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ROBERT KOCH INSTITUT Statistisches Bundesamt Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 29 Hörstörungen und Tinnitus

Hörstörungen und Tinnitus - RKI

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Page 1: Hörstörungen und Tinnitus - RKI

© Robert Koch-Institut

ISBN 3-89606-165-8ISSN 1437-5478

Die Fähigkeit zu hören hat eine große Bedeutung für Kommu-nikation und Orientierung. Sowohl Schwerhörigkeit als auchTinnitus sind in Deutschland weit verbreitet. Rund 60 % derBevölkerung sind in ihrem Leben zumindest zeitweise davonbetroffen. Es gibt zudem Hinweise auf eine wachsende Verbrei-tung von Hörschäden. Die Ursachen und Formen der Hörbeeinträchtigung sindvielfältig. Den größten Anteil machen dabei Hörschäden durchLärm und Schwerhörigkeit im Alter aus. Bei frühkindlicherSchwerhörigkeit sind vor allem Früherkennung und Vermeidungvon Entwicklungsstörungen wichtig. Berufliche Lärmschwer-hörigkeit ist die häufigste Berufskrankheit, für die Präventionhaben konsequenter Arbeitsschutz und arbeitsmedizinischeVorsorge große Bedeutung. Die Belastung und Belästigung der Bevölkerung durch Umwelt-und Freizeitlärm hat in den vergangenen Jahrzehnten starkzugenommen. Sowohl Dauerlärmbelastung kann das Gehörschädigen als auch oft unterschätzte Knallereignisse, welche vorallem auch das kindliche Gehör sehr gefährden. Gehörschädi-gende Musikhörgewohnheiten sind vor allem bei Jugendlichen sehr verbreitet, von verschiedenen Seiten gibt es deshalb Bemühungen um verhaltensbeeinflussende Aufklärung undSchallpegelbegrenzungen. Männer bzw. Jungen sind aus verschiedenen Gründen häufigerals Frauen bzw. Mädchen von Schwerhörigkeit betroffen. Nebenstärkerer beruflicher Lärmexposition spielt dabei auch eine nochsehr verbreitete, zu wenig gesundheitsbewusste »männliche«Einstellung zum Lärm eine Rolle. Beeinträchtigende Ohrgeräusche (Tinnitus) kommen meist inleichteren Formen vor, bestehen aber nicht selten über einelange Zeit hinweg. Schwere Verläufe kommen verhältnismäßigselten vor, können aber zu schwerwiegenden Beeinträchtigun-gen und weit reichenden Folgeproblemen führen. Die Nutzung von Hörgeräten ist für viele von SchwerhörigkeitBetroffene sehr hilfreich, aber ein nicht geringer Teil derer, dieüber ein Hörgerät verfügen, nutzen es wenig oder nur teilweise.

R O B E R T K O C H I N S T I T U TStat is t isches Bundesamt

Gesundheitsberichterstattung des Bundes

Heft 29Hörstörungen und Tinnitus

Page 2: Hörstörungen und Tinnitus - RKI

Gesundheitsberichterstattung des BundesHeft 29

Hörstörungen und Tinnitus

Autoren und Autorin: Michael Streppel, Martin Walger, Hasso von Wedel,Elisabeth Gaber

Herausgeber: Robert Koch-Institut

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Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes(GBE) liefert daten- und indikatorengestützte Beschreibungen und Analysen zu allen Bereichendes Gesundheitswesens.

Als dynamisches und in ständiger Aktualisierungbegriffenes System bietet die Gesundheitsbericht-erstattung des Bundes die Informationen zu denThemenfeldern in Form sich ergänzender und auf-einander beziehender Produkte an:

Ω Themenhefte der Gesundheitsberichterstattungdes Bundes Ω In den Themenheften werden spezifische

Informationen zum Gesundheitszustand derBevölkerung und zum Gesundheitssystemhandlungsorientiert und übersichtlich prä-sentiert. Jedes Themenheft lässt sich einemder GBE-Themenfelder zuordnen; der innereAufbau folgt ebenfalls der Struktur der The-menfelder. Somit bieten die Themenfelder der GBE sowohl den Rahmen als auch die Gliederung für die Einzelhefte. Inhaltlich zusammengehörende Themen können ge-

Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 3

Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens

Gesundheits-probleme,

Krankheiten

Ausgaben, Kosten und

Finanzierung

Gesundheits-verhalten und -gefährdungen

Ressourcen derGesundheits-versorgung

Gesundheitliche Lage

Leistungen und Inanspruchnahme

Gesundheitsberichterstattung des Bundes

bündelt und gemeinsam herausgegeben werden. Die fortlaufende Erscheinungsweisegewährleistet Aktualität. Die Autorinnen und Autoren sind ausgewiesene Expertinnenund Experten aus dem jeweiligen Bereich.www.rki.de

Ω Informationssystem der Gesundheitsbericht-erstattung des BundesΩ Das Informationssystem der Gesundheits-

berichterstattung des Bundes liefert als On-line-Datenbank schnell, kompakt und trans-parent gesundheitsrelevante Informationenzu allen Themenfeldern der Gesundheits-berichterstattung. Die Informationen wer-den in Form von individuell gestaltbaren Tabellen, übersichtlichen Grafiken, verständ-lichen Texten und präzisen Definitionen be-reitgestellt und können heruntergeladenwerden. Das System wird ständig ausgebaut.Derzeit sind aktuelle Informationen ausüber 100 Datenquellen abrufbar. Zusätzlichkönnen über dieses System die GBE-The-menhefte und die Inhalte aus dem Gesund-heitsbericht für Deutschland (Hrsg. Statisti-sches Bundesamt, Stuttgart, 1998) abgerufenwerden.www.gbe-bund.de

Ω SchwerpunktberichteΩ In den Schwerpunktberichten werden spe-

zielle Themen der Gesundheit und des Ge-sundheitssystems detailliert und umfassendbeschrieben.

Die Aussagen der Gesundheitsberichterstattungdes Bundes beziehen sich auf die nationale,bundesweite Ebene und haben eine Referenz-funktion für die Gesundheitsberichterstattung derLänder. Auf diese Weise stellt die GBE des Bundeseine fachliche Grundlage für politische Entschei-dungen bereit und bietet allen Interessierten einedatengestützte Informationsgrundlage. Darüberhinaus dient sie der Erfolgskontrolle durchge-führter Maßnahmen und trägt zur Entwicklungund Evaluierung von Gesundheitszielen bei.

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Krankheiten des Nervensystems und

der Sinnesorgane

Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 294

Der Leser- und Nutzerkreis der GBE-Produk-te ist breit gefächert: Angesprochen sind Gesund-heitspolitikerinnen und -politiker, Expertinnenund Experten in wissenschaftlichen Forschungs-einrichtungen und die Fachöffentlichkeit. Zur Zielgruppe gehören auch Bürgerinnen und Bür-ger, Patientinnen und Patienten, Verbrauche-rinnen und Verbraucher und ihre jeweiligen Ver-bände.

Das vorliegende Heft 29 der Gesundheits-berichterstattung des Bundes »Hörstörungen undTinnitus« lässt sich folgendermaßen in das Ge-samtspektrum der Themenfelder einordnen:

Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens

Ausgaben, Kosten und

Finanzierung

Gesundheits-probleme,

Krankheiten

Gesundheits-verhalten und -gefährdungen

Ressourcen derGesundheits-versorgung

Gesundheitliche Lage

Leistungen und Inanspruchnahme

Hörstörungen und Tinnitus

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 5

Bislang sind folgende Themenhefte der GBE erschienen:Heft 1 »Schutzimpfungen«Heft 2 »Sterbebegleitung«Heft 3 »Gesundheitsprobleme bei Fernreisen«Heft 4 »Armut bei Kindern und Jugendlichen«Heft 5 »Medizinische Behandlungsfehler«Heft 6 »Lebensmittelbedingte Erkrankungen«Heft 7 »Chronische Schmerzen«Heft 8 »Nosokomiale Infektionen«Heft 9 »Inanspruchnahme alternativer Metho-

den in der Medizin«Heft 10 »Gesundheit im Alter«Heft 11 »Schuppenflechte«Heft 12 »Dekubitus«Heft 13 »Arbeitslosigkeit und Gesundheit«Heft 14 »Gesundheit alleinerziehender Mütter

und Väter«Heft 15 »Hepatitis C«Heft 16 »Übergewicht und Adipositas«Heft 17 »Organtransplantation und Organspende«Heft 18 »Neu und vermehrt auftretende Infek-

tionskrankheiten«Heft 19 »Heimtierhaltung – Chancen und Risiken

für die Gesundheit«Heft 20 »Ungewollte Kinderlosigkeit«Heft 21 »Angststörungen«Heft 22 »Hautkrebs«Heft 23 »Selbsthilfe im Gesundheitsbereich«Heft 24 »Diabetes mellitus«Heft 25 »BrustkrebsHeft 26 »Körperliche Aktivität«Heft 27 »Schlafstörungen«Heft 28 »Altersdemenz«

Schwerpunktbericht der GBEΩ Gesundheit von Kindern und JugendlichenΩ Gesundheit von Frauen und Männern im

mittleren LebensalterΩ Pflege

Adressen:

Robert Koch-InstitutGesundheitsberichterstattung

Postfach 65026113302 Berlin

Tel.: 018 88.754–34 00Fax: 018 88. 754–35 13

[email protected]

Statistisches BundesamtZweigstelle Bonn

Informations- und Dokumentationszentrum Gesundheitsdaten

Graurheindorfer Straße 19853117 Bonn

Tel.: 01888.644–8121Fax: 01888.644–[email protected]

www.gbe-bund.de

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 296

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 7

Einleitung

Das Hören ist besonders deshalb wichtig, weilSprache für die Kommunikation eine wesentlicheBedeutung hat. Beeinträchtigungen des Gehörsführen zu Defiziten in der Kommunikations-fähigkeit. Vor diesem Hintergrund haben Schwer-hörigkeit und beeinträchtigende Ohrgeräusche(Tinnitus) eine besondere Bedeutung.

Vor allem Kinder sind während ihrer Ent-wicklung von den Auswirkungen einer Schwer-hörigkeit betroffen. Die kindliche Hör- undSprachentwicklung ist in der Regel davon ab-hängig, wie das Gehör akustische Information empfängt und an die Gehirnzentren weiterleitet.

Über rein kommunikative Probleme hinauskann Schwerhörigkeit auch zu kognitiven Ver-arbeitungs- und Funktionsstörungen, sozialer Isolierung, reduziertem Selbstvertrauen, Verlustan individueller Unabhängigkeit und Depressio-nen führen und hat im Allgemeinen Einschrän-kungen im privaten und beruflichen Bereich miterheblichen Einbußen an Lebensqualität zur Folge.

Ähnliche Folgen können möglicherweiseauch beim Tinnitus auftreten. Im Vergleich zurSchwerhörigkeit treten beim Tinnitus jedoch häu-figer zusätzlich therapiebedürftige psychosomati-sche Störungen auf.

Sowohl Schwerhörigkeit als auch Tinnitussind in Deutschland weit verbreitet. Insbesondereauch Kinder und Jugendliche sind zunehmend be-troffen. Eine wesentliche Ursache dafür ist Lärm-belastung.

Überblick

Akustische Signale bestehen aus Schallwellen. DasAußenohr nimmt die Schallwellen auf. Diese versetzen das Trommelfell in Schwingungen, dievon den Gehörknöchelchen im Mittelohr zurSchnecke im Innenohr weitergeleitet werden.Dort werden durch Flüssigkeitswellen Nerven angeregt, die die Reize an das Gehirn weiterleiten.

Die Stärke von Schallwellen, d.h. der Schall-druckpegel wird in Dezibel (dB) gemessen bzw.angegeben. Eine Erhöhung um 20 dB bedeuteteine Verzehnfachung des Schalldrucks. Subjektivwerden Schallwellen mit gleichem Schalldruck beiunterschiedlicher Frequenz als unterschiedlichlaut empfunden.

Die Hörschwelle ist der Schalldruckpegel, dergerade noch wahrgenommen werden kann. DieHörschwelle ist frequenzabhängig, am empfind-lichsten ist das menschliche Ohr im Bereich von 2 kHz bis 5 kHz. Hörprüfungen können mittels Audiogramm erfolgen, bei welchem für jedes Ohrdie frequenzspezifischen Hörschwellen ermitteltwerden.

Die Begriffe Schwerhörigkeit und Tinnitus be-schreiben weiter zu differenzierende Symptome,hinter denen sich die unterschiedlichsten Erkran-kungsformen verbergen können, von denen diemeisten jedoch sehr selten sind. Die wichtigstenbzw. häufigsten Formen von Hörstörungen sind:

Ω die unterschiedlichen Formen der frühkind-lichen Schwerhörigkeit,

Ω die Hörschäden durch Lärmbelastung in Berufund Freizeit,

Ω die Schwerhörigkeit im Alter sowieΩ der Hörsturz.

Im Verlauf der Diagnostik ist es wichtig, zu unter-scheiden

Ω zwischen passagerer (vorübergehender) odertemporärer Schwerhörigkeit und permanenter(dauerhafter) Schwerhörigkeit,

Ω zwischen beidseitiger und einseitiger Schwer-hörigkeit und

Ω zwischen schallleitungsbedingter, innenohr-bedingter (d. h. sensorischer) und neural be-dingter Schwerhörigkeit.

Zusätzlich ist nach dem Ausmaß der Schwer-hörigkeit zu differenzieren. Dieses wird anhandder Hörschwelle auf dem besser hörenden Ohr in

Hörstörungen und Tinnitus

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 298

den Hauptsprachfrequenzen (0,5kHz bis 4kHz)in Anlehnung an den Vorschlag der europäischenExpertengruppe (EU Concerted Action on Geneticsof Hearing Impairements) eingeteilt in:

Ω geringgradige Schwerhörigkeit bei einer Hör-schwelle zwischen 20 dB und 40 dB,

Ω mittelgradige Schwerhörigkeit bei einer Hör-schwelle zwischen 40 dB und 70 dB,

Ω hochgradige Schwerhörigkeit bei einer Hör-schwelle zwischen 70 dB und 95 dB und

Ω Ertaubung (synonym Hörrestigkeit oder Rest-hörigkeit) bei einer Hörschwelle über 95 dB.

Sowohl Schwerhörigkeit als auch Tinnitus sind inDeutschland weit verbreitet. Circa 60 % der Be-völkerung sind zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens (zeitweise) davon betroffen. Den größtenAnteil machen Lärmschwerhörigkeit und Schwer-hörigkeit im Alter aus. Männer sind aus unter-schiedlichen Gründen häufiger als Frauen vonSchwerhörigkeit betroffen.

Die Zahl der von frühkindlicher Schwer-hörigkeit Betroffenen wird mit 30.000 angegeben.Die Schwerbehindertenstatistik zählt für 2001rund 256.000 Behinderte (113.00 Frauen und143.000 Männer) mit Taubheit oder Schwerhörig-keit als schwerster Behinderung mit einem Be-hinderungsgrad von mindestens 50%.

Von den befragten 18- bis 79-Jährigen im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 bezeichnetensich rund 8 % (6,4 % der Frauen und 9,7 % derMänner) als schwerhörig, von diesen besaßenrund 30% ein Hörgerät.

Frühkindliche Schwerhörigkeit

Einteilung, Ursachen/Risiken, Folgen

Ein intaktes Gehör hat im Kindesalter eine großeBedeutung für die Hör- und Sprachentwicklung.Ist diese durch Schwerhörigkeit beeinträchtigt, resultiert daraus im Allgemeinen eine einge-schränkte Kommunikationsfähigkeit mit Folgenfür die physische, psychische und soziale kindlicheEntwicklung.

Permanente Hörstörungen sind bei Kinderndie häufigste sensorische Schädigung.

Unterschiedliche Ursachen können zur Be-einträchtigung des frühkindlichen Gehörs führen.Eine medizinisch sinnvolle Einteilung unterschei-det zwischen erworbener, genetisch bedingter undunbekannt verursachter frühkindlicher Schwer-hörigkeit. Die erworbene Schwerhörigkeit wird zusätzlich in pränatal (also schon während derSchwangerschaft), perinatal (im Zeitraum um dieGeburt) und postnatal (nach der Geburt) erworbendifferenziert. Ein nicht geringer Teil der Hörstö-rungen zeigt sich erst nach der Neugeborenen-periode, auch kann es einen fortschreitenden (pro-gredienten) Verlauf von Hörstörungen geben. An dieser Stelle bleiben Kinder unberücksichtigt,die eine lärmbedingte Hörminderung haben (sie-he dazu Abschnitt »Hörschäden durch Lärm«).

Ursache pränatal erworbener Hörstörungenkönnen Infektionen der Mutter während derSchwangerschaft sein, neben Röteln spielt inzwi-schen besonders die Zytomegalie (CMV) eine Rol-le, zu nennen sind auch Toxoplasmose und Her-pes. Auch Infektionen mit Mumps, Masern undWindpocken in der Schwangerschaft können Ursache kindlicher Hörstörungen sein, diese Infektionen als Ursachen spielen aber hauptsäch-lich in der postnatalen Phase eine Rolle. Weiteremögliche Ursachen für erworbene kindliche Hör-störungen sind Medikamenteneinnahme oder

Abbildung 1Schwerbehinderte mit Taubheit bzw. Schwerhörigkeit alsschwerster Behinderung pro 100.000 der Bevölkerung 2001Quelle: Statistisches Bundesamt, Schwerbehindertenstatistik

0–14 15–44weiblich

45–64 65+

200

400

600

800

1.000

1.200

Anzahl Alter

Schwerhörigkeit Taubheit

0–14 15–44 45–64 65+

männlich

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toxische bzw. fruchtschädigende Substanzen in der Schwangerschaft, eine Alkoholembryopathiedurch starken Alkoholkonsum der Schwangeren,Sauerstoffmangel vor, während oder nach der Geburt, Mangel- und Fehlernährung in derSchwangerschaft, Verletzungen vor, bei und nachder Geburt, metabolische Störungen [1].

Perinatal erworbene Schwerhörigkeit wird inerster Linie durch Komplikationen bei Frühgebur-ten verursacht. Die häufigste Ursache für einepostnatal erworbene Hörstörung ist eine bakte-rielle Meningitis [2].

Genetisch bedingte Hörstörungen lassen sichin non-syndromale und syndromale unterteilen,bei letzteren bestehen zusätzlich zum Hörverlustweitere Anomalien [2]. Eine ausführlichere Dar-stellung findet sich in [3].

Wichtige Risikofaktoren bzw. Risikoindikato-ren für kindliche Hörstörungen sind in Anleh-nung an [1,4, 5] nachfolgend aufgeführt:

Ω Postnatal erforderliche intensivmedizinischeBehandlung

Ω Schädel- oder Gesichtsanomalien oder Anoma-lien im Zusammenhang mit Syndromen, dieeinen Hörverlust umfassen können

Ω Bekannte permanente kindliche Hörstörung inder Familie

Ω Prä-, peri- oder postnatale Infektion, die im Ver-dacht steht, Hörstörungen zu verursachen

Die einzelnen Risiken sind mit einer unterschied-lich hohen Wahrscheinlichkeit für eine Hörstö-rung verbunden. Bei einem großen Teil der vonkindlichen Hörstörungen Betroffenen konnten zudem keine (bekannten) Risikofaktoren festge-stellt werden.

Bei Kindern mit Risikofaktoren ist eine Beob-achtung der Hörfähigkeit über das Neugebore-nenalter hinaus wichtig.

Moderne Therapieverfahren erlauben bei be-stehender frühkindlicher Schwerhörigkeit eineweitgehende Rehabilitation mit nur geringen Einschränkungen in der Hör- und Sprachent-wicklung. Wesentlichste Voraussetzung zur Ein-leitung und Durchführung einer derartigen audi-tiven Rehabilitation ist eine frühzeitige Diagnoseder Hörstörung und eine entsprechende Therapie.Nur ein akustisch stimuliertes zentrales Hör-bahnsystem des schwerhörigen Kindes kann sich

im Rahmen der neuronalen Reifung normal ent-wickeln. Fehlt eine solche akustische Stimulationin den ersten Lebensjahren oder ist diese redu-ziert, können sich wichtige neuronale Netze undzentrale Synapsen (Nervenverbindungen) nur un-zureichend ausbilden. Diese akustischen Depriva-tionsfolgen sind trotz der enormen kindlichenneuronalen Plastizität irreversibel und können imweiteren Entwicklungsverlauf nicht oder nur teil-weise kompensiert werden.

Aus diesem Grund sind frühestmögliche Diagnose, Therapie und Rehabilitation von früh-kindlichen Hörstörungen besonders wichtig. Diesgilt insbesondere für mittel- und hochgradigschwerhörige Kinder, bei denen der akustische Input nur gering bzw. gar nicht vorhanden ist. Aberauch geringgradig und einseitig schwerhörige Kin-der können unter den Folgen ihrer häufig viel zuspät erkannten Hörbeeinträchtigung leiden. Hier-zu gehören Verzögerungen in der Sprachentwick-lung u.a. mit Ausbildung einer multiplen Dyslalie(Artikulationsstörung). Eine amerikanische Studieergab, dass geringgradig schwerhörige Schüler umeine mehrfaches öfter (als im regionalen Durch-schnitt) Schuljahre wiederholen mussten [6].

Verbreitung

Epidemiologie und Ätiologie (Ursachen) der früh-kindlichen Schwerhörigkeit waren häufig Themenwissenschaftlicher Untersuchungen (Übersicht in[7]). So kann es als gesichert angesehen werden,dass die Inzidenz (Häufigkeit neuer Fälle) derkindlichen Schwerhörigkeit sowohl geografischenals auch ethnischen Einflussfaktoren unterliegt.Das Ausmaß steht auch im Zusammenhang mitdem verfügbaren Standard der medizinischen Be-treuung.

Weltweit gesehen beträgt die Häufigkeit vonKindern mit dauerhafter Hörminderung zwischen90 und 1.300 pro 100.000 [8]. Die Häufigkeit kind-licher Hörstörungen für einen Hörverlust von min-destens 35 dB auf dem besser hörenden Ohr liegtweltweit zwischen 100 und 600 pro 100.000 [1].Generell scheint die Prävalenz in Ländern der Drit-ten Welt höher zu sein als in Industrieländern u.a.wegen häufigerer entzündlicher Innenohrschädi-gung und ototoxischer Einflüsse. Aber auch im Bereich der EU wurden Unterschiede gefunden.

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2910

Amerikanische Studien ergaben, dass auchdas soziale Umfeld während der frühkindlichenEntwicklung die Häufigkeit dieser Störung beein-flusst, wobei in sozial schwachen Gebieten diehöchsten Inzidenzen gefunden wurden.

Eine Erhebung 1992/93 im Kölner Raum, die sich auf die Einrichtungen für schwerhörigeKinder stützte, ergab eine Prävalenz von mittel-und hochgradiger frühkindlicher Schwerhörigkeiteinschließlich Ertaubung von ca. 43 pro 100.000Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 18 Jahren [9, 10]. Da in dieser Erhebung mehrfachbehinderte Kinder mit einer Schwerhörigkeit sowie geringgradige und einseitige Schwerhörig-keit nicht berücksichtigt wurden, muss die ge-samte Prävalenz kindlicher Schwerhörigkeiten in Deutschland höher geschätzt werden.

In den westlichen Industrienationen ist dieHäufigkeit permanenter kindlicher Hörstörungenauf ca. 100 bis 300 pro 100.000 Neugeborene ge-sunken [2]. Auf der Basis des Deutschen Zentral-registers für kindliche Hörstörungen (DZH) wirdfür Deutschland die Prävalenz kindlicher Hörstö-rungen mit mindestens 35dB Hörminderung auf120 pro 100.000 geschätzt und läge damit im un-teren Bereich [1, 2].

Geht man von einer Größenordnung von 100bis 300 pro 100.000 Neugeborenen aus, die einenbeidseitigen permanenten Hörverlust von min-destens 40dB haben, so ergäbe das für Deutsch-land pro Jahr bei derzeit rund 700.000 Neugebo-renen ungefähr 700 bis 2.100 Betroffene.

Legt man Prävalenzangaben aus anderen eu-ropäischen Ländern zugrunde, so wird geschätzt,dass in Deutschland derzeit zwischen 20.000 und35.000 Kinder und Jugendliche von einer Schwer-hörigkeit mit mindestens 40dB (auf dem besserenOhr ) betroffen sind. Die Anzahl der Kinder, derenKommunikationsfähigkeit durch Hörminderungeingeschränkt ist, wird als noch höher ein-geschätzt, da selbst bei einem Hörverlust von 25 dB über mehr als 3 Monate irreversible Schädenentstehen können [8].

Es gibt Hinweise darauf, dass Jungen vonfrühkindlichen Hörstörungen etwas häufiger be-troffen sind als Mädchen [8, 11].

Es wird heute allgemein geschätzt, dass etwaje ein Drittel der permanenten kindlichen Hörstö-rungen genetisch bedingt, erworben oder unklarerUrsache ist [2]. Abbildung 2 zeigt die Anteile der

Ursachen, wie sie sich aus den Daten der im DZHerfassten Fälle ergeben. Von den erworbenen kind-lichen Hörstörungen sind ungefähr je ein Drittelprä-, peri- bzw. postnatal erworben [1, 2].

Pränatal erworbene Hörstörungen durchRötelnembryopathie sind infolge von Impfpro-grammen auch in Deutschland zurückgegangen.Die konsequente Impfung hat in den letzten 10Jahren zur deutlichen Reduktion geführt. EineFortführung dieser Impfungen ist unbedingt emp-fehlenswert.

Durch die moderne Perinatalmedizin ist dieSterblichkeit von Frühgeborenen stark gesunkenund inzwischen ist auch für Kinder mit einem Ge-burtsgewicht von deutlich unter 1.000 Gramm dasÜberleben möglich. Frühgeborene zählen zu denRisikokindern, bei der Abschätzung der zu erwar-tenden Häufigkeit spielt auch die Geburtenent-wicklung insgesamt eine Rolle. In den 1990er Jahren ist in Deutschland der Anteil der Frühge-borenen unter 2.500g an den Lebendgeborenenvon 5,7% auf 6,5% gestiegen. Die Anzahl der Neu-geborenen in Deutschland ist in den letzten 12 Jah-ren von rund 800.000 auf rund 700.000 pro Jahrzurückgegangen.

Unter den genetisch bedingten Formen derSchwerhörigkeit ist die Zahl autosomal rezessivvererbter, familiärer Schwerhörigkeiten überpro-portional hoch. Studien ergaben, dass deren Ver-breitung bei den verschiedenen in Deutschland lebenden ethnischen Gruppen unterschiedlich ist [10].

Abbildung 2Anteile der unterschiedlichen Ursachen an den Fällen vonfrühkindlicher Schwerhörigkeit Quelle: Deutsches Zentralregister für kindliche Hörstörun-gen [8]

25 %genetisch

9% vermutlichgenetisch

18 %erworben3%

vermutlicherworben

45 %unbekannt

Page 11: Hörstörungen und Tinnitus - RKI

Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 11

Früherkennung, Screening

Für eine erfolgreiche apparative Therapie schwer-höriger oder ertaubter Kinder ist die frühzeitigeDiagnose und Therapie notwendige Vorausset-zung. Ein vollständiges, exaktes Hörscreening aller Säuglinge (ein so genanntes universelles Neu-geborenen-Hörscreening) existiert in Deutschlandderzeit (noch) nicht.

Die im Rahmen der gesetzlichen Früherken-nungsuntersuchungen U1 bis U9 durchgeführtegrobe Überprüfung des Hörvermögens ist zu problematisieren, da die verwendeten Untersu-chungsmethoden keine hohe Sensitivität besitzenund die Spezifität unzureichend ist. Deshalb wirdim Rahmen dieser Untersuchungen ein Großteilder Fälle frühkindlicher Schwerhörigkeit nicht erkannt. Von verschiedenen Seiten wird seit lan-gem darauf hingewiesen, dass kindliche Hörstö-rungen in Deutschland im Durchschnitt zu späterkannt werden.

Eine Studie 1998 ergab, dass zwar eine Ver-besserung der Früherkennung zwischen 1976 und

1988 zu verzeichnen war, danach aber die Zahlenauf hohem Niveau verblieben sind: Bis zur erstenVermutung einer Schwerhörigkeit vergingen 1996durchschnittlich 2 Jahre, zwischen Vermutungund endgültiger Diagnose lagen durchschnittlichrund 8 Monate und bis zur Hörgeräteversorgungdauerte es dann im Mittel noch einmal rund 5 Mo-nate [12].

Die häufig verzögerte Feststellung kindlicherSchwerhörigkeit belegen auch die Ergebnisse derEinschulungsuntersuchungen in Baden-Württem-berg (siehe Tabelle 1). Demnach war lediglich eingeringer Teil der bei der Einschulungsunter-suchung vermuteten kindlichen Schwerhörig-keiten in den entsprechenden Vorsorgeunterlagen(der U9) dokumentiert. Diese Diskrepanz zeigt,dass bei einem erheblichen Anteil der Kinder biszur Einschulung die frühkindliche Schwerhörig-keit nicht erkannt bzw. vermutet wird.

Anzumerken ist, dass sich bei den im Rah-men der Einschulungsuntersuchungen festge-stellten Hörstörungen die Anteile bei Mädchenund Jungen nicht wesentlich unterschieden.

Tabelle 1Hörstörungen bei Schulanfänger/innen in Baden-Württemberg (Hörverlust >30 dB zwischen 0,5 kHz und 6 kHz) Quelle: Sozialministerium Baden-Württemberg

Jahr der Untersuchung

Hörstörungen (in % der Untersuchten)

Hörstörungen (absolut)

davon in U9* dokumentiert(absolut)

davon in U9*dokumentiert (in % der Hörstörungen)

1991 3,9% 3.769 119 3,2%

1992 3,9% 4.080 139 3,4%

1993 3,9% 4.134 127 3,1%

1994 4,0% 4.206 137 3,3%

1995 4,1% 4.379 164 3,7%

1996 4,8% 5.187 100 1,9%

1997 4,8% 4.803 112 2,3%

1998 4,6% 5.032 105 2,1%

1999 4,4% 4.470 85 1,9%

2000 4,5% 4.447 44 1,0%

m: 4,5%, w: 4,4%

2001 5,2% 5.203 61 1,2%

m: 5,1%, w: 5,4%

2002 4,7% 4.864 65 1,3%

m: 4,6%, w: 4,8%

* U9: Gesetzliche Früherkennungsuntersuchung im 4. bis 5. Lebensjahr

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2912

Auch die Daten des Deutschen Zentralregis-ters für kindliche Hörstörungen zeigen, dass Diag-nostik und Therapie häufig erst relativ spät erfol-gen (siehe Abbildung 3). Insbesondere gering- undmittelgradige Schwerhörigkeit wird sehr spät er-kannt. Der Zeitpunkt der Hörgeräteversorgung geringgradig schwerhöriger Kinder lag durch-schnittlich erst im 7. Lebensjahr und damit häufigerst nach der Einschulung. Aber auch der Zeit-punkt der Diagnose und der Hörgeräteversorgungbei hochgradig schwerhörigen und resthörigenKindern ist unbefriedigend.

1998 wurde ein europäischer Konsens zumNeugeborenen-Hörscreening formuliert [13], deraufgrund der positiven Ergebnisse mehrerer Pilot-und Machbarkeitsstudien die Durchführung einesuniversellen Neugeborenen-Hörscreenings in denersten Lebenstagen empfahl.

Inzwischen wurde und wird in Deutschlandvon vielen Seiten ein solches Screening gefordertbzw. empfohlen. Der Sachverständigenrat für dieKonzertierte Aktion im Gesundheitswesen emp-fahl in seinem Gutachten 2000/2001 eine Über-prüfung neuer Screeningmethoden im Rahmender Neonatal-Untersuchungen, da kindliche Hör-störungen durch neuere technische Methoden offenbar sicherer und früher erkannt werden

als mit dem etablierten Ansatz in Form der Kin-deruntersuchungen nach §26 SGBV [14].

Ein vom Bundesministerium für Gesundheitund Soziale Sicherung und den Spitzenverbändender GKV in Auftrag gegebenes Modellprojekt imRaum Hannover, das 2000 begann, hat gezeigt,dass ein systematisches Screening auf persistie-rende, schwerwiegende Hörbehinderungen imNeugeborenenalter den Entdeckungs- und diag-nostischen Bestätigungszeitpunkt gegenüber derRoutineversorgung deutlich vorverlegen kann [15].Jedoch zeigte die Tatsache, dass zwischen Diag-nosestellung und Therapiebeginn weitere drei bisvier Monate lagen, einen Optimierungsbedarfselbst in Regionen mit gut ausgebauter therapeu-tischer Infrastrukrur.

Die Interdisziplinäre Konsensus-Konferenzfür das Neugeborenenhörscreening, in der die ent-sprechenden deutschen Fachgesellschaften undBerufsverbände vertreten sind, schlossen sich demEuropäischen Konsens von 1998 an und formu-lierten Empfehlungen zum Verfahren [16]. Es wirdein beidseitiges Hörscreening empfohlen, sowieeine geeignete Dokumentation und Nachver-folgung mit dem Ziel, dass bis zum Alter von 1 Monat die Diagnose gestellt werden kann, biszum Alter von 3 Monaten eine Überprüfung bzw.

Abbildung 3Durchschnittliches Alter bei Vermutung einer kindlichen Schwerhörigkeit, bei Bestätigung und bei Therapiebeginn in Abhängigkeit vom Grad der SchwerhörigkeitQuelle: Deutsches Zentralregister für kindliche Hörstörungen [8]

1

2

3

4

5

6

leichtgradig<40 dB(HL)

mittelgradig40–69 dB(HL)

hochgradig70–94 dB(HL)

Resthörigkeitv95 dB(HL)

Alter inJahren

Beginn der Therapie

Schwerhörigkeit diagnostiziert

Schwerhörigkeit vermutet

Page 13: Hörstörungen und Tinnitus - RKI

Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 13

Sicherung der Diagnose erfolgt und bis zum Altervon 6 Monaten eine Therapie begonnen wird.

Als geeignete Verfahren für das Screeningwerden die Messung Otoakustischer Emissionen(OAE) oder/und die automatisierte Ableitungakustisch evozierter Hirnstammpotentiale (AABR)empfohlen, auch die Kombination beider Verfah-ren sei denkbar. Beide Verfahren sind objektiveMessmethoden zur Bestimmung des Hörvermö-gens und Verfahren, die bereits bei Neugeboreneneingesetzt werden können.

Festzuhalten ist, dass mit einem Neugebore-nen-Hörscreening nur solche frühkindlichen Hör-störungen erfasst werden können, die sich schonin der Neugeborenenperiode zeigen und nicht nurgeringgradig sind. Bei Säuglingen, die beim Scree-ning keine Auffälligkeiten zeigen, aber Risiken fürHörstörungen aufweisen, sollte die Entwicklungvon Hör- und Sprachfähigkeit aufmerksam beob-achtet werden.

Für eine Untersuchung aller Neugeborenenund nicht nur der Kinder mit Risikofaktoren füreine Hörstörung spricht, dass bei einem auf Risi-kokinder (ca. 10% der Neugeborenen) beschränk-ten Screening nur ca. 50% aller relevanten Hör-störungen erfasst würden.

Ein weiterer Vorteil eines solchen Neugebo-renen-Hörscreenings wäre eine hohe Koopera-tionsbereitschaft der Eltern, da die Untersuchungin den meisten Fällen nach der Entbindung nochstationär erfolgen kann. Zu erwähnen ist jedoch,dass ein Hörscreening auch zu falsch positiven Ergebnissen kommen kann, was möglicherweisezu einer psychischen Belastung der Eltern desNeugeborenen führt.

Nicht zu vernachlässigen ist der apparativeund personelle Untersuchungsaufwand eines Neu-geborenen-Hörscreenings, der zudem nur unterinterdisziplinärer Zusammenarbeit der Fachge-biete Gynäkologie/Geburtshilfe, HNO, Pädiatriesowie Phoniatrie und Pädaudiologie zu bewältigenist. Für eine nachfolgende Abklärungsdiagnostikund einen zeitgerechten Therapiebeginn ist einekoordinierte medizinische Infrastruktur wichtig.

Aus einigen Bundesländern bzw. Regionenliegen inzwischen Erfahrungen aus Modellprojek-ten vor, die die Durchführbarkeit eines universel-len Neugeborenen-Hörscreenings prüfen sollten.

Ein vom Bundesministerium für Gesundheitund Soziale Sicherung in Auftrag gegebenes

Health Technology Assessment-Gutachten [7] kam2004 zu dem Ergebnis, dass ein universelles Neu-geborenen-Hörscreening effektiv und ökonomischeffizient ist. Auch darin wird betont, wie wichtig diezeitnahe diagnostische Abklärung und die Einlei-tung einer adäquaten Therapie ist und dass die Ein-führung eines universellen Neugeborenen-Hör-screenings mit Konzepten und der Realisierungeiner Nachverfolgung verbunden sein muss. Eswird zudem weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss befasstsich derzeit (2005) mit dem Problem und wird entscheiden, ob ein universelles Neugeborenen-Hörscreening als eine von der Gesetzlichen Kran-kenversicherung finanzierte Leistung eingeführtwird (Bekanntmachung des GBA vom 1.2.05).

Um später entstehende Schwerhörigkeit früh-zeitig zu erfassen, wäre auch die regelmäßigeDurchführung von pädaudiologischen Untersu-chungen im Kleinkindesalter empfehlenswert.

Therapie und Rehabilitation

Das therapeutische und rehabilitative Ziel bei früh-kindlicher Schwerhörigkeit sollte neben der Ver-meidung aller bereits genannten negativen Folgeneine gute soziale Eingliederung der betroffenenKinder sein.

Als wichtigste Maßnahme bei nahezu allenfrühkindlichen Schwerhörigkeiten ist die Versor-gung mit Hörgeräten anzusehen. Der größte Teilder permanent hörgestörten Säuglinge und derKinder mit beidseitigem Hörverlust benötigt Hör-geräte. Da bereits eine geringgradige Schwerhö-rigkeit zu einer Sprachentwicklungsverzögerungführen kann, ist auch in diesem Fall eine probe-weise Hörgeräteversorgung zu empfehlen. Glei-ches gilt für einseitige Schwerhörigkeit, um eineEntwicklung des räumlichen Hörens zu gewähr-leisten und bei älteren Kindern die Bewältigungschwieriger Kommunikationssituationen (z. B.Schule) zu ermöglichen.

Ziel einer frühestmöglichen Versorgung isteine optimale Verstärkung von Sprachschall, wo-bei Hörschwelle und Unbehaglichkeitsschwelledes Kindes berücksichtigt werden müssen. DieHörgeräteversorgung von Säuglingen und Klein-kindern erfordert außerordentlich viel Erfahrungund Kompetenz.

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2914

Ertaubte und in zunehmenden Maße auchhochgradig schwerhörige Kinder profitieren vonder Versorgung mit einem einseitig oder beidsei-tig implantierbaren Cochlear Implantat (CI), beidem operativ ein Elektrodensystem im Innenohrangebracht wird. Außen gibt es ein kleines Mikro-fon und einen sehr leistungsfähigen Schall- undSprachprozessor, der über Induktionsspulen dieimplantierten Elektroden anregt. In Deutschlandwerden zurzeit etwa die Hälfte der betroffenenKinder mit diesem Implantat versorgt, mit stei-gender Tendenz. Zunehmend wird nicht nur dasschlechter hörende Ohr damit versorgt, sondernbeide.

Die Diagnostik und Einleitung der apparati-ven Versorgung sind zeitlich sehr umfangreicheMaßnahmen und werden derzeit bevorzugt in pädaudiologischen Zentren mit besonders ge-schultem Personal durchgeführt. Diese finden sichan allen größeren HNO-Kliniken bzw. HNO-Abteilungen, sowie an den Kliniken für Phonia-trie und Pädaudiologie, da die Anzahl niederge-lassener Ärztinnen und Ärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie noch sehr gering ist. Das bedeutetfür Patientinnen und Patienten des ländlichen Bereiches im Allgemeinen weite Anfahrtswegeund stationäre Aufenthalte.

Dies trifft vor allem auch auf Kinder zu, diemit einem CI versorgt werden. Eine derartige The-rapieform erfordert neben besonders erfahrenenOperierenden und einer speziellen Infrastrukturauch ein umfangreiches und erfahrenes Personal-team im pädaudiologischen und rehabilitativenSektor. Die CI-Versorgung macht eine lebenslangeBetreuung durch eine Klinik und ein CI-Zentrumnotwendig. Es ist zu erwarten, dass auch in Zu-kunft nur einige wenige Zentren in Deutschlanddiese Therapie anbieten können.

Nach der apparativen Therapie ist eine weite-re Betreuung in Form der Hörgerätekontrolle, derpädaudiologischen Frühförderung und der Hör-und Spracherziehung erforderlich. Hinzuweisenist auch darauf, dass das Hören mit Hörgerätenund Cochlear Implantaten quantitativ und quali-tativ schlechter als ohne Hörbehinderung ist [7].Die lautsprachliche Entwicklung von gehörlosenKindern ist auch trotz CI sehr mühsam.

Kinder profitieren unterschiedlich von ihrenHörgeräten bzw. Cochlear Implantaten. In der Re-gel gelingt geringgradig und oft auch mittelgradig

schwerhörigen Kindern der Besuch des Regel-kindergartens bzw. der Regelschule. Andernfallserfolgt die Betreuung in einem Zentrum für Hörgeschädigte. In Deutschland gibt es ca. 16.000Förderplätze in etwa 100 Einrichtungen [79].

Die speziellen Therapiekonzepte für den Be-reich der pädaudiologischen Frühförderung bzw.der Hör- und Spracherziehung stammen vorwie-gend aus dem anglo-amerikanischen und skandi-navischen Raum. Es bestehen aber noch erheb-liche Defizite in der Frühförderung, u. a. werdenfinanzielle Probleme beklagt. Eine einheitlicheQualifizierung der jeweiligen Frühförderer wirdin Deutschland derzeit nicht durchgeführt.

Besteht bereits bei der Hörgeräteversorgungder älteren Patientinnen und Patienten ein güns-tiges Kosten-Nutzen-Verhältnis, so trifft dieses inbesonderem Maße auf die der Kinder zu. Eine ver-gleichende Kosten-Nutzen-Analyse verschiedenerTherapieverfahren ergab, dass darüber hinausauch die relativ teure CI-Versorgung ökonomischsinnvoll ist [17].

Betroffenenorganisationen weisen darauf hin,dass die Gebärdensprache für gehörlose Kinderwichtig sein kann, um (notfalls) auch unabhängigvon Technik kommunizieren zu können und umeine oft auch identitätsstiftende Integration in dieGehörlosengemeinschaft zu ermöglichen. Die Ge-bärdensprache ist durch das im Mai 2002 in Kraftgetretene Behindertengleichstellungsgesetz als eigenständige Sprache anerkannt worden. Es gibtzunehmend Frühförderstellen und andere Insti-tutionen, die Gebärdensprache neben der Laut-sprache einsetzen.

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 15

Hörschäden durch Lärm

Die häufigsten Ursachen für Hörstörungen sindLärmbelastungen am Arbeitsplatz und in der Frei-zeit.

Die hörschädigende Wirkung des Lärms wirdvor allem durch die physikalischen Eigenschaftendes Schallereignisses bestimmt, das sind insbe-sondere Schalldruckpegel, Expositionsdauer, zeit-licher Anstieg und Frequenz. Der Schalldruckpe-gel L (level) wird meist als frequenzbewerteteräquivalenter Dauerschalldruckpegel (Leq [dB(A)])angegeben. Dieser legt eine äquivalente Dauer-belastung über einen achtstündigen Arbeitstag zugrunde, wobei die schädlicheren hohen Fre-quenzen durch Einsatz eines Bewertungsfilters (A-Filter) stärker berücksichtigt werden.

Unter Berücksichtigung der ISO 1999 mussbei einer mehrjährigen, täglichen Belastung mitDauerlärm oberhalb von Leq=85dB(A) mit einerdirekten hörschädigenden Wirkung gerechnetwerden. Die zugrundeliegende Lärmdosisbetrach-tung wurde durch umfangreiche Feldstudien inder Industrie gewonnen.

Im Vergleich zu Dauerlärm muss die Belas-tung mit Impulslärm, insbesondere durch denstarken Pegelanstieg, als besonders gefährlich an-gesehen werden. Hier reicht eine einfache Dosis-betrachtung nicht mehr aus.

Von großer Bedeutung für die Entstehung eines Hörschadens ist darüber hinaus die indivi-duelle Vulnerabilität (Verletzlichkeit) des Gehörssowie die Berücksichtigung lärmfreier Erholungs-phasen zwischen den Belastungen [18].

Physiologische Folgen von Lärm

Als Folge einer Lärmbelastung werden physiolo-gisch gesehen temporäre (TTS – temporary thres-hold shift) von permanenten Hörschwellenver-schiebungen (PTS – permanent threshold shift)unterschieden. Erstere dauern für Minuten oderStunden an und können als Folge einer Stoff-wechselermüdung der empfindlichen Haarsin-neszellen im Innenohr interpretiert werden. Über-schreitet die Lärmbelastung gewisse Grenzen,kann es zu dauerhaften Schädigungen der äuße-ren Haarsinneszellen des Innenohres mit einem

Hörverlust von bis zu 60dB im Hochtonbereichkommen. Noch stärkere Belastungen ziehen Schä-digungen der inneren Haarsinneszellen (Hörver-luste über 60 dB) und beginnende neuronale Degenerationen an den Nervenfasern nach sich.Häufig können auch Ohrgeräusche (Tinnitus) inFolge einer Lärmbelastung auftreten.

In der frühkindlichen Entwicklung ist das Gehör besonders empfindlich, so dass der Ver-meidung von Lärmschäden in dieser Lebensphaseeine besondere Bedeutung zukommt.

Lang andauernde Lärmbelastungen könnenzur Lärmschwerhörigkeit – auch als (chronisches)Lärmtrauma bezeichnet – führen und haben inder Regel die folgenden Auswirkungen auf dasHörvermögen:

Ω einen beidseitigen Hörverlust im empfindlich-sten Hörbereich zwischen 3 kHz und 6 kHz(sog. C5-Senke),

Ω ein reduziertes Frequenzunterscheidungsver-mögen (Frequenzselektivität),

Ω ein häufig gestörtes Tonhöhenempfinden mitder möglichen Folge einer frequenzbezogenenFehlhörigkeit (Diplakusis),

Ω eine pathologische Veränderung des Lautheits-empfindens (Recruitment),

Ω ein eingeschränktes Sprachverstehen, beson-ders bei Störgeräuschen,

Ω ein beeinträchtigtes Richtungshören,Ω mögliche Störungen der zentral-auditiven Sig-

nalverarbeitung undΩ vorübergehende oder dauerhafte Ohrgeräusche

(Tinnitus).

Durch Impulsschallbelastungen mit Spitzen-pegeln von mehr als 150 dB (A), wie sie z.B. durchGewehr- und Pistolenschüsse, Feuerwerkskörper,Explosionen oder auch Airbag-Entfaltung erzeugtwerden, kann ein Knall- oder Explosionstraumaentstehen, das ebenfalls durch eine Innenohr-schwerhörigkeit mit Hochtonsenke charakterisiertist, die jedoch meist seitendifferent auftritt. Beiderartigen Traumata lassen sich auch häufig sicht-bare Schäden am Trommelfell und der Gehör-knöchelchenkette beobachten.

Neben einer Schädigung des Gehörs kannLärmbelastung auch zu vielfältigen anderen Schä-digungen, so genannten extraauralen Gesund-heitsstörungen, führen. »Lärmstress« kann z. B.

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2916

zu Schlafstörungen, zu vegetativen Störungen undBeeinträchtigungen des Immunsystems bis hinzu chronischen Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems führen.

Berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit

Seit Jahrzehnten ist das Problem der berufs-bedingten Lärmschwerhörigkeit am Arbeitsplatzbekannt. In Deutschland ist die berufliche Lärm-schwerhörigkeit noch immer die häufigste aner-kannte Berufskrankheit (BK 2301), die gut ein Drit-tel aller Berufskrankheitenfälle ausmacht.

Ursachen für die berufliche Lärmschwer-hörigkeit sind die vielfältigen Lärmquellen am Arbeitsplatz. Als besonders schädlich sind Im-pulsschallbelastungen in der metallverarbeitendenIndustrie oder bei der Bundeswehr anzusehen.Nach der Unfallverhütungsvorschrift Lärm (UVVLärm) der Berufsgenossenschaften ist ab 90dB(A)am Arbeitsplatz (an sog. Lärmarbeitsplätzen)Lärmschutz zu tragen und der betroffene Bereichzu kennzeichnen, sowie eine spezielle arbeits-medizinische Vorsorge durchzuführen. Impuls-

schallbelastungen mit Pegeln von über 140dB sindan Arbeitsplätzen nicht erlaubt. Eine neue EU-Richtlinie (2003/10/EG vom 6.3.2003) mit niedri-geren Grenzwerten, die das Tragen von Gehör-schutz ab 85dB(A) oder Pegelspitzen von 137dB(C)vorschreibt, ist derzeit noch nicht in deutschesRecht umgesetzt.

Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sind inDeutschland etwa 5 Millionen Berufstätige wäh-rend der Arbeit gehörschädigendem Lärm ober-halb von 85dB(A) ausgesetzt. Langfristig gesehenist durch die Einführung und bessere Umsetzungvon Lärmschutzvorschriften und die Bestimmun-gen des Gerätesicherheitsgesetzes die Lärmbelas-tung am Arbeitsplatz gesunken. Die Anzahl dergemeldeten Verdachtsfälle sank von über 20.000im Jahr 1976 auf rund 10.000. Die Entwicklungder Anzahl der Verdachtsfälle und anerkanntenBerufserkrankungen von Lärmschwerhörigkeit ab1991 zeigt Abbildung 4. Der deutliche Anstieg deranerkannten Fälle ab 1993 erklärt sich aus groß-zügigeren Anerkennungsvorschriften.

Rund zwei Drittel der Anerkennungen (Zah-len von 2001) betrafen über 55-Jährige. Da gehör-

Abbildung 4Entwicklung der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit (BK 2301) Quelle: Zentrales Informationssystem der Gesetzlichen Unfallversicherung (ZIGUV) 2005

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

2.000

4.000

6.000

8.000

10.000

12.000

14.000

Anzahl Jahr

anerkannte BerufskrankheitenfälleAnzeigen auf Verdacht einer BK

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 17

schädigende Lärmbelastung vor allem in solchenBerufen verbreitet ist, die vorwiegend von Män-nern ausgeübt werden, sind zum weit überwie-genden Teil Männer von beruflicher Lärmschwer-hörigkeit betroffen, so betrug im Jahr 2001 derAnteil der Frauen an den gemeldeten Verdachts-fällen rund 3% und an den Anerkennungen we-niger als 1%.

Die Gründe für die immer noch große Zahlgemeldeter Verdachtsfälle auf berufsbedingteLärmschwerhörigkeit liegen unter anderem an dermangelnden Kennzeichnung der entsprechendenArbeitsbereiche aber auch am inkonsequenten Gebrauch von Gehörschutz, da dieser von den Arbeitenden oft als störend empfunden wird unddie Kommunikation beeinträchtigt. Daher kommtder strikten Einhaltung der bestehenden Vor-schriften eine entscheidende Bedeutung zu. Selbstbei kurzen Aufenthalten im Arbeitsbereich solltekonsequent Lärmschutz getragen werden.

Auch die Vorbildfunktion von Betriebsleitun-gen, Betriebsärztinnen und -ärzten muss gestärktwerden. Gemäß dem »Gesetz über Betriebsärzte,Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte fürArbeitssicherheit« (ASiG) haben diese die Aufga-be, beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhü-tung zu beraten und zu unterstützen. Im SGB VII§22 ist der Einsatz von Sicherheitsbeauftragten geregelt, die u. a. auf Gesundheitsgefahren auf-merksam machen und Maßnahmen zur Verhü-tung von Unfällen und Berufskrankheiten kon-trollieren und unterstützen sollen. Darüber hinausmuss die gesundheitliche Aufklärung der Betrof-fenen stärker in den Vordergrund treten. Entspre-chende Aktivitäten existieren seit vielen Jahren z. B. durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin (BAuA) [19].

Von großer Bedeutung sind ausreichend lan-ge Pausen in der Freizeit von mindestens 10 Stun-den zwischen den Lärmbelastungen, um dem Gehör eine ausreichende Regeneration zu ermög-lichen. Zusätzliche Schädigungen sind zu erwar-ten, wenn diese Pausen durch Umwelt- und Frei-zeitlärm von mehr als 70 dB (A) unterbrochenwerden.

Hörschäden durch Lärmbelastung mit Umwelt-und Freizeitlärm

Die Belastung und Belästigung der Bevölkerungdurch Umwelt- und Freizeitlärm hat in den ver-gangenen Jahrzehnten stark zugenommen. Nebender Auswirkung auf das Gehör stellt die Belastungmit Umwelt- und Freizeitlärm für viele Betroffeneeine starke Belästigung dar, die zu Stress und dendamit verbundenen psychovegetativen Reaktio-nen, wie z. B. Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Störungen des Magen- undDarmtraktes führen kann. Die Folgen der Belas-tung durch Umwelt- und Freizeitlärm könnten zueinem erheblichen Gesundheitsproblem der deut-schen Bevölkerung werden.

Umweltlärm wird in der industriellen Gesell-schaft im Wesentlichen vom Straßenverkehr, vonFlugzeugen, Schienenfahrzeugen, Baustellen, vonder Industrie und von Gewerbebetrieben verur-sacht. Dominierende Lärmquelle im Wohnumfeldist der Straßenverkehr. Nach repräsentativen Um-fragen des Umweltbundesamtes fühlen sich etwa12 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger allein durch den Straßenverkehrslärm äußerstoder stark belästigt bzw. gestört. Der Anteil derer,die sich durch die in Abbildung 5 aufgeführtenLärmquellen äußerst oder stark belästigt bzw. ge-stört sehen, steigt zudem seit Mitte der 1990er Jahre leicht an [20].

Lärmbelastung in der Freizeit entsteht auchwesentlich durch elektronisch verstärkte Musik,Fernseher und Computerspiele, Rasenmäher,Heimwerken, Spielzeuge, Feuerwerkskörper,Spielzeugpistolen, Musikveranstaltungen sowiedurch Sport- und Gaststätten.

Durch Lärm verursachte Hörschäden werdenauch als Soziakusis (Zivilisations-Hörschäden) be-zeichnet. Gehörschädigend kann Schall bei anhal-tend hohen Schallpegeln (»Dauerlärm«) sowie inForm von Knallereignissen sein. Letztere werdenin ihrer Gefährlichkeit oft unterschätzt, da sie imAllgemeinen nur kurz andauern. Impulsschall hatjedoch ein hohes Wirkungspotential. Sehr gefähr-det ist deshalb das kindliche Gehör durch Feuer-werkskörper, Spielzeugpistolen und anderes lärm-erzeugendes Spielzeug, wie z. B. Knallfrösche,Sirenen oder Trillerpfeifen. Dieses Spielzeug kanndurchaus Pegel von bis zu 135dB(A) in Ohrnäheerzeugen. Spielzeugwaffen mit Knallplättchen

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2918

oder Schreckschussmunition erreichen bei ohr-naher Zündung sogar Spitzenpegel von über 180 dB (A), so dass bereits ein einzelner Schuss zu einem dauerhaften Hörschaden führen kann[18, 21]. Gleiches gilt auch für die Explosion vonFeuerwerkskörpern, wobei das Ohr mit noch höheren Schalldruckspitzen belastet werden kann.

Hinweise auf eine wachsende Verbreitungvon Hörschäden, die möglicherweise durch Im-pulslärmbelastung in der Freizeit verursacht wur-den, ergeben sich auch aus Reihenuntersuchun-gen bei Schulkindern. In Skandinavien wurdebereits Ende der 1970er Jahre bei 2,3% (drei Vier-tel davon Jungen) von 14.391 Schulkindern im Alter von 7 bis 13 Jahren ein Hochton-Hörverlustnachgewiesen [22]. Die Hörfähigkeit von 6- bis 7-jährigen Kindern im Frequenzbereich von 0,5kHz bis 6kHz wurde in einem repräsentativenScreening Mitte der 1990er Jahre in Deutschlanduntersucht. Bei 4% dieser Kinder wurde eine rei-ne Hochtonschwerhörigkeit festgestellt, die ver-mutlich wesentlich auf Impulslärmbelastung zu-rückgeführt werden kann [23].

Eine norwegische Studie untersuchte die Ver-änderung der Hörfähigkeit von 791 Schulkindern(12 bis 15 Jahre) durch ein einziges Feuerwerk. Sieergab, dass 0,7% der Jungen beträchtliche dauer-hafte Hörverluste davongetragen hatten [24].

Auch Erwachsene sind durch Impulsschall-belastungen in der Freizeit betroffen, insbesonde-re durch Feuerwerkskörper oder den Gebrauchvon Schusswaffen. In einer bundesweiten Umfra-ge bei 115 HNO-Kliniken und HNO-Abteilungenwurden nach der Silvesternacht 1998/99 im

Durchschnitt bei 1,3 pro 100.000 der Bevölkerung(mit erheblichen regionalen Unterschieden) aku-te Knalltraumen festgestellt [25]. Die Dunkelzifferdürfte jedoch erheblich größer sein, da viele Be-troffene keine ärztliche Behandlung aufsuchenund geringgradige Hörverluste oft nicht bemerktwerden. In der Silvesternacht 1999/2000 war dieHäufigkeit noch größer. Besonders hoch war dieInzidenz von Gehörschäden durch Silvester-Feu-erwerk in der Gruppe der männlichen Kinder, Ju-gendlichen und jungen Erwachsenen und betrifftdamit eine Gruppe, die auch durch andere Artendes Freizeitlärms besonders gefährdet ist [26].

85% der zu Silvester und 100% der bei derBundeswehr von Knalltrauma-Vorfällen Betroffe-nen sind männliche Erwachsene bzw. Jugendliche.

Bei älteren Kindern und Jugendlichen stehtdie Belastung des Gehörs durch elektronisch ver-stärkte Musik über Stereoanlagen, tragbare Mu-sik-Player, Video- und Computerspiele sowie durchDiskotheken- und Konzertbesuche im Vorder-grund. Dauerschalldruckpegel von 90dB(A), beidenen im Arbeitsleben das Tragen von LärmschutzVorschrift ist, werden dabei häufig weit über-schritten.

Die höchsten Mittelungspegel von bis zu 120dB(A) können auf Musikgroßveranstaltungenin unmittelbarer Nähe der Lautsprecher gemessenwerden [27]. Damit ebnet bereits ein einzelnesKonzert den Weg zu einem dauerhaften Hörscha-den.

In Nordrhein-Westfalen maßen die staat-lichen Gewerbeaufsichtsämter stichprobenartigSchallbelastungen durch Musik im Privatbereich

Abbildung 5Anteil der im Jahr 2002 Befragten, die sich in ihrem Wohnumfeld durch verschiedeneLärmquellen stärker als »etwas gestört bzw. belästigt« fühlten Quelle: Umweltbundesamt [20]

Industrie- und Gewerbelärm

Schienenverkehrslärm

Flugverkehrslärm

Lärm von Nachbarn

Straßenverkehrslärm

5 10 15 20 25 30 35

Prozent

mittelmäßig gestört u. belästigt

stark gestört u. belästigt

äußerst gestört u. belästigt

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 19

und in Diskotheken. Die Messungen ergaben Spit-zenbelastungen von bis zu 120dB(A) bei Beschal-lung über Kopfhörer, auf der Tanzfläche von Dis-kotheken wurden in mehr als 60% der Fälle Pegelvon mehr als 94 dB (A) gemessen. Schallpegel-messungen, die stichprobenartig in Berliner Dis-kotheken durchgeführt wurden, ergaben Musik-schallpegel zwischen 90 und 110 dB (A) auf derTanzfläche. Über Jahre hinweg ist keine Verände-rung hin zu niedrigeren Pegeln zu beobachten[28].

Bei der Freizeitgestaltung von Jugendlichen isteine stark zunehmende Tendenz der Anzahl undDauer der Diskothekenbesuche zu beobachten.

Ab einer Schallbelastung mit einem Mitte-lungspegel von 85 dB(A) bezogen auf 40 Stundenpro Woche ist mit einer Gehörschädigung zu rech-nen. Dieselbe Schädigung bewirken 95 dB(A) für 4Stunden pro Woche, 105 dB(A) für 24Minutenoder 108 dB(A) während 12 Minuten pro Woche[29].

Eine besonders starke Hörgefährdung stelltder Gebrauch von Kopf- und Einsteckhörern dar.Durch den Verschluss der äußeren Gehörgängekönnen besonders hohe Schalldruckpegel erreichtwerden. Darüber hinaus werden oft sehr lange Be-lastungszeiten erreicht. Über die Hälfte der 10- bis19-jährigen Jugendlichen stellte ihren tragbarenMusik-Player auf mehr als 85 dB(A) ein, wobei die12- bis 16-jährigen die lautesten Pegel wählten [30].Bei 10% der Jugendlichen wurden sogar Pegel vonbis zu 110 dB(A) gewählt. Jungen stellten doppeltso oft wie Mädchen derartige Pegel ein. Der Anteilvon Jugendlichen, die mittlere Belastungspegel vonmehr als 90 dB(A) einstellten, nahm mit abneh-mendem schulischen Ausbildungsstatus zu [31].

Legt man auch für die Belastung mit Musikdie ISO 1999 für beruflich bedingte Lärmschwer-hörigkeit zugrunde, so ist allein auf Grund der normalen Musikhörgewohnheiten Jugendlichervon einem potentiellen Hörschadensrisiko auszu-gehen. Dies trifft besonders auf eine »Extrem-gruppe« von etwa 10% der Jugendlichen zu, dienicht nur lange, sondern auch laut Musik hören.

Auch wenn (ältere) Erwachsene weniger ex-treme Musikhörgewohnheiten haben, unterliegensie potentiell schädigenden Lärmeinflüssen. Ne-ben beruflichen Expositionen spielen vor allemFeuerwerkskörper, Heimwerken und Schießsporteine Rolle. Besonders Personen mit Mehrfachbe-

lastungen durch private und berufliche Lärm-exposition sind stark gefährdet, da keine ausrei-chenden Erholungsphasen mit Mittelungspegelndeutlich unter 70dB (A) gegeben sind und die Ver-letzbarkeit (Vulnerabilität) des Gehörs durch be-rufliche Lärmbelastung steigt [18].

Schon bei Schulkindern und Jugendlichentreten lärmbedingte Hörschäden bei Jungen etwadoppelt so häufig auf wie bei Mädchen.

Retrospektive epidemiologische Studien las-sen erkennen, dass die Zahl von Kindern, Jugend-lichen und jungen Erwachsenen mit nachweis-barem Innenohr-Hörverlust, die noch keinerberufsbedingten Lärmbelastung ausgesetzt waren,ansteigt. Folgt man den Abschätzungen von Ising[32], so muss damit gerechnet werden, dass 10%bis 20% der Jugendlichen allein durch die Musik-belastung nach 10 Jahren einen kommunikations-relevanten Hörverlust von mindestens 20dB imHochtonbereich davontragen.

Bereits 1988 wurde bei jungen Berufsanfän-gern der norwegischen Armee eine sukzessive Zu-nahme von Hörstörungen (in Form einer C5-Sen-ke) auf bis zu 35% festgestellt, allerdings sank derAnteil im Verlauf der 1990er Jahre langsam wie-der auf 15%. Diese positive Entwicklung wurde aufdie massive öffentliche Aufklärungskampagne inSkandinavien über die Schädlichkeit lauter Musikzurückgeführt [33]. In Deutschland wiesen Mitteder 1990er Jahre bei der Musterung 24% der jun-gen Männer im Alter von 16 bis 24 Jahren eineHörminderung von mindestens 20dB im Hoch-tonbereich auf [34].

Ising et al. [35] fanden bei einer Untersuchungvon 580 Schülerinnen und Schülern zwischen 14 und 19 Jahren bei 18% (männlich 23%, weib-lich 15%) eine beginnende Lärmschwerhörigkeitvon mehr als 20 dB und 60 % (männlich 56 %,weiblich 62%) gaben an, schon einmal einen Tin-nitus gehabt zu haben. Der Anteil lärmbedingterHörstörungen war mit 31 % in der Altersgruppeder 13- bis 15-Jährigen mit hoher Musikbelastungam größten (siehe auch Abbildung6).

Statistische Berechnungen legen jedoch nahe,dass mehr als die Hälfte der beobachteten Hör-schäden nicht allein auf die Musikbelastung zu-rückzuführen sind. Es wird angenommen, dassdie zunehmende Belastung des Gehörs durch Impulsschall in der frühen Kindheit von Bedeu-tung ist.

Page 20: Hörstörungen und Tinnitus - RKI

Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2920

Insgesamt ist damit zu rechnen, dass durch diezunehmende Lärmbelastung des Gehörs in Frei-zeit und Beruf die Anzahl der Hörgeschädigten inDeutschland in der Zukunft weiter stark ansteigenwird.

Es gibt neuere Forschungsansätze, die dieÜberlegung einbeziehen, dass Lärmbelastungbzw. Dauerlärm in gewissem Ausmaß auch einenTrainingseffekt für das Gehör haben kann, weildieses seine Empfindlichkeit entsprechend an-passt.

Prävention

Dem Schutz der Bevölkerung vor zunehmenderLärmbelastung sollte verstärkt Rechnung getragenwerden. Um die wichtigen Erholungsphasen fürdas Gehör der Menschen in der Freizeit zu si-chern, sollte konsequent auf die Einhaltung desBundes-Immissionsschutz-Gesetzes geachtet wer-den. Dieses schreibt für Gewerbe- und Industrie-betriebe, Sport- und Gaststätten in Wohngebietenals Belastungsgrenze maximale Wirkpegel vontagsüber 50 dB (A) und nachts 35 dB (A) vor. Dainsbesondere der Flug- und Straßenverkehrslärmeine Hauptursache für Lärmwirkungen darstellt,sollte hier nach Möglichkeiten der Lärmreduktionan den Fahrzeugen und durch die Verkehrsfüh-rung gesucht werden. Ergänzend können lärm-dämmende Maßnahmen im Wohnungsbau erwo-gen werden.

Abbildung 6Prävalenz von lärminduzierter Minderung der Hörfähigkeit in Abhängigkeit vonHörgewohnheiten, Alter, Geschlecht und Ausbildungsstatus, n=580Angaben in Prozent der entsprechenden GruppeQuelle: [35]

13–15 Jahre alt

16–17 Jahre alt

älter als 18 Jahre

weiblich

männlich

mittlere/niedrige Ausbildung

höhere Ausbildung

5 10 15 20 25 30

Prozent

viel Musikbelastung

wenig Musikbelastung

Page 21: Hörstörungen und Tinnitus - RKI

Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 21

An vordringlicher Stelle steht die Aufklärungvon Kindern und Jugendlichen, aber auch der Erwachsenen, über die gesundheitlichen Gefah-ren des Freizeitlärms. Erste wichtige Aktionen aufdiesem Sektor wurden bereits initiiert, wie z. B.der »Tag der Ruhe« oder die Aktion »take care ofyour ears«.

Ziel dieser Aktionen sollte sein, die Musik-hörgewohnheiten der Kinder und Jugendlichen zubeeinflussen, um die Belastungszeiten und Schall-druckpegel durch Stereoanlagen, tragbare Musik-Player, Video- und Computerspiele zu reduzierenund das Verhalten in Diskotheken und bei Musik-veranstaltungen zu verändern. Auch die Elternspielen auf Grund ihrer Vorbildfunktion eine wich-tige Rolle bei der Prävention von Lärmschäden beiKindern und Jugendlichen. Sie können maßgeb-lich den Kauf und die Verwendung lärmerzeu-gender Spielzeuge und elektronischer Musikwie-dergabegeräte beeinflussen.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet Sachinformationen und Unterrichtsmaterial zu Gesundheitsschädendurch Lärm an.

Das Umweltbundesamt [29] und die Bundes-ärztekammer [36] fordern eine Begrenzung derDauerschallpegel in Diskotheken und Musikver-anstaltungen auf 90 bis 95 dB (A) und eine Pegel-begrenzung bei Musikwiedergabegeräten von 90 dB(A) für Erwachsene und 80 dB (A) für Kin-der.

Untersuchungen zur Akzeptanz von Musik-lautstärken in Diskotheken ergaben, dass ein er-heblicher Teil der befragten Jugendlichen die Laut-stärke als zu laut beurteilte (Mädchen/Frauen nochhäufiger als Jungen/Männer) und die (weit) über-wiegende Mehrheit mit einer Pegelreduzierungbzw. -begrenzung einverstanden wäre [37, 38].

Schon lange gibt es auch den Vorschlag, Laut-sprecher in Diskotheken und bei gleichartigen Ver-anstaltungen an die Decke zu hängen, die ausrei-chend hoch sein sollte. Dadurch würde verhindert,dass Uneinsichtige sich direkt vor den Lautspre-cher stellen und vor allem durch exzessive Einzel-ereignisse ein akustisches Trauma erleiden.

Für Lärm erzeugendes Spielzeug legt inzwi-schen die EU-Norm DINEN71-1 im Rahmen desallgemeinen Produktsicherungsgesetzes verbind-liche Emissionspegelobergrenzen fest, um blei-bende Hörschäden bei Kindern möglichst zu

vermeiden. Verbraucherschützer weisen jedochdarauf hin, dass diese Grenzwerte auf Messungenin 50cm Abstand vom Ohr beruhen und dichteram Ohr trotzdem schädigende Pegel auftretenkönnen.

Schwerhörigkeit im Alter

Schwerhörigkeit im Alter ist durch unterschied-liche Komponenten bedingt. Neben der so ge-nannten Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit)spielen die Soziakusis (lärmbedingte Anteile) unddie Nosoakusis (nicht lärmbedingte altersunab-hängige Hörschäden, z. B. Schädelhirntrauma, viral bedingte, erblich bedingte oder stoffwechsel-assoziierte Schwerhörigkeit) eine Rolle. Strittig ist,ob es überhaupt eine Presbyakusis, also eine reinphysiologische Alterung des Hörorgans gibt. Älte-re Untersuchungen bei Naturvölkern im Sudan,die keinen zivilisatorischen Einflüssen unterlagen,zeigten bis in die achte Lebensdekade eine nahezuunveränderte Hörfähigkeit [39, 40].

Ein Großteil der im Alter bestehendenSchwerhörigkeit wird sicherlich durch eine Kom-bination von Soziakusis, Nosoakusis und Presby-akusis verursacht. Daher sollte auch von Schwer-hörigkeit im Alter und nicht von Altersschwer-hörigkeit gesprochen werden. Bei der Diagnostikeiner Schwerhörigkeit im Alter ist diesem kombi-nierten Ursachenzusammenhang Rechnung zutragen, für die Therapie und Rehabilitation aberist die Frage der Verursachung unerheblich.

Morphologische und pathophysiologischeVeränderungen im Alter konnten nicht nur imInnenohr, sondern an nahezu allen Strukturen desHörorgans nachgewiesen werden [41]. Auch imBereich der aufsteigenden Hörbahn wurden Ner-venzellverluste beobachtet. Demzufolge kann diePresbyakusis sowohl durch eine Innenohrschwer-hörigkeit als auch durch eine Beeinträchtigung derneuralen Verarbeitung, also der Nervenverbin-dung zwischen Innenohr und Gehirn, charakteri-siert werden. Diese peripheren und zentralen Hör-verluste machen sich in der Summe durch einenzunehmenden Verständlichkeitsverlust von Wör-tern, insbesondere bei Umgebungslärm, der Beeinträchtigung des Richtungshörens, der Fre-quenzselektionierung und des unabhängigen

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beidohrigen (dichotischen) Verstehens bemerkbar.Erschwerend kommen für Ältere oft nachlassendekognitive Leistungen hinzu, typisch sind z.B. Pro-bleme des Kurzzeitgedächtnisses, Wortfindungs-störungen und Konzentrationsprobleme.

Selbsteinschätzung, Folgen

Bestehende Hörstörungen werden von älterenMenschen häufig negiert, oft mit Hinweisen aufzu leise und zu undeutlich sprechende Mitmen-schen. Hinzu kommt, dass Defizite des Hörver-mögens (durch den hohen Redundanzanteil derSprache) im Gegensatz zu solchen des Sehvermö-gens relativ lange kompensiert werden können.Ein objektiv vorhandener Hörschaden wird des-halb in vielen Fällen über einen langen Zeitraumgeleugnet, auch um der Konfrontation mit einermöglichen Hörgeräteversorgung zu entgehen. Un-günstig wirken sich hier auch negative Erfahrun-gen Gleichaltriger im Umgang mit Hörgerätenaus.

Überschreiten jedoch die individuellen Kom-pensationsmöglichkeiten ein kritisches Limit,kommt es auch für die Betroffenen deutlich spür-bar zu Kommunikationseinschränkungen. Einehieraus oft resultierende private und soziale Iso-lierung von älteren Menschen kann zu zahlreichenweiteren, vor allem psychischen Störungen füh-ren. Hierzu zählen neben depressiven Störungenauch subjektiv erlebte Insuffizienzgefühle. Be-merkenswert ist, dass viele Ältere die Schwerhö-rigkeit als schicksalhaft und unbeeinflussbar hin-nehmen. Auch in dieser Beziehung zeigen sicherhebliche Unterschiede zu Sehstörungen von älteren Menschen.

Wenn eine deutliche Schwerhörigkeit im Alter schon über einen längeren Zeitraum besteht,ohne dass ein Hörgerät benutzt wird, ist eine er-folgreiche Hörgeräteanpassung meist schwierig.Die Fähigkeit zur Sprachwahrnehmung und -ver-arbeitung im Gehirn verringert sich zunehmend,wenn die zentrale Hörbahn über viele Monate odersogar Jahre nicht adäquat akustisch stimuliert wurde (late onset deprivation). Deshalb sollte auchim Alter beim Überschreiten eines definiertenHörverlustes eine Hörgeräteversorgung frühzei-tig erfolgen.

Verbreitung des Hörverlustes

Daten zum altersbezogenen Hörverlust gab es bereits im 19. Jahrhundert. Seitdem wurden vieleStudien unter besonderer Berücksichtigung derPresbyakusis durchgeführt (z.B. [42,43,44, 45, 46,47]). Im internationalen Vergleich zeigten sich beider Hörfähigkeit der älteren Bevölkerung ähnlichwie bei der kindlichen Schwerhörigkeit erheblicheUnterschiede, die auf zivilisatorische, geografi-sche, ethnische oder andere soziokulturelle Ein-flüsse zurückgeführt werden können. Demnachscheint die Prävalenz der Schwerhörigkeit im Alter in den industrialisierten Ländern höher zusein als in den Ländern der Dritten Welt. Zwischenden Industrienationen ergaben sich keine signifi-kanten Unterschiede. Allerdings scheint Schwer-hörigkeit in sozial schwachen Schichten der hoch-industrialisierten Länder am häufigsten zu sein.

Für den deutschsprachigen Raum werdenauch heute noch häufig die bereits älteren Unter-suchungen von Spoor [48] als Basis zur Einschät-zung einer Presbyakusis verwendet (Abbildungen7a und 7b). Darüber hinaus sei auch auf den Inter-nationalen Akustik-Standard ISO 7029 [49] hin-gewiesen, der u. a. alters- und geschlechtsspezifi-sche Reintonaudiogramme als Bezugsgrößenenthält.

Von den befragten 18- bis 79-Jährigen im Bun-des-Gesundheitssurvey 1998 bezeichneten sich 8% als schwerhörig (6,4% der Frauen und 9,7%der Männer) und 2,5% verfügten über ein Hörge-rät. Von denen, die sich als schwerhörig bezeich-neten, besaßen rund 30% ein Hörgerät [50]. Ab-bildung 8 zeigt die altersbezogenen Anteile derBefragten, die sich als schwerhörig bezeichnet haben.

Eine Studie [51] prüfte bei einer Patienten-stichprobe aus 11 allgemeinärztlichen Praxen inNordrhein-Westfalen die Hörfähigkeit mittels ei-nes Audiometers. Als Kriterium für Schwerhörig-keit wurde dabei ein Hörverlust von mehr als40 dB in einer der Hauptsprachfrequenzen ge-wählt. Diese Untersuchung bestätigte die Diskre-panz zwischen der Selbstwahrnehmung der Hör-fähigkeit und einer audiometrischen Feststellungvon Schwerhörigkeit – 5 % aller audiometrischUntersuchten hatten ihre Beeinträchtigung vorhernicht wahrgenommen.

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Zwei Prozent der Befragten in der Studie [51]verfügten über ein Hörgerät. Von diesen wiede-rum gab ein nicht unerheblicher Anteil an, dasHörgerät nicht oder nur selten zu benutzen. Die-ses Ergebnis wird durch internationale Studien be-stätigt [52, 53].

Der relativ hohe Anteil an Schwerhörigen inder älteren Bevölkerung und die durch den demo-grafischen Wandel bedingte weitere Zunahme derAnzahl der Älteren in der Bevölkerung lässt er-warten, dass die Anzahl der von Schwerhörigkeitim Alter Betroffenen zunehmen wird.

Für die Erhaltung bzw. Förderung der Kom-munikationsfähigkeit, der Alltagsbewältigung undder Lebensqualität der von Schwerhörigkeit be-troffenen Älteren hat ein intaktes aber auch einapparativ rehabilitiertes Gehör eine große Bedeu-tung. Das Wissen über die Ursachen und Folgender Schwerhörigkeit im Alter kann hilfreich sein,insbesondere auch schon bevor letztere eingetre-ten sind. Hier sind neben Öffentlichkeitsaktivitä-ten auch Informationen für alle behandelnden und

Abbildung 7aDurchschnittliche Hörschwellen in Abhängigkeit vom Alter bei Frauen Quelle: [48]

Abbildung 7bDurchschnittliche Hörschwellen in Abhängigkeit vom Alter bei Männern Quelle: [48]

Abbildung 8Anteile der Befragten, die sich als schwerhörig bezeichnen –darunter die, die über ein Hörgerät verfügen Quelle: Robert Koch-Institut, Bundes-Gesundheitssurvey 1998

250 500 1.000 1.500 2.000 4.000 6.000 8.000

10

20

30

40

50

60

70

80

90

Frequenz in HzFrequenz in HzDezibel Dezibel

80–89 Jahre 70–79 Jahre 60–69 Jahre 50–59 Jahre 40–49 Jahre 30–39 Jahre

50–59 60–69 70–79

5

10

15

20

25

30

Prozent Alter

ohne Hörgerät mit Hörgerät

50–59 60–69 70–79

weiblich männlich

250 500 1.000 1.500 2.000 4.000 6.000 8.000

10

20

30

40

50

60

70

80

90

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beratenden Berufsgruppen notwendig. In der älteren Bevölkerung vielfach noch vorhandeneHemmschwellen und Vorurteile gegen Hörhilfensollten abgebaut werden. Eine frühzeitige Hörge-räteanpassung kann die Kommunikationsfähig-keit nachhaltig optimieren, wobei für eine audialeRehabilitation wichtig ist, dass die Betroffeneneine positive Einstellung zum Hörgerät haben undKompetenzen für den Umgang mit dem Hörgerätund dem »neuen Hören« erwerben.

Hörsturz

Mit Hörsturz wird ein akut auftretender, fast aus-schließlich einseitiger Hörverlust unterschied-licher Ausprägung (bis hin zur Ertaubung) be-zeichnet, für den keine erkennbare Ursachevorliegt. Weil akute Hörminderungen aber auchim Rahmen anderer Krankheitsbilder (z.B. Lärm-trauma, Morbus Menière, entzündliche Verände-rungen im Mittelohr, Tumore des Felsenbeins) auftreten können, kann die Diagnose eines Hör-sturzes erst nach intensiver differentialdiagnosti-scher Abklärung und dem Ausschluss aller ande-ren Ursachen eines akuten Hörverlustes gestelltwerden.

Den Zeitpunkt des Eintretens eines Hörstur-zes können die Betroffenen in der Regel genau an-geben. Hörstürze können in sehr unterschied-licher Ausprägung auftreten. Neben dem isoliertenVerlust auf einer Frequenz kann auch das gesam-te Frequenzspektrum des Innenohres (ca. 60Hzbis 20kHz) betroffen sein. Neben geringgradigenHörstürzen mit einem Verlust von wenigen Dezi-bel kommen auch komplette Ertaubungen vor. Innahezu zwei Dritteln der Fälle ist der Hörsturz miteinem Tinnitus (Ohrgeräusch) verbunden, der vor-zugsweise in den Frequenzen des Hörverlustes gehört wird. Auch Schwindel kann mit dem Hör-sturz zusammen auftreten, was durch die funk-tionelle Einheit von Innenohr und peripheremGleichgewichtsorgan erklärt werden kann.

Es scheint auch eine gewisse Verbindung zueiner vegetativen Dystonie und zu hypertensiven(bluthochdruckbedingten) Krisen als begleitendeoder auslösende Erkrankungen zu geben [54]. Kli-nische Untersuchungsergebnisse zeigten, dass nahezu alle Hörsturzbetroffenen akuten oder

über Tage bzw. Wochen andauernden psychoemo-tionalen Stresssituationen ausgesetzt waren [55].Möglicherweise wird durch die damit verbundeneErhöhung des Stresshormonspiegels im Blut eineakute Hörminderung begünstigt. Allerdings ge-lang es bisher nicht, eindeutige Korrelationen zukardiovaskulären (Herz-Kreislauf bezogenen) Ri-sikofaktoren oder pathologisch veränderten rheo-logischen Faktoren (Blutfließeigenschaften) her-zustellen.

Die Entstehung eines akuten Hörsturzes, alsoeines idiopathischen (ohne erkennbare Ursacheeintretenden) Hörverlustes bleibt somit patho-physiologisch weiterhin ungeklärt. Vieles sprichtdafür, dass Hörstürze nicht auf eine einheitlichePathogenese zurückgeführt werden können.

Verbreitung

Repräsentative eindeutige Daten zur Häufigkeitdes Hörsturzes sind nicht verfügbar. In der Lite-ratur wird die jährliche Inzidenz des Hörsturzesfür Industrienationen mit 10 bis 20 pro 100.000der Bevölkerung angegeben. Für Deutschland wür-de das ca. 15.000 Patientinnen und Patienten proJahr bedeuten [56, 57]. Eine neuere Analyse vonVersicherungsdaten aus Baden-Württemberg undNordrhein spricht jedoch für eine wesentlich hö-here Inzidenz [58]. Die Angaben zur Rezidivhäu-figkeit von Hörstürzen schwanken. In [57] werdenaus Studien in den 1980er Jahren 7% bis 17% an-gegeben, in der aktuellen Leitlinie zur Behandlungdes Hörsturzes wird die Rezidivhäufigkeit auf 30% geschätzt [59].

Therapie

Die Heilungschancen des Hörsturzes sind sehrunterschiedlich. Sie scheinen abhängig zu seinvon der Ausprägung des Hörsturzes und der Dau-er bis zur Behandlung. Massive Hörstürze oderein später Behandlungsbeginn nach Eintritt desHörsturzes verschlechtern die Prognose [60].Spontanheilungen (d. h. Gesundung ohne eineTherapie) sind bei Hörstürzen sehr häufig, beischätzungsweise 50 % aller Hörsturzbetroffenenist von einer spontanen Vollremission auszugehen[61].

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Die Therapie des Hörsturzes wird internationalkontrovers diskutiert. Das Spektrum reicht vontherapeutischem Nihilismus bis hin zu stationärenInfusionstherapien. Klinische Studien zur medi-kamentösen Behandlung des Hörsturzes kommenzu unterschiedlichen, zum Teil entgegengesetztenErgebnissen (Übersicht in [61]). Glukokortikoidescheinen bei den meisten akuten Hörverlusten diedurchschnittlich besten Therapieergebnisse zu er-zielen [61].

Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft fürHals-Nasen-Ohren-Kunde, Kopf- und Hals-Chir-urgie (DGHNO) zur Behandlung des Hörsturzesmacht Behandlungsvorschläge zur differenziertenTherapie in Abhängigkeit von der Audiogramm-form, d.h. davon, welche Hörfrequenzen wie starkgemindert sind. Vorgeschlagene Verfahren sind:

Ω Rheologische Therapie (Verbesserung derFließeigenschaften des Blutes)

Ω Antiödematöse (»entwässernde«) Therapie (u. a. mit Glukokortikoiden)

Ω Ionotrope (auf den Ionen- und Elektrolythaus-halt wirkende) Therapie

Ω Reduktion des Endolymphvolumens (lymphar-tige Flüssigkeit im Innenohr) (u. a. Osmothe-rapie, Glycerol-Bolus)

Ω Einsatz von Antioxydanzien Ω Thrombozytenaggregationshemmung (Herab-

setzung der Blutgerinnungsfähigkeit)Ω Fibrinogenabsenkung durch Apherese (Blut-

wäsche mit Eliminierung großmolekularer An-teile)

Wichtige Aspekte bei der Behandlung des Hör-sturzes sind Stressabbau und Kreislaufstabilisie-rung. Gute Unterstützung können ggf. physikali-sche Behandlungen der Halswirbelsäule oderPsychotherapie bieten.

Nicht jeder Hörsturz bedarf einer sofortigenBehandlung. Bei geringfügigen Hörverlustenohne soziale Beeinträchtigung kann zunächst ei-nige Tage abgewartet werden, ob eine Spontanre-mission erfolgt. Abwarten ist jedoch bei ausge-prägtem Hörverlust, vorgeschädigtem Gehörsowie bei Schwindel und Ohrgeräuschen nicht an-gemessen.

Die Behandlung des Hörsturzes mittels Häm-apherese ist aufgrund von Entscheidungen des frü-heren Bundesausschusses der Ärzte und Kran-

kenkassen (jetzt Gemeinsamer Bundesausschuss)keine Leistung im Rahmen der Gesetzlichen Kran-kenversicherung.

Wird nach einem Hörsturz keine komplette Erholung erreicht, ist im allgemeinen ca. 2 Monatenach dem Eintritt des Hörsturzes mit keiner weite-ren Verbesserung mehr zu rechnen. Das meistnicht betroffene Gegenohr kann Hörverlust oftkompensieren, erreicht aber der verbleibende Hör-verlust die Indikationsgrenzen (siehe S. 28), so soll-te ggf. mit den Betroffenen die Einleitung einerHörgeräteversorgung diskutiert werden.

Tinnitus

Ursachen, Einteilung

Ohrgeräusche (Tinnitus) sind ein Symptom, dasunterschiedlichste Ursachen haben kann undgrundsätzlich bei fast jeder Ohrerkrankung be-gleitend auftreten kann. Entzündliche, tumorösesowie medikamentös-toxische Ursachen, mecha-nische und akustische Traumata können ebensozu Tinnitus führen wie Herz-Kreislauf-Erkran-kungen oder Stoffwechselerkrankungen. In die-sen Fällen spricht man von einem symptomati-schen Tinnitus im Unterschied zu dem ohneerkennbare Ursache akut auftretenden idiopathi-schen Tinnitus. Es werden Analogien zur Ent-stehung des Hörsturzes diskutiert. Häufig liegenorthopädische Probleme des Schulter-Hals-Sys-tems oder auch Störungen des Kauapparates vor, die pathophysiologisch schwer einzuschätzensind. Ein pulssynchroner Tinnitus weist auf vas-kuläre (blutgefäßbedingte) Ursachen hin. Sicher-lich sind die hörschädigenden Einflüsse des Lärmshäufig mit an der Entstehung eines Tinnitus be-teiligt. Beruflicher und privater Stress scheinenebenfalls Tinnitus auslösen bzw. verstärken zukönnen. Die sehr seltenen objektivierbaren Ohr-geräusche hingegen stellen Erkrankungen derBinnenmuskulatur des Mittelohres dar.

Der Charakter der Ohrgeräusche (z.B. Piep-sen, Zischen, Rauschen) und die Intensität desTinnitus (kaum hörbar bis extrem laut) werdenvon den Betroffenen sehr unterschiedlich be-schrieben und lassen nur selten Rückschlüsse aufdie zugrunde liegende Ursache zu.

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Ätiologisch gesehen scheint es beim Tinnituszu unterschiedlichen Störungen im Bereich desInnenohres, vorwiegend auf der Ebene der äuße-ren Haarsinneszellen zu kommen [62, 63]. Es gibtModellvorstellungen [64], bei denen subkortikaleZentren der aufsteigenden Hörbahn infolge deschronischen Reizes selbst zu aktiven Generatorendes Tinnitus werden und zu einer zentralen Re-präsentanz des Tinnitus im Hörzentrum des Ge-hirns führen, wobei autonomes Nervensystem undlimbisches System die Tinnituswahrnehmung so-wohl positiv als auch negativ steuern können [65].

Generell muss zwischen akutem (weniger als3Monate bestehendem) und chronischem (längerals 3 Monate bestehendem) Tinnitus unterschie-den werden. Wichtige therapeutische Konsequen-zen ergeben sich aus der Kategorisierung des Tinnitus nach Schweregrad entsprechend von Leit-linienempfehlungen [66]:

Ω Grad 1: kompensierter Tinnitus ohne Leidens-druck

Ω Grad 2: kompensierter Tinnitus, der bei Stressund psychischen Belastungen als störend emp-funden wird

Ω Grad 3: dekompensierter Tinnitus mit dauern-der Beeinträchtigung im privaten und beruf-lichen Bereich, Störungen im emotionalen,kognitiven und körperlichen Bereich

Ω Grad 4: Tinnitus mit völliger Dekompensationim privaten Bereich bzw. Berufsunfähigkeit

Die Schwere der Kategorien 3 und 4 ergibt sichaus den psychosomatischen Folgeerscheinungendes Tinnitusleidens. Hierzu gehören im Anfangs-stadium Ein- und Durchschlafprobleme, Konzen-trationsstörungen sowie Kopfschmerzen. Die völ-lige Dekompensation, die in seltenen Fällen sogarmit suizidalen Absichten einhergehen kann, be-steht in einer vegetativen Entgleisung aufgrunddes subjektiv als unerträglich empfundenen Ohr-geräusches.

Diese schweren Verläufe kommen verhältnis-mäßig selten vor, die überwältigende Mehrheit derTinnituspatientinnen und -patienten ist in die Kategorien 1 und 2 einzustufen, bei denen thera-peutische Maßnahmen nur eingeschränkt ange-zeigt sind.

Verbreitung

Mehrere internationale Studien haben sich mit der Häufigkeit des Tinnitus in der Bevölkerungauseinandergesetzt (Übersicht in [62, 67]). DiesenStudien zufolge scheint es im internationalen Ver-gleich mit anderen Industriestaaten (Großbritan-nien, USA) nur geringe Unterschiede in der Prä-valenz und Inzidenz des Tinnitus zu geben.

Für den deutschsprachigen Raum versuchtein der jüngeren Vergangenheit eine Erhebung, dieVerbreitung des Tinnitus zu analysieren [68]. Dietelefonische Befragung von ca. 3.000 Personenkam zu dem Ergebnis, dass rund ein Viertel der(über 10 Jahre alten) Befragten in der Vergangen-heit schon einmal unter Ohrgeräuschen litt, oderderzeit Ohrgeräusche hat, 4% der Befragten gabenan, zum Zeitpunkt der Erhebung Ohrgeräuschezu haben. Der überwiegende Teil hatte diese schonlänger als 3 Monate. Eine starke Beeinträchtigungdurch die Ohrgeräusche gaben weniger als einDrittel der Betroffenen an.

Rund zwei Drittel der von Ohrgeräuschen Be-troffenen gaben in der Befragung an, konkrete Ur-sachen dafür benennen zu können, zu 90% warendas Stress, Lärm oder andere Erkrankungen.

Im Telefonischen Gesundheitssurvey 2003des Robert Koch-Instituts wurden rund 8.300 Per-sonen im Alter von 18 bis 79 Jahren u. a. gefragt,ob sie in den letzten 7 Tagen unter beeinträchti-genden Ohrgeräuschen gelitten hätten und wielange diese schon andauerten. Auch hier weisendie Ergebnisse darauf hin, dass der überwiegendeTeil derer, die von Ohrgeräuschen berichteten, die-se schon länger als 3 Monate hatten (Abbildung 9).

Da die Prävalenz des Tinnitus mit steigendemAlter deutlich zunimmt und die Anzahl der Älte-ren wächst, ist in Zukunft mit einer Erhöhung derAnzahl der Betroffenen zu rechnen.

Therapiemöglichkeiten

Orientiert man sich an den Leitlinien der Deut-schen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- undHals-Chirurgie (DGHNO) [66], ergibt sich einmehrstufiges Behandlungskonzept. Hierbei unter-scheiden sich die Therapie des akuten und deschronischen Tinnitus grundlegend. Beim akutemTinnitus sollte demnach die Behandlung möglichst

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umgehend einsetzen, d. h. innerhalb der erstenTage nach dem Auftreten des Ereignisses oder nachdem Aufsuchen der ärztlichen Behandlung. Wegender (wie auch beim Hörsturz) vorhandenen Spon-tanheilungsmöglichkeit kann mit den Betroffenenauch eine zunächst noch abwartende Haltung er-wogen werden, bevor eine medikamentöse Thera-pie begonnen wird. Die medikamentöse Therapieeines akuten Tinnitus erfolgt in Anlehnung an diedes Hörsturzes. Die Erfolgsquote muss jedoch alsrelativ gering eingestuft werden [62, 65, 68].

Unbedingter Bestandteil aller Therapiever-fahren sollte das so genannte Tinnitus-Counsel-ling sein, d.h. eine eingehende und individuelleBeratung und Aufklärung der oft verunsichertenPatientinnen und Patienten über Art, Ursache undPrognose der Erkrankung. Dabei sollte auch be-tont werden, dass dem Tinnitus an sich nach Aus-schluss anderer Erkrankungen kein weitererKrankheitswert zukommt, insbesondere dass ernicht als Vorbote eines drohenden Schlaganfalls,eines Herzinfarktes oder eines Hörsturzes anzu-sehen ist. Wichtig ist, den Betroffenen Mut zu machen, insbesondere wenn es sich um Kinderund Jugendliche handelt. Selbst nach ununterbro-chenem Tinnitus von drei Jahren Dauer, könnenOhrgeräusche wieder abklingen.

Bei der Behandlung eines chronischen Tinni-tus stehen ambulante psychosomatische Verfah-

ren im Vordergrund. Diese sind auch Bestandteilder sogenannten Tinnitus-Retraining-Therapie,für welche es in Deutschland ein erweitertes Konzept gibt, das von der Arbeitsgemeinschaftdeutschsprachiger Audiologen und Neurootologenentwickelt wurde [64,65,69]. Diese Therapie ver-sucht, sowohl den mit dem Tinnitus einherge-henden negativen Stress als auch die Wahrnehm-nung der Ohrgeräusche selbst zu reduzierenZusätzlich kann die Verwendung eines Noisershilfreich sein, der in Form eines Hörgerätes denTinnitus teilmaskiert. Ziel dieser Therapien istnicht die Tinnitusbeseitigung, sondern die Ver-minderung des subjektiven Leidensdruckes unddie Befähigung der Betroffenen, mit dem Problemumzugehen. Die vorgenannten Verfahren findenjedoch nur dann Anwendung, wenn es sich umeinen Tinnitus mit dem Schweregrad 2 oder 3 han-delt. Weiterhin können physio-, manual- oder neu-raltherapeutische Verfahren versucht werden.

Aus medizinischen und ökonomischen Grün-den sollten sowohl zur Indikation als auch zur Effektivitätskontrolle der Tinnitusbehandlung speziell entwickelte Fragebögen verwendet werden[70].

Bei refraktärem (ergebnislosem) Therapie-verlauf und fortdauerndem schweren Leidens-druck entsprechend dem Tinnitus-Schweregrad 4ist es ratsam, ein stationäres Therapiekonzept in

Abbildung 9Anteil der Befragten mit beeinträchtigenden Ohrgeräuschenin den letzten 7 TagenQuelle: Robert Koch-Institut, Telefonischer Gesundheits-survey 2003

18–39 40–64 65+

3

6

9

12

15

Prozent Alter

Ohrgeräusche begannen vor mehr als 3 Monaten

Ohrgeräusche begannen vor weniger als 3 Monaten

weiblich männlich

18–39 40–64 65+

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einer Tinnitus-Klinik zu erwägen. In Deutschlandhaben sich mehrere Einrichtungen auf eine sol-che Behandlung spezialisiert. Aktuelle Übersich-ten über diese Institutionen werden von der Deut-schen Tinnitus Liga e.V. publiziert.

Es ist einzuschätzen, dass ein erhebliches De-fizit in der Behandlung sowohl des akuten als auchdes chronischen Tinnitus besteht. Trotz Bildung lokaler Interessengruppen unter den behandeln-den Ärztinnen und Ärzten stellt insbesondere daszeitintensive initiale Tinnitus-Counselling sowiedie fortlaufende Beratung bei den chronischenVerläufen über weitere Behandlungsmöglichkei-ten und die Vermittlung geeigneter ambulanterpsychosomatischer Therapien zurzeit ein nichtnur kostenspezifisches Problem dar.

Nicht zuletzt wegen der unbefriedigenden Erfolge der einzelnen schulmedizinischen Thera-pieverfahren wird eine breite Palette von alter-nativen Therapieverfahren angeboten und in An-spruch genommen.

Im präventiven Bereich muss erneut auf dieNotwendigkeit der Information über die hörschä-digenden Wirkungen auch von Freizeitlärm hin-gewiesen werden. Da psychoemotionale Stress-situationen sehr häufig als Ursache eines Tinnitusdiskutiert wurden, ergeben sich eventuell auchhier Ansatzpunkte.

HNO-ärztliche Gesundheitsversor-gung

Im Jahr 2004 waren in Deutschland 3.847 HNO-Ärzte und 1.620 HNO-Ärztinnen (zusammen5.467) berufstätig, das entspricht ca. 1 pro 19.700der Bevölkerung. Im EU-Vergleich ist das ein mitt-lerer Rangplatz. Dabei ist aber die Verteilunginnerhalb Deutschlands regional sehr unter-schiedlich. An der vertragsärztlichen Versorgungnahmen 3.003 HNO-Ärzte und 1.178 HNO-Ärz-tinnen (zusammen 4.181) teil.

Der Trend zur zunehmenden Spezialisierungin der Medizin gilt auch für die Hals-, Nasen- undOhrenheilkunde. In Zukunft werden neben au-diologisch ausgerichteten auch phoniatrisch undpädaudiologisch oder onkologisch spezialisierteHNO-Praxen entstehen.

Im Bereich der Pädaudiologie (kindliche Hör-störungen) ist diesem Spezialisierungstrend durchdie Einführung des Facharztes bzw. der Fachärztinfür Phoniatrie und Pädaudiologie bereits Rech-nung getragen worden. Zur flächendeckendenspezialisierten Versorgung tragen pädaudiologi-sche Zentren an großen HNO-Kliniken oder anKliniken für Phoniatrie und Pädaudiologie we-sentlich bei.

Hörgeräteversorgung

Gemäß den Ende 2004 aktualisierten Richtliniendes Bundesausschusses der Ärzte und Kranken-kassen [71] ist eine Hörgeräteversorgung (nebenanderen Voraussetzungen) indiziert ab einemHörverlust von mindestens 30 dB in einer derHauptsprachfrequenzen (0,5 kHz bis 3 kHz) aufdem besser hörenden Ohr. Bei einseitiger Schwer-hörigkeit gilt als Kriterium ein Hörverlust vonmindestens 30 dB bei 2 Frequenzen des Haupt-sprachbereiches oder bei 2kHz. Zusätzliche Kri-terien bei der Indikation zur Hörgeräteversorgungsind das Einsilbenverstehen im Sprachhörtest (we-niger als 80% Verstehensquote bei 65dB) und dieFeststellung, dass die bzw. der Betroffene in derLage ist, das Hörgerät (ggf. nach einer Anpass-phase) zu handhaben.

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Die Indikation zur Hörgeräteverordnung wirddurch HNO-Fachärztinnen bzw. -ärzte festgestellt.Die eigentliche Anpassung des Gerätes mit Bera-tung und Auswahl des optimalen Gerätes erfolgtdann über einen Hörgeräteakustiker bzw. eineHörgeräteakustikerin. Die Zweckmäßigkeit derHörgeräteversorgung wiederum wird HNO-fach-ärztlich überprüft und bescheinigt. Es gibt aberauch den so genannten verkürzten Versorgungs-weg, in diesem Fall werden die Hörgeräte direktvon HNO-fachärztlicher Seite unter Einbeziehungvon Versand- und Online-Anbietern angepasst undvertrieben. Von verschiedenen Seiten wurde darankritisiert, dass dabei die Auswahl geringer sei, einevergleichende und gleitende Hörgeräteanpassungentfiele und individuelle Gesichtspunkte im Rah-men der Langzeitkontrolle und -betreuung nichtausreichend berücksichtigt werden könnten. EineStudie des Wissenschaftlichen Instituts der AOKvon 2001 [72] sowie eine Studie des Bundesver-bandes der Betriebskrankenkassen (BKK) und desBundesverbandes der Verbraucherzentralen undVerbraucherverbände e.V. (BVZV) von 2001 ka-men zu dem Ergebnis, dass die Zuzahlungen beimverkürzten Versorgungsweg geringer waren undein großer Anteil der auf diesem Wege Versorgtenzufrieden war.

Im Jahr 2002 unterzeichneten die DeutscheGesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde,Kopf- und Hals-Chirugie, der Deutsche Berufs-verband der HNO-Ärzte und die Bundesinnungder Hörgeräteakustiker die Absichtserklärung, einKonzept für eine Verbesserung der Qualität derHörgeräteversorgung mit dem Ziel einer effekti-ven und kostensparenden Versorgung (»BonnerErklärung«) zu entwickeln. Das inzwischen ver-abschiedete Konzept »OHRwell« [73] schlägtStrukturen und Ablauforganisation für eine inte-grierte und qualitätskontrollierte Hörgerätever-sorgung vor.

Wieviele Menschen in Deutschland ein Hör-gerät besitzen, kann nur geschätzt werden. ImBundes-Gesundheitssurvey 1998 gaben 2,5% der18- bis 79-jährigen Befragten an, ein Hörgerät zu besitzen [50], in einer Erhebung Ende der 1990erJahre in 11 Allgemeinpraxen gaben dies 2 % derBefragten an [51]. Die Bundesinnung der Hörge-räteakustiker schätzt, dass es in Deutschland der-zeit rund 3 Millionen Personen gibt, die ein Hör-gerät besitzen.

Zwischen den derzeit verfügbaren Hörgerä-ten gibt es große technische Unterschiede. Diesebetreffen sowohl die äußere Bauart (Hinter-dem-Ohr-Gerät, In-dem-Ohr-Gerät, Concha-Gerät,CIC, usw.) als auch die elektroakustische Verar-beitung (analoge, halb-digitale, voll-digitale Hör-geräte sowie Einkanal- und Mehrkanalgeräte,unterschiedliche lineare und Kompressions-Ver-stärkungsalgorithmen usw.). Hörgeräte kostenvon einigen hundert Euro bis zu weit über 1.000Euro pro Gerät, wobei zudem die Preise für das-selbe Fabrikat je nach Anbieter sehr unterschied-lich sein können. Für eine qualitativ hochwertigeHörgeräteversorgung zu angemessenen Preisensind eine gute Versicherten- bzw. Verbraucher-information und die Nutzung von Preisverglei-chen wichtig.

Zur zukünftigen Entwicklung und gesund-heitsökonomischen Relevanz der kürzlich in dieklinische Routine eingeführten teil- oder vollim-plantierbaren Hörgeräte kann zum jetzigen Zeit-punkt noch keine Aussage gemacht werden.

Bis vor kurzem (2004) gab es je nach Bun-desland unterschiedliche Festbeträge als GKV-Leistung für Hörhilfen, 2004 haben die Spitzen-verbände der gesetzlichen Krankenkassen bundes-einheitliche Festbeträge für einige Hilfsmittel-gruppen u. a. für Hörhilfen festgesetzt, die seit1.1.2005 gelten. Diese sind zum Teil höher als vorher gültige und sollen mindestens einmaljährlich angesichts der Marktlage überprüft werden.

In Deutschland waren 2003 in rund 2.300Hörgeräte-Fachgeschäften ca. 7.500 Personen imHörgeräteakustik-Handwerk beschäftigt. Die An-zahl der Auszubildenden betrug etwa 1.550. In denGroßstädten sind die Angebote konzentriert, waseinen kundenorientierten Wettbewerb fördernkönnte. In weniger dicht besiedelten Gebietenexistieren nur wenige Fachgeschäfte überwiegendin Verbindung mit Fachgeschäften für Optik.

Im Jahr 2003 wurden nach Angabe derBundesinnung 680.000 Hörgeräte verkauft, da-von 380.000 digitale. Hinter dem Ohr zu tragen-de Hörhilfen hatten dabei einen Marktanteil von65%, in dem Ohr zu tragende 34%. Der Jahres-umsatz des Hörgeräteakustik-Handwerkes wirdfür 2003 auf 900 Millionen Euro geschätzt, runddie Hälfte davon trug die Gesetzliche Krankenver-sicherung (GKV).

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Die Entwicklung der Ausgaben der GKV für Hörhilfen seit den 1990er Jahren zeigt Abbil-dung 10. Die Ausgaben für Hörgeräte wuchsen indiesem Zeitraum prozentual stärker als die GKV-Ausgaben insgesamt. Sie stiegen insbesondere fürdie alten Länder stark an.

Verschiedene Erhebungen legen nahe, dassein großer Teil derer, die ein Hörgerät besitzen,dieses nicht oder nur selten tragen. Als Gründefür Unzufriedenheit wurden Schwierigkeiten beiUmgebungsgeräuschen und beim Telefonieren,Rückkopplungseffekte sowie die mangelnde Le-bensdauer und der Preis für Batterien genannt [74,75]. Als wichtigste Kriterien einer für die Betroffe-nen erfolgreichen Hörgeräte-Versorgung wurdendie Funktionalität, der Bedienungskomfort undkosmetische Aspekte angegeben [74].

Auch mit dem modernsten Hörgerät entstehtein neuer, häufig gewöhnungsbedürftiger Hör-eindruck. Besonders ältere Patientinnen und Pa-tienten mit schon lange bestehender Schwerhö-rigkeit klagen über große Akzeptanzprobleme, diebeim Tragen der neuen Hörgeräte auftreten.

Hilfreich wären dabei praktische Informationen,die im Umgang mit den Hörgeräten schulen. Dieskönnten insbesondere Möglichkeiten eines Hör-und Sprachtrainings (auditives Kommunikations-training) für die Problemgruppen bei der Hörge-räteanpassung sein (vor allem ältere Hörgeschä-digte und hochgradig Hörgeschädigte), ähnlichwie es bereits bei Cochlear Implant-Tragenden ein-geführt wurde [76, 77].

Die Bemühungen des Deutschen Schwerhöri-gen Bundes (DSB) haben dazu geführt, dass zurzeitdas Berufsbild Kommunikationstrainerin bzw. -trai-ner etabliert wird. Deren wesentliche Aufgaben sindvor allem Hörtraining, Hörtaktik und Gebärden-sprache. Als positives Beispiel einer adäquaten Hör-und Kommunikationsbetreuung sei hier Dänemarkangeführt, wo ein Schulungsprogramm zum Hör-training und zur Hörtaktik integraler Bestandteileiner Hörgeräteneuversorgung ist.

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

50

100

150

200

250

300

350

400

450

Mio. Euro Jahr

alte Länder

neue Länder

Abbildung 10 Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung für Hörhilfen 1991–2004 Angaben in Millionen EuroQuelle: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 31

Genderaspekte

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede und Be-sonderheiten in Bezug auf Hörfähigkeit undSchwerhörigkeit haben zahlreiche und vielfältigeFacetten. Etliche davon wurden in den vorange-gangenen Abschnitten auch schon angesprochen.

Untersuchungen deuten darauf hin, dassschon junge Männer im Vergleich zu jungenFrauen mehr Hörschäden aufweisen und ein geringerer Anteil der jungen Männer ein exzel-lentes Gehör hat (d.h. maximaler Hörverlust 5 dB)[78]. Im Alter ist die frequenzspezifische Hör-fähigkeit bei Männern im Mittel schlechter als bei Frauen.

Insbesondere die Lärmbelastung und derUmgang damit ist bei Jungen, männlichen

Jugendlichen und Männern ein größeres Problemals bei Mädchen, weiblichen Jugendlichen undFrauen. Dabei spielen neben der höheren beruf-lichen Lärmexposition der Männer vor allemKnalltraumata durch Kinderspielzeug (ca. 95% be-treffen Jungen), durch Feuerwerkskörper (ca. 85%betreffen männliche Personen) und durch Vorfäl-le beim Wehrdienst eine Rolle. Dazu kommen höhere Belastungen der Jungen und männlichenJugendlichen durch lautes Musikhören.

Auch ist davon auszugehen, dass eine »männ-liche« Einstellung zum Lärm noch sehr verbreitetist, die noch zu wenig von Gesundheitsbewusst-sein und Behutsamkeit mit dem Gehör geprägt ist.

Die Vermeidung von Hörschäden sollte einwichtiges gesellschaftliches Anliegen sein, dabeiwäre besonders den stärker betroffenen Zielgrup-pen Aufmerksamkeit zuzuwenden.

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2932

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 37

Glossar

Ableitung akustisch evozierterHirnstammpotentiale (AABR)

Verfahren zur objektiven Prüfung der Hörfähigkeit

Antioxydanzien zellschützende Wirkstoffe, die so genannte freie Radikale unschädlich machen kön-nen, indem sie eine Verbindung mit ihnen eingehen.

Autosomal rezessiv autosomal rezessiv bedeutet, dass eine Krankheit nur dann zum Ausbruch kommt,wenn dieselbe genetische Veränderung von beiden Eltern geerbt wurde, die Elternsind dabei nicht erkrankt

Deprivation (sensorische) Entzug von bzw. Mangel an Sinneseindrücken

Extraaural außerhalb des Gehörs

Hochtonsenke Einschränkung des Hörvermögens bei hohen Tönen mit typischem Bild im Ton-schwellenaudiogramm

Inzidenz Häufigkeit von Neuerkrankungen

ISO (Akustik-Standard der) International Organisation for Standardisation

Meningitis Hirnhautentzündung

Metabolische Störungen Stoffwechselstörungen

Morphologisch die Form bzw. Gestalt betreffend

Otoakustische Emissionen (OAE) Messverfahren für die Fähigkeit der äußeren Haarzellen, das Schallsignal an dieinneren Haarzellen weiterzugeben.

Ototoxisch gehörschädigend

Pädaudiologie, pädaudiologisch medizinisches Spezialgebiet, das sich mit Diagnostik und Therapie von Hörstörun-gen bei Kindern beschäftigt

Phoniatrie, phoniatrisch medizinisches Spezialgebiet, das sich mit den Erkrankungen und Störungen derStimme, der Sprache, des Sprechens und des Gehörs beschäftigt.

Prävalenz Häufigkeit des Vorkommens einer Erkrankung bzw. Funktionsstörung

Rötelnembryopathie Fehlbildungs-Syndrom von Kindern, die während der Schwangerschaft von IhrenMüttern mit Röteln infiziert wurden

Screening Reihenuntersuchung einer Bevölkerungsgruppe zur Entdeckung von Erkrankungenoder Funktionsstörungen mittels einfacher Diagnosemethoden

Sensitivität Fähigkeit einer diagnostischen Methode, Personen mit einer fraglichen Erkrankungbzw. Funktionsstörung zu erkennen

Spezifität Eignung einer diagnostischen Methode, bei Gesunden bzw. Personen ohne Funk-tionsstörung keine falsch positiven Ergebnisse zu erhalten

Subkortikal »unterhalb« der Großhirnrinde

Syndrom gemeinsames Auftreten mehrerer Symptome

Toxoplasmose häufige Infektionskrankheit, die durch den Parasiten Toxoplasma gondii verursachtwird

Vegetative Dystonie Störungen von Körperfunktionen infolge von Fehlregulationen des vegetativen Ner-vensystems

Zytomegalie auch Einschlusskörperchenkrankheit genannt, wird vom Zytomegalievirus (CMV),einem Virus der Herpes-Gruppe, hervorgerufen

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 2938

Page 39: Hörstörungen und Tinnitus - RKI

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie.

HerausgeberRobert Koch-Institut

Nordufer 2013353 Berlin

RedaktionRobert Koch-Institut

GesundheitsberichterstattungElisabeth Gaber, Dr. Thomas Ziese

Seestraße 1013353 Berlin

Autoren und AutorinProf. Dr. Dr. Michael Streppel

Prof. Dr. Martin Walger Prof. Dr. Hasso von Wedel

Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie

am Klinikum der Universität zu KölnDipl.-Math. Elisabeth Gaber Robert Koch-Institut Berlin

AbonnentenserviceDie Hefte »Gesundheitsberichterstattung des

Bundes« können im Jahresabonnement oder als einzelne Hefte bezogen werden.

E-Mail: [email protected]

Tel.: 018 88. 754–34 00Fax: 018 88. 754–35 13

DruckOktoberdruck, Berlin

gedruckt auf PROFIsilk, tcf

ISBN3-89606-165-8

ISSN 1437-5478

Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 29 39

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Die politische und finanzielle Verantwortung fürdie Gesundheitsberichterstattung des Bundes liegtbeim Bundesministerium für Gesundheit.

Gesundheitsberichterstattung des Bundes

Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit demStatistischen Bundesamt

Heft 29Januar 2006

Hörstörungen und Tinnitus

Berlin: Robert Koch-InstitutISBN 3-89606-165-8ISSN 1437-5478

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The ability to hear is of enormous importance for communication and orientation. Both hearing loss andtinnitus are widespread in Germany. About 60% of thepopulation are affected, at least at times, in the course of their lives. Furthermore, there are signs that impairedhearing is spreading. There are many different causes and forms of hearingimpairment. The most widespread are noise damageand hearing loss in old age. In the case of hearing disorders in early childhood, it is crucial to recognizethe symptoms early and avoid developmental disorder.Hearing loss caused by noise at work is the most common occupational illness, but it can be preventedby resolutely implemented occupational protection andmedical precautions. Noise pollution from environmental and leisuresources has greatly increased in recent decades. A person's hearing can be damaged by both continu-ous noise exposure and the often underestimated effects of sudden bangs, which are a particular dangerto children's hearing. Ways of listening to music thatdamage hearing are especially common among youngpeople, resulting in efforts from different quarters tochange behaviour and restrict volume levels. For various reasons, men and boys are more frequentlyaffected by hearing disorders than women and girls.Apart from the greater risk of noise exposure at work,there is still a very widespread, "male" attitude towardsnoise that is insufficiently health-conscious. Noises in the ear (tinnitus) are most common in itsless severe forms, but for that it often continues for a long period. The more severe forms are comparativelyrare, but can lead to serious impairments and farreach-ing subsequent problems. The use of hearing aids is very helpful for many peopleaffected by hearing loss, although many people whohave a hearing aid only use it rarely or intermittently.

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© Robert Koch-Institut

ISBN 3-89606-165-8ISSN 1437-5478

Die Fähigkeit zu hören hat eine große Bedeutung für Kommu-nikation und Orientierung. Sowohl Schwerhörigkeit als auchTinnitus sind in Deutschland weit verbreitet. Rund 60 % derBevölkerung sind in ihrem Leben zumindest zeitweise davonbetroffen. Es gibt zudem Hinweise auf eine wachsende Verbrei-tung von Hörschäden. Die Ursachen und Formen der Hörbeeinträchtigung sindvielfältig. Den größten Anteil machen dabei Hörschäden durchLärm und Schwerhörigkeit im Alter aus. Bei frühkindlicherSchwerhörigkeit sind vor allem Früherkennung und Vermeidungvon Entwicklungsstörungen wichtig. Berufliche Lärmschwer-hörigkeit ist die häufigste Berufskrankheit, für die Präventionhaben konsequenter Arbeitsschutz und arbeitsmedizinischeVorsorge große Bedeutung. Die Belastung und Belästigung der Bevölkerung durch Umwelt-und Freizeitlärm hat in den vergangenen Jahrzehnten starkzugenommen. Sowohl Dauerlärmbelastung kann das Gehörschädigen als auch oft unterschätzte Knallereignisse, welche vorallem auch das kindliche Gehör sehr gefährden. Gehörschädi-gende Musikhörgewohnheiten sind vor allem bei Jugendlichen sehr verbreitet, von verschiedenen Seiten gibt es deshalb Bemühungen um verhaltensbeeinflussende Aufklärung undSchallpegelbegrenzungen. Männer bzw. Jungen sind aus verschiedenen Gründen häufigerals Frauen bzw. Mädchen von Schwerhörigkeit betroffen. Nebenstärkerer beruflicher Lärmexposition spielt dabei auch eine nochsehr verbreitete, zu wenig gesundheitsbewusste »männliche«Einstellung zum Lärm eine Rolle. Beeinträchtigende Ohrgeräusche (Tinnitus) kommen meist inleichteren Formen vor, bestehen aber nicht selten über einelange Zeit hinweg. Schwere Verläufe kommen verhältnismäßigselten vor, können aber zu schwerwiegenden Beeinträchtigun-gen und weit reichenden Folgeproblemen führen. Die Nutzung von Hörgeräten ist für viele von SchwerhörigkeitBetroffene sehr hilfreich, aber ein nicht geringer Teil derer, dieüber ein Hörgerät verfügen, nutzen es wenig oder nur teilweise.

R O B E R T K O C H I N S T I T U TStat is t isches Bundesamt

Gesundheitsberichterstattung des Bundes

Heft 29Hörstörungen und Tinnitus