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hören, was dahinter steckt! Seite 1 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2014// Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. Neue Heimat Salafismus Von Irene Geuer und Paul Elmar Jöris Besetzung: Sprecher: Niklas Kohrt Sprecherin: Kerstin Thielemann Erzähler: Fabian Gerhardt Technische Realisation: Ilse Sieweke und Mechthild Austermann Regieassistenz: Rami Hamze Regie: Martin Zylka Redaktion: Gisela Corves Die Sendetermine im Überblick: SWR 2 26. November, 22.05 Uhr SR 2 29. November, 17:05 Uhr BR 2 29. November, 13.05 Uhr | 30. November, 21.05 Uhr RB Nordwestradio 30. November, 16.05 Uhr | 04. Dezember, 21.05 Uhr NDR Info 30. November, 11.05 Uhr WDR 5 30. November, 11.05 Uhr | 01. Dezember, 20.05 Uhr HR 2-Kultur 30. November, 18.05 Uhr

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hören, was dahinter steckt!

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© Westdeutscher Rundfunk Köln 2014// Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.

Neue Heimat Salafismus

Von Irene Geuer und Paul Elmar Jöris

Besetzung:

Sprecher: Niklas Kohrt

Sprecherin: Kerstin Thielemann

Erzähler: Fabian Gerhardt

Technische Realisation: Ilse Sieweke und Mechthild Austermann

Regieassistenz: Rami Hamze

Regie: Martin Zylka

Redaktion: Gisela Corves

Die Sendetermine im Überblick:

SWR 2 26. November, 22.05 Uhr

SR 2 29. November, 17:05 Uhr

BR 2 29. November, 13.05 Uhr | 30. November, 21.05 Uhr

RB Nordwestradio 30. November, 16.05 Uhr | 04. Dezember, 21.05 Uhr

NDR Info 30. November, 11.05 Uhr

WDR 5 30. November, 11.05 Uhr | 01. Dezember, 20.05 Uhr

HR 2-Kultur 30. November, 18.05 Uhr

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hören, was dahinter steckt! das ARD radiofeature Neue Heimat Salafismus - November 2014

Seite 2

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ATMO: Stimmen auf Demonstration

-Wir sind, wie ich zu Anfang gesagt habe, bereit für diese Religion zu sterbe! Wir stehen hier...

- Allahu Akbar!

-Wir stehen hier und sagen „La ilaha illallah“ - es gibt keine anbetungswürdige Gottheit außer

Allah. Und sein Gesandter, sein Diener und Botschafter, ist der edle Prophet Mohammed. Friede

sei mit ihm.

Ansage:

Neue Heimat Salafismus. Ein Feature von Irene Geuer und Paul Elmar Jöris.

Sabri ben Abda: Diesen Hass hier, der auf der anderen Seite hier gerade läuft, durch die ganzen

Islamhasser, den hat RTL und den habt Ihr auch mitverursacht hier.

Jöris: Es sind aus Mönchengladbach Leute nach Syrien gefahren und sind da unter die Kämpfer

gegangen.

Sabri ben Abda: Ja und? Hallo? Soll ich zugucken wie noch weitere Frauen vergewaltigt werden?

Ich muss doch hingehen und wenigstens humanitäre Hilfe leisten. Ja?

Erzähler:

Im Schutz der Religion stehen sie auf Marktplätzen, wie hier in Mönchengladbach, und

sprechen von Gut und Böse – sprechen von einer heilsbringenden Zeit. Salafisten schwärmen

vom Heiligen Krieg und stiften Jugendliche an, sich diesem Krieg anzuschließen. Geschichten

über den Salafismus fangen meist so an, dass ein junger Mensch plötzlich seiner Familie

abhanden kommt. Und derzeit enden die Geschichten häufig damit, dass dieser junge Mensch

dann wirklich weg ist. In einer anderen Welt.

ATMO / MUSIK

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hören, was dahinter steckt! das ARD radiofeature Neue Heimat Salafismus - November 2014

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O-TON: Mutter

Mein Sohn ist ein netter sympathischer junger Mann, so im Alltag haben wir, klar, so wie Eltern

mit Kindern immer, die ein oder anderen Reibereien, aber was von anderen zurückkommt ist, er

ist unglaublich nett, sagen uns immer andere Leute.

Erzähler:

Diese Mutter will ihren Namen nicht nennen. Sie will auch nicht, dass ihr Sohn erkannt wird.

Wir haben ihre Stimme verändert. Sie schämt sich für das, was passiert ist. In ihrer

Mittelschichtfamilie - mitten in Deutschland.

O-TON: Mutter

In der Schulzeit war er etwas schwierig, hat sich immer auch mit Gleichaltrigen bisschen

schwierig getan, das wurde irgendwann besser und hat aber verstärkt seine Freunde unter

ausländischen Jugendlichen gesucht, ja mit denen er einfach besser klar kam, die ihn so

genommen haben wie er ist.

Im Laufe der Zeit wurde das immer mehr und er beschäftigte sich immer mehr mit dem Islam und

irgendwann hat er uns halt dann doch gesagt, dass er konvertiert ist. Da haben wir dann schon

geschluckt, muss ich sagen. Wir haben zwar Freunde, die sind Moslems, aber wenn man so sich in

der Welt umschaut, alles was im Moment passiert, wenn 200 Mädchen entführt werden, immer

heißt es, es sind Islamisten, es sind Menschen aus dem Islam.

Erzähler:

Sie wurde unruhig und wusste nicht, was da auf sie zukommt. Ist das nur ein Übertritt zu

einem anderen Glauben? Eine reine Privatsache ihres fast erwachsenen Sohnes? Oder geht es

nur darum, dass sie kein Schweinefleisch mehr auf den Mittagstisch bringt?

O-TON: Mutter

Ja, und irgendwann hatte ich schon das Gefühl, da geht unser Sohn so ein bisschen mehr in die

Richtung, wo ich das Gefühl habe, so das macht mir jetzt Angst, das ist mir zu extrem. Also der

fastete ganz streng, überhaupt keinen Alkohol, keine Zigaretten mehr, kein gar nichts mehr, was

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eigentlich für junge Menschen mehr oder weniger normal ist, wo ich wirklich auch geschluckt

habe und gesagt habe, das gefällt mir nicht.

Erzähler:

Aus dem strengen Fasten während des Ramadan wurde mehr.

O-TON: Mutter

Irgendwann war dann auch so, dass er sich äußerlich verändert hat, dass er dann auch anfing,

sich diesen typischen Bart wachsen zu lassen. Wo ich dann auch gedacht habe, jetzt gefällt mir

das gar nicht mehr. Und drauf angesprochen eskaliert es immer nur, vielleicht habe ich auch den

falschen Ansatz gebracht, falsche Fragen gestellt, mit Sicherheit auch zu sehr kritisiert, weil, wie

soll ich sagen, so in meiner Freiheit als Frau sage ich immer, dieser Islam beschränkt mich. Wir

haben lange gekämpft für ne Freiheit als Frau und da kommen jetzt welche und ziehen freiwillig

Kopftücher an, das macht mir Angst.

ATMO / MUSIK

O-TON: Hans-Georg Maaßen, Verfassungsschutz

Wir gehen davon aus, dass es mindestens 6000 Salafisten in Deutschland gibt, das ist eine

beachtliche Steigerung. Vor über 2 Jahren hatten wir 3800 gehabt - und aus unserer Sicht ist das

die am schnellsten wachsende extremistische Bewegung in Deutschland.

Erzähler:

Dr. Hans-Georg Maaßen – der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, interessiert

sich nur für die Salafisten, die unsere Rechtsordnung nicht anerkennen. Gesetze, die von

Menschen gemacht werden, lehnen sie ab. Der Übergang von der Ablehnung weltlicher

Rechtsordnungen bis zum bewaffneten Kampf ist in dieser Gruppierung fließend. Diejenigen

Salafisten, die nur nach ihren Glaubensvorstellungen leben wollen, interessieren den

Verfassungsschutz nicht. Sie sind die größte Gruppe im salafistischen Milieu. Längst nicht alle

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Salafisten sind also Terroristen, aber alle islamistischen Terroristen in Deutschland sind aus

salafistischen Gruppen hervorgegangen.

O-TON: Hans-Georg Maaßen

Früher hatte man unter Salafisten Personen verstanden, die einfach nur eine orthodoxe

Religionsausübung leben. Wir haben jetzt dazu gelernt, wir haben uns intensiv mit dem

Phänomen des Salafismus beschäftigt: es handelt sich hier um Leute, die einen politischen

Salafismus oder sogar einen jihadistischen Salafismus leben wollen.

ATMO / MUSIK

Erzähler:

Die Mutter wollte verstehen, was ihren Sohn in eine andere Religion getrieben hatte, aber

noch wusste sie nicht, wie das geht. Noch endeten alle Diskussionen in Streitereien. Sie

brüllten sich an, sie knallten Türen und reagierten mit Wut. Jedes Mal hatte die Mutter danach

einen großen Seelenkater. Sie fühlte sich hilflos. Ein anderer Fall:

O-TON: BAMF Hotline Berater

Hier ist die Beratungsstelle Radikalisierung Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, was kann

ich für Sie tun?

Erzähler:

Die Anruferin weiß das selbst noch nicht. Das Bundesamt nennt sie Frau N., eine von

hunderten Müttern, die Rat suchen. Im Gesprächsprotokoll des Bundesamtes steht:

Sprecher:

Der Einstieg in das Gespräch fällt ihr zunächst hörbar schwer. Es ist ihr anzuhören, dass sie der

Anruf bei der Hotline viel Überwindung gekostet hat. Sie ist unsicher und nervös. Der

Hotlinemitarbeiter sagt ihr, dass er für sie da ist, und bittet sie, ganz ohne jeden Druck einfach

zu erzählen, was sie belastet.

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Erzähler:

Frau N. hat Angst. Angst, dass sie von jemandem aus der salafistischen Szene erkannt wird,

oder von ihren Nachbarn oder ihrem Sohn. Er soll nicht wissen, dass sie sich bei einer

staatlichen Stelle Rat sucht. Sie will ihn nicht verlieren, aber sie kennt niemanden, der ihre

Sorgen ernst nimmt. Außerdem: Was würden Freunde sagen, wenn sie zu erkennen gäbe:

mein Sohn driftet in den Salafismus ab? Über so was spricht man besser nicht öffentlich, denkt

sie. Und deshalb gibt es ihre Geschichte nur schriftlich in dem Protokoll des Bundesamtes für

Migration. Ein Radiointerview lehnt sie ab.

Sprecherin:

Mein Benjamin hat uns eigentlich früher nie große Probleme bereitet. In der Schule war er

ohne großen Ehrgeiz und ein Mitläufer. Nach dem Schulabschluss hat er eine Lehre als

Einzelhandelskaufmann gemacht. Zunächst tat er sich schwer, eine Arbeitsstelle zu finden,

wegen seines durchschnittlichen Abschlusses. Seit einigen Monaten arbeitet er auf 400-Euro-

Basis in einem großen Möbelhaus. Er war immer eher zurückgezogen, saß meistens zu Hause

herum, hatte wenige Freunde, mit denen er abends wegging. Besonders schlimm für ihn war

auch der Tod seiner Großmutter vor drei Jahren. Zu ihr hatte er ein sehr enges Verhältnis.

Erzähler:

Sie erzählt dem Mitarbeiter der Beratungsstelle vom Einstieg in eine radikalisierte und

gewaltbereite Jugendkultur. Plötzlich lernt Benjamin Muslime kennen, die ihn in ihre Moschee

mitnehmen. Er beginnt, den Islam zu schätzen. Er findet wieder einen Halt, den er durch den

Tod seiner Großmutter verloren hatte. Er konvertiert.

Sprecherin:

Wir hatten damit zunächst überhaupt keine Probleme. Wir sahen auch eine Begeisterung und

Eifer, mit dem er sich für seine neue Religion interessierte, die wir vorher von Benjamin in

keinster Weise kannten.

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Seite 7

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Erzähler:

Doch Benjamin belässt es nicht bei Moscheebesuchen. Er verändert sich, liest viel im Internet,

besucht Islamseminare, wo er lernt, was Halal und was Haram ist. Also das, was zulässig und

das, was verboten ist. Und das bedeutet: Fleisch nur von geschächteten Tieren, kein

Schweinefleisch, keine Kreditgeschäfte, Ehen nur mit Muslima. Das gesamte Alltagsleben

bekommt einen festen Stundenplan: Wann gebetet wird, wann gegessen und geschlafen wird,

wann man sich mit Glaubensbrüdern trifft. Benjamin organisiert sich streng nach diesen

muslimischen Vorschriften: Er will leben, wie Mohammed und seine Gefährten vor 1500

Jahren, so wie es der Salafismus verlangt.

Sprecher:

Von den ca. 4 Millionen Muslimen, die in Deutschland leben, sind ungefähr 1 Prozent

Salafisten. Der Salafismus – im Arabischen Salafiya – ist eine Strömung im Islam. Ca. 6600

Menschen in Deutschland zählen zu den politischen und jihadistischen Salafisten. Sie stellen

die Scharia über das Grundgesetz und nehmen für sich in Anspruch, den Weg ins Paradies zu

kennen. Alle anderen Menschen, auch allen anderen Muslime, die den Lehren der Salafiya

nicht folgen, sind für sie „Kuffar“ – Ungläubige. Dabei reduzieren sie die Lehre des Islam auf

Kleidungs- und Verhaltensvorschriften. Folgen ganz einfachen Regeln wie im Computerspiel,

wo man sich einen Avatar mit Bart und Kaftan kreieren kann, um dann auf die Bösen zu

ballern.

ATMO / MUSIK

Sprecherin:

Wenn Benjamin von Treffen mit seinen Brüdern nach Hause kam, war er in einem eigenartigen

Zustand. Auf uns wirkte er irgendwie besessen, geradezu entrückt. Früher war er immer so

unsicher. Das ist verschwunden. Er sagt, sein Leben habe jetzt endlich einen Sinn, er habe bei

seinen neuen Brüdern und Schwestern seine wirkliche Familie gefunden.

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Erzähler:

Das, was im Protokoll des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge steht, erzählt in

ähnlichen Worten die Mutter, die ihren Namen nicht nennen will. Weihnachten 2013 will ihr

Sohn plötzlich nicht mehr mit der Familie feiern, sondern bei seinen islamischen Freunden

sein.

O-TON: Mutter

Vor Weihnachten war es, glaub ich, ziemlich extrem, ich habe dann auch versucht, irgendwo

Infos zu bekommen, wie ich agieren kann, was ich tun kann und musste immer wieder

feststellen: man erfährt nicht viel. Ich habe immer wieder im Internet gesucht nach Stellen, nach

vielleicht Selbsthilfegruppen, wo Eltern auch Rat suchen, wo man vielleicht sagt, man kann sich

zusammensetzen und mal überlegen, was kann man tun oder was ist zu tun, aber ich bin nicht

fündig geworden. Das gibt es nicht, zumindest jetzt noch nicht, zu dem Zeitpunkt.

Erzähler:

Tatsächlich ist es fast unmöglich, auf eigene Faust Eltern zu finden, die eine ähnliche

Geschichte mit ihrem Kind durchleiden. Frau N. versucht also, sich selbst zu helfen, denn ihr

wird klar, dass da eine große Gefahr im Raum steht: Die Gefahr, der Sohn könnte sich dem

Jihad anschließen, dem Heiligen Krieg, und nach Syrien ausreisen. Diese Gefahr ist real. Der

Verfassungsschutzpräsident spricht von ca. 450 Männern und Frauen, die Deutschland in

Richtung Syrien verlassen haben. Aber es gibt mit Sicherheit eine höhere Dunkelziffer. Und es

sind nicht nur gebürtige Muslime: Ungefähr 14 Prozent derer, die aus Deutschland in den

Heiligen Krieg ziehen, sind Konvertiten.

O-TON: Hans-Georg Maaßen, Verfassungsschutz

Es gibt Schleusernetzwerke, die hier in Deutschland beginnen, es fängt an mit der Ansprache der

Rekrutierung, dass man Leute findet und sie solange bearbeitet, sage ich mal, bis sie auch bereit

sind, nach Syrien zu gehen. Und dann gibt es Brückenköpfe in der Türkei, die diese Leute dann in

Empfang nehmen oder weiterschleusen bis nach Syrien. Der normale Reiseweg ist von

Deutschland auf dem Luftwege in die Türkei oder auf dem Landwege, und einmal in der Türkei

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angekommen, kümmern sich dann Schleuser darum, dass diese Leute dann über die türkisch-

syrische Grenze gebracht werden.

Erzähler:

Hans Georg Maaßen kennt das Problem aus früheren Kriegsregionen, wie Afghanistan oder

Pakistan. Doch damals war es für Jihad-Anhänger aus Europa schwieriger, die Kampfgebiete zu

erreichen.

Als die ersten jungen Männer aus Deutschland Mitte der 2000er Jahre in den Jihad zogen,

fragten sich die Sicherheitsbehörden, wie es zu dieser Radikalisierung kommen konnte. Erst

nachdem die sogenannte Sauerlandgruppe, die bislang bekannteste Terrorzelle in

Deutschland, festgenommen worden war, stellten die Ermittler fest, dass ihre Mitglieder zuvor

in salafistischen Gruppen aktiv gewesen waren. Dort wurde die Grundlage für ihre

Radikalisierung geschaffen. Dieses Muster findet sich in den Lebensläufen aller deutschen

Jihadisten.

O-TON: Hans-Georg Maaßen, Verfassungsschutz

Wir haben jetzt festgestellt, dass in Syrien oftmals jeder genommen wird, der bereit ist, zu

kämpfen und nach unserer Einschätzung werden diese Leute auch als Kanonenfutter, wenn ich

das so sagen darf, verwendet, nämlich ohne Ausbildung, ohne Kampferfahrung, ohne Anleitung,

ohne richtige Kampfbekleidung und Ausrüstung werden die in den Kampf geschickt. Und wir

haben festgestellt, dass mittlerweile schon über 25 Leute aus Deutschland in den Kämpfen in

Syrien ums Leben gekommen sind.

Erzähler:

Die Gruppe ISIS – Islamischer Staat im Irak und Großsyrien – die sich heute IS nennt –

islamischer Staat - nimmt jeden, der kommt. Im Gegensatz zu der ebenfalls islamistischen

Terror-Organisation „Al Nusra Front“, die nur diejenigen auswählt, die körperlich und mental

für den Kampf geeignet sind. Der IS öffnet sich auch für Menschen, die einfach nur Waffen

tragen oder bei Hinrichtungen helfen können. Oder eben als Kanonenfutter für den Heiligen

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Krieg in den Tod gehen. Der Weg dorthin ist kurz. Häufig beginnt er an einem Infostand in

einer deutschen Fußgängerzone, wo an Passanten der Koran verteilt wird – gratis.

ATMO

O-TON: Thomas Schweer, Wissenschaftler

Die, die rekrutieren, überlassen ja nicht alles dem Zufall. Die gucken ja schon ganz gezielt. Sie

gucken natürlich, wo sie geeignetes Potential finden. Vielleicht auch in der ein oder anderen

Moschee, aber da bin ich auch immer vorsichtig, dass man sagt, wenn ich in eine Moschee gehe,

bin ich gefährdet, weil ich religiös bin. Also das glaub ich auch nicht. Man kann sie im Grunde

genommen überall finden.

Erzähler:

Dr. Thomas Schweer, Sozialwissenschaftler und Leiter der Forschungsgruppe „Abweichendes

Verhalten und soziale Kontrolle“ der Uni Duisburg. Er hat Lebensläufe von Extremisten und

Terroristen untersucht sowie die Anwerbe-Taktik der Salafisten.

O-TON: Thomas Schweer

Ich denke, Ziel ist natürlich, jemanden für seine Ideologie zu gewinnen. Weil man ja selbst davon

überzeugt ist, mehr oder weniger und dann schauen sie natürlich, wer ist für was geeignet. Ich

überspitze es mal, Sie haben Mitläufer, Sie haben Leute, wenn Sie in die terroristische Szene

gehen, die auch bereit sind, sich in Syrien ausbilden zu lassen und zu kämpfen, das ist auch nicht

jedermanns Sache. Es gibt die Leute, die organisieren, es gibt Leute, die machen Propaganda, es

gibt Leute, die wollen Gewalt – da tun sich die extremistischen und terroristischen Vereinigungen

gar nichts. Das ist immer das gleiche, sie haben die Bauern, die Soldaten, jeder nach seinen

Qualitäten, sage ich mal.

ATMO Spielende Kinder

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O-TON: Kinder

Wir wohnen hier in der Nähe, wir spielen gerne Uno, weil wir Uno spielen mögen, das ist ziemlich

nett hier, und manchmal machen die hier auch Nachhilfe.

Erzähler:

Die IFAK in Bochum. Sie ist mehr als Kinderbetreuung und Hausaufgabenhilfe. Sie ist geradezu

ein Bollwerk gegen alles, was radikal und islamistisch ist.

O-Ton: Kemal Bozay, IFAK

Wir betreuen derzeit 60 Familien und können mit ruhigem Gewissen sagen, dass ein Drittel

deutsche Familien sind. Und damit ist das Thema Salafismus kein rein muslimisches Thema,

sondern ein Thema, das in der Mitte der Gesellschaft tagtäglich erlebt wird.

Erzähler:

Die IFAK heißt eigentlich „Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe –

Migrationsarbeit". Hinter diesem sperrigen Namen stehen Beraterinnen und Berater, die

versuchen, den von Salafismus betroffenen Familien Halt zu geben.

O-TON: Kemal Bozay, IFAK

Ein Teil sind Familien, deren Kinder in Syrien sind, die auch verzweifelt nicht wissen, wie sie wieder

Kontakt zu ihren Kindern bekommen - und da versuchen wir durch Familienvernetzung, durch

Gespräche, durch Informationsarbeit, den Familien Tipps und Anhaltspunkte mitzugeben, wie

man so bestimmte Kontakte wieder herstellen kann.

Erzähler:

Dr. Kemal Bozay ist Sozialwissenschaftler und Geschäftsführer der IFAK. Und er sagt, die Arbeit

mit den Familien braucht sehr viel Erfahrung. Deshalb gehört die IFAK zu dem Projekt

„Wegweiser“, das der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger im März 2014 auf den

Weg gebracht hat.

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O-TON: Ralf Jäger

Wir wollen die erreichen, die drohen in diese Ideologie abzurutschen, aber ihnen auch einen

Ausstieg anbieten, wenn sie schon reingeraten sind. Wichtig ist, das ist eine sehr extremistische

Ideologie, die vorgibt, wenn Du ganz in uns eintauchst, dann sind alle Deine Probleme gelöst, du

hast für alle Fragen einfache Antworten und das macht die Attraktivität dieses Extremismus aus.

Erzähler:

Was der Innenminister da auf einer Pressekonferenz verkündet, hört sich handfest und so

einfach an. Aber alle Beteiligten wissen, dass es unglaublich schwierig ist, junge Menschen aus

dem Salafismus zurückzuholen. Denn jedes Schicksal ist anders. Und es gibt kein Patentrezept

– weil es kein einheitliches Muster dafür gibt, warum sich Menschen radikalisieren.

O-TON: Thomas Schweer

Das wirkliche Leben ist nicht schwarz und weiß. Und ich habe als Kriminologe die Erfahrung

gemacht, als junger Wissenschaftler habe ich immer gedacht, je mehr Sie lesen, je mehr Sie sich

mit einem Phänomen beschäftigen, desto klarer wird es - ist genau das Gegenteil.

Erzähler:

Heute weiß Thomas Schweer, dass er in diesem Punkt sein Denken korrigieren musste.

O-TON: Thomas Schweer, Wissenschaftler

Wir suchen wahrscheinlich nach etwas, das wir gar nicht finden werden. Je mehr Studien Sie

lesen, desto schwieriger wird eine Einordnung. Ich meine, wir mögen es natürlich, gerade wenn

wir über Terroristen sprechen oder über Serienmörder oder Menschen, die außergewöhnlich

schlimme Dinge tun, dann sehen wir Monster, Teufel, weil wir möchten uns ja von ihnen

abgrenzen. Weil, wenn wir uns nicht abgrenzen, kommen wir leicht dahin, dass wir ja auch

irgendwo gefährdet sind. Wenn wir sagen, das ist ein Monster, das ist vollkommen unnormal, die

sind psychisch krank, dann wird es für uns einfacher, die sind da und wir sind hier.

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Seite 13

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Erzähler:

In Deutschland gibt es eine Reihe von salafistischen Hotspots. Die meisten dieser Gruppen

oder Zellen befinden sich in Nordrhein-Westfalen mit insgesamt ca. 1800 Anhängern: Im Köln-

Bonner Raum, im Bergischen Land und im Ruhrgebiet. In Hessen werden gegenwärtig 1200

Personen der aktiven salafistischen Szene zugerechnet. Weitere Gruppen gibt es in Berlin und

Hamburg.

O-TON: Thomas Schweer, Wissenschaftler

Es gibt Menschen, bis zu einem gewissen Punkt da stimmt alles, und der eine biegt in die

Richtung ab, der andere in die. Der eine führt ein normales Leben, der andere wird Terrorist,

was ist jetzt der Unterschied? Das Problem ist, ich kann in jeder Biographie suchen, ich finde in

jeder Biographie irgendwas.

Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, es gibt ganz ganz viele Biographien, wo das

ähnlich ist und die werden nicht Extremisten. Man könnte sogar sagen, vielleicht ist der

Extremismus eine nicht geeignete Form mit dem Problem umzugehen, der Nachbarsjunge

verliert sich vielleicht in der Drogensucht, der andere in einer Straßengang. Wir haben ja

immer das Politische im Kopf, es muss irgendwas Politisches sein, sonst kann es ja nicht

funktionieren. Vielleicht kann man es auch mal andersrum aufziehen. Vielleicht ist das

Politische nur der Mantel. Ich habe häufig die Erfahrung gemacht, das Politische und Religiöse

ist sekundär.

Erzähler:

Mittlerweile schließen sich auch immer mehr Mädchen dem Salafismus an. Im Sommer 2014

sind nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden ca. 40 junge Frauen von Deutschland nach

Syrien und in den Irak ausgereist. Der Verfassungsschutz spricht von einer Frauenquote von 11

Prozent.

Sprecher:

Anfang August 2014 meldet die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ eine Märtyreroperation

gegen kurdische Einheiten südwestlich von Mossul. Abu Osama al Almani soll sich demnach

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mit einem mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in die Luft gesprengt haben. Unter diesem

Namen war zuvor der ehemalige Pizzabote Philip B. aus Dinslaken-Lohberg aufgetreten. Die

deutschen Sicherheitsbehörden konnten den Tod des jungen Mannes nicht bestätigen. Sein

Facebook-Profil war seit Wochen abgeschaltet, und wenn junge Deutsche einmal die Grenze

nach Syrien oder in den Irak überschritten haben, verschwinden sie weitgehend vom Radar

deutscher Behörden. Lediglich der Bundesnachrichtendienst erfährt gelegentlich, was die

jungen Männer und Frauen treiben, die Deutschland Richtung Kriegsgebiet in der Levante

verlassen haben. Dabei war Philip B. kein Unbekannter. Lange Zeit gehörte er zu den Anführern

einer Jihadisten-Zelle in Lohberg. Im Sommer 2013 war er nach Syrien gereist und meldete sich

seitdem immer wieder auf Facebook.

O-TON: Thomas Schweer, Wissenschaftler

Sie können eine geschichtliche Figur werden. Uns wird man vergessen haben, nach unserem Tod,

das geht ganz schnell. Mohamed Atta wird nicht vergessen, der ist Geschichte, Osama bin Laden

ist Geschichte, kann auch ein großer Motivator sein. Mohamed Atta kam nicht unbedingt aus

einer schlecht situierten Familie. Osama Bin Laden weiß Gott nicht. So, dann fragen wir, wenn die

so was Extremes machen, müssen die irgendwie krank sein im Kopf. Weil ein normaler Mensch

macht das ja nicht. Aber die Frage ist, was ist normal. Dann lesen wir eine Studie, die sagt, so

psychisch krank sind viele gar nicht, die sind eigentlich psychisch gesund. Dann ist ihnen dieser

Faktor genommen. Dann kommt das nächste, das Religiöse, nehmen wir den Salafismus, Sie lesen

die ein oder andere Studie, da kommt dann raus, nein, die religiöse Motivation ist nicht der

primäre Faktor. Und so arbeiten Sie sich mühsam ab und Sie suchen den Faktor und den finden

Sie nicht.

Erzähler:

Salafisten sind nicht hierarchisch organisiert, sondern – das wurde in den Strafprozessen

gegen islamistische Terroristen deutlich – es sind lose Gruppierungen, die sich um einzelne

Prediger oder Anführer bilden. Es gibt weder Mitgliederverzeichnisse noch

Geschäftsordnungen, wie z.B. in deutschen Vereinen. Das macht es so schwierig,

Zusammenhänge zu erkennen oder genaue Zahlen zu benennen. Die Anhänger des politischen

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hören, was dahinter steckt! das ARD radiofeature Neue Heimat Salafismus - November 2014

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und jihadistischen Salafismus eint die Überzeugung, Teil einer religiösen Elite zu sein. Ottmar

Breidling war Richter am Düsseldorfer Oberlandesgericht. Er führte die ersten Strafverfahren

gegen islamistische Terroristen in Deutschland. Stichwort: Sauerlandgruppe.

O-TON: Ottmar Breidling, ehem. Richter

Eines lässt sich für alle unsere Angeklagten festhalten: dass, egal wie sehr sie sich mit der Religion

befasst haben, ihr Hauptbestreben immer war, nur das aus dem Islam herauszupicken, was ihrer

jihadistischen Grundeinstellung zuträglich war oder womit sie das begründen konnten. Also

einen tiefgläubigen Einstieg in den Islam haben wir gar nicht so beobachten können. Es war mehr

das Bemühen, vermeintliche Argumente zu finden, um ihren Hass auf die westliche Gesellschaft

mit einer islamischen Verbrämung versehen zu können.

ATMO / MUSIK

Erzähler:

Suchen wir etwas, das wir nicht finden können? Wann beginnt der Einstieg in den

gewaltbereiten Salafismus? Das Bundeskriminalamt ist zuständig für Ermittlungen gegen den

terroristischen Islamismus. Mitarbeiter vom sozialwissenschaftlichen Dienst des BKAs

beschäftigen sich mit den Grundlagen terroristischer Gewaltphänomene. Denn das BKA soll

mit dafür sorgen, dass Straftaten verhindert werden. Aber:

O-TON: Brahim Ben-Shama, BKA

Ein großes Problem ist es, den richtigen Moment zu erkennen. Also wann beginnt es in Richtung

Gewaltausübung zu entgleiten. Es ist sehr schwer vorherzusagen. Und man kann auch nicht

ganze Bevölkerungsgruppen oder ganze Szenen unter Verdacht nehmen, nach dem Motto, die

sind alle potentiell gewaltgefährdet.

Erzähler:

Brahim Ben-Shama ist Psychologe beim BKA.

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O-TON: Brahim Ben-Shama, BKA

Es bleibt immer ein Restrisiko, dass Individuen, die in solch einem radikalen Milieu sind und für

eine lange Zeit radikale Einstellungen eingepflegt haben, Gewalthandlungen unternehmen

können, ohne dass wir das erkennen können.

O-TON: Mutter

Da war irgendwann so der Punkt, wo ich dachte, ich weiß nicht, ob er wirklich nur zum Islam

konvertiert ist, oder ob er doch in eine extreme Richtung gegangen ist, zumal wir die Freunde

auch nicht kennen, er zeigt sie uns auch nicht, er stellt sie nicht vor, wir haben nachgefragt, lade

sie doch mal ein, wir würden die gerne mal kennen lernen, aber das hat er nicht gemacht.

Sprecherin:

Als er mir vorgehalten hat, mich gefälligst zu verschleiern, wenn ich nicht als Prostituierte

gelten wolle, war es mit dem Familienfrieden endgültig vorbei. Ich habe Benjamin eine Frist

von drei Monaten gesetzt, aus unserer Wohnung auszuziehen.

Erzähler:

Der Sohn von Frau N. verlässt tatsächlich die Wohnung. Trotzdem will sie weiterhin Kontakt zu

ihm halten.

O-TON: BAMF Berater

Hier ist die Beratungsstelle Radikalisierung Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, was kann

ich für Sie tun?

Erzähler:

Die Anruferin befürchtet, dass ihr Sohn in den Krieg zieht. In ihrer Verzweiflung greift sie zum

Telefon. Frau N. hat die Nummer nach einigem Suchen im Internet gefunden. Andere Eltern

melden sich bei der Polizei, die dann die Kontaktdaten der Berater weitergibt. Frau N. nimmt

nach einem langen Telefonat mit dem Bundesamt für Migration schließlich den Vorschlag an,

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persönlich mit einem Berater in ihrer Nähe zu sprechen. Dieser Mann heißt Ahmad Mansour.

Die ersten Stunden sind schwierig.

O-TON: Ahmad Mansour, Berater

Sie war emotional sehr geladen, sie hat sich Sorgen gemacht, und da ging es eigentlich primär

um ihre Gefühle, da gings da drum, dass sie Vertrauen mit mir aufbaut, dass sie alles erzählen

kann, dass es nicht darum geht, von ihr Informationen zu holen, sondern ihren Gefühlen und

ihren Ängsten nachzugehen, ihnen Platz zu geben und sie einfach nur zu hören.

Erzähler:

Und dann geht es erstmal nur um den seelischen Schmerz der Mutter. Das Kind, das sie

geboren hat, ist ihr mit einem Mal völlig fremd geworden.

O-TON Ahmad Mansour, Berater

Die Tatsache, dass er nicht mehr seinen Geburtstag feiern will, dass er nicht Weihnachten mit der

Familie feiern will, weil es ist islamisch verboten, sagt er, Weihnachten zu feiern. Aber vor allem,

dass er nicht mit ihr essen will, dass sie für ihn eine Art Schlampe ist, wenn sie kein Kopftuch

trägt, wenn sie den Islam nicht annimmt, wenn sie sich nicht verschleiert. Da können Sie sich

vorstellen, dass eine Mutter, die ihn bei allen seinen Entwicklungsstadien begleitet hat, auf

einmal sie ablehnt, wegen irgendwelcher Ideologie, wegen Kleidung, wegen Religion und das tut

vielen Eltern einfach weh.

Erzähler:

Seit dem ersten Gespräch – im Dezember 2013 – sind Frau N. und Ahmad Mansour

wöchentlich – manchmal sogar mehrmals in der Woche im Kontakt. Sie telefonieren oder sie

treffen sich. Mehr oder weniger heimlich, weil der Sohn nicht wissen soll, dass es einen Berater

im Hintergrund gibt. Die Mutter befürchtet, Benjamin könne sich dann ganz abwenden.

Sprecherin:

Mein Sohn traf zufälligerweise seine Cousine und weigerte sich, ihr die Hand zu geben. Er

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wollte auch nicht richtig mit ihr reden, obwohl sie lange Zeit eine enge Vertraute von ihm

gewesen war. Er hat versucht, uns Vorschriften zu machen und wollte, dass wir zum Islam

konvertieren.

Erzähler:

Mansour hilft, dass Frau N. ihre Scham überwinden kann. Die Scham, mit ihrem Kind nicht

mehr reden zu können, es womöglich verloren zu haben an etwas, das vorgibt, besser als das

Elternhaus zu sein. Ahmad Mansour gibt ihr sozusagen Sprechunterricht.

O-TON: Ahmad Mansour

Das hat lang gedauert, wieder einen normalen, gesunden, vertrauensvollen Kontakt zu dem Kind

aufzunehmen, weil nur so können wir weitere Radikalisierungstendenzen beobachten und

dagegen steuern. Wenn das Kind kein Kontakt mit seinen Eltern hat, dann wissen wir nicht, was

er gerade macht, in welchem Stadium er gerade ist, ob er nach Syrien geht und ob die

Radikalisierung weiter gegangen ist.

ATMO / MUSIK

Erzähler:

Syrien und der Irak – ein großes Thema für mehr als 400 Familien in Deutschland. Ihre Kinder

haben sich aufgemacht, an diesem Krieg teilzunehmen. Mit Abenteuerlust und Begeisterung

für ein Kriegsspiel in einem jihadistischen Disneyland. Zusammen mit Freunden etwas absolut

Außergewöhnliches erleben. Der Sozialwissenschaftler Thomas Schweer:

O-TON: Thomas Schweer, Wissenschaftler

So funktioniert Krieg. So hat es in der Hitlerjugend funktioniert. Das funktioniert in Afrika und das

funktioniert seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt so. Das ist so eine Paarung aus jugendlichem

Abenteuer, Mannwerden, ich bin wichtig. Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Schule schlecht,

keiner beachtet Sie, keiner will was von Ihnen, und so absurd es klingt, plötzlich interessiert sich

der Staatsschutz für Sie, die kommen vorbei. Sie erzielen Aufmerksamkeit, sie stellen ein Video ein,

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alle reagieren panisch, die Medien kommen, Sie geben ein Interview, plötzlich sind Sie wer, das

hat doch ne Faszination.

O-TON: Gespräch mit Sabri ben Abda

Ben Abda: Warum mischt Ihr Euch denn bei UNS ein?

Jöris: Es mischt sich niemand ein.

Ben Abda: Hausdurchsuchungen, Medien, Überwachung, Sie stehen vor mir

Gucken Sie mal, ich sag Ihnen ich bin kein Salafist, warum beschreiben sie mich in den Medien als

Salafist?

Jöris: Ich habe sie noch gar nicht beschrieben.

Ben Abda: Aber Ihre Kollegen vom WDR.

Erzähler:

Mit Selfies - strahlende Gesichter und Waffe in der Hand - Fotos von Hinrichtungen und Folter-

Szenen, mit Filmen von Angriffen auf ihre vermeintlichen Feinde im Irak und in Syrien, lassen

sie ihre Glaubensbrüder in Deutschland am Geschehen im Kampfgebiet teilnehmen. Das

Internet wird zum wichtigsten Propaganda-Medium. Es verkürzt die Wege zwischen Europa

und den islamistischen Krisenherden. Verbreitet Ideologien, Strategien und hilft dabei,

Anschläge zu koordinieren.

ATMO / MUSIK

O-TON: Hans- Georg Maaßen, Verfassungsschutz

Das Internet wird benutzt als Propagandamedium, wird benutzt, um auch Spenden zu sammeln,

es wird benutzt zum Kommunizieren, es wird aber auch benutzt, das sehen wir jetzt im

Syrienkonflikt, als ein Medium, um aktuelle Informationen aus dem Geschehen nach Deutschland

zu transportieren, auf Deutsch, und das macht aus unserer Wahrnehmung den großen

Unterschied aus: jetzt wird getwittert, jetzt wird Facebook genutzt mit Fotos, teilweise mit

unvorstellbar grausamen Fotos von Hinrichtungen, aus dem Kriegsgeschehen in Syrien, wo junge

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Salafisten aus Deutschland Bilder posten, und stolz darauf sind, an Hinrichtungen mitgewirkt zu

haben.

Erzähler:

Verfassungsschützer Hans Georg Maaßen berichtet von Fotos, die Kreuzigungen zeigen. Ein

Foto zeigt den 24-jährigen Mustafa K. aus Dinslaken. Der gelernte Paketzusteller reiste im

Frühsommer 2013 nach Syrien und schloss sich dort der damaligen ISIS, heute IS, an. Anfang

2014 taucht bei Facebook ein Bild von ihm auf, das zeigt, wie Mustafa K. lächelnd den Kopf

eines Enthaupteten in der Hand hält. Zu seinen Füßen liegt ein weiterer Kopf und links neben

ihm der Torso eines Ermordeten.

O-TON: Hans-Georg Maaßen, Verfassungsschutz

Es gibt junge Leute, es sind nicht viele, aber es sind leider für unsere Problemgruppe zu viele Leute,

die so etwas cool finden, die so etwas mögen und leider Gottes findet Facebook über seine

Verbreitungsmöglichkeiten junge Leute, die auf so etwas hereinfallen.

Erzähler:

Selbst aus völlig abgelegenen Gegenden in Syrien oder im Irak laden die jungen Leute Fotos,

Videos und kurze Berichte ihres blutigen Abenteuers hoch. Über ihre Smartphones berichten

sie schneller und aktueller als die Fernseh- und Radiosender über das Geschehen in der

Levante. Ist also das Internet auch ein Raum, in dem junge Menschen schnell und einfach

radikalisiert werden können? Ja, sagt Brahim Ben-Shama vom Bundeskriminalamt, aber er gibt

zu bedenken:

O-TON: Brahim Ben-Shama, BKA

Radikalisierung braucht auch Interaktion, gruppendynamische Prozesse, allerdings die wird man

im Internet nicht in der gleichen Intensität und Häufigkeit finden wie in der realen Welt. Meine

persönliche Meinung ist, dass eine reale Interaktion in einem realen Umfeld immer sehr wichtig

ist für eine Radikalisierung. Das Internet alleine ist nicht in der Lage, Menschen so weit zu

radikalisieren, dass sie Gewalt ausüben.

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Seite 21

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MUSIK/ATMO

O-TON: Mutter

Wir sind auch zu nem Treffen gewesen, es war noch ne weitere Familie da, da ging es aber dann

um die Tochter, die mit dem Partner in Syrien war und die zweite Familie, die kommen sollte,

man hat da noch mal versucht anzurufen, aber dann kam die Mitarbeiterin zurück und sagte, der

Sohn sei wahrscheinlich auch schon tot.

Erzähler:

Das Internet eröffnet den Eltern auch eine Möglichkeit, mit ihren kämpfenden Kindern in den

Kriegsgebieten wieder in Kontakt zu kommen. Die Mitarbeiter der IFAK in Bochum helfen z.B.

beim Skypen. Sie bieten Elternabende an, um sich auszutauschen und sich gegenseitig von der

großen Angst zu erzählen: Von der Angst, ihre Kinder könnten in Syrien erschossen und

irgendwo im Sand verbuddelt werden. Auf Nimmerwiedersehen. Einfach weg, so als hätte es

diesen Menschen nie gegeben.

O-TON: Kemal Bozay, IFAK

Zwei Fälle hatten wir, wo die Familien den Verdacht hatten, dass die Kinder nicht mehr leben,

sondern Opfer von Anschlägen geworden sind und auch als Märtyrer in salafistischen Szenen

bejubelt werden. Da haben wir mitgesucht, ob das stimmt, bei einem Fall war das so, bei dem

anderen hatten wir jetzt keine Information.

Erzähler:

Kemal Bozay, Leiter der IFAK, wirkt zugeknöpft. Eigentlich will er die Gefahr Syrien für die

Öffentlichkeit konkreter machen, nicht nur Zahlen und Fakten vermitteln. Aber die betroffenen

Familien schweigen und gehen Interviews aus dem Weg.

O-TON: Mitarbeiterin, IFAK

Wir haben mit einigen Müttern gesprochen, die auch Kontakt zu den Salafisten hatten und sie

gebeten, heute zu kommen, aber leider sind sie nicht erschienen. Ich denke mal, Angst vor der

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Presse, Angst vor der anderen Seite, kann ich Ihnen nicht genau beantworten, was dahinter

steckt.

Sprecher:

Im Salafismus gibt es keine traditionell ausgebildeten Geistlichen – arabisch Ulama.

Theologische Laien predigen die Lehren. Sie bedienen sich der Sprache ihrer jungen Zuhörer

und behaupten gerne und zu Unrecht, dass Islamismus und Salafismus dasselbe seien. Durch

ihre öffentlichen Auftritte und im Internet verbreiteten Predigten haben sie oftmals den Status

von Popstars. In seinem Buch „Salafisten – Bedrohung für Deutschland“ schreibt Ulrich

Kraetzer, dass sich auf Youtube mittlerweile etwa 40 Wortführer identifizieren lassen. In Teilen

der Szene werden sie als „Youtubies“ verspottet.

ATMO: Demo / Redeausschnitt Pierre Vogel

Erzähler:

Mönchengladbach, im Februar 2014. Der Redner Pierre Vogel, einer der Stars der Szene,

ehemaliger Berufsboxer, heutiger Hassprediger, trat selbstbewusst auf. Auch die Teilnehmer

der Veranstaltung strotzten vor Energie, attackierten Journalisten.

O-TON: Vortrag Pierre Vogel

Ihr wisst sicher, dass ich der radikal-islamistische Friedensaktivist Pierre Vogel bin. Wir engagieren

uns für humanitäre Hilfe in Syrien.

Erzähler:

Sie wollen nicht Salafisten genannt werden, sie nennen sich Helden. Weil ihre Gruppe dafür

sorgt, dass sie in ihrer Einzigartigkeit erkannt werden. Weil ihre Gruppe sagt: Wir brauchen

DICH. Sie machen ein Angebot, das mit Macht verbunden ist.

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O-TON: Ottmar Breidling, ehem. Richter

Wir haben eine zunehmend komplizierte Welt und da waren junge Menschen mit

unterschiedlicher Schattierung, die auf der Suche waren nach Antworten, die wollten ein Ja oder

Nein hören zu den Fragen, was ist richtig und was ist falsch. Und da haben islamische

Hassprediger einfache Angebote gemacht, einfache Antworten gegeben auf diese Fragen und auf

diese einfache Weltsicht sind die jungen Menschen dann reingefallen, die waren eigentlich in

einem ethischen Niemandsland aufgewachsen, sage ich mal und sahen, dass sie Freunde hatten,

die mithilfe des Islam eine Orientierung formulieren konnten und das fanden sie dann schon

hilfreich.

Erzähler:

Der Begriff Niemandsland scheint ein Schlüssel zu sein. Die jungen Männer und Frauen haben

das ethische Geländer verloren. Sie sind niemand und sie wissen nicht, wohin. Berater Ahmad

Mansour sagt: Das Niemandsland muss bevölkert werden mit Menschen, die Werte, Normen

und Liebe glaubhaft vorleben. Das hört sich pathetisch an. Aber es funktioniert, wie Mansour

berichtet.

O-TON: Mansour, Berater

Da geht es primär darum zuzuhören, ihm den Platz zu geben, über seine Religion zu erzählen,

nicht alles zu akzeptieren, auch Fragen zu stellen, auch zu äußern, dass sie mit bestimmten

Äußerungen, bestimmten Ideologien nicht einverstanden ist.

O-TON Mutter:

Ich bin auf unseren Sohn zugegangen und habe dieses Thema Salafismus / Islamismus außen vor

gelassen und habe gesagt: Du bist unser Sohn und Du bleibst unser Sohn. Und für mich war auch

wichtig, im Kontakt, im Dialog mit ihm zu bleiben, ich hatte schon das Gefühl, wir verlieren ihn,

wenn ich jetzt nicht den Schritt zurück mache. Im Moment funktioniert es sehr gut, es wird nicht

mehr thematisiert, er kommt nach Hause, aber was sich im Hintergrund abspielt, das wissen wir

nicht.

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Seite 24

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Erzähler:

Den Rat mit ihren Kindern in Kontakt zu bleiben bekommen alle Eltern, egal ob sie aus sozialen

Brennpunkten stammen, im Nobelviertel wohnen oder aus der Mittelschicht kommen. Aber –

hilft das wirklich? Wollen die jungen Männer und Frauen, die auf den Kriegsschauplätzen

dieser Welt ihre Identität erproben, überhaupt wieder zurück in ihr altes Leben?

O-TON: Schweer, Wissenschaftler

Wir sind alle soziale Wesen und wir wollen alle soziale Anerkennung haben. Und ich glaub, da

sind alle Menschen auf der Welt gleich: wir wollen von anderen Menschen anerkannt werden,

vielleicht auch geliebt werden und respektiert werden und wertgeschätzt werden und wenn wir

das Menschen nicht geben, auch in ihrer Andersartigkeit, solange sie sich im Rahmen der

Grundrechte bewegen. Und ich glaube, wenn ich andere Menschen wertschätze, der trotzdem ne

andere Meinung hat, dann kann ich ihn leichter mit Argumenten überzeugen. Wenn ich ihn aber

von vorneherein ablehne und sage, ich will dich gar nicht, dann darf ich mich nicht wundern,

wenn er meinen Argumenten gar nicht zugänglich ist.

MUSIK / ATMO

Erzähler:

Ahmad Mansour, der die Radikalisierungsverläufe kennt und die verzweifelten Mütter und

Väter berät, hat seine Kindheit in Israel verbracht. Im September 2014 wurde er in Berlin mit

dem Moses-Mendelsson-Preis für Toleranz ausgezeichnet.

O-TON: Ahmad Mansour, Berater

Mit 13 war ich auch in so extremistischen Milieus unterwegs. Ich wurde damals von meinem

arabischen Lehrer angesprochen, ob ich zu seinem Koranunterricht in der Moschee kommen

wollte und ich war stolz, dass er mich eingeladen hat, dass er mich ausgewählt hat, und auf

einmal gehe ich eine Gruppe, die sagt, Du gehörst dazu. Wir haben ganz klare Feindbilder

geschaffen, wer vom Westen kommt, oder von Kommunisten, oder von Juden, oder von Christen,

alles was in der Welt passiert, passiert, um die Muslime zu bekämpfen. Das gibt mir Sicherheit,

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weil ich die Welt dann verstanden habe, dass die alles gegen mich ist. Und dass kein Mensch

glücklich sein kann ohne Muslim zu sein. Islam ist die Lösung für alles. Für psychische

Krankheiten, für politische Lage, für familiäre Zustände für Geld und daran habe ich geglaubt.

Und die Ideologie war gefährlich, weil ich angefangen habe, Menschen abzuwerten, Menschen zu

hassen, weil sie nicht beten, weil die Frau kein Kopftuch trägt usw. Ich habe Glück gehabt, weil

meine Eltern, die am Anfang sehr stolz auf mich waren, immer wieder haben mich dazu bewegt,

Fragen zu stellen, immer wieder hat mein Vater mir Geschichten erzählt, aus andere Situationen,

wo Menschen, die ich für heilig gehalten habe, immer wieder gezeigt, wie doppelmoralisch ihr

Leben ist, das hat mich zum Nachdenken gebracht. Auch die Tatsache, dass ich Psychologie

studiert habe, hat in meinen Gedanken neue Inhalte installiert, was mich noch mehr dazu

gebracht hat, Sachen zu hinterfragen.

Erzähler:

Es braucht sehr viel Zeit, Kraft und Geduld, bis sich ein junger Mensch tatsächlich traut, aus

einer radikalen salafistischen Gruppe wieder auszuscheiden. Manchmal liegt es an der Angst,

die Gruppe könnte gewalttätig werden, denn nach der Scharia wird der sogenannte Abfall vom

wahren Glauben mit dem Tod bestraft. Manchmal liegt es auch daran, dass die Gruppe nicht

so einfach loslässt, ständig wieder auftaucht und mit SMS versucht, den Kontakt nicht

abbrechen zu lassen. Jemand der sich nicht mehr meldet, wird zu Hause aufgesucht.

O-TON: Ahmad Mansour, Berater

Und viele Eltern leider versagen, in dem sie diese Geduld nicht haben, in dem sie ganz schnell

Ergebnisse sehen wollen, die Politik will auch ganz schnell Aussteiger haben, die Politik will, dass

sich die Jugendlichen ganz schnell von den Salafisten verabschieden und sich nicht weiter zu

radikalisieren.

ATMO / MUSIK

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Erzähler:

Das Thema Salafismus eignet sich hervorragend für gut besuchte Pressekonferenzen und fette

Schlagzeilen. Nur: Weniger Medienberichte, dafür mehr Elternliebe – das kann ein Staat nicht

verordnen. Ein Staat wie Deutschland hat nur zwei Instrumente: Das erste heißt: Repression –

also die Arbeit von Polizei und Justiz.

O-TON: Thomas Schweer, Wissenschaftler

Repression mag sicherlich ein Faktor sein. Wenn Sie in einer Situation sind, in der Sie sich selbst

unsicher sind, und der Staat ganz klar sagt, da ist ne Grenze und da hört unsere Toleranz auf, ich

bin ein Freund von ganz klaren Grenzen, wir haben ganz klare Regeln in dieser Gesellschaft, wie

wir miteinander umgehen, also Grundrechte und dass unser Staat ganz klar zeigt, auch der

nachwachsenden Generation, dass gewisse Dinge nicht geduldet werden.

Erzähler:

Thomas Schweer weiß aber auch, Repression ist kein Allheilmittel. Und außerdem sind die

Möglichkeiten begrenzt. Die Polizei kann eine Ausreise nach Syrien nicht ohne weiteres

verbieten.

O-TON Ottmar Breidling, ehem. Richter

Man könnte sicherlich darüber nachdenken über die Frage, ob man, wenn man sichere

Anhaltspunkte hat, dass sich jemand einer ausländischen Streitmacht anschließt, die Möglichkeit

der Ausreise erschwert oder auch beschränkt; also die Rechtsfragen sind derzeit noch ungeklärt,

aber dass sich ein Rechtsstaat fragen muss, ob er es zulässt, dass junge Menschen ins Ausland

gehen, um sich militärisch ausbilden zu lassen mit der weiteren Gefahr, dass sie zurückkommen

und das was sie gelernt haben, hier nicht nur in Bilderbüchern aufschreiben, sondern auch

umsetzen wollen, und eine Gefahr für die Menschen dieses Landes zu werden, da muss man

sicher ernsthaft drüber nachdenken.

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Erzähler:

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen weist auf ein anderes Problem hin, für das

noch niemand eine Lösung hat. Es geht um die Rückkehrer aus den Kriegsgebieten. Auch da

hilft nicht einfach: Repression – wer sich in Syrien oder Im Irak aufgehalten hat, kann

schließlich nicht nur deshalb in Deutschland eingesperrt werden. Man muss ihm die

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nachweisen können. Doch die Spur der

Ausreisenden verliert sich meist beim Grenzübertritt nach Syrien oder in den Irak. Erst wenn

sie nach Deutschland zurückkommen, werden sie auch für die Ermittler wieder sichtbar. Ein

Teil von ihnen wartet bereits im Gefängnis auf das Ende ihres Strafverfahrens. Ein anderer Teil

wird von Sozialarbeitern betreut, um sie für unsere Gesellschaft zurückzugewinnen.

O-TON: Hans-Georg Maaßen, Verfassungsschutz

Man muss wirklich unterscheiden: es gibt einige, und ich würde sagen, dass sind eher wenige, die

traumatisiert sind, die schockiert sind und sich zurückziehen von der jihadistischen Ideologie.

Aber der größere Teil, so unsere Einschätzung, ist weiter euphorisch und versucht hier in

Deutschland entweder weitere Personen zu rekrutieren für den Kampf in Syrien, logistische

Unterstützung herzustellen oder nutzt Deutschland als Ruheraum um wieder zurückzukehren.

Wir haben bislang allerdings keine Erkenntnisse, dass diese Leute, die hierhin kommen, Anschläge

in Deutschland planen, aber das heißt nicht, dass das unwahrscheinlich ist. Im Gegenteil, wir

sehen eine hohe, bislang noch abstrakte Gefahr, dass diese Leute, die zurückkommen, auch in

Deutschland einmal Anschläge begehen, der Anschlag in Brüssel ist, denke ich mir, ein warnendes

Signal gewesen.

Sprecher:

Am 24. Mai 2014 wurden vier Menschen im Jüdischen Museum in Brüssel erschossen. Der

mutmaßliche Täter, ein Franzose mit marokkanischen Wurzeln, war 2013 in Syrien gewesen

und soll dort zusammen mit militanten Jihadisten der Gruppe IS gekämpft haben.

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hören, was dahinter steckt! das ARD radiofeature Neue Heimat Salafismus - November 2014

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Erzähler:

Das zweite Instrument des Staates heißt Prävention. Netzwerke wie IFAK in Bochum oder

HAYAT in Berlin können diese Aufgabe übernehmen. Dazu brauchen sie aber Geld, Räume, und

gut geschultes Personal. Und sie brauchen vor allem gesellschaftliche Unterstützung.

Ehrenamtliche Helfer, aber auch z.B. Unternehmen, die Ausbildungsplätze anbieten, um

Jugendlichen eine handfeste Perspektive zu eröffnen. Der Sozialwissenschaftler Kemal Bozay

von der Bochumer Beratungsstelle IFAK arbeitet daran.

O-TON: Kemal Bozay, IFAK

Wir wollen Institutionen, Schulen, Jugendamt, soziale Einrichtungen, offene Jugendtreffs,

Familieneinrichtungen, Kindergärten alle möglichen Einrichtungen dieser Gesellschaft aufklären,

welche zusammenhängende Hintergründe dahinterstecken, weil wir beobachten gerade, dass bei

den gesamten Akteuren und Einrichtungen eine gewisse Überforderung da ist.

Erzähler:

Ganz praktisch heißt das, dass das Land Nordrhein-Westfalen, wie andere Bundesländer auch,

auf besondere Streetworker setzt. Sie werden in Schulen und Elternhäuser geschickt, um mit

gefährdeten Jugendlichen Kontakt aufzunehmen.

O-TON: Wegweiser

Wir nehmen das richtig ernst und natürlich ist dieses Risiko sehr groß, deshalb ist der Schutz der

Wegweiser sehr wichtig, damit wir in Ruhe arbeiten können.

Erzähler:

Die Mitarbeiter von „Wegweiser“ wollen sich nicht bei ihrer Arbeit von einem Mikrofon

begleitet lassen, um keine Zielscheibe von Salafisten zu werden, die dann Namen und Bilder im

Internet veröffentlichen.

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O-TON: Wegweiser

Natürlich sind auch die Familien interessiert ihren Jugendlichen zu schützen, jeder Vater, jede

Mutter möchte ihre Kinder schützen. Deshalb denke ich, dass die Familien das Projekt

wahrnehmen und uns dann aufsuchen.

Erzähler:

Ahmad Mansour ist da optimistisch. Aber – er sieht nicht nur staatliche Stellen oder die Familie

in der Pflicht. Die muslimischen Gemeinden verurteilen zwar grundsätzlich die Gewalttaten

der Islamisten, aber sie halten sich häufig mit Stellungnahmen zurück. Im September 2014

demonstrierten erstmals Muslime in ganz Deutschland gegen den Terror der IS. In

Stellungnahmen distanzierten sich die Sprecher der islamischen Verbände eindeutig von der

jihadistischen Gewalt. Ein gutes Zeichen, das aber in der alltäglichen Gemeindearbeit noch

umgesetzt werden muss.

O-TON: Ahmad Mansour

Als Muslim sage ich, dass die muslimische Community in vielen Fällen versagt hat. Es ist nicht

genug, die Moscheen zuzumachen und die salafistische Prediger nicht zu erlauben, rein zu

kommen. Das heißt, wenn wir radikale Islamisten bekämpfen wollen, dann müssen wir anfangen

uns als Muslime über diese Inhalte unterhalten. Über Angstpädagogik, über Geschlechterrollen,

über Geschlechtertrennung, über Abwertung der anderen über Exklusivitätsanspruch, nur wir die

Muslime haben ein Ticket zum Himmel, alle anderen werden in der Hölle schmoren. Wenn wir ein

Wir-Gefühl schaffen, dann werden wir eine großartige Präventionsarbeit leisten können.

Erzähler:

Zukunftsperspektiven In einer deutschen Mittelschichtsfamilie im Jahr 2014:

O-Ton Mutter:

Uns ist es wichtig, mit ihm in Kontakt zu bleiben, denn sonst fällt da ne Klappe und dann geht gar

nichts mehr.

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O-TON: Thomas Schweer, Wissenschaftler

Das sind Menschen, das sind alles Menschen. Mohammed Atta ist ein Mensch, Osama bin Laden

ist ein Mensch. Die kommen nicht aus der Hölle, das sind nicht andere Wesen von einem anderen

Stern, das sind Menschen und die Frage ist, warum tun sie das, was sie getan haben.

Absage:

Neue Heimat Salafismus

Ein Feature von Irene Geuer und Paul Elmar Jöris

Es sprachen: Fabian Gerhardt, Kerstin Thielemann und Niklas Kohrt

Technische Realisation: Ilse Sieweke und Mechthild Austermann

Regieassistenz: Rami Hamze

Regie: Martin Zylka

Redaktion: Gisela Corves

Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks für das ARD-radiofeature 2014.