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12 Tages-Anzeiger – Samstag, 20. Juni 2015 Impact Journalism Day Hintergrund Um gegen illegale Abholzung im Amazonasgebiet vorzugehen, rüstet ein ge- meinnütziges Unternehmen die Bäume mit Handys aus. Astrid Christophersen Para, Brasilien Inmitten der Kakofonie von rascheln- dem Laub, schwirrenden Käfern, zetern- den Affen und krähenden Papageien hört man einen anderen, bedrohliche- ren Lärm – es ist ein aufheulender Motor und das Rumpeln von Lastwagenpneus, es ist der Lärm, der die Urwaldsinfonie bald zum Schweigen bringen könnte. In einer entfernten Ecke des Amazo- nas-Regenwalds ruhen die Hoffnungen eines Eingeborenenstamms auf einem Hightech-Gerät, das den Lärm von Last- wagen und Motorsägen und andere Ge- räusche, die auf illegale Abholzung hin- weisen, registriert – und das somit hilft, Leben und Lebensraum zu retten. Das Gerät wurde aus entsorgten Smartphones hergestellt und in den Baumkronen versteckt. Die Idee dazu hatte der Arzt Topher White (33), der zum Umweltschützer wurde. Sein in San Francisco beheimatetes gemeinnütziges Unternehmen Rainforest Connection hat sich mit dem Tembe-Stamm im bra- silianischen Bundesstaat Para am nörd- lichen Rand des Amazonas zusammen- getan. Es ist das gefährdetste Gebiet des weltgrössten Regenwalds. Schergen eindringender Farmer «Die Tembe glauben, dass sie gegen ihre Vernichtung ankämpfen, deshalb geht es hier um sehr viel», sagte White zu Be- ginn eines monatelangen Feldversuchs im Tembe-Reservat, wo die rund 1000 Stammesmitglieder in den letzten Mona- ten immer wieder von bewaffneten Schergen einer Gruppe eindringender Farmer bedroht wurden. «Misserfolg ist keine Option, auch nicht beim ersten Versuch.» Obwohl White von «einem groben Mobilnetzwerk» spricht – die Tembe verlassen sich auf selbst gebas- telte Antennen, um noch das schwächste Signal zu empfangen –, stimmten die ers- ten Versuche optimistisch. Wenige Stun- den nach seiner Installation registrierte eines der Geräte das Geräusch eines Fahrzeugs und löste einen Alarm auf Whites Handy aus. Wenn das Netzwerk von Alarmgerä- ten entlang der Grenzen des 6000 Qua- dratkilometer grossen Reservats einmal installiert und aktiviert ist, wird es, so hofft man, Alarmsignale in Echtzeit an die rund 30 Stammesmitglieder senden, die von den Tembe als Waldhüter be- stimmt wurden und die Eindringlinge vertreiben sollen. Das Fahrzeug, das den ersten Alarm im Feldtest auslöste, er- wies sich zwar als vorbeifahrendes Auto, nicht als Holzlastwagen, aber White war zufrieden: «Es ist gut, weil es zeigt, dass das System durchaus funktioniert.» Die Idee kam in den Ferien Die Idee hatte White 2011 während eines Ferienaufenthalts in Indonesien. Er leis- tete Freiwilligenarbeit in einem Schutz- gebiet für Gibbons, mittelgrosse Affen, die zu den gefährdetsten Primatengat- tungen gehören. Damit die Gibbons überhaupt eine Überlebenschance ha- ben, muss ihr schwindender Lebens- raum vor illegalem Abholzen geschützt werden. Aber wie soll man dies stoppen, wenn der Krach der Motorsägen im Dschungellärm untergeht? «Ich dachte mir, dass man versuchen müsste, die Motorsägen herauszuhören und zu eruieren, woher der Ton kommt», sagt White. «Wir hatten ziem- lich guten Mobilnetzempfang, und so machte ich mich daran, eine Lösung zu finden.» Das Gerät, das er schliesslich baute, sieht aus wie eine Blume: in der Mitte ein wetterfestes Smartphone, aus dem Solarpaneele wie Blütenblätter spriessen, um es zu laden. Wenn es am Baumstamm in etwa 35 Meter Höhe an- gebracht wird, kann das Smartphone Umgebungsgeräusche innerhalb eines Radius von rund 3 Kilometern registrie- ren und in eine Cloud schicken. Eine Software, die dafür programmiert wurde, das Geräusch von Motorsägen herauszuhören, alarmiert die Waldhü- ter, sobald das Geräusch auftritt. White ging 2013 nach Indonesien zu- rück, um seine Erfindung in einem ande- ren Gibbon-Reservat zu testen. Das Gerät funktionierte so gut, dass es innerhalb von 48 Stunden zur Verhaftung von ille- galen Abholzern führte. «Weil es ein ziemlich kleines Reservat ist, haben sie dort seither die Abholzer abhalten kön- nen. Wir haben jedenfalls keine weiteren illegalen Aktivitäten registriert. Für uns ist es ein fantastisches Erlebnis, aber na- türlich kann man es nicht als verlässliche Datenquelle nehmen.» In Kamerun hin- gegen muss Rainforest Connection noch- mals über die Bücher: Der dortige Ver- such, ein riesiges Forstgebiet zu überwa- chen, scheiterte wegen des ungenügen- den Empfangs für Mobilgeräte. Nun nimmt White einen zweiten Anlauf. Übersetzung: Rosemarie Graffagnini Rainforest Connection «Sparknews», Brasilien Der Regenwald am Telefon Schwindelfrei muss man sein: Ein Helfer von Rainforest Connection bringt den Smartphone-Alarm an. Foto: Rainforest Connection Haben die Ärmsten der Armen kein Recht auf medizinische Versorgung? Doch, fand Runa Khan – und machte sich ans Werk. Amitava Kar Dhaka Im Jahr 2002 erlebte Bangladesh einen Wendepunkt in der medizinischen Grundversorgung für die Ärmsten der Armen. Runa Khan baute ein Flussboot, mit dem Yves Marre 1994 von Frankreich nach Bangladesh gefahren war, zum ers- ten Schiffshospital des Landes um. Nie- mand hatte diesen Menschen bislang ge- holfen – selbst andere Hilfsorganisatio- nen ignorierten sie. Aber nicht Runa Khan: «Ich sah, wie eine Mutter ihr Kind in der Dunkelheit fütterte. Ich habe er- lebt, wie ein Baby mit Brandwunden drei Tage weinte, weil die Familie zur Linderung der Schmerzen nicht einmal Paracetamol kaufen konnte. Ich war so wütend über diese Ungerechtigkeit. Ich fand, dass ich etwas tun musste.» Doch bald hatte sie mehr Fragen als Antworten. Wo anfangen? Diese Leute besassen nichts und brauchten alles. Also schuf Runa Khan Arbeitsplätze, baute Schulen, sorgte für Trinkwasser, kümmerte sich nach Naturkatastrophen um die Menschen. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen ihrer Arbeit und anderen Entwicklungshilfeprojekten. «Wir arbeiten direkt mit den Menschen und den Geldgebern zusammen.» Sogar Operationen an Bord Inzwischen ist ihre Organisation Friend- ship auf den entlegensten und unzu- gänglichsten Flussinseln im Norden des Landes und im fernen Küstengürtel im Süden präsent. Runa Khans Organisa- tion verfügt nicht nur über eine Flotte von drei voll ausgestatteten Hospital- schiffen, auf denen sogar Operationen durchgeführt werden können, sondern auch über mehr als 25 weitere Boote und Flussambulanzen. Friendship hat ein mehrstufiges Gesundheitssystem entwickelt, von Helfern in den Gemein- schaften bis hin zu sekundären Inter- ventionszentren. Insgesamt sind es 556 Sanitäter, 550 Ambulanzen, die von 22 ansässigen Ärzten geleitet werden, dazu kommen mehr als 200 freiwillige Spezia- listen aus dem Ausland. Nach wie vor gibt es aber Hindernisse. Runa Khan sagt: «Ein grosses Problem war stets die Finanzierung. Aber das Allerschwie- rigste in meiner täglichen Arbeit ist im- mer wieder, dass ich entscheiden muss, wem ich helfe und wem nicht. Hilft man einem kleinen Jungen, der eine teure Herzoperation braucht, oder gibt man Hunderten ihr Augenlicht zurück? Oder hilft man Frauen, die Gebärmutterkrebs haben?» Aus diesem dauernden Di- lemma ergeben sich natürlich die ver- schiedensten ethischen Fragen, aber darüber denkt Runa Khan nicht lange nach. «Wenn man einfühlsam ist und Mitleid hat, wird einem das Herz schon sagen, wie man sich entscheiden soll.» Übersetzung: Matthias Fienbork Friendship «The Daily Star», Bangladesh Runa Khan und ihr schwimmendes Spital Runa Khan Die 57-Jährige hat im Jahr 2002 die Hilfsorganisation Friendship gegründet. Für ihr Engagement wurde sie unter anderem von der Schwab Foundation ausgezeichnet. Anzeige Der AXA-Forschungsfonds unterstützt 100 Wissenschaftler, die für eine bessere Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels forschen Umwelt, Gesundheit und sozioökonomische Risiken : 450 Forschungsprojekte in 32 Ländern. Risiken, die uns alle angehen - besserer Schutz durch Risikoforschung, unterstützt durch AXA Gallery.axa-research.org/environment @AXAResearchFund #axarf © Photononstop

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12Tages-Anzeiger Samstag, 20. Juni 2015Impact Journalism Day HintergrundUm gegen illegale Abholzung im Amazonasgebietvorzugehen, rstet ein ge-meinntziges Unternehmen die Bume mit Handys aus. Astrid Christophersen Para, BrasilienInmittenderKakofonievonrascheln-dem Laub, schwirrenden Kfern, zetern-denAffenundkrhendenPapageien hrtmaneinenanderen,bedrohliche-ren Lrm es ist ein aufheulender Motor und das Rumpeln von Lastwagenpneus, es ist der Lrm, der die Urwaldsinfonie bald zum Schweigen bringen knnte.In einer entfernten Ecke des Amazo-nas-RegenwaldsruhendieHoffnungen einesEingeborenenstammsaufeinem Hightech-Gert, das den Lrm von Last-wagen und Motorsgen und andere Ge-rusche, die auf illegale Abholzung hin-weisen, registriert und das somit hilft, Leben und Lebensraum zu retten. DasGertwurdeausentsorgten Smartphoneshergestelltundinden Baumkronenversteckt.DieIdeedazu hattederArztTopherWhite(33),der zum Umweltschtzer wurde. Sein in San Francisco beheimatetes gemeinntziges UnternehmenRainforestConnection hat sich mit dem Tembe-Stamm im bra-silianischen Bundesstaat Para am nrd-lichenRanddesAmazonaszusammen-getan. Es ist das gefhrdetste Gebiet des weltgrssten Regenwalds. Schergen eindringender FarmerDie Tembe glauben, dass sie gegen ihre Vernichtungankmpfen,deshalbgeht es hier um sehr viel, sagte White zu Be-ginneinesmonatelangenFeldversuchs imTembe-Reservat,wodierund1000 Stammesmitglieder in den letzten Mona-tenimmerwiedervonbewaffneten SchergeneinerGruppeeindringender Farmer bedroht wurden. Misserfolg ist keineOption,auchnichtbeimersten Versuch.ObwohlWhitevoneinem grobenMobilnetzwerksprichtdie Tembeverlassensichaufselbstgebas-telte Antennen, um noch das schwchste Signal zu empfangen , stimmten die ers-ten Versuche optimistisch. Wenige Stun-den nach seiner Installation registrierte einesderGertedasGeruscheines FahrzeugsundlsteeinenAlarmauf Whites Handy aus.WenndasNetzwerkvonAlarmger-ten entlang der Grenzen des 6000 Qua-dratkilometer grossen Reservats einmal installiertundaktiviertist,wirdes,so hofftman,AlarmsignaleinEchtzeitan die rund 30 Stammesmitglieder senden, dievondenTembealsWaldhterbe-stimmtwurdenunddieEindringlinge vertreiben sollen. Das Fahrzeug, das den erstenAlarmimFeldtestauslste,er-wies sich zwar als vorbeifahrendes Auto, nicht als Holzlastwagen, aber White war zufrieden: Es ist gut, weil es zeigt, dass das System durchaus funktioniert. Die Idee kam in den FerienDie Idee hatte White 2011 whrend eines Ferienaufenthalts in Indonesien. Er leis-tete Freiwilligenarbeit in einem Schutz-gebietfrGibbons,mittelgrosseAffen, diezudengefhrdetstenPrimatengat-tungengehren.DamitdieGibbons berhaupteineberlebenschanceha-ben,mussihrschwindenderLebens-raum vor illegalem Abholzen geschtzt werden. Aber wie soll man dies stoppen, wennderKrachderMotorsgenim Dschungellrm untergeht?Ich dachte mir, dass man versuchen msste, die Motorsgen herauszuhren undzueruieren,woherderTon kommt, sagt White. Wir hatten ziem-lichgutenMobilnetzempfang,undso machte ich mich daran, eine Lsung zu finden.DasGert,daserschliesslich baute, sieht aus wie eine Blume: in der Mitte ein wetterfestes Smartphone, aus demSolarpaneelewieBltenbltter spriessen, um es zu laden. Wenn es am Baumstamm in etwa 35 Meter Hhe an-gebrachtwird,kanndasSmartphone Umgebungsgeruscheinnerhalbeines Radius von rund 3 Kilometern registrie-renundineineCloudschicken.Eine Software,diedafrprogrammiert wurde,dasGeruschvonMotorsgen herauszuhren,alarmiertdieWaldh-ter, sobald das Gerusch auftritt.White ging 2013 nach Indonesien zu-rck, um seine Erfindung in einem ande-ren Gibbon-Reservat zu testen. Das Gert funktioniertesogut,dassesinnerhalb von 48 Stunden zur Verhaftung von ille-galenAbholzernfhrte.Weilesein ziemlichkleinesReservatist,habensie dortseitherdieAbholzerabhaltenkn-nen. Wir haben jedenfalls keine weiteren illegalenAktivittenregistriert.Fruns ist es ein fantastisches Erlebnis, aber na-trlich kann man es nicht als verlssliche Datenquelle nehmen. In Kamerun hin-gegen muss Rainforest Connection noch-malsberdieBcher:DerdortigeVer-such, ein riesiges Forstgebiet zu berwa-chen,scheitertewegendesungengen-denEmpfangsfrMobilgerte.Nun nimmt White einen zweiten Anlauf.bersetzung: Rosemarie GraffagniniRainforest Connection Sparknews, BrasilienDer Regenwald am TelefonSchwindelfrei muss man sein: Ein Helfer von Rainforest Connection bringt den Smartphone-Alarm an. Foto: Rainforest ConnectionHaben die rmsten der Armen kein Recht aufmedizinische Versorgung? Doch, fand Runa Khan und machte sich ans Werk. Amitava Kar DhakaIm Jahr 2002 erlebte Bangladesh einen Wendepunktindermedizinischen Grundversorgungfrdiermstender Armen. Runa Khan baute ein Flussboot, mit dem Yves Marre 1994 von Frankreich nach Bangladesh gefahren war, zum ers-ten Schiffshospital des Landes um. Nie-mand hatte diesen Menschen bislang ge-holfenselbstandereHilfsorganisatio-nenignoriertensie.AbernichtRuna Khan: Ich sah, wie eine Mutter ihr Kind in der Dunkelheit ftterte. Ich habe er-lebt,wieeinBabymitBrandwunden dreiTageweinte,weildieFamiliezur Linderung der Schmerzen nicht einmal Paracetamol kaufen konnte. Ich war so wtend ber diese Ungerechtigkeit. Ich fand, dass ich etwas tun musste.Doch bald hatte sie mehr Fragen als Antworten.Woanfangen?DieseLeute besassennichtsundbrauchtenalles. AlsoschufRunaKhanArbeitspltze, bauteSchulen,sorgtefrTrinkwasser, kmmerte sich nach Naturkatastrophen um die Menschen. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen ihrer Arbeit und anderenEntwicklungshilfeprojekten. Wir arbeiten direkt mit den Menschen und den Geldgebern zusammen.Sogar Operationen an BordInzwischen ist ihre Organisation Friend-shipaufdenentlegenstenundunzu-gnglichsten Flussinseln im Norden des LandesundimfernenKstengrtelim Sdenprsent.RunaKhansOrganisa-tionverfgtnichtnurbereineFlotte vondreivollausgestattetenHospital-schiffen,aufdenensogarOperationen durchgefhrt werden knnen, sondern auchbermehrals25weitereBoote undFlussambulanzen.Friendshiphat einmehrstufigesGesundheitssystem entwickelt, von Helfern in den Gemein-schaftenbishinzusekundrenInter-ventionszentren. Insgesamt sind es 556 Sanitter,550Ambulanzen,dievon22 ansssigen rzten geleitet werden, dazu kommen mehr als 200 freiwillige Spezia-listenausdemAusland.Nachwievor gibtesaberHindernisse.RunaKhan sagt: Ein grosses Problem war stets die Finanzierung.AberdasAllerschwie-rigste in meiner tglichen Arbeit ist im-mer wieder, dass ich entscheiden muss, wem ich helfe und wem nicht. Hilft man einemkleinenJungen,dereineteure Herzoperationbraucht,odergibtman Hunderten ihr Augenlicht zurck? Oder hilft man Frauen, die Gebrmutterkrebs haben?AusdiesemdauerndenDi-lemmaergebensichnatrlichdiever-schiedenstenethischenFragen,aber darberdenktRunaKhannichtlange nach.Wennmaneinfhlsamistund Mitleid hat, wird einem das Herz schon sagen, wie man sich entscheiden soll.bersetzung: Matthias FienborkFriendship The Daily Star, BangladeshRuna Khan und ihr schwimmendes Spital Runa KhanDie 57-Jhrige hat im Jahr 2002die Hilfsorganisation Friendship gegrndet.Fr ihr Engagement wurde sie unter anderem von der Schwab Foundation ausgezeichnet.AnzeigeDer AXA-Forschungsfonds untersttzt 100 Wissenschaftler, die fr eine bessere Bewltigung der Auswirkungen des Klimawandels forschenUmwelt, Gesundheit und soziokonomische Risiken : 450 Forschungsprojekte in 32 Lndern.Risiken, die uns alle angehen - besserer Schutz durch Risikoforschung, untersttzt durch AXAGallery.axa-research.org/environment@AXAResearchFund#axarf Photononstop