Hoffmann Struwwelpeter

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Struwwelpeter

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  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    oder

    Lustige Geschichten

    und drollige Bilder

    vonDr. Heinrich Hoffmann

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    Vorspruch

    Wenn die Kinder artig sind,Kommt zu ihnen das Christkind;Wenn sie ihre Suppe essenUnd das Brot auch nicht vergessen,Wenn sie, ohne Lrm zu machen,

    Still sind bei den Siebensachen,Beim Spaziergehn auf den GassenVon Mama sich fhren lassen,Bringt es ihnen Guts genugUnd ein schnes Bilderbuch.

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    Sieh einmal, hier steht er,Pfui! der STRUWWELPETER!An den Hnden beidenLie er sich nicht schneidenSeine Ngel fast ein Jahr;Kmmen lie er nicht sein Haar.

    Pfui! ruft da ein jeder:Garstger STRUWWELPETER!

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    Die Geschichte vom bsen Friederich

    Der FRIEDERICH, der Friederich.Das war ein arger Wterich!Er fing die Fliegen in dem HausUnd ri ihnen die Flgel aus.Er schlug die Sthl und Vgel tot,Die Katzen litten groe Not.Und hre nur, wie bs er war:Er peitschte seine Gretchen gar!

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    Am Brunnen stand ein groer Hund,Trank Wasser dort mit seinem Mund.Da mit der Peitsch herzu sich schlich

    Der bitterbse Friederich;Und schlug den Hund, der heulte sehr,Und trat und schlug ihn immer mehr.Da bi der Hund ihn in das Bein,Recht tief bis in das Blut hinein.Der bitterbse Friederich,Der schrie und weinte bitterlich. Jedoch nach Hause lief der HundUnd trug die Peitsche in dem Mund.

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    Der Hund an Friedrichs Tischchen sa,Wo er den groen Kuchen a;A auch die gute LeberwurstUnd trank den Wein fr seinen Durst.Die Peitsche hat er mitgebrachtUnd nimmt sie sorglich sehr in acht.

    Ins Bett mu Friedrich nun hinein,Litt vielen Schmerz an seinem Bein;Und der Herr Doktor sitzt dabeiUnd gibt ihm bittre Arzenei.

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    Die gar traurige Geschichtemit dem Feuerzeug

    PAULINCHENwar allein zu Haus,Die Eltern waren beide aus.Als sie nun durch das Zimmer sprangMit leichtem Mut und Sing und Sang,Da sah sie pltzlich vor sich stehnEin Feuerzeug, nett anzusehn.Ei, sprach sie, ei, wie schn und fein!Das mu ein trefflich Spielzeug sein.Ich znde mir ein Hlzchen an,

    Wies oft die Mutter hat getan.

    Und MINZund MAUNZ, die Katzen, Erheben ihre Tatzen. Sie drohen mit den Pfoten: Der Vater hats verboten ! Miau! Mio! Miau! Mio! La stehn! Sonst brennst du lichterloh!

    Paulinchen hrt die Katzen nicht!Das Hlzchen brennt gar hell und licht,Das flackert lustig, knistert laut,Grad wie ihrs auf dem Bilde schaut.Paulinchen aber freut sich sehrUnd sprang im Zimmer hin und her.

    Doch Minz und Maunz, die Katzen, Erheben ihre Tatzen. Sie drohen mit den Pfoten: Die Mutter hats verboten ! Miau! Mio! Miau! Mio! Wirfs weg! Sonst brennst du lichterloh!

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    Doch weh! die Flamme fat das Kleid,Die Schrze brennt; es leuchtet weit.Es brennt die Hand, es brennt das Haar,

    Es brennt das ganze Kind sogar.

    Und Minz und Maunz, die schreien Gar jmmerlich zu zweien: Herbei! Herbei! Wer hilft geschwind? In Feuer steht das ganze Kind! Miau! Mio! Miau! Mio! Zu Hilf ! das Kind brennt lichterloh!

    Verbrannt ist alles ganz und gar,Das arme Kind mit Haut und Haar;Ein Huflein Asche bleibt alleinUnd beide Schuh, so hbsch und fein.

    Und Minz und Maunz, die kleinen, Die sitzen da und weinen: Miau! Mio! Miau! Mio! Wo sind die armen Eltern ? Wo? Und ihre Trnen flieen Wies Bchlein auf den Wiesen.

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    Die Geschichte von den schwarzen Buben

    Es ging spazieren vor dem TorEin kohlpechrabenschwarzer Mohr.Die Sonne schien ihm aufs Gehirn,Da nahm er seinen Sonnenschirm.Da kam der LUDWIGhergeranntUnd trug sein Fhnchen in der Hand.Der KASPARkam mit schnellem SchrittUnd brachte seine Bretzel mit;

    Und auch der WILHELMwar nicht steifUnd brachte seinen runden Reif.Die schrien und lachten alle drei,Als dort das Mohrchen ging vorbei,Weil es so schwarz wie Tinte sei!

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    Da kam der groe NIKOLASMit seinem groen Tintenfa.Der sprach: Ihr Kinder, hrt mir zu,Und lat den Mohren hbsch in Ruh!

    Was kann denn dieser Mohr dafr,Da er so wei nicht ist wie ihr?Die Buben aber folgten nicht,Und lachten ihm ins AngesichtUnd lachten rger als zuvorber den armen schwarzen Mohr.

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    Der Niklas wurde bs und wild,Du siehst es hier auf diesem Bild!Er packte gleich die Buben fest,Beim Arm, beim Kopf, bei Rock und West,

    Den Wilhelm und den Ludewig,Den Kaspar auch, der wehrte sich.Er tunkt sie in die Tinte tief,Wie auch der Kaspar: Feuer! rief.

    Bis bern Kopf ins TintenfaTunkt sie der groe Nikolas.

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    Du siehst sie hier, wie schwarz sie sind,Viel schwrzer als das Mohrenkind!Der Mohr voraus im Sonnenschein,Die Tintenbuben hintendrein;Und htten sie nicht so gelacht,Htt Niklas sie nicht schwarz gemacht.

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    Die Geschichte vom wilden Jger

    Es zog der wilde JgersmannSein grasgrn neues Rcklein an;

    Nahm Ranzen, Pulverhorn und Flint,Und lief hinaus ins Feld geschwind.

    Er trug die Brille auf der NasUnd wollte schieen tot den Has.

    Das Hschen sitzt im BltterhausUnd lacht den blinden Jger aus.

    Jetzt schien die Sonne gar zu sehr,Da ward ihm sein Gewehr zu schwer.Er legte sich ins grne Gras;Das alles sah der kleine Has.Und als der Jger schnarcht und schlief,Der Has ganz heimlich zu ihm liefUnd nahm die Flint und auch die BrillUnd schlich davon ganz leis und still.

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    Die Brille hat das Hschen jetztSich selbst auf seine Nas gesetzt;Und schieen wills aus dem Gewehr.Der Jger aber frcht sich sehr.Er luft davon und springt und schreit:Zu Hilf, ihr Leut ! Zu Hilf, ihr Leut !

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    Da kommt der wilde JgersmannZuletzt beim tiefen Brnnchen an.Er springt hinein. Die Not war gro;Es schiet der Has die Flinte los.

    Des Jgers Frau am Fenster saUnd trank aus ihrer Kaffeetass.Die scho das Hschen ganz entzwei;Da rief die Frau: O wei! O wei!Doch bei dem Brnnchen heimlich saDes Hschens Kind, der kleine Has.Der hockte da im grnen Gras;Dem flo der Kaffee auf die Nas.Er schrie: Wer hat mich da verbrannt?Und hielt den Lffel in der Hand.

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    Die Geschichtevom Daumenlutscher

    KONRAD ! sprach die Frau Mama,Ich geh aus und du bleibst da.Sei hbsch ordentlich und fromm,Bis nach Haus ich wieder komm.Und vor allem, Konrad, hr!Lutsche nicht am Daumen mehr;Denn der Schneider mit der ScherKommt sonst ganz geschwind daher,Und die Daumen schneidet er

    Ab, als ob Papier es wr.

    Fort geht nun die Mutter, undWupp! den Daumen in den Mund.

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    Bauz! da geht die Tre auf,Und herein in schnellem LaufSpringt der Schneider in die StubZu dem Daumen-Lutscher-Bub.Weh! Jetzt geht es klipp und klappMit der Scher die Daumen ab,Mit der groen scharfen Scher!Hei! da schreit der Konrad sehr.

    Als die Mutter kommt nach Haus,Sieht der Konrad traurig aus.Ohne Daumen steht er dort,Die sind alle beide fort.

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    Die Geschichte vom Suppen-Kaspar

    Der KASPAR, der war kerngesund,Ein dicker Bub und kugelrund,Er hatte Backen rot und frisch;Die Suppe a er hbsch bei Tisch.Doch einmal fing er an zu schrein:Ich esse keine Suppe! Nein!Ich esse meine Suppe nicht!Nein, meine Suppe ess ich nicht!

    Am nchstenTag, ja sieh nur her!Da war er schon viel magerer.Da fing er wieder an zu schrein:Ich esse keine Suppe! Nein!Ich esse meine Suppe nicht!Nein, meine Suppe ess ich nicht!

    Am drittenTag, o weh und ach!Wie ist der Kaspar dnn und schwach!

    Doch als die Suppe kam herein,Gleich fing er wieder an zu schrein:Ich esse keine Suppe! Nein!Ich esse meine Suppe nicht!Nein, meine Suppe ess ich nicht!

    Am viertenTage endlich garDer Kaspar wie ein Fdchen war.Er wog vielleicht ein halbes Lot Und war amfnftenTage tot.

  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    Die Geschichte vom Zappel-Philipp

    Ob der PHILIPPheute stillWohl bei Tische sitzen will?Also sprach in ernstem TonDer Papa zu seinem Sohn,Und die Mutter blickte stummAuf dem ganzen Tisch herum.Doch der Philipp hrte nicht,Was zu ihm der Vater spricht. Er gaukelt Und schaukelt, Er trappelt Und zappeltAuf dem Stuhle hin und her.Philipp, das mifllt mir sehr!

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    Seht, ihr lieben Kinder, seht,Wies dem Philipp weiter geht!Oben steht es auf dem Bild.Seht! Er schaukelt gar zu wild,Bis der Stuhl nach hinten fllt;Da ist nichts mehr, was ihn hlt;Nach dem Tischtuch greift er, schreit.Doch was hilfts? Zu gleicher ZeitFallen Teller, Flasch und Brot,Vater ist in groer Not,Und die Mutter blicket stummAuf dem ganzen Tisch herum.

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    Nun ist Philipp ganz versteckt,Und der Tisch ist abgedeckt.Was der Vater essen wollt,Unten auf der Erde rollt;Suppe, Brot und alle Bissen,Alles ist herabgerissen;Suppenschssel ist entzwei,Und die Eltern stehn dabei.Beide sind gar zornig sehr,Haben nichts zu essen mehr.

  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    Die Geschichte vom Hans Guck-in-die-Luft

    Wenn der HANSzur Schule ging,Stets sein Blick am Himmel hing.Nach den Dchern, Wolken, SchwalbenSchaut er aufwrts, allenthalben:Vor die eignen Fe dicht,Ja, da sah der Bursche nicht,Also da ein jeder ruft:Seht den Hans Guck-in-die-Luft!

    Kam ein Hund daher gerannt;Hnslein blickte unverwandtIn die Luft.Niemand ruft:Hans! gib acht, der Hund ist nah!Was geschah?Pauz! Perdauz! da liegen zwei!Hund und Hnschen nebenbei.

  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    Einst ging er an Ufers RandMit der Mappe in der Hand.Nach dem blauen Himmel hochSah er, wo die Schwalbe flog,Also da er kerzengrad

    Immer mehr zum Flusse trat. Und die Fischlein in der Reih Sind erstaunt sehr, alle drei.

    Noch ein Schritt! und plumps! der HansStrzt hinab kopfber ganz! Die drei Fischlein sehr erschreckt Haben sich sogleich versteckt.

  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    Doch zum Glck da kommen zweiMnner aus der Nh herbei,Und sie haben ihn mit StangenAus dem Wasser aufgefangen.

    Seht! Nun steht er triefend na!Ei! das ist ein schlechter Spa!

    Wasser luft dem armen WichtAus den Haaren ins Gesicht,Aus den Kleidern, von den Armen;Und es friert ihn zum Erbarmen.

    Doch die Fischlein alle drei,Schwimmen hurtig gleich herbei;Streckens Kpflein aus der Flut,Lachen, da mans hren tut,Lachen fort noch lange Zeit;Und die Mappe schwimmt schon weit.

  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    Die Geschichtevom fliegenden Robert

    Wenn der Regen niederbraust,Wenn der Sturm das Feld durchsaust,

    Bleiben Mdchen oder BubenHbsch daheim in ihren Stuben. ROBERTaber dachte: Nein!Das mu drauen herrlich sein! Und im Felde patschet erMit dem Regenschirm umher.

    Hui, wie pfeift der Sturm und keucht,Da der Baum sich niederbeugt!Seht! den Schirm erfat der Wind,

    Und der Robert fliegt geschwindDurch die Luft so hoch, so weit;Niemand hrt ihn, wenn er schreit.An die Wolken stt er schon,Und der Hut fliegt auch davon.

    Schirm und Robert fliegen dortDurch die Wolken immerfort.Und der Hut fliegt weit voran,Stt zuletzt am Himmel an.Wo der Wind sie hingetragen,

    Ja! das wei kein Mensch zu sagen.

  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    Wie der Struwwelpeterentstand

    Gegen Weihnachten des Jahres 1844, als mein ltester Sohn drei Jahrealt war, ging ich in die Stadt, um demselben zum Festgeschenke einBilderbuch zu kaufen, wie es der Fassungskraft des kleinen mensch-

    lichen Wesens in solchem Alter entsprechend schien. Aber was fandich? Lange Erzhlungen oder alberne Bildersammlungen, moralischeGeschichten, die mit ermahnenden Vorschriften begannen und schlos-sen, wie: Das brave Kind mu wahrhaft sein; oder: Brave Kindermssen sich reinlich halten etc. Als ich nun gar endlich ein Folio-buch fand, in welchem eine Bank, ein Stuhl, ein Topf, und vieles an-dere, was wchst oder gemacht wird, ein wahres Weltrepertorium, ab-gezeichnet war, und wo bei jedem Bild fein suberlich zu lesen war:die Hlfte, ein Drittel, oder ein Zehntel der natrlichen Gre, da war

    es mit meiner Geduld aus. Einem Kind, dem man eine Bank zeich-net, und das sich daran erfreuen soll, ist dies eine Bank, eine wirklicheBank. Und von der wirklichen Lebensgre der Bank hat und brauchtdas Kind gar keinen Begriff zu haben. Abstrakt denkt ja das Kind nochgar nicht, und die allgemeine Warnung: Du sollst nicht lgen! hatwenig ausgerichtet im Vergleich mit der Geschichte: Fritz, Fritz, dieBrcke kommt!

    Als ich damals heimkam, hatte ich aber doch ein Buch mitge-bracht; ich berreichte es meiner Frau mit den Worten: Hier ist das

    gewnschte Buch fr den Jungen! Sie nahm es und rief verwundert:Das ist ja ein Schreibheft mit leeren weien Blttern! Nun ja, dawollen wir ein Buch daraus machen!

    Damit ging es nun aber so zu. Ich war damals, neben meinem Amtals Arzt der Irrenanstalt, auch noch auf Praxis in der Stadt angewie-sen. Nun ist es ein eigen Ding um den Verkehr des Arztes mit Kindern

    von drei bis sechs Jahren. In gesunden Tagen wird der Arzt und derSchornsteinfeger gar oft als Erziehungsmittel gebraucht: Kind, wenndu nicht brav bist, kommt der Schornsteinfeger und holt dich! oder:Kind, wenn du zu viel davon issest, so kommt der Doktor und gibtdir bittere Arznei, oder setzt dir gar Blutegel an! Die Folge ist, da,wenn in schlimmen Zeiten der Doktor gerufen in das Zimmer tritt, derkleine kranke Engel zu heulen, sich zu wehren und um sich zu tretenanfngt. Eine Untersuchung des Zustandes ist schlechterdings unmg-lich; stundenlang aber kann der Arzt nicht den Beruhigenden, Besnf-tigenden machen. Da half mir gewhnlich rasch ein Blttchen Papierund Bleistift; eine der Geschichten, wie sie in dem Buche stehen, wird

    rasch erfunden, mit drei Strichen gezeichnet, und dazu mglichst le-bendig erzhlt. Der wilde Oppositionsmann wird ruhig, die Trnentrocknen, und der Arzt kann spielend seine Pflicht tun.

  • 5/20/2018 Hoffmann Struwwelpeter

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    So entstanden die meisten dieser tollen Szenen, und ich schpftesie aus vorhandenem Vorrate; einiges wurde spter dazu erfunden, dieBilder wurden mit derselben Feder und Tinte gezeichnet, mit der icherst die Reime geschrieben hatte, alles unmittelbar und ohne schrift-stellerische Absichtlichkeit. Das Heft wurde eingebunden und auf den

    Weihnachtstisch gelegt. Die Wirkung auf den beschenkten Knaben wardie erwartete; aber unerwartet war die auf einige erwachsene Freunde,die das Bchlein zu Gesicht bekamen. Von allen Seiten wurde ich auf-gefordert, es drucken zu lassen und es zu verffentlichen. Ich lehnte esanfangs ab; ich hatte nicht im Entferntesten daran gedacht, als Kinder-schriftsteller und Bilderbchler aufzutreten. Fast wider Willen wurdeich dazu gebracht, als ich einst in einer literarischen Abendgesellschaftmit dem einen meiner jetzigen Verleger gemtlich bei der Flasche zu-sammensa. Und so trat das bescheidene Hauskind pltzlich hinaus in

    die weite offene Welt und machte nun seine Reise, ich kann wohl sagen,um die Welt, und ist heute seit einunddreiig Jahren bis zur hunderts-tenAuflage gelangt. Von bersetzungen ist mir bis jetzt eine englische,hollndische, dnische, schwedische, russische, franzsische, italieni-sche, spanische und eine portugiesische (fr Brasilien) zu Gesicht ge-kommen.

    Ich mu dabei auch des sonderbaren Erfolges erwhnen, den dasBchlein anfangs in Frankfurt selbst hatte. In den ersten Monaten desJahres 1846, nachdem der Struwwelpeter am vergangenen Christfest

    zum ersten Male in die Kinderwelt getreten war, wurde ich oft vondankbaren Mttern oder entzckten Vtern auf der Strae angehalten,welche mich mit den Worten begrten: Lieber Herr Doktor, was ha-ben Sie uns eine Freude gemacht! Ich habe da zu Hause ein dreijhri-ges Kind, welches sich bis jetzt sehr langsam entwickelte und nun inganz kurzer Zeit das ganze Buch auswendig wei und ganz allerliebsthersagt. Ich versichere Sie, in dem Kinde steckt was! Damals warendie Genies unter den Kindern ganz gemein geworden. Spter sahenfreilich die Leute ein, da es nicht sowohl in den auergewhnlichenAnlagen der Kleinen, als in der glcklich getroffenen plastischen Dik-tion steckte.

    Trotzdem hat man den Struwwelpeter aber auch groer Snden be-schuldigt, denselben als gar zu mrchenhaft, die Bilder als fratzenhaftoft herb genug getadelt. Da hie es : Das Buch verdirbt mit seinen Frat-zen das sthetische Gefhl des Kindes. Nun gut, so erziehe man dieSuglinge in Gemldegalerien oder in Kabinetten mit antiken Gipsab-drcken! Aber man mu dann auch verhten, da das Kind sich selbst

    nicht kleine menschliche Figuren aus zwei Kreisen und vier geradenLinien in der bekannten Weise zeichne und glcklicher dabei ist, alswenn man ihm den Laokoon zeigt. Das Buch soll ja mrchenhafte,

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    grausige, bertriebene Vorstellungen hervorrufen! Das Kind ist abernur das Volk, und schwerlich werden diese Erzieher die Geschichte

    vom Rotkppchen, das der Wolf verschluckte, vom Schneewittchen,das die bse Stiefmutter vergiftete, aus dem Volksbewutsein und ausder Kinderstube vertilgen. Mit der absoluten Wahrheit, mit algebrai-

    schen oder geometrischen Stzen rhrt man aber keine Kinderseele,sondern lt sie elend verkmmern. Und wie viele Wunder umge-ben denn nicht auch den Erwachsenen, selbst den nchternsten Na-turforscher! Dem Kinde ist ja alles noch wunderbar, was es schaut undhrt, und im Verhltnis zum immer noch Unerklrten ist berhauptdie Masse des Erkannten doch auch nicht so gewaltig. Der Verstandwird sich sein Recht schon verschaffen, und der Mensch ist glcklich,der sich einen Teil des Kindersinnes aus seinen ersten Dmmerungs-

    jahren in das Leben hinber zu retten verstand.

    Meine weiteren Bcher der Art, Knig Nuknacker, Im Himmel undauf der Erde, Bastian der Faulpelz, Prinz Grnewald und Perlenfein, entstanden in derselben Absicht und aus derselben Ansicht. Immeraber ging ich von der berzeugung aus: Das Kind erfat und begreiftnur, was es sieht.

    Dr. Heinrich Hoffmann

    [Die Gartenlaube, 46/1871]

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    Ende

    Inhalt

    Vorspruch 3Die Geschichte vom bsen Friederich 7Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug 10

    Die Geschichte von den schwarzen Buben 12Die Geschichte vom wilden Jger 16Die Geschichte vom Daumenlutscher 19Die Geschichte vom Suppen-Kaspar 21Die Geschichte vom Zappel-Philipp 22Die Geschichte vom Hans Guck-in-die-Luft 25Die Geschichte vom fliegenden Robert 28Wie der Struwwelpeterentstand 29