen sich die Klinik erst Stunden nach dem Tauchgang manifestierte [2, 13, 15], teilweise auch erst 48 Stunden später [12, 16]. Krzyzak erklärte sich die Verzögerung dadurch, dass der in-itiale Schaden nur sehr klein gewesen sein muss und damit nur minimale Symptome verursacht. Es kam aber zu einer Beschädi-gung eines Lungenareals, das bei erneuter Druckerhöhung, z.B. durch Pressen, Husten, Vasalva-Manöver usw., anfällig für eine Un-dichtigkeit ist und eine verzögerte Sympto-matik erklären könnte [16].

Häufig führt eine Dekompressionser-krankung zu neurologischen Ausfällen [17]. Auch in dem dargestellten Fall kam es zu Parästhesien und kurzzeitiger Lähmungser-scheinung. Für eine Dekompressionserkran-kung sprechen Wiederholungs- und JoJo-Tauchgänge, wie sie im Schwimmbad üblich sind. Eine Dekompressionskrankheit durch Inertgas­Übersättigung ist aber unüblich bei einem Tauchgang unter 10 m [1] und ist so-mit unwahrscheinlich in dem dargestellten Fall.

Ein PFO kann den Blasenübertritt vom venösen ins arterielle System begünstigen. Eine Studie von Torti und Mitarbeitern [18] fand ein 5-fach erhöhtes Risiko für einen Tauch unfall für Personen mit einem PFO. Hier korrelierte das Risiko, einen schweren Tauch unfall zu erleiden, mit der Größe des PFO. Im dargestellten Fall wurde keine wei-tere Diagnostik durchgeführt, da eine Scree-ning-Untersuchung wegen des niedrigen ab-soluten Risikos nicht empfohlen wird [19].

Es gibt immer wieder Fälle, bei denen die genauen pathophysiologischen Zusammen-hänge eines Tauchunfalls ungeklärt bleiben. Deshalb wird zusammenfassend von der De-kompressionserkrankung gesprochen. Dabei ist eine Unterscheidung zwischen Dekom-pressionskrankheit (Inertgas­Übersättigung) und arterieller Gasembolie letztendlich auch nicht notwendig, da die Behandlungen für beide identisch sind [1, 3].

Leitliniengerechte Therapie

Laut Leitlinie sollten als Erste-Hilfe-Maßnahme die frühzeitige Gabe von 100% Sauerstoff und eine gezielte Flüssigkeitsauf-nahme von 0,5 – 1 l Flüssigkeit/Stunde er-folgen [4]. Dies erfolgte beides nicht, da es zu einer verspäteten Diagnosestellung kam, weil der Patient seine Symptome zuerst nicht als Tauchunfall wahrgenommen hatte. Im weiteren Verlauf hat der Tauchlehrer kor-rekt gehandelt, indem er Kontakt mit einer taucherärztlichen Telefonberatung aufge-nommen und keine nasse Rekompression durchgeführt hat. Eine nasse Rekompression würde bedeuten, dass der Taucher einen er-neuten Tauchgang im Wasser mit langsamer Druckminderung vollzieht. Dies birgt große Gefahren, ohne die Möglichkeit einer medi-zinischen Hilfestellung, und es wird deswe-gen davon abgeraten.

Die initiale Behandlung in der HBO wurde standardmäßig nach der „US Navy Treatment Table 6“ durchgeführt. Die Tabel-le wird entsprechend verlängert, wenn der Patient „nicht beschwerdefrei ist“ [4].

Die Folgebehandlung bei persistieren-den Beschwerden kann nach verschiedenen Schemata vorgenommen werden. Entweder wird die US Navy Treatment Tabelle 6 oder das kürzere Problemwunden-Schema vorge-schlagen [4]. Da der Patient in diesem Fall nur noch leichte Sensibilitätsstörungen hat-te, wurde das Problemwunden-Schema ge-wählt. Hätte der Patient schwerwiegendere Symptome wie z.B. Lähmungen gehabt, hät-te man sich eher für die US Navy Tabelle 6 entschieden. Es gibt aber hierzu keine festen Empfehlungen.

Die hyperbare Sauerstofftherapie bewirkt durch einen hohen Sauerstoffpartialdruck ei-nen großen Diffusionsgradienten und führt

Ausschluss Dekompressions-krankheit

S2k-Leinlinie Tauchunfall

Tauchunfall im Schwimmbad – Fallbericht und Diskussion der aktuellen Literatur 35

damit zur Auflösung der Blase [20]. Eher untergeordnet ist die mechanische Verkleine-rung der Gasblase durch das Gesetz nach Bo-yle und Mariotte [1], da sich die Blase durch eine Gerinnungsaktivierung stabilisiert. Des Weiteren wird durch eine erhöhte Sauer-stofflöslichkeit im Blut die Gewebehypoxie vermindert [20]. Somit kann Gewebe mit Sauerstoff versorgt werden, dessen Gefäß vorübergehend durch eine Blase verschlos-sen ist.

Schlussfolgerung

Das Erkennen eines Tauchunfalles ist nicht immer einfach. Besteht der kleinste Verdacht auf einen Tauchunfall, sollte unver-züglich Kontakt mit einem Tauchmediziner aufgenommen werden, um eine notwendige Therapie nicht zu verzögern. Unabhängig von der Ursache ist die Therapie in einer Druckkammer identisch. Eine bildgebende Diagnostik kann prädisponierende Lungen-schäden aufzeigen, während die Suche nach einem offenen Foramen ovale heute keine Rolle spielt.

Interessenskonflikt

Die Autoren geben an, dass keine Interes-senkonflikte vorliegen.

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Dr. med. Caroline Anna Pasedach Klinik für Anästhesiologie, Univer sitätsklinikum der RWTH Aachen und HBO-Zentrum Euregio Aachen Weststraße 37 52074 Aachen [email protected]

Schwierige Diagnose-stellung