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Offizielles Organ: AGRBM, BRZ, DVR, DGA, DGGEF, DGRM, D·I·R, EFA, OEGRM, SRBM/DGE Krause & Pachernegg GmbH, Verlag für Medizin und Wirtschaft, A-3003 Gablitz Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie – Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology Andrologie Embryologie & Biologie Endokrinologie Ethik & Recht Genetik Gynäkologie Kontrazeption Psychosomatik Reproduktionsmedizin Urologie Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/Scopus www.kup.at/repromedizin Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche Wandel in der Implementation des Deutschen Embryonenschutzgesetzes Bals-Pratsch M, Dittrich R, Frommel M J. Reproduktionsmed. Endokrinol 2010; 7 (2), 87-95

Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie · blastocyst transfer, prenatal diagnosis, professional law, criminal law Eingegangen: 19.12.2009; akzeptiert nach Revision:

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  • Offizielles Organ: AGRBM, BRZ, DVR, DGA, DGGEF, DGRM, D·I·R, EFA, OEGRM, SRBM/DGE

    Krause & Pachernegg GmbH, Verlag für Medizin und Wirtschaft, A-3003 Gablitz

    Journal für

    Reproduktionsmedizin und Endokrinologie– Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology –

    Andrologie • Embryologie & Biologie • Endokrinologie • Ethik & Recht • Genetik Gynäkologie • Kontrazeption • Psychosomatik • Reproduktionsmedizin • Urologie

    Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/Scopus

    www.kup.at/repromedizinOnline-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche

    Wandel in der Implementation des Deutschen

    Embryonenschutzgesetzes

    Bals-Pratsch M, Dittrich R, Frommel M

    J. Reproduktionsmed. Endokrinol 2010; 7 (2), 87-95

    https://www.kup.at/repromedizin

  • Journal für

    Reproduktionsmedizin und Endokrinologie

    Jahrgänge 2004–2014 gratis abzugebenDie kompletten Jahrgänge 2004–2014 (Bd. 1–11, 63 Ausgaben) sind gratis abzugeben.

    Bei Interesse wenden Sie sich bitte an E-Mail: [email protected] / Sichwort: ARCHIV.Die Portokosten übernimmt der Empfänger.

    mailto:office%40kup.at?subject=

  • Wandel deutsches ESchG

    J Reproduktionsmed Endokrinol 2010; 7 (2) 87

    Wandel in der Implementation desDeutschen Embryonenschutzgesetzes

    M. Bals-Pratsch1, R. Dittrich2, M. Frommel3

    Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) bildet seit 1990 die rechtliche Grundlage für die Fortpflanzungmedizin in Deutschland. Die Bundesärztekammer(BÄK) hat aus diesem Gesetz (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 und 5) die sogenannte Dreierregel herausgelesen. Damit hat sie zwar durch die Begrenzung des Transfersauf 3 Embryonen den Gesundheitsschutz der Frau hervorgehoben, gleichzeitig aber die reproduktiven Rechte der Frau eingeschränkt. Da die Fortschrittein der Reproduktionsmedizin, wie die Blastozystenkultur mit selektivem Transfer oder die Präimplantationsdiagnostik (PID), bei einer konservativen Lesartdes ESchG in Deutschland nicht im Interesse der Kinderwunschpaare umgesetzt werden konnten, ist die Diskussion um ein umfassendes Fortpflanzungs-medizingesetz entstanden. Zudem ist die konservative Interpretation des ESchG teilweise durch das in der Länderhoheit befindliche Berufsrecht festge-schrieben worden, falls die entsprechenden Landesärztekammern (LÄK) die Richtlinie der BÄK ratifiziert hatten. Gesetze sind aber so formuliert, dass„technische Veränderungen“ (z. B. Blastozystentransfer) keine Neukodifikation erfordern, sondern andere Sachverhalte zu anderen rechtlichen Bewertun-gen führen. Der neue Kommentar des ESchG sowie aktuelle Gerichtsurteile zur Kultivierung von Eizellen und zur Trophoblastbiopsie als frühe Form derPränataldiagnostik (PND) bestätigen die im Gesetz vorhandenen Auslegungsspielräume. – Die Erbrechts- und Unterhaltsansprüche eines Kindes gegen-über seinem genetischen Vater bei der Samenspende können außerhalb eines neuen Fortpflanzungsmedizingesetzes geregelt werden. Das Verbot derEizellspende und Leihmutterschaft folgen aus dem rechtlichen Status der „Mutter“ eines Kindes als der Frau, die das Kind geboren hat. Mit diesemHintergrund greift das ESchG mit dem Verbot der Eizellspende in das Reproduktionsrecht von Frauen ein. Abgesehen von diesem Verbot ist mit der vonvielen Reproduktionsmedizinern und auch von den Gerichten praktizierten liberalen Lesart des ESchG in Deutschland eine optimale reproduktions-medizinische Behandlung auf hohem Niveau und mit international vergleichbarem Schwangerschaftserfolg möglich.

    Schlüsselwörter: Embryonenschutzgesetz, Auslegungsspielraum, Präimplantationsdiagnostik, PID, Trophoblastbiopsie,Blastozystentransfer, Pränataldiagnostik, Berufsrecht, Strafrecht

    Change in the Implentation of the German Embryo Protection Act. The embryo protection act (Deutsches Embryonenschutzgesetz, ESchG) has beenthe legal basis for reproductive medicine in Germany since 1990. The German Medical Association (Bundesärztekammer, BÄK) has interpreted from thisact (§ 1 I No 3 and 5) the so-called “Dreierregel”. This rule prohibits the fertilization of more than three oocytes and transfer of more than three embryos.With the limitation of transferring three embryos, the BÄK has pronounced the protection of the woman’s health, but at the same time has restricted thereproductive rights of the woman. However, because the development of new techniques in reproductive medicine such as blastocyst transfer orpreimplantation genetic diagnosis (PID) could not be applied in the interest of the couples in Germany desiring children, the discussion for the need fornew comprehensive Assisted Reproductive Technique (ART) legislation and regulation has arisen. The conservative interpretation of the ESchG partiallyis even implemented in the professional law of the physicians for those regional medical associations (LÄK) that have adopted the guidelines of the BÄK.Laws are however constructed so that technical progress (e.g. blastocyst transfer) does not require a revision of the law, but new circumstances lead tonew legal options. The new commentary of the ESchG as well as the current court ruling on the culture of oocytes and on the trophoblast biopsy as anearly application of prenatal medicine confirms the available scope of interpretation of the ESchG. – The child’s right to inheritance and child support fromits biological father can be controlled outside the ART legislation and regulation. The prohibition of oocyte donation and surrogacy is the consequence ofthe legal status of the “mother” who has given birth to the child. In this legal background, the ESchG is interfering with the woman’s reproductive rightswith the ban of oocyte donation. With the exception of the prohibition of oocyte donation, the ART treatment in Germany can be and is already practicedby many physicians for reproductive medicine at a high standard with internationally comparable pregnancy rates which is in accordance with the currentcourt ruling and within the legal options of the ESchG. J Reproduktionsmed Endokrinol 2010; 7 (2): 87–95.

    Key words: embryo protection act, legal options, preimplantation genetic diagnosis (PID), trophoblast biopsy,blastocyst transfer, prenatal diagnosis, professional law, criminal law

    Eingegangen: 19.12.2009; akzeptiert nach Revision: 07.04.2010Aus dem 1Kinderwunschzentrum Regensburg, der 2Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen und dem 3Institut für Sanktionenrecht und Kriminologie der Christian-Albrechts-Universität zu KielKorrespondenzadresse: Priv.-Doz. Dr. med. Monika Bals-Pratsch, Kinderwunschzentrum Regensburg, D-93047 Regensburg, Hemauer Straße 1;E-Mail: [email protected]

    Einleitung

    Die Fortpflanzungsmedizin wird inDeutschland in einem komplexen Netz-werk gesetzlicher Regelungen behan-delt. Sie ist also umfassend gesetzlichgeregelt, obgleich ein spezifisch aufdiese Fragestellungen ausgerichtetesReproduktionsmedizingesetz nicht exis-tiert. Die strafrechtlichen Regelungenenthält das bereits seit 1991 gültigeESchG [1]. Mit seinem Erlass hatteDeutschland zunächst eine Vorreiter-

    rolle in Europa; mittlerweile haben aberdie meisten europäischen Länder einFortpflanzungsmedizingesetz. Die euro-päische Gesellschaft für menschlicheFortpflanzung und Embryologie („Euro-pean Society of Human Reproductionand Embryology“, ESHRE) hat die aktu-elle Gesetzgebung für die europäischenLänder in einer Übersicht auch für dieEizellspende und Leihmutterschaft zu-sammengestellt [2]. Italien hat mit dersogenannten „Legge 40“ seit 2004 dasstrengste Embryonenschutzgesetz [3].

    Das deutsche ESchG dient sowohl demGesundheitsschutz und dem Reproduk-tionsinteresse der Frau und des Partnersals auch dem Schutz von ungeborenemLeben und verbietet vor allem die Erzeu-gung von Embryonen „auf Vorrat“, dieEizellspende, die Leihmutterschaft, dieverbrauchende Embryonenforschungund die Verwendung des Samens einesbereits verstorbenen Mannes. Auch dür-fen keine kryokonservierten Eizellen,die mit dem Samen eines Verstorbenenimprägniert worden sind (sogenannte

    For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.

  • 88 J Reproduktionsmed Endokrinol 2010; 7 (2)

    Wandel deutsches ESchG

    Pronukleus-Stadien), weiterkultiviertwerden.

    Das ESchG wurde unter der „schwarz-gelben“ Koalition (Bundeskanzler Hel-mut Kohl [CDU] und JustizministerHans A. Engelhard [FDP]) verabschie-det. Der Inhalt des Gesetzes wurde erst-malig 1992 kommentiert [4]. Insbeson-dere unter Ärzten schien es, als zwingedas ESchG zu einer Lesart, nach dernicht das Interesse der Frau und des Paa-res, sondern das Prinzip des Lebens-schutzes das Ziel dieses Gesetzes sei.Man las aus § 8 ESchG ein gesetzlichesProgramm, das Embryonen von Anfangan als Grundrechtsträger mit geborenemLeben gleichstelle und deshalb die re-produktiven Rechte der Frau einschrän-ke und meinte, dass der damit implizierteLebensschutz eine angemessene In-vitro-Fertilisation- (IVF-) Behandlungentsprechend dem reproduktionsmedizi-nischen Kenntnisstand erschwere. Ins-besondere die PID galt als rechtlichproblematisch. Beide Annahmen sindfalsch, haben aber historische Gründe,die es verständlich machen, wieso es solange gedauert hat, bis der Streit um dieangemessene Auslegung zugunsten ei-ner liberalen Lesart entschieden wurde.Ein wesentlicher Grund, der zu Missver-ständnissen Anlass gab, war die Tatsa-che, dass die Reproduktionsbiologie und-medizin seit den 1990er-Jahren rapideFortschritte gemacht haben, und insbe-sondere Mediziner glaubten, dass dieseVeränderungen zu einer Neukodifika-tion des Gesetzes führen müssten. Siekonnten sich nicht vorstellen, dass Ge-setze so formuliert sind, dass technischeVeränderungen – quasi automatisch – zuanderen Sachverhalten und damit zu an-deren rechtlichen Bewertungen führen.

    Zwei Entwicklungen beförderten denWandel in der Implementation des deut-schen ESchG. Zum einen ging die Ge-setzgebung 1990 noch davon aus, dass esunmöglich sei, die Entwicklungswahr-scheinlichkeit von weiter kultivierten 2-PN- (Pronukleus-) Stadien zu prognosti-zieren. Zum anderen glaubte man wäh-rend des gesamten Gesetzgebungsver-fahrens in den 1990er-Jahren und auchspäter bei rechtspolitischen Diskussio-nen, dass unter PID zwingend die Unter-suchung einer möglicherweise noch toti-potenten Zelle eines Furchungsstadiumsverstanden werden müsse, was bedeutet,dass ein Embryo im Rechtssinne zerstört

    wird, was dem Gedanken des Lebens-schutzes widerspricht.

    Dieser Hintergrund spiegelt sich wiederin der 1998 publizierten Richtlinie (RL)der Bundesärztekammer (BÄK) zur künst-lichen Befruchtung [5]. Sogar der Deut-sche Ärztinnenbund (DÄB) hat in derbioethischen Debatte ähnlich wie ökolo-gische Strömungen einen fundamentalenFeminismus vertreten und sich sogar beihochbelasteten Patientinnen gegen einePID bei monogenen Erkrankungen oderChromosomenstörungen ausgesprochen[6, 7]. Denn der DÄB befürchtete einenDammbruch. Bemerkenswert ist dabei,dass nicht nur Konservative, sondernauch sich feministisch verstehende Frau-enpolitikerinnen Lebensschutz und an-gemessene Reproduktionsmedizin alsGegensatz konstruierten und deshalbnicht die reproduktiven Rechte der Be-troffenen betonten, sondern ethischeProbleme des Lebensschutzes.

    Die Entwicklung neuer Techniken undMethoden in der assistierten Reproduk-tion wie das Aneuploidiescreening (PGS)bei fortgeschrittenem reproduktions-biologischen Alter, der elektive Transfervon einem Embryo („Single embryotransfer“, eSET) und der Blastozysten-transfer haben in den vergangenen Jah-ren die Forderung nach Schaffung einesumfassenden Fortpflanzungsmedizin-gesetzes wiederbelebt. Die deutschenFachgesellschaften und Verbände hattenbereits 2000 einen Entwurf erarbeitet[8]. Der vom Parlament 1990 verab-schiedete Text des ESchG belässt aberdie bekannten Auslegungsspielräume[9], die der 1992 in 1. Aufl. erschieneneKommentar nur andeutete, die aber die2008 publizierte 2. Aufl. offen be-schreibt [10]. Ethische und juristischeDebatten unterscheiden sich erheblich.Überließ man zunächst Streitfragen demBerufsrecht, zeigte sich, dass Gerichtedie reproduktiven Rechte der Betroffe-nen ernst nehmen. Sie folgen nicht dersog. herkömmlichen Auslegung desESchG, wonach jeder Embryo, also be-reits im Stadium nach der Kernver-schmelzung „wie ein Mensch“ zu achtensei, sondern bevorzugen stattdessen einepragmatische Auslegung, die das ESchGin einem ganz anderen, sehr viel liberale-ren Licht erscheinen lässt. Abgewogenwerden die Gesundheit der Wunschmut-ter und das Wohl des durch assistiertereproduktive Technik (ART) gezeugten

    Babys. Auf Druck der wissenschaftli-chen Aufarbeitungen, die klargemachthaben [11], dass das ESchG kein Verbotder Kryokonservierung von Embryonenenthält, ist dieses generelle Verbot, wiees fälschlicherweise (Notfälle ausge-nommen) in den BÄK-RL von 1998 de-klariert worden ist, in der 2006 aktuali-sierten Richtlinie der BÄK herausge-nommen worden. Davon abgesehenschreibt die 2006er BÄK-RL – ungeach-tet der 2006 bekannten und mittlerweilegerichtlich bestätigten [12] liberalen undpragmatischen Auslegung des ESchG –die festgezurrte Auslegung von 1998fort [13]. Nur diese Auslegung, alsonicht der eigentliche Text des ESchG,erzwingt eine unzureichende Behand-lung der betroffenen Frauen. Allerdingsist die BÄK-RL nur von wenigen LÄKnvollständig in das jeweilige Berufsrechtübernommen worden. Aber selbst wenndies geschehen ist, sind derartige Passa-gen rechtlich unbeachtlich, da es unbe-stritten ist, dass Berufsrecht weder dieRechte der Patientin und des Paares ein-schränken noch das ESchG restriktivauslegen darf. Im Gegensatz zu denEmpfehlungen der BÄK wird § 4 ESchGvon Gerichten sehr ernst genommen.Nach § 4 ESchG entscheidet die Frau,nicht der Arzt, über den Transfer. Sie hates also in der Hand, ob im Einzelfall 3, 2oder nur ein Embryo übertragen wird,und sie kann verlangen, dass ein Embryountersucht wird, bevor sie das Risikoeiner Schwangerschaft eingeht, die amEnde zu einem Schwangerschaftsab-bruch mit einer medizinischen Indikati-on führt. Gründe muss sie nicht nennen.Richter setzen daher den Gedanken in§ 8 und in § 4 ESchG zueinander in Be-zug und wägen beide Normen und diedahinter stehenden Prinzipien ab. Sie be-werten also das Ziel der Vermeidungvon höhergradigen Mehrlingsschwan-gerschaften und auch die Verbesserungder Wahrscheinlichkeit einer Schwan-gerschaft positiv, weil sie den Gesund-heitsschutz der Frau betonen, und sie be-werten die reproduktive Selbstbestim-mung hoch, weil sie das ESchG in Bezugzu den Prinzipien einer straflosen und/oder gerechtfertigten Abtreibung setzen.Damit relativieren sie in beiden Rechts-gebieten das Prinzip des Lebensschutzesund betonen stattdessen bei der Ausle-gung des ESchG die individuellen perso-nalen Interessen der Wunschmutter.Unter dem Prinzip des Lebensschutzesverstehen sie etwas sehr abstraktes, man

  • Wandel deutsches ESchG

    J Reproduktionsmed Endokrinol 2010; 7 (2) 89

    könnte es als das Interesse der Allge-meinheit an einem angemessenen Um-gang mit menschlichem Leben umschrei-ben. Es gebietet, dass keine Vorratsbe-fruchtung angestrebt wird. Unverkenn-bar steht aber bei der Frage, wie Ärzte imkonkreten Einzelfall vorgehen sollen,die Reproduktionsfreiheit der Frau imVordergrund und nicht der Embryo undschon gar nicht sein „Lebensrecht“.

    Liberales Strafrecht undunangemessenes Berufs-recht

    Ärztliches Handeln ist durch eine Füllevon rechtlichen Regeln normiert. SeitAugust 2009 ist das Gendiagnostikge-setz (GenDG) hinzugetreten, das nichtnur in der Schwangerschaft, sonderngrundsätzlich alle genetischen Untersu-chungen eng reglementiert und damit fürdie gesamte Medizin eugenische Ge-sichtspunkte zurückdrängt [14]. Immerbesser wird auch das Recht implemen-tiert, die eigene genetische Herkunft zuerfahren. Seit 2007 wird durch die imGewebegesetz geregelte Rückverfolg-barkeit der Samenzellen von der Samen-spende bis zur Insemination sicher ge-stellt, dass ART-Kinder später tatsäch-lich über ihren genetischen Vater infor-miert werden können [15]. Näher alsStrafrecht, das nur als Ultima Ratio ein-greift, ist für Reproduktionsmedizinerdas Berufsrecht. Ärztliches Handelnwird also im Wesentlichen nicht straf-rechtlich kontrolliert. Strafrecht wirdvielmehr durch ein Netz von präventivenberufsrechtlichen Regeln gefiltert. Da-her lesen Ärzte das ESchG in erster Liniedurch die Brille ihres Standesrechts, dender Muster-RL der BÄK [5, 13]. Leidersind diese 1998 und auch 2006 bei derNovellierung so gefasst worden, dassGünther in der 2008 erschienenen 2.Aufl. des ESchG-Kommentars [10] be-merkt: „Letztlich zwingt deshalb nichtdas ESchG, sondern erst die Bundes-ärztekammer mit ihrer fragwürdigenAuslegung die deutsche Reproduktions-medizin dazu, aus vermeintlichen Rechts-gründen ihre Patientinnen schlechter zubehandeln, als es die Regeln der ärztli-chen Heilkunst zulassen“ (Günther § 1Abs. 1 Nr. 5 Rdn.11).

    Verbindlich sind die Richtlinien derBÄK zwar nur, wenn sie Themen regeln,welche dem Berufsrecht zugänglich sindund wenn diese durch die Landesärzte-

    kammern (LÄKn) umgesetzt werden.Letzteres ist im Bundesgebiet nichtflächendeckend geschehen. Ratlose Me-diziner fragten daher bei den jeweiligenLÄKn an und erhielten am Ende einenBrief vom bayerischen Justizministeri-um und dem Bundesgesundheitsministe-rium, dass dieses Problem eine Fragevon § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG und der Aus-legung durch Strafgerichte sei. Berufs-rechtlich bestünden keine Einschränkun-gen. Somit klärten dann die Medizinerdie Rechtslage in interdisziplinär zusam-mengesetzten Arbeitsgruppen, bis einZufall im Jahre 2008 zu einer klärendenGerichtsentscheidung führte, allerdingsan einem eher unerwarteten Ort: einerAuseinandersetzung über das Honorardurch das Amtsgericht Wolfratshausen[12]. Es bestätigt die liberale Auslegungdes ESchG. Dieses bedeutete, dass dieBetroffenen eine erhebliche Rechtssicher-heit haben. Denn mit dieser Entschei-dung ist es in der Praxis auch zu einemrichterlich sanktionierten Paradigmen-wechsel in die Richtung der liberalenAuslegung gekommen. Verstärkt wirddieser Trend mittlerweile durch die Tat-sache, dass sich auch innerhalb der Kom-mentarliteratur eine herrschende Mei-nung gebildet hatte, wonach das ESchGAusbildungsspielräume bietet, die es zunutzen gilt [9, 10]. Die Reproduktions-mediziner nutzen mittlerweile diese libe-rale Auslegung, zunächst in Süddeutsch-land [16], mittlerweile bundesweit. Dennwenn sie die Empfehlungen der BÄKumgesetzt hätten, wären ihre Schwanger-schaftsraten zu niedrig und das Mehr-lingsrisiko für die Patientinnen zu hochgewesen.

    Bei der Durchführung der IVF können 3Vorgehensweisen praktiziert werden,die im Folgenden erörtert werden:

    1. Die sog. „Dreierregel“ [9] stellt dievon der BÄK 1998 und 2006 empfohle-ne Methode dar [5, 13].

    Folgt ein Mediziner dieser Lesart desESchG und will er dennoch höhergra-dige Mehrlingsschwangerschaften ver-meiden, muss er eine sehr niedrige Er-folgsquote in Kauf nehmen. Ein Thera-pieversagen bedeutet aber für die Patien-tin erheblichen physischen und psychi-schen Stress und meist einen wirtschaft-lichen Schaden durch einen hohenEigenanteil an den Behandlungskosten.Setzt der Arzt nur 2 Embryonen zurück,

    bedeutet dies nach dieser Lesart, dass erauch nur 2 Embryonen generieren darf,völlig unabhängig von der individuellenAusgangssituation eines jeden Patien-tenpaares. Denn in Abhängigkeit von denjeweiligen Vorausbedingungen ist imEinzelfall keineswegs voraussehbar, obweiter kultivierte regelrechte Vorkern-Stadien überhaupt das Embryonalstadi-um erreichen. Die RL ist also unsinnigund nicht alle LÄKn haben diese umge-setzt. Eine RL aber, die in praxi nicht all-gemein umgesetzt wird, führt sich selbstad absurdum.

    2. Fast alle süddeutschen Reproduk-tionsmediziner verfahren mittlerweilenach dem sog. deutschen Mittelweg,dem DET-Verfahren („double embryotransfer“), welcher den in den voraus-gegangenen Workshops des Dachver-bandes Reproduktionsbiologie und -me-dizin (DVR) erarbeiteten Paradigmen-wechsel als klinisch anwendbaren Algo-rithmus umgesetzt hat [17, 18], und fol-gen der sog. liberalen Auslegung des § 1Abs. 1 Nr. 5 ESchG. Danach können sieim Einzelfall, abhängig von der indivi-duellen Ausgangssituation des Patien-tenpaares, prognostizieren, wie viele 2-PN-Stadien sie weiter entwickeln müs-sen, um höchstens 2 entwicklungsfähigeEmbryonen zu erhalten, die dann trans-feriert werden. Ihre Vorgehensweise le-gen sie in Aufklärungsbögen dar, die sienach Klärung der Rechtslage in Abspra-che mit den Kollegen und mit Wissender jeweiligen LÄK entsprechend einerVorlage des DVR entwickelt haben [19].Wenn beim DET-Verfahren eine Aus-wahl von Embryonen erfolgt, dann nurdeswegen, weil planwidrig überzähligeEmbryonen entstanden sind. DieserFall ist selten, da nicht entwicklungs-fähige Embryonen nicht unter den Schutzdes ESchG (Rückschluss aus § 8 ESchG)fallen und weil beim DET eine Punktlan-dung geplant wird. Es sollen möglichst2 entwicklungsfähige Embryonen gene-riert werden, die dann auch transferiertwerden können, falls die Patientin nichtwiderspricht. Es wird also nicht von An-fang an geplant, mehr entwicklungsfä-hige Embryonen entstehen zu lassen alsspäter transferiert werden sollen. DieKrankenkassen müssen den DET bezah-len. Eine private Krankenkasse, die sichauf die herkömmliche Methode (Dreier-regel) berief und die Kosten der intra-zytoplasmatischen Spermieninjektionvon nur 3 der 7 gewonnenen Eizellen

  • 90 J Reproduktionsmed Endokrinol 2010; 7 (2)

    Wandel deutsches ESchG

    bezahlen wollte, wurde verurteilt das Ho-norar für die Behandlung der 7 Eizellenzu bezahlen, welche mit dem Ziel erfolgte,aus den daraus entstehenden regelrech-ten 2-PN-Stadien voraussichtlich 3 ent-wicklungsfähige Embryonen entwickelnzu können. Ausführlich erörterte das Ge-richt die Judikatur und kam zu dem Er-gebnis, dass § 1 Abs. 1 Nr. 3 und 5 ESchGteleologisch im Sinne des sog. DeutschenMittelwegs auszulegen seien [12].

    3. Einige deutsche Reproduktionsmedi-ziner möchten einen eSET („electivesingle embryo transfer“) durchführen.Bei dieser im Ausland gebräuchlichenMethode wird mittels Analogieschlüs-sen aus einer Reihe von Indikatoren(Teilungsgeschwindigkeit, Symmetrie)nach dem Embryo gesucht, der das besteImplantationspotential hat (sog. „Top“-Embryo). Sinn macht diese Methodenur, wenn man eine ausreichende Zahlvon Embryonen für die Auswahl („elec-tion“) zur Verfügung hat. Dieses bedeu-tet, dass unabhängig von der individuel-len Situation des Paares zuvor eine belie-big hohe Zahl von 2-PN-Stadien weiter-kultiviert worden ist. Der Sache nach er-folgt bei dieser Vorgehensweise eine imVoraus beabsichtigte Auswahl zwischenmehreren entwicklungsfähigen Embryo-nen, ein planerischer Schritt, der dasVerbot der Vorratsbefruchtung in § 1Abs. 1 Nr. 5 ESchG in Frage stellt. Obdies mit dem ESchG konform geht oderaber eine Gesetzesänderung verlangt, isthöchst umstritten [20].

    Die Gesetzestechnik desESchG und seine Folgen

    Die Gesetzestechnik, die dem ESchGzugrunde liegt, hat zur Folge, dass sichdie Weiterentwicklung medizinischerBehandlungsmethoden auch darauf aus-wirkt, was rechtlich möglich ist:

    Die Behandlungsmethode des DET gehtvon folgenden Überlegungen aus: EineART-Behandlung folgt einem strengenzeitlichen Schema und einem Algorith-mus (Abb. 1) [17, 20] der zeigt, welcheHandlung aufgrund welcher Prognoseim ART-Verlauf ansteht. Die jeweiligenZeitfenster sind klein. Beabsichtigt einArzt, eine Schwangerschaft der Frauherbeizuführen, von der die Eizellestammt, wirkt sich die Gesetzestechnikzu seinen Gunsten aus. Das ESchG ver-bietet nämlich nicht den Erfolg, sondern

    nur bestimmte Handlungen. Verboten istes nicht, dass überzählige Embryonenentstehen, sondern dass man die Ent-wicklung einer Überzahl von Embryonenbewusst in das gesamte Behandlungs-konzept von vornherein einplant („Unter-nehmensdelikt“). Deswegen wählt dieGesetzgebung die Formulierung: „weres unternimmt“. Dies bedeutet, dassÄrzte sich nur dann strafbar machen,wenn ihr Handeln erkennbar darauf ge-richtet ist, überzählige Embryonen zu er-zeugen, wenn sie also eine Vorratsbe-fruchtung anstreben (dies ist der juristi-sche Sinn sog. Unternehmensdelikte).Danach ist also eine reproduktionsmedi-zinische Handlung nur dann tatbestands-mäßig, wenn sie aus der Perspektivedes Arztes zum Tatzeitpunkt miss-bräuchlich, das meint mit den Zielendes ESchG unvereinbar ist [20]. Damitstellt sich die Frage, wann aus juristi-scher Sicht eine Befruchtung beginnt.

    Nach § 8 ESchG ist die Befruchtung mitder Kernverschmelzung abgeschlossen.

    Da aber das ESchG Unternehmensdelikteenthält, ist nicht auf die Kernverschmel-zung, sondern auf den Befruchtungsver-such abzustellen. Dieser beginnt nachder Logik des ESchG mit der letztenHandlung, welche unmittelbar zurKernverschmelzung führen wird. Diesist gegeben, wenn ein 2-PN-Stadium(eine mit dem Samen des Mannes imprä-gnierte Eizelle mit noch 2 getrennt von-einander liegenden Vorkernen, der ma-ternalen und paternalen Erbinformation)weiterkultiviert wird. Die Befruchtungbeginnt also juristisch erst, wenn derArzt oder die Ärztin sich entschließt, dasPronukleus-Stadium weiter zu kultivie-ren (es genügt bei Unternehmensdelik-ten der Versuch). Ärzte können bis zurEntwicklung von Pronukleus-StadienEizellen ohne Beschränkungen kultivie-ren. Entsprechend den individuellen Um-ständen (Alter der Frau, Gesundheits-zustand, Zahl der fehlgeschlagenen Be-handlungen etc.), muss der Arzt oder dieÄrztin zum Zeitpunkt des Pronukleus-Stadiums entscheiden, wie viele 2-PN-

    Abbildung 1: Algorithmus Befruchtung und Embryokultur bei geplantem Transfer von 2 entwicklungsfähigen Embryo-nen. Bewertung der Pronukleus-Stadien entsprechend „Zygoten“-Score Z1–Z4. Mod. nach [18].

  • Wandel deutsches ESchG

    J Reproduktionsmed Endokrinol 2010; 7 (2) 91

    Stadien weiter kultiviert werden müssen,um voraussichtlich 2 entwicklungsfähi-ge Embryonen zu erhalten. Verfährt eroder sie so, fehlt der bedingte Vorsatz,gegen das ESchG zu verstoßen. Entste-hen im Einzelfall im Rahmen eines ge-wünschten DET ungewollt mehr als 2entwicklungsfähige Embryonen, kanndem Arzt kein Vorsatz unterstellt wer-den. Die menschliche Natur ist nur be-dingt planbar. Der DET ist also einesicher erlaubte Anwendung von Fort-pflanzungstechniken. Denn „Befruch-tungsbeginn“ im Sinne § 1 Abs. 1 Nr. 5ESchG (Tatzeitpunkt) ist das Weiterent-wickeln eines 2-PN-Stadiums.

    PID – neue Entwicklungenin der genetischen Diagnos-tik an Polkörpern, totipoten-ten Blastomeren und pluri-potenten Trophoblastzellen

    Die PID stellt eine frühe Form der PNDnoch vor der Befruchtung bzw. vor derImplantation von Embryonen dar. Un-terschieden werden die PKD an Eizellen(sogenannte Präfertilisationsdiagnostik)oder die genetische Untersuchung antotipotenten Blastomeren nach Biopsievon frühen Embryonen (2. oder 3. Fur-chungsstadium, „Tag-3-Embryonen“)oder pluripotenten Blastomeren (Diffe-renzierung in Embryo- und Trophoblasterfolgt) nach Trophoblastbiopsie (Blas-tozysten-Stadium, „Tag-5-6-Embryo-

    nen“) (Abb. 2). Letztere ist somit einefrühe Form der PND durch Plazenta-punktion, die eine Routinemethode inder Pränatalmedizin darstellt.

    Die PKD wird nicht als Verstoß gegendas ESchG angesehen [21]. Denn dieEntnahme und Diagnostik von Pol-körpern an der Eizelle kann vor der Auf-lösung der Vorkern-Membranen (auchals Kernverschmelzung bezeichnet) unddamit zu einem Zeitpunkt vorgenommenwerden, der vor der Entstehung einesEmbryos im Sinne des ESchG liegt. Dererste Polkörper wird während der Eizell-reifung vor Eindringen des Spermiumsausgestoßen; der zweite Polkörper folgt,nachdem das Spermium in die Eizelleeingedrungen ist. Eizellen (einschließ-lich des Pronukleus-Stadiums) könnenverworfen werden. Die PKD ist inDeutschland besonders vorangetriebenworden, da die PID an totipotenten Blas-tomeren der Furchungsstadien im ESchGverboten ist. Die PKD kann aber nur inbestimmten Fällen als Alternative zueiner PID an Blastomeren verstandenwerden, da bei der PKD ausschließlichdiejenigen genetischen oder chromoso-malen Veränderungen diagnostizierbarsind, die mütterlicherseits vererbt wer-den [22, 23]. Die PKD wurde bisher alseine Notlösung für Paare angesehen, diebei gleicher Indikation ansonsten einePID an Blastomeren durchführen lassenwürden, wenn diese Technik in Deutsch-land zugelassen wäre.

    In neueren Studien hat sich gezeigt, dassdie Schwangerschaftsraten nach PID an1–2 Blastomeren von Furchungsstadien(„frühe PID“) schlechter sind als ohneBlastomerenuntersuchung [24]. Dabeiwurde über eine Schädigung des Embry-os als Folge der Blastomerenbiopsie,entweder durch den Verlust einer kriti-schen Zellmasse oder durch die Entnah-meprozedur, diskutiert. Ein weitererwesentlicher Grund für die schlechtenSchwangerschaftsraten nach Blastome-renuntersuchung könnte auch durch dasAuftreten von Mosaikbildung begründetsein. Ein chromosomales Mosaik liegtvor, wenn ein Zellverband nicht aus Zel-len mit identischen, sondern aus Zellenmit unterschiedlichen Chromosomensät-zen besteht. Offensichtlich sind chromo-somale Mosaike bei Furchungsstadiendeutlich häufiger als bisher angenom-men wurde [25]. Dabei spielen mögli-cherweise „Rescue“-Effekte ursprüng-lich trisomer Zygoten als auch mitotischentstehende Trisomien eine Rolle. Deranzunehmende Rückschluss, dass eineeuploide Blastomere aus einem kompletteuploiden Furchungsstadium, bzw. eineaneuploide Blastomere aus einem kom-plett aneuploiden Furchungsstadiumstammt, ist durch die häufige Mosaik-konstellation beeinträchtigt. Dies führtzwangsläufig zu möglichen Fehldiagno-sen in Bezug auf die weitere Verwen-dung des Embryos. Aus diesem Grundewird die PID an Furchungsstadien,insbesondere für das PGS, internationalnicht mehr empfohlen und alternativ diePKD bei mütterlicher Vererbung oderdie bisher beim Menschen selten prakti-zierte Trophoblastbiopsie mit einerArray-Technologie favorisiert [26].

    Die Trophoblastbiopsie an Blastozys-ten-Stadien ist eine „späte PID“. Ur-sprünglich wurde die Gewinnung vonZellen aus dem Trophoblasten des Blas-tozysten-Stadiums beim Menschen kri-tisch betrachtet. Gründe hierfür waren,dass nur wenige Embryonen das Blas-tozysten-Stadium erreichen und zudemder Zeitrahmen für die genetische Unter-suchung bis zum Zeitpunkt des Embryo-transfers (spätestens am Tag 6) sehr kurzist. Eine genetische Untersuchung derentnommenen Zellen ist jedoch auch in-nerhalb des vorgegebenen Zeitrahmensdurchführbar und daher durchaus prakti-kabel [27]. Darüber hinaus ist es mög-lich, die biopsierten Blastozysten-Stadi-en zu vitrifizieren und in einem Folge-

    Abbildung 2: Entnahme von Polkörpern bei der Eizelle, totipotenten Blastomeren im Furchungsstadium oder pluri-potenten Trophoblastzellen im Blastozysten-Stadium für eine PID.

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    Wandel deutsches ESchG

    zyklus nach Abschluss der genetischenDiagnostik zu transferieren [28]. Blasto-zysten-Stadien haben zudem eine niedri-gere Wahrscheinlichkeit letaler chromo-somaler Monosomien und chaotischerchromosomaler Anomalien als Fur-chungsstadien [29–32]. Denn die aneup-loiden frühen Furchungsstadien arretie-ren schnell in ihrer weiteren Entwick-lung, sodass sich aus ihnen keine Blasto-zysten-Stadien entwickeln können. Diesbedeutet, dass bei der PID an Blasto-zysten-Stadien vergleichsweise wenigerEmbryonen Aneuploidien haben als beider entsprechenden Diagnostik an Em-bryonen im Furchungsstadium. Das PGSwird also effektiver, je weiter die Em-bryonen entwickelt sind. Erste Unter-suchungen an Trophoblastzellen wur-den bereits 1997 und 1998 durchgeführt[33, 34]; es konnten jedoch noch keineSchwangerschaften erzielt werden.Mc Arthur et al. waren die ersten, die2005 über den routinemäßigen Einsatzder Trophoblastenbiopsie berichteten[27]. Die Arbeitgruppe hat 1050 Blasto-zysten-Stadien biopsiert. Alle Blasto-zysten-Stadien überlebten die Biopsie-prozedur und bildeten ein Blastozoelaus. Bei 119 Frauen wurden insgesamt127 Embryonen im Punktionszyklusübertragen. Die Implantationsrate (mitHerzaktivität) betrug 41 %. 146 Blasto-zysten-Stadien wurden kryokonserviert.Die Autoren berichteten über 53 fortlau-fende Schwangerschaften bzw. Gebur-ten und zusätzlich 6 biochemische und4 klinische Aborte. Diese Arbeit zeigtdeutlich, dass die Trophoblastbiopsiemachbar ist, ohne dass die Blastozystendabei ihre Entwicklungsfähigkeit verlie-ren. Selbst die Kryokonservierung vonbiopsierten Blastozysten-Stadien war er-folgreich. Mehr als 90 % der Embryonenüberlebten und führten zu weiterenSchwangerschaften. Die Trophoblast-biopsie wurde durch Einbringen einesLochs in die Zona pellucida an Tag 4oder 5 vorbereitet. So konnte ein Teil desTrophoblasts aus der Zona pellucida her-austreten. Einige dieser Zellen wurdenfür die genetische Analyse mit einer Ka-pillare an Tag 5 oder 6 abgetrennt.

    Die Trophoblastbiopsie wird auch in derVeterinärmedizin als erfolgreiches Rou-tineverfahren vor allem beim „sexing“,aber auch zur Gendiagnostik mit demZiel der Produktionssteigerung bereitslangjährig erfolgreich eingesetzt [35].Bei Translokationen ist die PID an Blas-

    tomeren im Blastozysten-Stadium sogarerfolgreicher als an Blastomeren im Fur-chungsstadium [36].

    Das PGS an Trophoblastzellen scheintauch zu einer Steigerung der Schwan-gerschaftsrate zu führen [28], wenn alle23 Chromosomen mit neuen Nachweis-verfahren („comparative genome hybri-dization“, CGH) diagnostiziert werden.Eine erste vergleichende Untersuchungzeigt sogar, dass das PGS nach Tropho-blastbiopsie im Vergleich zur Polkörper-biopsie zu einer 3-fach höheren Schwan-gerschaftsrate führt [37]. Eine PID unddamit eine genetische Untersuchung vonEmbryonen vor dem Transfer an zwei-felsfrei pluripotenten Zellen müsste inDeutschland nach dem ESchG erlaubtsein. Sie ist der Untersuchung einer Kör-perzelle vergleichbar und direkt ver-gleichbar mit einer Chorionzottenbiop-sie (CVS), d. h. einer frühen PND ab der10. Woche in einer natürlichen Schwan-gerschaft.

    Berliner Strafverfahren zurTrophoblastbiopsieAm 14. Mai 2009 hat das Berliner Land-gericht einen Arzt freigesprochen, dereine Trophoblastbiopsie vorgenommenhatte [38]. Der Mediziner hat zum erstenMal in Deutschland durch Verschiebungder PID in die spätere Embryonalent-wicklung die Diagnostik so organisiert,dass sie mit dem ESchG konform durch-geführt werden konnte. Durch die Unter-suchung von Trophoblastzellen im Blas-tozysten-Stadium hat er es vermieden,totipotente Zellen, die nach § 8 ESchGals Embryonen fingiert werden, zu ver-wenden und damit möglicherweise ge-gen das Verbot des § 2 Abs. 1 ESchG zuverstoßen. Seine Untersuchungsmetho-de entspricht einer frühen PND mit CVSbei einer Schwangeren. Er hatte in derZeit von Dezember 2005 bis Mai 2006aufgrund entsprechender Behandlungs-verträge insgesamt 8 extrakorporal be-fruchtete Eizellen von 3 betroffenen Pa-tientinnen kultiviert und im sog. Blasto-zysten-Stadium für präimplantations-diagnostische Untersuchungen (Fluores-zenz-in-situ-Hybridisierung) Tropho-blastzellen entnommen (Abb. 2). Diesebiopsierten Trophoblastzellen sind zwei-felsfrei nicht mehr totipotent, da ein Em-bryo im Blastozysten-Stadium aus zahl-reichen Embryoblast- und noch mehrTrophoblastzellen, in der Regel mehr als40, besteht. Der angeklagte Arzt stellte

    gravierende genetische Defekte an ins-gesamt 4 Embryonen fest. Nachdem erseine Patientinnen über das Untersu-chungsergebnis informiert hatte, lehntendiese einen Transfer der genetisch auffäl-ligen Embryonen ab. Diese seien darauf-hin nicht weiter bebrütet worden, abge-storben und letztlich verworfen worden.Da die Staatsanwaltschaft Berlin dieVerurteilung des Arztes angestrebt hat,wird sie diesen Freispruch angreifen, so-dass sich demnächst der 5. Strafsenat desBGH zu der Frage äußern wird.

    Wählt man diese Methode einer „spätenPID“, kann man das medizinische Inter-esse an einer ausgewogenen Behandlungder Patientin, das Interesse des Paaresund das Interesse der Gesellschaft an ei-nem angemessenen Umgang mit sichentwickelndem embryonalen menschli-chen Leben verantwortlich einschätzen.Denn bei der hier gewählten diagnosti-schen Methode der Trophoblastbiopsiekommt es nicht zur Untersuchung einertotipotenten Zelle, folglich im Sinne desESchG auch nicht zur Vernichtung einesEmbryos. Auch wird die Gefahr einerSchädigung des untersuchten Embryos,von dem die Zelle stammt, so gering wiemöglich gehalten.

    Sollte der Freispruch des Berliner Arztesbestätigt werden, dann wird deutlichwerden, dass es in Deutschland kein„Designerbaby“ geben wird; denn dazumüsste ein Vorrat von kultivierten Pro-nukleus-Stadien generiert und eine Viel-zahl von Embryonenchecks unternom-men werden, also gegen das Verbot derVorratsbefruchtung massiv verstoßenwerden: sicher strafbar nach § 1 Abs. 1Nr. 5 ESchG. Eine positive Eugenik indem Sinne, dass Embryonen mit er-wünschten Eigenschaften gesucht undausgewählt werden, scheitert also bereitsan diesem Verbot.

    Reproduktive Rechte derART-Patientin

    Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ESchGmacht sich ein Arzt strafbar, wenn ereine ART-Behandlung ohne Einwilli-gung der Patientin durchführt. DieseAuslegung ist unbestritten. Was nichtgesehen wird, ist die weitere Konse-quenz dieser Bestimmung. Sie bedeutet,dass ein Arzt sich auch dann strafbarmacht, wenn er wider besseres Wissendie Frau unzureichend aufklärt und des-

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    halb ihre Einwilligung in eine unzurei-chende Behandlung erschleicht. Ärztemüssen also die Patientin darauf hinwei-sen, dass sie bestimmen darf, welche undwie viele Embryonen transferiert wer-den. Erzeugt ein Arzt demgegenübereine vermeidbare höhergradige Mehr-lingsschwangerschaft, dann schützt ihnheute nur noch seine subjektive Annah-me, dass diese für die Patientin unzurei-chende Behandlung vom ESchG er-zwungen wird. Denn es ist eine „Con-tra-legem Fabel“, dass jede adäquatereproduktionsmedizinische Behandlungeine Änderung des ESchG voraussetze.Ein DET ist eine nach internationalenStandards adäquate Behandlung undführt zu adäquaten Ergebnissen wie eineSET, der nicht eindeutig mit demESchG vereinbar ist. In Einzelfällenkann bei einem geplanten DET auch nurein Embryo transferiert werden, z. B.wenn die Frau bei Entwicklung von 2Embryonen sehr guter Qualität eineZwillingsschwangerschaft möglichstvermeiden will und am Tag des Embryo-transfers in den Transfer von nur einemEmbryo einwilligt (§ 4 Abs. 1 Nr.2ESchG).

    Die IVF-Patientin hat also das volleSelbstbestimmungsrecht über ihre Re-produktion. Solange der Embryo in vitrokultiviert wird, kann sie jederzeit dieBehandlung abbrechen. ÜberzähligeEmbryonen sind unerwünscht. DasESchG verlangt aber nicht, dass der Arztsie am Leben erhält [20]. Das Verwerfen(ob durch aktives Tun oder Unterlassen)ist mit Zustimmung des Paares erlaubt,da es darüber entscheidet, was mit demEmbryo passieren soll.

    Dabei hat aber auch das Paar das Straf-recht zu beachten. So kann es zum Bei-spiel keine Vorratsbefruchtung verlan-gen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 und 5 ESchG). DieFrau kann von ihrem Arzt allerdings er-warten, dass er alle Eizellen imprägniert(§ 1 Abs. 2 ESchG) und so viele 2-PN-Stadien kultiviert, dass mit hoher Wahr-scheinlichkeit eine Schwangerschaft er-zielt wird. Der Arzt hat hierbei wie dar-gestellt einen Beurteilungsspielraum.Ein DET erscheint vielen Reproduk-tionsmedizinern als ein Mittelweg zwi-schen der Chance, überhaupt eineSchwangerschaft zu erzielen, und derGefahr, eine Mehrlingsschwangerschaftzu riskieren. Sie verzichten dabei be-wusst darauf, wie nach § 1 Abs. 1 Nr. 3

    ESchG erlaubt, 3 Embryonen zu trans-ferieren und vermeiden so höhergradi-ge Mehrlingsschwangerschaften. DiesesVerfahren ist die Nutzung der Aus-legungsspielräume des ESchG, denn dieZahl der generierten Embryonen wirdmöglichst niedrig gehalten und somit dieVorratsbefruchtung vermieden.

    Die Rechtsgüter der ein-zelnen Tatbestände desESchG: Lebensschutz vonEmbryonen und derZweck des ESchG

    Mit dem Stichwort Lebensschutz wirdein gesetzgeberisches Ziel umschrieben,was sicher nicht unter die klassische De-finition eines Rechtsgutes passt. Allen-falls dient das Verbot der missbräuchli-chen Nutzung von Fortpflanzungstech-niken dem Lebensschutz in dem höchstindirekten Sinne, dass es von den Betei-ligten eine Achtung vor dem menschli-chen Leben verlangt, und zwar in allenPhasen der IVF-Behandlung. Aber Kon-struktionen, die ein individuelles Lebens-recht des Embryos formulieren, geratenin unlösbare Widersprüche. Lehrbücherzum Arztstrafrecht, wie etwa das vonLaufs, sind daher veraltet [20]. Prägendfür das Recht der Reproduktionsmedizinsind das Verfügungsrecht des Paaresüber den eigenen Embryo, die starke Po-sition der Patientin, die nämlich denTransfer des von ihr gewünschten Em-bryo ohne Angabe von Gründen jeder-zeit verweigern kann (§ 4 Abs. 1 Nr. 1und Nr. 2 ESchG). Wichtig ist ferner derGesundheitsschutz der Frau (§ 1 Abs. 1Nr. 3 ESchG). Das Verbot, mehr als3 Embryonen zu transferieren, soll inerster Linie höhergradige Mehrlings-schwangerschaften und damit Risikenfür die Gesundheit der Schwangerenvermeiden. Einen noch deutlicheren Hin-weis auf die Rechtsgüter des ESchG gibtdas Verbot, ein durch reproduktives Klo-nen gewonnenes menschliches Lebenauf eine Frau zu übertragen (§ 6 Abs. 2),der Sache nach ein „Tötungsgebot“ (die-ses Wort wird hier nur deshalb gewählt,um deutlich zu machen, dass das ESchGkein Lebensschutzgesetz ist). § 6 Abs. 2ESchG gewährt also sicher keinen indi-viduellen Lebensschutz, sondern stütztganz anders gelagerte gesellschaftlicheAnschauungen, welche die Identität derMenschen berühren. § 2 Abs. 2 ESchGschließlich verbietet die Weiterkultivie-

    rung eines Embryo, gebietet also, ihn ab-sterben zu lassen, wenn weder ein Trans-fer auf die Frau, von der er stammt, nocheine Embryonenspende möglich ist.Günther legt den Begriff des Verwendensals bewusst weit gefassten Auffangtat-bestand extensiv aus, was zur Folge hat,dass zwar die genetische Untersuchungvon Zellen eines Trophoblasten zulässigist, nicht aber das „Verwerfen“ des Rest-embryos, dessen Transfer die Frau ab-lehnt [10]. In der medizinischen Praxiswerden Pronukleus-Stadien und entwick-lungsfähige Embryonen entweder kryo-konserviert oder nicht weiter kultiviert,je nach dem Vertrag, den Arzt und Pati-entenpaar geschlossen haben. Es ist inden verschiedenen Stadien der Behand-lung ein und derselbe Vorgang. Er kannalso juristisch nicht verschieden behan-delt werden, wenn eine PID stattgefun-den hat, schon gar nicht nach unter-schiedlichen Auslegungsmethoden [20].Eine Vorratsbefruchtung findet somitnicht statt. Die Problematik um den abso-luten Menschenwürdeschutz ist aus den§§ 218 ff. Strafgesetzbuch (StGB) be-kannt. Bei verständiger Auslegung dienensowohl die §§ 218 ff. StGB, das Schwan-gerschaftskonfliktgesetz (SchKG), dasVerbot zu weitgehenden genetischenUntersuchungen im GenDG und dasESchG nur insofern den moralischenPrinzipien, welche unter dem Kürzel„Lebensschutz“ gemeint sind, als ver-hindert werden soll, dass mit menschli-chem Leben achtlos und mutwillig um-gegangen wird. Rechtsgüter der einzel-nen Verbotsnormen sind also nicht pau-schal das Lebensrecht der Embryonenin vitro und in vivo, schon gar nicht alsindividuelles Abwehrrecht konstruiert,sondern die Abwendung der spezifi-schen gesellschaftlichen Gefahren, diemit der Nutzung der medizinischenMöglichkeiten nun einmal verbundensind. Darunter fallen auch Tabuverlet-zungen wie Klonen, Chimären- undHybridbildung. Diese Orientierung fin-det sich wieder in den Überschriften unddem Regelungsgehalt der einzelnen Nor-men des ESchG. Man kann sich nundarüber streiten, ob ein derartiger Ach-tungsanspruch noch mit der Doktrineines Rechtsgutes im klassischen Sinnein Einklang gebracht werden kann.Jedenfalls sind es legitime und verfas-sungsrechtlich gebotene gesetzgeberi-sche Erwägungen. Aber die Tatsache,dass wir es im ESchG nicht mit einemklassischen Rechtsgut zu tun haben,

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    muss die Auslegung prägen. Denn dedu-zieren lässt sich aus einer regulativenIdee der Achtung vor der Kreatürlichkeitdes Lebens, des Lebensschutzes oder desVerbots der Selbstinstrumentalisierungdes Menschen durch eugenisch moti-vierte Menschenzüchtung alles Mögli-che, aber sicher kein Gesetzesprogramm.Was genau verboten ist, muss mit Blickauf das jeweils zu lösende Problem argu-mentativ ausgefüllt werden. Dabei müs-sen die Gesetzmäßigkeiten der Repro-duktionsbiologie einbezogen werden.Denn was ein Missbrauch ist, kann nurentschieden werden, wenn man den an-gemessenen Gebrauch festlegt. Ange-messen entscheiden kann man bei sokomplexen Fragen also nur nach inter-disziplinärer Beratung z. B. in Diskus-sionsrunden [39, 40].

    Debatten um die Fortpflan-zungstechniken

    Das bestehende ESchG verbietet Miss-brauch, privilegiert aber die ART undlässt genügend Spielraum für eine ange-messene medizinische Behandlung derUnfruchtbarkeit. Die Reproduktionsfrei-heit wird ernst genommen, aber nur zu-gelassen, sofern Achtung und Respektvor dem menschlichen Leben auch inseiner Frühform sichergestellt sind. ImVergleich zum Ausland ist das Verbotder Leihmutterschaft und der Eizell-spende im ESchG bemerkenswert. DieseVerbote dienen nicht dem Lebensschutz,sondern haben zum Ziel, die Definitionder Mutterschaft, wie im § 1591 Bürger-liches Gesetzbuch (BGB) definiert, auf-rechterhalten zu können. Dieser Hinter-grund muss bei einem Streit über dieAngemessenheit des Verbots beachtetwerden. Es handelt sich hierbei jeden-falls um eine vertretbare gesetzgeberi-sche Entscheidung. Auch die deutscheRechtskultur definiert Reproduktionsehr viel stärker als die angelsächsischeoder skandinavische Kultur als einen ge-schlechtsspezifisch unterschiedlichenVorgang, lehnt also eine strikte Gleich-behandlung der Geschlechter ab. Des-halb werden Samen- und Eizellspendeungleich behandelt. Eugenischen Über-legungen gegenüber ist das ESchG hin-gegen eher ablehnend. Aber bei einerPID in einem späten Stadium vermeideteine angemessene Auslegung Wertungs-widersprüche mit der PND und der me-dizinisch indizierten Abtreibung. DasModell „Designerbaby“ und damit der

    Gedanke der Menschenzüchtung liegendem Gesetz besonders fern. Somit er-weist sich der in den Medien betonteEindruck, dass das ESchG besondersstreng sei, weil es einem Konzept desvorrangigen Lebensschutzes folge, alsfalsch. Insgesamt gesehen stehen diereproduktiven Rechte im Vordergrund.Das Lebensschutzkonzept der §§ 218 ff.StGB und des ESchG ist flexibel. Strengdurchgehalten wird der Vorrang desGedankens des Lebensschutzes nur beimForschungsverbot des § 2 ESchG. Be-schränkungen der Reproduktionsmedi-zin erklären sich nur zu einem ganz klei-nen Teil aus Überlegungen des Lebens-schutzes und auch dann nur in derschwachen und damit durchaus liberalenVersion der Pflicht zur Achtung desmenschlichen Lebens. Alle Bürger undBürgerinnen können – in welcher Rolleauch immer – mit dem geltenden Rechtder Fortpflanzungsmedizin ganz gutleben, auch wenn sie persönlich andereWerte in den Vordergrund stellen wür-den. Eine Ausnahme betrifft den imBGB geregelten Status des Mannes beieiner Samenspende. Weil ART-Kinderdas Recht haben, ihre Herkunft zu erfah-ren, ist zu erwarten, dass sie dies einfor-dern werden. Unterhaltsansprüche undErbrecht auf der einen Seite und dasRecht auf Kenntnis der genetischenAbstammung auf der anderen Seitesollten systematisch getrennt werden,um Samenspender zu schützen und glei-chermaßen das Persönlichkeitsrecht desKindes aufrecht zu erhalten.

    Zusammenfassend kann festgestellt wer-den, dass die Reproduktionsmedizin inDeutschland umfassend geregelt ist.Verboten sind lediglich Eizellspendeund Leihmutterschaft. Diese Verbotefolgen aus Festlegungen des rechtlichenStatus der Frau, die ein Kind geborenhat. Sie gilt rechtlich als Mutter. DasESchG sichert ihren Status ab und greiftmit dem Verbot des gezielten Erzeugenseiner gespaltenen Mutterschaft in dasReproduktionsrecht von Frauen ein,welche keine eigenen Eizellen bildenkönnen. Dieses Prinzip ist nicht zwin-gend, es ist aber auch nicht willkürlich.Insgesamt gesehen erlaubt das ESchG,vernünftig ausgelegt, eine optimale ART-Behandlung der Frauen in Deutschlandauf hohem internationalem Niveau, so-dass aktuell kein neues Fortpflanzungs-medizingesetz notwendig ist. DieseSichtweise hat sich bei Podiumsdiskus-

    sion „Drängende Rechtsfragen dermodernen Reproduktionsmedizin inDeutschland“ in Freiburg im Rahmendes DVR-Kongresses am 13.11.2009 be-stätigt. Die Bedingungen der Rechtslageder Reproduktionsmedizin in Deutsch-land und die daraus zu ziehenden Konse-quenzen sind in weiteren interdisziplinä-ren wissenschaftlichen Arbeiten detail-liert erörtert und dargelegt worden [41].

    Relevanz für die Praxis

    Das deutsche ESchG ermöglicht dieassistierten reproduktiven Techniken(ART) einschließlich der Polkörper-diagnostik (PKD) und Trophoblast-biopsie (unter Vorbehalt der Bestäti-gung des 2009 erfolgten Freispruchsdes Landgerichts Berlin durch denBundesgerichtshof BGH) auf interna-tionalem Niveau im Interesse derPatientin und des Paares.

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    8. Positionspapier zu den Vorbereitungen für ein Fortpflanzungs-Medizingesetz (FMG) als Ergebnis einer Konsensustagung derDeutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie undFortpflanzungsmedizin (DGGEF) e.V., der Deutschen Gesellschaftfür Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der DeutschenGesellschaft für Reproduktionsmedizin (DGRM) und des Bun-desverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren (BRZ),Freiburg i. Br., 06.10.2000.(http://www.repromedizin.de/fileadmin/presse/positionspapierfortpflanzungsmedizingesetz__2000.pdf)9. Frommel M. Auslegungsspielräume des Embryonenschutz-gesetzes. J Reproduktionsmed Endokrinol 2004; 1: 104–11.10. Günther HL, Taupitz J, Kaiser P. Embryonenschutzgesetz:Juristischer Kommentar mit medizinisch-naturwissenschaftli-chen Einführungen. 2. Aufl. Kohlhammer Verlag, Stuttgart,2008.11. Coester-Waltjen D. Reformüberlegungen unter besondererBerücksichtigung familienrechtlicher und personenstandsrecht-licher Fragen. Das Recht der Fortpflanzungsmedizin im 21. Jahr-hundert. Reproduktionsmedizin 2002; 18: 183–98.12. AG Wolfratshausen vom 30.04.2008 Az 6 C 677/06.13. (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Re-produktion – Novelle 2006 – Deutsches Ärzteblatt 2006; 103:1392–403.

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    14. Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen(Gendiagnostikgesetz – GenDG) 4. August 2009 (BGBL, I 2009,S 2529, ber. 3672).

    15. Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Ge-weben und Zellen (Gewebegesetz – GewebeG), 1. August2007 (BGBl. I, S. 1574).

    16. Das Deutsche Embryonenschutzgesetz ist besser als seinRuf. Stellungnahme des Berufsverband ReproduktionsmedizinBayern e.V., München, 29.06.2007 (http://www.br-bayern.de/Presseinfo-2.pdf).

    17. Geisthövel F. Plenarvortrag „DVR – eine Standortbestim-mung“. 1. DVR-Kongress. Münster i. W., 08.–10.12.2005.J Reproduktionsmed Endokrinol 2006; 1: 65–73.

    18. Frommel M. Deutscher Mittelweg in der Anwendung desEmbryonenschutzgesetzes (ESchG) mit einer an den aktuellenwissenschaftlichen Kenntnisstand orientierten Auslegung derfür die Reproduktionsmedizin zentralen Vorschrift des § 1,Abs. 1, Nr. 5 ESchG. J Reproduktionsmed Endokrinol 2007; 4:27–33.

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    39. Geisthövel F, Brüstle O, Beier HM, Frommel M, Schocken-hoff E, Taupitz J. Wechselwirkung zwischen Embryonenschutz-gesetz und Stammzellgesetz - Interdisziplinäre Podiumsdis-kussion am 30.11.2007 anlässlich des 2. DVR-Kongresses inBonn/Bad Godesberg. J Reproduktionsmed Endokrinol 2008;5, 114–20.

    40. Geisthövel F, Frommel M, Neidert R, Nieschlag E. Debatteder DVR-Fachkommission „Recht und Aufklärung“ – Thema:Embryonenschutzgesetz und Verbotsirrtum. J Reproduktions-med Endokrinol 2004; 1: 299–307.

    41. Frommel M, Taupitz J, Ochsner A, Geisthövel F. Rechtslageder Reproduktionsmedizin in Deutschland. J Reproduktions-med Endokrinol 2010; (im Druck).

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