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Irmgard Kampmann Meister Eckhart Brevier

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Page 1: Irmgard Kampmann Meister Eckhart Brevier

Irmgard Kampmann � Meister Eckhart Brevier

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Irmgard Kampmann

MeisterEckhartBrevier

Worte für jeden Tag

Kösel

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifi zierte Papier

EOS liefert Salzer Papier, St. Pölten, Austria.

Copyright © 2010 Kösel-Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Monika Neuser, MünchenDruck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice

Printed in Czech RepublicISBN 978-3-466-36897-6

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm fi nden Sie unter

www.koesel.de

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Inhalt

Januar 15

Februar 53

März 87

April 125

Mai 163

Juni 203

Juli 241

August 277

September 315

Oktober 351

November 387

Dezember 423

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Dem Leben Sinn verleihen

Wer heute nach einem vertieften Leben sucht, stößt ir-gendwann auf den Namen Meister Eckhart, und er er-fährt dann vielleicht, dass dieser Mystiker des Mittelal-ters aus der Einheit mit Gott heraus gesprochen habe. Einzelne Zitate aus Eckharts Predigten sind in der spiri-tuellen Literatur, auch in der zen-buddhistisch inspirier-ten, weit verbreitet. Erich Fromm, Dorothee Sölle, Wil-ligis Jäger und viele andere berufen sich auf ihn.Mein Interesse an Meister Eckhart wurde durch eine Wende in der Eckhartforschung geweckt, die Mitte der Siebzigerjahre von dem Philosophiehistoriker Kurt Flasch eingeleitet wurde. Das genaue Studium auch der lateini-schen Werke Eckharts brachte ans Licht, dass Eckhart selbst nie behauptet hatte, mystische Theologie zu betrei-ben. Er erklärte vielmehr, er habe in allen seinen Werken die Absicht, die Heilige Schrift und den christlichen Glauben mit den »natürlichen Gründen der Philoso-phen« auszulegen. Die Untersuchungen von Burkhard Mojsisch und anderen erbrachten den Nachweis, dass sich Eckharts Aussagen zur Einheit des Seelengrundes mit Gott auch anders deuten lassen denn als Ausdruck mystischer Erfahrung. Ihnen liegt eine Theorie der Ver-nunft zugrunde, die Eckhart mit der metaphorischen Sprache der Bibel zu einer neuen Interpretation des christlichen Glaubens verband. Meine fundamentaltheo-

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logische Arbeit zum Heilsverständnis Meister Eckharts, 1996 erschienen, wollte aufzeigen, welche Bedeutung Eckharts Entwurf für ein heutiges Nachdenken über zen-trale Glaubenssätze haben kann.Seit mehr als zwanzig Jahren lese ich mit Erwachsenen Texte Meister Eckharts. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Eckharts Philosophie zwar zunächst abstrakt und schwer verständlich wirkt, sich aber tatsächlich auch für Laien als Schlüssel zum Verständnis seiner Aussagen er-weist. Wer in Eckharts Worten nicht nur Anregung zum freien Assoziieren sucht, sondern nachvollziehen will, was er gedacht hat, um sich dann mit seinen Gedanken meditativ zu beschäftigen oder argumentierend ausein-anderzusetzen, kommt um eine theologisch-philosophi-sche »Lesehilfe« nicht herum.In meinen Lese- und Gesprächskreisen wurde ich darum gebeten, eine Ausgabe mit kurzen Texten Meister Eck-harts zu nennen, die zugleich Verständnishilfen und Im-pulse zum weiteren Nachdenken enthalte. Ein solches Buch möchte ich hier vorlegen. Es ist als »Brevier«, als geistlicher Jahresbegleiter, konzipiert. Statt 365 einzel-ne, aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissene Eckhart-Zitate zu präsentieren, stellt es für jeden Monat des Jahres zentrale Stellen aus Predigten, Traktaten und lateinischen Predigtskizzen vor. Wenn möglich, wird die Ordnung des Kirchenjahres beachtet, sodass etwa im Monat März Fastenpredigten, im Monat Dezember Pre-

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digten der Advents- und Weihnachtszeit vorgestellt werden. Die Reihenfolge der Gedanken im ursprüngli-chen Kontext bleibt erhalten. Jeder Abschnitt wird er-läutert, soweit es für das Verständnis nötig ist, und auf Lebenssituationen heute bezogen. Letzteres ist selbst-verständlich meinem subjektiven Zugang entsprungen und nur als Anregung für jede Leserin, jeden Leser zu verstehen, ihren und seinen eigenen Anknüpfungs-punkt an ein Wort Meister Eckharts zu fi nden.Ich habe den mittelhochdeutschen und den lateini-schen Text der wissenschaftlichen Ausgabe der Werke Meister Eckharts neu in heutiges Deutsch übertragen, denn die dort gebotene Übersetzung ahmt in Satzstel-lung und Wortwahl den mittelhochdeutschen oder la-teinischen Text nach, was das fl üssige Lesen, das Ver-stehen und Aufnehmen des Gesagten erschweren kann. Damit wissenschaftlich Interessierte meine Aus-wahl der Textabschnitte und meine Übersetzung am Wortlaut der wissenschaftlichen Ausgaben überprüfen können, ist jeweils nach einem Textzitat die Fundstel-le des Zitats angegeben. Die Predigten werden in der Fachliteratur meistens mit ihrem lateinischen Predigt-titel zitiert. Daher fi ndet sich im Anhang eine Aufl is-tung aller hier zitierten Predigten Eckharts mit ihrer Nummer in der Werkausgabe und ihrem lateinischen Predigttitel.

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Wer war Meister Eckhart?

Eckhart von Hochheim in Thüringen lehrte als Magis-ter der Theologie an der Universität zu Paris. Der Titel »Meister«, der heute oft mit seinem Namen verbunden wird, entstammt nicht der Verehrung eines Schülerkrei-ses, sondern ist die Eindeutschung seines akademischen Grades, der dem des Professors entspricht.Um 1260 geboren, tritt Eckhart früh in das Dominika-nerkloster in Erfurt ein und wird zum Studium der freien Künste an die Sorbonne nach Paris gesandt, wo um 1277 heftige Auseinandersetzungen stattfi nden. Er wird einer der berühmtesten Theologen seiner Generation und hat hohe Leitungsämter in seinem Orden inne, in deren Ausübung er durch ganz Europa reist. Längere Zeit sesshaft ist er in Erfurt, als Prior seines Heimatklos-ters und Vikar von Thüringen, im Straßburger Raum als Generalbevollmächtigter seines Ordens und als Theo-logieprofessor in Paris und Köln.Eckharts letzte Lebensjahre sind überschattet von einer Anklage wegen Häresie, die beim Erzbischof von Köln 1326 gegen ihn erhoben wird. Durch eine formale Un-terwerfung unter das Urteil des Papstes kann er den Hä-resievorwurf zunächst entkräften. Er erreicht auch eine Verlagerung des Prozesses über seine Lehre an den päpst-lichen Hof nach Avignon und reist mit einigen Ordens-brüdern dorthin. 1329, als Eckhart schon gestorben ist, erlässt Papst Johannes XXII. die Bulle »In agro domini-

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co«, in der 28 Sätze aus Eckharts Werken als häretisch oder übel klingend verdammt werden. Man warf Eck-hart vor allem vor, mit überspitzten Formulierungen die einfachen Leute zu verwirren, äußere Werte gering zu achten und den Unterschied zwischen der Gottessohn-schaft Jesu Christi und der Gotteskindschaft jedes Men-schen einzuebnen. Damit schien der berühmte Prediger die freigeistigen Gruppen zu stärken, die damals entlang des Rheins regen Zulauf fanden und der Kirche ihre un-verzichtbare Mittlerrolle zu Gott absprachen.

Warum ist Eckhart heute interessant?

◗ Er entmythologisiert die biblischen Texte (»Was oben war, wird innen«)

◗ Er untersucht ihre Bedeutung für das gläubige Indivi-duum (»Was bedeutet das für mich?«)

◗ Er versöhnt Glauben und Denken (»Grobsinnige müssen das glauben, Feinsinnige können das wis-sen«)

◗ Er ermutigt, statt auszugrenzen (»Jede/r kann diese Freude in sich fi nden«)

◗ Er verknüpft die christliche Glaubenslehre mit der Suche nach einem autonomen Leben (»Hier lebe ich aus meinem Eigenen«)

◗ Er lädt ein, Denken und Leben als offenen Prozess zu verstehen (»Ich habe damals gesagt ... Jetzt sage ich aber ...«)

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Eckhart verbindet philosophische Prägnanz des Denkens mit einer bewegenden bildreichen Sprache und ermutigt zu einem Leben in Gelassenheit, das unmittelbar aus dem göttlichen Leben hervorgeht und es im Denken und Handeln »zur Welt bringt«. Der Suche nach religiösen Erlebnissen stand er kritisch gegenüber. Seine Theologie wurde sowohl vom kirchlichen Lehramt als auch von mystischen Laienbewegungen des Spätmittelalters für ge-fährlich gehalten. Die kirchliche Hierarchie lehrte da-mals, dass kein Mensch gerettet werden könne, der sich ihr nicht unterwerfe. Es gab Gruppen, die sich von dieser Sicht frei gemacht hatten. Sie wurden blutig verfolgt.Auch der hochverdiente Ordenstheologe Eckhart, der seine Zuhörer über ihre Unmittelbarkeit zu Gott auf-klärte, wurde als Häretiker angeklagt. Manches aus dem Christentum, das er vertrat, ist noch heute dem Selbst-verständnis der Kirchenleitungen fremd. Seine Predig-ten sprechen umso mehr zu Menschen, die denkend und fragend unterwegs sind.Die Gedanken Meister Eckharts treffen keine Aussa-gen, die an objektiv feststellbaren Ereignissen in der Welt geprüft und als wahr oder falsch erwiesen werden könnten. Es sind Aussagen über den Sinn des Ganzen. Inwieweit sie selbst sinnvoll sind, zeigt sich daran, ob sie unserem Leben als Menschen in der Welt Sinn verlei-hen können. Dies zu bewerten bleibt jeder Leserin, je-dem Leser selbst überlassen.

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Ich danke Irmgard Trösken und Rose Kaufmann, die das Buch im Entstehen begleitet haben, herzlich für ihren Zuspruch, ihre hilfreichen Korrekturen und feinsinni-gen Bemerkungen.

Bochum, im Juni 2010Irmgard Kampmann

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DIE REDEN DER UNTERWEISUNG

In den Reden der Unterweisung fasst Eck-hart geistliche Tischgespräche zusammen, die er, etwa 35-jährig, als Prior des Erfurter Dominikanerklosters mit jungen Ordensbrüdern geführt hat. Herausgefordert durch die Fragen seiner Novizen gibt Eckhart Hilfen zur Lebensorientierung. Was er sagt, ist jedoch so grundle-gend, dass die Reden schon bald den Raum des Klosters verlassen haben und in Laienkreisen gelesen wurden.

Es geht um die Themen: sich lassen, das Gemüt auf Gott richten, Gott in allen Dingen und darin Frieden fi nden.

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Nimm dich selbst wahr. Und wo du dich fi ndest, da lass dich, das ist das Allerbeste. Du musst wissen, dass sich noch nie ein Mensch in diesem Leben so weitge-hend gelassen hat, dass er nicht gefunden hätte, er müs-se sich noch mehr lassen. Soweit du ausgehst aus allen Dingen, so weit geht Gott ein mit all dem Seinen. Da fi ndest du wahren Frieden und nirgends sonst. (vgl. EW  I, S. 340, 342)

Gelassenheit ist keine dauerhafte Errungenschaft, sondern ein Sich-

Lassen in konkreten Situationen, ein schöpferisches, immer wieder

neues Tun. Das »mich«, das ich lassen soll, ist das Ich in seiner

Begrenztheit, wie es sich gegen andere zur Geltung bringen will. Es

versteckt sich gern, auch im edlen Engagement.

Wenn ich mein Geltungsbedürfnis loslasse, verwandelt sich alles.

Raum entsteht für das Andere, das Gemeinsame, das unerwartet

Schöne.

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Bist du gerecht, dann sind auch deine Werke gerecht. Der Grund, an dem es liegt, dass des Menschen Sein und Grund, von dem des Menschen Werke ihre Gutheit beziehen, völlig gut sei, ist dies, dass das Gemüt des Menschen ganz Gott zugewendet sei. (vgl. EW II, S. 342, 344)

Gutes Handeln ist etwas, das aus einem guten Menschen kommt,

worin es auch immer besteht. Ich bin gut, sobald mein Gemüt

(mein Fühlen, Wollen, Gutheißen) gänzlich auf Gott ausgerichtet

ist, und das bedeutet für Eckhart: auf die Liebe, die immer größere

Wahrheit, die Gerechtigkeit, den Zusammenhang von allem.

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Mit wem es in Wahrheit recht steht, dem ist es an al-len Stätten und unter allen Menschen recht. Mit wem es aber unrecht steht, für den ist es an allen Stätten und unter allen Leuten unrecht. Mit wem es recht steht, der hat Gott in Wahrheit bei sich. Wer aber Gott recht in Wahrheit hat, der hat ihn an allen Stätten und auf der Straße und bei allen Leuten ebenso wie in der Kirche oder in der Einsamkeit oder in der Klosterzelle. (vgl. EW II, S. 344)

Unsere städtische Welt ist laut und voll, unsere Zeit ist getaktet.

Ich gehe verloren, wenn ich mich nicht manchmal zurückziehe.

Aber es ist nicht so, dass Gott nur in der Stille bei mir ist. Mitten

im Getriebe kann ich innehalten und die göttliche Liebe begrüßen,

die mit mir in diesem Getriebe ist.

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So wie Gott keine Mannigfaltigkeit zerstreuen kann, so kann auch diesen Menschen nichts zerstreuen noch vermannigfaltigen, denn er ist Eines in jenem Einen, in dem alle Mannigfaltigkeit eins und eine Nicht-Man-nigfaltigkeit ist. Der Mensch soll Gott nehmen in allen Dingen und soll sein Gemüt daran gewöhnen, dass er allzeit Gott gegenwärtig habe im Gemüt und im Stre-ben und in der Liebe. (vgl. EW II, S. 346)

Ich bin eins. Auch wenn ich verschiedene Rollen ausfülle und

manchmal nach innen, manchmal nach außen gewendet lebe,

auch wenn ich ständig im Fluss bin und Zeiten des Lachens und

Zeiten der Not durch mich hindurchgehen: Ich bin eins in der ei-

nen göttlichen Liebe.

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5.

Der Mensch soll sich nicht begnügen mit einem ge-dachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so ver-geht auch der Gott. Man soll vielmehr einen seienden Gott haben. Wer Gott so im Sein hat, der nimmt Gott göttlich, und dem leuchtet er in allen Dingen; denn alle Dinge schmecken ihm nach Gott und Gott baut sich ihm aus allen Dingen auf. In ihm glänzt Gott alle-zeit, in ihm vollzieht sich eine loslösende Abkehr und eine Einprägung seines geliebten, gegenwärtigen Got-tes. (vgl. EW II, S. 348)

Wenn ich »Gott« denke, über »Gott« spreche, wird Gott zu einer

festen Gestalt, die, um zu sein, an meine Vorstellung gebunden ist.

Die göttliche Liebe aber ist reiner Vollzug. Sie will im Sein gefunden

werden, das heißt in allem, was mir begegnet. In jedem Wesen,

jedem Ding schaut sie mich an, wenn ich es mit Liebe anschaue.

Aus allem, was mir begegnet und was ich so anschaue, bildet sich

für mich das Angesicht der göttlichen Liebe.

Göttliche Liebe leuchtet in mir. Was sich wichtig macht, blättert

ab. Was in mir dunkel ist, atmet auf.

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Dazu gehört Fleiß und Liebe und ein genaues Achten auf des Menschen Inneres und ein waches, vernünftiges, wirkliches Wissen darum, worauf das Gemüt gestellt ist mitten in den Dingen und unter den Leuten. Dies kann der Mensch nicht durch Fliehen lernen, indem er vor den Dingen fl üchtet und sich äußerlich in die Einsam-keit zurückzieht; er muss vielmehr eine innere Einsam-keit lernen, wo und bei wem er auch sei. Er muss lernen, die Dinge zu durchbrechen und seinen Gott darin zu nehmen und den kraftvoll in einer seinshaften Weise in sich hineinbilden zu können, sodass ihm sein Ge-genwärtigsein ohne alle Anstrengung leuchte, dass er überdies in allen Angelegenheiten integer und gegen-über den Dingen völlig frei bleibe. (vgl. EW II, S. 350, 352)

Jeden Tag kann ich darauf achten, worum es mir geht, wenn ich

mit anderen spreche, ob ich ihnen ebenso wie mir von ganzem

Herzen gerecht werden will. Jeden Tag kann ich üben, die einzel-

nen Dinge und Situationen in Zusammenhang mit dem Ganzen zu

sehen. Gott ist von dem, was ist, was mir heute begegnet, nicht zu

trennen. Wer Gott für mich ist, erwächst daraus, wie ich die Dinge

meines Lebens auf Gott beziehe. Auf diese Weise »bilde ich Gott

in mich hinein«, ein schöpferisches geistiges Tun, eine Kunst.

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7.

Wir sollen uns alle Dinge in hohem Maße zunutze ma-chen, es sei, was es sei, wo wir seien, was wir sehen oder hören mögen, wie fremd und andersartig es auch sei. Dann erst sind wir recht dran und nicht eher. Und nie soll der Mensch damit aufhören; vielmehr kann er darin ohne Unterlass wachsen und immer mehr gewinnen in einem wahren Zunehmen. (vgl. EW II, S. 352)

Da sich kein Augenblick wiederholt, lerne ich so jeden Tag Neues

und kann mein Leben lang geistig wachsen.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Irmgard Kampmann

Meister Eckhart BrevierWorte für jeden Tag

Gebundenes Buch, Leinen, 464 Seiten, 12,5 x 18,7 cmISBN: 978-3-466-36897-6

Kösel

Erscheinungstermin: Oktober 2010

Die Mystik Meister Eckharts hat über die Jahrhunderte nichts von ihrer Kraft und Faszinationverloren. Seine Predigten und Vorträge bergen eine Fülle alltagstauglicher Orientierungshilfen.Für jeden Tag des Jahres finden Sie einen Weisheiten-Schatz mit Erläuterungen zum heutigenVerständnis.