186

Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

  • Upload
    others

  • View
    79

  • Download
    4

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche
Page 2: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Isaac Asimov x 4

Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durchseine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche Werke weltbekannt geworden.

Aber gerade in den Stories, die entweder von trocke-nem Humor oder grimmigem Realismus zeugen,kommt Asimovs Begabung, wissenschaftliche Tatsa-chen mit den unvorhergesehenen und »unwissen-schaftlichen« Reaktionen der Menschen zu kombinie-ren, am besten zum Ausdruck. Kein Wunder daher,daß die meisten Asimov-Stories auf der ganzen Weltimmer wieder neu aufgelegt werden.

Wir bringen hier im 2. Teil der Sammlung mit demOriginaltitel THE BEST OF ISAAC ASIMOV Erzäh-lungen, die der Autor persönlich ausgewählt hat unddie er für die besten seines mehr als dreißigjährigenSchaffens auf dem SF-Sektor hält.

Die Story von den »Müllmännern« des Mars –die Story des Volkes, das in der Tiefe lebt –die Story von der sterbenden Nacht –und die Story von der Trümmerjagd.

Der erste Teil der Sammlung THE BEST OF ISAACASIMOV erschien als Band 264 in der Reihe derTERRA-Taschenbücher.

Page 3: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

TTB 267

Isaac Asimov

Die Verschwendervom Mars

ERICH PABEL VERLAG KG · RASTATT/BADEN

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!

Page 4: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Titel des Originals:THE BEST OF ISAAC ASIMOV (2. Teil)

Aus dem Amerikanischenvon Jürgen Saupe

TERRA-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich imErich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt. Pabelhaus

Copyright © 1973 by Isaac AsimovRedaktion: G. M. Schelwokat

Vertrieb: Erich Pabel Verlag KGGesamtherstellung: Clausen & Bosse, LeckEinzelpreis: 2,80 DM (inkl. 5,5 % MWST)

Verantwortlich für die Herausgabein Österreich: Waldbaur Vertrieb, A-5020 Salzburg,

Franz-Josef-Straße 21NACHDRUCKDIENST:

Edith Wöhlbier, 2 Hamburg 1, Burchardstr. 11,Tel. 040 / 33 96 16 29, Telex: 02 / 161 024

Printed in GermanyOktober 1975

Page 5: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

INHALT

Die Verschwender vom Mars(THE MARTIAN WAY) ............................................... 6

Die in der Tiefe(THE DEEP) ................................................................ 82

Die schwindende Nacht(THE DYING NIGHT) .................................................. 116

Jahresfeier(ANNIVERSARY) ........................................................ 159

Page 6: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Die Verschwender vom Mars

1.

Unter der Tür zum kurzen Gang, der die beiden ein-zigen Räume in der Kapsel des Raumschiffs verband,stand Mario Esteban Rioz und sah mürrisch zu, wieTed Long die Bedienungsknöpfe des Fernsehgerätseinstellte. Long versuchte es mit einer leichten Dre-hung im Uhrzeigersinn, dann mit einer Drehung inder Gegenrichtung. Das Bild war miserabel.

Rioz wußte, daß das Bild miserabel bleiben würde.Sie waren von der Erde zu weit entfernt, und ihre La-ge zur Sonne war auch schlecht. Aber man konntenicht erwarten, daß Long dies wußte. Rioz blieb nocheinen Augenblick unter der Tür stehen, hatte denKopf gebeugt, um nicht an den oberen Türsturz an-zustoßen, hatte den Körper halb zur Seite gedreht,um in die schmale Öffnung zu passen. Dann schnellteer wie ein Korken aus der Flasche in die Kombüse.

»Was suchst du da?« fragte er.»Ich wollte sehen, ob ich Hilder kriege«, sagte Long.Rioz lehnte sich an die Ecke eines Wandtischs. Er

nahm eine kegelförmige Milchdose vom Regal dichtüber seinem Kopf. Er drückte zu, und ihre Spitzesprang ab. Er schwenkte sie sacht im Kreis und war-tete, daß sie warm wurde.

»Wozu?« sagte er. Er hielt die Dose umgekehrtnach oben und sog geräuschvoll an ihr.

»Ich wollte ihn mir anhören.«»Ich halte das für Energieverschwendung.«Long sah mit gerunzelter Stirn auf. »Üblicherweise

Page 7: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

dürfen persönliche Fernsehgeräte unbeschränkt be-nutzt werden.«

»In vernünftigen Grenzen«, versetzte Rioz.Sie sahen sich herausfordernd in die Augen. Rioz

hatte den strammen Körper, das hagere, hohlwangigeGesicht, die beinahe Kennzeichen der »Müllmänner«vom Mars waren, jener Raumleute, die sich geduldigneben den Routen zwischen Erde und Mars aufhiel-ten. Hellblaue Augen leuchteten in einem braunenGesicht, das von Runzeln überzogen war und sichdunkel vom umgebenden weißen Syntho-Pelz abhob,mit dem der aufgestellte Kragen seiner Ledik-Raumjacke überzogen war.

Long sah im großen und ganzen blasser und sanf-ter aus. Er zeigte einige Merkmale der Bodenleute,obwohl kein Marsmensch der zweiten Generationnoch in dem Sinn wie die Erdleute ein Bodenmenschsein konnte. Er hatte seinen Kragen umgelegt undsein dunkelbraunes Haar ganz freigelegt.

»Was verstehst du unter vernünftigen Grenzen?«wollte Long wissen.

Rioz preßte die Lippen zusammen. Dann sagte er:»Wenn man daran denkt, daß wir auf dieser Fahrtnicht einmal die laufenden Unkosten hereinholenwerden, so wie's jetzt aussieht, dann ist jede Entnah-me von Energie unvernünftig.«

Long sagte: »Wenn wir mit Verlust arbeiten, wärees dann nicht besser, wenn du auf deinen Posten zu-rückgehst? Du hast Wache.«

Rioz brummte und fuhr sich mit Daumen und Zei-gefinger über die Stoppeln an seinem Kinn. Er rich-tete sich auf und stapfte zur Tür, wobei die weichenStiefel das Geräusch seiner Schritte dämpften. Er

Page 8: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

blieb stehen, um einen Blick auf den Thermostat zuwerfen und fuhr in einem Wutanfall herum.

»Mir ist es gleich heiß vorgekommen. Was meinstdu eigentlich, wo wir sind?«

Long sagte: »Zehn Grad sind nicht zuviel.«»Für dich vielleicht nicht. Aber wir sind hier im

Raum und nicht in einem geheizten Büro der Eisen-bergwerke.« Rioz stellte mit einer raschen Bewegungdes Daumens den Thermostat so niedrig es ging. »DieSonne ist warm genug.«

»Die Kombüse ist nicht auf der Sonnenseite.«»Die Wärme wird schon bis hierher durchkommen,

verdammt noch mal.«Rioz trat durch die Tür, und Long sah ihm lange

nach, bevor er sich wieder dem Fernsehgerät wid-mete. Er stellte den Thermostat nicht wieder höher.

Das Bild flimmerte immer noch arg, aber da warnichts zu machen. Long klappte einen Stuhl aus derWand heraus. Er beugte sich vor, wartete die feierli-che Ankündigung und die kurze Pause ab, bis sichder Vorhang langsam teilte und sich der Scheinwerferauf die bekannte bärtige Gestalt richtete, die die Ka-mera heranholte, bis sie den Bildschirm füllte.

Die Stimme war eindrucksvoll, auch wenn diedreißig Millionen Kilometer Entfernung mit ihrenElektronenstürmen sie mit Rauschen und Pfeifen ent-stellten. Die Stimme fing an:

»Freunde! Mitbürger unserer Erde ...«

2.

Als Rioz den Pilotenraum betrat, sah er das Funksi-gnal aufblitzen. Für einen Augenblick wurden ihm

Page 9: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

die Hände feucht, weil er glaubte, es sei ein Radarzei-chen. Aber da machte sich nur sein Schuldgefühl be-merkbar. Theoretisch hätte er auf Wache den Piloten-raum nicht verlassen dürfen, obwohl alle Müllmän-ner es taten. Trotzdem war das der klassische Alp-traum, daß genau in den fünf Minuten ein Trefferkam, in denen man rasch raus war, um schnell etwaszu trinken, weil der Raum anscheinend ganz be-stimmt leer war. Und man wußte, dieser Alptraumwar manchmal Wirklichkeit geworden.

Rioz schaltete das Rundumradar ein. Das warEnergieverschwendung, aber wenn er sich schon Ge-danken machte, dann wollte er es wenigstens ganzgenau wissen.

Bis auf die Bildspuren von den benachbarten Schif-fen, die auf Raummüll warteten, war nichts zu sehen.

Er schaltete das Funkgerät ein, und der blonde,langnasige Kopf Richard Swensons, der auf demnächsten Schilt der marszugewandten Seite Kopilotwar, kam in Sicht.

»He, Mario«, sagte Swenson.»Hallo, was gibt's Neues?«Bis zur Antwort darauf verging ein wenig mehr als

eine Sekunde, da sich elektromagnetische Wellennicht mit unendlicher Geschwindigkeit ausdehnen.

»Ich hab vielleicht einen Tag hinter mir.«»Was ist passiert?« fragte Rioz.»Ich hatte einen Treffer.«»Na wunderbar.«»Klar, wenn ich ihn mir geangelt hätte«, sagte

Swenson verdrießlich.»Was ist passiert?«»Verdammt, ich bin in die falsche Richtung los.«

Page 10: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Rioz war klug genug, nicht zu lachen. »Wie hast dudas angestellt?« fragte er.

»Meine Schuld war's nicht. Die Schwierigkeit war,daß sich das Ding weit außerhalb der Ekliptik be-wegte. Kannst du dir einen so blöden Piloten vor-stellen, der das Abtrennungsmanöver nicht richtigdurchführen kann? Woher sollte ich das wissen? Ichhatte die Entfernung zu der Raketenstufe und dasgenügte mir. Ich nahm einfach an, daß ihre Bahn zuder gewöhnlichen Gruppe von Flugbahnen gehört.Hättest du doch auch gedacht? Ich ging auf einenKurs, bei dem ich glaubte, sie gut abfangen zu kön-nen, und es dauerte fünf Minuten, bevor ich merkte,daß sich die Entfernung weiter vergrößerte. Die Ra-darsignale ließen sich ganz schön Zeit, bis sie wiederda waren. Dann hab ich die Winkel zu dem Ding ge-messen, und es war zu spät, es noch einzuholen.«

»Hat's einer von den anderen Jungs erwischt?«»Nein, es ist ganz aus der Ekliptik raus und wird

ewig weiterfliegen. Darüber mach ich mir keine gro-ßen Sorgen. Es war nur eine kleine Stufe. Aber ichwill dir gar nicht sagen, wie viele Tonnen Antrieb ichvertan habe, als ich auf Geschwindigkeit und dannwieder in Wartestellung ging. Du hättest Knut hörensollen.«

Knut war der Bruder und Partner von RichardSwenson.

»Wütend, was?« sagte Rioz.»Wütend? Der hätte mich am liebsten umgebracht!

Aber wir sind jetzt auch schon fünf Monate draußenund es wird langsam ein bißchen kritisch. Du weißtschon.«

»Und wie läuft's bei dir, Mario?«

Page 11: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Rioz tat so, als ob er ausspucke. »Nicht der Redewert auf dieser Fahrt. Die beiden letzten Wochen nurzwei Stufen und jeder mußte ich sechs Stunden langnachjagen.«

»Große?«»Willst wohl Witze machen? Die hätte ich freihän-

dig zum Phobos schaffen können. Die schlechtesteReise, die ich je gemacht habe.«

»Bleibst du noch länger draußen?«»Von mir aus könnten wir es morgen aufstecken.

Wir sind erst zwei Monate draußen, und es ist schonso, daß ich dauernd auf Long herumhacke.«

Die Pause dauerte länger als die elektromagneti-sche Verzögerung.

Swenson sagte: »Wie ist der überhaupt? Der Long,meine ich.«

Rioz sah über seine Schulter. Er konnte das Ge-murmel des Fernsehers in der Kombüse hören. »Überden werd ich mir nicht klar. Ungefähr eine Wochenach Reisebeginn sagt er zu mir: ›Mario, warum bistdu ein Müllmann?‹ Ich seh ihn einfach an und sage:›Um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wasglaubst du denn?‹ Ich meine, was soll das denn füreine Frage sein? Warum ist jemand denn Müllmann?«

Rioz fuhr dann fort: »Auf jeden Fall sagt er: ›Das istes nicht, Mario.‹ Verstehst du, er will es mir sagen.Sagt er: ›Du bist ein Müllmann, weil das eben die Artdes Mars ist.‹«

Swenson sagte: »Und was hat er damit gemeint?«Rioz zuckte die Achseln. »Ich hab ihn nie gefragt.

Im Augenblick hockt er da drüben und hört sich dieUltrakurzwelle von der Erde an. Er hört sich irgend-einen Bodenmenschen mit Namen Hilder an.«

Page 12: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Hilder? Ein Politiker von den Bodenleuten, einAbgeordneter oder so was?«

»Genau. Auf jeden Fall glaube ich, du hast recht.Long macht immer solche Sachen. Er hat ungefährfünfzehn Pfund Bücher mitgebracht, alle über die Er-de. Nichts als Ballast, weißt du.«

»Naja, er ist dein Partner. Und weil wir gerade vonPartnern reden, ich glaub', ich mach mich wieder andie Arbeit. Wenn ich noch einen Treffer verpasse,gibt's hier Mord und Totschlag.«

Er war verschwunden, und Rioz lehnte sich zurück.Er blickte auf die gerade grüne Linie, die vom Impuls-radar kam. Er versuchte es für einen Augenblick mitdem Rundumradar. Der Raum war immer noch leer.

Er fühlte sich ein wenig besser. Eine Pechsträhne istbesonders schlimm, wenn alle Müllmänner um einenherum eine Stufe nach der anderen angeln, wenn dieStufen, die zu den Schrottwerken auf Phobos hinun-terkreisen, jedermanns Brandmal und nur nicht daseigene eingeschmolzen tragen. Und dann hatte er esnoch geschafft, etwas von seinem Groll auf Long los-zuwerden.

Es war falsch gewesen, sich mit Long zusammen-zutun. Es war immer falsch, sich mit einem Anfängerzusammenzutun. Die glauben immer, man will eineUnterhaltung, vor allem Long mit seinen ewigenTheorien über den Mars und die große, neue Rolle,die er spiele, was den Fortschritt der Menschheit an-gehe. Genauso drückte er sich aus – Fortschritt derMenschheit: nach Art des Mars. Die neue, schöpferi-sche Minderheit. Und Rioz wollte die ganze Zeit hin-durch nicht das Gerede, sondern einen Treffer, einpaar Stufen, die ihnen gehörten.

Page 13: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Eigentlich hatte er wirklich keine andere Möglich-keit gehabt. Long war unten auf dem Mars ziemlichbekannt und verdiente als Bergwerksingenieur eineMenge Geld. Er war mit Regierungskommissar San-kov befreundet und war schon auf ein paar kurzenMüllfahrten draußen gewesen. Man kann einen Kerlnicht einfach abwimmeln, bevor man es nicht mit ihmversucht hat, auch wenn die Sache komisch aussah.Weshalb wollte sich wohl ein Bergwerksingenieurmit bequemer Stellung und guter Bezahlung imRaum herumtreiben?

Rioz hatte Long die Frage nie gestellt. Partner unterden Müllmännern sitzen sich zwangsläufig so dichtauf der Haut, daß Neugierde nicht wünschenswertist. Aber Long redete so viel, daß er die Frage vonselbst beantwortete.

»Ich muß hier rauskommen, Mario«, sagte er. »DieZukunft des Mars liegt nicht in den Bergwerken. Sieliegt im Raum.«

Rioz fragte sich, wie es wäre, eine Fahrt allein zuunternehmen. Alle sagten, das sei unmöglich. Selbstwenn man außer acht ließ, daß es verpaßte Gelegen-heiten geben würde, wenn der eine Mann seinenWachtposten verließ, um zu schlafen oder sich umandere Dinge zu kümmern, so wußte man doch ge-nau, daß ein Mensch allein im Raum in verhältnismä-ßig kurzer Zeit unerträglich deprimiert sein würde.

Eine Reise von sechs Monaten wurde dadurchmöglich, daß man einen Partner mitnahm. Eine rich-tige Mannschaft wäre besser, aber kein Müllmannkonnte mit einem Schiff, auf dem eine MannschaftPlatz hätte, genug Geld verdienen. Was man alleinfür den Antrieb ausgeben müßte!

Page 14: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Aber auch zu zweit war es nicht eben das reinsteVergnügen im Raum. Gewöhnlich mußte man nachjeder Reise den Partner wechseln, und mit manchenkonnte man länger draußen bleiben als mit anderen.Man brauchte sich nur Richard und Knut Swensonansehen. Jede fünfte oder sechste Reise machten siezusammen, weil sie Brüder waren. Und wenn sie estaten, nahmen trotzdem die Spannungen und Feind-seligkeiten nach der ersten Woche ständig zu.

Na ja. Der Raum war leer. Rioz würde sich ein biß-chen besser vorkommen, wenn er wieder in dieKombüse gehen und das kleinliche Gezänk mit Longin Ordnung bringen würde. Er könnte ihm einfachzeigen, daß er ein alter Raumhase war, der die Reiz-zustände des Raums nahm, wie sie kamen.

Er stand auf, machte die drei Schritte, die nötig wa-ren, um den kurzen, engen Gang zu erreichen, der diebeiden Räume des Schiffes miteinander verband.

3.

Wieder blieb Rioz beobachtend kurz unter der Türstehen. Long war ganz in den Anblick der flimmern-den Bildröhre versunken.

Rioz sagte brummend: »Ich dreh den Thermostatrauf. Ist schon in Ordnung – wir können es uns lei-sten.«

Long nickte. »Wenn du meinst.«Rioz machte zögernd einen Schritt nach vorn. Der

Raum war leer, warum zum Teufel sollte er herum-sitzen und eine gerade, grüne Linie ohne Radarechoansehen? Er sagte: »Worüber hat der Bodenmenschgeredet?«

Page 15: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Zum größten Teil über die Geschichte der Raum-fahrt. Ein alter Hut, aber er macht es gut. Er arbeitetmit allen Mitteln, farbigen Zeichentrickfilmen, Trick-aufnahmen, Standaufnahmen von alten Filmen undso weiter.«

Die bärtige Gestalt verblaßte auf dem Bildschirm,als wolle sie Longs Bemerkung bestätigen, und aufdem Schirm erschien die Querschnittszeichnung ei-nes Raumschiffs. Hilders Stimme tönte weiter undwies auf interessante Einzelheiten hin, die durchFarbschemata hervorgehoben wurden. Das Nach-richtennetz des Schiffes leuchtete rot auf, während erdarüber sprach, dann kamen die Laderäume, derAntrieb durch den abgeschirmten Kleinreaktor, diekybernetischen Schaltungen ...

Dann war Hilder wieder auf dem Bildschirm.»Aber das ist nur die Kapsel des Schiffes. Wodurchwird sie angetrieben? Wie kann sie die Erde verlas-sen?«

Jedermann wußte, wodurch ein Raumschiff ange-trieben wurde, aber Hilders Stimme wirkte wie einRauschgift. Bei ihm hörte sich der Antrieb einesRaumschiffs wie das Geheimnis der Jahrhunderte an,wie die letzte Offenbarung überhaupt. Selbst Riozempfand einen leichten Kitzel der Spannung, obwohler den größeren Teil seines Lebens im Raum ver-bracht hatte.

Hilder fuhr fort: »Die Wissenschaftler haben ver-schiedene Namen dafür. Sie nennen es das Gesetzvon Wirkung und Gegenwirkung. Manchmal nennensie es Newtons drittes Gesetz. Manchmal nennen siees die Erhaltung des Kraftmoments. Aber diese Be-zeichnungen brauchen wir gar nicht. Wir müssen nur

Page 16: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

unseren gesunden Menschenverstand fragen. Wennwir schwimmen, drücken wir Wasser nach hintenund bewegen uns selbst vorwärts. Wenn wir gehen,stoßen wir uns vom Boden ab und bewegen uns vor-wärts. Wenn wir einen kleinen Gyro-Flieger benut-zen, stoßen wir Luft nach hinten und bewegen unsvorwärts. Nichts kann sich vorwärts bewegen, wennsich nicht etwas anderes nach hinten bewegt. Es istwie bei der alten Grundregel: aus nichts wird auchnichts.

Stellen Sie sich jetzt ein Raumschiff vor, das hun-derttausend Tonnen wiegt und von der Erde abhebt.Damit das möglich ist, muß etwas anderes nach un-ten bewegt werden. Dabei handelt es sich sogar umsoviel Materie, daß an Bord des Schiffes gar keinPlatz dafür ist. Man muß einen besonders konstru-ierten Behälter an das Schiff anhängen, der diesenStoff aufnimmt.«

Hilder verschwand wieder, und das Schiff wurdewieder sichtbar. Es schrumpfte zusammen und hinterihm tauchte ein Kegelstumpf auf. Auf ihm leuchtetengelb die Worte: STOFF ZUM WEGWERFEN.

»Aber«, sagte Hilder, »das Gesamtgewicht desSchiffes ist noch viel größer. Man braucht mehr undmehr Antriebskraft.«

Das Schiff schrumpfte gewaltig, und eine weitere,größere Stufe und noch eine riesige wurden angefügt.Das eigentliche Fahrzeug, die Kapsel, war auf demBildschirm nur noch ein kleiner Punkt.

Rioz sagte: »Teufel, das ist was für den Kindergar-ten.«

»Für die Leute, zu denen er spricht, nicht, Mario«,antwortete Long. »Die Erde ist nicht der Mars. Es

Page 17: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

muß Milliarden von Erdleuten geben, die noch nieein Raumschiff gesehen haben.«

Hilder sagte eben: »Wenn der Stoff in der größtenStufe verbraucht ist, wird die Stufe abgetrennt. Siewird auch weggeworfen.«

Die unterste Stufe kam frei und taumelte über denBildschirm.

»Dann verschwindet die zweite«, sagte Hilder,»und wenn es sich um eine weite Reise handelt, wirdauch die letzte abgestoßen.«

Das Schiff war nur noch ein roter Punkt, währenddie drei Stufen davontrieben und sich im Raum ver-loren.

Hilder sagte: »Diese Stufen stehen für hunderttau-send Tonnen Wolfram, Magnesium, Aluminium undStahl. Für die Erde sind sie für immer verloren.Müllmänner umringen den Mars. Sie warten in derNähe von Raumreiserouten, warten auf abgestoßeneStufen, fangen sie ein, versehen sie mit Brandzeichenund retten sie für den Mars. Dafür bekommt die Erdeauch nicht einen Cent Bezahlung. Die Stufen sindBergungsgut. Sie gehören dem Schiff, das sie findet.«

Rioz sagte: »Wir setzen unser Gerät und unser Le-ben aufs Spiel. Wenn wir sie uns nicht angeln, kriegtsie niemand. Welchen Verlust erleidet denn die Er-de?«

»Schau mal«, sagte Long, »er redet von nichts an-derem als von der Belastung, die Mars, Venus undMond für die Erde darstellen. Das hier ist nur einevon vielen Einbußen.«

»Die kriegen doch ihre Entschädigung. Von Jahr zuJahr fördern unsere Bergwerke mehr Eisen.«

»Und das meiste davon bleibt gleich auf dem Mars.

Page 18: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Wenn man diesen Zahlen Glauben schenken kann,dann hat die Erde zweihundert Milliarden Dollar inden Mars hineingesteckt und Eisen im Wert von nurfünf Milliarden Dollar zurückerhalten. Sie hat fünf-hundert Milliarden Dollar in den Mond gesteckt undnur ein wenig mehr als fünfundzwanzig MilliardenDollar in Form von Magnesium, Titan und anderenLeichtmetallen zurückbekommen. Sie hat fünfzigMilliarden Dollar in die Venus gesteckt und nichtswiederbekommen. Und dafür interessieren sich alleSteuerzahler auf der Erde wirklich: Steuergelder raus,nichts wieder herein.«

Während er sprach, füllte sich der Bildschirm mitZeichnungen von den Müllmännern, die auf demWeg zum Mars waren. Kleine Karikaturen von Schif-fen, die dünne Drahtarme ausstreckten und nach dentaumelnden, leeren Stufen angelten, sie packten undheranzogen, ihnen EIGENTUM DES MARS auf-brannten, und die mit glühenden Buchstaben verse-henen Stufen hinunter zum Phobos schickten.

Dann war Hilder wieder da. »Man sagt uns, manwird uns einmal alles zurückerstatten. Einmal! Wennihre Unternehmen florieren! Wir wissen nicht, wannes soweit sein wird. In einem Jahrhundert? In tausendJahren? Noch später? Nehmen wir sie beim Wort. Ei-nes Tages werden sie uns alle unsere Metalle zurück-geben. Eines Tages werden sie ihre eigenen Nah-rungsmittel anbauen, ihre eigene Energieversorgunghaben, ihre eigenen Leben leben.

Aber eines können sie uns nie zurückgeben. Auchnicht in Millionen Jahren. Wasser!

Auf dem Mars gibt es nur wenig Wasser, weil er zuklein ist. Auf der Venus findet sich kein Wasser, weil

Page 19: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

sie zu heiß ist. Der Mond hat auch keines. Die Erdemuß also die Raumleute nicht nur mit Trinkwasserund Waschwasser versorgen, mit Wasser für ihre In-dustrien, mit Wasser für die Hydrokulturen, die manangeblich errichten will – und sogar mit Wasser, dasin Hunderttausenden von Tonnen weggeschüttetwird.

Worin besteht die Antriebskraft, die sich Raum-schiffe zunutze machen? Was stoßen sie nach hintenaus, damit sie sich vorwärts bewegen können? Früherwaren es Gase, die aus Explosivstoffen erzeugt wur-den. Das war sehr teuer. Dann erfand man den Pro-tonenkleinreaktor – eine billige Energiequelle, die je-de Flüssigkeit aufheizen konnte, bis sie als Gas unterHöchstdruck stand. Was ist die billigste Flüssigkeit?Nun, natürlich Wasser.

Jedes Raumschiff, das die Erde verläßt, hat etwaeine Million Tonnen Wasser an Bord. Es nimmt es nurdeshalb mit in den Raum hinaus, um sich dort be-schleunigen oder abbremsen zu können.

Unsere Vorfahren verheizten wie wahnsinnig dasÖl der Erde. Rücksichtslos verbrauchten sie die Koh-le. Wir verachten und verurteilen sie deswegen, abersie hatten wenigstens eine Entschuldigung – siedachten, im Notfall werde sich Ersatz finden lassen.Und sie hatten recht. Wir haben unsere Planktonfar-men und unsere Protonenkleinreaktoren.

Aber für Wasser gibt es keinen Ersatz! Es kann kei-nen geben. Und wenn unsere Nachkommen die Wü-ste sehen, die wir aus der Erde gemacht haben, waswerden sie zu unserer Entschuldigung anführen kön-nen? Wenn die Dürrezeiten kommen und immer län-ger werden ...«

Page 20: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Long beugte sich vor und schaltete das Gerät aus.Er sagte: »Das ärgert mich. Der blöde Kerl macht ab-sichtlich ... Was ist los?«

Rioz war aufgestanden. »Ich sollte lieber die Rada-rechos überwachen.«

»Zum Teufel mit den Echos.« Long stand ebenfallsauf, ging Rioz durch den engen Gang nach und tateinen Schritt in den Pilotenraum. »Wenn Hilder soweitermacht, wenn er wirklich den Mumm hat, in derSache richtig loszulegen ... He!«

Er hatte es auch gesehen. Ein erstklassiges Echo,das hinter dem ausgestrahlten Impuls wie ein Wind-hund hinter dem mechanischen Hasen her raste.

Rioz sprudelte heraus: »Der Raum war leer, sag ichdir, leer. Um Mars willen, Ted, bleib nicht wie ange-froren stehen. Schau, ob du sie optisch findenkannst.«

Rioz machte sich schnell und mit einer Gründlich-keit an die Arbeit, die das Ergebnis einer fast zwan-zigjährigen Tätigkeit als Müllmann war. Die Entfer-nung hatte er in zwei Minuten. Dann fiel ihm Swen-sons Erlebnis ein, und er maß sowohl den Deklinati-onswinkel wie auch die radiale Geschwindigkeit.

Er rief Long zu: »Helligkeit eins Komma siebensechs. Mann, du mußt sie einfach sehen können.«

Long hielt den Atem an, während er an der Fein-einstellung drehte. »Steht zu nah an der Sonne. Wirdnur sichelförmig beleuchtet sein.«

Er erhöhte den Grad der Vergrößerung, so schneller es nur wagen konnte, und suchte den einen»Stern«, der seine Lage veränderte und einen Umrißannahm, der verraten würde, daß es sich nicht um ei-nen Stern handelte.

Page 21: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Ich starte auf jeden Fall«, sagte Rioz. »Wir könnennicht warten.«

»Ich hab sie.« Die Vergrößerung reichte noch nichtaus, einen klaren Umriß erkennen zu lassen, aber derPunkt, den Long beobachtete, wurde rhythmisch hellerund dunkler, weil sich die Stufe drehte und mit verschie-den großen Querschnitten das Sonnenlicht einfing.

»Halt dich fest.«Der erste vieler dünner Dampf strahlen schoß aus

seinem Auslaß und ließ eine lange Spur mikrosko-pisch winziger Eiskristalle zurück, die in den bleichenStrahlen der fernen Sonne nebelhaft glänzte. Die Spurwurde nach etwa hundertfünfzig Kilometern dünner.Ein Dampfstrahl, dann noch einer und wieder einer,während das Müllschiff seine feste Kreisbahn verließund auf einen Kurs ging, der die Bahn der Stufe tan-gential berühren würde.

»Sie bewegt sich wie ein Komet in Sonnennähe!«schrie Rioz. »Diese verdammten Bodenpiloten stoßendie Stufen absichtlich so ab! Ich hätte gute Lust ...«

Er stieß seinen Fluch in wilder Verzweiflung aus,während er rücksichtslos den Dampf nach hintenjagte, bis das hydraulische Polster seines Sitzes drei-ßig Zentimeter eingesunken war, und es Long ganz,unmöglich geworden war, sich noch weiter an einemHaltegriff festzuklammern.

»Hab Erbarmen!« flehte er.Aber Rioz blickte fest auf die Echoimpulse. »Wenn

du es nicht aushalten kannst, dann bleib auf demMars, Menschenskind!« Die Dampfstrahlen schossenweiter donnernd hinaus.

Das Funkgerät schaltete sich ein. Long konnte sichmit Mühe und Not vorbeugen. Er kam sich vor, als

Page 22: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

bewege er sich durch Sirup. Er stellte die Verbindungher. Es war Swenson, mit wild blickenden Augen.

Swenson schrie: »Zum Teufel, wo wollt ihr Kerledenn hin? In zehn Sekunden seid ihr in meinem Sektor.«

Rioz sagte: »Ich verfolge eine Stufe.«»In meinem Sektor?«»Sie war erst in meinem, und du hast gar nicht die

Ausgangsposition, um sie zu erwischen. Schalt dasFunkgerät aus, Ted.«

Das Schiff donnerte durch den Raum, wobei diesDonnern nur im Schiff selbst zu hören war. Und dannstellte Rioz den Antrieb in Phasen ab, die Long nachvorn rissen. Die plötzliche Stille war ohrenbetäuben-der als der Lärm, der ihr vorausgegangen war.

Rioz sagte: »Na gut. Gib mir mal das Rohr.«Beide hielten Ausschau. Die Stufe war jetzt deutlich

als Kegelstumpf auszumachen, der sich langsamdrehte, während er an den Sternen vorüberzog.

»Eine erstklassige Stufe, wirklich«, sagte Rioz zu-frieden. Eine Riesenstufe, dachte er bei sich. Die wür-de sie wieder in die schwarzen Zahlen bringen.

Long sagte: »Wir haben noch ein anderes Echo vonder Antenne. Ich glaube, es ist Swenson, der hinteruns her ist.«

Rioz blickte kaum hin. »Der erwischt uns nicht.«Die Stufe wurde immer größer und füllte den

Sichtschirm.Die Hände von Rioz legten sich auf den Bedie-

nungshebel für die Harpunen. Er wartete, stellte denWinkel zweimal peinlich genau ein und erledigte dieLängenzuteilung. Dann zog er am Hebel und be-diente die Auslösung.

Einen Augenblick lang geschah nichts. Dann schlän-

Page 23: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gelte sich ein geflochtenes Metallkabel über den Bild-schirm und schoß wie eine Kobra auf die Stufe los. Esberührte sie, hielt die Stufe jedoch nicht fest. Wenn esdas getan hätte, wäre es sofort wie ein Spinnwebfa-den gerissen. Die Stufe drehte sich mit einemDrehmoment, das einige tausend Tonnen betrug. DasKabel baute jedoch ein starkes Magnetfeld auf, daswie eine Bremse auf die Stufe wirkte.

Ein zweites Kabel und ein drittes wurden ausge-schleudert. Rioz schickte sie beinahe unbekümmertüber den Energieverbrauch aus.

»Die werd' ich mir holen! Beim Mars, die hol ich mir!«Als sich etwa zwei Dutzend Kabel zwischen Schiff

und Stufe spannten, ließ er es genug sein. Die Rotati-onsenergie der Stufe war durch den Bremsvorgang inWärme umgewandelt worden, die ihre Temperatur ineinem Maß erhöht hatte, daß die Wärmestrahlungvon den Meßgeräten des Schiffes aufgenommen wer-den konnte.

Long sagte: »Soll ich unser Brandzeichen anbrin-gen?«

»Von mir aus. Aber du mußt's nicht machen, wenndu nicht willst. Ich habe Wache.«

»Mir macht's nichts aus.«Long klettert in seinen Anzug und ging durch die

Schleuse. Das sicherste Zeichen, daß er ein Neuling indem Spiel war, war die Tatsache, daß er sagen konn-te, wie oft er in einem Anzug im Raum gewesen war.Er war jetzt zum fünftenmal draußen.

Er hangelte sich am nächsten Kabel entlang undspürte durch das Metall seines Handschuhs hin-durch, wie das Drahtseil vibrierte.

Er brannte ihre laufende Nummer in das glatte

Page 24: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Metall der Stufe. In der Leere des Raums gab esnichts, was den Stahl oxydieren konnte. Er schmolznur und verdampfte und schlug sich etwa einen Me-ter vom Energiestrahl entfernt nieder, wobei dieOberfläche, die er berührte, wie mit grauem Staubbedeckt aussah.

Long hangelte sich zum Schiff zurück.Als er wieder drin war, nahm er seinen Helm ab,

der sich mit dickem, weißem Rauhreif überzogenhatte, kaum daß er eingetreten war.

Das erste, was er hörte, war Swensons Stimme, dieso wutverzerrt aus dem Funkgerät schallte, daß mansie kaum erkannte: »... direkt zum Regierungskom-missar. Verdammt noch mal, in diesem Spiel gibt esRegeln!«

Rioz lehnte sich ungerührt zurück. »Schau mal, sietrat in meinen Sektor ein. Ich hab sie etwas spät ent-deckt und sie in deinen verfolgt. Und wenn der Marsselbst für dich Torwart gespielt hätte, du hättest sienicht erwischt. Mehr ist da nicht zu sagen – bist duzurück, Long?«

Er unterbrach die Verbindung.Die Empfangsanzeige leuchtete auf, aber er ließ sie

unbeachtet.»Er will sich an den Regierungskommissar wen-

den?« fragte Long.»Nichts zu machen. Er führt sich nur so auf, weil

das die Eintönigkeit unterbricht. Es ist ihm überhauptnicht ernst damit. Er weiß, es ist unsere Stufe. Undwie hat dir dieser Materialbrocken gefallen, Ted?«

»Ziemlich gut.«»Ziemlich gut? Der ist kolossal! Halt dich fest. Ich

setze ihn in Bewegung.«

Page 25: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Die seitlichen Düsen spuckten Dampf aus, und dasSchiff fing langsam an, um die Stufe zu kreisen. DieStufe machte die Bewegung mit. In dreißig Minutenwaren sie eine riesige Bola, die durch die Leere krei-ste. Long suchte in den Ephemeriden nach der Lagedes Deimos.

Zu einem genau berechneten Augenblick schaltetesich das Magnetfeld der Kabel ab, und die Stufe zogtangential auf einer Umlaufbahn davon, die sie in ei-nem Tag etwa in die Reichweite der Stufenlagerplätzeauf dem Marsmond bringen würde.

Rioz blickte ihr nach. Er fühlte sich gut. Er drehtesich zu Long um. »Ein prächtiger Tag für uns.«

»Was ist mit der Rede von Hilder?« fragte Long.»Was? Von wem? Ach so. Hör mal, wenn ich mir

über alles, was so ein Bodenmensch sagt, Gedankenmachen würde, könnte ich überhaupt nicht mehrschlafen. Denken wir nicht mehr dran.«

»Ich glaube, wir werden doch darüber nachdenkenmüssen.«

»Du spinnst. Laß mich bloß in Ruhe damit. Legdich lieber ein bißchen schlafen.«

4.

Ted Long machte die Weite und Höhe der Haupt-straße der Stadt fröhlich. Es war zwei Monate her, seitder Regierungskommissar die Müllverwertung durcheinen Erlaß aufgehoben und alle Schiffe aus demRaum abgezogen hatte, aber der Anblick dieser lang-gestreckten Galerie ließ Longs Herz noch immer hö-her schlagen. Selbst der Gedanke, daß dieser Erlaßvon einer Entscheidung der Erde abhängen sollte, die

Page 26: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

dadurch auf die Notwendigkeit eines Wasserhaus-halts hinweisen wollte, daß sie sich für eine Begren-zung der Wassermengen bei Müllfahrten aussprach,konnte ihn nicht völlig niederschmettern.

Das Dach der Straße war in einem leuchtendenHellblau gehalten. Vielleicht eine altmodische Nach-ahmung des Erdhimmels. Ted war sich nicht sicher.In die Wände waren leuchtende Schaufenster einge-lassen.

Durch den summenden Verkehr hörte er ab und zuin der Ferne die Sprengungen, mit denen neue Gängein die Marsrinde getrieben wurden. Ihm fiel ein, seinganzes Leben lang hatte es diese Sprengungen gege-ben. Der Boden, auf dem er jetzt ging, war zur Zeitseiner Geburt unversehrter Fels gewesen. Die Stadtwuchs und würde weiter wachsen – wenn die Erdesie nur ließe.

Er bog an einer Kreuzung in eine engere, nicht sohell erleuchtete Straße ab, in der die SchaufensterWohnhäusern wichen, deren Vorderseite alle mit ei-ner Reihe von Lampen versehen waren. Langsamergehende Menschen traten an die Stelle von Käufernund Verkehr, und man sah kreischende Kinder, dieden mütterlichen Ruf, zum Abendessen zu kommen,bis jetzt überhört hatten.

Im letzten Augenblick fiel Long die Pflicht zu ge-sellschaftlicher Höflichkeit ein, und er betrat einenkleinen Wasserladen.

Er reichte seine Feldflasche weiter. »Vollmachen.«Der untersetzte Ladeninhaber schraubte den Ver-

schluß ab, und schielte in die Öffnung. Er schütteltedie Flasche ein wenig und ließ es glucksen. »Nichtmehr viel drin«, sagte er.

Page 27: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Nein«, meinte Long.Der Ladeninhaber ließ Wasser hineintröpfeln und

hielt dabei den Hals der Feldflasche dicht an denZapfhahn, um einem Verschütten vorzubeugen. DieWasseruhr schwirrte. Er schraubte den Verschlußwieder zu.

Long reichte ihm die Münzen und nahm seineFeldflasche in Empfang. Sie schlug jetzt angenehmschwer gegen seine Hüfte. Es war ganz undenkbar,eine Familie ohne gefüllte Feldflasche zu besuchen.Wenn die Jungs sich untereinander besuchten, war esnicht so wichtig.

Er trat in den Flur der Nummer 27, stieg ein paarTreppen hinauf, betätigte aber noch nicht die Klingel.

Man konnte ziemlich klar Stimmen hören.Eine davon war die einer Frau, und sie klang ein

wenig schrill. »Dir ist's also recht, daß deine Müll-männerfreunde herkommen? Ich kann dankbar sein,daß du es zwei Monate im Jahr schaffst, nach Hausezu kommen. Ach, es genügt ja schon, daß du ein oderzwei Tage mit mir zubringst. Dann kommen wiederdie Müllmänner dran.«

»Ich bin jetzt schon lange zu Hause«, sagte eineMännerstimme, »und heute geht es ums Geschäft.Um Mars willen, Dora, hör doch auf. Die werdengleich hier sein.«

Long beschloß, mit dem Klingeln noch zu warten.Sie würden dann vielleicht Gelegenheit haben, einneutraleres Gesprächsthema zu finden.

»Wie mir das gleich ist, ob die kommen!« versetzteDora. »Die können mich ruhig hören. Und von miraus kann der Kommissar den Erlaß für immer auf-rechterhalten, hörst du mich?«

Page 28: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Und wovon sollen wir dann leben?« gab die Män-nerstimme erbittert zurück. »Sag mir das mal.«

»Das sag ich dir. Du kannst hier auf dem Mars wiejeder andere auch anständig genug Geld verdienen.Ich bin die einzige in diesem Wohnblock, die eineMüllmannwitwe ist. Genau das bin ich, eine Witwe.Ich bin noch schlimmer als eine Witwe dran, dennwenn ich eine Witwe wäre, könnte ich wenigstensjemanden heiraten – was hast du gesagt?«

»Nichts. Gar nichts.«»Ah, ich weiß schon, was du gesagt hast. Jetzt hör

mal gut zu, Dick Swenson ...«»Ich hab nur gesagt«, rief Swenson, »daß ich jetzt

weiß, warum Müllmänner gewöhnlich nicht heira-ten.«

»Und du hättest auch nicht heiraten sollen. Mirreicht's, daß mich jeder in der Nachbarschaft bedau-ert und blöde grinst und mich fragt, wann du nachHause kommst. Andere Leute sind Bergbauingenieu-re und Verwaltungsbeamte und sogar Tunnelbohrer.Frauen von Tunnelbohrern haben wenigstens einrichtiges Familienleben, und ihre Kinder wachsennicht wie Vagabunden auf. Peter könnte genausogutkeinen Vater haben ...«

Durch die Tür konnte man die hohe, dünne Stimmeeines Jungen hören. Sie kam aus größerer Entfernung,als befinde er sich in einem anderen Zimmer. »He,Mama, was ist ein Vagabund?«

Doras Stimme wurde eine Spur lauter. »Peter! Dumachst gefälligst deine Hausaufgaben weiter.«

Swenson sagte mit leiser Stimme: »Es ist nicht gut,vor dem Kind so zu reden. Was wird er denn von mirdenken?«

Page 29: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Dann bleib zu Haus, bring ihm bessere Gedankenbei.«

Peter rief wieder etwas. »He, Mama, ich will Müll-mann werden, wenn ich groß bin.«

Man hörte rasche Schritte. Einen Augenblick bliebes still, dann tönte es durchdringend: »Mama, laßmein Ohr los! Was hab' ich denn getan?«

Long machte sich die Gelegenheit zunutze. Erdrückte kräftig auf die Klingel.

Swenson machte auf und fuhr sich mit beidenHänden durch das Haar.

»Hallo, Ted«, sagte er gedämpft. Dann laut: »Dora,Ted ist da. Wo ist Mario, Ted?«

Long sagte: »Der wird bald kommen.«Dora kam rasch aus dem nächsten Zimmer. Eine

kleine, dunkle Frau mit Stupsnase, deren Haar ausder Stirn gekämmt war und eben anfing, ein wenigGrau zu zeigen.

»Hallo, Ted. Hast du schon gegessen?«»Ja, danke. Ich störe euch doch nicht?«»Überhaupt nicht. Wir sind schon lange fertig.

Möchtest du Kaffee?«»Ich glaub schon.« Ted machte seine Feldflasche los

und hielt sie ihr hin.»Meine Güte, es ist schon in Ordnung. Wir haben

eine Menge Wasser.«»Ich bestehe darauf.«»Also dann ...«Sprach's und ging in die Küche zurück. Durch die

sich öffnende Tür konnte Long einen Blick auf Ge-schirr werfen, das im Secoterg stand, dem »Spülerohne Wasser, der Schmutz und Fett in Sekunden-schnelle aufweicht und löst. Ein bißchen Wasser spült

Page 30: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

über zwei Quadratmeter Geschirrfläche spiegelblank.Kaufen Sie Secoterg. Secoterg, der spült ganz schnell,macht Geschirr so strahlend hell, und kein Wasserwird vertan ...«

Long ging die Werbemelodie durch den Kopf, under brachte sie durch Reden zum Schweigen. Er sagte:»Wie geht's Pete?«

»Sehr gut. Der Junge ist jetzt in der vierten Klasse.Du weißt, daß ich nicht viel von ihm zu sehen kriege.Na ja, als ich das letztemal zurückkam, da guckt ermich an und sagt ...«

Das ging eine Weile so weiter und war nicht so arg,wie kluge Sprüche von klugen Kindern sein können,wenn sie von faden Eltern erzählt werden.

Die Türglocke läutete, und Mario Rioz kam mitrotem Kopf und gerunzelter Stirn herein.

Swenson trat rasch auf ihn zu. »Hör mal, kein Wortüber das Wegschnappen von Stufen. Dora erinnertsich noch daran, wie du dir eine erstklassige Stufe ausmeinem Gebiet geangelt hast, und heute ist wiedernicht mit ihr auszukommen.«

»Wer will denn überhaupt über Stufen reden?«Rioz riß sich die pelzgefütterte Jacke vom Leib, warfsie über eine Stuhllehne und setzte sich.

Dora kam durch die Tür, blickte den Neuankömm-ling mit einem aufgesetzten Lächeln an und sagte:»Hallo, Mario. Für dich auch Kaffee?«

»Ja«, sagte er und griff automatisch nach seinerFeldflasche.

»Nimm einfach ein bißchen mehr von meinemWasser, Dora«, sagte Long schnell. »Er kann mir'sdann zurückgeben.«

»Ja«, sagte Rioz.

Page 31: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Was ist los, Mario?« fragte Long.Rioz erwiderte bedrückt: »Na los, heraus damit,

daß du es mir gesagt hast. Als Hilder vor einem Jahrdie Rede hielt, hast du es mir schon gesagt.«

Long zuckte mit den Schultern.Rioz sagte: »Die haben die Quote festgesetzt. Vor

fünfzehn Minuten kam die Nachricht.«»Und?«»Pro Reise fünfzigtausend Tonnen Wasser.«»Was?« schrie Swenson zornig. »Mit fünfzigtau-

send kommt man vom Mars nicht weg.«»Die Zahl steht fest. Eine bewußte Halsabschneide-

rei. Mit der Müllverwertung ist es aus.«Dora kam mit dem Kaffee herein und deckte den

Tisch.»Was soll das heißen, keine Müllverwertung

mehr?« Sie setzte sich entschlossen hin, und Swensonwirkte hilflos.

»Anscheinend«, sagte Long, »legt man uns auffünfzigtausend Tonnen fest, und das heißt, daß wirkeine Reisen mehr unternehmen können.«

»Na und?« Dora nippte an ihrem Kaffee und lä-chelte munter. »Wenn ihr meine Meinung hörenwollt, ich finde es gut. Es wird Zeit, daß ihr Müll-männer euch eine feste Arbeit auf dem Mars hiersucht. Das meine ich wirklich. Ist doch kein Leben,sich dauernd im Raum herumzutreiben ...«

»Dora, bitte«, sagte Swenson.Rioz hätte beinah ein verächtliches Schnauben hö-

ren lassen.Dora hob die Augenbrauen. »Ich sag bloß meine

Meinung.«Long sagte: »Bitte, rede frei von der Leber weg.

Page 32: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Aber ich möchte ganz gern etwas sagen. Fünfzigtau-send Tonnen ist nur ein Punkt. Wir wissen, daß dieErde – oder wenigstens die Partei von Hilder – auseiner Kampagne für Wassersparsamkeit politischenNutzen ziehen will. Und da sitzen wir in einer bösenKlemme. Wir müssen uns irgendwie Wasser ver-schaffen, oder die machen uns den Laden ganz dicht,stimmt's?«

»Na klar«, sagte Swenson.»Aber die Frage ist, wie?«»Wenn es nur um die Beschaffung von Wasser

geht«, sagte Rioz in einem plötzlichen Sturzbach vonWorten, »dann bleibt nur eins zu tun. Wenn uns dieBodenleute kein Wasser geben wollen, dann nehmenwir es uns. Das Wasser gehört ihnen nicht einfachnur, weil ihre Väter und Großväter Angst hatten, ih-ren fetten Planeten je zu verlassen, verdammt nochmal. Das Wasser gehört allen Leuten, wo sie auchsein mögen. Wir sind Menschen, und das Wasser ge-hört uns genausogut. Wir haben ein Recht darauf.«

»Und wie sollen wir uns das Wasser nehmen?«fragte Long.

»Ist doch leicht! Die haben Ozeane voll Wasser aufder Erde. Die können nicht in jeden Quadratkilometereinen Wächter hinsetzen. Wir können jederzeit aufder Nachtseite des Planeten hinunterschweben, unse-re Stufen füllen und dann abhauen. Wie wollen dieuns aufhalten?«

»Da gibt's viele Möglichkeiten, Mario. Wie machstdu im Raum Stufen aus, die bis zu hundertfünfzig-tausend Kilometer weit weg sind? Mit Hilfe des Ra-dars. Glaubst du, die haben auf der Erde kein Radar?Und wenn die Erde daraufkommt, daß wir uns aufs

Page 33: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Wasserschmuggeln verlegt haben, glaubst du nicht,daß es dann nicht einfach für die dort sein wird, einRadarnetz aufzubauen, mit dem man die Schiffe or-ten kann, die vom Raum hereinkommen?«

Dora mischte sich empört ein. »Eins sag ich dir,Mario Rioz. Mein Mann macht bei keinem einzigenWasserdiebstahl mit, der ihm helfen soll, wieder alsMüllmann zu arbeiten.«

»Es geht nicht nur um die Müllverwertung«, sagteMario. »Als nächstes werden sie alles andere aucheinschränken. Wir müssen ihnen jetzt Einhalt gebie-ten.«

»Aber wir brauchen ihr Wasser doch gar nicht«,sagte Dora. »Wir sind doch nicht auf dem Mond oderauf der Venus. Was wir an Wasser brauchen, holenwir doch in Rohrleitungen von den Polkappen her.Wir haben hier in dieser Wohnung einen Wasser-hahn. In diesem Block hat jede Wohnung einen.«

Long sagte: »Was die Haushalte verbrauchen,macht den geringsten Anteil aus. Die Bergwerkebrauchen Wasser. Und was machen wir mit denTanks der Wasserkulturen?«

»Stimmt«, sagte Swenson. »Was ist mit den Tanksder Wasserkulturen, Dora? Die brauchen Wasser, undes ist Zeit, daß wir uns um unseren eigenen Anbaufrischer Nahrungsmittel kümmern, anstatt von die-sem eingedickten Zeug zu leben, das sie uns von derErde herschicken.«

»Hört ihn euch an«, sagte Dora spöttisch. »Wasweißt du denn von frischen Nahrungsmitteln. Hastnie welche gegessen.«

»Mehr als du glaubst. Erinnerst du dich an dieMohrrüben, die ich mal aufgegabelt habe?«

Page 34: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Und? Was soll an denen denn so herrlich gewesensein? Wenn du mich fragst, gutes geröstetes Proto-mehl ist viel besser. Und gesünder auch. Mir kommt'sso vor, als ob es jetzt Mode ist, über Frischgemüse zureden, weil die Steuern für diese Wasserkulturen jetztangehoben werden. Außerdem wird das Ganze vonselbst vorübergehen.«

Long sagte: »Das glaube ich nicht. Auf jeden Fallnicht von selbst. Hilder wird vielleicht der nächsteKoordinator sein, und dann wird's möglicherweiseerst richtig schlimm werden. Wenn sie auch die Nah-rungsmittelsendungen einschränken ...«

»Ja«, rief Rioz, »was machen wir dann? Ich bleibdabei, wir holen uns das Wasser!«

»Und ich bleibe dabei, daß wir das nicht machenkönnen, Mario. Begreifst du nicht, daß das, was duvorschlägst, ein Vorgehen nach Art der Bodenleuteist? Du versuchst, dich an der Nabelschnur festzu-halten, die den Mars an die Erde bindet. Kannst dudich davon nicht lösen? Verstehst du nicht, wie esnach Art des Mars geht?«

»Nein, versteh ich nicht. Vielleicht erklärst du mir'smal.«

»Mach ich, wenn du zuhören willst. Wenn wir andas Sonnensystem denken, was fällt uns dann ein?Merkur, Venus, Erde, Mond, Mars, Phobos und Dei-mos. Das wär's – nur sieben Gestirne. Aber das sindnoch nicht mal ein Prozent des Sonnensystems. WirMarsmenschen sitzen genau an der Grenze zu denrestlichen neunundneunzig Prozent. Da draußen,weiter von der Sonne weg, gibt's unglaubliche Men-gen von Wasser!«

Die anderen starrten ihn an.

Page 35: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Swenson sagte unsicher: »Du meinst die Eis-schichten auf Jupiter und Saturn?«

»Eigentlich nicht, aber du wirst zugeben, daß dasauch Wasser ist. Tausend Kilometer dicke Wasser-schichten ist eine Menge Wasser.«

»Aber die sind doch bedeckt von Ammoniak oderso was ähnlichem?« fragte Swenson. »Außerdemkönnen wir auf den Riesenplaneten nicht landen.«

»Weiß ich«, sagte Long. »Aber ich habe nicht ge-sagt, daß das die Antwort ist. Die Riesenplanetensind nicht die einzigen Dinger da draußen. Wiesteht's mit den Asteroiden und den Monden? Vestaist ein Asteroid mit einem Durchmesser von drei-hundertfünfzig Kilometern und ist kaum mehr als einBrocken Eis. Einer der Monde des Saturn ist fast ganzaus Eis. Wie wär's denn damit?«

Rioz sagte: »Bist du jemals im Raum gewesen,Ted?«

»Das weißt du doch. Weshalb fragst du?«»Klar, ich weiß, du warst draußen, aber du redest

noch immer wie ein Bodenmensch. Hast du an dieEntfernungen gedacht, um die es dabei geht? Dienächsten Asteroiden sind durchschnittlich dreihun-dert Millionen Kilometer vom Mars entfernt. Das istzweimal der Sprung von der Venus zum Mars, unddu weißt, daß kaum je ein Linienschiff selbst dieseEntfernung auf einen Ritt macht. Gewöhnlich legensie auf der Erde oder dem Mond an. Mann, wasglaubst du eigentlich, wie lange jemand im Raumbleiben kann?«

»Ich weiß nicht. Was ist deine Grenze?«»Du kennst die Grenze. Brauchst mich doch nicht

zu fragen. Sie ist sechs Monate. Das steht in den

Page 36: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Handbüchern. Wenn du nach sechs Monaten immernoch im Raum bist, dann bist du reif für eine Psy-chotherapie. Stimmt doch, Dick?«

Swenson nickte.»Und das sind erstmal nur die Asteroiden«, fuhr

Rioz fort. »Vom Mars bis zum Jupiter sind es fünf-hundert Millionen Kilometer und zum Saturn sind esüber eine Milliarde. Wer soll denn mit diesen Entfer-nungen fertig werden? Nehmen wir an, du erreichstNormalgeschwindigkeit, oder um eine runde Zahl zunennen, du schaffst gute zweihunderttausend Kilo-meter die Stunde. Du würdest brauchen – schauenwir mal, mit Beschleunigungs- und Abbremszeit –ungefähr sechs oder sieben Monate bis zum Jupiterund fast ein Jahr bis zum Saturn. Theoretisch könn-test du natürlich auf eine Geschwindigkeit von ein-einhalb Millionen Kilometern pro Stunde kommen,aber wo willst du das Wasser hernehmen, das du da-zu brauchst?«

»Ui«, sagte eine dünne Stimme, zu der eineschmutzige Nase und runde Augen gehörten, »Sa-turn!«

Dora fuhr auf ihrem Stuhl herum. »Peter, marschzurück in dein Zimmer!«

»Ach, Ma.«»Keine Widerrede!« Sie wollte sich vom Stuhl er-

heben, und Peter machte sich davon.Swenson sagte: »Hör mal, Dora, warum leistest du

ihm nicht ein bißchen Gesellschaft? Er kann sichschwer auf seine Hausaufgaben konzentrieren, wennwir alle hier draußen sitzen und reden.«

Dora rührte sich nicht. »Ich bleib hier sitzen, bis ichweiß, was Ted Long im Kopf herumgeht. Und ich

Page 37: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

kann dir jetzt schon sagen, daß mir der Ton über-haupt nicht gefallen will.«

Swenson sagte nervös: »Schön, lassen wir Jupiterund Saturn. Ich bin sicher, Ted hat es nicht auf diebeiden abgesehen. Aber wie steht's mit Vesta? Dort-hin könnten wir es in zehn bis zwölf Wochen schaf-fen, und in der gleichen Zeit zurück sein. Und drei-hundert Kilometer Durchmesser. Das sind sechs Mil-lionen Kubikkilometer Eis!«

»Na und?« sagte Rioz. »Was machen wir auf Vesta?Das Eis in Blöcken abbauen? Bergwerksmaschinenaufbauen? Hör mal, weißt du, wie lange das dauernwürde?«

Long sagte: »Ich rede vom Saturn, nicht von Ve-sta.«

Rioz wandte sich an eine unsichtbare Zuhörer-schaft. »Ich spreche von mehr als einer Milliarde Ki-lometer, und er redet weiter.«

»Na schön«, sagte Long. »Vielleicht sagst du mirmal, woher du weißt, daß wir nur sechs Monate imRaum bleiben können, Mario?«

»Das weiß doch jedes Kind, verdammt noch mal.«»Weil es im Handbuch der Raumfahrt steht. Das sind

Daten, die Erdwissenschaftler auf Grund von Erfah-rungen mit Erdpiloten und Erdraumleuten zusam-mengetragen haben. Du denkst immer noch wie einBodenmensch. Du willst einfach nicht wie ein Mars-mensch denken.«

»Ein Marsmensch ist vielleicht ein Marsmensch,aber vor allem eben doch ein Mensch.«

»Wie kannst du nur so blind sein? Wie oft seid ihrJungs ohne Unterbrechung über sechs Monate drau-ßen geblieben?«

Page 38: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Rioz sagte: »Das ist was anderes.«»Weil ihr Marsmenschen seid? Weil ihr von Beruf

Müllmänner seid?«»Nein, weil wir nicht auf einem Flug sind. Wenn

wir wollen, können wir jederzeit zum Mars zurück.«»Aber ihr wollt gar nicht. Genau darum geht es mir.

Die Erdmenschen haben riesige Schiffe mit Filmbi-bliotheken, mit einer Mannschaft von fünfzehn Leu-ten, und dann noch Passagiere. Und trotzdem könnensie höchstens sechs Monate draußen bleiben. DieMüllmänner vom Mars haben ein Schiff mit zweiRäumen und nur einen Partner. Aber wir können esmehr als sechs Monate aushalten.«

Dora sagte: »Ich nehme an, du möchtest ein Jahr ineinem Schiff bleiben und zum Saturn fliegen.«

»Warum nicht, Dora?« sagte Long. »Wir können estun. Siehst du nicht, daß wir es tun können? DieErdmenschen können es nicht. Sie leben auf einerrichtigen Welt. Sie haben einen offenen Himmel undFrischnahrung, soviel Luft und Wasser, wie sie nurwollen. Es ist eine schreckliche Umstellung für sie,auf einem Schiff zu leben. Genau aus dem Grundsind mehr als sechs Monate zuviel für sie. Marsmen-schen sind anders. Wir leben unser ganzes Leben langschon in einem Schiff.

Mehr ist der Mars ja nicht – ein Schiff. Er ist einfachein über sechstausend Kilometer langes Schiff mit ei-nem winzigen Zimmer darin, das von fünfzigtausendLeuten bewohnt wird. Es ist abgeschlossen wie einSchiff. Wir atmen abgepackte Luft, trinken abge-packtes Wasser, und beides wird wieder und wiedergereinigt. Wir essen dieselben Rationen, die wir anBord eines Schiffes essen. Wenn wir in ein Schiff stei-

Page 39: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gen, finden wir dort nur das, was wir ein Leben langschon kennen. Wenn es darauf ankommt, können wires weit länger als nur ein Jahr aushalten.«

Dora sagte: »Dick auch?«»Wir alle können es.«»Na schön, Dick aber nicht. Du, Ted Long, und die-

ser Stufendieb hier, dieser Mario, ihr habt leicht re-den, ein Jahr lang auf einen Ausflug zu gehen. Ihrseid nicht verheiratet. Dick ist aber verheiratet. Er hateine Frau und ein Kind und das muß ihm genügen.Er kann einfach hier auf dem Mars eine richtige Ar-beit annehmen. Nehmt an, ihr fliegt zum Saturn undmerkt, daß es dort kein Wasser gibt. Wie wollt ihrwieder zurückkommen? Selbst wenn ihr noch Wasserhabt, werdet ihr nichts mehr zu essen haben. Das Lä-cherlichste, was ich je gehört habe.«

»Nein. Hör jetzt mal zu«, sagte Long unbeirrt. »Ichhabe mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Ichhabe mit Regierungskommissar Sankov gesprochen,und er wird helfen. Wir brauchen jedoch Schiffe undMänner. Die kann ich nicht kriegen. Die Männerwerden auf mich nicht hören. Ich bin ein Neuling.Euch zwei kennt und achtet man. Ihr seid alte Hasen.Wenn ihr mich unterstützt, auch wenn ihr nicht selbstfliegt, wenn ihr mir einfach helft, den anderen die Sa-che schmackhaft zu machen, Freiwillige anheuert ...«

»Zunächst einmal«, sagte Rioz bärbeißig, »mußt dunoch eine ganze Menge erklären. Wenn wir Saturnerreicht haben, wo ist da das Wasser?«

»Das ist ja gerade das Herrliche«, sagte Long.»Weshalb es der Saturn sein muß. Das Wasser treibtdort nur so im Raum herum, und man braucht es sichnur zu nehmen.«

Page 40: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

5.

Als Hamish Sankov auf den Mars gekommen war,gab es noch keine eingeborenen Marsmenschen. Jetztgab es mehr als zweihundert Babys, deren Großväterschon auf dem Mars geboren waren – die dritte Gene-ration von Einheimischen.

Er war als Halbwüchsiger gekommen, und dieSiedlung bestand damals aus einem Haufen gelan-deter Raumschiffe, die durch abgedichtete unterirdi-sche Gänge miteinander verbunden waren. Im Laufder Jahre hatte er Gebäude wachsen und in die Tiefesich ausdehnen sehen, die stumpfe Nasen in dünneAtmosphäre reckten, die nicht zu atmen war. Er hattegesehen, wie riesige Lagerhallen errichtet wurden, indenen ganze Raumschiffe mit ihrer Ladung ver-schwinden konnten. Er hatte die Bergwerke aus demNichts zu riesigen Ausschürfungen in der Marsrindewachsen sehen, während die Marsbevölkerung vonfünfzig auf fünfzigtausend anstieg.

Er fühlte sich alt mit diesen vielen Erinnerungen –mit ihnen und den noch blasseren Erinnerungen, diedurch die Anwesenheit dieses Erdmenschen vor ihmwieder zum Leben erwachten. Sein Besucher brachtediese längst vergessenen Gedankenbruchstücke aneine weiche, warme Welt wieder zum Vorschein, dieder Menschheit so gut und wohlgesinnt war wie derMutterschoß.

Der Erdmensch kam anscheinend frisch aus diesemSchoß. Er war nicht sehr groß, nicht sehr schlank. Erwar eigentlich sogar rundlich. Dunkles Haar mit ei-ner kleinen, hübschen Welle, ein kleiner, hübscherSchnurrbart und hübsch geschrubbte Haut. Seine

Page 41: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Kleidung war geschmackvoll und so neu und gutgemacht, wie Plastek nur sein konnte.

Sankovs Kleidung war Marsfabrikat, zweckmäßigund sauber, aber modisch viele Jahre zurück. SeinGesicht war faltig und zerfurcht, sein Haar ganzweiß, und sein Adamsapfel wackelte beim Sprechen.

Der Erdmensch hieß Myron Digby, Mitglied desParlaments der Erde. Sankov war Regierungskom-missar für den Mars.

Sankov sagte: »All das trifft uns hart, Herr Abge-ordneter.«

»Die meisten von uns hat es auch hart getroffen,Herr Kommissar.«

»Mhm. Kann wirklich nicht sagen, daß ich es dannbegreife. Sie verstehen natürlich, daß ich nicht so tunwill, als könnte ich die Erdart verstehen, obwohl ichdort geboren wurde. Es ist nicht leicht, auf dem Marszu leben, Herr Abgeordneter, und Sie müssen dasverstehen. Man braucht viel Laderaum, nur um unsEssen, Wasser und die Rohstoffe zu bringen, damitwir leben können. Viel Platz ist dann nicht mehr fürBücher und Nachrichtenfilme. Von einem Monat ab-gesehen, wenn die Erde in Konjunktion steht, errei-chen auch keine Fernsehprogramme den Mars, undwenn sie es tun, hat kaum jemand Zeit, sie sich anzu-sehen.

Mein Amt bekommt wöchentlich eine Filmzusam-menfassung von der Planetarischen Presse. Gewöhn-lich habe ich nicht die Zeit, ihr Beachtung zu schen-ken. Sie nennen uns vielleicht provinziell, und sie ha-ben recht. Wenn so etwas wie jetzt geschieht, dannkönnen wir uns gegenseitig nur hilflos ansehen.«

Digby sagte langsam: »Sie wollen doch nicht etwa

Page 42: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

sagen, daß Ihre Leute auf dem Mars noch nichts vonHilders Kampagne gegen die Verschwender gehörthaben.«

»Nein, kann ich eigentlich nicht sagen. Da ist einjunger Müllmann, der Sohn eines guten Freundes vonmir, der im Raum umkam, dessen Steckenpferd es ist,über die Geschichte der Erde und so etwas nachzule-sen. Wenn er draußen im Raum ist, empfängt er Fern-sehsendungen, und er hat sich diesen Hilder ange-hört. Soviel ich weiß, war das die erste Rede, die Hil-der über die Verschwender hielt.

Der junge Mann kam damit zu mir. Ich nahm ihnnatürlich nicht sehr ernst. Eine Zeitlang danach be-hielt ich ein Auge auf die Filme der PlanetarischenPresse, aber Hilder wurde nicht oft erwähnt und nachdem, was man sah, wirkte er recht komisch.«

»Ja, Herr Kommissar«, sagte Digby, »als es anfing,sah es ganz wie ein Scherz aus.«

Sankov streckte seine langen Beine neben demSchreibtisch aus. »Mir kommt's noch immer eher wieein Scherz vor. Worum geht's ihm? Wir verbrauchenWasser. Hat er mal versucht, sich ein paar Zahlen an-zusehen? Ich habe sie alle hier. Habe sie mir bringenlassen, als dieser Ausschuß ankam.

Die Erde hat eins Komma zwo fünf Milliarden Ku-bikkilometer Wasser in ihren Ozeanen, und jeder Ku-bikkilometer Wasser wiegt etwa eineinhalb Milliar-den Tonnen. Das ist eine Menge Wasser. Etwas vondieser Menge verbrauchen wir für den Raumflug. Dergrößte Teil des Schubs wird im Schwerkraftfeld derErde verbraucht, und das bedeutet, daß das ausge-stoßene Wasser seinen Weg zurück in die Ozeanenimmt. Hilder hat das nicht berücksichtigt. Wenn er

Page 43: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

behauptet, daß pro Flug eine Million Tonnen Wasserverbraucht werden, dann lügt er. Es handelt sich umweniger als hunderttausend Tonnen.

Nehmen wir jetzt einmal an, daß pro Jahr fünfzig-tausend Flüge stattfinden. In Wirklichkeit sind e s na-türlich nicht so viele, kaum fünfzehnhundert. Aber sa-gen wir einmal, es wären fünfzigtausend. Ich nehmean, im Lauf der Zeit wird es ein beträchtliches Anwach-sen der Flüge geben. Bei fünfzigtausend Flügen wür-den pro Jahr etwa drei Komma vier KubikkilometerWasser im Raum verloren gehen. Das bedeutet, daßdie Erde in einer Million Jahre ein Viertelprozent ih-res gesamten Wasservorrats verlieren würde!«

Digby drehte die Handflächen nach oben, breitetedie Hände aus und ließ sie dann fallen. »Herr Kom-missar, die Interplanetarischen Metallwerke haben inihrer Kampagne gegen Hilder ähnliche Zahlen be-nutzt, aber mit kalter Mathematik kann man keineriesige, gefühlsgeladene Bewegung aufhalten. DieserHilder hat einen Begriff geprägt: Verschwender. Erhat diesen Begriff langsam aufgebauscht, bis es wienach einer riesenhaften Verschwörung aussah. EineBande profitgieriger Schufte, die die Erde ausbeutenund dabei nur auf den eigenen unmittelbaren Vorteilbedacht sind.

Er hat die Regierung beschuldigt, mit ihnen untereiner Decke zu stecken. Das Parlament soll unter ih-rer Fuchtel stehen und die Presse ihnen gehören.Dem Durchschnittsmenschen kommt das alles an-scheinend nicht lächerlich vor. Er weiß nur zu gut,was eigennützige Menschen den Bodenschätzen derErde anhaben können. Er weiß zum Beispiel, was imZeitalter der Schwierigkeiten mit dem Öl passiert ist

Page 44: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

und wie der fruchtbare Boden ruiniert wurde.Wenn ein Bauer eine Dürreperiode erlebt, ist es

ihm gleich, daß das Wasser, das beim Raumflug ver-lorengeht, ein winziger Tropfen ist, verglichen mitdem gesamten Wasservorrat der Erde. Mit Hilfe vonHilder kann er jetzt jemandem die Schuld geben, undin einer Katastrophe ist das der stärkste Trost, denman sich denken kann. Dafür läßt er sich nicht mitein paar Zahlen abspeisen.«

Sankov sagte: »Da komme ich nicht mit. Vielleichtdeshalb, weil ich nicht weiß, wie es auf der Erde läuft,aber mir scheint, es gibt dort auch Bauern, die nichtauf dem Trocknen sitzen. Soweit ich aus den Nach-richtenzusammenfassungen sehen konnte, sind dieseLeute um Hilder eine Minderheit. Wieso läßt sich dieErde auf das Spiel von ein paar Bauern ein, die durcheinige Verrückte aufgehetzt worden sind?«

»Herr Kommissar, weil es so etwas wie von Sorgengeplagte Menschen gibt. Die Stahlindustrie begreift,daß eine Epoche der Raumfahrt die Lage auf demMarkt für Leichtmetallegierungen immer mehr an-spannen wird. Die verschiedenen Bergbaugewerk-schaften machen sich wegen der außerirdischen Kon-kurrenz Sorgen. Jeder Erdmensch, der kein Alumini-um kriegt, mit dem er sein Fertighaus bauen könnte,weiß ganz sicher, daß das daher kommt, weil allesAluminium zum Mars geht. Ich kenne einen Ar-chäologieprofessor, der gegen die Verschwender ist,weil er keinen Regierungszuschuß für seine Ausgra-bungen bekommen kann. Er ist überzeugt, daß dasganze Regierungsgeld in die Raketenforschung undRaumfahrtmedizin gesteckt wird, und er ist vollerGroll deswegen.«

Page 45: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sankov sagte: »Das klingt so, als ob die Erdleutenicht sehr verschieden von uns hier auf dem Marssind. Aber was ist mit dem Parlament? Warum mußes auf das Spiel von Hilder eingehen?«

Digby lächelte verbittert. »Es ist nicht angenehm,Politik zu erklären. Hilder hat diesen Antrag gestellt,einen Ausschuß zu berufen, der die Verschwendungauf Raumflügen untersuchen soll. Ungefähr drei-viertel oder mehr der Abgeordneten waren gegen ei-ne solche Untersuchung, weil das ein unerträglichesund sinnloses Anwachsen der Bürokratie bedeutenwürde – was es ja auch ist. Aber wie kann der Ge-setzgeber gegen die bloße Untersuchung von Ver-schwendung sein? Das würde so aussehen, als müsseer etwas befürchten oder verbergen. Das würde soaussehen, als profitiere er selbst etwas bei der Ver-schwendung. Hilder scheut sich überhaupt nicht, sol-che Anschuldigungen vorzubringen, und ob wahroder falsch, für die Wähler wäre das bei der nächstenWahl eine wichtige Sache. Der Antrag wurde ange-nommen.

Und dann tauchte die Frage auf, wer dem Aus-schuß angehören soll. Die, die gegen Hilder waren,drückten sich vor einer Teilnahme, weil sie dannständig Entscheidungen hätten treffen müssen, dieihnen peinlich sind. Wenn man sich im Hintergrundhält, ist man nicht mehr die Zielscheibe Hilders. Waszur Folge hat, daß ich das einzige Mitglied des Aus-schusses bin, das offen gegen Hilder ist, und daskann mich meine Wiederwahl kosten.«

Sankov sagte: »Das würde mir leid tun, Herr Ab-geordneter. Es sieht so aus, als habe der Mars nicht soviele Freunde, wie wir dachten. Wir würden nicht

Page 46: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gerne einen verlieren. Aber wenn Hilder gewinnensollte, worauf hat er es eigentlich abgesehen?«

»Ich denke«, sagte Digby, »das ist ziemlich deut-lich. Er möchte der nächste Weltkoordinator sein.«

»Glauben Sie, er schafft's?«»Wenn nichts passiert, was ihn aufhalten könnte,

dann schon.«»Und was dann? Wird er dann seinen Feldzug ge-

gen die Verschwender aufgeben?«»Kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, ob er schon

Pläne für die Zeit als Koordinator hat. Aber wenn Siehören wollen, was ich vermute, so kann er die Kam-pagne gar nicht aufgeben, ohne seine Beliebtheit ein-zubüßen. Die Sache ist außer Kontrolle geraten.«

Sankov kratzte sich am Hals. »Na schön. In demFall muß ich Sie um Ihren Rat bitten. Was können wirMarsleute machen? Sie kennen die Erde. Sie kennendie Lage. Wir nicht. Sagen Sie uns, was wir tun sol-len.«

Digby stand auf und trat ans Fenster. Er blickte aufdie niedrigen Kuppeln der anderen Gebäude hinaus.Dazwischen die rote, felsige, völlig einsame Ebene.Ein purpurner Himmel und eine eingeschrumpfteSonne.

Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Gefällt es euchauf dem Mars wirklich?«

Sankov lächelte. »Die meisten von uns kennen kei-ne andere Welt, Herr Abgeordneter. Ich glaube, dieErde würde ihnen seltsam und ungemütlich vor-kommen.«

»Aber würden sich die Marsmenschen nicht an siegewöhnen? Würden Ihre Leute nicht Gefallen daranfinden, die Luft unter dem offenen Himmel zu at-

Page 47: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

men? Sie haben einmal auf der Erde gelebt. Sie erin-nern sich, wie das war.«

»Ich erinnere mich ein wenig. Es ist trotzdem nichtleicht zu erklären. Die Erde ist einfach da. Sie paßt fürdie Leute, und die Leute passen zu ihr. Die Leute neh-men die Erde, wie sie ist. Der Mars ist anders. Er istirgendwie unfertig. Die Leute müssen aus ihm etwasmachen. Sie müssen sich eine Welt bauen, können sienicht nehmen, wie sie ist. Viel ist noch nicht auf demMars, aber wir bauen weiter, und wenn wir fertig sind,werden wir haben, was uns gefällt. Es ist irgendwieein großartiges Gefühl, zu wissen, man baut eine Welt.Die Erde wäre danach gar nicht sehr aufregend.«

Der Abgeordnete sagte: »Der gewöhnliche Mars-mensch ist gewiß nicht so philosophisch veranlagt,daß er es zufrieden ist, im Namen der Zukunft, dienoch Hunderte von Generationen entfernt ist, ein sofurchtbar hartes Leben zu führen.«

»Nein, so ist das auch nicht.« Sankov legte dasrechte Fußgelenk auf das linke Knie und wippte da-mit, während er sprach. »Wie ich schon sagte, sinddie Marsmenschen nicht sehr von den Leuten auf derErde verschieden, was bedeutet, daß sie irgendwieMenschen sind, und die Menschen kümmern sichnicht viel um Philosophie. Auf jeden Fall hat es etwasfür sich, in einer wachsenden Welt zu leben.

Als ich auf den Mars kam, pflegte mein Vater mirBriefe zu schicken. Er war Buchhalter, und irgendwieblieb er Buchhalter. Als er starb, sah die Erde nichtviel anders aus als zu seiner Geburt. Vor seinen Au-gen hat sich nichts ereignet. Ein Tag war wie jederandere, und das Leben war eine Art Zeitvertreib, bises Zeit war zu sterben.

Page 48: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Auf dem Mars ist es anders. Jeden Tag gibt es hieretwas Neues. Die Stadt ist größer, die Belüftungsan-lage wird ein bißchen raffinierter, die Wasserleitun-gen von den Polen werden weiter verbessert. Im Au-genblick haben wir vor, eine eigene Filmstelle fürNachrichten aufzubauen. Wir wollen sie Marspressenennen. Wenn Sie es nicht erlebt haben, wie um Sieherum alles wächst, dann werden Sie nie verstehen,wie herrlich man sich dabei fühlt.

Nein, Herr Abgeordneter, der Mars ist hart undschwierig, und die Erde ist um einiges gemütlicher,aber mir scheint, wenn Sie unsere Jungs auf die Erdeschaffen, werden die unglücklich sein. Die meistenwürden wahrscheinlich gar nicht darauf kommen,wieso, aber sie würden sich verloren vorkommen,verloren und unnütz. Mir scheint, eine Menge vonihnen würde sich nicht eingewöhnen können.«

Digby wandte sich vom Fenster ab, und die glatte,rosige Haut seiner Stirn war in Falten gelegt. »HerrKommissar, wenn das so ist, dann bedauere ich Sie.Sie alle.«

»Wieso?«»Weil ich nicht glaube, daß Ihre Leute auf dem

Mars irgend etwas machen können. Und die Leuteauf Mond und Venus auch nicht. Jetzt wird nochnichts passieren, in den nächsten beiden Jahren viel-leicht auch noch nichts, es kann sogar fünf Jahre ru-hig bleiben. Aber sie alle werden ziemlich bald zurErde zurück müssen, es sei denn ...«

Sankovs weiße Augenbrauen zogen sich finster zu-sammen. »Nun?«

»Es sei denn, Sie können eine andere Wasserquelleals die Erde auf tun.«

Page 49: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sankov schüttelte den Kopf. »Wird nicht so leichtsein.«

»Ganz und gar nicht.«»Und abgesehen davon kommt es Ihnen so vor, als

gäbe es gar keine Hoffnung?«»Gar keine.«Digby sprach es aus und ging, und Sankov starrte

eine Zeitlang ins Leere, bevor er eine Ziffernfolge derörtlichen Televerbindung drückte.

Nach einiger Zeit blickte ihn Ted Long an.Sankov sagte: »Du hast recht gehabt, mein Junge.

Die können nichts machen. Selbst die Wohlmeinen-den sehen keinen Ausweg. Wie hast du das nur ge-wußt?«

»Kommissar«, sagte Long, »wenn du alles über dasZeitalter der Schwierigkeiten und vor allem über daszwanzigste Jahrhundert gelesen hättest, dann würdedich in der Politik nichts mehr überrascht haben.«

»Schön, kann sein. Auf jeden Fall, mein Junge, be-dauert uns der Abgeordnete Digby. Er bedauert unssogar sehr, kann man sagen, aber das ist auch alles. Ersagt, wir werden den Mars verlassen müssen – oderuns woanders Wasser beschaffen.«

»Du weißt doch, daß wir das können?«»Ich weiß, daß wir es vielleicht können. Ein

schreckliches Risiko.«»Wenn ich genug Freiwillige finde, ist das Risiko

unsere Angelegenheit.«»Wie läuft die Sache?«»Nicht übel. Ein paar von den Jungs sind jetzt auf

meiner Seite. Ich habe zum Beispiel Mario Rioz über-redet, und du weißt, er ist einer der Besten.«

»Das ist's ja genau – diese Freiwilligen werden die

Page 50: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

besten Männer sein, die wir haben. Ich gebe nur sehrungern meine Zustimmung.«

»Wenn wir zurückkommen, wird es sich gelohnthaben.«

»Wenn! Ein großes Wort, mein Junge.«»Und eine große Sache, an der wir uns versuchen

wollen.«»Schön, ich habe mein Wort gegeben, wenn es auf

der Erde keine Hilfe gibt, werde ich dafür sorgen, daßihr von der Wassergrube auf Phobos die Menge be-kommt, die ihr braucht. Alles Gute.«

6.

Beinahe eine Million Kilometer über dem Saturnwiegte sich Mario Rioz im Nichts, und der Schlaf warköstlich. Langsam wurde er munter, zählte eine Zeit-lang die Sterne und zog imaginäre Linien von einemzum anderen. Er steckte in seinem Anzug und warallein.

Als am Anfang die Wochen vorbeiflogen, war eswieder genau wie auf einer Müllfahrt, abgesehen vondem quälenden Gefühl, daß jede Minute bedeutete,noch ein paar tausend Kilometer weiter von der gan-zen Menschheit weg zu sein. Das verschlimmerte dieSache.

Sie hatten einen hohen Bogen aus der Ekliptik her-aus gemacht, als sie sich durch den Raum der Aste-roiden bewegten. Dabei hatten sie Wasser verbraucht,und wahrscheinlich war es nicht nötig gewesen. Ob-wohl Zehntausende von Planetenwinzlingen inzweidimensionaler Projektion auf eine photographi-sche Platte wie ein Schwarm von Ungeziefer ausse-

Page 51: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

hen, sind sie doch so dünn in den Billiarden von Ku-bikkilometern verteilt, durch die ihre zusammenge-setzten Bahnen führen, daß nur der lächerlichste Zu-fall zu einem Zusammenstoß geführt hätte.

Trotzdem machten sie einen Bogen um diesenRaum, und jemand berechnete die Wahrscheinlich-keit eines Zusammenstoßes mit einem Stück Materie,das groß genug war, um Schaden anzurichten. DerWert war so unglaublich niedrig, daß es vermutlichunvermeidlich war, daß jemand auf die Idee mit dem»Schweben im Raum« kam.

Es waren viele Tage, und sie waren lang, der Raumwar leer, und man brauchte nur immer einen Mannfür die Bedienungseinrichtungen. Die Idee kam wieselbstverständlich.

Zuerst war es ein ganz besonders Mutiger, der sichfünfzehn Minuten hinauswagte. Dann versuchte esein anderer eine halbe Stunde lang. Bevor man dieAsteroiden noch gänzlich hinter sich gelassen hatte,hingen bei jedem Schiff die Besatzungsmitglieder, diekeine Wache hatten, am Ende eines Kabels frei imRaum.

Es war nichts dabei. Eines der Kabel, die am Endeder Reise ihre Verwendung finden sollten, wurde anbeiden Enden magnetisch befestigt, zuerst einmal amRaumanzug. Dann kletterte man durch die Schleuseauf den Rumpf des Schiffes hinaus und machte dortdas andere Ende fest. Man legte eine kleine Pause ein,wobei einen die Elektromagneten in den Stiefeln ander Metallhaut festhielten. Dann schaltete man sie ausund leistete kaum merkliche Muskelarbeit.

Man hob ganz langsam vom Schiff ab, und dasSchiff bewegte sich noch langsamer mit seiner größe-

Page 52: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

ren Masse eine entsprechend kürzere Strecke nachunten. Unglaublich, wie man gewichtslos in tiefer,getüpfelter Schwärze schwebte. Wenn sich das Schiffweit genug von einem entfernt hatte, faßte die dickbehandschuhte Hand, die das Kabel umschloß, festerzu. Zu fest, und man würde sich wieder auf dasSchiff zu bewegen, und das Schiff auf einen zu. Gera-de fest genug, und die Reibung würde einen zumHalten kommen lassen. Weil man sich so schnell wiedas Schiff bewegte, lag es anscheinend bewegungslosunter einem, als sei es auf einen unglaublichen Hin-tergrund gemalt. Und das Kabel dazwischen bildetelockere Schlaufen, die keine Anstalten machten, Sichzu strecken.

Man sah nur ein Halbschiff. Die eine Hälfte wurdevon der Sonne beleuchtet, die noch immer so hellwar, daß man sie ohne den Schutz der Polarisations-filter im Helm nicht direkt ansehen konnte. Die ande-re Hälfte war schwarz vor schwarzem Hintergrund,unsichtbar.

Der Raum schloß sich um einen, und es war wieSchlaf. Der Anzug war warm, die Luft in ihm wurdeautomatisch erneuert, er enthielt in besonderen Be-hältern Speise und Trank, die man mit der kleinstenKopfbewegung in sich saugen konnte, und wurde aufangemessene Art mit den Ausscheidungen fertig.Und vor allem anderen war da dieses Wohlgefühl derGewichtslosigkeit.

Man hatte sich noch nie so gut in seinem Leben ge-fühlt. Die Tage hörten auf, lang zu sein.

Etwa dreißig Grad vom Jupiter entfernt hatten sieseine Umlaufbahn gekreuzt. Monatelang war er dashellste Gestirn am Himmel, die gleißende Erbse der

Page 53: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sonne natürlich ausgenommen. Als er am hellstenwar, bestanden einige Müllmänner darauf, sie könn-ten den Jupiter als winzige Kugel sehen, die auf einerSeite durch den Nachtschatten eingedellt sei.

Eine Reihe von Monaten hindurch wurde erschwächer, während ein anderer Lichtpunkt hellerwurde, bis er den Jupiter überstrahlte. Es war derSaturn, erst ein lichter Punkt, dann ein ovaler, glü-hender Fleck.

»Wieso oval?« fragte jemand, und nach einer Weilesagte jemand anderer: »Natürlich die Ringe«, waseinleuchtend war.

Später schwebte jeder im Raum, so oft es ging, undsah sich unablässig den Saturn an.

»He, du Knilch, komm wieder rein, verdammtnochmal. Du hast Wache.«

»Wer hat Wache? Meiner Uhr nach hab ich nochfünfzehn Minuten.«

»Du hast deine Uhr zurückgestellt. Außerdem habich dir gestern zwanzig Minuten zugegeben.«

»Du würdest nicht mal deiner Großmutter auchnur zwei Minuten zugeben.«

»Verdammt noch mal, komm rein, oder ich kommeraus.«

»Na schön, ich komme. Heiliger Strohsack, so einGetue wegen einer einzigen Minute.« Aber im Raumkonnte man keinen Streit ernst nehmen. Man fühltesich zu gut.

Der Saturn wuchs an, bis er schließlich der Sonneden Rang ablief und sie ausstach. Die Ringe standenin weitem Winkel zu ihrer Flugbahn und umkreistenmajestätisch den Planeten, von dem nur ein kleinesStück im Schatten lag. Als sie sich weiter näherten,

Page 54: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

wurde die Ausdehnung der Ringe immer größer, sieselbst jedoch flacher, weil der Winkel, in dem sie nä-her kamen, immer kleiner wurde.

Die großen Monde tauchten wie Glühwürmchen inder Umgebung des Planeten auf.

Mario Rioz freute sich, wach zu sein, um wiederschauen zu können.

Der orange gestreifte Saturn füllte den halbenHimmel aus, und der Nachtschatten schob sich fastein Viertel der Gesamtlänge verschwommen vonrechts herein. Zwei kleine runde Flecken in der Hel-ligkeit waren Schatten zweier Monde. Links hinterihm – er konnte sich über seine linke Schulter umse-hen, und als er es tat, bewegte sich der restliche Kör-per ein wenig nach rechts, um das Drehmoment zuerhalten – war der weiße Sonnendiamant.

Am liebsten sah er sich die Ringe an. Von links hertauchten sie hinter dem Saturn auf, ein festes, helles,dreifaches Band orangefarbenen Lichtes. Rechts lagenihre Anfänge im Nachtschatten, waren jedoch näherund breiter. Sie weiteten sich wie der Trichter einesHorns, je näher sie waren, wurden immer trüber, bissie dem Auge, das ihnen folgte, den ganzen Himmelzu füllen und zu verschwinden schienen.

Von der Stelle der Müllmännerflotte am äußerstenRand des äußeren Ringes aus zerlegten sich die Ringeund zeigten ihre wahre Form, zeigten sich als phä-nomenale Ansammlung fester Teilchen und nicht alsdas straffe, feste Lichtband, das sie zu sein schienen.

Unter ihm, oder besser in der Richtung, in die seineFüße wiesen, befand sich etwa dreißig Kilometer ent-fernt eines dieser Ringteilchen. Es sah wie ein großer,unregelmäßiger Fleck aus, der die Symmetrie des

Page 55: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Raumes störte. Dreiviertel waren hell bestrahlt, denRest schnitt der Nachtschatten wie ein Messer ab.Andere Teilstücke waren weiter entfernt, glitzertenwie Sternenstaub, waren weniger hell und dichter, bissie wieder zu Ringen wurden, wenn man das Augean ihnen entlangwandern ließ.

Die Teilstücke standen still, aber nur deshalb, weildie Schiffe in eine Umlaufbahn um den Saturn einge-treten waren, die mit dem äußersten Rand der Ringezusammenfiel.

Rioz dachte daran, daß er am Tag zuvor auf demnächsten Stück gewesen war, um es mit vielen ande-ren zusammen in die gewünschte Form umzubauen.Morgen würde er wieder mitmachen.

Heute – heute schwebte er im Raum.»Mario?« Die Stimme, die in seinem Kopfhörer er-

klang, hatte einen fragenden Ton.Einen Augenblick lang wurde Rioz ärgerlich. Ver-

dammt noch mal, er war nicht in der Stimmung fürGeselligkeit.

»Am Apparat«, sagte er.»Ich wußte, daß es dein Schiff war. Wie geht's dir?«»Gut. Bist du das, Ted?«»Genau«, sagte Long.»Stimmt was nicht?«»Ich bin hier draußen und schwebe.«»Du?«»Manchmal packt's mich auch. Herrlich, was?«»Prächtig«, pflichtete ihm Rioz bei.»Weißt du, ich habe Erdbücher gelesen ...«»Bücher der Bodenleute meinst du.« Rioz gähnte.»... und manchmal lese ich Beschreibungen von

Leuten, die im Gras liegen«, fuhr Long fort. »Weißt

Page 56: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

du, in dem grünen Zeug, das wie dünne, lange Pa-pierschnitzel aussieht, das sie dort überall auf demBoden haben, und sie schauen in den blauen Himmelmit Wolken darin hinauf. Hast du mal Filme darübergesehen?«

»Klar. Anziehend fand ich's nicht. Sah mir kaltaus.«

»Ich glaub nicht, daß es das ist. Schließlich ist dieErde ziemlich nahe an der Sonne, und man sagt, ihreAtmosphäre ist dicht genug, die Wärme zu halten.Ich muß zugeben, mir selbst wäre es unangenehm,ohne alles, nur so mit Kleider unter offenem Himmelzu sein. Aber ich kann mir trotzdem denken, daß siees mögen.«

»Die Bodenleute spinnen!«»Sie reden über Bäume, große, braune Stengel, und

den Wind, Luftbewegungen, weißt du.«»Du meinst Luftzüge. Die können sie auch behal-

ten.«»Ist auch gleich. Ich meine nur, sie beschreiben es

so schön, fast leidenschaftlich. Ich hab mich oft ge-fragt: ›Wie mag das wohl sein? Werde ich das auchmal spüren, oder ist das etwas, was nur die Erdmen-schen fühlen können?‹ Ich hatte oft das Gefühl, daßmir etwas Wichtiges entging. Jetzt weiß ich, wie essein muß. Das ist es. Vollkommener Frieden in derMitte eines vor Schönheit überfließenden Univer-sums.«

Rioz sagte: »Denen würde es keinen Spaß machen.Den Bodenleuten, meine ich. Die haben sich so an ih-re kleine, miese Welt gewöhnt, daß sie es gar nichtschätzen würden, so zu schweben und auf den Saturnhinabzublicken.« Er ruckte ein wenig mit dem Kör-

Page 57: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

per, und sein Schwerpunkt fing an, sich langsam hinund her zu bewegen.

Long sagte: »Ja, glaub ich auch. Sie sind an ihrenPlaneten gefesselt. Selbst wenn sie zum Mars kom-men, werden erst ihre Kinder frei sein. Eines Tageswird es Sternenschiffe geben. Riesendinger, die Tau-sende von Menschen aufnehmen und die vielleichtjahrzehntelang, vielleicht sogar jahrhundertelangunterwegs sein können. Die Menschheit wird sich inder ganzen Milchstraße ausbreiten. Aber die Men-schen werden ihr ganzes Leben auf Schiffen zubrin-gen, bis man neue Wege des interstellaren Reisensentdeckt haben wird, und es werden Marsmenschenund nicht planetengebundene Erdmenschen sein, diedas Universum bevölkern. Das ist unvermeidlich. Eskann nur so sein. Das ist die Art des Mars.«

Aber Rioz gab keine Antwort. Er war wieder einge-schlafen, wiegte sich sanft fast eine Million Kilometerüber dem Saturn.

7.

Die Arbeitsschicht auf dem Ringteilstück war dieKehrseite der Medaille. Die Schwerelosigkeit, derFrieden und das Alleinsein des Schwebens im Raumwurde durch etwas ersetzt, bei dem es weder Friedennoch Alleinsein gab. Selbst die Gewichtslosigkeit, dieweiter bestand, war unter den veränderten Bedin-gungen eher ein Fegefeuer als ein Paradies.

Man mußte mal versucht haben, einen gewöhnli-chen stationären Hitzestrahler zu bedienen. Mankonnte ihn hochheben, obwohl er zwei Meter hochund breit und fast ganz aus Metall war, da er nur den

Page 58: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Bruchteil eines Kilos wog. Aber seine Massenträgheitwar wie immer, und das hieß, wenn man ihn nichtsehr langsam in Stellung brachte, dann würde er sichweiterbewegen und einen mitziehen. Dann mußteman das künstliche Schwerkraftfeld des Anzugs ver-stärken und landete mit einem Plumps.

Keralski hatte das Feld etwas zu sehr verstärkt undlandete ein bißchen zu hart. Der Hitzestrahler kamdabei in einem gefährlichen Winkel mit ihm herunter.Sein gesplitterter Knöchel war das erste Unglück aufder Expedition.

Rioz stieß fast unausgesetzt einen Schwall von Flü-chen aus. Er fühlte sich immer wieder versucht, sichmit dem Handrücken über die Stirn zu fahren, umsich den Schweiß abzuwischen. Die paar Male, die erdem Drang nachgegeben hatte, waren Silizium undMetall mit einem Krachen zusammengestoßen, daslaut in seinem Anzug widerhallte, aber sonst zunichts führte. Die Entfeuchtungsanlagen in seinemAnzug arbeiteten selbstverständlich mit höchsterKraft, gewannen das Wasser zurück und sammeltendie ionenausgetauschte Flüssigkeit mit einem sorg-sam bemessenen Salzgehalt in den dafür vorgesehe-nen Behälter.

Rioz schrie: »Verdammt noch mal, Dick, wartedoch, bis ich dir Bescheid gebe.«

Und Swensons Stimme dröhnte in seinen Ohren:»Und wie lange soll ich hier eigentlich rumsitzen?«

»Bis ich dir Bescheid sage«, versetzte Rioz.Er verstärkte das künstliche Schwerkraftfeld und

hob den Strahler ein wenig an. Er schwächte das Feldab und wartete ein paar Minuten ab, ob er seine Lagebeibehalten würde, wenn er jeden Halt wegnähme. Er

Page 59: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

stieß das Kabel aus dem Weg – es lief über den nahen»Horizont« zu einer Kraftquelle, die außer Sicht war –und drückte auf den Auslöser.

Der Stoff, aus dem das Teilstück bestand, brodelteund verschwand, als der Kontakt hergestellt war. EinTeil des Randes der riesigen Grube, die er schon indas Material gehöhlt hatte, zerschmolz und eine Un-ebenheit seines Umrisses war beseitigt.

»Versuch's jetzt einmal«, rief Rioz.Swenson war in dem Schiff, das dicht über dem

Kopf von Rioz schwebte.Swenson rief: »Alles klar?«»Ich sagte doch, mach los.«Aus einer der vorderen Düsen des Schiffes löste

sich eine dünne Dampfwolke. Das Schiff trieb auf dasTeilstück des Ringes zu. Eine zweite Dampfwolkekorrigierte ein seitliches Ausweichen. Es kam geradeherunter.

Eine dritte Wolke am unteren Teil ließ es langsamwie eine Feder niederschweben.

Rioz sah angespannt zu. »Nur weiter so. Duschaffst es.«

Das Ende des Schiffes drang in die Grube ein undfüllte sie fast aus. Die ausgebauchten Wände kamendem Grubenrand immer näher. Das Schiff kam miteinem knirschenden Zittern zum Stillstand.

Jetzt war es an Swenson, zu fluchen. »Es paßtnicht«, sagte er.

Rioz warf den Strahler in einem Anfall zu Bodenund flog in den Raum hinauf. Der Strahler wirbelteüberall weißen, kristallischen Staub auf, und als Riozmit Hilfe seines künstlichen Schwerkraftfelds wiederherunterkam, tat er das gleiche.

Page 60: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Er sagte: »Du bist schief rein, du blöder Boden-mensch.«

»Ich bin gerade rein, du Schmutzfresser von einemBauern.«

Die nach hinten gerichteten Seitendüsen des Schif-fes arbeiteten stärker als zuvor, und Rioz machte ei-nen Satz, um aus dem Weg zu sein.

Das Schiff schrammte aus der Grube heraus undschoß dann fast einen Kilometer in den Raum hinein,bevor es mit den Vorderdüsen zum Stoppen gebrachtwerden konnte.

Swenson sagte nervös: »Wir bringen ein halbesDutzend Platten zum Krachen, wenn wir das nochmal so machen. Bring das in Ordnung, ja?«

»Ich mach's schon richtig. Nur keine Bange. Dumußt nur richtig reinkommen.«

Rioz sprang in die Höhe und ließ sich dreihundertMeter steigen, um sich einen Überblick über die gan-ze Grube zu verschaffen. Die Schürfspuren desSchiffs waren deutlich zu sehen. Sie lagen alle an ei-ner Stelle in halber Tiefe der Grube. Das würde erschon hinkriegen.

Der Hitzestrahler brachte die Unebenheiten zumSchmelzen.

Eine halbe Stunde später schlüpfte das Schiff sau-ber in seine Grube, und Swenson stieg in seinemRaumanzug aus und gesellte sich zu Rioz.

Swenson sagte: »Wenn du einsteigen möchtest, umaus deinem Raumanzug rauszukommen, dann küm-mere ich mich um das Einfrieren.«

»Schon in Ordnung«, sagte Rioz. »Ich bleib genau-so gern hier sitzen und schau mir den Saturn an.«

Er ließ sich am Rand der Grube nieder. Der Zwi-

Page 61: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

schenraum zum Schiff war hier zwei Meter. An man-chen Stellen des Kreises war es nur ein halber Meter,und manchmal nur eine Sache von Zentimetern. BeiHandarbeit konnte man kein besseres Ergebnis er-warten. Zur endgültigen Einpassung würde man Eissorgsam verdampfen und es zwischen Rand undSchiff festfrieren lassen.

Man konnte sehen, wie sich der Saturn am Himmelbewegte, wie seine riesige Masse langsam unter denHorizont verschwand.

Rioz sagte: »Wie viele Schiffe müssen noch einge-fahren werden?«

Swenson sagte: »Das letzte, was ich hörte, warenelf. Wir sind jetzt drin, das heißt also, nur noch zehn.Sieben von denen, die an Ort und Stelle sind, sindschon eingeeist. Zwei oder drei sind zerlegt worden.«

»Wir kommen gut voran.«»Es ist noch eine Menge zu tun. Vergiß nicht die

Hauptdüsen am anderen Ende. Und die Kabel undStromverbindungen. Manchmal frage ich mich, obwir's wohl schaffen werden. Auf der Herreise hab ichmir keine großen Sorgen gemacht, aber gerade saß ichan den Knöpfen und sagte mir: ›Wir schaffen es nicht.Wir sitzen hier draußen fest und verhungern.‹ Ichkomme mir vor ...«

Er führte nicht aus, wie er sich vorkam. Er saß ein-fach nur da.

Rioz sagte: »Verdammt, du denkst zuviel nach.«»Bei dir ist das anders«, sagte Swenson. »Ich denk

dauernd an Peter – und an Dora.«»Wozu? Sie hat doch gesagt, du kannst gehen. Der

Kommissar hat ihr eine Rede gehalten über Patrio-tismus und daß du ein Held sein würdest, ein ge-

Page 62: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

machter Mann, wenn du zurückkommst, und sie hatgesagt, du kannst gehen. Du hast dich nicht so weg-geschlichen wie Adams.«

»Mit Adams ist das etwas anderes. Seine Frau hätteman schon bei der Geburt wegwerfen sollen. MancheFrauen können einem Mann das Leben wirklich zurHölle machen. Sie wollte nicht, daß er fährt – aberjetzt ist es ihr wahrscheinlich lieber, er kommt nichtzurück, wenn sie nur das Geld kriegt, das ihm ver-traglich zusteht.«

»Was macht dir dann Sorgen? Dora will doch, daßdu zurückkommst?«

Swenson seufzte: »Ich hab sie nie richtig behan-delt.«

»Du hast ihr doch das ganze Geld gegeben. Ichwürde das bei keiner Frau tun. Nur soviel Geld, wie-viel sie wert ist, und keinen Cent mehr.«

»Das Geld ist es nicht. Ich mach mir nur Gedanken.Eine Frau ist nicht gern allein. Ein Kind braucht sei-nen Vater. Was tu ich eigentlich hier draußen?«

»Du bist dabei, die Heimreise vorzubereiten.«»Ach, du verstehst mich nicht.«

8.

Ted Long streifte über die hügelige Oberfläche desRingteilstücks, und seine Stimmung war so eisig wieder Boden, auf den er seine Füße setzte. Unten aufdem Mars hatte alles völlig logisch ausgesehen, aberdas war eben auf dem Mars gewesen. Er hatte sichalles in seinem Kopf sorgsam und Schritt für Schrittzurechtgelegt. Er konnte sich noch genau erinnern,wie es gelaufen war.

Page 63: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Man brauchte keine Tonne Wasser, um eine Tonnedes Schiffes zu bewegen. Da stand nicht Masse gegenMasse, sondern es kam auf die Verhältnisse von Mas-sen, Zeit und Geschwindigkeit an. Mit anderen Wor-ten kam es nicht darauf an, ob man eine Tonne Was-ser mit einem Kilometer pro Sekunde ausstieß, oderfünfzig Kilogramm Wasser mit zwanzig Kilometernpro Sekunde. Das Schiff erreichte so oder so die glei-che Endgeschwindigkeit.

Das bedeutete, daß man die Düsenmündungen en-ger machen und den Dampf höher erhitzen mußte.Aber dann bekam die Sache Haken. Je enger die Dü-se, desto mehr Energie ging durch Reibung und Tur-bulenzen verloren. Je heißer der Dampf, desto wider-standsfähiger mußte die Düse sein, und desto kürzerwar ihre Lebensdauer. Die Grenze in dieser Richtungwar schnell erreicht.

Und da eine bestimmte Menge Wasser unter derBedingung enger Düsen beträchtlich mehr Gewichtals das eigene bewegen konnte, zahlte es sich aus,groß zu planen. Je größer die Wasserbehälter, destogrößer konnten im Verhältnis auch die Kapseln wer-den. Man fing also an, die Schiffe schwerer und grö-ßer zu bauen. Je größer die Stufen jedoch wurden, jeschwerer die Verstrebungen waren, desto schwierigerwurden die Schweißarbeiten, desto höhere Anforde-rungen wurden an die technischen Voraussetzungengestellt. Im Augenblick war die Grenze auch in dieserRichtung erreicht worden.

Und dann hatte er auf das hingewiesen, was ihmder grundlegende Fehler zu sein schien – die ur-sprüngliche, unumstößliche Ansicht, daß der Treib-stoff im Schiff aufbewahrt werden müsse. Das Metall,

Page 64: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

das man brauchte, um eine Million Tonnen Wassereinzuschließen.

Wieso? Das Wasser brauchte nicht Wasser zu sein.Es konnte Eis sein, und Eis konnte man eine Form ge-ben. Man konnte Löcher hineinschmelzen. Kapselnund Düsen konnten eingepaßt werden. Die Kapselnund Düsen konnten durch Kabel fest miteinanderverbunden und durch magnetische Greifer gesichertwerden.

Long spürte, wie der Boden, auf dem er ging, unterihm bebte. Er war an der Spitze des Teilstücks. EinDutzend Schiffe schossen in Gruben hinein und wie-der heraus, die in seine Masse gegraben worden wa-ren, und das Teilstück erzitterte unter den ständigenStößen.

Das Eis mußte nicht mühsam gebrochen werden. Inden Ringen des Saturn fanden sich die richtigenBrocken. Daraus setzten sich die Ringe zusammen –aus fast reinen Eisstücken, die den Saturn umkreisten.Das war spektrographisch festgestellt worden, und eshatte sich als richtig erwiesen. Er stand jetzt auf ei-nem solchen Stück, das über drei Kilometer lang undfast anderthalb Kilometer dick war. Es war beinaheeine halbe Milliarde Tonnen Wasser, in einem Stück,und er stand auf ihm.

Aber jetzt sah er sich den nackten Tatsachen desLebens gegenüber. Er hatte den Männern nie gesagt,wieviel Zeit er dafür veranschlagt hatte, das Teilstückals ein Schiff herzurichten, aber in seinen geheimstenGedanken hatte er sich ausgemalt, es werde zwei Ta-ge dauern. Jetzt war schon eine Woche vergangen,und er wagte es nicht, die noch benötigte Zeit abzu-

Page 65: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

schätzen. Ihn hatte auch schon alle Zuversicht verlas-sen, daß die Sache überhaupt zu machen war. Würdees ihnen gelingen, die Düsen mit Hilfe von Leitungen,die sich über drei Kilometer Eis hin erstreckten, sofeinfühlig zu bedienen, daß sie sich aus dem Schwer-kraftfeld des Saturn würden lösen können?

Der Trinkwasservorrat war geschrumpft, aber siekonnten sich ja Wasser aus dem Eis destillieren. Umdie Nahrungsvorräte stand es jedoch nicht zum be-sten.

Er blieb stehen und sah mit angespannten Augenin den Himmel hinauf. Wurde das Ding eigentlichgrößer? Er sollte seine Entfernung messen. Eigentlichhatte er keine Lust, den anderen dieses Problem auchnoch aufzubürden. Seine Gedanken kreisten wiederum Näherliegendes, Wichtigeres.

Die Stimmung war wenigstens gut. Den Männernmachte es anscheinend Spaß, in der Nähe des Saturnzu sein. Sie waren die ersten Menschen, die so weitvorgedrungen waren, die ersten, die die Asteroidenhinter sich gelassen hatten, die ersten, die Jupiter mitunbewaffneten Augen gesehen hatten, die ersten, dieden Saturn so sahen.

Er glaubte nicht, daß fünfzig geschickte, hartge-sottene Müllmänner sich die Zeit nehmen würden, soein Gefühl auf sich wirken zu lassen. Aber sie taten esdoch.

Als er weiterging, kamen über den Horizont zweiMänner und ein halb eingegrabenes Schiff zum Vor-schein.

Er rief frisch: »Hallo, ihr da!«Rioz antwortete: »Bist du das, Ted?«»Aber sicher. Ist das Dick neben dir?«

Page 66: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Klar. Komm her, setz dich. Wir wollten uns ebenans Einfrieren machen und suchten nach einemGrund, es ein bißchen aufzuschieben.«

»Ich aber nicht«, sagte Swenson schnell. »Wannwerden wir abfahren, Ted?«

»Sobald wir fertig sind. Nicht gerade eine Antwort,was?«

Swenson sagte niedergeschlagen: »Ich glaube nicht,daß es eine andere Antwort gibt.«

Long blickte auf und starrte den unregelmäßigen,hellen Fleck am Himmel an.

Rioz folgte seinem Blick. »Was ist los?«Einen Augenblick lang gab Long keine Antwort.

Der Himmel war sonst schwarz, die Ringstücke ho-ben sich als oranger Staub von ihm ab. Der Saturnwar zu mehr als drei Vierteln unter dem Horizont,und die Ringe mit ihm. Einen Kilometer entfernt fuhrein Schiff über den Eisrand des Planetoiden hinaus inden Himmel hinauf, wurde vom Saturnlicht orangeangestrahlt und senkte sich wieder.

Der Boden bebte schwach.Rioz sagte: »Machst du dir irgendwelche Sorgen

wegen dem Schatten?«Sie hatten ihm den Namen gegeben. Es war das

nächste Teilstück der Ringe, und ziemlich nah, wennman bedachte, daß man am äußeren Rand der Ringewar, wo die Teilchen sehr dünn verteilt waren. Eswar vielleicht dreißig Kilometer entfernt. Ein zerklüf-teter Berg, dessen Umrisse gut zu erkennen waren.

»Was hältst du von ihm?« fragte Long.Rioz zuckte mit den Schultern. »Ich kann nichts

Verkehrtes an ihm entdecken.«»Kommt dir's nicht so vor, als ob er größer wird?«

Page 67: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Warum sollte er größer werden?«»Na und, wird er das nicht?« versteifte sich Long.Rioz und Swenson starrten ihn nachdenklich an.»Er sieht größer aus«, sagte Swenson.»Du redest uns da nur etwas ein«, meinte Rioz.

»Wenn er größer werden würde, müßte er ja näherkommen.«

»Und warum soll das unmöglich sein?«»Diese Dinger sind auf festen Umlaufbahnen.«»Das waren sie, als wir herkamen«, sagte Long.

»Da, hast du das gespürt?«Der Boden hatte wieder gebebt.Long sagte: »Seit einer Woche bohren wir uns jetzt

in dieses Ding hinein. Vorher sind fünfundzwanzigSchiffe darauf gelandet. Dann haben wir Teile davonabgeschmolzen, und unsere Schiffe bohren sich hin-ein und schießen wieder heraus – alles noch dazu aneinem Ende. In einer Woche haben wir vielleicht sei-ne Umlaufbahn ein kleines bißchen geändert. Diebeiden Teilstücke, dieses hier und der Schatten, lau-fen vielleicht aufeinander zu.«

»Es ist soviel Platz, da wird er schon an uns vor-beikommen.«

Rioz sah den Schatten nachdenklich an. »Übrigens,wenn wir nicht mal genau sagen können, ob er größerwird, wie schnell kann er sich dann bewegen. ImVerhältnis zu uns, meine ich.«

»Er braucht sich gar nicht schnell zu bewegen. SeinBewegungsmoment ist so groß wie unseres, und ganzgleich, wie sacht er mit uns zusammenstößt, wir wer-den aus unserer Bahn gedrängt, vielleicht zum Saturnhin, wo wir gar nicht hinwollen. Und Tatsache ist,daß das Eis eine sehr geringe Zugfestigkeit hat, und

Page 68: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

beide Planetoiden können in winzige Stückchen zer-brechen.«

Swenson kam auf die Beine. »Verdammt noch mal,wenn ich sagen kann, wie sich eine Stufe bewegt, dietausend Kilometer weit weg ist, dann kann ich auchsagen, was ein Berg macht, der dreißig Kilometer ent-fernt ist.« Er ging zum Schiff hin.

Long hielt ihn nicht auf.Rioz sagte: »Wie nervös der Kerl ist.«Ihr Nachbarplanetoid stieg zur Himmelsmitte, zog

über ihre Köpfe hinweg und sank. Zwanzig Minutenspäter flammte der Horizont, der dem Teil gegen-überlag, hinter dem der Saturn verschwunden war, inorangem Licht auf, als der massige Großplanet wie-der aufstieg.

Rioz rief in sein Funkgerät: »He, Dick, bist du dadrin gestorben?«

»Ich prüfe nach«, kam gedämpft die Antwort.»Bewegt er sich?« fragte Long.»Ja.«»Auf uns zu?«Einen Augenblick war Stille. Swensons Stimme

klang kläglich. »Direkt auf uns zu, Ted. Die Bahnenschneiden sich in drei Tagen.«

»Du spinnst!« schrie Rioz.»Ich hab's viermal überprüft«, sagte Swenson.Long dachte mit leerem Kopf: Was machen wir jetzt?

9.

Einige der Männer hatten Schwierigkeiten mit denKabeln. Die mußten genau ausgelegt werden. IhreAnordnung mußte fast vollkommen sein, damit das

Page 69: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Magnetfeld seine größte Stärke haben würde. ImRaum oder selbst in der Luft wäre es gleich gewesen.Die Kabel hätten sich automatisch ausgerichtet, so-bald Saft in ihnen fließen würde.

Hier sah es anders aus. Man mußte auf der Ober-fläche des Planetoiden Gräben ziehen, in die man dieKabel legte. Wenn sie nur ein paar Bogenminuten vonder berechneten Richtung abwichen, würde der gan-ze Planetoid ein Drehmoment bekommen, das zu ei-nem Verlust an Energie führen würde, den man sichnicht leisten konnte. Dann mußten die Gräben neugezogen werden, die Kabel verlegt und in der neuenLage eingeeist werden.

Die Männer mühten sich verdrossen mit der lang-weiligen Arbeit ab.

Und dann hörten sie:»Alle Mann an die Düsen!«Man konnte nicht sagen, daß die Müllmänner Men-

schen waren, denen Disziplin leichtfiel. Eine schimp-fende, murrende Gruppe machte sich daran, die Dü-sen der Schiffe abzubauen, die noch unversehrt wa-ren. Sie trugen, sie zum anderen Ende des Planetoi-den, rammten sie in die richtige Lage und verlegtenLeitungen auf der Oberfläche.

Es vergingen fast vierundzwanzig Stunden, bevoreiner von ihnen zum Himmel hinaufsah und sagte:»Heiliges Kanonenrohr!«, dem dann etwas im Drucknicht Wiederzugebendes folgte.

Sein Nachbar sah auf und sagte: »Verdammt nochmal!«

Kaum hatten sie es gesehen, hatten es auch schonalle bemerkt. Es war die überraschendste Sache imganzen Universum.

Page 70: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Schaut euch den Schatten an!«Wie eine aufgebrochene Wunde erstreckte er sich

über den Himmel. Die Männer schauten sich ihn an,sahen, daß er doppelt so groß geworden war, undfragten sich, wieso ihnen das nicht schon eher aufge-fallen war.

Die Arbeit wurde tatsächlich eingestellt. Sie be-stürmten Ted Long.

Er sagte: »Wir können nicht fort. Unser Treibstoffreicht nicht aus, um zum Mars zurückzukommen,und wir haben nicht das Gerät, um einen anderenPlanetoiden einzufangen. Wir müssen also bleiben.Der Schatten schleicht sich jetzt an uns ran, weil unsunsere Druckwellen aus der Bahn geworfen haben.Wir müssen das ändern, indem wir unsere Düsenweiterlaufen lassen. Da wir auf das vordere Endenicht weiter Druck ausüben können, ohne das Schiffzu gefährden, das wir bauen, müssen wir es auf an-dere Art versuchen.«

Sie arbeiteten mit ungestümer Kraft an den Düsenweiter, die jede halbe Stunde neuen Auftrieb erhielt,wenn sich der Schatten größer und bedrohlicher alszuvor über den Horizont schob.

Long konnte nicht sicher sein, ob es klappen würde.Selbst wenn die Düsen auf die Fernbedienung anspre-chen würden, wenn der Wassernachschub ausreichte,der aus einem Speicher stammte, der direkt in denEiskörper des Planetoiden hineinreichte und in den Hit-zestrahler eingebaut waren, die die Antriebsflüssig-keit gleich in die Schubdüsen hineindampften, so gabes doch keine Gewißheit darüber, ob der Körper desPlanetoiden ohne das Netz magnetischer Kabel unterden riesigen Spannungen zusammenhalten würde.

Page 71: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Fertig!« tönte es aus Longs Empfänger.Long rief: »Fertig!« und drückte auf den Knopf.Das Beben um ihn herum wurde stärker. Der Kreis

von Sternen auf dem Bildschirm zitterte.Im hinteren Blickfeld zeigte sich ein glitzernder

Gischt sich rasch bewegender Eiskristalle.»Es läuft!« ertönte ein Ruf.Und es lief weiter. Long wagte nicht, aufzuhören.

Sechs Stunden lang lief es, zischte, brodelte, dampftees in den Raum hinaus. Der Körper des Planetoidenwurde in Dampf umgewandelt und wirbelte davon.

Der Schatten kam näher, bis die Männer nichts an-deres taten, als den Berg am Himmel anzustarren, dereindrucksvoller als selbst Saturn war. Jede Senke, je-des Tal war als deutliche Narbe auf seinem Antlitz zusehen. Aber als er die Bahn des Planetoiden kreuzte,lief er fast einen Kilometer hinter ihm vorbei.

Der Dampfstrahl brach ab.Long beugte sich in seinem Sitz nach vorn und be-

deckte die Augen. Er hatte seit zwei Tagen nichts ge-gessen. Jetzt konnte er jedoch etwas essen. Kein ande-rer Planetoid war nahe genug, sie zu stören.

Draußen auf der Oberfläche des Planetoiden er-klärte Swenson: »Die ganze Zeit, in der ich diesenverdammten Klotz runterkommen sah, sagte ich zumir selber: ›Es kann nicht passieren. Wir können nichtzulassen, daß es passiert.‹«

»Zum Teufel«, sagte Rioz, »wir waren alle nervös.Hast du Jim Davis gesehen? Er war ganz grün. Ichwar selbst ein bißchen fahrig.«

»Das war's nicht. Weißt du, es war nicht bloß das –Sterben. Ich dachte daran – ich weiß, es ist komisch,aber ich kann's nicht ändern – ich dachte daran, daß

Page 72: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Dora mich wissen ließ, sie würde es mir nie undnimmer vorwerfen, wenn ich umkommen würde. Istdas in so einem Augenblick nicht eine ziemlich mieseEinstellung?«

»Hör mal«, sagte Rioz, »du hast heiraten wollenund hast es auch getan. Was willst du mit deinenSchwierigkeiten bei mir?«

10.

Die Flotte war zu einer einzigen Einheit verbundenund kehrte in einem riesigen Bogen vom Saturn zumMars zurück. Jeden Tag raste sie eine Strecke zurück,für die bei der Herfahrt neun Tage gebraucht wordenwar.

Ted Long hatte für die gesamte Mannschaft Aus-nahmezustand verhängt. Zwanzig Schiffe waren inden Planetoiden eingebettet, der aus den Ringen desSaturn stammte, und konnten unabhängig voneinan-der keine Manöver ausführen, wobei die Zusammen-schaltung ihrer Kraftquellen zu einheitlichem Betriebeine kitzlige Angelegenheit war. Das Gerüttel am er-sten Reisetag hätte ihnen fast die Knochen aus demLeib geschüttelt.

Das legte sich schließlich, als die Geschwindigkeitunter dem steten Schub von hinten anstieg. GegenEnde des zweiten Tages überschritten sie eine Ge-schwindigkeit von hundertfünfzigtausend Kilome-tern die Stunde und beschleunigten unaufhaltsamweiter, bis die Millionengrenze hinter ihnen lag.

Longs Schiff war die Nadelspitze der eingefrorenenFlotte, war das einzige, das den Raum fünffach sehenkonnte. Unter den Umständen eine unangenehme

Page 73: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Lage. Long merkte, daß er angespannt Ausschauhielt, irgendwie sich einbildete, die Sterne würden beider ungeheuren Reisegeschwindigkeit des zusam-mengesetzten Schiffes anfangen, wegzurutschen undan ihnen vorbeiflitzen.

Was sie natürlich nicht taten. Sie waren amschwarzen Hintergrund wie festgenagelt, und ihreEntfernung spottete in beharrlicher Unbewegtheit je-der Geschwindigkeit, die ein Mensch nur erreichenkonnte.

Nach den ersten paar Tagen beklagten sich dieMänner bitter. Nicht nur, daß es für sie kein Schwe-ben im Raum mehr gab. Auf ihnen lastete durch diewilde Beschleunigung, mit der sie lebten, ein vielgrößerer Druck als der, den die künstlichen Schwer-kraftfelder der Schiffe gewöhnlich erzeugten. Longselbst war der gnadenlose Druck, der ihn gegen diehydraulischen Kissen preßte, längst schon unerträg-lich geworden.

Sie gingen dazu über, alle vier Stunden den Schubder Düsen für eine Stunde abzustellen, und Longsorgte sich.

Es war jetzt ein wenig länger als ein Jahr her, seit ervon einem Beobachtungsfenster seines Schiffes ausden Mars hatte zusammenschrumpfen sehen. DerMars war damals eine unabhängige Welt gewesen.Was war seitdem geschehen? Existierte die Kolonienoch?

Es war beinahe eine ständig wachsende panischeFurcht, mit der Long täglich mit der zusammenge-faßten Energie von fünfundzwanzig Schiffen Funk-zeichen zum Mars schickte. Keine Antwort. Er er-wartete auch keine. Mars und Saturn waren von der

Page 74: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sonne aus gesehen in Opposition zueinander, und dieSonne würde jedes Durchkommen von Funkzeichenverhindern, solange er nicht hoch genug aus derEkliptik hinausstieg und die Sonne nicht ein gutesStück unter der Verbindungslinie von ihm zum Marsläge.

Hoch über dem Rand des Raumes der Asteroidenerreichten sie Höchstgeschwindigkeit. Mit kurzenStößen aus einer seitlichen Düse, dann aus einer an-deren, drehte sich das riesige Fahrzeug um. Das zu-sammengesetzte Triebwerk am hinteren Ende setztewieder brüllend ein, jetzt aber mit abbremsenderWirkung.

Sie flogen hundertfünfzig Millionen Kilometerhoch über die Sonne hinweg und bogen dann ab, umdie Umlaufbahn des Mars zu schneiden.

Noch eine Woche vom Mars entfernt wurden zumerstenmal Antwortzeichen empfangen. Sie warenbruchstückhaft, verzerrt und unverständlich, aber siekamen vom Mars.

Long atmete auf. Auf jeden Fall gab es noch Men-schen auf dem Mars.

Zwei Tage vom Mars entfernt war das Funkzeichenkräftig und deutlich, und am anderen Ende war San-kov.

Sankov sagte: »Hallo, mein Junge. Hier ist es dreiUhr früh. Die Leute nehmen anscheinend keineRücksicht auf einen alten Mann. Haben mich glatt ausdem Bett gezerrt.«

»Denk dir nichts. Sie haben auf Befehl gehandelt.Ich habe Angst, zu fragen. Jemand verletzt? Oder gartot?«

»Keine Todesfälle. Nicht ein einziger.«

Page 75: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Und – und das Wasser? Noch etwas übrig?«Long gab sich Mühe, gleichgültig zu wirken: »Ge-

nug.«»Komm in dem Fall so rasch wie möglich nach

Hause. Laß dich dabei auf nichts ein.«»Ihr habt also Schwierigkeiten?«»Beträchtliche. Wann kommt ihr runter?«»In zwei Tagen. Kannst du so lange durchhalten?«»Ich kann durchhalten.«Vierzig Stunden später war der Mars zu einer

orangeroten Kugel angewachsen, der die Bullaugenausfüllte, und sie durchliefen die Endspirale, die dieLandung auf dem Planeten einleitete.

»Langsam«, sagte sich Long. »Langsam.« Unterdiesen Umständen konnte selbst die dünne Atmo-sphäre des Mars schrecklichen Schaden anrichten,wenn sie sich zu schnell durch sie hindurchbewegten.

Da sie von weit oberhalb der Ekliptik hereinkamen,lief ihre Spirale von Nord nach Süd. Unter ihnenschoß weiß eine Polarkappe vorbei, dann die vielkleinere der sommerlichen Halbkugel, dann wiederdie größere, wieder die kleinere in länger werdendenAbständen. Der Planet kam näher, und man konnteEinzelheiten der Landschaft unterscheiden.

»Landung vorbereiten!« rief Long.

11.

Sankov gab sich alle Mühe, ruhig auszusehen, wasnicht leicht war, wenn man in Betracht zog, wieknapp es mit der Rückkehr der Jungs geworden war.Und doch war alles recht glatt gegangen.

Bis vor ein paar Tagen hatte er keine verläßliche

Page 76: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Kenntnis darüber gehabt, daß sie mit dem Leben da-vongekommen waren. Fast zwangsläufig sah es soaus, als wären sie irgendwo im Raum zwischen Sa-turn und Mars verschollen.

Bevor die Nachricht eingetroffen war, hatte der Aus-schuß wochenlang mit ihm herumgefeilscht. Man hattedarauf bestanden, er müsse das Papier unterzeichnen,damit der Schein gewahrt bliebe. Es würde wie einAbkommen aussehen, auf das sich beide Seiten frei-willig geeinigt hätten. Sankov wußte jedoch, daß maneinseitig vorgehen und sich einen Teufel um denSchein kümmern würde, wenn er sich völlig halsstar-rig zeigen würde. Anscheinend stand jetzt ziemlichsicher fest, daß Hilder gewählt werden würde, undman würde die Gelegenheit ergreifen, eine Welle desMitgefühls für den Mars in die Wege zu leiten.

Er zog die Verhandlungen also in die Länge undgab sich immer den Anschein, als stehe ein Einlenkenkurz bevor.

Und dann hörte er von Long und machte den Han-del rasch perfekt.

Die Papiere waren vor ihm gelegen, und er hattefür die anwesenden Reporter noch eine Erklärungabgegeben.

Er sagte: »Im ganzen importieren wir zwanzig Mil-lionen Tonnen Wasser pro Jahr von der Erde. Durchdie Weiterentwicklung unseres Leitungssystems ver-ringern sich diese Importe. Wenn ich diesen Vertragunterzeichne und dem Embargo zustimme, wird un-sere Industrie lahmgelegt werden und jede Möglich-keit zu ihrer Ausweitung undurchführbar sein. Mirscheint, das kann doch nicht im Interesse der Erdeliegen?«

Page 77: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Man blickte ihm in die Augen und hatte nur einhartes Funkeln für ihn übrig. Der Abgeordnete Digbywar schon ausgewechselt worden, und man war ein-mütig gegen ihn.

Der Vorsitzende des Ausschusses wies ihn auf et-was hin: »Das haben Sie alles schon zu Gehör ge-bracht.«

»Ich weiß, aber jetzt bin ich dabei, mich ans Unter-schreiben zu machen, und ich möchte, daß in meinemKopf alles klar ist. Hat die Erde die Absicht, allem,was hier ist, ein Ende zu machen?«

»Natürlich nicht. Die Erde hat nur ein Interessedaran, ihre unersetzlichen Wasservorräte zu schonen,sonst nichts.«

»Ihr habt eineinhalb Trillionen Tonnen Wasser aufder Erde.«

Der Vorsitzende des Ausschusses sagte: »Wir kön-nen kein Wasser abtreten.«

Und Sankov hatte unterschrieben.Das war die rechtskräftige Feststellung, die er sich

gewünscht hatte. Die Erde hatte eineinhalb TrillionenTonnen Wasser und konnte nichts davon abtreten.

Eineinhalb Tage später warteten der Ausschuß unddie Reporter jetzt unter der Kuppel des Raumhafens.Sie konnten durch dicke, gebogene Scheiben die öde,leere Fläche des Marsraumhafens sehen.

Der Vorsitzende des Ausschusses fragte verärgert:»Wie lange sollen wir denn noch warten? Und wennes Ihnen nichts ausmacht, worauf warten wir eigent-lich?«

Sankov sagte: »Ein paar unserer Jungs waren imRaum draußen, über die Asteroiden hinaus.«

Der Ausschußvorsitzende nahm seine Brille ab und

Page 78: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

reinigte sie mit einem schneeweißen Taschentuch.»Und die kommen zurück?«

»Allerdings.«Der Vorsitzende zuckte die Schultern und sah mit

emporgezogenen Augenbrauen die Reporter an.In dem kleineren Raum daneben drängte sich ein

Knäuel von Frauen und Kindern vor einem weiterenFenster. Sankov trat einen Schritt zurück, um einenBlick in ihre Richtung zu werfen. Er wäre viel lieberunter ihnen gewesen, hätte lieber an ihrer Aufregungund Spannung teilgenommen. Er hatte wie sie überein Jahr gewartet. Er hatte wie sie wieder und wiedergedacht, daß die Männer gestorben wären.

»Da, sehen Sie das?« sagte Sankov und zeigte mitdem Finger.

»He!« rief einer der Reporter. »Ein Schiff!«Es war weniger ein Schiff, als ein heller Punkt, der

von einer wehenden weißen Wolke eingehüllt war.Die Wolke wurde größer und nahm langsam Gestaltan. Vom Himmel hob sich ein Doppelstreifen ab, des-sen untere Enden auswichen und sich nach oben um-bogen. Als sie tiefer sank, nahm der helle Punkt amoberen Ende eine grob zylindrische Form an.

Er war unregelmäßig und zerklüftet, aber wo ihndas Sonnenlicht traf, schleuderte er leuchtende Licht-blitze.

Der Zylinder sank mit der gewichtigen Langsam-keit zu Boden, die typisch für Raumfahrzeuge ist. Erwurde von den tosenden Düsen getragen und ließsich auf den Tonnen ausgestoßener Materie, die hin-abwirbelten, wie ein müder Mann nieder, der in sei-nen Sessel sinkt.

Und während dieses Vorgangs legte sich Schwei-

Page 79: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gen auf alle Anwesenden in der Kuppel. Die Frauenund Kinder in dem einen Raum, die Politiker undReporter im anderen blieben wie angewurzelt stehenund blickten mit zurückgelegten Köpfen ungläubig indie Höhe.

Die Landebeine des Schiffes, die weit über die Dü-sen hinausragten, berührten den Boden und sankenin den steinigen Morast. Dann stand das Schiff bewe-gungslos, und die Düsen stellten ihre Tätigkeit ein.

In der Kuppel herrschte jedoch weiter Schweigen.Es wurde noch geraume Zeit lang nicht unterbrochen.

Über die Flanken des riesigen Fahrzeugs klettertenMänner herunter, bewegten sich langsam den dreiKilometer langen Pfad zum Boden hinunter entlang.Sie hatten Steigeisen an ihren Schuhen, und in denHänden hielten sie Eispickel. Sie sahen wie Mückenauf der blendenden Fläche aus.

Einer der Reporter krächzte: »Was ist das?«»Das«, sagte Sankov ruhig, »ist ein Stück Materie,

das als Teil eines der Saturnringe seine Kreise um denPlaneten zog. Unsere Jungs haben es nach Hause ge-schafft. Denn es zeigte sich, daß die Teilstückchen derSaturnringe aus Eis bestehen.«

Er sprach weiter in die Totenstille hinein. »DasDing, das wie ein Raumschiff aussieht, ist einfach einBerg aus festem Wasser. Wenn es so auf der Erdestünde, würde es zu einer Pfütze zerschmelzen oderunter seinem eigenen Gewicht in Stücke brechen. DerMars ist kälter und hat weniger Schwerkraft. DieseGefahren bestehen hier also nicht.

Wenn wir diese Sache einmal richtig in Angriff ge-nommen haben werden, können wir selbstverständ-lich Wasserstationen auf den Monden von Jupiter

Page 80: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

und Saturn und auf den Asteroiden einrichten. Wirkönnen Stücke aus den Saturnringen holen und sie zuden einzelnen Stationen schicken. Unsere Müllmän-ner beherrschen so etwas vollkommen.

Wir werden so viel Wasser haben, wie wir brau-chen. Dieses Stück, das sie da sehen, ist etwas überdrei Kubikkilometer groß – ungefähr die Menge, dieuns die Erde in zweihundert Jahren geschickt hätte.Die Jungs haben eine ziemliche Menge davon auf ih-rem Rückweg vom Saturn verbraucht. Sie sagten mir,sie haben fünf Wochen gebraucht und etwa hundert-fünfzig Millionen Tonnen verbraucht. Aber, meinGott, das hat diesen Berg noch nicht einmal ange-kratzt. Habt ihr auch alles mitbekommen, Jungs?«

Er wandte sich an die Reporter. Kein Zweifel, siebekamen alles mit.

Er sagte: »Dann schreibt euch noch folgendes auf.Die Erde sorgt sich um ihren Wasservorrat. Sie kannuns nicht eine einzige Tonne davon abtreten. Schreibtauf, daß wir Leute auf dem Mars uns Sorgen um dieErde machen und nicht wollen, daß den Erdleuten ir-gend etwas zustößt. Schreibt auf, daß wir der ErdeWasser verkaufen werden. Schreibt auf, daß sie zuvernünftigen Preisen Millionen von Tonnen von unshaben können. Schreibt auf, daß wir glauben, in zehnJahren das Wasser in Stücken von Kubikkilometernverkaufen zu können. Schreibt auf, daß die Erde sichkeine Sorgen mehr machen muß, weil ihr der Marssoviel Wasser verkaufen kann, wie sie haben will.«

Der Vorsitzende des Ausschusses hörte nichtsmehr. Er konnte nur schwach erkennen, wie die Re-porter grinsten, während sie wie wild schrieben.

Sie grinsten.

Page 81: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Er konnte hören, wie das Grinsen auf der Erde zuGelächter wurde, weil der Mars den Spieß der Anti-Verschwender so geschickt umgedreht hatte. Erkonnte das Gelächter auf jedem Kontinent donnernhören, wenn sich die Kunde von dem Hereinfall ver-breitete. Und er konnte den Abgrund sehen, schwarzund tief wie der Raum, in den ein für allemal die po-litischen Aussichten John Hilders und aller Gegnerder Raumfahrt, die es auf der Erde noch gab, stürzenwürden – seine eigenen natürlich nicht ausgenom-men.

Im angrenzenden Raum schrie Dora Swenson vorFreude auf, und Peter, der fünf Zentimeter gewach-sen war, sprang immer wieder hoch und rief: »Dad-dy, Daddy!«

Richard Swenson war eben von dem Ausläufer ei-nes Landebeins gestiegen und marschierte auf dieKuppel zu. Hinter dem durchsichtigen Silizium sei-nes Kopf teils war sein Gesicht deutlich zu erkennen.

»Hast du je einen Kerl gesehen, der so glücklichaussah?« fragte Ted Long. »Vielleicht ist an dieser Sa-che mit dem Heiraten doch was dran.«

»Ach geh', du bist nur zu lange im Raum draußengewesen«, sagte Rioz.

Page 82: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Die in der Tiefe

1.

Schließlich muß jeder einzelne Planet sterben. DerTod kann rasch erfolgen, wenn seine Sonne birst. DerTod kann langsam sein, wenn seine Sonne schwächerwird und erlischt und seine Meere sich mit Eis über-ziehen. Im zweiten Fall besteht wenigstens für ver-nunftbegabtes Leben eine Möglichkeit des Weiterle-bens.

Zum Weiterleben kann eine Richtung zu einemPlaneten hin gewählt werden, der näher an der er-kalteten Sonne liegt oder zu einem Planeten, der zueiner anderen Sonne gehört. Diese Wege stehen nichtoffen, wenn der Planet unglücklicherweise der einzi-ge bedeutende Himmelskörper ist, der sich um seinenStern dreht, oder wenn kein anderer Stern in einemUmkreis von fünfhundert Lichtjahren zu finden ist.

Zum Weiterleben kann eine Richtung nach innen indie Rinde des Planeten hinein gewählt werden. Dasist immer möglich. Man kann sich eine neue unterir-dische Heimat bauen und die Hitze des Planeten-kerns kann zur Energiegewinnung herangezogenwerden. Dieses Vorhaben kann vielleicht Tausendevon Jahren in Anspruch nehmen, aber eine sterbendeSonne erkaltet langsam.

Doch im Lauf der Zeit vergeht auch die planetari-sche Wärme. Immer tiefere Höhlen müssen gegrabenwerden, bis der Planet durch und durch tot ist.

Die Zeit kam näher.Auf der Oberfläche des Planeten wehten schwäch-

Page 83: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

liche Neonschwaden, die kaum die Sauerstoffteichekräuseln konnten, die sich in den Niederungen ange-sammelt hatten. Während der langen Tage lodertemanchmal die verkrustete Sonne auf, bis sie mattrotschimmerte und in den Sauerstoffteichen stiegen ei-nige Blasen auf.

Während der langen Nächte überzog eine feste,blauweiße Schicht die Sauerstoffteiche, und auf demnackten Fels schlug sich Neontau nieder.

Zwölfhundert Kilometer unter der Oberfläche gabes eine letzte Blase der Wärme und des Lebens.

2.

Wendas Beziehung zu Roi war so eng, wie man siesich nur denken konnte, bei weitem enger, als sie sichanständigerweise eingestehen durfte.

Man hatte ihr in ihrem Leben nur einmal gestattet,das Ovarium aufzusuchen, und man hatte ihr ganzdeutlich zu verstehen gegeben, daß es bei diesem ei-nen Mal bleiben würde.

Der Rassenspezialist hatte gesagt: »Du erfüllst nichtganz die Normen, Wenda, aber du bist fruchtbar, undwir versuchen es einmal mit dir. Vielleicht klappt es.«

Sie wünschte sich, daß es klappen möge. Verzwei-felt wünschte sie es sich. Sie hatte ziemlich früh in ih-rem Leben eingesehen, daß es ihr an Intelligenz man-gelte und daß sie nie mehr als ein Handlanger seinwürde. Es war ihr peinlich, daß sie die Rasse im Stichlassen könnte, und sie sehnte sich nach einer einzigenGelegenheit, bei der sie mithelfen konnte, ein neuesWesen zu schaffen. Sie wurde ganz besessen davon.

Sie legte ihr Ei in einen Winkel der Anlage und

Page 84: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

kehrte dann zurück, um zuzusehen. Der »Zufallspro-zeß«, der die Eier während der künstlichen Befruch-tung leicht bewegte – um gleichmäßige Verteilungder Gene zu gewährleisten – tat bei einigem Glücknicht mehr, als ihr festgeklemmtes Ei ein wenig insSchwanken zu bringen.

Sie paßte während der Reifezeit unauffällig weiterauf, beobachtete das Kleine, das aus dem einen Eischlüpfte, das das ihre war, merkte sich seine körper-lichen Kennzeichen und sah zu, wie es wuchs.

Sie sagte einmal ganz beiläufig: »Schau dir den daan, der da drüben sitzt. Ist er krank?«

»Welcher?« Der Rassenspezialist war erschrocken.Ein sichtlich krankes Kind würde ein schlechtes Lichtauf seine Fähigkeiten werfen. »Du meinst Roi? Unsinn.Ich wollte, alle unsere Jungen wären so wie der.«

Zuerst war sie nur mit sich zufrieden gewesen,dann erschrocken und schließlich entsetzt. Sie sahsich den Jungen verfolgen, interessierte sich für sei-nen Unterricht, beobachtete ihn beim Spielen. Sie warglücklich, wenn er in der Nähe war, sonst teilnahms-los und unglücklich. So etwas war ihr noch nie vor-gekommen, und sie schämte sich.

Sie hätte den Geistesspezialisten aufsuchen sollen,war aber zu vernünftig dazu. So teilnahmslos war sieauch wieder nicht, daß sie nicht wußte, daß es sichnicht bloß um eine kleine Abweichung handelte, diein der Zuckung einer Hirnzelle behoben sein würde.Es war bestimmt ein Anzeichen für eine Geistesstö-rung. Sie war sich ganz sicher. Wenn man es merkte,würde man sie einsperren. Oder vielleicht sogar ein-schläfern, weil sie nutzlos die eng begrenzte Energieverbrauchte, die der Rasse zur Verfügung stand.

Page 85: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Vielleicht würde man sogar die Nachkommenschaftaus ihrem Ei einschläfern, wenn man erfuhr, vonwem es war.

Sie kämpfte im Lauf der Jahre gegen die Über-spanntheit und hatte in gewissem Umfang auch Er-folg. Dann hörte sie zum erstenmal die Neuigkeit,daß Roi für die lange Reise ausgewählt worden war,und sie wurde von tiefer Trübsal heimgesucht.

Sie folgte ihm in einen der leeren Gänge der Höhle,einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. DieStadt! Es gab nur eine einzige.

Diese bestimmte Höhle war zu einer Zeit geschlos-sen worden, die im Bereich von Wendas Erinne-rungsvermögen lag. Die Alten hatten ihre Länge ab-geschritten, die Bevölkerung und die Energie, dieman für sie benötigte, in Betracht gezogen und be-schlossen, sie abzudunkeln. Die Bevölkerung, sichernicht viele Leute, waren näher ans Zentrum gebrachtworden und die Quote für die nächste Sitzung imOvarium war gekürzt worden.

Wenda fand den Teil von Rois Denken, der derUnterhaltung gewidmet war, seicht, als hätte sich fastsein gesamter Geist meditativ nach innen gewandt.

Hast du Angst? dachte sie ihn an.Weil ich hier herauskomme, um nachzudenken? Er

zögerte ein wenig und sagte dann: »Ja, habe ich. Es istdie letzte Chance für die Rasse. Wenn ich versage ...«

Machst du dir um dich Sorgen?Er blickte sie erstaunt an, und Wendas Gedanken-

strom wurde vor Scham über ihre Ungehörigkeit un-ruhig.

Sie sagte: »Ich wollte, ich würde an deiner Stellegehen.«

Page 86: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Roi sagte: »Glaubst du, daß du die Sache besser er-ledigen kannst?«

»Ach nein. Aber wenn ich versagen und nie zu-rückkommen würde, dann wäre das ein geringererVerlust für die Rasse.«

»Der Verlust wäre der gleiche«, sagte er uner-schütterlich. »Ob ich es wäre oder du. Verlorengehenkann nur das Dasein der Rasse.«

Wenn Wenda überhaupt an das Dasein der Rassedachte, dann nur ganz entfernt. Sie seufzte. »Es ist ei-ne so weite Reise.«

»Wie weit denn?« fragte er lächelnd. »Weißt du es?«Sie zögerte. Sie wollte ihm nicht dumm vorkommen.Sie sagte spröde: »Man erzählt sich, es soll auf die

erste Ebene hinaufgehen.«Als Wenda klein gewesen war, und sich die ge-

heizten Gänge weiter aus der Stadt hinaus erstreck-ten, war sie hinausgezogen, hatte sich umgesehen,wie Kinder das tun. Eines Tages war sie weit gelau-fen, bis die Luft schneidend kalt wurde. Sie war in ei-ne Halle gekommen, die schräg nach oben verlief,aber nach einem kurzen Stück durch einen riesigenPfropfen verschlossen war, der oben und unten undseitlich fest eingefügt war.

Auf der anderen Seite nach oben, so hörte sie langeZeit danach, lag die neunundsiebzigste Ebene, überihr die achtundsiebzigste und so weiter.

»Wir gehen über die erste Ebene hinaus, Wenda.«»Aber nach der ersten Ebene ist doch nichts.«»Du hast recht. Nichts. Alle festen Stoffe des Pla-

neten hören auf.«»Aber wie kann es da was geben, das nichts ist?

Hast du Luft gemeint?«

Page 87: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Nein, ich habe das Nichts gemeint. Das Vakuum.Du weißt doch, was ein Vakuum ist?«

»Ja. Aber ein Vakuum muß doch ausgepumpt undluftdicht gehalten werden.«

»Ja, wenn man etwas konservieren will. Aber nachder ersten Ebene kommt ein unendliches Vakuum,das sich überall hin erstreckt.«

Wenda überlegte eine Weile. Sie sagte: »Ist dortschon mal jemand gewesen?«

»Selbstverständlich nicht. Aber wir haben die Be-richte.«

»Vielleicht stimmen die Berichte nicht.«»Das kann nicht sein. Weißt du, wieviel Raum ich

durchqueren werde?«Wendas Gedankenstrom zeigte ein überwältigen-

des Nein an.Roi sagte: »Ich nehme an, du weißt, wie groß die

Lichtgeschwindigkeit ist?«»Natürlich«, versetzte sie eifrig. Sie war eine über-

all gültige Konstante. Die Kinder kannten sie schon.»In einer Sekunde tausendneunhundertvierundfünf-zigmal die Länge der Höhle hin und zurück.«

»Genau«, sagte Roi, »aber wenn das Licht dieStrecke zurücklegen würde, die ich vor mir habe, sowürde es zehn Jahre brauchen.«

Wenda sagte: »Du machst dich über mich lustig.Du willst mir Angst einjagen.«

»Warum solltest du Angst haben?« Er erhob sich.»Aber ich habe mich lange genug hier herumge-drückt ...«

Für einen Augenblick ließ er einen seiner sechsGreifarme mit gelassener Freundschaftlichkeit auf ei-nem ihrer Arme ruhen. Wenda wurde von dem ver-

Page 88: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

nunftwidrigen Verlangen heimgesucht, ihn fest zufassen und nicht gehen zu lassen.

Einen Augenblick lang war sie erschrocken, weilsie fürchtete, er könne über die Unterhaltungsebenehinaus in ihren Geist eindringen; daß er Abscheuempfinden könne und sie nie wieder ansehen, ja sievielleicht sogar melden würde, damit man sie einerBehandlung unterzöge. Dann löste sich ihre Span-nung. Roi war normal, nicht krank wie sie. Ihm wür-de nicht im Traum einfallen, tiefer als bis zur Unter-haltungsebene in den Geist eines Freundes einzu-dringen.

Er ging, und in ihren Augen war er sehr gut ausse-hend. Seine Greif arme waren gerade und kräftig, erhatte viele zarte, zu Greifern ausgebildete Tasthaareund seine Sehflecken schimmerten schöner, als sie esje gesehen hatte.

3.

Laura ließ sich in ihrem Sitz nieder. Wie weich undbequem man die jetzt machte. Wie angenehm und be-ruhigend Flugzeuge innen waren, wie verschiedenvon dem harten, silbrigen Glanz der Außenhaut.

Auf dem Sitz neben ihr stand der geflochteneTragkorb. Sie blickte über die Decke hinweg zur klei-nen, gerüschten Mütze hin. Walter schlief. Er hattedas leere, runde und weiche Gesicht des Säuglings-alters, und die Lider waren wie zwei mit Fransen be-setzte Halbmonde über die Augen gezogen.

Auf seiner Stirn ringelte sich eine Locke hellbrau-nen Haares, und mit unendlicher Zartheit strich sieLaura unter das Mützchen zurück.

Page 89: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Es würde bald Zeit sein, Walter zu füttern, und siehoffte, er war noch zu klein, um durch die fremdeUmgebung verstört zu werden. Die Stewardeß warwirklich sehr nett. Sie bewahrte seine Flaschen sogarin einem kleinen Eisschrank auf.

Die Leute in den Sitzen auf der anderen Seite desGanges hatten ihr auf diese bestimmte Art zugesehen,die darauf schließen ließ, daß sie sich liebend gernmit ihr unterhalten würden, wenn ihnen nur einVorwand einfiele. Dazu bot sich die Gelegenheit, alssie Walter aus dem Körbchen hob und das kleine, ro-sige Fleisch, das in weißen Baumwollhüllen steckte,auf ihren Schoß legte.

Unter Fremden ist ein Baby immer ein guterGrund, ein Gespräch anzuknüpfen.

Die Dame auf der anderen Seite des Gangs sagte –ihre Worte waren voraussagbar: »So ein nettes Kind.Wie alt ist er denn, meine Liebe?«

Laura sagte mit Sicherheitsnadeln zwischen denLippen – sie hatte eine Decke über die Knie gelegtund legte Walter trocken –, »nächste Woche wird ervier Monate.«

Walters Augen waren offen, und er öffnete denfeuchten, zahnlosen Mund und lächelte die Frau drü-ben mild an.

Er hatte es gern, wenn man ihn trockenlegte.»Schau ihn nur an, George«, sagte die Dame.Ihr Gatte lächelte zurück und winkte mit feisten

Fingern.»Tatata«, sagte er.Walter lachte mit hoher, sich überschlagender

Stimme.»Wie heißt er denn, meine Liebe?« fragte die Frau.

Page 90: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Walter Michael«, sagte Laura und fügte dann hin-zu: »Wie sein Vater.«

Jetzt waren alle Hemmnisse gefallen. Laura erfuhr,daß das Paar George und Eleanor Ellis hieß, daß esUrlaub machte, drei Kinder hatte, zwei Mädchen undeinen Jungen, alle schon erwachsen. Die beiden Mäd-chen waren verheiratet, und eines hatte zwei Kinder.

Laura lauschte mit einem zufriedenen Ausdruck inihrem schmalen Gesicht. Walter – senior, versteht sich– sagte immer, er habe sich anfänglich deshalb für sieinteressiert, weil sie so gut zuhören konnte.

Walter wurde unruhig. Laura befreite seine Arme,damit sich einige seiner Gefühle in Muskelarbeit um-setzen konnten.

»Würden Sie bitte die Flasche warm machen?« batsie die Stewardeß.

Auf bestimmte, aber freundliche Fragen hin erklärteLaura, wie oft Walter jetzt gefüttert wurde, wie dieMilch zusammengesetzt war und ob er wund war.

»Ich hoffe nur, sein kleiner Magen ist heute nichtdurcheinander«, sorgte sie sich. »Ich meine, wegendes Geschaukels im Flugzeug.«

»Ach, mein Gott«, sagte Mrs. Ellis, »er ist zu klein,um darunter zu leiden. Außerdem sind diese großenFlugzeuge herrlich. Wenn ich nicht aus dem Fenstersehen würde, könnte ich meinen, wir seien gar nichtin der Luft. Geht's dir nicht genauso, George?«

Aber Mr. Ellis war ein offenherziger Mann undsagte frei heraus: »Mich überrascht es, daß Sie ein Ba-by in dem Alter mit in ein Flugzeug nehmen.«

Mrs. Ellis sah ihn mit gerunzelter Stirn an.Laura legte Walter an ihre Schulter und klopfte ihm

sanft den Rücken. Sein leichtes Weinen verstummte,

Page 91: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

als seine kleinen Finger auf das weiche, blonde Haarseiner Mutter stießen und sich in den losen Knoten inihrem Nacken vergruben.

Sie sagte: »Ich bringe ihn zu seinem Vater. Walterhat seinen Sohn bis jetzt noch nicht gesehen.«

Mr. Ellis sah sie verblüfft an und wollte etwas sa-gen, aber Mrs. Ellis schaltete sich rasch ein. »Ich neh-me an, Ihr Mann ist Soldat?«

»Ja, das ist er.«Mr. Ellis öffnete den Mund zu einem lautlosen »O«

und beruhigte sich.Laura fuhr fort: »Er ist gleich in der Nähe von Da-

vao stationiert und er will sich mit mir in NicholsField treffen.«

Bis die Stewardeß mit der Flasche kam, hatten sieherausbekommen, daß ihr Mann Stabsfeldwebel beiden Versorgungstruppen war, daß er seit vier JahrenSoldat war, daß sie seit zwei Jahren verheiratet wa-ren, daß seine Entlassung bevorstand und daß sielange Flitterwochen verbringen wollten, bevor sienach San Francisco zurückkehrten.

Dann hatte sie die Flasche. Sie legte Walter in dielinke Armbeuge und setzte die Flasche an. Die Fla-sche glitt leicht zwischen die Lippen, und sein Zahn-fleisch packte den Schnuller. In der Milch stiegenlangsam kleine Blasen auf, und seine Hände patsch-ten ohne große Wirkung gegen das warme Glas, undseine blauen Augen blickten unverwandt auf seineMutter.

Laura drückte den kleinen Walter an sich unddachte, daß es trotz aller Schwierigkeiten doch eineherrliche Sache war, so ein kleines Baby ganz für sichallein zu haben.

Page 92: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

4.

Theorie, dachte Gan, nichts als Theorie. Vor Millionenoder mehr Jahren konnte das Volk auf der Oberflächedas Universum tatsächlich sehen, es direkt fühlen. DieRasse konnte jetzt mit tausendzweihundert Kilome-tern Fels über den Köpfen nur Rückschlüsse aus denzitternden Nadeln ihrer Meßinstrumente ziehen.

Es war nur Theorie, daß die Hirnzellen außer dengewöhnlichen elektrischen Ladungen noch einegänzlich andersgeartete Energie ausstrahlten. EineEnergie, die nicht elektromagnetischer Natur unddeshalb nicht dem langsamen Kriechen des Lichtesunterworfen war. Eine Energie, die mit den höchstenGehirntätigkeiten zusammenhing und daher typischfür vernunftbegabte, denkende Geschöpfe war.

Es war nur eine zuckende Nadel, die ein solchesEnergiefeld aufspürte, das in ihre Höhle sickerte, undweitere Nadeln machten die Quelle des Feldes in derund der Richtung zehn Lichtjahre entfernt aus. Zu-mindest ein Stern mußte in der Zeit, seit das Oberflä-chenvolk den nächstgelegenen fünfhundert Lichtjah-re entfernt angenommen hatte, ziemlich nahe heran-gekommen sein. Oder stimmte die Theorie etwanicht?

»Hast du Angst?« Gan platzte ohne Warnung indie Unterhaltungsebene der Gedanken und stieß hef-tig auf die summende Oberfläche von Rois Geist.

Roi sagte: »Es ist eine große Verantwortung.«Gan dachte: »Die anderen reden immer von Ver-

antwortung.« Seit Generationen hatte Kopftechnikernach Kopftechniker an der Resonanzanlage und derEmpfangsstation gearbeitet, und jetzt geschah es in

Page 93: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

seiner Amtszeit, daß der letzte Schritt getan werdenmußte. Was wußten andere denn von Verantwor-tung.

Er sagte: »Allerdings. Wir reden genug vom Aus-sterben der Rasse, aber wir nehmen immer an, eskommt einmal, nur nicht schon jetzt, nicht in unsererZeit. Aber es wird kommen, verstehst du? Was wirheute tun wollen, wird zwei Drittel unseres gesamtenEnergievorrats aufbrauchen. Wir werden nicht genughaben, um es ein zweites Mal zu versuchen. Es wirdnicht genug für diese Generation übrigbleiben, umihr Leben zu Ende zu leben. Aber das hat keine Be-deutung, wenn du dich an die Befehle hältst. Wir ha-ben an alles gedacht. Seit Generationen haben wirversucht, an alles zu denken.«

»Ich werde tun, was mir aufgetragen wurde«, sagteRoi.

»Dein Gedankenfeld wird sich mit denen vermi-schen, die aus dem Raum kommen. Alle Gedanken-felder sind typisch für ein Individuum, und dieWahrscheinlichkeit, daß eines doppelt auftritt, istziemlich gering. Aber nach vorsichtiger Schätzungbeläuft sich die Anzahl der Felder aus dem Raum aufMilliarden. Dein Feld wird höchstwahrscheinlich ei-nem der ihren ähneln, und in dem Fall wird sich eineResonanz ergeben, solange unsere Resonanzanlagearbeitet. Du weißt, auf welchen Grundlagen das be-ruht?«

»Ja.«»Dann weißt du, daß sich während der Resonanz

dein Geist auf dem Planeten X im Gehirn eines Ge-schöpfs befinden wird, dessen Gedankenfeld demdeinen entspricht. Das ist nicht der Vorgang, bei dem

Page 94: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

die Energie verbraucht wird. In Resonanz mit deinemGeist werden wir die Masse der Empfangsstationebenfalls an Ort und Stelle bringen. Die Übertragungvon Masse auf diese Art war der letzte Teil des Pro-blems, das gelöst werden mußte, und dazu brauchenwir die ganze Energie, die die Rasse sonst in hundertJahren verbraucht hätte.«

Gan nahm den schwarzen Würfel auf, der die Emp-fangsstation darstellte und sah ihn melancholisch an.Vor drei Generationen hatte man es für unmöglichgehalten, eine solche Station kleiner als zwanzig Ku-bikmeter zu machen, wenn sie alle nötigen Einrich-tungen enthalten sollte. Jetzt hatten sie sie, und siewar so groß wie seine Faust.

Gan sagte: »Das Feld denkender Hirnzellen kannnur bestimmten, genau festgelegten Mustern folgen.Alle Lebewesen, ganz gleich, auf welchem Planetensie sich entwickeln, müssen von einer Eiweißgrund-lage ausgehen und eine Sauerstoff-Wasserchemie ha-ben. Wenn sie sich in ihrer Welt einrichten können,dann können wir es ebenfalls.«

Auf einer tieferen Ebene dachte Gan: Theorie,nichts als Theorie.

Er fuhr fort: »Das heißt nicht, daß der Körper, indem du dich befinden wirst, dir mit seinem Geist undseinen Gefühlen nicht völlig fremd sein kann. Wirhaben also für drei Arten gesorgt, auf die die Emp-fangsstation in Betrieb gesetzt werden kann. Wenndu starke Glieder hast, brauchst du nur mit einemDruck von fünfhundert Pfund irgendwo auf die Sei-ten des Würfels drücken. Wenn du zarte Glieder hast,brauchst du nur einen Knopf zu drücken, den du hierdurch diese eine Öffnung im Würfel erreichen kannst.

Page 95: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Wenn du keine Glieder hast oder dein Wirtskörpergelähmt oder sonst irgendwie hilflos ist, dann kannstdu die Station allein durch geistige Energie in Gangsetzen. Sobald die Station in Gang gesetzt ist, werdenwir statt einem zwei Bezugspunkte haben, und dieRasse kann mit gewöhnlicher Teleportation zum Pla-neten X geschafft werden.«

»Das bedeutet«, sagte Roi, »daß wir es mit elektro-magnetischer Energie machen.«

»Und?«»Wir werden zehn Jahre für die Übertragung brau-

chen.«»Die Zeitdauer wird uns nicht zu Bewußtsein

kommen.«»Das sehe ich ein, aber das bedeutet, daß die Stati-

on zehn Jahre auf dem Planeten X bleiben wird. Undwenn sie in der Zwischenzeit zerstört wird?«

»Wir haben auch daran gedacht. Sobald die Stationin Gang gesetzt ist, erzeugt sie ein Paramassenfeld.Sie wird sich in Richtung der Schwerkraftanziehungbewegen und durch die gewöhnliche Materie gleiten,bis sie auf eine Umgebung stößt, die so dicht ist, daßdie Reibung groß genug wird, um sie aufzuhalten.Dazu werden etwa sechs Meter Fels benötigt. Alles,was weniger dicht ist, wird ohne Wirkung auf siebleiben. Sie wird zehn Jahre lang sechs Meter unterdem Boden bleiben, und dann wird sie durch ein Ge-genfeld zurück zur Oberfläche gebracht werden.Dann wird die Rasse, einer nach dem anderen, auf-tauchen.«

»Warum läßt man sich die Station nicht von selbstin Gang setzen? Sie hat schon soviel automatischeEinrichtungen ...«

Page 96: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Du hast das nicht zu Ende gedacht, Roi. Wir ha-ben es jedoch getan. Möglicherweise werden nichtalle Stellen auf der Oberfläche des Planeten X geeig-net sein. Wenn die Bewohner mächtig und weit ent-wickelt sind, mußt du dich möglicherweise nach ei-nem unauffälligen Platz für die Station umsehen. Eswäre nicht gut für uns, wenn wir mitten auf einemPlatz in einer Stadt auftauchten. Und du mußt sicher-gehen, daß die unmittelbare Umgebung nicht ander-weitig gefährlich ist.«

»Wie kann sie noch gefährlich sein?«»Das weiß ich nicht. Die alten Berichte von der

Oberfläche sprechen von vielen Dingen, die wir nichtmehr verstehen. Sie erklären nichts, weil man die Dingefür selbstverständlich ansah. Aber wir sind seit fasthunderttausend Generationen von der Oberfläche fortund wir stehen vor Rätseln. Unsere Techs haben sichnicht einmal über die physikalische Natur von Sterneneinigen können, und die wird in den alten Berichtenoft erwähnt und erörtert. Aber was sind ›Stürme‹,›Erdbeben‹, ›Vulkane‹, ›Wirbelstürme‹, ›Graupeln‹,›Erdrutsche‹, ›Überschwemmungen‹, ›Blitze‹ und soweiter. Das sind alles Ausdrücke, die Vorgänge aufder Oberfläche beschreiben, die gefährlich sind, wirwissen jedoch nicht, worum es sich handelt. Wir wis-sen nicht, wie wir uns vor ihnen vorsehen können.Über den Geist deines Wirts wird es dir vielleichtmöglich sein, herauszubekommen, was angebracht istund welche Schritte unternommen werden müssen.«

»Wieviel Zeit wird mir zur Verfügung stehen?«»Die Resonanzanlage kann nicht länger als zwölf

Stunden ununterbrochen in Betrieb sein. Mir wäre eslieb, wenn du deine Aufgabe in zwei Stunden erledi-

Page 97: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gen könntest. Du wirst automatisch hierher zurück-kehren, wenn die Station in Gang gesetzt ist. Bist dusoweit?«

»Ich bin soweit«, sagte Roi.Gan führte ihn zu dem Gehäuse aus Milchglas. Roi

nahm auf seinem Sitz Platz und legte seine Glieder indie passenden Vertiefungen. Seine Tasthaare tauchteer in Quecksilber, damit ein guter Kontakt gewährlei-stet war.

Roi sagte: »Was dann, wenn ich mich in einemKörper wiederfinde, der eben stirbt?«

»Das Gedankenfeld ist verformt, wenn ein Wesenkurz vor dem Tod steht. Ein gewöhnliches Gedanken-feld wie deins würde nicht in Resonanz sein.«

Roi sagte: »Und wenn es eben kurz vor einem Toddurch einen Unglücksfall steht?«

Gan sagte: »Wir haben auch daran gedacht. Dage-gen können wir keine Vorkehrungen treffen, aber dieWahrscheinlichkeit, daß der Tod so rasch eintritt, daßdu keine Gelegenheit mehr hast, die Station geistig inGang zu setzen, wird auf weniger als eins zu zwanzigBillionen geschätzt, es sei denn, die rätselhaften Ge-fahren der Oberfläche sind tödlicher, als wir sie unsdenken. Du hast noch eine Minute.«

Aus irgendeinem merkwürdigen Grund beschäf-tigte sich der letzte Gedanke Rois vor der Übertra-gung mit Wenda.

5.

Laura wachte mit einem plötzlichen Ruck auf. Waswar los? Sie hatte ein Gefühl, als hätte man sie mit ei-ner Nadel durchbohrt.

Page 98: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Die Nachmittagssonne schien ihr ins Gesicht, undbei ihrem Gleißen mußte sie zwinkern. Sie zog denSonnenschutz herunter und beugte sich gleichzeitigvor, um nach Walter zu sehen.

Sie war ein wenig überrascht, seine Augen offen zufinden. Um diese Zeit war er sonst nicht wach. Sieschaute auf ihre Armbanduhr. Nein, wirklich nicht.Und bis zum nächsten Füttern war es noch eine guteStunde. Sie folgte dem System, bei Bedarf zu füttern,das heißt, sie hielt sich daran, »wenn du brüllst, dannkriegst du was«, doch für gewöhnlich hielt sich Wal-ter ganz gewissenhaft an die Uhrzeit.

Sie sah ihn mit gekräuselter Nase an. »Hast duHunger, Häschen?«

Walter reagierte überhaupt nicht, und Laura warenttäuscht. Sie hätte es gern gesehen, wenn er gelä-chelt hätte. Eigentlich wollte sie, er würde lachen undseine dicken Ärmchen um ihren Hals legen und sieliebkosen und »Mama« sagen, aber sie wußte, daß erdas alles nicht konnte. Aber lächeln konnte er.

Sie legte einen Finger leicht gegen sein Kinn undklopfte ein bißchen dagegen. »Da-da-da.« Er lächelteimmer, wenn man das machte.

Er kniff jedoch nur die Augen halb zu.Sie sagte: »Hoffentlich ist er nicht krank.« Sie sah

beunruhigt Mrs. Ellis an.Mrs. Ellis legte eine Zeitschrift beiseite. »Ist irgend

etwas nicht in Ordnung, meine Liebe?«»Ich weiß nicht. Walter liegt einfach nur so da.«»Armes, kleines Ding. Er ist vielleicht müde.«»Dann müßte er doch schlafen?«»Die Umgebung ist fremd für ihn. Er möchte viel-

leicht gern wissen, was das alles soll.«

Page 99: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sie erhob sich, kam über den Gang herüber, beugtesich an Laura vorbei und sah sich Walter aus der Nä-he an. »Du möchtest gern wissen, was los ist, du mitdeinem winzigen kleinen Näschen. Jaja, das möchtestdu wohl gern. Du sagst dir: ›Wo ist meine hübschekleine Wiege und wo sind die netten Bilderchen aufder Tapete?‹«

Dann stieß sie kurze Quietschlaute für ihn aus.Walter wandte seine Augen von seiner Mutter ab

und sah sich mit düsteren Blicken Mrs. Ellis an.Mrs. Ellis richtete sich plötzlich auf und sah aus, als

habe sie Schmerzen. Sie legte kurz eine Hand an ih-ren Kopf und murmelte: »Meine Güte, so ein komi-scher Schmerz.«

»Glauben Sie, er hat Hunger?« fragte Laura.»Mein Gott«, sagte Mrs. Ellis, und ihr Gesicht be-

ruhigte sich wieder, »die melden sich doch sofort,wenn sie Hunger haben. Dem fehlt nichts. Ich hattedrei Kinder, meine Liebe. Ich kenne mich aus.«

»Ich glaube, ich bitte die Stewardeß, noch eine Fla-sche warm zu machen.«

»Nun, wenn Sie das beruhigt ...«Die Stewardeß brachte die Flasche, und Laura hob

Walter aus seinem Korb. Sie sagte: »Du kriegst deineFlasche, dann lege ich dich trocken und dann ...«

Sie legte seinen Kopf in ihrer Armbeuge zurecht,beugte sich vor, um ihm rasch die Wange zu tät-scheln, drückte ihn dann sanft gegen ihren Leib, wäh-rend sie die Flasche an seinen Mund brachte ...

Walter schrie los.Sein Mund klappte auf, seine Arme streckten sich

mit weit gespreizten Fingern aus, sein ganzer Körperversteifte und verhärtete sich wie in einem Starr-

Page 100: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

krampf, und er schrie. Die ganze Kabine hallte vonseinem Geschrei wider.

Laura stieß ebenfalls einen Schrei aus. Sie ließ dieFlasche fallen, und sie zerschellte schaumig weiß.

Mrs. Ellis sprang auf. Ein paar andere Leute eben-so. Mr. Ellis fuhr aus leichtem Schlummer auf.

»Was ist los?« fragte Mrs. Ellis verdutzt.»Ich weiß nicht.« Laura schüttelte Walter verzwei-

felt, legte ihn an die Schulter, klopfte ihm den Rük-ken. »Ach, Babylein, schrei doch nicht. Was ist dennlos? Baby ...«

Die Stewardeß kam den Gang entlang gerannt. IhrFuß näherte sich bis auf einen Zentimeter dem Wür-fel, der unter Lauras Sitz lag.

Walter schlug jetzt wie wild um sich und brülltemit der Lautstärke einer Dampfpfeife.

6.

Rois Geist war zutiefst erschrocken. Noch vor einemAugenblick war er in seinen Sitz geschnallt gewesen,in Berührung mit dem klaren Geist von Gan, unddann – er war sich keiner zeitlichen Unterbrechungbewußt geworden – tauchte er in einen Mischmaschseltsamer, barbarischer und unzusammenhängenderGedanken ein.

Er kapselte seinen Geist vollständig ab. Er war weitgeöffnet gewesen, um die Wirkung der Resonanz zuerhöhen, und die erste Berührung mit dem Fremdenwar ...

Nein, nicht schmerzhaft. Schwindelerregend, Übel-keit hervorrufend? Nein, auch das nicht. Es gab keinWort dafür.

Page 101: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Im stillen Nichts des abgekapselten Geistes sam-melte er neue Spannkraft und bedachte seine Lage. Erspürte die schwache Berührung mit der Empfangs-station, mit der er geistig Verbindung hielt. Sie waralso mit ihm angekommen. Schön!

Für den Augenblick schenkte er seinem Wirt keineBeachtung. Möglicherweise brauchte er ihn später fürdurchgreifende Tätigkeiten, und für den Augenblickwar es sicher klug, keinen Verdacht zu erregen.

Er forschte. Er drang auf gut Glück in einen Geistein und verschaffte sich einen Überblick über die Sin-neseindrücke, die auf ihn einströmten. Das Geschöpfwar für Teile des elektromagnetischen Spektrums, fürLuftschwingungen und natürlich für körperliche Be-rührung empfindlich. Es besaß an bestimmten Stellenbeschränkte chemische Sinne ...

Das war's ungefähr. Er sah sich erstaunt noch ein-mal um. Es gab nicht nur keinen direkten Sinn fürMasse, keinen Sinn für elektrische Feldstärke, keinender wirklich verfeinerten Deuter des Universums,und es gab auch überhaupt keine geistigen Kontakte.

Der Geist des Geschöpfs war völlig isoliert.Wie standen die untereinander in Verbindung. Er

sah sich weiter um. Sie verfügten über einen kompli-zierten Code geregelter Luftschwingungen.

Hatten sie eine Intelligenz? Hatte er sich einen ver-stümmelten Geist ausgesucht? Nein, sie waren alle so.

Mit seinen geistigen Fühlern tastete er die Gruppevon Intelligenzen in der Umgebung ab und suchtenach einem Tech, oder etwas, das unter diesen ver-krüppelten Halbintelligenzen für so etwas angesehenwurde. Er fand einen Geist, der sich für einen Fahr-zeuglenker hielt. Roi wurde von einer Anzahl Infor-

Page 102: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

mationen durchspült. Er befand sich in einem Fahr-zeug, das sich durch die Luft bewegte.

Auch ohne geistige Verbindung hatten sie also einein ersten Anfängen steckende Maschinenzivilisationaufgebaut. Oder handelte es sich bei ihnen um die tie-rischen Werkzeuge der eigentlichen Intelligenzen, diesich anderswo auf dem Planeten befanden? Nein ...ihre Geister sagten nein.

Er zapfte den Tech an. Was war mit der engerenUmgebung? Mußte man die Schreckgespenster derAlten fürchten? Das war eine Frage der Auffassung.Die Umwelt barg Gefahren. Luftbewegungen. Tempe-raturwechsel. Stürzendes Wasser i n der Luft, das ent-weder feste oder flüssige Form haben konnte. Elektri-sche Entladungen. Für jede dieser Erscheinungen gabes in dem Code Schwingungen, aber das war unwich-tig. Die Verbindung zwischen diesen Erscheinungenund den Bezeichnungen herzustellen, die das antikeVolk auf der Oberfläche ihnen gegeben hatte, konntemit Hilfe von Mutmaßungen bewerkstelligt werden.

Keine Sorge. Bestand jetzt Gefahr? Gab es hier Ge-fahren? Gab es irgendeinen Grund für Angst oderUnruhe?

Nein! Der Geist des Techs meinte nein.Das genügte. Er kehrte in den Geist seines Wirts

zurück und ruhte sich einen Augenblick aus, dehntesich dann vorsichtig aus ...

Nichts!Der Geist seines Wirts war leer. Es gab lediglich ein

unbestimmtes Gefühl von Wärme und ein schwachesAufblitzen unkontrollierten Reagierens auf einfacheReize.

Lag sein Wirt etwa doch im Sterben? Hirngeschädigt?

Page 103: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Er bewegte sich rasch zum nächsten Geist, kämmteihn nach Hinweisen über seinen Wirt durch und fandsie.

Sein Wirt war ein kleines Kind dieser Art von Le-bewesen.

Ein Kind? Ein normales Kind? Und so unentwickelt?Er gestattete seinem Geist, sich in das zu versen-

ken, sich mit dem zu vermischen, was in seinem Wirtvorhanden war. Er suchte das Gehirn nach den Be-wegungszentren ab und fand sie unter Schwierigkei-ten. Ein behutsamer Reiz führte zu einer wirren Be-wegung der Gliedmaßen seines Wirts. Er versuchte esmit einer feineren Steuerung, versagte jedoch.

Er wurde wütend. Hatte man wirklich an alles ge-dacht? Hatte man an Intelligenzen gedacht, die nichtmiteinander in geistiger Verbindung standen? Hattensie an junge Geschöpfe gedacht, die so gänzlich un-terentwickelt waren, als steckten sie noch im Ei?

Das bedeutete natürlich, daß er die Empfangsstati-on nicht über sein Wirtswesen in Gang setzen konnte.Muskeln und Geist waren zu schwach, bei weitem zuunkontrolliert, um eine der drei Methoden anzuwen-den, auf die Gan hingewiesen hatte.

Er dachte angestrengt nach. Er konnte kaum hof-fen, mit Hilfe der unvollkommenen Konzentrations-fähigkeit der stofflichen Hirnzellen seines Wirtes einegrößere Masse zu beeinflussen, aber wie stand esdamit, das Gehirn eines Erwachsenen für indirektenEinfluß einzuspannen? Die direkte körperliche Ein-wirkung wäre geringfügig. Es würde darauf hinaus-laufen, die richtigen Moleküle von Adenosintriphos-phat und Acetylcholin aufzubrechen. Danach würdedas Geschöpf von selbst handeln.

Page 104: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Er zögerte mit einem Versuch, fürchtete ein Versa-gen und schalt sich einen Feigling. Er drang nocheinmal in den nächsten Geist ein. Es war ein Weib-chen der Art und war in diesem Zustand zeitweiligerGehemmtheit, die er bei anderen schon bemerkt hat-te. Es überraschte ihn nicht. Intelligenzen, die so amAnfang wie diese hier standen, brauchten eben re-gelmäßige Ruhepausen.

Er betrachtete den Geist, der vor ihm lag und ta-stete geistig die Bereiche ab, die auf eine Reizung rea-gieren könnten. Er entschied sich für eine, stieß zu,und die bewußten Bereiche waren beinahe sogleichvon Leben erfüllt. Sinneseindrücke strömten herein,und die Gedankentätigkeit nahm kräftig zu.

Gut!Doch nicht gut genug. Es war nur zu einem winzi-

gen Stich gekommen. Kein Befehl, etwas Bestimmteszu unternehmen.

Er wurde unruhig, als Gefühle auf ihn einstürzten.Sie stammten aus dem Geist, den er eben gereizt hatteund beschäftigten sich natürlich mit seinem Wirt undnicht mit ihm. Trotzdem fühlte er sich durch die pri-mitiven Geschmacklosigkeiten belästigt und kapselteseinen Geist gegen die unangenehme Wärme ihrernackten Gefühle ab.

Ein zweiter Geist beschäftigte sich mit seinem Wirt,und wenn er materiell anwesend gewesen wäre odereinen zufriedenstellenden Wirt unter Kontrolle ge-habt hätte, so hätte er voll Verdruß zugeschlagen.

Heilige Höhlen, wollte man ihn nicht endlich inRuhe lassen, damit er sich auf seine wichtige Aufgabekonzentrieren konnte?

Er ging scharf auf den zweiten Geist los und regte

Page 105: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Bereiche körperlichen Unbehagens an, und er ent-fernte sich.

Er freute sich. Das war mehr als ein einfacher, un-bestimmter Reiz gewesen, und es war glatt gegangen.Er hatte die geistige Atmosphäre gereinigt.

Er kehrte zu dem Tech zurück, der das Fahrzeuglenkte. Der würde über die Einzelheiten der Oberflä-che Bescheid wissen, die man überflog.

Wasser? Er sichtete rasch die Angaben.Wasser! Und noch viel mehr Wasser!Bei den ewigen Ebenen, das Wort »Ozean« hatte

seinen Sinn. Das alte, überlieferte Wort »Ozean«. Werhätte sich denken können, daß es soviel Wasser gab.

Aber dann, wenn das »Ozean« war, dann hatte dasüberlieferte Wort »Insel« offensichtlich eine Bedeu-tung. Er setzte seinen ganzen Verstand ein, um geo-graphische Informationen zu erhalten. Der »Ozean«war mit kleinen Landflecken übersät, aber er brauchtegenaue ...

Er wurde ganz kurz dadurch überrascht, daß sichsein Wirt durch die Luft bewegte und an den Körperdes benachbarten Weibchens gehalten wurde.

Rois Geist war so beschäftigt, daß er offen und un-geschützt dalag. Mit voller Stärke drangen die Ge-fühle des Weibchens auf ihn ein.

Roi zuckte zusammen. Bei dem Versuch, die ablen-kenden tierischen Leidenschaften loszuwerden, ginger auf die Gehirnzellen seines Wirts los, durch diediese rohen Gefühle eindrangen.

Er war dabei zu rasch, zu kräftig vorgegangen. DerGeist seines Wirtes war von durchdringendemSchmerz angefüllt, und sofort reagierte jeder Geist,den er erreichen konnte, auf die Luftschwingungen,

Page 106: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

zu denen das geführt hatte.Voller Verdruß versuchte er den Schmerz zu erstik-

ken, was ihn jedoch nur noch größer werden ließ.Durch den klebrigen geistigen Dunst des Schmer-

zes hindurch, den sein Wirt empfand, durchforschteer den Geist des Techs und bemühte sich, die Kon-zentration auf diesen Kontakt nicht schwächer wer-den zu lassen.

Sein Geist wurde frostig. Die beste Gelegenheit lagkurz vor ihm! Ihm blieben vielleicht noch zwanzigMinuten. Es würde später noch andere Gelegenheitengeben, aber sie waren nicht so günstig. Er wagte esnicht, die Handlungen eines anderen Wesens zu be-einflussen, solange der Geist seines Wirtes in einerderartigen Unordnung war.

Er zog sich zurück, kapselte seinen Geist ab, hieltnur schwache Verbindung mit den Rückenmarkzel-len seines Wirtes aufrecht und wartete ab.

Die Minuten verstrichen, und Schritt für Schrittnahm er wieder stärkere Verbindung auf.

Ihm blieben noch fünf Minuten. Er traf seine Wahl.

7.

Die Stewardeß sagte: »Ich glaube, er fühlt sich wiederein bißchen besser, der arme Kleine.«

»Er hat sich noch nie so aufgeführt«, beteuerte Lau-ra unter Tränen. »Noch nie.«

»Vielleicht hat er einfach eine Kolik gehabt«, sagtedie Stewardeß.

»Vielleicht ist er zu fest eingepackt«, meinte Mrs.Ellis.

»Kann sein«, sagte die Stewardeß.

Page 107: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sie schlug die Decke zurück und schob dasHemdchen hoch, wobei ein rosiger, runder Bauchzum Vorschein kam, der sich heftig hob und senkte.Walter weinte immer noch.

Die Stewardeß sagte: »Soll ich Ihnen das Trocken-legen abnehmen? Er ist ganz naß.«

»Wenn Sie das bitte machen würden.«Die meisten der in der Nähe sitzenden Passagiere

waren auf ihre Plätze zurückgekehrt. Die weiter wegsitzenden hörten auf, ihre Hälse zu recken.

Mr. Ellis blieb mit seiner Frau im Gang stehen. Ersagte: »Ach, schauen Sie mal.«

Laura und die Stewardeß waren zu beschäftigt, umauf ihn zu achten, und Mrs. Ellis beachtete ihn ausschierer Gewohnheit nicht.

Das war Mr. Ellis gewöhnt. Seine Bemerkung warsowieso rein rhetorisch gewesen. Er beugte sich nie-der und zog an der Schachtel unter dem Sitz.

Mrs. Ellis blickte unwillig hinunter. Sie sagte:»Meine Güte, George, zerr doch nicht am Gepäck vonanderen Leuten herum. Setz dich hin. Du bist imWeg.«

Mr. Ellis richtete sich verwirrt auf.Laura hatte gerötete und verweinte Augen und

sagte: »Mir gehört sie nicht. Ich hab nicht mal ge-wußt, daß sie unter dem Sitz ist.«

Die Stewardeß blickte von dem wimmernden Babyauf und sagte: »Was denn?«

Mr. Ellis zuckte mit den Schultern: »Eine Schach-tel.«

Seine Frau sagte: »Und, was hast du denn damit zuschaffen?«

Mr. Ellis suchte nach einer vernünftigen Erklärung.

Page 108: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Was hatte er denn mit der Schachtel zu schaffen? Ermurmelte: »Ich war nur neugierig.«

Die Stewardeß sagte: »Na also! Der kleine Junge istwieder ganz sauber und trocken. Wetten, daß er inzwei Minuten wieder glücklich und zufrieden ist?Mhmm, das wirst du doch sein, du kleiner Spatz.«

Aber der kleine Spatz schluchzte noch immer. Alsihm wieder eine Flasche vor die Nase gehalten wur-de, drehte er schnell den Kopf weg.

Die Stewardeß sagte: »Geben Sie her, ich mache sienoch einmal warm.«

Sie nahm sie und ging den Gang hinunter.Mr. Ellis traf eine Entscheidung. Mit festem Griff

nahm er die Schachtel auf und stellte sie auf dieArmlehne seines Sitzes. Die gerunzelte Stirn seinerFrau übersah er.

Er sagte: »Ich mache schon nichts kaputt. Ich schausie mir nur an. Woraus besteht die überhaupt?«

Er klopfte sie mit seinen Fingerknöcheln ab. Offen-sichtlich zeigte keiner der übrigen Passagiere Interes-se. Niemand beachtete Mr. Ellis oder die Schachtel. Eswar so, als hätte irgend etwas diese Art von Interessevöllig ausgeschaltet. Selbst Mrs. Ellis, die sich mitLaura unterhielt, hatte ihm den Rücken zugewendet.

Mr. Ellis kippte die Schachtel um und fand dieÖffnung. Er wußte, daß eine Öffnung da sein mußte.Sie war groß genug, um einen Finger hineinzustek-ken, obwohl natürlich kein vernünftiger Grund be-stand, warum er einen Finger in eine unbekannteSchachtel stecken sollte.

Vorsichtig führte er den Finger ein. Da gab es einenschwarzen Knopf, den er gern niedergedrückt hätte.Er legte den Finger darauf.

Page 109: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Die Schachtel erzitterte, löste sich plötzlich aus sei-nen Händen und glitt durch die Armlehne.

Er erhaschte einen Blick, wie sie durch den Fußbo-den sank, und dann war da nur ein unversehrter Tep-pichboden und sonst nichts. Langsam spreizte er dieHände und sah seine Handflächen an. Dann ließ ersich auf die Knie fallen und tastete den Fußboden ab.

Die Stewardeß kam mit der Flasche zurück undsagte höflich: »Haben Sie etwas verloren, Sir?«

Mrs. Ellis blickte hinunter und sagte: »George!«Mr. Ellis stemmte sich in die Höhe. Er glühte vor

Aufregung. Er sagte: »Die Schachtel – sie rutschteweg und versank ...«

Die Stewardeß sagte: »Was für eine Schachtel?«Laura sagte: »Kann ich bitte die Flasche haben,

Miß? Er hat zu weinen aufgehört.«»Aber natürlich. Hier.«Walter öffnete begierig den Mund und nahm den

Schnuller zwischen die Lippen. Luftblasen stiegen inder Milch auf, und man hörte Schlucklaute.

Laura blickte strahlend auf. »Anscheinend geht'sihm wieder gut. Vielen Dank, Miß. Vielen Dank, Mrs.Ellis. Eine Weile dachte ich schon, das sei gar nichtmehr mein kleiner Bub.«

»Wird schon gut werden«, sagte Mrs. Ellis. »Viel-leicht war es ein kleiner Anfall von Luftkrankheit.George, setz dich!«

Die Stewardeß sagte: »Sie rufen mich, wenn Siemich brauchen.«

»Vielen Dank«, sagte Laura.Mr. Ellis sagte: »Die Schachtel ...« Er verstummte.Welche Schachtel? Er konnte sich an keine Schach-

tel erinnern.

Page 110: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Aber ein Geist an Bord des Flugzeugs konnte demschwarzen Würfel folgen, während er in einer reinenParabel fiel, die weder Wind noch Luftwiderstandveränderten. Er glitt durch die Gasmoleküle, die ihmim Weg waren.

Unter ihm lag das Atoll wie das Schwarze einer rie-sigen Zielscheibe. Zu Kriegszeiten hatte es einmal ei-nen Landestreifen und Kasernen aufgewiesen. Die Ka-sernen waren verfallen, die Landebahn war ein aus-gefranster Strich, und das Atoll lag verlassen.

Der Würfel traf das gefiederte Blattwerk einer Pal-me, und nicht ein Wedel rührte sich. Er glitt durchden Stamm hinunter in die Korallenfelsen. Es versankim Planeten, ohne auch nur die kleinste Staubwolkeaufzuwirbeln, ohne eine Spur seines Eindringens zuhinterlassen. Sechs Meter unter der Erdoberflächekam der Würfel zur Ruhe, wurde bewegungslos undvermischte sich eng mit den Gesteinsatomen undblieb doch etwas Eigenes.

Das war alles. Auf Tage folgten Nächte. Es regnete,der Wind blies, und die Wogen des Pazifiks brachensich weiß schäumend an weißen Korallenriffen. Eswar nichts geschehen.

Und es würde nichts geschehen – zehn Jahre langnicht.

8.

»Wir haben die Nachricht verbreitet«, sagte Gan,»daß du erfolgreich warst. Ich glaube, du solltest dichjetzt ausruhen.«

Roi sagte: »Ausruhen? Jetzt? Wo ich bei gesundemVerstand zurückgekommen bin? Danke, das braucht

Page 111: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

es nicht. Ich bin mehr als froh.«»Hat es dir soviel ausgemacht? Intelligenz ohne

geistige Verbindung?«»Ja«, sagte Roi knapp. Gan ließ sich taktvollerweise

nicht dazu verleiten, dem sich zurückziehenden Ge-dankenstrom zu folgen.

Statt dessen sagte er: »Und die Oberfläche?«Roi sagte: »Einfach grauenhaft. Was die Alten

›Sonne‹ nannten, ist ein unerträglich heller Fleck hochoben. Offensichtlich eine Lichtquelle, die sich peri-odisch verändert. Mit anderen Worten, ›Tag‹ und›Nacht‹. Es gibt auch Veränderungen, die nicht vor-herzusehen sind.«

»Vielleicht ›Wolken‹«, sagte Gan.»Wieso ›Wolken‹?«»Du kennst den überlieferten Spruch: ›Wolken

verdeckten die Sonne‹.«»Glaubst du? Ja, könnte sein.«»Nun, erzähl weiter.«»Schauen wir mal. ›Ozean‹ und ›Insel‹ habe ich

schon erklärt. ›Unwetter‹, dazu gehört Feuchtigkeit inder Luft, die in Tropfen fällt. ›Wind‹ ist eine Luftbe-wegung von riesigen Ausmaßen. ›Donner‹ ist entwe-der eine plötzliche Entladung statischer Elektrizität inder Luft oder ein großer, plötzlicher Lärm. ›Graupel‹sind fallende Eisstückchen.«

Gan sagte: »Das ist aber merkwürdig. Von wo solldenn das Eis herunterfallen? Wie und warum?«

»Überhaupt keine Ahnung. Alles ist sehr wechsel-haft. Manchmal ist ein Unwetter, und dann wiederkeins. Offenbar gibt es auf der Oberfläche Gegenden,wo es immer kalt ist, und solche, wo es immer heißist, und dann wieder andere, wo beides abwechselt.«

Page 112: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Erstaunlich. Was glaubst du, wieviel davon müs-sen wir dem falschen Verständnis der Alten zuschrei-ben?«

»Gar nichts. Da bin ich mir ganz sicher. Es war allesziemlich eindeutig. Ich hatte genug Zeit, ihre wun-derlichen Geister anzuzapfen. Zu viel Zeit.«

Und wieder zogen sich seine Gedanken in privateBereiche zurück.

Gan sagte: »Das ist nur gut. Ich habe unsere Nei-gung, das sogenannte Goldene Zeitalter unserer Vor-fahren auf der Oberfläche romantisch zu sehen, im-mer nur mit Schrecken betrachtet. Ich spürte, es wür-de in unserer Gruppe den starken Drang geben, eswieder mit einem Leben auf der Oberfläche zu versu-chen.«

»Nein«, sagte Roi mit Nachdruck.»Ganz klar nein. Ich bezweifle, daß selbst die Kräf-

tigsten von uns sich einfallen ließen, auch nur einenTag in einer Umgebung zu leben, wie du sie be-schreibst, mit ihren Unwettern, Tagen, Nächten, ihrenunpassenden und unvorhersehbaren Veränderun-gen.« Gans Gedanken zeigten Zufriedenheit an.»Morgen beginnen wir mit dem Vorgang der Über-tragung. Wenn wir einmal auf der Insel sind – sie istunbewohnt, sagst du?«

»Völlig unbewohnt. Es war die einzige dieser Art,über die das Fahrzeug hinwegzog. Der Tech hatte In-formationen über alle Einzelheiten.«

»Schön. Dann werden wir uns an die Arbeit ma-chen. Roi, es werden Generationen vergehen, aberschließlich werden wir in der Tiefe einer neuen,warmen Welt sein, in angenehmen Höhlen, wo eineUmgebung, die wir meistern, die Voraussetzung bie-

Page 113: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

ten wird, daß sich jede kulturelle Verfeinerung ent-falten kann.«

»Und«, fügte Roi hinzu, »überhaupt kein Kontaktmit den Geschöpfen auf der Oberfläche.«

Gan sagte: »Warum? Sie sind zwar primitiv, abersie könnten uns helfen, wenn wir einmal unserenStützpunkt errichtet haben. Eine Rasse, die Luftfahr-zeuge bauen kann, muß über irgendwelche Fähig-keiten verfügen.«

»Darum geht es gar nicht. Es ist ein streitlustigerHaufen. Er würde mit tierischer Wildheit bei jederGelegenheit angreifen und ...«

Gan unterbrach ihn: »Mich stört dieser seelischeHalbschatten, mit dem deine Hinweise auf die Frem-den umgeben sind. Da ist etwas, was du für dich be-hältst.«

Roi sagte: »Zuerst meinte ich, wir könnten sie füruns benutzen. Wenn sie uns nicht gestatten würden,Freunde zu werden, so könnten wir sie wenigstenslenken. Ich habe einen dazu gebracht, den Kontaktinnerhalb des Würfels zu schließen, und das warschwierig. Äußerst schwierig. Ihre Geister sindgrundsätzlich anders.«

»In welcher Hinsicht?«»Wenn ich das beschreiben könnte, so wäre der

Unterschied kein grundsätzlicher. Aber ich kann direin Beispiel geben. Ich war in dem Geist eines kleinenKindes. Sie haben keine Reifekammern. Die einzelnenWesen kümmern sich um die Kinder. Das Geschöpf,das sich um meinen Wirt kümmerte ...«

»Ja?«»Sie – es war ein Weibchen – fühlte sich auf beson-

dere Weise mit dem Jungen verbunden. Es war ein

Page 114: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Gefühl von Besitzerschaft, ein Gefühl einer Bezie-hung, die den Rest ihrer Gesellschaft ausschloß. Mirschien, ich könne schwach so etwas wie das Gefühlentdecken, das einen Mann mit einem Gefährten oderFreund verbindet, aber das Gefühl war viel heftigerund ungezügelter.«

»Nun«, sagte Gan, »ohne geistige Verbindung ha-ben sie vielleicht keine wirkliche Vorstellung von Ge-sellschaft, und es können sich Ersatzbeziehungen ein-stellen. Oder war diese eine etwa krankhaft?«

»Nein. Das war allgemein so. Das verantwortlicheWeibchen war die Mutter des Kindes.«

»Unmöglich. Die eigene Mutter?«»Notwendigerweise. Das Kleinkind hatte den er-

sten Teil seines Daseins im Innern der Mutter ver-bracht. Die Eier der Geschöpfe verbleiben im Körper.Sie werden im Körper befruchtet. Sie wachsen imKörper und kommen dann lebendig zum Vorschein.«

»Heilige Höhlen«, sagte Gan schwach. Er fühlteheftigen Abscheu in sich. »Jedes Geschöpf würde seineigenes Kind erkennen. Jedes Kind würde seinen be-sonderen Vater haben ...«

»Und man würde ihn auch kennen. Mein Wirtwurde siebentausend Kilometer weit gebracht, so gutich die Entfernung schätzen konnte, um seinem Vatergezeigt zu werden.«

»Unglaublich!«»Bedarf es noch mehr, um zu verstehen, daß es nie

zu einem Treffen der Geister kommen kann? DerUnterschied ist so grundlegend, so absolut.«

Melancholisches Bedauern färbte Gans Gedankenund machte sie unausgeglichen. Er sagte: »Das wärezu schade. Ich hatte gedacht ...«

Page 115: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Was?«»Ich hatte gedacht, daß sich zum erstenmal zwei

Intelligenzen gegenseitig helfen würden. Ich hattegedacht, wir könnten zusammen vielleicht einen grö-ßeren Fortschritt erreichen, als jeder von uns für sichallein. Selbst wenn sie eine primitive Technologie ha-ben, so wie es der Fall ist, so ist Technologie dochnicht alles. Ich hatte gedacht, wir könnten auf jedenFall etwas von ihnen lernen.«

»Was?« fragte Roi roh. »Unsere Eltern zu kennenund sich mit unseren Kindern anfreunden?«

Gan sagte: »Nein, nein. Du hast ganz recht. DieGrenze zwischen uns muß für immer und ewig un-durchdringlich bleiben. Sie werden die Oberfläche fürsich haben, und wir die Tiefe. So sei es.«

Vor den Laboratorien traf Roi auf Wenda.Ihre Gedanken waren konzentriertes Vergnügen.

»Ich bin froh, daß du zurück bist.«Roi hatte ebenfalls vergnügliche Gedanken. Es war

sehr entspannend, in saubere geistige Verbindungmit einem befreundeten Wesen zu treten.

Page 116: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Die schwindende Nacht

1.

Es war fast ein Klassentreffen, und obwohl es sichdurch Freudlosigkeit auszeichnete, gab es noch kei-nen Grund zu der Annahme, es werde von einer Tra-gödie überschattet sein.

Edward Talliaferro, frisch vom Mond und nochohne Schwerkraftbeine, traf mit den beiden anderenim Zimmer von Stanley Kaunas zusammen. Kaunaserhob sich und grüßte ihn matt. Battersley Rygerblieb einfach sitzen und nickte nur.

Talliaferro ließ seinen mächtigen Leib vorsichtigauf das Sofa sinken. Er war sich des ungewohntenGewichts wohl bewußt. Er verzog leicht das Gesicht,und seine prallen Lippen zuckten inmitten des Haar-kranzes, der seinen Mund auf Oberlippe, Kinn undWangen umrahmte.

Sie hatten sich an diesem Tag unter feierlicherenUmständen schon getroffen. Jetzt waren sie zum er-stenmal allein, und Talliaferro sagte: »Das nenne ichein Ereignis. Wir treffen uns seit zehn Jahren zum er-stenmal seit unserer Promotion.«

Die Nase von Ryger zuckte. Er hatte sie sich kurzvor jener Promotion gebrochen und hatte seinen aka-demischen Titel als Astronom mit einem Gesicht ent-gegengenommen, das durch einen Verband entstelltwar. Er sagte mürrisch: »Hat jemand Champagnerbestellt? Oder sonst was?«

Talliaferro sagte: »Hör mal! Der erste große inter-planetarische astronomische Kongreß ist nicht der

Page 117: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Platz, um Trübsal zu blasen. Und dann mitten unterFreunden!«

Kaunas sagte plötzlich: »Es ist die Erde. Man fühltsich nicht wohl. Ich kann mich nicht an sie gewöh-nen.« Er schüttelte den Kopf, doch sein niederge-schlagener Gesichtsausdruck war nicht abzustreifen.Er blieb.

Talliaferro sagte: »Ich weiß. Ich bin so schwer. Eszehrt meine ganze Kraft auf. Dabei bist du noch bes-ser dran als ich, Kaunas. Die Schwerkraft auf demMerkur ist 0,4 vom Normalwert. Auf dem Mond be-trägt sie nur 0,16.« Ryger wollte sich eben äußern,aber er unterbrach ihn und sagte: »Und auf Ceres hatman künstliche Schwerkraftfelder, die auf 0,8 einge-stellt sind. Du hast überhaupt keine Schwierigkeiten,Ryger.«

Der Astronom von Ceres wirkte verärgert. »DasFreie ist es. Ohne einen Anzug unter freiem Himmelherumzulaufen, das schafft mich.«

»Genau«, stimmte ihm Kaunas zu, »und die Sonneauf sich herunterbrennen lassen. Einfach so.«

Talliaferro spürte, wie er unmerklich in die Ver-gangenheit abglitt. Sie hatten sich nicht sehr verän-dert. Er selbst auch nicht, meinte er. Selbstverständ-lich waren sie alle zehn Jahre älter. Ryger war etwasdicker geworden, und das schmale Gesicht von Kau-nas war leicht ledern geworden, aber er hätte beidewiedererkannt, wenn er sie überraschend getroffenhätte.

Er sagte: »Ich glaube nicht, daß uns die Erdeschafft. Sehen wir der Sache doch ins Auge.«

Kaunas blickte mit einem Ruck auf. Er war einkleiner Bursche mit raschen, nervösen Handbewe-

Page 118: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gungen. Er trug gewöhnlich Sachen, die eine Spur zugroß für ihn wirkten.

Er sagte: »Villiers! Ich weiß. Manchmal denke ichüber ihn nach.« Dann, mit einem Anflug von Ver-zweiflung: »Ich habe einen Brief von ihm bekommen.«

Ryger setzte sich kerzengerade auf, seine oliven-farbene Haut wurde noch dunkler, und er sagte mitNachdruck: »Wirklich? Wann?«

»Vor einem Monat.«Ryger wandte sich an Talliaferro: »Und du?«Talliaferro blinzelte gelassen und nickte.Ryger sagte. »Er ist verrückt geworden. Er be-

hauptet, er habe eine brauchbare Methode gefunden,Masse durch den Raum zu übertragen. – Hat er daseuch beiden auch mitgeteilt? – Da haben wir's also. Erwar immer ein bißchen überspannt. Jetzt ist er über-geschnappt.«

Er rieb sich heftig die Nase, und Talliaferro dachtean den Tag, an dem Villiers sie eingeschlagen hatte.

Zehn Jahre lang hatte Villiers sie wie der undeutli-che Schatten einer Schuld verfolgt, mit der sie eigent-lich nichts zu tun hatten. Sie hatten sich zusammenauf die Promotion vorbereitet, vier ausgewählte undhingebungsvolle Männer, die für einen Beruf ausge-bildet wurden, der in diesem Zeitalter interplanetari-schen Reisens neue Höhepunkte erreicht hatte.

Auf anderen Welten, die vom Vakuum umgebenwaren, wo keine Luft die Sicht verdarb, wurden Ob-servatorien eröffnet.

Es gab das Mondobservatorium, von dem aus dieErde und die inneren Planeten beobachtet werdenkonnten. Eine Welt des Schweigens, in deren Himmelder heimische Planet hing.

Page 119: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Das Merkurobservatorium, der Sonne am nächsten,saß auf dem Nordpol des Merkur, wo sich die Grenz-linie zwischen Tag- und Nachtseite so gut wie garnicht bewegte. Und die Sonne saß am Horizont festund konnte auf alle kleinsten Einzelheiten hin beob-achtet werden.

Das Observatorium auf Ceres war das neueste, dasmodernste, hatte eine Reichweite vom Jupiter bis zuden entferntesten Milchstraßensystemen hinaus.

Es gab natürlich auch Nachteile. Das interplaneta-rische Reisen war noch schwierig. Es gab nur wenigUrlaub, und so etwas wie ein normales Leben warpraktisch unmöglich, aber es war eine glückliche Ge-neration. Das Feld der Wissenschaft wurde jetzt sogut beackert, daß zukünftige Gelehrte nicht mehr vielArbeit vorfinden würden, bis nicht durch die Erfin-dung eines interstellaren Antriebs neue Horizonte er-öffnet wurden, die so ergiebig wie diese hier waren.

Jeder dieser glücklichen vier, Talliaferro, Ryger,Kaunas und Villiers würde in der Lage Galileis sein,der als Besitzer des ersten richtigen Fernrohrs diesesInstrument nur auf irgendeine Stelle des Himmels zurichten brauchte, um eine bedeutende Entdeckung zumachen.

Aber dann war Romero Villiers erkrankt, und eswar Gelenkrheumatismus gewesen. Sein Herz wardanach schwach und schlapp.

Er war der Allerbegabteste der vier, der Eifrigste –und er konnte nicht einmal sein Studium abschließenund seinen Doktor machen.

Noch schlimmer war, daß er die Erde nie verlassenkonnte: die Beschleunigung beim Start eines Raum-schiffs würde ihn getötet haben.

Page 120: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Talliaferro war für den Mond vorgemerkt, Rygerfür Ceres, Kaunas für den Merkur. Allein Villiersblieb zurück, ein lebenslänglicher Gefangener der Er-de.

Sie hatten versucht, ihm ihr Mitgefühl auszudrük-ken, doch Villiers hatte es beinahe haßerfüllt zurück-gewiesen. Er hatte sie beschimpft und verflucht. AlsRyger die Beherrschung verlor und eine Faust schüt-telte, hatte ihn Villiers schreiend angesprungen undRyger die Nase eingeschlagen.

Offensichtlich hatte Ryger das noch nicht verges-sen, da er sich mit einem Finger vorsichtig die Naserieb.

Kaunas wirkte unsicher, und seine Stirn hatte sichin ein Waschbrett von Falten verwandelt. »Wißt ihr,er nimmt am Kongreß teil. Er hat hier im Hotel einZimmer, Nummer vierhundertfünf.«

»Ich werde ihn nicht aufsuchen«, sagte Ryger.»Er kommt hierher. Er sagte, er möchte uns besu-

chen. Ich dachte – er sagte, um neun. Er wird jedenAugenblick hier sein.«

»In diesem Fall«, sagte Ryger, »werde ich gehen,wenn es euch nichts ausmacht.« Er erhob sich.

Talliaferro sagte: »Ach, warte doch. Was ist denndabei, wenn du ihn siehst?«

»Es hat keinen Sinn. Er ist verrückt.«»Und wenn schon. Wir sollten da nicht so kleinlich

sein. Hast du vor ihm Angst?«»Angst!« Ryger warf ihm einen verächtlichen Blick

zu.»Dann eben nervös. Was gibt es denn für einen

Grund, nervös zu sein?«»Ich bin nicht nervös«, sagte Ryger.

Page 121: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Und wie nervös du bist. Wir haben alle ein Gefühlder Schuld wegen ihm, und das ohne Grund. Wasauch passiert ist, es war nicht unsere Schuld.« Ersprach aber, als wolle er sich verteidigen, und es warihm auch bewußt.

Und als in diesem Augenblick die Türglocke er-tönte, fuhren alle drei zusammen, drehten sich umund starrten unruhig auf die Schranke, die sich nochzwischen ihnen und Villiers befand.

Die Tür ging auf, und Romero Villiers spazierte her-ein. Die anderen erhoben sich unbeholfen, um ihn zubegrüßen, blieben dann verlegen stehen, und nichteine Hand wurde ausgestreckt.

Er starrte sie spöttisch an, bis sie die Fassung verlo-ren.

Er hat sich verändert, dachte Talliaferro.Allerdings. Er war in fast jeder Hinsicht zusam-

mengeschrumpft. Ein gekrümmter Rücken ließ ihnnoch kleiner aussehen. Unter sich lichtendem Haarglänzte die Kopfhaut, die Haut auf seinen Handrük-ken zeigte ein Geringel bläulicher Adern. Er sahschlecht aus. Es war anscheinend nichts mehr zu er-kennen, was die Erinnerung an die Vergangenheitwieder wachrief, von seiner Angewohnheit abgese-hen, die Augen mit einer Hand abzuschirmen, wenner angestrengt schaute. Und wenn er sprach, so warda noch die gleichmäßige, beherrschte Baritonstim-me.

Er sagte: »Meine Freunde! Meine sich im Raumtummelnden Freunde! Wir haben uns aus den Augenverloren.«

Talliaferro sagte: »Hallo, Villiers.«

Page 122: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Villiers musterte ihn. »Dir geht's gut?«»Es geht.«»Und ihr beiden?«Kaunas schaffte es, leicht zu lächeln und murmelte

etwas. Ryger platzte heraus: »Gut, Villiers. Was gibt's?«»Der zornige Ryger«, sagte Villiers. »Was macht

Ceres?«»Der ging's gut, als ich abflog. Was macht die Er-

de?«»Da kannst du selbst nachsehen.«Er fuhr fort: »Ich hoffe, der Grund, warum ihr an

dem Kongreß teilnehmt, ist der, daß ihr meinen Vor-trag übermorgen hören wollt.«

»Deinen Vortrag? Was für einen Vortrag?« fragteTalliaferro.

»Ich habe euch alles darüber geschrieben. MeinVerfahren der Massenübertragung.«

Ryger verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln.»Ja, das hast du. Du hast zwar nichts von einem Vor-trag erwähnt, und ich erinnere mich auch nicht daran,daß du als einer der Redner aufgeführt bist. Mir wäredas sicher aufgefallen.«

»Du hast recht. Ich bin nicht aufgeführt. Ich habeauch keinen Abriß davon zur Veröffentlichung vor-bereitet.«

Villiers war rot geworden, und Talliaferro sagte be-schwichtigend: »Immer mit der Ruhe. Du siehst nichtgut aus.«

Villiers wirbelte mit verzerrten Lippen herum.»Mein Herz schafft's schon, besten Dank.«

Kaunas sagte: »Hör mal, Villiers, wenn du nichtaufgeführt bist, und kein Abriß ...«

»Hör du mal lieber zu. Ich habe zehn Jahre lang

Page 123: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gewartet. Ihr habt eure Stellen im Raum, und ich mußauf der Erde Unterricht geben, aber ich bin besser alsjeder einzelne von euch oder ihr alle zusammenge-nommen.«

»Zugegeben ...«, fing Talliaferro an.»Und deine herablassende Art kannst du dir auch

sparen. Mandel war Zeuge. Ich hoffe, ihr habt vonMandel schon gehört. Nun, er ist Vorsitzender derastronautischen Gruppe hier bei dem Kongreß, undich habe ihm die Massenübertragung vorgeführt. DieAnlage war primitiv und brannte nach einmaligemGebrauch durch, aber ... Hört ihr überhaupt zu?«

»Wir hören zu«, sagte Ryger kühl, »wenn dasüberhaupt wichtig ist.«

»Er wird mich auf meine Weise darüber reden las-sen. Darauf könnt ihr Gift nehmen. Keine Vorankün-digung. Keine Anzeige. Ich werde es wie eine Bombeloslassen. Wenn ich ihnen die grundlegenden Glei-chungen vorlege, um die es dabei geht, dann wirdder Kongreß platzen. Sie werden zu ihren heimatli-chen Plätzen auseinanderstieben, um meine Angabenzu überprüfen und Anlagen zu bauen. Und sie wer-den merken, es geht. Ich habe in meinem Labor einelebendige Maus an einer Stelle verschwinden und aneiner anderen wieder auftauchen lassen. Mandel warZeuge.«

Er blickte sie an, stierte erst in ein Gesicht, dann inein anderes. Er sagte: »Ihr glaubt mir nicht, was?«

Ryger sagte: »Wenn du keine Vorankündigungwillst, warum erzählst du es uns dann?«

»Mit euch ist das etwas anderes. Ihr seid meineFreunde, meine Studienfreunde. Ihr seid in den Raumhinaus und habt mich zurückgelassen.«

Page 124: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Das war doch nicht Absicht«, widersprach Kaunasmit leiser, hoher Stimme.

Villiers ging nicht darauf ein. Er sagte: »Ich möchtealso, daß ihr es jetzt wißt. Was mit einer Maus geht,wird auch mit einem Menschen gehen. Wenn etwasin einem Labor drei Meter weit bewegt werden kann,so wird es im Raum eine Million Kilometer weit be-wegt werden können. Ich werde auf dem Mond undauf dem Merkur und auf Ceres sein und überall, woich hinwill. Ich werde es mit jedem von euch auf-nehmen, und noch mehr. Beim Unterrichtgeben undNachdenken habe ich mehr für die Astronomie getan,als ihr alle mit euren Observatorien und Fernrohrenund Kameras und Raumschiffen.«

»Schön«, sagte Talliaferro, »freut mich. Mehr Ein-fluß für dich. Kann ich eine Abschrift des Vortragssehen?«

»Nein.« Villiers preßte seine Hände an die Brust,als hielte er eingebildete Blätter und schirme sie vorBlicken ab. »Du wartest wie alle anderen auch. Es gibtnur eine einzige Reinschrift, und niemand wird siesehen, bis ich nicht soweit bin. Nicht einmal Mandel.«

»Eine Reinschrift«, rief Talliaferro. »Wenn du sieverlegst ...«

»Das werde ich nicht. Und wenn, ich habe alles imKopf.«

»Wenn du ...« Talliaferro hätte den Satz beinahemit »stirbst« beendet, unterbrach sich aber. Statt des-sen fuhr er nach einer fast unmerklichen Pause fort:»... nur ein bißchen Vernunft hast, dann machst duwenigstens eine Aufnahme mit dem Schnellblicker.Aus Gründen der Sicherheit.«

»Nein«, sagte Villiers barsch. »Ihr werdet mich

Page 125: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

übermorgen hören. Ihr werdet den menschlichen Ge-sichtskreis mit einem Schlag erweitert sehen, wie ernie zuvor erweitert wurde.«

Wieder schaute er angestrengt in jedes Gesicht.»Zehn Jahre«, sagte er. »Auf Wiedersehen.«

»Er ist verrückt«, explodierte Ryger und schaute aufdie Tür, als stünde Villiers noch immer dort.

»Wirklich?« sagte Talliaferro nachdenklich. »Aufgewisse Art schon, glaube ich. Er haßt uns aus völligirrationalen Gründen. Und dann, seinen Vortrag ausSicherheitsgründen nicht einmal mit demSchnellblicker ...«

Talliaferro faßte nach seinem eigenen kleinenSchnellblicker, während er das sagte. Ein unauffälliggefärbter, einfacher Zylinder, etwas dicker und etwaskürzer als ein gewöhnlicher Bleistift. In den letztenJahren war er zum Kennzeichen des Wissenschaftlersgeworden, so wie das Stethoskop zum Arzt und derMikrocomputer zum Statistikfachmann gehörten.Den Schnellblicker trug man in einer Jackentasche, aneinen Ärmel gesteckt oder an einer Schnur baumelnd.

Wenn Talliaferro manchmal zum Nachdenken auf-gelegt war, dann fragte er sich, wie es damals war, alsdie Männer der Forschung sich mühselig Notizenüber das Gelesene machen mußten oder Abdrucke inNormalgröße aufzubewahren hatten. Wie unbehol-fen!

Heute brauchte man nur alles Gedruckte oder Ge-schriebene mit dem Schnellblicker aufnehmen, dannhatte man einen Mikrofilm, der bei Gelegenheit ent-wickelt werden konnte. Talliaferro hatte schon jedenAbriß, den das Programmheft des Kongresses ent-

Page 126: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

hielt, aufgenommen. Die anderen beiden, so nahm ermit Sicherheit an, hatten das gleiche getan.

Talliaferro sagte: »So, wie die Dinge liegen, ist esverrückt, keine Aufnahme mit dem Schnellblicker zumachen.«

»Du lieber Raum!« sagte Ryger heftig. »Es gibt kei-nen Vortrag. Es gibt keine Entdeckung. Ihm käme je-de Lüge gelegen, uns eins auszuwischen.«

»Aber was wird er dann übermorgen machen?«fragte Kaunas.

»Woher soll ich das wissen? Er ist verrückt.«Talliaferro spielte noch mit seinem Schnellblicker

und fragte sich so nebenbei, ob er nicht ein paar derwinzigen Filmstückchen herausnehmen und entwik-keln solle, die in seinem Innern warteten. Er ent-schied sich dagegen. Er sagte: »Unterschätze Villiersnicht. Er ist ein kluger Kopf.«

»Vor zehn Jahren war er das vielleicht«, sagte Ry-ger. »Jetzt spinnt er. Ich schlage vor, wir denken nichtmehr an ihn.«

Er redete laut, als wolle er Villiers und alles, wasmit ihm zusammenhing, durch die schiere Lautstärkedessen, was er vorbrachte, austreiben. Er sprach überCeres und seine Arbeit – Messung der Radiostrah-lung der Milchstraße mit neuen Radioteleskopen, dieEinzelsterne auflösen konnten.

Kaunas hörte zu und nickte, meldete sich dann mitEinzelheiten, die sich mit der Radiostrahlung vonSonnenflecken und seinem Vortrag befaßten. DerVortrag sollte auch gedruckt werden. Er behandelteden Zusammenhang zwischen Protonenstürmen undden riesigen Protuberanzen der Sonnenoberfläche.

Talliaferro trug nur wenig zur Unterhaltung bei.

Page 127: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Die Arbeit auf dem Mond war vergleichsweise unin-teressant. Die letzten Neuigkeiten über Langzeitwet-tervoraussagen auf Grund direkter Beobachtungender Jet-Strömungen der Erde konnten Radioteleskopeund Protonenstürme nicht ausstechen.

Und außerdem konnte er nicht aufhören, über Vil-liers nachzudenken. Villiers war der Kopf. Sie wußtendas alle. Auch Ryger mußte trotz seines Schimpfensspüren, daß Villiers ein wahrer Entdecker war.

Bei der Besprechung ihrer eigenen Arbeit mußtensie schließlich unruhig zugeben, daß keiner von ihnenviel erreicht hatte. Talliaferro hatte sich an die Fach-literatur gehalten und war sich dessen bewußt. Seineeigenen Arbeiten waren zweitrangiger Natur. Diebeiden anderen hatten nichts recht Bedeutendes her-vorgebracht.

Wenn man den Tatsachen ins Auge blickte, so hattekeiner von ihnen sich zu einem entwickelt, der denRaum aus den Angeln heben konnte. Die Träume ih-rer Universitätszeit waren nicht Wirklichkeit gewor-den. Da war nichts zu machen. Sie waren fähig, Rou-tinearbeiten geschickt zu erledigen. Das wenigstenskonnten sie. Leider aber auch nicht mehr.

Villiers hätte mehr sein können. Das wußten sieauch. Und auf Grund dieses Wissens und derSchuldgefühle blieben sie ihm feindlich gesinnt.

Talliaferro spürte unruhig, daß Villiers trotz allemnoch immer mehr sein würde. Die anderen dachten si-cher auch so, und Mittelmäßigkeit konnte rasch un-erträglich werden. Der Vortrag über Massenübertra-gung würde gehalten werden, und Villiers würdeendlich der große Mann sein, den er anscheinendimmer werden sollte, während man seine Studien-

Page 128: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

kollegen vergessen würde. Ihnen würde nur noch dieRolle zufallen, aus der Menge Beifall zu spenden.

Er spürte seinen Neid, seine Enttäuschung undschämte sich, aber spürte sie deshalb nicht weniger.

Die Unterhaltung erstarb, und Kaunas sagte mitabgewandten Augen: »Hört mal, warum schauen wirnicht beim alten Villiers vorbei?«

Da schwang falsche Herzlichkeit mit, da merkteman ein gar nicht überzeugendes Bemühen, gleich-gültig zu scheinen. Er fügte hinzu: »Hat keinen Sinn,daß wir uns im Unguten trennen – unnötigerweise ...«

Talliaferro dachte: Er möchte genau Bescheid überdie Massenübertragung wissen. Er hofft, es ist nurder Alptraum eines Verrückten, damit er heute nachtschlafen kann.

Er war jedoch selbst neugierig und hatte nichts da-gegen einzuwenden. Ryger zuckte mißmutig mit denSchultern und sagte: »Teufel, warum nicht?«

Es war eben kurz vor elf.

Talliaferro wurde durch das hartnäckige Klingelnseiner Türglocke aufgeweckt. Er stützte sich in derDunkelheit auf einen Ellbogen und war unverkenn-bar empört. Das sanfte Leuchten der Uhr an der Dek-ke zeigte, daß es noch nicht einmal vier Uhr morgenswar.

Er rief: »Wer ist da?«Die Glocke gab weiter hartnäckig Klingelzeichen.Talliaferro schlüpfte brummend in seinen Mor-

genmantel. Er öffnete die Tür und blinzelte in dasLicht des Flurs hinaus. Er kannte den Mann, der ihmgegenüberstand, von den dreidimensionalen Fern-sehsendungen.

Page 129: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Der Mann sagte nichtsdestoweniger in barschemFlüsterton: »Ich heiße Hubert Mandel.«

»Ja, Sir«, sagte Talliaferro. In der Astronomie warMandel einer der großen Namen, so berühmt, daß ereine wichtige leitende Stelle im Weltbüro für dieAstronomie bekleidete, so tatkräftig, daß er hier aufdem Kongreß Vorsitzender der astronautischenGruppe war.

Talliaferro fiel plötzlich ein, daß Villiers behauptethatte, Mandel die Massenübertragung vorgeführt zuhaben. Der Gedanke an Villiers wirkte irgendwie er-nüchternd.

Mandel sagte: »Sie sind Dr. Edward Talliaferro?«»Ja, Sir.«»Dann ziehen Sie sich an und kommen Sie mit. Es

ist sehr wichtig. Es geht um einen gemeinsamen Be-kannten.«

»Dr. Villiers?«Mandels Blick wurde ein wenig unruhig. Seine

Augenbrauen und Wimpern waren so blond, daßseine Augen nackt und ungesäumt aussahen. Er hattedünnes, seidiges Haar, und er war etwa fünfzig.

Er sagte: »Wie kommen Sie auf Villiers?«»Er sprach gestern abend von Ihnen. Ich weiß von

keinem anderen gemeinsamen Bekannten.«Mandel nickte, wartete, bis Talliaferro in seine Sa-

chen geschlüpft war, drehte sich dann um und gingvoraus. In einem Zimmer einen Stock über dem vonTalliaferro warteten Ryger und Kaunas. Die Augenvon Kaunas waren gerötet. Er sah besorgt aus. Rygerpaffte aufgeregt eine Zigarette.

Talliaferro sagte: »Wir sind alle da. Schon wiederein Klassentreffen.« Man ging nicht darauf ein.

Page 130: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Er setzte sich, und die drei starrten sich an. Rygerzuckte mit den Achseln.

Mandel schritt auf und ab und hatte die Hände tiefin den Taschen vergraben. Er sagte: »Meine Herren,es tut mir leid, daß ich Ihnen Unannehmlichkeiten be-reiten mußte, und ich danke Ihnen für Ihre Hilfsbe-reitschaft. Mir wäre es lieb, wenn Sie mir noch weiterhelfen würden. Ihr Freund Romero Villiers ist tot. Voretwa einer Stunde wurde seine Leiche aus dem Hotelgetragen. Nach ärztlicher Ansicht starb er an einemHerzversagen.«

Alles schwieg verblüfft. Ryger führte seine Ziga-rette nicht bis zum Mund, ließ sie auf halbem Weglangsam sinken.

»Der arme Teufel«, sagte Talliaferro.»Schrecklich«, flüsterte Kaunas heiser. »Er war ...«

Seine Stimme brach.Ryger schüttelte sich. »Nun, er hatte ein schwaches

Herz. Da ist nichts zu machen.«»Bis auf eine Kleinigkeit«, stellte Mandel richtig.

»Es kann noch etwas gutgemacht werden.«»Was soll das heißen?« fragte Ryger heftig.Mandel sagte: »Wann haben Sie ihn alle zuletzt ge-

sehen?«Talliaferro antwortete. »Gestern abend. Es war ein

richtiges Klassentreffen. Seit zehn Jahren sahen wiruns zum erstenmal wieder. Leider muß ich sagen,daß es kein angenehmes Treffen war. Villiers meinte,mit gutem Grund wütend auf uns sein zu können,und er war wütend.«

»Wann – war das?«»Das erste Treffen so gegen neun.«»Das erste?«

Page 131: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Wir haben ihn dann später noch einmal gesehen.«Kaunas blickte besorgt drein. »Er hatte uns im Zorn

verlassen. Wir konnten es nicht dabei bewenden las-sen. Wir mußten es versuchen. Schließlich waren wiralle einmal Freunde gewesen. Wir gingen also zu sei-nem Zimmer und ...«

Mandel platzte los: »Sie waren alle in seinem Zim-mer?«

»Ja«, sagte Kaunas überrascht.»Wann war das etwa?«»Ich glaube, um elf.« Er sah die anderen an. Tallia-

ferro nickte.»Und wie lange sind Sie geblieben?«»Zwei Minuten«, warf Ryger ein. »Er wies uns hin-

aus, als wären wir hinter seinem Vortrag her.« Erschwieg, als erwarte er, Mandel würde fragen, wasfür ein Vortrag gemeint sei, aber Mandel sagte nichts.Er fuhr fort: »Ich glaube, er hatte ihn unter seinemKopfkissen versteckt. Auf jeden Fall lag er über demKopfkissen, während er uns zuschrie, wir sollten ver-schwinden.«

»Vielleicht lag er da schon im Sterben«, sagte Kau-nas vor Entsetzen flüsternd.

»Da noch nicht«, sagte Mandel barsch. »Sie habenwahrscheinlich also alle Fingerabdrücke hinterlas-sen.«

»Wahrscheinlich«, sagte Talliaferro. Etwas vondem Respekt, den er automatisch Mandel gegenüberverspürt hatte, schwand jetzt, und er spürte langsamUngeduld aufsteigen. Mandel hin oder her, es warvier Uhr morgens. Er sagte: »Worum geht es hier ei-gentlich?«

»Also, meine Herren«, sagte Mandel, »es geht beim

Page 132: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Tod von Villiers um mehr als nur die Tatsache, daß ertot ist. Der Vortrag von Villiers, die einzige Rein-schrift davon, war in den elektrischen Zigaretten-schlucker gestopft worden, und es waren nur nochein paar Fetzen übrig. Ich habe den Vortrag nie gese-hen oder gelesen, aber ich weiß genug über die Mate-rie Bescheid, um, wenn nötig, vor Gericht beschwö-ren zu können, daß die Reste des unverbrannten Pa-piers in dem Schlucker zu dem Vortrag gehörten, dener auf diesem Kongreß halten wollte. – Sie haben an-scheinend Zweifel, Dr. Ryger.«

Ryger lächelte mürrisch. »Ich bezweifle, daß er ihngehalten haben würde. Sir, wenn Sie meine Meinunghören wollen, ich glaube, er war verrückt. Zehn Jahrelang war er ein Gefangener der Erde, und er flüchtetesich in den Traum von einer Massenübertragung. Daswar vielleicht das einzige, was ihn am Leben erhielt.Er hat irgendeine betrügerische Vorführung zustandegebracht. Ich behaupte nicht, es war absichtlicher Be-trug. Ihm war wahrscheinlich wahnsinnig ernst da-mit, und er war ernsthaft wahnsinnig. Gestern abendkam es zum Höhepunkt. Er kam in unsere Zimmer –er haßte uns, weil wir der Erde entkommen waren –und feierte seinen Triumph über uns. Zehn Jahre langhatte er dafür gelebt. Vielleicht hat ihn dieses Ereignisin eine Art geistige Gesundheit zurückgestoßen. Erwußte, daß er den Vortrag gar nicht wirklich haltenkonnte. Es gab nichts, worüber er hätte reden können.Er verbrannte ihn also, und sein Herz setzte aus.Wirklich zu schade.«

Mandel hörte sich den Astronomen von Ceres mitdem Gesichtsausdruck deutlichen Mißfallens an. Ersagte: »Sehr schlagfertig, Dr. Ryger, aber ganz und

Page 133: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gar falsch. Ich lasse mich nicht so leicht durch betrü-gerische Vorführungen täuschen, wie Sie vielleichtglauben mögen. Ich war gezwungen, die Angaben,die Sie bei der Anmeldung im Hotel gemacht haben,rasch nachzusehen, und danach waren Sie auf demCollege seine Studienkollegen. Stimmt das?«

Sie nickten.»Sind hier auf dem Kongreß noch weitere Studien-

kollegen von Ihnen anwesend?«»Nein«, sagte Kaunas. »In der Astronomie waren

wir damals die einzigen, die für eine Doktorarbeitzugelassen wurden. Auch er wäre zugelassen wor-den, wenn er nicht ...«

»Ja, ich verstehe«, sagte Mandel. »Nun, in diesemFall hat einer von Ihnen dreien um Mitternacht Villiersnoch ein letztes Mal in seinem Zimmer aufgesucht.«

Es herrschte kurzes Schweigen. Dann sagte Rygerkühl: »Ich nicht.« Kaunas schüttelte mit weit aufgeris-senen Augen den Kopf.

Talliaferro sagte: »Worauf wollen Sie hinaus?«»Einer von Ihnen kam gegen Mitternacht zu ihm

und verlangte, den Vortrag zu sehen. Den Beweg-grund kenne ich nicht. Es ist vorstellbar, daß die Ab-sicht bestand, einen Herzanfall herbeizuführen. AlsVilliers zusammenbrach, war der Verbrecher, wennich ihn so nennen darf, bereit. Er riß den Vortrag ansich, der vermutlich unter dem Kopfkissen lag undnahm ihn mit seinem Schnellblicker auf. Dann ver-nichtete er den Vortrag im Zigarettenschlucker. Erwar jedoch in Eile, und die Vernichtung gelang nichtvollkommen.«

Ryger unterbrach ihn. »Woher wissen Sie das alles?Waren Sie dabei?«

Page 134: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Beinahe«, sagte Mandel. »Villiers war bei seinemersten Zusammenbruch noch nicht gleich tot. Als derVerbrecher ging, gelang es Villiers, ans Telefon zukommen und mein Zimmer anzurufen. Er würgte einpaar Sätze heraus, die genügten, um den Vorfall zuumreißen. Leider war ich nicht auf meinem Zimmer.Eine späte Besprechung hielt mich auf. Aber meinTelefonadapter hat das Gespräch aufgenommen. Ichspiele das Band immer ab, wenn ich auf mein Zim-mer oder in mein Büro zurückkomme. Eine Beamten-angewohnheit. Ich rief zurück. Er war tot.«

»Also dann«, sagte Ryger, »wen hat er als den Täterangegeben?«

»Niemanden. Oder wenn er es tat, so war es nichtzu verstehen. Ein Wort jedoch war deutlich zu ver-stehen. Es hieß ›Studienkollege‹.«

Talliaferro nahm seinen Schnellblicker aus einerJackeninnentasche und hielt ihn Mandel hin. Er sagteruhig: »Wenn Sie den Film in meinem Schnellblickerentwickeln wollen, hier bitte. Villiers Vortrag werdenSie darauf nicht finden.«

Kaunas tat sofort desgleichen, und Ryger schloßsich ihm mit gerunzelter Stirn an.

Mandel nahm die drei Schnellblicker an sich undsagte trocken: »Es ist anzunehmen, daß derjenige, deres gewesen ist, das belichtete Stück Film mit demVortrag schon beiseite geschafft hat. Trotzdem ...«

Talliaferro zog die Augenbrauen in die Höhe. »Siekönnen mich oder mein Zimmer durchsuchen.«

Rygers Stirn hatte sich noch nicht geglättet. »EinenAugenblick, warten Sie, verdammt noch mal. Sind Sievon der Polizei?«

Mandel starrte ihn an. »Wollen Sie die Polizei? Wollen

Page 135: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sie einen Skandal und eine Mordanklage? Wollen Sieden Kongreß auffliegen lassen? Ein Festschmaus fürdie Presse, die sich auf die Astronomie und dieAstronomen stürzen kann. Villiers kann wirklich zu-fällig gestorben sein. Er hatte schließlich ein schwa-ches Herz. Wer von Ihnen auch dort war, kann gutauf eine Eingebung hin gehandelt haben. Es warvielleicht kein vorher geplantes Verbrechen. Wennderjenige, der es war, das Negativ herausrückt, dannersparen wir uns eine Menge Schwierigkeiten.«

»Das gilt auch für den Verbrecher?« fragte Tallia-ferro.

Mandel zuckte mit den Achseln. »Für ihn kann esSchwierigkeiten geben. Ich kann keine Straffreiheitversprechen. Aber welche Schwierigkeiten es auchgibt, es wird sich auf jeden Fall nicht um öffentlicheSchande und lebenslänglich Gefängnis handeln, wor-auf es hinauslaufen könnte, wenn die Polizei einge-schaltet wird.«

Schweigen.Mandel sagte: »Einer von Ihnen dreien ist es.«Schweigen.Mandel fuhr fort: »Ich glaube, ich kann mir die ur-

sprünglichen Überlegungen des Schuldigen vorstel-len. Der Vortrag würde vernichtet sein. Nur wir vierwußten etwas von der Massenübertragung, und nurich hatte eine Vorführung gesehen. Außerdem hattenSie nur sein Wort – möglicherweise das Wort einesWahnsinnigen –, daß ich sie gesehen hatte. Villiers anHerzversagen gestorben und der Vortrag ver-schwunden, könnte man leicht Dr. Rygers TheorieGlauben schenken, daß es keine Massenübertragunggab, daß es sie nie gegeben hatte. Ein oder zwei Jahre

Page 136: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

konnten verstreichen, und unser Verbrecher im Besitzder Unterlagen über Massenübertragung könnte sieSchritt für Schritt veröffentlichen, Experimentedurchführen und schließlich als der wirkliche Ent-decker dastehen, mit all dem Drum und Dran anGeld und Ruhm, was dazugehört. Selbst seine Stu-dienkollegen würden keinen Verdacht schöpfen. Siewürden höchstens glauben, daß ihn die längstver-gangene Geschichte mit Villiers angeregt hatte, Un-tersuchungen auf dem Gebiet anzustellen. Mehrnicht.«

Mandel blickte scharf von einem zum anderen.»Aber das alles geht jetzt nicht mehr. Wenn irgendei-ner von Ihnen mit der Massenübertragung aufkreuzt,zeigt er sich selbst als der Verbrecher an. Ich habe dieVorführung gesehen. Ich weiß, daß sie in Ordnungwar. Ich weiß, daß einer von Ihnen eine Aufnahmedes Vortrags besitzt. Die Unterlagen sind dahernutzlos für Sie. Geben Sie also auf.«

Schweigen.Mandel ging zur Tür und drehte sich noch einmal

um. »Es wäre mir lieb, wenn Sie hierblieben, bis ichzurück bin. Ich werde nicht lange brauchen. Ich hoffe,der Schuldige wird es sich in der Zwischenzeit über-legen. Wenn er Angst hat, daß er bei einem Schuldge-ständnis seine Stellung verliert, so soll er daran den-ken, daß eine Sitzung mit der Polizei ihn seine Frei-heit kosten und ihn der Psychischen Sondierung aus-setzen kann.« Er nahm die drei Schnellblicker undsah wütend und etwas übermüdet aus. »Ich entwicklesie.«

Kaunas versuchte es mit einem Lächeln. »Und was,wenn wir durchbrennen, während Sie fort sind?«

Page 137: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Nur einer von Ihnen hat einen Grund, das zu ver-suchen«, sagte Mandel. »Ich glaube, ich kann michdarauf verlassen, daß die beiden Unschuldigen dendritten in Schach halten, und sei es nur, weil sie sichselbst schützen wollen.«

Er ging.

Es war fünf Uhr morgens. Ryger blickte ungehaltenauf seine Uhr. »Eine verdammte Sache. Ich möchteschlafen.«

»Wir können uns hier hinlegen«, sagte Talliaferrogleichmütig. »Ist jemand bereit zu einem Geständ-nis?«

Kaunas blickte weg, und Rygers verzog den Mund.»Hatte ich auch nicht erwartet.« Talliaferro schloß

die Augen, lehnte seinen großen Kopf an den Stuhlund sagte mit müder Stimme: »Oben auf dem Mondist gerade die langweilige Zeit. Wir haben eine Nachtvon zwei Wochen, und dann geht's rund. Dannscheint wieder zwei Wochen lang die Sonne, und esgibt nichts als Berechnungen, Vergleiche und nichtsals Herrengesellschaften. Das ist die schlimme Zeit.Mir geht sie auf die Nerven. Wenn mehr Frauen dawären, wenn ich eine feste Sache einrichten könnte...«

Kaunas berichtete flüsternd darüber, daß es nochimmer unmöglich war, die ganze Sonne über den Ho-rizont zu bekommen, sie mit dem Teleskop auf demMerkur einzufangen. Aber man wollte bald drei Ki-lometer Gleise für das Observatorium verlegen – wißtihr, die ganze Sache einfach weiterrollen, unheimlicheKräfte einsetzen, Sonnenenergie direkt anwenden, eskönnte gelingen. Es würde sicher gelingen.

Page 138: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Selbst Ryger ließ sich herbei, über Ceres zu reden,nachdem er dem leisen Gemurmel der anderenStimmen gelauscht hatte. Das Problem dort war, daßdie Umdrehungsdauer zwei Stunden betrug. Das be-deutete, daß die Sterne mit einer Winkelgeschwin-digkeit über den Himmel flitzten, die zwölfmal sogroß wie die des Erdhimmels war. Ein Netz von dreigewöhnlichen Teleskopen und drei Radioteleskopenwar zur Beobachtung einer bestimmten Himmelsge-gend eingesetzt, und eine Station übernahm die Ge-gend von der anderen, während sie vorüberwirbelte.

»Könntet ihr nicht an einen der Pole gehen?« fragteKaunas.

»Du denkst an den Merkur und die Sonne«, sagteRyger ungeduldig. »Selbst an den Polen würde sichder Himmel noch drehen, und die Hälfte von ihmwäre immer unsichtbar. Wenn die Ceres so wie derMerkur der Sonne nur eine Seite zukehren würde,dann hätten wir einen beständigen Nachthimmel, indem sich die Sterne langsam einmal in drei Jahrenvorbeidrehen würden.«

Der Himmel wurde heller. Langsam kam dieDämmerung.

Talliaferro war halb eingeschlafen, bewahrte sichaber fest dieses halbe Bewußtsein. Er wollte nicht ein-schlafen und die andern wach zurücklassen.

Talliaferros Augen klappten auf, als Mandel wiedereintrat. Der Himmel vor dem Fenster war blau ge-worden. Talliaferro war froh, daß das Fenster ge-schlossen war. Das Hotel hatte natürlich eine Klima-anlage, aber in dieser milden Jahreszeit konnten dieFenster von solchen Erdleuten geöffnet werden, die

Page 139: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

sich etwas auf frische Luft einbildeten. Talliaferrodachte an das Vakuum auf dem Mond und fuhr beidem Gedanken mit echtem Unbehagen zusammen.

Mandel sagte: »Hat jemand von Ihnen etwas zu sa-gen?«

Sie blickten ihn alle ruhig an. Ryger schüttelte denKopf.

Mandel sagte: »Ich habe die Filme in IhrenSchnellblickern entwickelt, meine Herren, und mirdie Ergebnisse angesehen.« Er warf die Schnellblickerund die entwickelten Filmstückchen auf das Bett.»Nichts! – Ich fürchte, Sie werden sich die Mühe ma-chen müssen, die Filme auszusortieren. Tut mir leid.Und jetzt besteht nach wie vor die Frage, wo der feh-lende Film ist.«

»Wenn es ihn überhaupt gibt«, sagte Ryger undgähnte gewaltig.

Mandel sagte: »Meine Herren, ich möchte vorschla-gen, wir gehen hinunter in das Zimmer von Villiers.«

Kaunas sah ihn verblüfft an. »Wieso?«Talliaferro sagte: »Versuchen Sie es mit Psycholo-

gie? Man bringe den Verbrecher an den Schauplatzdes Verbrechens, und Reue wird ihm ein Geständnisentlocken.«

»Ein weniger aufregender Grund besteht darin«,sagte Mandel, »daß ich die beiden von Ihnen, die un-schuldig sind, bitten möchte, mir bei der Suche nachdem Film mit dem Vortrag von Villiers zu helfen.«

»Sie glauben, er befindet sich dort?« fragte Ryger.»Möglich. Es ist ein Anfang. Dann können wir Ihre

Zimmer durchsuchen. Die Tagung über Astronautikfängt erst morgen früh um zehn an. Bis dahin habenwir Zeit.«

Page 140: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Und dann?«»Müssen wir vielleicht die Polizei einschalten.«

Sie traten zögernd in Villiers' Zimmer ein. Ryger hatteeinen roten Kopf, Kaunas war bleich. Talliaferro ver-suchte ruhig zu bleiben.

Gestern nacht hatten sie es bei künstlichem Lichtgesehen. Villiers war mit gerunzelter Stirn und ganzzerzaust dagelegen, hatte sein Kopfkissen umklam-mert, sie mit seinen Blicken in Verlegenheit gebrachtund sie hinausgewiesen. Jetzt hing der Geruch desTodes im Zimmer.

Mandel fingerte an dem Fensterpolarisator herum,um mehr Licht hereinzulassen, und drehte ihn zuweit auf. Die im Osten stehende Sonne drang herein.

Kaunas riß einen Arm hoch, um seine Augen abzu-schirmen und schrie: »Die Sonne!« Die anderen blie-ben wie erstarrt stehen.

Seine Miene drückte so etwas wie Entsetzen aus,als hätte er einen Blick in die merkurische Sonne ge-tan, der ihn erblinden lassen würde.

Talliaferro fiel die eigene Reaktion auf die Mög-lichkeit ein, sich unter freiem Himmel zu befinden,und er knirschte mit den Zähnen. Die zehnjährigeAbwesenheit von der Erde hatte sie angeknackst.

Kaunas rannte zum Fenster, tastete nach dem Pola-risator, und dann atmete er unter schwerem Keuchenaus.

Mandel trat an seine Seite. »Was ist los?« Die bei-den anderen stellten sich neben sie.

Unter ihnen erstreckte sich das Bruchstein- undZiegelmauerwerk der Stadt bis zum Horizont, in dasLicht der aufgehenden Sonne getaucht, die im Schat-

Page 141: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

ten liegenden Teile ihnen zugekehrt. Talliaferro warfeinen verstohlenen Blick auf das Ganze.

Kaunas hielt die Luft so an, daß er nicht einmalmehr einen Schrei ausstoßen konnte, und starrte et-was an, das viel näher lag. Da draußen auf dem Fen-sterbrett, eine Ecke in einem Sprung im Mörtel befe-stigt, befand sich ein zwei Zentimeter langer Streifeneines milchgrauen Films, und auf ihm die erstenStrahlen der aufgehenden Sonne.

Mandel riß mit einem zornigen Schrei das Fensterhoch und packte ihn. Er barg ihn in der hohlen Handund blickte sie aus wütenden, geröteten Augen an.

Er sagte: »Warten Sie hier!«Es gab nichts zu reden. Als Mandel ging, setzten sie

sich hin und starrten einander benommen an.

Mandel kehrte nach zwanzig Minuten zurück. Ersagte ruhig, mit einer Stimme, die irgendwie denEindruck aufkommen ließ, daß sie nur ruhig war,weil ihr Eigentümer weit über jeden Wutausbruchhinaus war: »Die Ecke in dem Sprung war nichtüberbelichtet. Ein paar Worte konnte ich erkennen. Eshandelt sich um den Vortrag von Villiers. Der Rest istruiniert. Da ist nichts zu machen.«

»Was nun?« sagte Talliaferro.Mandel zuckte müde mit den Schultern. »Mir ist es

im Augenblick gleich. Die Massenübertragung istweg, bis jemand, der so hochbegabt wie Villiers ist,sie wieder entdeckt. Ich werde mich daranmachen,mache mir aber keine Illusionen, was meine Fähig-keiten anlangt. Da der Vortrag weg ist, nehme ich an,Sie drei sind nicht mehr wichtig, schuldig oder nicht.Was macht das schon aus?« Sein ganzer Körper

Page 142: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

schien vor Verzweiflung zusammengesunken zu sein.Talliaferro sagte jedoch mit harter Stimme: »Mo-

ment mal. In Ihren Augen kann jeder von uns dreienschuldig sein. Zum Beispiel ich. Auf unserem Gebietsind Sie ein großer Mann, und Sie werden nie eingutes Wort für mich übrig haben. Vielleicht denktman sich dann, ich sei unfähig oder noch etwasSchlimmeres. Ich lasse mich durch den Schatten einesVerdachts nicht ruinieren. Wir suchen jetzt nach derLösung.«

»Ich bin kein Detektiv«, sagte Mandel matt.»Dann rufen Sie die Polizei, verdammt noch mal.«Ryger sagte: »Warte mal, Tal. Willst du damit sa-

gen, ich sei der Schuldige?«»Ich sage nur, ich bin unschuldig.«Kaunas sagte laut vor Schreck: »Das bedeutet, jeder

von uns muß die Psychische Sondierung über sichergehen lassen. Das kann zu einem Gehirnschaden...«

Mandel hob beide Hände hoch. »Meine Herren!Bitte! Bevor wir die Polizei rufen, können wir nocheines tun, und Sie haben recht, Dr. Talliaferro, es wä-re den Unschuldigen gegenüber ungerecht, die Sachehier auf sich beruhen zu lassen.«

Man wandte sich ihm zu. »Was schlagen Sie vor?«fragte Ryger.

»Ich habe einen Freund mit Namen Wendell Urth.Sie haben möglicherweise schon von ihm gehört, undich kann es vielleicht so einrichten, daß wir ihn heuteabend aufsuchen.«

»Und wenn Sie das können?« wollte Talliaferrowissen. »Was wird dabei herauskommen?«

»Er ist ein sehr merkwürdiger Mensch«, sagte

Page 143: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Mandel zögernd. »Und auf seine Art besonders be-gabt. Er hat schon der Polizei geholfen und kann unsjetzt vielleicht helfen.«

2.

Edward Talliaferro konnte nicht umhin, den Raumund seinen Insassen mit größtem Erstaunen anzugaf-fen. Beide schienen losgelöst von allem zu existieren,zu keiner bekannten Welt zu gehören. Die Geräuscheder Erde drangen nicht bis in dieses gut gepolsterte,fensterlose Nest. Licht und Luft der Erde wurdendurch künstliche Beleuchtung und Klimaanlage fern-gehalten.

Ein großer, halbdunkler und vollgestopfter Raum.Sie waren über einen unaufgeräumten Boden zu ei-nem Sofa gestakst, von dem ohne Zögern Buchfilmegestreift und an einer Seite zu einem wirren Haufenaufgetürmt wurden.

Der Mann, der den Raum bewohnte, hatte auf ei-nem gedrungen, runden Körper ein großes, rundesGesicht. Er bewegte sich auf seinen kurzen Beinen ge-schwind umher, ruckte dabei beim Sprechen mit demKopf, daß die Brille fast von dem unauffälligenKnubbel sprang, der als Nase diente. Die leicht vor-stehenden Augen mit den schweren Lidern strahltensie mit dem Wohlwollen der Kurzsichtigen an, als ersich in den Sessel seiner Schreibtischkombinationsetzte, die von der einzigen hellen Lampe im Zimmerbeleuchtet wurde.

»So gütig von Ihnen, meine Herren, herzukommen.Ich ersuche Sie, den Zustand meines Zimmers ent-schuldigen zu wollen.« Er beschrieb mit seinen

Page 144: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Stummelfingern einen weiten Bogen durch die Luft.»Ich bin eben dabei, eine Liste der vielen Gegenstän-de anzulegen, die von außerirdischem Interesse sindund die ich hier zusammengetragen habe. Eine ge-waltige Arbeit. Zum Beispiel ...«

Er schlüpfte rasch aus seinem Sessel und wühlte ineinem Haufen von Gegenständen neben demSchreibtisch, bis er mit einem rauchgrauen, halbdurchsichtigen und etwa zylindrischen Gegenstandwieder auftauchte. »Das«, sagte er, »ist ein Gegen-stand von Kallisto, der ein Überbleibsel vernunftbe-gabter nichtmenschlicher Wesen sein könnte. Man istsich noch nicht sicher. Man hat nur ein Dutzend ent-deckt, und das hier ist das beste Einzelstück, das ichkenne.«

Er warf es zur Seite, und Talliaferro zuckte zu-sammen. Der untersetzte Mann schaute in seineRichtung und sagte: »Es ist unzerbrechlich.« Er setztesich wieder hin, faltete die dicken Finger fest vor sei-nem Bauch, wo sie sich mit den Atemzügen langsamhoben und senkten. »Und was kann ich jetzt für Sietun?«

Hubert Mandel hatte das Vorstellen übernommen,und Talliaferro dachte angestrengt nach. Ganz gewißgab es einen Mann namens Wendell Urth, der kürz-lich ein Buch mit dem Titel Vergleichbare Evolutions-vorgänge auf Wasser-Sauerstoff-Planeten geschriebenhatte, und das hier war sicher nicht der Mann.

Er sagte: »Sind Sie der Verfasser des Buches Ver-gleichbare Evolutionsvorgänge, Dr. Urth?«

Auf dem Gesicht von Urth breitete sich ein glück-seliges Lächeln aus. »Sie haben es gelesen?«

»Nein, eigentlich nicht ...«

Page 145: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Urth sah ihn augenblicklich kritisch an. »Das soll-ten Sie aber. Ich habe hier ein Exemplar ...«

Er sprang sofort wieder aus seinem Sessel auf, undMandel rief: »Urth, warte doch. Alles der Reihe nach.Die Sache ist ernst.«

Er drängte Urth tatsächlich in den Sessel zurückund begann rasch zu sprechen, als wolle er es zuweiteren Einwürfen nicht mehr kommen lassen. Ererzählte die ganze Geschichte in bewundernswertwenigen Worten.

Urth wurde beim Zuhören langsam rot. Er packteseine Brille und schob sie höher die Nase hinauf.»Massenübertragung!« rief er aus.

»Ich sah es mit eigenen Augen«, sagte Mandel.»Und du hast mir nichts davon erzählt.«»Ich hatte versprochen, zu schweigen. Der Mensch

war – sonderlich. Habe ich doch gesagt.«Urth trommelte auf den Schreibtisch. »Wie konn-

test du zulassen, daß solch eine Entdeckung im Besitzeines Exzentrikers blieb, Mandel? Man hätte ihm dasWissen, wenn nötig, mit der Psychischen Sondierungentreißen müssen.«

»Das hätte ihn getötet«, verwahrte sich Mandel.Aber Urth schaukelte vor und zurück und hatte die

Hände an die Wangen gelegt. »Massenübertragung.Die einzige Art, wie ein anständiger, zivilisierterMensch reisen sollte. Die einzig mögliche Art. Dieeinzig denkbare Art. Wenn ich das nur gewußt hätte.Wenn ich nur dort gewesen wäre. Das Hotel ist aberfast fünfzig Kilometer weit weg.«

Ryger hatte mit leicht verärgertem Gesichtsaus-druck zugehört und warf jetzt ein: »Soviel ich weiß,gibt es eine Schnellinie, die genau bis zur Kongreß-

Page 146: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

halle geht. Sie hätten in zehn Minuten dort sein kön-nen.«

Urth erstarrte und warf Ryger einen seltsamenBlick zu. Seine Backen blähten sich. Er sprang aufund eilte aus dem Zimmer.

Ryger sagte: »Was zum Teufel ...«Mandel murmelte: »Verdammt. Ich hätte Sie war-

nen sollen. Dr. Urth benützt überhaupt keine Ver-kehrsmittel. Eine Phobie. Er bewegt sich nur zu Fuß.«

Kaunas sah sich blinzelnd im düsteren Zimmerum. »Aber er ist doch ein Extraterrologe? Ein Experte,was Lebensformen auf anderen Planeten angeht?«

Talliaferro war aufgestanden und stand jetzt voreiner Galaktischen Linse auf einem Gestell. Er blickteauf den Glanz im Innern des Sternsystems. Er hattenoch nie eine so große und fein gearbeitete Linse ge-sehen.

Mandel erwiderte: »Er ist Extraterrologe, aber erhat noch nie einen der Planeten, über die er genauBescheid weiß, besucht und wird das auch nie tun.Ich bezweifle, daß er in den letzten dreißig Jahrenweiter als zwei Kilometer von diesem Zimmer weggewesen ist.«

Ryger lachte auf.Mandel lief vor Zorn rot an. »Sie finden das viel-

leicht komisch, aber mir wäre es lieb, Sie würdenaufpassen, was Sie sagen, wenn Dr. Urth zurück ist.«

Urth schlich einen Augenblick danach herein. »Sieentschuldigen, meine Herren«, sagte er flüsternd.»Und jetzt machen wir uns an unser Problem heran.Vielleicht möchte einer von Ihnen ein Geständnis ab-legen.«

Talliaferro verzog bitter die Lippen. Dieser dicke,

Page 147: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

in freiwilliger Gefangenschaft lebende Extraterrologewar kaum eindrucksvoll genug, jemandem ein Ge-ständnis abzupressen. Glücklicherweise brauchteman auch gar nicht seine Künste als Detektiv in An-spruch zu nehmen.

Talliaferro sagte: »Dr. Urth, haben Sie Verbindun-gen zur Polizei?«

Eine gewisse Verschmitztheit breitete sich auf demrotbackigen Gesicht von Urth aus. »Offiziell habe ichkeine Verbindungen, Dr. Talliaferro, aber meine inof-fiziellen sind allerdings sehr gut.«

»Wenn das so ist, werde ich Ihnen eine Mitteilungmachen, die Sie an die Polizei weitergeben können.«

Urth zog den Bauch ein und zog an einem Hemd-zipfel. Er holte ihn hervor und säuberte sich damitlangsam die Brille. Als er ganz fertig war und sie sichwieder sorgfältig auf die Nase gesetzt hatte, sagte er:»Um was handelt es sich dabei?«

»Ich werde Ihnen sagen, wer dabei war, als Villiersstarb, und wer seinen Vortrag aufgenommen hat.«

»Sie haben das Kriminalrätsel gelöst?«»Ich habe mir den ganzen Tag darüber den Kopf

zerbrochen. Ich glaube, ich habe es gelöst.« Talliaferromachte das Aufsehen, das er erregte, ziemlichenSpaß.

»Nun, also?«Talliaferro holte tief Luft. Leicht würde es ihm

nicht fallen, obwohl er es seit Stunden vorhatte. »DerSchuldige«, sagte er, »ist offenkundig Dr. HubertMandel.«

Mandel starrte Talliaferro an und mußte vor plötzli-cher Entrüstung schwer atmen. »Hören Sie mal, Herr

Page 148: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Doktor«, fing er mit lauter Stimme an, »wenn SieGrund haben, eine so lächerliche ...«

Die Tenorstimme von Urth übertönte die Unterbre-chung. »Laß ihn ausreden, Hubert, hören wir ihn an.Du hast ihn verdächtigt, und kein Gesetz kann ihmverbieten, dich zu verdächtigen.«

Talliaferro erklärte mit fester Stimme: »Es ist mehrals nur ein Verdacht, Dr. Urth. Der Beweis liegt klarauf der Hand. Wir vier wußten von der Massenüber-tragung, aber nur einer von uns, nämlich Dr. Mandel,hat wirklich eine Vorführung gesehen. Er wußte, esgibt sie tatsächlich. Er wußte, es gab die Niederschrifteines Vortrags zu dem Thema. Wir drei wußten nur,daß Villiers mehr oder weniger aus dem Gleichge-wicht war. Nun, wir nahmen vielleicht an, daß immerdie Möglichkeit bestand. Ich glaube, wir besuchtenihn um elf, um das herauszubekommen, obwohl eskeiner von uns offen sagte – er aber führte sich ver-rückter denn je auf.

Denken Sie nun an das Spezialwissen und an dasMotiv von Dr. Mandel. Und noch etwas anderes, Dr.Urth. Wer auch immer um Mitternacht vor Villiershintrat, ihn zusammenbrechen sah und seinen Vor-trag aufnahm, mußte schrecklich verwirrt sein, als erVilliers offenbar wieder zu sich kommen sah und ihntelephonieren hörte. In dem plötzlichen Schreckenbegriff unser Verbrecher eins: er mußte das belasten-de Material los werden.

Er mußte den noch nicht entwickelten Film mitdem Vortrag los werden, und zwar so, daß man ihnnicht finden konnte und er ihn an sich nehmenkonnte, wenn kein Verdacht auf ihn fiel. Das äußereFensterbrett war ideal. Er machte rasch Villiers' Fen-

Page 149: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

ster auf, legte den Filmstreifen hinaus und ging.Selbst wenn Villiers überlebte oder sein Telefonge-spräch Folgen zeitigte, würde lediglich Villiers' Aus-sage gegen seine stehen, und es war leicht, zu zeigen,daß Villiers seelisch nicht im Gleichgewicht war.«

Talliaferro schwieg triumphierend. Das war nichtzu widerlegen.

Wendell Urth sah ihn blinzelnd an und drehte dieDaumen seiner gefalteten Hände, daß sie sich an sei-ner breiten Hemdbrust rieben. Er sagte: »Und wassoll das alles beweisen?«

»Der Beweis liegt darin, daß das Fenster geöffnetund der Film unter freiem Himmel aufbewahrt wur-de. Und Ryger lebt nun seit zehn Jahren auf Ceres,Kaunas auf dem Merkur, ich auf dem Mond – wennman die kurzen und nicht sehr häufigen Urlaube au-ßer acht läßt. Wir haben gestern mehrmals darübergeredet, wie schwer es uns fällt, uns auf der Erde zuakklimatisieren.

Die Welten, auf denen wir arbeiten, sind Himmels-körper ohne Lufthüllen. Wir gehen niemals ohne ei-nen Anzug ins Freie. Uns dem freien Raum auszuset-zen, ist undenkbar. Keiner von uns hätte das Fensterohne harten inneren Kampf öffnen können. Dr. Man-del hat jedoch ausschließlich auf der Erde gelebt. EinFenster öffnen heißt für ihn, nur ein bißchen Muskel-arbeit leisten. Er konnte es tun. Wir nicht. Also ist eres gewesen.«

Talliaferro lehnte sich zurück und lächelte leicht.»Genau, der Raum!« rief Ryger begeistert.»Das ist aber noch nicht alles«, tobte Mandel und

erhob sich halb, als sei er versucht, sich auf Talliaferrozu stürzen. »Ich weise die ganze erbärmliche Erfin-

Page 150: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

dung zurück. Was ist mit der Aufnahme, die ich vomTelefonanruf von Villiers habe? Er gebrauchte dasWort ›Studienkollege‹. Aus dem ganzen Band wirddeutlich ...«

»Er lag im Sterben«, sagte Talliaferro. »Sie gabenselbst zu, daß viel von dem, was er sagte, unver-ständlich ist. Ohne das Band gehört zu haben, frageich Sie, Dr. Mandel, ob es nicht stimmt, daß dieStimme von Villiers bis zur Unkenntlichkeit verzerrtist.«

»Also ...«, sagte Dr. Mandel verwirrt.»Ich bin mir sicher, daß sie es ist. Es besteht also

Grund zur Annahme, daß Sie das Band möglicher-weise schon vorher mit dem vernichtenden Wort›Studienkollege‹ zurechtgebastelt haben.«

Mandel sagte: »Mein Gott, woher sollte ich denwissen, daß Studienkollegen am Kongreß teilnah-men? Woher sollte ich wissen, daß sie von der Mas-senübertragung wußten?«

»Villiers kann es Ihnen gesagt haben. Ich nehme an,er tat es.«

»Also, hören Sie mal zu«, sagte Mandel. »Sie habenVilliers um elf am Leben gesehen. Der Leichenbe-schauer untersuchte den Toten kurz nach drei Uhrmorgens und erklärte, er sei mindestens schon zweiStunden tot. Das war sicher. Der Tod muß also zwi-schen elf Uhr nachts und ein Uhr morgens eingetre-ten sein. Gestern nacht war ich auf einer späten Be-sprechung. Ich kann angeben, wo ich zwischen zehnund zwei Uhr war, nämlich Kilometer vom Hotel ent-fernt, und ein Dutzend Zeugen haben mich gesehen,von denen alle über jeden Zweifel erhaben sind. Ge-nügt Ihnen das?«

Page 151: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Talliaferro schwieg einen Moment. Dann fuhr erhartnäckig fort: »Und wenn schon. Nehmen wir an,Sie kamen gegen halb drei ins Hotel zurück. Sie gin-gen auf das Zimmer von Villiers, um über seinenVortrag zu reden. Sie fanden die Tür offen, oder Siehatten einen zweiten Schlüssel. Auf jeden Fall sahenSie, er war tot. Sie packten die Gelegenheit beimSchopf, den Vortrag aufzunehmen ...«

»Und wenn er schon tot war und nicht mehr tele-fonieren konnte, warum sollte ich dann wohl denFilm verstecken?«

»Um jedem Verdacht zu entgehen. Vielleicht habenSie einen zweiten Abzug des Films in Ihrem Besitz.Außerdem haben wir nur Ihr Wort, daß der Vortragselbst vernichtet wurde.«

»Das genügt«, rief Urth. »Eine interessante Ver-mutung, Dr. Talliaferro, aber sie stürzt unter ihremeigenen Gewicht zusammen.«

Talliaferro runzelte die Stirn. »Das ist vielleicht IhreAnsicht ...«

»Jeder wäre dieser Ansicht. Das heißt jeder, demmenschliche Vernunft zur Verfügung steht. Sehen Siedenn nicht, daß Hubert Mandel zuviel des Guten ge-tan hat, um der Verbrecher zu sein?«

»Nein«, sagte Talliaferro.Wendell Urth lächelte mild. »Dr. Talliaferro, als

Wissenschaftler sind Sie doch gescheit genug, sichnicht auf Kosten von Tatsachen und Vernunft in IhreTheorien zu verlieben. Tun Sie mir den Gefallen, alsDetektiv das gleiche Verhalten an den Tag zu legen.

Bedenken Sie, wie wenig Dr. Mandel zu tunbrauchte, wenn er den Tod von Villiers herbeigeführtund ein Alibi gefälscht, oder wenn er Villiers tot auf-

Page 152: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

gefunden und die Gelegenheit beim Schopf ergriffenhätte. Warum überhaupt den Vortrag aufnehmenoder so tun, als habe jemand das getan? Er hätte ganzeinfach den Vortrag nehmen können. Wer wußtedenn von seinem Vorhandensein? Eigentlich nie-mand. Es gibt keinen Grund zur Annahme, Villiershabe irgend jemand von ihm erzählt. Villiers warkrankhaft geheimnistuerisch. Es gab allen Grund zurAnnahme, er habe niemandem etwas von ihm er-zählt.

Bis auf Dr. Mandel wußte niemand, daß er einenVortrag halten würde. Er war nicht angekündigt.Man hatte keinen Abriß veröffentlicht. Dr. Mandelhätte mit größter Zuversicht mit dem Vortrag da-vonspazieren können.

Selbst wenn er entdeckt hätte, daß Villiers sich mitseinen Studienkollegen über die Sache unterhaltenhatte, was wäre dann schon gewesen? Welchen Be-weis hätten die Studienkollegen gehabt, vom Worteines der Ihren abgesehen, den sie sowieso als halbverrückt ansahen.

Indem Dr. Mandel statt dessen bekanntgab, daßVilliers' Vortrag vernichtet worden war, indem ersagte, sein Tod sei nicht ganz natürlich gewesen, in-dem er nach einem Schnellblickerfilm suchte – kurz,mit allem, was er tat, hat er Verdacht erweckt, deneben nur er erwecken konnte, wobei er sich nur hättestill verhalten müssen, und das vollkommene Verbre-chen wäre perfekt gewesen. Wenn er der Verbrecherist, dann hat er sich unendlich dumm verhalten. Undschließlich ist Dr. Mandel alles andere als das.«

Talliaferro dachte angestrengt nach.Ryger sagte: »Wer ist es denn dann gewesen?«

Page 153: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Einer von Ihnen dreien. Das ist offensichtlich.«»Aber wer?«»Das ist ebenfalls offensichtlich. Im Augenblick, als

Dr. Mandel seinen Bericht der Ereignisse beendethatte, wußte ich, wer von Ihnen der Schuldige ist.«

Talliaferro starrte widerwillig den untersetzten Ex-traterrologen an. Der Bluff jagte ihm keinen Schrek-ken ein, aber auf die beiden anderen hatte er seineWirkung getan. Ryger hatte die Lippen vorgescho-ben, und der Unterkiefer von Kaunas war wie bei ei-nem Schwachsinnigen herabgefallen.

Er sagte: »Also wer dann? Sagen Sie es uns.«Urth blinzelte. »Ich möchte zuerst deutlich darauf

hinweisen, daß das Wichtige die Massenübertragungist. Sie kann noch immer zurückgewonnen werden.«

Mandel fragte mit gerunzelter Stirn: »Zum Teufel,wovon redest du, Urth?«

»Der Mann, der den Vortrag aufnahm, sah sichwahrscheinlich an, was er aufnahm. Ich bezweifle,daß er die Zeit hatte oder geistesgegenwärtig genugwar, ihn zu lesen, und wenn er es tat, dann bezweifleich, ob er sich erinnern kann – sich bewußt erinnernkann. Doch immerhin gibt es die Psychische Sondie-rung. Selbst wenn er nur einen Blick auf den Vortraggeworfen hat, kann das, was sich seinen Netzhäuteneinprägte, sondiert werden.«

Es entstand Unruhe.Urth sagte sofort: »Man braucht sich vor der Son-

dierung nicht zu fürchten. Bei richtiger Anwendungkann nichts passieren, vor allem dann, wenn sich einMensch freiwillig zur Verfügung stellt. Wenn Schädi-gungen auftreten, dann deshalb, weil unnötigerweise

Page 154: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Widerstand geleistet wird, eine Art geistiges Zerren.Wenn also der Schuldige freiwillig gestehen will, sichin meine Hände begeben will ...«

Talliaferro lachte auf. Das plötzliche Geräusch er-schütterte die düstere Stille im Zimmer. Diese Art vonPsychologie war so durchsichtig und ungeschickt.

Wendell Urth war beinahe erstaunt über diese Re-aktion und sah Talliaferro ernst über seine Brille hin-weg an. Er sagte: »Ich habe genug Einfluß auf die Po-lizei, um die Sondierung geheimzuhalten.«

Ryger sagte wütend: »Ich bin's nicht gewesen.«Kaunas schüttelte den Kopf.Talliaferro enthielt sich jeder Antwort.Urth seufzte. »Dann muß ich zeigen, wer der

Schuldige ist. Das wird seelische Erschütterungen zurFolge haben. Dadurch wird alles schwieriger.« Erlegte die Arme fester um den Bauch, und die Fingerzuckten. »Dr. Talliaferro hat darauf hingewiesen, daßder Film auf dem äußeren Fensterbrett verstecktwurde, damit er vor Entdeckung und Beschädigungsicher war. Ich bin seiner Meinung.«

»Besten Dank«, sagte Talliaferro trocken.»Aber wieso glaubte jemand, daß ein äußeres Fen-

sterbrett ein besonders sicheres Versteck ist? Die Poli-zei würde dort auf jeden Fall nachsehen. Selbst ohnePolizei wurde es entdeckt. Wer würde zu der Überle-gung neigen, daß etwas außerhalb eines Gebäudesbesonders sicher sei? Offenbar jemand, der lange aufeiner luftlosen Welt gelebt hat, dem es in Fleisch undBlut übergegangen ist, daß niemand ohne genau fest-gelegte Vorsichtsmaßnahmen einen luftdicht ver-schlossenen Bau verläßt.

Zum Beispiel wäre für jemanden auf dem Mond

Page 155: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

alles, was außerhalb einer Mondkuppel versteckt wä-re, verhältnismäßig sicher. Die Menschen würdensich nur selten hinauswagen und nur, um ganz be-stimmte Dinge zu tun. Er würde also die Schwierig-keiten, die mit dem Öffnen eines Fensters verbundensind, überwinden und sich dem aussetzen, was erunbewußt für ein Vakuum ansieht, um zu einem si-cheren Versteck zu kommen. Der vorgeprägte Ge-danke ›das Äußere eines bewohnten Baus ist sicher‹würde das zuwege bringen.«

Talliaferro sagte mit zusammengebissenen Zähnen:»Wieso erwähnen Sie den Mond, Dr. Urth?«

Urth erwiderte sanft: »Ach, er ist nur ein Beispiel.Was ich bis jetzt gesagt habe, paßt auf jeden von Ih-nen. Aber jetzt kommen wir zum Kernpunkt, zur Sa-che mit der schwindenden, sterbenden Nacht.«

Talliaferro legte die Stirn in Falten. »Sie meinen dieNacht, in der Villiers starb?«

»Ich meine jede Nacht. Sehen Sie mal, selbst wennman ein äußeres Fensterbrett als sicheres Versteck an-sieht, wer von Ihnen wäre verrückt genug, es als si-cheres Versteck für ein Stück unentwickelten Films an-zusehen? Filme für Schnellblicker sind nicht sehrlichtempfindlich, und man kann sie bei allen mögli-chen passenden und unpassenden Gelegenheitenentwickeln. Das geringe Licht nächtlicher Beleuch-tung würde einem solchen Film nicht viel anhaben,diffuses Tageslicht würde ihn jedoch in ein paar Mi-nuten vernichten, und direktes Sonnenlicht zerstörtihn sofort. Das weiß jedes Kind.«

Mandel sagte: »Nur zu, Urth. Worauf willst duhinaus?«

»Du willst, daß ich schneller mache«, sagte Urth

Page 156: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

und machte einen großen Schmollmund. »Ich möchte,daß ihr es klar begreift. Der Verbrecher wollte vor al-lem den Film in Sicherheit haben. Er trug die einzigeAufzeichnung von etwas, das von größtem Wert fürihn und die Welt war. Warum legte er ihn dann dort-hin, wo er zwangsläufig von der Morgensonne ver-nichtet werden würde? – Nur deshalb, weil er garnicht mit der Morgensonne rechnete. Er dachte, dieNacht sei sozusagen unsterblich.

Aber die Nächte sind nicht unsterblich. Auf der Er-de schwinden sie und machen dem Tag Platz. Selbstdie sechs Monate währende Polarnacht wird schließ-lich zu einer schwindenden Nacht. Die Nächte aufCeres dauern nur zwei Stunden, die auf dem Mondzwei Wochen. Sie sind auch schwindende Nächte,und die Doktoren Talliaferro und Ryger wissen, daßimmer ein Tag kommen muß.«

Kaunas war aufgestanden: »Aber warten Sie ...«Wendell Urth blickte ihm voll ins Gesicht. »Wir

brauchen nicht weiter zu warten, Dr. Kaunas. DerMerkur ist der einzige größere Himmelskörper imSonnensystem, der der Sonne nur eine Seite zukehrt.Auch wenn man die Libration mit in Betracht zieht,sind ganze drei Achtel der Oberfläche reine Nacht-seite und sehen nie die Sonne. Das Polobservatoriumliegt am Rand dieser Nachtseite. Zehn Jahre lang ha-ben Sie sich daran gewöhnt, daß Nächte unsterblichsind, daß die Nachtseite ewig dunkel bleiben wird,und so haben Sie der Erdnacht einen unentwickeltenFilm anvertraut, wobei Sie in Ihrer Erregung verga-ßen, daß diese Nacht schwinden muß ...«

Kaunas taumelte auf ihn zu. »Warten Sie ...«Urth fuhr unerbittlich fort: »Wie ich höre, schrien

Page 157: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Sie beim Anblick des Sonnenlichts auf, als Mandelden Polarisator im Zimmer von Villiers einstellte.War das die eingeprägte Angst vor der merkurischenSonne, oder merkten Sie plötzlich, was die Sonne fürIhre Pläne bedeutete? Sie stürmten los. Um den Pola-risator zurückzudrehen oder um auf den vernichtetenFilm zu starren?«

Kaunas brach in die Knie. »Ich hab's nicht gewollt.Ich wollte nur mit ihm reden, und er schrie und brachzusammen. Ich glaubte, er sei tot, und der Vortragwar unter seinem Kopfkissen, und eins führte zumanderen. Ich machte einen Schritt nach dem anderen,und ehe ich mich's versah, steckte ich so tief drin, daßich nicht mehr herauskam. Aber ich habe das allesnicht gewollt. Das schwöre ich.«

Sie standen jetzt im Halbkreis vor ihm, und Wen-dell Urth blickte mit mitleidigen Augen auf den stöh-nenden Kaunas.

Ein Krankenwagen war gekommen und wieder abge-fahren. Talliaferro brachte es endlich über sich, steifzu Mandel zu sagen: »Sir, ich hoffe, daß auf Grunddessen, was hier gesagt wurde, keine unguten Ge-fühle zurückbleiben.«

Und Mandel hatte genauso steif geantwortet: »Ichglaube, wir vergessen lieber so viel wie möglich vondem, was in den letzten vierundzwanzig Stundenvorgefallen ist.«

Sie standen unter der Tür und wollten gehen, undWendell Urth beugte lächelnd den Kopf und sagte: »Dableibt nur noch mein Honorar zu regeln, wißt ihr.«

Mandel sah ihn verwirrt an.»Ich will kein Geld«, sagte Urth sofort. »Aber wenn

Page 158: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

die erste Anlage für Massenübertragung für Men-schen steht, dann möchte ich mich gern für eine Reisevormerken lassen.«

Mandel sah ihn noch immer besorgt an. »Alsowarte mal, Reisen in den äußeren Raum hinaus liegennoch in weiter Zukunft.«

Urth schüttelte rasch den Kopf. »Nicht der äußereRaum. Ganz und gar nicht. Ich möchte gern nachLower Falls, New Hamshire.«

»Na schön. Aber wieso?«Urth blickte auf. Zu Talliaferros gänzlicher Überra-

schung sah das Gesicht des Extraterrologen äußerstschüchtern wie auch sehr ungeduldig aus.

Urth sagte: »Ich kannte dort einmal ein Mädchen.Es sind viele Jahre vergangen – aber ich frage michmanchmal ...«

Nachwort

Manchen Lesern mag aufgefallen sein, daß diese Geschich-te, die zum erstenmal 1956 veröffentlicht wurde, vom Laufder Ereignisse eingeholt worden ist. 1965 entdeckten dieAstronomen, daß der Merkur nicht immer die gleiche Seiteder Sonne zukehrt, sondern eine Rotationsdauer von etwavierundfünfzig Tagen hat, so daß also alle seine Teile ir-gendwann einmal dem Sonnenlicht ausgesetzt sind.

Nun, was kann ich da machen? Ich kann nur sagen, ichwünschte, die Astronomen würden von Anfang an dieDinge richtig sehen.

Und ich weigere mich ganz einfach, die Geschichte soabzuändern, daß sie mit ihren launischen Einfällen über-einstimmt.

Page 159: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Jahresfeier

Die Vorbereitungen zur jährlichen Feier waren abge-schlossen.

Dieses Mal war Moores Haus an der Reihe, undMrs. Moore hatte nachgegeben und war mit den Kin-dern für den Abend zu ihrer Mutter gegangen.

Warren Moore sah sich mit einem leichten Lächelnin dem Zimmer um. Zu Anfang war es nur wegen derBegeisterung von Mark Brandon weitergegangen,aber dann hatte er Gefallen an diesen harmlosen Ge-denktagen gefunden. Er nahm an, daß das mit demAlter gekommen war. Zwanzig Jahre waren vergan-gen. Er hatte einen Bauch bekommen, das Haar hattesich gelichtet. Die Backen waren schlaff, und was amschlimmsten war, er war sentimental geworden.

Und so waren die Polarisatoren aller Fenster ganzdunkel gestellt, und die Vorhänge waren zugezogen.Nur wenige Stellen der Wand waren angeleuchtet,zur Feier der erbärmlichen Beleuchtung und derschrecklichen Einsamkeit damals, als der Schiffbrucherfolgt war.

Auf dem Tisch lagen Raumschiffsrationen in Stan-gen und Tuben und in der Mitte stand natürlich eineungeöffnete Flasche mit dem leuchtendgrünen Jab-rawasser, dem starken Gebräu, das nur die chemischeAktivität der Pilze auf dem Mars erzeugen konnte.

Moore sah auf die Uhr. Brandon würde bald kom-men. Zu diesem festlichen Ereignis kam er nie zuspät. Ihn störte nur die Erinnerung an die StimmeBrandons, die so aus der Röhre getönt hatte: »Warren,heute habe ich eine Überraschung für dich. Wart's

Page 160: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

nur ab, du wirst schon sehen.«Moore kam es immer so vor, als ob Brandon kaum

älter würde. Der jüngere Mann war schlank gebliebenund kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag nahm ernoch immer intensiv alles auf, was ihm das Lebenbrachte. Er hatte sich die Fähigkeit bewahrt, über al-les Gute so in Erregung zu geraten, wie ihn alles Üblein tiefe Verzweiflung stürzte. Sein Haar ergrautelangsam, aber davon abgesehen brauchte Moorekaum die Augen zu schließen, wenn Brandon hinund her lief und mit lauter Stimme über dieses undjenes redete, um wieder den entsetzten jungen Mannim Wrack der Silver Queen vor sich zu sehen.

Der Türsummer ertönte, und Moore drückte aufden Öffner, ohne sich umzusehen. »Komm rein,Mark.«

Es antwortete jedoch eine fremde Stimme, leise undstockend: »Mr. Moore?«

Moore drehte sich rasch um. Klar war Brandon da,nur stand er grinsend im Hintergrund. Vor ihm standjemand anderer, kurz, breit, ziemlich kahlköpfig,nußbraun und nach Weltraum riechend.

Moore sagte fragend: »Mike Shea – Mike Shea,Himmel und Raum!«

Sie schüttelten sich lachend die Hände.Brandon sagte: »Er hat sich über das Büro mit mir

in Verbindung gesetzt. Ihm fiel ein, daß ich bei Ato-mic Products bin ...«

»Es ist Jahre her«, sagte Moore. »Moment mal, Siewaren vor zwölf Jahren auf der Erde ...«

»Er ist nie zu einer Jahresfeier hier gewesen«, sagteBrandon. »Wie findest du das? Jetzt zieht er sich zu-rück. Läßt den Raum sein und geht auf ein Grund-

Page 161: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

stück, das er sich in Arizona kauft. Er wollte gutenTag sagen, bevor er fährt – kam nur deshalb in dieStadt, und ich dachte schon, er kommt wegen derJahresfeier. ›Was für eine Jahresfeier?‹ sagte der alteKnilch.«

Shea nickte und grinste. »Er sagt, Sie haben jedesJahr so eine Art Feier gemacht.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, sagte Brandonbegeistert. »Und das wird, wo wir alle drei hier sind,das erste richtige Jubiläum. Zwanzig Jahre ist es her,Mike. Zwanzig Jahre, seit Warren über das kletterte,was vom Wrack noch übrig war und uns zur Vestahinunterbrachte.«

Shea sah sich um. »Raumration, was? Da kommeich mir ja gleich wie zu Hause vor. Und Jabra. Klar,jetzt fällt es mir wieder ein. Zwanzig Jahre. Ich ver-schwende nie auch nur einen Gedanken daran, undjetzt kommt es mir plötzlich vor, als war's gestern.Erinnern Sie sich, wie wir schließlich zur Erde zu-rückkamen?«

»Und ob ich mich erinnere!« rief Brandon. »DieUmzüge, die Reden. Warren war bei der ganzen Sa-che der einzige wirkliche Held gewesen, und wirsagten das immerzu, und niemand hörte darauf. Er-innert ihr euch?«

»Ach was«, sagte Moore. »Wir waren die drei er-sten Menschen, die je ein Raumschiffsunglück über-lebt hatten. Wir waren etwas Besonderes, und allesBesondere ist eine Feier wert. Da ist mit Vernunftnichts zu machen.«

»He«, sagte Shea, »erinnert sich einer von euchnoch an die Schlager, die geschrieben wurden? Diesereine Marsch? ›Wir singen von den Bahnen durch den

Page 162: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Weltraum, vom schweren, irren Flug, der wie einAlptraum ...‹«

Brandon fiel mit seinem hellen Tenor ein, undselbst Moore sang den Refrain mit, so daß die letzteZeile so laut wurde, daß sogar die Vorhänge wackel-ten. »Auf dem Wrack der Silver Que-e-en«, brüllten siehinaus und brachen in heftiges Lachen aus.

Brandon sagte: »Los, machen wir die Jabraflaschefür den ersten kleinen Schluck auf. Diese eine Flaschemuß die ganze Nacht reichen.«

Moore sagte: »Mark besteht darauf, daß alles ganzecht ist. Ich wundere mich, daß er von mir nicht er-wartet, daß ich zum Fenster hinausklettere und umdas Gebäude herumfliege.«

»Also, das nenne ich einen Einfall«, sagte Brandon.»Erinnert ihr euch an unseren letzten Trink-

spruch?« Shea hob sein leeres Glas in die Höhe undstimmte an: »Meine Herren, auf den Jahresvorrat vongutem, altem Wasser, das wir mal hatten. Bei der Lan-dung kamen drei Besoffene an. Na ja, wir waren jung.Ich war dreißig und kam mir alt vor. Und jetzt«, sagteer plötzlich wehmütig, »hat man mich pensioniert.«

»Trinken Sie!« sagte Brandon. »Heute sind Sie wie-der dreißig, und wir begehen den Tag auf der SilverQueen, wenn es auch sonst niemand tut. Wankelmü-tiges Publikum.«

Moore lachte. »Was erwartest du denn? Jedes Jahreinen Nationalfeiertag mit Raumration und Jabra alsFestessen?«

»Hör mal, wir sind immer noch die einzigen Men-schen, die ein Raumschiffsunglück überlebt haben,und was sind wir jetzt? Wir sind in Vergessenheit ge-raten.«

Page 163: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Eine ziemlich gute Vergessenheit. Uns ging's vonAnfang an gut, und die Tatsache, daß wir so bekanntwaren, hat uns bei unserem Aufstieg kräftig geholfen.Uns geht's gut, Mark. Und mit Mike Shea wäre esauch so, wenn er nicht in den Raum zurück gewollthätte.«

Shea grinste und zuckte mit der Achsel. »Dort ge-fällt's mir eben. Ich bereu's auch nicht. Und mit derVersicherungssumme, die ich gekriegt hab, da habich ein hübsches Stück Geld, mit dem ich mich zurRuhe setzen kann.«

Brandon sagte nachdenklich: »Das Wrack hat dieTransraum Versicherung einen schönen Batzen Geldgekostet. Trotzdem geht mir etwas ab. Wenn manheutzutage zu jemand Silver Queen sagt, dann fälltdem nur Quentin ein, wenn ihm überhaupt jemandeinfällt.«

»Wer?« fragte Shea.»Quentin. Dr. Horace Quentin. Er gehörte zu denen

auf dem Schiff, die nicht überlebten. Und wenn mansagt: ›Was ist mit den drei Männern, die überlebten?‹,dann wird man nur angestarrt. ›Was?‹ heißt es dann.«

Moore sagte ruhig: »Komm, Mark, finde dich damitab. Dr. Quentin war einer der größten Wissenschaft-ler der Welt, und wir drei gehören eben zu den Nul-len.«

»Wir haben überlebt. Wir sind immer noch die dreieinzigen in der Geschichte, die überlebt haben.«

»Na und? Hör mal, John Hester war auf dem Schiff,und er war ebenfalls ein bedeutender Wissenschaft-ler. Er war nicht vom Kaliber Quentins, aber dochbedeutend. Beim letzten Abendessen, bevor uns derSteinbrocken traf, saß ich sogar neben ihm. Und weil

Page 164: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

eben Quentin im selben Wrack umkam, nahm nie-mand Notiz vom Tod Hesters. Niemand erinnert sich,daß Hester auf der Silver Queen starb. Man denkt nuran Quentin. Uns hat man auch vergessen, aber wir le-ben wenigstens noch.«

»Ich sag dir mal was«, sagte Brandon nach einemSchweigen, wobei Moores vernünftige Erklärung of-fenkundig wirkungslos geblieben war, »wir sitzenwieder allein da. Heute vor zwanzig Jahren warenwir allein vor Vesta. Heute sind wir allein der Ver-gessenheit anheim gegeben. Aber jetzt sind wir dreiendlich wieder vereint, und was sich einmal zugetra-gen hat, kann wieder geschehen. Vor zwanzig Jahrenhat uns Warren zur Vesta gebracht. Machen wir unsalso jetzt an die Lösung dieses neuen Problems.«

»Du meinst, der Vergessenheit zu entrinnen?«sagte Moore. »Berühmt werden?«

»Klar. Warum nicht? Kannst du dir was Besseres aus-denken, um einen zwanzigsten Jahrestag zu begehen?«

»Nein, aber mich würde interessieren, wovon dudabei ausgehen willst. Ich glaube kaum, daß dieLeute überhaupt noch an die Silver Queen denken, essei denn im Zusammenhang mit Quentin, du mußtdir also etwas einfallen lassen, wie du den Leuten dasWrack wieder ins Gedächtnis rufen willst. Damitfängt's überhaupt erst an.«

Shea wurde unruhig, und sein offenes Gesichtwurde nachdenklich. »Einige Leute denken noch andie Silver Queen. Zum Beispiel die Versicherungsge-sellschaft, und es ist komisch, wissen Sie, daß Sie da-von reden. Ich war vor ungefähr zehn oder elf Jahrenauf Vesta und fragte, ob der Wrackteil, den wir run-tergebracht haben, noch da war, und man sagte, klar,

Page 165: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

wer soll den schon wegschaffen? Ich dachte also, ichschau ihn mir mal an und schoß mit einem Rück-stoßmotor rüber, den ich mir an den Rücken ge-schnallt hatte. Wissen Sie, bei der Schwerkraft derVesta genügt so ein Rückstoßmotor. Auf jeden Fallkonnte ich ihn aber nur aus der Ferne sehen. Er wardurch ein Kraftfeld abgeschirmt.«

Brandon riß die Augenbrauen himmelweit in dieHöhe. »Unsere Silver Queen? Aus welchem Grund?«

»Ich flog zurück und fragte, wie das kommt? Mansagte es mir nicht und sagte, man hat nicht gewußt,daß ich hin bin. Man sagte, er gehört der Versiche-rungsgesellschaft.«

Moore nickte. »Klar. Die übernahmen ihn, als siegezahlt hatten. Ich habe eine Verzichterklärung un-terschrieben und gab all meine Bergungsrechte auf,als ich den Scheck für die Abfindung entgegennahm.Ich bin mir sicher, das haben Sie auch getan.«

Brandon sagte: »Aber warum das Kraftfeld? War-um die Geheimhaltung?«

»Weiß ich nicht.«»Das Wrack ist nicht mal als Altmetall etwas wert.

Der Transport käme zu teuer.«Shea sagte: »Stimmt. Trotzdem komisch. Man holte

nämlich Stücke aus dem Raum zurück. Da lag einganzer Haufen dort. Ich konnte ihn sehen, und er sahnach Gerümpel aus, verbogene Rahmenteile, Sie wis-sen schon. Ich fragte nach, und es hieß, es landendauernd Schiffe, die noch mehr Schrott ausladen, unddie Versicherungsgesellschaft bezahlte einen festenPreis für jedes Stück von der Silver Queen, das zu-rückgebracht wurde. Die Schiffe, die in der Nähe derVesta waren, schauten also immer nach. Und dann,

Page 166: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

auf meiner letzten Fahrt dorthin, sah ich wieder nachder Silver Queen, und der Haufen war um einigesgrößer.«

»Das heißt, die suchen immer noch?« BrandonsAugen glitzerten.

»Ich weiß nicht. Vielleicht haben sie aufgehört.Aber der Haufen war größer, als er vor zehn oder elfJahren war, also haben sie damals noch gesucht.«

Brandon lehnte sich in seinen Stuhl zurück undlegte die Beine übereinander. »Also das ist ja wirklichkomisch. Eine hartgesottene Versicherungsgesell-schaft gibt eine Menge Geld aus, sucht den Raum inder Nähe der Vesta ab, versucht, Stücke eines zwan-zig Jahre alten Wracks aufzutreiben.«

»Vielleicht versuchen die zu beweisen, daß es Sa-botage war«, sagte Moore.

»Nach zwanzig Jahren? Die kriegen ihr Geld nichtzurück, selbst wenn es ihnen gelingt. Die Sache istverjährt.«

»Die haben möglicherweise vor Jahren mit der Su-che aufgehört.«

Brandon stand entschlossen auf. »Fragen wir mal.An der Sache ist etwas faul, und ich habe genug Jabrain mir und bin so aufgelegt, daß ich es wissen möch-te.«

»Klar«, sagte Shea, »aber wen sollen wir fragen?«»Fragen wir Multivac«, sagte Brandon.Shea riß die Augen weit auf. »Multivac! Sagen Sie,

Mr. Moore, haben Sie hier einen Multivac-Anschluß?«»Ja.«»Ich hab nie einen gesehen und wollte das immer

mal.«»Da gibt's nichts zu sehen, Mike. Sieht einfach aus

Page 167: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

wie eine Schreibmaschine. Sie dürfen einen Multivac-Anschluß nicht mit dem Multivac selbst verwechseln.Ich kenne niemand, der Multivac gesehen hat.«

Moore mußte bei dem Gedanken lächeln. Er be-zweifelte, daß er in seinem Leben je einen der weni-gen Techniker treffen würde, der fast den ganzen Ar-beitstag an einer verborgenen Stelle im Bauch der Er-de zubrachte, wo er sich um einen kilometerlangenSupercomputer kümmerte, der alles enthielt, was derMensch wußte, der die menschliche Wirtschaft führ-te, die Forschung lenkte, den Menschen bei politi-schen Entscheidungen half und noch Millionen vonSchaltkreisen übrig hatte, um persönliche Fragen zubeantworten, die die Privatsphäre nicht verletzten.

Brandon sagte, als sie die automatische Treppe inden ersten Stock hinauffuhren: »Ich habe mir über-legt, ob ich einen kleinen Multivac-Anschluß für dieKinder einbauen lasse. Hausaufgaben und so was, duweißt schon. Ich möchte es aber nicht nur zum Spaßmachen; es soll nicht bloß eine teure Krücke für siesein. Wie machst du es, Warren?«

Moore sagte kurz und bündig: »Sie zeigen mir zu-erst die Fragen. Wenn ich sie nicht zulasse, kriegt sieMultivac nicht zu sehen.

Der Multivac-Anschluß war tatsächlich eine einfa-che Schreibmaschine mit etwas drum und dran.

Moore stellte die Koordinaten ein, die ihn an seinenTeil des weltweiten Netzes von Stromkreisen an-schlossen und sagte: »Jetzt hört mal, ich möchte fest-stellen, daß ich dagegen bin und daß ich nur mitma-che, weil es die Jahresfeier ist und weil ich eselhaftgenug bin, neugierig zu sein. Wie soll ich jetzt dieFrage formulieren?«

Page 168: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Brandon sagte: »Frag einfach: Sucht die TransraumVersicherung in der Nähe der Vesta noch nach Teil-stücken des Wracks der Silver Queen? Da muß nurmit ja oder nein geantwortet werden.«

Moore zuckte mit den Schultern und tippte es,während Shea ehrfürchtig zusah.

Der Raummann sagte: »Wie kommt die Antwort?Gesprochen?«

Moore lachte. »Soviel Geld gebe ich nicht aus. Die-ses Modell druckt die Antwort auf einen Streifen, deraus diesem Schlitz dort kommt.«

Während er sprach, kam ein kurzer Streifen zumVorschein. Moore nahm ihn an sich, warf einen Blickdarauf und sagte: »Multivac sagt ja.«

»Ha!« rief Brandon. »Hab ich's euch nicht gesagt.Jetzt frag, warum.«

»Das ist doch blöd. So eine Frage ist doch offen-sichtlich eine Verletzung der Privatsphäre. Da kriegstdu nur das gelbe Geben-Sie-Ihren-Grund-an.«

»Frag und probier's mal. Die Suche nach den Stük-ken hat man nicht geheimgehalten. Vielleicht ist derGrund auch nicht geheim.«

Moore zuckte mit den Achseln. Er tippte: Warumverfolgt die Transraum Versicherung ihr Suchvorha-ben Silver Queen weiter, auf das sich die vorherge-hende Frage bezog?

Fast gleich darauf kam klickend ein gelber Streifenzum Vorschein: Geben Sie Ihren Grund für die ge-wünschte Auskunft an.

»Na gut«, sagte Brandon unerschrocken. »Sag ihm,wir sind die drei Überlebenden und haben ein Rechtdarauf, es zu wissen. Nur zu. Sag's ihm.«

Moore tippte das in Worten nieder, die völlig frei

Page 169: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

von Emotionen waren, und wieder kam ein gelberStreifen zum Vorschein: Ihre Begründung ist unzurei-chend. Auskunft kann nicht erteilt werden.

Brandon sagte: »Ich sehe nicht ein, warum die einRecht haben sollen, das geheimzuhalten.«

»Das entscheidet Multivac«, sagte Moore. »Er prüftdie angegebenen Gründe, und wenn er entscheidet,daß die Gesetze zum Schutz der Privatsphäre gegeneine Antwort sprechen, dann hat es sich damit. Selbstdie Regierung kann diese Gesetze nicht brechen, ohneeinen Gerichtsentscheid zu haben, und die Gerichteentscheiden vielleicht einmal in zehn Jahren gegenMultivac. Was willst du jetzt also tun?«

Brandon sprang auf die Füße und tat das, was sotypisch für ihn war: er lief hastig im Zimmer auf undab. »Na gut, dann müssen wir es selber herausbe-kommen. Es ist irgend etwas Wichtiges, weswegensie sich all die Mühe machen. Wir sind einer Mei-nung, daß sie nicht versuchen, Beweise für Sabotagezu finden, nach zwanzig Jahren nicht mehr. Aber dieTransraum muß nach irgend etwas suchen, das sowertvoll ist, daß die Suche sich lohnt. Was könntedenn so wertvoll sein?«

»Mark, du bist ein Träumer«, sagte Moore.Offensichtlich hörte ihn Brandon nicht. »Juwelen,

Geld oder Wertpapiere können es nicht sein. Davonkönnte gar nicht so viel da sein, um ihnen das Geldwiederzubringen, das sie die Suche schon gekostethat. Nicht einmal, wenn die Silver Queen aus puremGold wäre. Was könnte denn noch wertvoller sein?«

»Auf den Wert kannst du nicht kommen, Mark«,sagte Moore. »Ein Brief könnte als Altpapier einHundertstel Cent und einer Gesellschaft hundert

Page 170: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Millionen Dollar wert sein, je nach dem, was in demBrief steht.«

Brandon nickte heftig mit dem Kopf. »Dokumente.Wertvolle Papiere. Wer könnte auf dieser Reise amehesten Papiere bei sich gehabt haben, die Milliardenwert sind?«

»Wer kann das schon sagen?«»Und wie steht's mit Dr. Horace Quentin? Wie

wär's damit, Warren? Er ist der einzige, an den sichdie Leute noch erinnern, weil er ein so bedeutenderMann war. Wie steht's mit den Papieren, die er viel-leicht bei sich hatte? Vielleicht Einzelheiten einerneuen Entdeckung? Verdammt, wenn ich ihn auf derReise gesehen hätte, hätte er mir bei einer Unterhal-tung möglicherweise etwas gesagt, weißt du. Hast duihn je gesehen, Warren?«

»Nicht, daß ich mich erinnere. Eine Unterhaltungmit mir fällt also auch flach. Ich bin natürlich viel-leicht an ihm vorübergegangen, ohne es zu wissen.«

»Nein, das sind Sie nicht«, sagte Shea, der plötzlichnachdenklich wurde. »Ich glaube, mir fällt etwas ein.Es gab einen Passagier, der nie seine Kabine verließ.Der Steward sprach darüber. Er kam nicht mal zumEssen heraus.«

»Und das war Quentin?« sagte Brandon, blieb ste-hen und sah den Raummann eindringlich an.

»Könnte sein, Mr. Brandon. Er könnte es gewesensein. Ich glaube nicht, daß jemand gesagt hat, er wares. Ich erinnere mich nicht. Aber es muß ein Promi-nenter gewesen sein, weil man auf einem Raumschiffnicht jemand das Essen auf die Kabine bringt, es seidenn, er ist ein Prominenter.«

»Und auf der Reise war Quentin der Prominente«,

Page 171: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

sagte Brandon zufrieden. »Er hatte also etwas in sei-ner Kabine. Etwas sehr Wichtiges. Etwas, das er ver-steckt hielt.«

»Er war vielleicht nur raumkrank«, sagte Moore,»nur daß ...« Er runzelte die Stirn und verstummte.

»Nur zu«, sagte Brandon mit Nachdruck. »Fällt dirauch noch etwas ein?«

»Kann sein. Ich hab dir gesagt, ich saß beim letztenAbendessen neben Dr. Hester. Er sagte so etwas wie,er hoffe, Dr. Quentin auf der Reise zu treffen, habejedoch kein Glück dabei.«

»Klar«, rief Brandon, »weil Quentin nie aus seinerKabine kam.«

»Das hat er nicht gesagt. Wir redeten aber trotzdemweiter über Quentin. Was sagte er gleich?« Moorelegte die Hände an die Schläfen, als wolle er durchden Druck der Hände die Erinnerung an etwas, daszwanzig Jahre her war, aus sich herauspressen. »Dengenauen Wortlaut kann ich natürlich nicht sagen,aber es hatte damit zu tun, daß Quentin sich sehrtheatralisch aufführte oder dramatischen Auftrittenverfallen sei oder so etwas ähnliches, und man warauf dem Weg zu irgendeiner wissenschaftlichen Ta-gung auf Ganymed, und Quentin wollte nicht einmaldas Thema seines Vortrags angeben.«

»Das paßt alles zusammen.« Brandon lief wiederrasch auf und ab. »Er hatte etwas Neues, Großes ent-deckt und hielt das vollkommen geheim, weil er beider Tagung auf Ganymed die Katze aus dem Sacklassen wollte, um höchste dramatische Wirkung zuerzielen. Er verließ deshalb nicht seine Kabine, weil ervermutlich annahm, daß Hester ihn ausquetschenwürde, und ich möchte wetten, daß Hester das auch

Page 172: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

getan hätte. Und dann knallte das Schiff mit demSteinbrocken zusammen, und Quentin verlor sein Le-ben. Die Transraum Versicherung stellte Nachfor-schungen an, hörte gerüchteweise von seiner neuenEntdeckung und dachte sich, wenn sie die in ihreHände bekäme, könnte sie ihren Verlust wettmachenund noch eine ganze Menge dazuverdienen. Sie ha-ben sich also in den Besitz des Wracks gesetzt undsind seitdem auf der Jagd nach den Papieren vonQuentin.«

Moore lächelte. »Mark, das ist eine prächtige Theo-rie. Der ganze Abend lohnt sich allein deswegen. Wiedu da aus nichts etwas machst.«

»Ach, wirklich? Ich mache aus nichts etwas? Fra-gen wir noch mal Multivac. Ich übernehme die Mo-natsrechnung.«

»Ist schon in Ordnung. Aber wenn es dir nichtsausmacht, hole ich die Flasche Jabra herauf. Ich brau-che noch einen Schluck, um mit dir gleichzuziehen.«

»Ich auch«, sagte Shea.Brandon setzte sich an die Schreibmaschine. Seine

Finger zitterten vor Übereifer, als er tippte: Womit hatsich Dr. Horace Quentin in seinen letzten Untersu-chungen beschäftigt?

Moore war mit Flasche und Gläsern zurückgekehrt,als die Antwort kam, diesmal auf weißem Papier. DieAntwort war lang und klein gedruckt und bestandzum größten Teil aus Hinweisen auf wissenschaftli-che Abhandlungen, die vor zwanzig Jahren in Zeit-schriften erschienen waren.

Moore las alles durch. »Ich bin kein Physiker, abermir scheint, er interessierte sich für die Optik.«

Brandon schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das ist

Page 173: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

doch alles veröffentlicht. Wir wollen etwas, das ernoch nicht veröffentlicht hatte.«

»Darüber werden wir nie etwas herauskriegen.«»Der Versicherungsgesellschaft ist es aber gelun-

gen.«»Das ist nichts als deine Theorie.«Brandon massierte sich das Kinn. »Ich werde Mul-

tivac noch eine letzte Frage stellen.«Er setzte sich wieder hin und tippte: Bitte Namen

und Röhrennummer der noch lebenden Kollegen vonDr. Horace Quentin, die mit ihm an der Universitätzusammenarbeiteten, zu deren Lehrpersonal er ge-hörte.«

»Woher weißt du, daß er zum Lehrpersonal einerUniversität gehörte?« fragte Moore.

»Wenn das nicht der Fall war, wird Multivac unsdas mitteilen.«

Ein Streifen kam heraus. Auf ihm stand nur eineinziger Name.

Moore sagte: »Hast du vor, diesen Menschen anzu-rufen?«

»Aber klar doch«, sagte Brandon. »Otis Fitzsim-mons, mit einer Röhrennummer in Detroit. Warrendarf ich mal ...«

»Du bist herzlich eingeladen, Mark. Das gehörtnoch mit zu dem Spiel.«

Brandon stellte die Zahlenfolge auf der Tastaturvon Moores Apparat ein. Eine Frauenstimme ant-wortete. Brandon fragte nach Dr. Fitzsimmons undmußte ein wenig warten.

Dann sagte eine leise Stimme: »Hallo.« Sie klangalt.

Brandon sagte: »Dr. Fitzsimmons, ich bin von der

Page 174: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Transraum Versicherung, und ich rufe in der Sachedes verstorbenen Dr. Horace Quentin an ...«

»Um Himmels willen, Mark«, flüsterte Moore, aberBrandon hielt rasch abweisend die Hand hoch.

Es gab eine Pause, die so lang war, daß man schonfast an eine Unterbrechung der Verbindung glaubenkonnte, dann sagte die alte Stimme: »Nach all denJahren noch einmal?«

Brandon konnte ein triumphierendes Finger-schnippen nicht unterdrücken. Er sagte dann aberglatt und recht schlagfertig: »Herr Doktor, wir versu-chen noch immer herauszubekommen, ob Ihnenvielleicht nicht noch weitere Einzelheiten dazu einge-fallen sind, was Dr. Quentin möglicherweise auf sei-ner letzten Reise bei sich gehabt hat und was mit sei-ner letzten unveröffentlichten Entdeckung in Zu-sammenhang stand.«

»Nun ...«, hörte man mit einem ungeduldigenZungenschnalzen, »ich glaube, ich habe es Ihnenschon mitgeteilt. Ich möchte damit nicht wieder belä-stigt werden. Ich weiß nicht, ob es da überhaupt etwasgab. Der Mann machte Andeutungen, aber er machtedauernd Andeutungen über irgendeinen Apparatoder so was.«

»Über was für einen Apparat, Sir?«»Ich sage Ihnen doch, ich weiß es nicht. Er hat ein-

mal einen Namen gesagt, und ich habe Ihnen denmitgeteilt. Ich glaube nicht, daß er von Wichtigkeitist.«

»Wir haben diesen Namen nicht in unseren Unter-lagen, Sir.«

»Nun, das sollten Sie aber. Hm, wie war dochgleich der Name? Ein Optikon, das war's.«

Page 175: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Mit K?«»C oder K. Ich weiß es nicht, und mir ist es auch

gleich. Und bitte, ich möchte damit nicht wieder belä-stigt werden. Auf Wiederhören.« Bis zur Unterbre-chung der Verbindung hörte man ihn noch verdros-sen weitermurmeln.

Brandon war zufrieden.Moore sagte: »Mark, das war das Dümmste, was

du machen konntest. Über die Röhre eine falscheIdentität vorspiegeln, ist ungesetzlich. Wenn er dirSchwierigkeiten macht ...«

»Warum sollte er? Er hat es schon wieder verges-sen. Aber verstehst du denn nicht, Warren? DieTransraum hat ihn über die Sache ausgefragt. Er sagtemehrmals, daß er schon alles mitgeteilt hat.«

»Na gut. Aber du warst von selbst schon daraufgekommen. Was weißt du noch?«

»Wir wissen noch«, sagte Brandon, »daß QuentinsApparat Optikon genannt wurde.«

»Fitzsimmons schien das aber nicht genau zu wis-sen. Und da wir sowieso schon wissen, daß er sichgegen Ende seines Lebens mit der Optik befaßte,bringt uns ein Name wie Optikon auch nicht weiter.«

»Und die Transraum Versicherung sieht sich ent-weder nach dem Optikon um oder nach Papieren, diedamit zu tun haben. Vielleicht hatte Quentin die Ein-zelheiten im Kopf und hatte nur ein Modell des In-struments dabei. Schließlich sagt Shea, daß man Me-tallgegenstände zusammentrug. Stimmt doch?«

»Zu dem Haufen gehörte auch eine Menge Metall-zeug«, bekräftigte Shea.

»Das würden sie im Raum lassen, wenn die hinterPapieren her wären. Dahinter sind wir also her, hinter

Page 176: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

einem Instrument, das möglicherweise Optikonheißt.«

»Selbst wenn alle deine Theorien richtig sind,Mark, und wir ein Optikon suchen, so ist die Suchedoch jetzt völlig hoffnungslos«, erklärte Moore. »Ichbezweifle, daß mehr als zehn Prozent der Trümmer ineiner Umlaufbahn um Vesta geblieben sind. Die Ge-schwindigkeit, um von der Vesta wegzukommen, istpraktisch gleich Null. Ein glücklicher Stoß in einerglücklichen Richtung mit einer glücklichen Ge-schwindigkeit, das war's, was unseren Teil desWracks in eine Umlaufbahn brachte. Der Rest ist ver-schwunden, hat sich im ganzen Sonnensystem ausge-breitet, umkreist auf allen erdenklichen Bahnen dieSonne.«

»Man hat Stücke eingesammelt«, sagte Brandon.»Ja, die zehn Prozent davon, die in eine Umlauf-

bahn um Vesta gekommen waren. Mehr nicht.«Brandon gab nicht auf. Er sagte nachdenklich:

»Nehmen wir an, es war da, und man hat es nicht ge-funden. Sind sie vielleicht von jemand ausgestochenworden?«

Mike Shea lachte. »Wir waren doch mitten drin,und wir sind mit nichts als unserer heilen Haut ab-spaziert und waren noch froh drum. Wer soll dasdenn gewesen sein?«

»Stimmt«, pflichtete ihm Moore bei. »Und wenn esjemand anderer an sich genommen hat, warum hältman es dann geheim?«

»Vielleicht weiß man nicht, was man da hat.«»Wie sollen wir dann weiter ...« Moore unterbrach

sich und wandte sich an Shea: »Was haben Sie ge-sagt?«

Page 177: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Shea sah ihn verständnislos an. »Wer? Ich?«»Gerade eben, daß wir dort gewesen sind.« Moores

Augen verengten sich. Er schüttelte den Kopf, alswolle er ihn klar bekommen, dann flüsterte er: »Gro-ße Milchstraße!«

»Was ist los?« fragte Brandon gespannt. »Wasgibt's, Warren?«

»Ich bin mir nicht sicher. Du machst mich ganz ver-rückt mit deinen Theorien. So verrückt, daß ich an-fange, sie ernst zu nehmen, glaube ich. Weißt du, wirhaben Sachen aus dem Wrack mit uns genommen. Ichmeine, abgesehen von unseren Sachen und den per-sönlichen Dingen, die wir noch hatten. Oder ich zu-mindest habe etwas mitgenommen.«

»Was?«»Das war, als ich mich über die Außenseite des

Wrackteils vorarbeitete – im Raum, mir kommt vor,ich sei dort, so deutlich sehe ich es vor mir – ich habeein paar Sachen aufgehoben und sie in die Taschemeines Raumanzugs gesteckt. Ich weiß nicht, warum.Ich war wirklich nicht ganz bei mir. Ich tat es, ohnenachzudenken. Und dann hab ich sie aufgehoben. AlsAndenken. Ich nahm sie mit auf die Erde zurück.«

»Wo sind sie?«»Ich weiß nicht. Wißt ihr, wir sind nicht immer an

einem Ort geblieben.«»Du hast sie doch nicht weggeworfen?«»Nein, aber bei Umzügen geht so einiges verloren.«»Wenn du sie nicht weggeworfen hast, dann müs-

sen sie irgendwo hier im Haus sein.«»Wenn sie nicht verschwunden sind. Ich schwöre,

ich erinnere mich nicht, sie in den letzten fünfzehnJahren gesehen zu haben.«

Page 178: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Was waren das für Sachen?«Warren Moore sagte: »Eine war ein Füllfederhalter,

erinnere ich mich. Eine richtige Antiquität, die Sorte,die eine Tintensprühpatrone hatte. Aber was michwirklich schafft, ist die Tatsache, daß das andere Dingein kleiner Feldstecher war, kaum länger als fünfzehnZentimeter. Verstehst du, was ich meine? Ein Feldste-cher!«

»Ein Optikon«, rief Brandon. »Klar!«»Das ist einfach Zufall«, sagte Moore, der nüchtern

bleiben wollte. »Einfach ein merkwürdiger Zufall.«Aber Brandon wollte sich so nicht abspeisen lassen.

»Ein Zufall, Blödsinn! Die Transraum konnte dasOptikon in dem Wrack nicht finden und im Raumauch nicht, weil du es die ganze Zeit über hattest.«

»Du bist verrückt.«»Komm, wir müssen das Ding jetzt finden.«Moore atmete tief aus. »Schön, ich sehe nach, wenn

du das möchtest, aber ich bezweifle, daß ich es findenwerde. Okay, fangen wir mit dem Speicher an. Das istam vernünftigsten.«

Shea lachte in sich hinein. »Der vernünftigste Ort istmeistens der, wo am schwersten was zu finden ist.« Siegingen jedoch alle wieder zur automatischen Treppe,und dann stiegen sie die zusätzlichen Stufen hinauf.

Der Speicher roch muffig und unbenutzt. Mooreschaltete den Entstauber ein. »Ich glaube, wir habenhier seit zwei Jahren nicht mehr entstaubt. Das zeigteuch, wie oft ich hier heraufkomme. Also, schauenwir mal – wenn das Zeug überhaupt wo ist, dann beider Sammlung aus Junggesellentagen. Ich meine dasGerümpel, das ich seit meiner Zeit als Junggeselle

Page 179: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

aufbewahrt habe. Hier können wir anfangen.«Moore fing an, den Inhalt zusammenlegbarer

Kunststoffkoffer durchzuwühlen, während ihmBrandon aufgeregt über die Schulter sah.

Moore sagte: »Was sagst du jetzt? Mein Jahrbuchvom College. Damals hab ich mich mit Sonik be-schäftigt, hatte wirklich was los. Ich hab's geschafft,daß jedes Bild der Absolventen in diesem Buch eineStimmaufzeichnung enthält.« Er pochte verliebt aufden Bucheinband. »Ihr würdet schwören, daß danichts als die üblichen dreidimensionalen Photos zusehen ist, aber jedes einzelne hat ...«

Er bemerkte Brandons gerunzelte Stirn und sagte:»Okay, ich sehe weiter nach.«

Er ließ die zusammenlegbaren Koffer sein und öff-nete einen, der aus schwerem, altmodischem Kunst-holz gemacht war. Er sortierte den Inhalt der ver-schiedenen Fächer aus.

Brandon sagte: »He, ist das das Ding?«Er deutete auf eine kleine Walze, die mit einem

leichten Klicken auf den Boden hinunterrrollte.Moore sagte: »Ich weiß nicht – ja! Das ist der Füller.

Das ist er. Und hier ist der Feldstecher. Beide funk-tionieren natürlich nicht. Beide sind kaputt. Zumin-dest glaube ich, daß der Füller kaputt ist. Irgend et-was ist locker und klappert. Hört ihr's? Ich hab auchnicht die leiseste Ahnung, wie man ihn füllt, damitich ausprobieren könnte, ob er wirklich noch funktio-niert. Und schon seit Jahren werden keine Tinten-sprühpatronen mehr hergestellt.«

Brandon hielt ihn ans Licht. »Er hat Initialendrauf.«

»Ach? Daran erinnere ich mich gar nicht.«

Page 180: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Sie sind ziemlich abgewetzt. Sehen aus wie J.K.Q.«»Q?«»Genau. Und das ist ein ziemlich ungewöhnlicher

Anfangsbuchstabe für einen Familiennamen. DieserFüller kann Quentin gehört haben. Ein Erbstück, derals Talisman oder aus Sentimentalität behalten hat.Hat vielleicht in den Tagen, als man so etwas be-nutzte, einem Urgroßvater gehört. Einem Urgroßva-ter, der Jason Knight Quentin oder Judah Kent Quen-tin oder so ähnlich geheißen hat. Wir können überMultivac die Namen der Vorfahren von Quentinnachprüfen.«

Moore nickte. »Wir sollten das vielleicht tun. Siehstdu, jetzt hast du mich schon so verrückt gemacht, wiedu selber bist.«

»Und wenn das so ist, beweist das, daß du ihn inQuentins Zimmer an dich genommen hast. Und denFeldstecher hast du ebenfalls dort eingesteckt.«

»Einen Augenblick mal. Ich erinnere mich nicht,daß ich sie beide an derselben Stelle zu mir genom-men habe. Ich erinnere mich nicht so genau an dieKletterpartie über die Außenseite des Wracks.«

Brandon drehte den kleinen Feldstecher unter demLicht hin und her. »Hier sind keine Initialen.«

»Hast du welche erwartet?«»Ich sehe eigentlich überhaupt nichts, von dieser

engen Fuge hier abgesehen.« Er fuhr die dünne Ker-be, die am dickeren Ende um das Glas herumlief, miteinem Daumennagel nach. Er versuchte ohne Erfolgdaran zu drehen. »Aus einem Stück.« Er setzte es ansAuge. »Das Ding funktioniert nicht.«

»Ich hab dir doch gesagt, es ist kaputt. Keine Lin-sen ...«

Page 181: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Shea meldete sich zu Wort. »Man kann schon eini-gen Schaden erwarten, wenn ein Raumschiff mit ei-nem Riesenmeteor zusammenstößt und auseinander-bricht.«

»Wenn es das Ding also wirklich ist«, sagte Mooreund war wieder pessimistisch, »wenn das das Opti-kon ist, dann hilft es uns auch nichts.«

Er nahm Brandon den Feldstecher ab und betastetedie leeren Ränder. »Man kann nicht einmal sagen, wodie Linsen hingehörten. Ich kann keine Vertiefungfinden, in der sie vielleicht mal gesessen sind. Es istso, als hätte es da nie – he!« Er stieß die Silbe so aus,daß es wie eine Explosion klang.

»Was he?« sagte Brandon.»Der Name! Der Name von dem Ding!«»Du meinst Optikon?«»Optikon mein ich nicht! Wir dachten, Fitzsim-

mons sagte ›ein Optikon‹.«»Das hat er doch aber gesagt«, sagte Brandon.»Klar«, sagte Shea, »ich habe ihn gehört.«»Ihr habt nur geglaubt, daß ihr das gehört habt. Er

sagte ›Anoptikon‹. Versteht ihr? Nicht ›ein Optikon‹,zwei Worte, sondern ›Anoptikon‹ in einem Wort.«

»Und?« sagte Brandon verdutzt. »Was ist da derUnterschied?«

»Ein Riesenunterschied ist da! ›Ein Optikon‹ hießeein Instrument mit Linsen, aber ›Anoptikon‹, einWort, hat die griechische Vorsilbe ›an-‹, die ›un-,nicht-‹ bedeutet. Es kommt in Wörtern, die aus demGriechischen abgeleitet sind, vor. Anarchie heißt›keine Regierung‹, Anämie heißt ›kein Blut‹, anonymheißt ›kein Name‹ und Anoptikon heißt ...«

»Keine Linsen«, rief Brandon.

Page 182: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

»Genau! Quentin muß an einem optischen Instru-ment ohne Linsen gearbeitet haben, und das hierkann es sein und es ist möglicherweise gar nicht ka-putt.«

Shea sagte: »Aber man sieht nichts, wenn mandurchguckt.«

»Vielleicht ist es auf Null eingestellt«, sagte Moore.»Man muß es irgendwie einstellen können.« Er nahmes wie Brandon in beide Hände und versuchte es ander Stelle mit der durchlaufenden Kerbe zu drehen.Brummend versuchte er es mit mehr Kraft.

»Mach's nicht kaputt«, sagte Brandon.»Es bewegt sich. Entweder soll es so fest gehen

oder es ist eingerostet.« Er hörte auf und setzte dasInstrument wieder ans Auge. Er wirbelte herum,drehte den Polarisator eines Fensters auf und blickteauf die Lichter der Stadt hinaus.

»Der tiefste Raum soll mich ...«, brachte er heraus.Brandon sagte: »Was? Was?«Moore reichte Brandon wortlos das Instrument.

Brandon setzte es ans Augen und rief laut: »Es ist einFernrohr.«

Shea sagte sofort: »Lassen Sie mich mal sehen.«

Sie brachten fast eine ganze Stunde mit dem Gerät zu,verwandelten es durch Drehungen in einer Richtungin ein Fernrohr, durch entgegengesetzte Drehungenin ein Mikroskop.

»Wie funktioniert es?« fragte Brandon immer wie-der.

»Ich weiß nicht«, sagte Moore immer wieder.Schließlich sagte er: »Ich bin mir sicher, es arbeitet mitkonzentrierten Kraftfeldern. Wenn wir drehen, müs-

Page 183: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

sen wir beträchtlichen Feldwiderstand überwinden.Bei größeren Instrumenten wird man Hilfsmotorenfür die Einstellung brauchen.«

»Ein hübscher Kniff«, sagte Shea.»Und noch mehr als das«, sagte Moore. »Ich wette,

das gibt der theoretischen Physik eine völlig neueWendung. Es sammelt Licht ohne Linsen, und eskann eingestellt werden, mit immer größerem WinkelLicht zu sammeln, ohne daß dabei die Brennweiteverändert wird. Ich möchte wetten, wir könnten dasZwölf-Meter-Teleskop auf Ceres in einer Richtungund ein Elektronenmikroskop in der anderen nach-machen. Und außerdem sehe ich keine Abbildungs-fehler, keine Farbabweichungen; das Licht aller Wel-lenlängen muß also gleichmäßig gebrochen werden.Vielleicht bricht es auch Funkwellen und Gamma-strahlen. Vielleicht beugt es auch die Schwerkraft,wenn die Schwerkraft eine Art Strahlung sein sollte.Möglicherweise ...«

»Schaut dabei Geld heraus?« unterbrach ihn Sheatrocken.

»Eine ganze Menge, wenn jemand drauf kommt,wie es funktioniert.«

»Dann gehen wir damit nicht zur Transraum Versi-cherung. Zuerst gehen wir mal zu einem Rechtsan-walt. Haben wir mit unseren Bergungsrechten auchauf diese Sachen verzichtet oder nicht? Sie warenschon in deinem Besitz, bevor wir das Papier unter-zeichneten. Und gilt deshalb das Papier etwas, wennwir nicht wußten, worauf wir verzichteten? Vielleichtlegt man es als Betrug aus.«

»Eigentlich weiß ich nicht genau«, sagte Moore, »obeine private Gesellschaft so etwas überhaupt besitzen

Page 184: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

soll. Wir sollten uns mit einer Regierungsstelle in Ver-bindung setzen. Wenn Geld dabei herausschaut ...«

Brandon trommelte jedoch mit beiden Fäusten aufdie Knie. »Zum Teufel mit dem Geld, Warren. Ichmeine, ich nehme das Geld mit, das mir in den Schoßfällt, aber darum geht es doch gar nicht! Mensch, wirwerden berühmt sein, berühmt! Stell dir die Ge-schichte vor. Ein phantastischer Schatz im Raumverlorengegangen. Eine Riesengesellschaft durch-kämmt zwanzig Jahre lang den Raum, um ihn zu fin-den, und die ganze Zeit über haben wir, die Verges-senen, ihn in unserem Besitz. Und dann, am zwanzig-sten Jahrestag des damaligen Verlusts, finden wir ihnwieder. Wenn die Sache klappt, wenn die Anoptik ei-ne große neue wissenschaftliche Methode wird, dannwird man uns nie vergessen.«

Moore grinste und fing dann an zu lachen.»Stimmt. Du hast es geschafft, Mark. Du hast getan,was du dir vorgenommen hattest. Du hast uns davorgerettet, in der Vergessenheit unterzugehen.«

»Wir alle haben es geschafft«, sagte Brandon. »Mi-ke Shea hat uns mit den nötigen grundlegenden Ein-zelheiten auf die Spur gebracht. Ich hab die Theorieausgearbeitet, und du hast das Instrument gehabt.«

»Okay. Es ist spät, und meine Frau wird bald zu-rückkommen, lassen wir die Feier also weiter steigen.Multivac wird uns mitteilen, welche Stelle die richtigeist und wer ...«

»Nein, nein«, sagte Brandon. »Erst die Feierlichkeit.Bitte den Schlußtrinkspruch der Jahresfeier, und bittemit den richtigen Abänderungen. Würdest du unsnicht den Gefallen tun, Warren?« Er reichte ihm dieJabraflasche, die noch halb gefüllt war.

Page 185: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Behutsam schenkte Moore die kleinen Gläser genaurandvoll. »Meine Herren«, sagte er feierlich, »einTrinkspruch.« Die drei hoben einträchtig die Gläser.»Meine Herren, auf die Andenken an die SilverQueen, die wir mal hatten.«

ENDE

Page 186: Isaac Asimov x 4 - oompoop.de Isaac/Die_Verschwender_vom_Mars.pdfIsaac Asimov x 4 Isaac Asimov, SF-Autor und Biochemiker, ist durch seine SF-Romane, SF-Erzählungen und populärwis-senschaftliche

Als nächstes TERRA-Taschenbuch erscheint:

Der Zauberer von Linn

Invasion aus Weltraumtiefen – ein Mutantnimmt den Kampf mit den Fremden auf

Ein klassischer Science-Fiction-Romanvon A. E. van Vogt

Ein Mann allein gegen die Macht der Invasoren

Die Riss, unheimliche Monstren aus einer fernen Galaxis, sindauf dem Wege, die Erde zu zerstören. Viele Menschen wissendavon, doch sie unternehmen nichts gegen die tödliche Bedro-hung aus den Tiefen des Alls. Sie sind zu sehr damit beschäf-tigt, ihre internen Streitigkeiten auszutragen, oder Arenaspielevorzubereiten.

Nur Lord Clane von Linn, der Mutant, der auf wunderbareWeise dem Schicksal entging, als Mißgeburt getötet zu wer-den, sieht eine Möglichkeit, die drohende Invasion der Rissabzuwehren. Doch Clane kann nicht auf Hilfe durch seineMitmenschen rechnen. Er muß den gewaltigen Kampf alleinführen.

Dies ist der zweite Roman mit dem Mutanten Clane alsHauptfigur. Das erste, völlig in sich abgeschlossene Clane-Linn-Abenteuer erschien unter dem Titel DAS ERBE DESATOMS als Band 265 in der Reihe der TERRA-Taschenbücher.

TERRA-Taschenbuch Nr. 268 in Kürze überall im Zeitschrif-ten- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich. Preis DM 2,80.