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GREENPEACE MEMBER 2011, NR. 4 SCHWERPUNKT: ROHSTOFFE S. 20–35 Made in California S. 12 Essen aus dem Container S. 49 Schwarzes Loch Fukushima S. 62 Arktis-Expedition 2011: das grosse Schmelzen S. 43

Greenpeace Switzerland Magazin 4/2011 DE

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Greenpeace Switzerland Magazin 4/2011 DE

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SCHWERPUNKT: ROHSTOFFE S. 20–35Made in California S. 12Essen aus dem Container S. 49Schwarzes Loch Fukushima S. 62

— Arktis-Expedition 2011: das grosse Schmelzen S. 43

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Editorial — Alles spricht vom Ende von etwas. Vom not - wen digen Ende der Gier, vom Ende des Wachstums, vom Ende eines Systems. Kommt jetzt der Kollaps, oder ist das der Beginn des ersehnten Umbaus von Wirtschaft und globaler Gesellschaft?

Der mögliche Wendepunkt hat wahrlich zwei Gesichter, wie Dr. Jekyll und Mr Hyde. Da sind die Energie(R)evolution und grüne, lebensbejahenden Weltanschauungen auf dem Vor-marsch. Aber da ist auch der Irrsinn eines so verzweifelten wie skrupellosen Wettlaufs um die letzten Tropfen Saft «that makes the world go round». Das Absurde an diesem Rennen ist, dass es vorgibt, Boom zu sein – statt Bumm!

In dieser Ausgabe Ihres Greenpeace-Magazins haben wir versucht, dieses Panorama zwischen Abgründen und beflügelnden Visionen auszuloten. Wer nach Visionen sucht, ist schnell in Kalifornien, denn kein Staat symbolisiert den ewigen Aufbruch so sehr. Fundamentale Bewegungen starteten am Westrand des Kontinents, aber auch Apple und Google. Wird das Traumland seinem Anspruch gerecht? Lesen Sie darüber ab Seite 12. Gönnen Sie sich diese Reise in die Sonne. Denn wir zeigen Ihnen auch Schockierendes.

Moderner Rohstoffabbau: eine Geisterbahn zu geköpf-ten Bergen und gesprengten Gletschern. Wir blicken in die Müllcontainer hinter unseren Supermärkten und entdecken dort «Rohstoffe» von perversem Ausmass, die unerschro-ckenen «Dumpster Divers», darunter unsere Autorin, glück-licherweise anzapfen. Gleichzeitig hat anderswo das Re cyc ling von Rohstoffen ungeahnte Dimensionen angenom-men: Einmal mehr führen uns unsere Recherchen nach China. Und wenn wir schon im fernen Osten sind: Blicken wir doch nach Fukushima, damit es nicht vollends vergessen geht.

Nein, schonen wollen wir Sie in dieser Ausgabe nicht… Aber wir wären nicht Greenpeace, wenn zwischen den Seiten nicht Bilder und Geschichten von positiven Taten stecken würden.

Die Redaktion

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Magazin GreenpeaceNr. 4 — 2011

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Reportage CALIFORNIA DREAMIN’ 12Die amerikanische Wiege von Bewegungen und technologien träumt von der grünen Revolution.

Schwerpunkt Rohstoffe BERgRAUBBAU 20Krieg, Schieberei, perverser abbau: Die Rohstoffbeschaffung verseucht die Welt. gIFT gEgEN gAS 28Schiefergas ist in manchen ländern verboten, in anderen begehrt. Und in der Schweiz?

SChROTTBöRSE 30In Shanghai hat sogar Recycling einen globalisierten Marktplatz.

MEhR SELBSTKRITIK 33auch Photovoltaikanlagen bergen Ökorisiken. Die Branche muss genauer hinschauen.

Dumpster Diving KöSTLIChER MÜLL 49Berge von Nahrung im abfall. aus Protest gehen leute am Container statt im Supermarkt «einkaufen».

InterviewsKIKI TAUFIK, WALDKARTOGR AF 38ECKHARD WOLFF & JULIA RITSCHARD, AKTIVIST UnD AKTIVISTIn 40

EssaysTAUWETTER: FOTOS AUS DER ARKTIS 43GELD UnD WACHSTUM VERSTEHEn 58

Neue KampagneRECHT OHnE GREnZEn 61

FukushimanICHTWISSEn, DAS SCHWAR ZE LOCH 62

NachrufeDOROTHY STOWE 65WAnGARI MAATHAI 69

In aktion 02leserbriefe 10Chefsache 1 1Die Karte 36Neue technologien 54Kampagnen-News 66In Kürze 68Öko-Rätsel 72

IMpRESSUM gREENpEACE MEMBER 4/2011Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweiz Heinrichstrasse 147 Postfach, 8031 ZürichTelefon 044 447 41 41, Fax 044 447 41 99 [email protected]

Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, Hina Struever, Roland Falk Autoren: Hannes Grassegger, Thomas niederberger, Pascal Vinard, Léon Schneider, Kuno Roth, Marcel Hänggi, Urs Fitze, Inga Laas, Marc Ita, Susan Boos, Rex Wyler Fotografen: Thomas Muscionico, nick Cobbing, Olivia HeusserGestaltung: Hubertus DesignDruck: Swissprinters, St. GallenPapier Umschlag und Inhalt: 100% Recycling Schriften: Lyon Text, Suisse BP Int’lDruckauflage: d 117 500, f 22 000Erscheinungsweise: viermal jährlichDas Magazin Greenpeace geht an alle Mitglieder (Jahresbeitrag ab Fr. 72.–). Es kann Meinungen ent halten, die nicht mit offiziellen Greenpeace- Positionen übereinstimmen.

Spenden: Postkonto: 80-6222-8Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spendenSMS-Spenden: Keyword GP und Betrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.—: GP 10 an 488)

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Westpazifik, 11. Oktober 2011 Rettungsaktion in asien Greenpeace-aktivisten retten einen Schwertfisch vom haken, den ein taiwanesisches Fangschiff ausgelegt hat. Sie verlangen von taiwan die Schonung bedrohter Fischbestände im Pazifik.

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Ort, 1. Mai 2000 headline Blindtext: adip euipis exercilit amconse quation henibh euguer si bla feugait, sequam, consenim venit ad dunt ent praese ex eugait, venit, vel er at eros nulla feu faci-nim dolum incipit, cortie

Südafrika, 11. Juli 2011 Protest in afrika «Klimakiller» steht auf einem der Banner geschrieben, mit denen sich Greenpeace-Kletterer auf dem Gelände des Kohlekraftwerks Kusile von einem Kran abseilen. Kusile entwickelt sich zum viertgrössten treibhaus-gasproduzenten unter den Kraftwerken weltweit. Green-peace fordert, das Projekt aufzugeben und in erneuer-bare Energien zu investieren.

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Rio de Janeiro, 31. august 2011 Demonstration in Südamerika Im haupsitz der brasilianischen Ölfirma OGX protestiert ein Greenpeace-aktivist für den Schutz des gefähr-deten archipels abrolhos. Greenpeace verlangt einen Ölförderungsstopp und ein 20-jähriges Mora torium für die Region.

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london, 7. September 2011 Konfrontation in Europa Während der «grünen» automesse EcoVelocity entlarven als «Star Wars»-Figuren verkleidete Greenpeace-akti visten den autokonzern Volkswagen als Umwelt-Dämon: Der Konzern lobbyiert gegen schärfere Klimaschutzgesetze.

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www.greenpeace.ch/debatten

Stellungnahme von Ecopop

Im letzten Greenpeace-Magazin haben wir die Initia-tive «Stopp der Überbevölkerung» des Vereins Ecopop in zwei artikeln kritisch beleuchtet. Die Initiative stellt in unseren augen ein pro blematisches Dreieck her zwischen Umweltschutz, Einwanderung und Bevölke-rungswachstum in der Dritten Welt. Sie fordert eine drastische Begrenzung der hiesigen Immigration und mehr Familienplanung in den Entwicklungsländern.

Die negativen Reaktionen auf unsere Beiträge waren zahlreich und heftig. Wir haben kurze Zuschriften und lange, fundierte abhandlungen erhalten. Ihnen allen hier gerecht zu werden, wäre unmöglich. Deshalb haben wir uns entschlossen, hier mit einigen kernigen Einwänden in eine Debatte einzusteigen und diese auf unserer Website unter www.greenpeace.ch/debatten fortzusetzen. Matthias Wyssmann

In einer Stellungsnahme zeigt sich Ecopop «ent-täuscht über die einseitige und unqualifizierte Bericht-erstattung zu unserer Initiative.» Die Überbeanspru-chung der Erde durch immer mehr Menschen sei «zu ernst, um einfach mit den Pauschalvorwürfen ‹Kolo-nialismus‹ oder gar ‹Eugenik‹ abgekanzelt zu werden.» Ecopop liefert Zahlen zum Bevölkerungswachstum: «Die Bevölkerung der Erde nimmt jeden tag um 220 000 Menschen zu, jedes Jahr sind wir 80 Millionen mehr! Diese Zahl entspricht der Schätzung der UNO

der jährlichen, ungewollten Schwangerschaften.» In der Schweiz werde «jede Sekunde ein Quadratmeter wertvolles ackerland zugepflastert! Die Zunahme der Siedlungsfläche seit 1994 ist zu 77 % auf Bevölke-rungszunahme (...) zurückzuführen!» Ecopop will nicht in eine rechte Ecke gedrängt werden und «spricht sich in ihren Statuten klar gegen jegliche art von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aus.»Vollständige Stellungsnahme auf www.greenpeace.ch/debatten

Zur TiefenökologieIch bin zutiefst beunruhigt,

weil ich mich frage, was mit der Magazin-Redaktion los ist, dass sie einem so wirren und widersprüch-lichen Konglomerat wie dem Artikel von Herrn Grassegger Raum gibt. Seine Stossrichtung ist klar: Er hat die so genannte Tie-fenökologie als gefährliche Welt-anschauung entdeckt und glaubt, damit ein Mittel in der Hand zu haben, um die Ecopop-Leute als Spinner zu entlarven. (...) Es müsste ein Bewusstsein zum nor-malfall werden, dass wir Men-schen nicht die Herren der Schöp-fung sind, die die Erde beliebig ausplündern können. (…) Das ist doch irgendwie auch die Art von philosophischer Grundhaltung, die Greenpeace antreibt. Die Orga-nisation Ecopop kann eigentlich stolz darauf sein, wenn sie mit der

Tiefenökologie in Verbindung gebracht wird. Dieter Steiner, Zürich

Öko-Faschismus?Die Versuche von Susan Boos,

Ecopop in die braune Ecke zu rü-cken sind unterste Schublade. Das ist dieselbe Masche, mit der auch Greenpeace als Öko-Faschisten bezeichnet werden. Da kommt nun endlich ein Verein, der eine unbe-queme Wahrheit offen zur Sprache bringt, genau wie das Greenpeace auch tut. Ist er deswegen braun, weil er mit der CH-Volksinitiative die Zukunftsaussichten der Schweiz und nicht gerade der gan-zen Erdkugel verbessern will? Dieter Bachmann, per E-mail

Milderung für 3. WeltWenn man die Forderung nach

Unterstützung der Familienpla-

nung in der Dritten Welt in die Initiative aufgenommen hat, geschah dies aus Verantwortungs-bewusstsein und um die Folgen unserer Einwanderungsbegren-zung in gewissen Entwicklungs-ländern zu mildern. Dr. Friedrich Oelhafen, Rupperswil

Himmlisches WunderGut, dass etwas gegen den

angeblichen «demographischen Winter» auf der nordhalbkugel getan wird. Weniger als zwei Kin-der pro Frau, sogar in China! Dass in diesem Land die Bevölke-rung trotzdem wächst, muss wohl ein himmlisches Wunder sein. Eine schrumpfende Bevölkerung, wie schrecklich! Bären, Wölfe und Luchse fänden in der Schweiz wieder Lebensraum. Hannes Zürrer, Zürich

leserbriefe

Ecopop — die Debatte

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David ist da. Warten wir nicht auf die Regenbogenkrieger

Eine vor 50 Jahren erstmals veröffentlichte legende besagt: «Es gab da eine alte vom Stamme der Cree, die wurde ‹Feuerauge› genannt. Sie prophezeite eines tages, dass die Gier des weissen Mannes die Welt zerstören würde. Eine Zeit würde kommen, wenn die Fische in den Strömen sterben, die Vögel vom himmel fallen, die Gewässer schwarz sein, die Bäume nicht mehr sein würden. Das würde die Zeit sein, in denen die hüter der legenden und Mythen, der uralten Riten und Weisheiten uns wieder gesunden lassen müss-ten. Sie würden die ‹Kämpfer des Regenbogens› genannt werden und die Schlüssel zum Überleben sein.» Wie nahe diese Geschichte der heute erlebten Realität doch kommt! Das von der Klimawissenschaft postulierte Zwei-Grad-Ziel ist schon kaum mehr zu erreichen, und auch ein Drei-Grad-Ziel soll nur noch mit äusserster Entschlossenheit überhaupt in Reichweite sein. Bereits stellt sich deshalb die internationale Politik fatalistisch darauf ein und möchte von der Wissenschaft wissen, welchen Unterschied ein temperaturanstieg von drei im Vergleich zu fünf Grad macht ... Nicht nur die Finanzwelt baut auf Schulden, auch die Klimapolitik tut es! Selbst scheinbar gestandene und omnipotente Regierungschefs und -chefinnen schaffen es nicht, Wissen und handeln zusammenzubringen.

Und das, obwohl wir anzeichen genug haben, dass sofortiges handeln dringend nötig ist: 2011 brach nicht nur ein japanisches atomkraftwerk auseinander, inzwischen drohen ganze Systeme zu zerbröckeln. alle staunen wir ob der Kadenz der sich überwerfenden Ereig-nisse, alle sind wir agierende und Beobachtende, manchmal eingelullt vom Gefühl der Ohnmacht, ein anderes Mal beflügelt von der machtvollen Energie eines Befreiungsschlags.

Ein erster solcher ist mit dem eidgenössischen Beschluss zum ausstieg aus der atomenergie gelungen. Doch wir werden nicht lange warten müssen, bis die Systembewahrer nach grossen Gaskraftwerken als Ersatz rufen werden. Wieder sollen auf die Konten unserer Nachkommen Schulden geschrieben werden. Es wird die machtvolle Energie von uns allen brauchen, um diesen nächsten Fehltritt zu verhindern! Unterstützen wir Bewe-gungen, Bürgerinitiativen und PolitikerInnen, die sich einer nachhaltigen lebensweise und einer gerechteren Welt verpflichtet fühlen! Werden wir selber zu Stromproduzenten und schränken wir unseren eigenen Verbrauch ein! Nehmen wir unser Schicksal selbstverant-wortlich in die eigene hand, machen wir Politik, auf der Strasse und zu hause! Wischen wir den Staub von allen öffentlichen und privaten Regalen und Schubladen, die uns daran hindern, Wissen und handeln zusammenzubringen.

Warten wir nicht auf die Regenbogenkrieger. David ist bereits da. ausgerechnet in diesem Jahr der Krisen durfte die neu gebaute Rainbow Warrior III in See stechen. Ein hoch-seeschiff dieser Grösse, allein mittels Windkraft mit 15 Knoten (28 km/h) unterwegs, wer hätte das für möglich gehalten! David ganz gross, mit Rückenwind gegen Goliath. Ja, die Welt braucht Greenpeace heute mehr denn je.

Doch Greenpeace wäre nicht Greenpeace, wenn wir nicht auf jeden einzelnen, jede einzelne David zählen könnten. Die Regenbogenkrieger und Sie, David und wir alle werden unser Schicksal in die hand nehmen müssen. Wenn wir jetzt nicht anpacken, wird uns auch die schönste legende nicht weiterhelfen können.

Markus allemann, Verena Mühlberger, Co-Geschäfstleitung

PS: Machen Sie auch 2012 mit beim «Menschenstrom»; www.menschenstrom.ch.

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AMERIKANISChER TRAUM IN gRÜN

Von Hannes Grassegger

Kann man noch auf eine grüne Zukunft made in California hoffen? Eine Spurensuche vom sterbenden Salton Sea

über die gebrochene Bilderwelt von Los Angeles bis ins blühende San Francisco. Und zurück.

niland, Südostkalifornien. Irgendwann werden mir die glühende Hitze und der Ammoniakgeruch der Fischkadaver zu viel. Ich stehe am Fusse des Salvation Mountain, des knallbunt be malten, reli giösen Schuttmonuments aus Schrott und Lehm im Südosten Kaliforniens. Ganz in der nähe stirbt der grösste See des Bundes staates vor sich hin: Salton Sea, verseucht, versalzen und verlassen. In Endzeitstimmung steige ich in den Dodge, starte den Motor und frage mich: Ist dieses Kalifornien, dieser Mix aus Day After und Disneyland, das gelobte Land, das dem Westen zu einer neuen Zukunft verhelfen soll?

Unterwegs, Los Angeles. Seit fast zwei Stunden auf der Innen-stadtautobahn. Zehn Spuren, alles dicht, sogar die Überholspur für ökologische Car-Pools (Fahrgemeinschaften). Mit öffentlichen Verkehrsmitteln würde mein Trip vom Echo Park zum Topanga Canyon etwa fünf Stunden dauern. Es gibt in Los Angeles zwar S-Bahnen und Busse, aber die reichen nicht. Und wegen der aus-trocknenden Stadtfinanzen werden sie immer knapper.

L.A. ist die Frontstadt der westlichen Welt: ein Ballungsgebiet zwischen Disneyland und Hollywood, 12,8 Millionen Einwohner, weltweit der drittgrösste Wirtschaftsraum. Kalifornien selber ist etwa die zehntstärkste Volkswirtschaft der Welt, die nummer eins der Vereinigten Staaten.

Es hiess lange, wenn die USA eine grüne Zukunft haben könnten, dann würde sie aus Kalifornien kommen, aus den kali-fornischen Unternehmen. Kalifornien bedeutet Goldfieber, Demonstrationen in Berkeley, grüne Modellstadt City of Davis, aber auch HP, Google, iPad. Von den 100 führenden Cleantech- Unternehmen weltweit befanden sich 2010 allein 34 in Kalifornien.

Kalifornien ist die Wiege einiger der grössten Veränderungen, die die westliche Welt in den letzten Jahrzehnten durchlief: von San Franciscos Haight Street, dem Symbol aller Hippieträume; der derzeit bedeutendsten Firma, Apple; von einigen der striktesten Umweltschutzgesetze der Welt.

Sogar Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger wurde hier zum Grünen. Im Juli 2006 überraschte er mit dem Vorschlag, eine Klimaschutzbehörde einzuführen, und formulierte einen Plan gegen die Erderwärmung. Am 27. September 2006 unterzeichnete er das weitreichendste Gesetz zum Kampf gegen Klimawandel,

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das die nation je gesehen hatte. nun ist er weg, die Staatskasse ist leer und eine Krise jagt die nächste. Kann man noch auf eine grüne Revo lution aus Kalifornien hoffen?

Im Frühherbst 2011 kollabierten grosse Teile der hoffnungs-vollen grünen Energiebranche Kaliforniens. Die grüne Blase platzte mit Solyndra, einem Solarzellenhersteller, dessen Bankrott seit August die Bundesbehörden beschäftigt. Aufgrund von 500 Milli-onen Dollar versenkten Subventionen ist der Fall zum Wahl-kampfproblem für Barack Obama geworden. Die grüne Wirtschaft war kaum angekommen, da implodierte sie.

nur wenig hatte sie trotz grosser Pläne bisher erreicht. Laut einer Studie der renommierten Brookings-Instituts gab es in Kalifornien Mitte 2011 knapp 320 000 Jobs im grünen Bereich, im Grossraum L.A. waren es nicht einmal 90 000. Während der Rest der US-Wirtschaft seit 2003 mit einer jährlichen Rate von 4,2 Prozent wuchs, waren es im grünen Bereich 3,4 Prozent.

Topanga Canyon, L.A. Der Smog verstopft meine Lungen. Seit einer Stunde hätte ich bei Ramona Gonzalez sein sollen. Die Musikerin ist die Verkörperung jener Bohemiens, die sich in den Stadtteilen Echo Park und Silverlake sammeln. Als «nite Jewel» macht Ramona Musik, die man im iTunes Radio unter «Urban» finden würde. Sie ist L.A.s Darling. nebenbei hat die 27-Jährige Philo sophie studiert und ist kürzlich «aufs Land» gezogen.

Salton Sea bei Niland: Verseucht, versalzen, nahezu ausgetrocknet — Kaliforniens grösster See stirbt.

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Ramona «Nite Jewel» Gonzalez: «Natur ist etwas für Einzelgänger.»

topanga Canyon: Raum für alle, die aussteigen wollen — aber nicht ganz.

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Von der Küstenstrasse Richtung Malibu zweigt die Topanga Canyon Road ab und schlängelt sich durch ein immer grüner wer-dendes Tal. Der an L.A. grenzende Canyon bietet Raum für jene, die aussteigen wollen, aber nicht ganz. Hier wohnen Künstler, aber auch Geschäftsleute. Rockstar neil Young, der mit seinem Elekt-roauto Lincvolt die Welt verändern wollte, lebte einst hier. Wir lau-fen rüber ins Froggy’s, in dem ein Dutzend Gratiszeitungen mit Titeln wie «natürliches Erwachen» ausliegen.

Sie fühle sich glücklicher, leichter, weniger nachdenklich als in der Stadt, erzählt Ramona. Sie wandere viel. «Hier zu leben, ist Luxus», sagt sie. «Man wird nicht konfrontiert mit der Zerstö-rung dieser Welt. Das Einzige, was die Leute hier eint, ist ein Grund gefühl: leben und leben lassen. natur ist was für Einzel-gänger.»

Ramona erzählt von ihrem Song Unearthly Delights: «Es geht um die Zufälligkeit der natur. Ihre Willkür. natur ist Chaos. Echte natur, nicht die natur, die wir aus Parks kennen, verschwen-det keinen Gedanken auf dich.»

Sie nimmt einen Schluck von ihrem Cocktail.«Hier in Topanga konsumiere ich die natur. Ich kämpfe nicht

mehr für den naturschutz. Es sind weniger Leute um mich herum, die ich für die Zerstörung unseres Planeten hasse. Ich kümmere mich weniger um andere. Das ermöglicht mir, nur an mich zu den-ken, nur Musik zu machen.»

Während sich die einen in nostalgischen Kommunen wie dem Baumschützermekka Arcata in nordkalifornien zusammen-schliessen, hat nite Jewel sich in Topangas Idyll eingeigelt, um ihren eigenen ökologischen Lifestyle zu formulieren. Schonungs-los unromantisch, naturverbunden und nicht besonders verant-wortungsvoll.

Big Sur, Highway One. Zwischen den in L.A. entstehenden Visionen und deren Umsetzung in der Wirtschaftsregion um San Francisco liegt viel natur. Ich bin im Dodge auf der Fahrt nach norden. Der Highway One führt immer näher ans Wasser, manch-mal sind es nur zehn Meter zur Brandung. Ich folge dem One, seinen Windungen und Steigungen, bis nach Big Sur, in das hüge-lige Waldgebiet mit seinen steinigen Küsten. Kalifornier erleben natur vom Auto aus. Man kann von L.A. aus in nur zwei Stunden Seelöwen im Sand liegen sehen und durch Mammutbaumwälder kurven. Hier werden Parkplätze an Robbenliegeplätze gebaut.

In Big Sur lebte ab 1942 der Schriftsteller Henry Miller und schrieb seine USA-Kritik: Der klimatisierte Albtraum. Rückzug in die natur hat in Kaliforniens Kultur Tradition. Gleichzeitig gab es hier einige der frühsten Initiativen, die Ökologie handfest im All-tag verankerten. Die Fahrradhochburg Davis zum Beispiel, eine Universitätsstadt nahe Sacramento. Während die USA Anfang der 1960er begannen, gegen Rassensegregation vorzugehen, kämpfte hier eine Bürgerbewegung gegen das amerikanische Statussymbol schlechthin – das Auto. Bereits 1966 erkämpften die Umwelt-schützer eine Pro-Fahrrad-Mehrheit im Stadtrat. Davis wurde welt-weit zum Vorbild für grüne Stadtpolitik.

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Fort Mason, San Francisco. Im Osten von San Francisco liegt die grün-alternative Uni-Stadt Berkeley, im Südwesten das Silicon Valley. Die sogenannte Bay Area ist ein Start-up-Paradies und bietet ein mehrstufiges Fördersystem für Jungunternehmer: In The Hub kann man sich erst mal einen Arbeitsplatz mieten. Wer wei ter will, kann auf «Beschleuniger» wie 500 Startups hoffen: Sie leisten Businessnachhilfe und vergeben Kleinkredite. nächste Stufe: «Inkuba toren», die den nachwuchs mit Mentoren zusammenbrin-gen. So sollen die Googles, Apples und Facebooks der Zukunft gezüchtet werden. Skalieren, in die Grösse treiben, das ist das Ziel dieses Wirtschaftstreibhauses. nun hat man auch Social Impact (Soziale Wirkung) als Investment entdeckt.

Die Socap 11 findet in einem ehemaligen Kasernengelände an San Franciscos Bucht statt: Fort Mason, zwei Werfthallen voll Anzugträger und Studententypen in Turnschuhen. Socap will der Marktplatz sein für Unternehmer und Investoren mit grünen und sozialen Visionen. Besucher aus über 50 Ländern tagen hier. Workshops tragen Titel wie «Seeding Systems Change: A Look Toward Green 3.0.» Google-Verwaltungsrat Eric Schmidt ist da, ebenso die Gates-Stiftung, «Forbes Magazine» berichtet.

An einem Stand lächelt Myshkin Ingawale, 29, aus Mumbai. Sein Modell: kostengünstige elektronische Bluttester für Ärzte in Indien. Er braucht 300 000 Dollar. Aber das wird schon. Myshkin wurde an die Socap geholt vom Unreasonable Institute, dem Lieb-

Das Naturgefühl verinnerlichen: für viele Kalifornier ein Erlebnis aus dem auto heraus.

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ling dieser Messe. Das erst zwei Jahre alte Institut fördert ausschliesslich Social Enterprises, die das Leben von «mindestens einer Million Menschen» verbessern können. Unterstützt wird, wer sich für ein sechswöchiges Lerncamp qualifiziert, in dem Fähig-keiten vermittelt werden wie Kommunikation, Recruiting, Profit-denken. Im Kern spinnt Unreasonable ein feinselektiertes netzwerk aus Investoren, Mentoren und Jungunternehmen.

«Als wir selber ein soziales Unternehmen gründen wollten, stiessen wir auf typische Probleme der Startphase», erklärt der 24-jährige Teju Ravilochan, Mitgründer des Unreasonable Institute. «Wir merkten, dass es kein Geld für soziale Unternehmer in der Frühphase gibt. Geld gibt es nur, wenn man Menschen kennt, die einem vertrauen. Also bauen wir Entrepreneuren ein echtes netzwerk. Bei unseren Camps sind 25 Jungunternehmer in einem Haus. Dann kommen Mentoren. Da putzt sich der CTO von Hewlett Packard mit dem Start-up-Gründer die Zähne. Tagsüber gibt es Workshops oder man arbeitet.» So bilde man Vertrauens-netzwerke fürs Leben.

In 70 Ländern bewirbt das Unreasonable Institute seine Camps. Aus Europa komme fast niemand. Ein Drittel aller Teilnehmen-den ist aus den USA. «Wir haben viele Inder, neu auch Kenianer und Ugander im Programm», erzählt der junge Vizepräsident, «für uns ist entscheidend, ob man ein Projekt skalieren kann.» Grösse, Optimismus und weltweite Perspektive sind das Rezept von Unreasonable.

«Silicon Valley ist eine ganz eigene Art und Weise, Wirtschaft zu machen. Hochvernetzt und egalitär», schreibt die Wirtschafts-historikerin Margaret O’Mara. Seit der Zeit des Goldrauschs werde hier grosse Risikobereitschaft mit Talent aus aller Welt verknüpft. Boulder, Colorado, und Austin, Texas, versuchen gerade, Silicon Valley den Ruf als grünes Mekka streitig zu machen. Alle arbeiten an einer neuen Idee von Business. Shared Value nennt der Wirt-schaftswissenschaftler Michael Porter die Vision von Unterneh-men, die der Welt wirklich nützen – und trotzdem ungehemmt Profit abwerfen.

Ferry Plaza Farmer’s Market. Kurz vor der Oakland Bay Bridge sehe ich einen Bauernmarkt. Gutes Obst ist rare Ware in Kalifor-nien. In den Supermärkten finden sich fast nur überzüchtete Pro-dukte: einförmig, riesig, fade. nicht so am Ferry Plaza Farmer’s Market. Der Markt ist ein Muss für San Franciscos iPad-Bürgertum. Es duftet nach frisch Gekochtem, die Famiglia Bariani wirbt mit Olivenöl aus kalifornischer Produktion, überall sieht man Kunden neugierig Früchte probieren.

Die 21-jährige Jennifer erklärt, warum an jedem Stand Infor-mationsplakate hängen: «Wir haben 50 Jahre lang vergessen, uns um unser Essen zu kümmern. Wir dachten, Essen kommt aus Fabriken. Dann wurden wir alle krank. Wir müssen wieder lernen, was Essen überhaupt ist.»

Diabetes hat die USA allein im Jahr 2007 174 Milliarden Dollar gekostet, fast 30 Prozent der über 65-Jährigen haben Altersdia-betes in den USA. Es gibt Hunderte Organisationen, die an einem

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grundlegenden Wandel arbeiten, der Kalifornien ergriffen zu haben scheint. Küchenchefs sind Celebrities geworden. nun eröffnen überall vegane Restaurants. Sogar die Tacotrucks, fahrende Imbisse, satteln auf Gourmet und Bio um.

Lebensmittel sind ein smarter Kniff, um die meist in Städten lebenden Kalifornier wieder mit der natur zu verbinden. Vor-derhand geht es um das Geschmackserlebnis. Durch die Hintertür kommt der Umweltschutz. «Erlebe echten Geschmack. Verbinde dich mit dem Rhythmus der natur», fordert das Flugblatt, das mir Jennifer in die Hand drückt. Punkt 4: «Schütze die Umwelt.» Logisch, wenn man plötzlich versteht, dass da die Grapefruit herkommt.

Wholefoods, Santa Monica. Die Bay Area ist für Technik-nerds, die Firmen starten. Los Angeles produziert den Lifestyle. Zurück in L.A., treffe ich im Wholefoods, Santa Monica, den 26-jährigen Musiker James Ferraro beim Einkaufen. Der grüne Supermarkt ist superhip, die Verkaufsfläche ein Catwalk.

«Wholefoods ist ein soziales Phänomen», erklärt James. Er hat gerade eine Platte über den ökologischen Lifestyle im digitalen Zeitalter rausgebracht. «Es funktioniert wie Apple, wie alles in Kalifornien. Das Produkt ist ein Medium für symbolische Werte. Wholefoods verkauft das Feeling, Teil einer Graswurzelbewegung zu sein.»

natürlichkeit als Ware im Zeitalter virtueller Währungen. «Local» ist der Slogan. Er steht für die Verbindung zum Land. Durch den Konsum lokaler Waren entstehe ein Bezug zur «Community», erklärt mir eine Kellnerin im Restaurant «Local». Und Szene-Metz-gerin Amelia gelobt: «Wir kaufen unser Fleisch immer von einem einzigen Farmer. Dann kommt das Tier vor den Augen unserer Kun-den komplett in den Laden, und wir zerlegen es hier. Man kann alles sehen.» Sie glaubt nicht an Bio-Labels, sondern an eine «Postbio»-Wirtschaft, die auf vertrauensvoller Zusammenarbeit beruhe.

So gross ist das Bedürfnis nach nähe zum Land, dass die hippen Leute von L.A. nach der Yogastunde in Gemeinschaftsgär-ten jäten gehen.

VELA Community Center, L.A. 20 Minuten östlich sind die Häuser einstöckig und spanisch angeschrieben. Reanne Estrada kämpft im Community Center VELA damit, einer Handvoll Latino-Teenager beizubringen, wie man sich gesund ernährt. In der Latino Community (40 Prozent der Stadtbevölkerung) grassiert Diabetes sogar schon bei Jugendlichen.

«Meine Mutter kann sich kein Auto leisten. Das nächste frische Obst liegt Stunden entfernt. Wenn ich in der Schule Hunger habe, dann hab ich keine Zeit, um Gemüse zu kaufen. Das gibt es ja nirgends», beschreibt die 17-jährige Jocelyne das Problem der Food Deserts (nahrungswüsten). In ihrer Gegend gibt es Fastfood-ketten und Liquor Stores voll Alkohol.

In Reannes Projekt Market Makeovers versucht man, durch Aufklärung nachfrage für Frischwaren zu wecken und andererseits Inhaber von nachbarschaftsläden – oft Liquor Stores – zu über-

VEla-Community: latino-teenager lernen, wie man sich gesund ernährt.

James Ferraro im Fresh Produce Street Market , Silverlake: «Der grüne Super-markt ist ein soziales Phänomen.»

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zeugen, überhaupt Frisches anzubieten. nirgendwo scheint die grüne Revolution weiter entfernt.

Und doch.

Ein neues Eden. «Kalifornien ist das Zentrum technologischer Innovation in der Welt. Tonnen von Erfindungen in Cleantech. Right here, jeden Tag», sagt Jason Matlof vom milliardenschwe-ren Wagniskapitalgeber Battery. «Cleantech blüht weiter. Es ist nach Digital Media und Cloud Computing in der Investorenwelt Thema nummer drei.»

Zukunftsforscher Jamais Cascio gilt als Guru für grüne Tech-nologie am und jenseits des Horizonts. Der 45-Jährige sieht die Region als entscheidendes Testfeld: «Los Angeles ist die Welt in klein. Wenn wir es hier schaffen, dann können wir es überall.» In seinen Augen hat Chinas aggressive Subventionspolitik für grüne Technologie den Zusammenbruch der kalifornischen Solarzellen-industrie verursacht. Doch er sieht Hoffnung. Er arbeitet an einem Buch mit dem Titel «A new Kind of Eden». Darin entwickelt er drei Szenarien für eine grüne Zukunft Kaliforniens:

Entschieden Grün: Das althergebrachte kalifornische Modell des grünen Pfades funktioniere nur, wenn die Ökonomie an Fahrt gewinne und sowohl Bevölkerung als auch Politik weiter die lokale Wirtschaft in eine grüne Richtung steuerten.

Grün durch Zwang: Halte die wirtschaftliche Stagnation an und entscheide sich Kalifornien für die billigste Infrastruktur, also Importe aus China, werde die Region umweltfreundlicher, weil China so stark auf grüne Technologien setzte.

Grünes Überholmanöver: Trotz weiteren ökonomischen niedergangs entschliesst sich Kalifornien zu einem «grünen Bock-sprung» und sieht die notwendigkeit, die einheimische Infra-struktur grösstenteils ersetzen zu müssen, als Chance für eine grü-ne Erneuerung. Kalifornien bliebe Vorreiterstaat.

Jamais Cascio hält die kalifornische Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, als die wichtigste grüne Tendenz über-haupt. Er sagt: «Kalifornien bedeutet: kein Stillstand.»

Disneyland. Ich fahre zum ersten Mal in einem kalifornischen Zug. Am Gleisrand ein Werbeplakat: Agrifuture. Darauf ein Roboter beim Pflegen eines Gartens voll riesiger Früchte. Seltsamerweise sind robotisierte Gemeinschaftsgärten genau eine der grünen Visi-onen von Jamais Cascio. Hier in Disneyland wohnt Tarzan in einem Plastikbaum, hält sich der amerikanische Durchschnitts-bürger Mickey Mouse Hühner, genau wie die Trendsetter aus Echo Park, und hier fährt jener Hochgeschwindigkeitszug, auf den Kalifornien in der Realität seit der Projektgenehmigung vor Jahren vergeblich wartet. Die Hochbahn ist fast leer. Unter den Gleisen aber bilden sich Schlangen vor dem von Chevron gesponserten Autopia. Lachende Kinder brausen in Boxautos herum, die echtes Benzin verbrennen. Im Stadtteil Tomorrowland erstelle ich mir auf einem Touchscreen eine virtuelle nachhaltige Zukunft. Dann lasse ich mir ein Auto vorführen, bei dem man auf einen grünen Knopf drücken kann, um es auf umweltfreundlich zu schalten.

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Der Bedarf an Rohstoffen, Energie und Metallen ist immens, und einfach zugängliche fossile Vorkommen sind rar geworden. Die Konzerne dringen darum in immer entlegenere Regionen vor. Berge köpfen in den appalachen, Gletscher sprengen in den anden, tiefseeböden umpflü-gen im Pazifik, Schiefergas fördern in der Schweiz und dereinst gar das Meer enteisen für Methangas. Der Boom scheint ohne Grenzen, doch er ist es nur, solange wir ihm keine setzen. Fünf Beispiele, viel Dreck und ein Schimmer hoffnung.

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Von thomas Niederberger — Die Folgen des Rohstoffrausches sind katastrophal. Manche stehen kurz im Fokus der Öffentlichkeit, wie die Ölpest der Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko oder der Bruch des Rückhalte-beckens der Aluminiumfabrik MAL AG in Ungarn, beide von 2010. Die schleichende Ver-giftung, die alltägliche Korruption und Men-schenrechtsverletzungen, die das Geschäft mit Rohstoffen meist begleiten, sind hingegen schwer erfassbar. Die gesamte Dimension des Desasters übersteigt die Vorstellungskraft des Einzelnen, aber wichtige Elemente zum Ver-ständnis des Problems liegen vor unserer Haus-türe: Die Schweiz gehört zu den Ländern, die am kräftigsten zulangen auf der Rohstoffparty.

Berge köpfen für KohleSeit Beginn der industriellen Revolution wird

Kohle verbrannt, um Energie zu gewinnen. Die Methode ist genauso primitiv wie billig. Wie lange die Reserven noch reichen, ist umstritten, die Datenlage ist zweifelhaft. Sicher ist: Der Abbau wird immer zerstörerischer, je seltener die am einfachsten zugänglichen Vorkommen werden.

Im US-amerikanischen Appalachen- Gebirge wurden schon über 500 Berge «geköpft». Die Abbaumethode heisst «Mountain Top Removal» (MTR), Bergspitz-Entfernung. Zuerst wird ab geholzt und die oberste Erdschicht abgetragen, dann der Fels gesprengt bis hinunter auf die Kohleschicht, die dann mit Spezialbaggern ausge-hoben wird. Danach wird wieder gesprengt bis zur nächsttieferen Kohleschicht. Die Gesteins-massen, die mal ein Berg waren und jetzt «Abraum» sind, werden in anliegende Senken und Täler gekippt und am Schluss behelfs-mässig begrünt. Der arsen- und schwermetall-haltige Schlamm, der beim Waschen der Kohle entsteht, wird in riesigen Rückhaltebecken abgelagert. Anders als bei den traditionellen Untergrundminen erlaubt die MTR-Methode den Einsatz riesiger Maschinen, mit denen wenige Arbeiter ein Mehrfaches an Kohle fördern kön-nen. Doch die indirekten Kosten für Mensch und natur sind gewaltig: In den Appalachen wurden bereits 5000 Quadratkilometer Wald abgeholzt und über 2000 Kilometer Fliessge-wässer unter Schutt begraben – ein dramatischer Verlust an natürlichen Biotopen. Der Staub der Sprengungen vergiftet die Luft, die Gewässer

werden verschmutzt. Studien zeigen in der Region deutlich höhere Raten für Krebs, Atem-wegserkrankungen und Missbildungen bei neugeborenen.

Kohleenergie boomt. Trotz allen offiziellen Beteuerungen, etwas gegen den Klimawandel unter-nehmen zu wollen: Die Preissteigerung bei den Energieträgern erzeugt auch einen Boom bei der Kohle, mit 43 Prozent Anteil am globalen CO2-Ausstoss Klimakiller Nummer eins. China und Indien gehören zu den grössten Produzenten, müs-sen aber wegen ihres schnell wachsenden Ver-brauchs immer mehr Kohle importieren. Die USA produzieren fast die Hälfte ihrer Elektrizität mit Kohle, ohne die Absicht, daran etwas zu ändern. Im Gegenteil: Gegenwärtig sind über 150 neue Koh-lekraftwerke in Planung oder im Bau.

Gletscher sprengen für GoldIm spärlich besiedelten Andengebirge zwi-

schen Chile und Argentinien sind rund 200 Gold-, Kupfer- und Silberminen geplant, im Bau oder bereits im Betrieb. Die meisten gehören zur Kategorie der sogenannten «Mega-Minen». Diese haben nichts mehr mit dem traditionellen Untertage-Bergbau gemein, bei dem Arbeiter mit Pickeln und Dynamit in die Stollen stiegen. Mega-Minen fördern Metallkonzentrationen im Spurenbereich, indem im Tagebau riesige Ge-steinsmassen gesprengt, mechanisch zermahlen und mit Hilfe von Zyanid in ihre Bestandteile aufgelöst werden – unter enormem Ressourcen-verschleiss.

Ein Beispiel ist die Mine Veladero, die der kanadische Konzern Barrick Gold in den argen-tinischen Anden auf fast 5000 m ü. M. betreibt: Pro Tonne gesprengten Fels fallen hier gerade mal 1,5 Gramm Gold an. Aus einer Tonne Elektroschrott kann zehnmal mehr gewonnen werden. «Das Gold ist nicht sichtbar, es wird chemisch und geologisch erraten», schreibt der Journalist Jesús Rodríguez, der auch erfahren hat, was nach der aufwändigen Extraktion ge-schieht: Das Rohgold wird nach Zürich geflogen und in einem Schmelzwerk im Tessin zu zerti-fizierten Goldbarren geschmolzen. Dann gelangt es auf den Weltmarkt – für Schmuck und ein-gelagert als krisensichere Wertanlage.

Die Mine Veladero liegt zu einem guten Teil in der Permafrostzone. Für ihren Bau wurde eine Strasse mitten durch einen Gletscher gelegt. Unabhängige Geologen haben im Gebiet von

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Der Guyandotte in West Virginia (USa) ist einer von 500 Gipfeln, die abge tragen wurden, um an Kohle zu gelangen.

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Standort Schweiz

Die UBS hat eine knappe Milliarde Dollar in US-amerikanische Kon-zerne investiert, die die «Mountain top Removal»-Methode anwen-den. Genf und Zug zählen neben london, Singapur oder New York zu den bedeutendsten Rohstoff- handelsplätzen, die Zuger Schwes-terkonzerne Glencore und Xstrata spielen in der obersten Produzen-tenliga. In Kolumbien etwa will Xstrata 40 Millionen tonnen pro Jahr aus der Kohlemine Cerrejón holen. Der einzige Fluss der trockenen Region la Guajira müsste umgelei-tet, zwölf indigene Gemeinschaf-

ten müssten umgesiedelt werden. Der Stromproduzent Repower, zu 46 Prozent im Besitz des Kantons Graubünden, plant in Süditalien und Norddeutschland zwei Mega-Kraftwerke, die mit billiger Kohle vom Weltmarkt, zum Beispiel aus Kolumbien, befeuert würden. Xstrata betreibt auch die Kupfer-Gold-Mine la alumbrera in argen tinien (siehe artikel) und plant mit El Pachón, agua Rica und Filo Colorado drei Mega-Projekte, die auf Wider-stand der Bevölkerung stossen. Zwei Drittel des jährlichen Goldbedarfs laufen durch Schweizer handels-häuser und Schmelzwerke — unter strengster Geheimhaltung.

Im Buch «Rohstoff — das gefähr-lichste Geschäft der Schweiz» (s. Buchtipp S. 28) geht die Erklä-rung von Bern dem Erfolgsgeheim-nis des Standorts Schweiz nach: tiefe Steuern, Diskretion und das Wegschauen von Politik und Be-hörden. So wird etwa das Geld wä-scherei gesetz nicht auf Rohstoff-händler angewandt, obwohl sie dar-in ausdrücklich erwähnt sind. Die Regulierungslücken dürften jedoch bald unter Druck kommen: In den USa wurde ein strenges Gesetz zur Offenlegung von Finanzflüssen des Rohstoffsektors verabschiedet, die EU hat ähnliche Pläne. Die Schweiz wird nachziehen müssen.

Pro tonne gesprengten Gletscher fallen in der argentinischen Mine Veladero 1,5 Gramm Gold an.

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Veladero zahlreiche kleinere Gletscher entdeckt, die dem Abbau zum Opfer fallen werden, was eigentlich verboten wäre (siehe unten). Wie Veladero liegen die meisten der geplanten Minen direkt an den Wasserquellen, von denen Tiere, Pflanzen und Menschen abhängen, die in oasenähnlichen Flecken am Fuss der Berge le-ben. Etwa in Andalgalá, einer unterhalb der Mine La Alumbrera gelegenen Kleinstadt. 1997 als erste Argentiniens in Betrieb genommen, hat diese Mega-Mine einen Wasserverbrauch von 100 Millionen Liter pro Tag, die aus dem Grundwasser einer Hochebene abgepumpt wer-den. Die Wassermenge in den Flüssen hat seither dramatisch abgenommen. Ausserdem vergiften der Staub der Sprengungen und die zur Auslösung der Metalle eingesetzten Chemi-kalien Luft, Boden und Wasser der ganzen Region. Ein Aktivist der lokalen Bürgerinitiative gegen die Mine erinnert sich: «Erstmals wur-den wir stutzig, als in der nähe der Mine Füchse ohne Pelz gesehen wurden.» Unterdessen würden auch Kinder und Erwach sene immer häufiger erkranken, nur fehlten die Statistiken, um den Zusammenhang schlüssig beweisen zu können.

Ein Gesetz für die Gletscher. Was ist ein Gletscher? Wo endet er? Was passiert, wenn er ver-schwindet? Selten wurden Fragen wie diese so heftig debattiert wie gegenwärtig in Argentinien. Dort ist der Bergbau im Gletschergebiet seit Oktober 2010 per Gesetz verboten. Ein weiterer Erfolg für Umweltorganisationen und die landes-weite Basisbewegung Unión de Asambleas Ciudadanas (Vereinigung der BürgerInnenver-sammlungen), nachdem sich im Jahr 2003 in der Kleinstadt Esquel 81 % der Bevölkerung gegen eine Tagebau-Goldmine gestimmt hatten. Die Bergbaukonzerne versuchen nun mit allen Mitteln zu bestreiten, dass ihre Projekte im Gletschergebiet liegen, und machen gleichzeitig Druck auf Pro-vinzregierungen und Gerichte, um das Gesetz und die darin verlangte Kartierung der Gletscher-zonen zu blockieren. Noch gibt es kein offizielles Register, aber Umweltorganisationen haben schon mal angefangen zu zählen und im Gebiet der geplanten Minen Dutzende von mit Geröll vermisch-ten sogenannten «Blockgletschern» entdeckt, die in den Umweltverträglichkeitsberichten der Konzerne nicht auftauchen, obwohl sie für den Wasserhaus-halt als ausgleichende Puffer eine bedeutende Rolle spielen. Für die Konzerne handelt es sich dabei

eben nicht um «richtige» Gletscher. Und wo genau hört die «periglaziale Zone» auf, in welcher der Abbau verboten ist? Heere von Anwälten und Richtern sind jetzt daran, Gletscherkunde zu studieren, denn selten ging es bei einer Karte um so viel Geld wie bei dieser.

Tiefseeböden umpflügen für polymetallische Sulfide …Die Ölkonzerne sind seit einiger Zeit daran,

in die Tiefsee vorzudringen. Jetzt geschieht dasselbe auch für Metalle. Die erste kommer-zielle Tiefseemine heisst Solwara 1, liegt in den Hoheitsgewässern von Papua-neuguinea und soll frühestens 2013 in Betrieb genommen wer-den. Die kanadische Firma nautilus Minerals hat im letzten Januar die Bewilligung erhalten, auf 59 Quadratkilometern Tiefseeboden in rund 1600 Meter Tiefe polymetallische Sulfide abzu-bauen. Diese bilden sich, wo Kontinentalplatten auseinanderdriften und Wasser bis in die nähe des Magmas sickern kann. Dort wird es erhitzt, mit gelösten Metallen angereichert und schiesst in geysirähnlichen Kanälen aufwärts zum Mee-resboden, wo es sich abrupt abkühlt und eine mit

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Kupfer, Zink, Gold, Silber und weiteren Metal-len durchsetzte Kruste bildet. Diese soll nun mit ferngesteuerten Raupenfahrzeugen abgefräst werden. Das Sulfi d würde dann mit Meerwasser zu einem Schlamm vermischt und auf das Pro-duktionsschiff gepumpt, wo das Wasser wieder ausge schieden und in die nähe des Meeres-bodens zurückgepumpt würde. Das Erz würde an Land verschiff t, wo die verschiedenen Metalle in chemischen Verfahren herausgelöst werden könnten.

nautilus Minerals beteuert, die durch den Abbau verursachten Schäden seien unbe-deutend. Doch Meeresbiologen und Umweltor-ganisationen sind alarmiert. Über die äusserst sensiblen Spezies der Tiefsee ist sehr wenig bekannt. Sicher ist, dass die Bodenorganismen in den Abbauschneisen komplett zerstört würden. Es dürfte Jahrzehnte dauern, bis sie sich regenerieren. Die aufgewirbelten Partikel-wolken könnten auch das Leben in entfernte-ren Zonen ersticken. Indigene Küstenbewohner befürchten negative Auswirkungen auf ihre Lebensgrund lage, die Fischerei, und haben sich deutlich gegen das Projekt ausgesprochen: «Wir sind keine Versuchs kaninchen», titelte eine Meldung vom letzten Juli. Das Misstrauen kommt nicht zuletzt von den extrem negativen Erfahrungen mit dem «klassischen» Bergbau, der in Papua-neuguinea ganze Flusssys teme ver-giftet, indigene Ge meinschaften vertrieben und bewaff nete Konfl ikte ausgelöst hat. nautilus Minerals dreht das zu einem Argument für ihre Methode: «Die Produktion am Meeresgrund erfordert keine Umsiedlung und führt daher zu keiner Störung von traditioneller Landnut-zung.» Unerwähnt bleiben die Kreaturen der Tiefsee, die noch kaum jemand zu sehen bekom-men hat und deren Verschwinden unbemerkt bleiben wird.

Neben Nautilus Minerals haben sich viele weitere Firmen Explorations lizenzen für den Tiefsee-boden gesichert, bisher vor allem in den Hoheitsge-wässern von pazi fi schen Inselstaaten. Dort kommt nationales Recht zur Anwendung, im Unterschied zu den internationalen Gewässern, die als «Erbe der Menschheit» gelten, weshalb die UN-Meeresbodenbe-hörde für die Schürfl izenzen zuständig ist. Überdie genauen Regeln wird immer noch verhandelt. Bis anhin hat die Behörde lediglich an staatliche Forschungs unter nehmen Explorationslizenzen für Manganknollen und polymetallische Sulfi de im

Die indigene Bevölkerung von Papua-Neuguinea befürchtet eine Wiederholung der bewaff-neten Konflikte von 1997. auch damals ging es um Rohstoffe und Umweltzerstörung.

abbau von Manganknollen

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1 transp ortschiff 2 Förderplatt form3 Förderst rang4 Buff er5 Manganknollen

6 Kollektor7 Rest wasser - leitung8 trübewolken

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nördlichen Pazifik und im Indischen Ozean erteilt. Dabei sind China, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, Russland, Südkorea, ein osteuropäisches Konsortium und seit kurzem die pazifische Insel-republik Nauru.

... und demnächst: Meere enteisen für Methanhydrat?Propheten der fossilen Energie sagen, wenn

Öl, Gas und Kohle ausgehen, können wir immer noch Eis verbrennen. Methanhydrat ist in Eis eingeschlossenes Methangas, das aus dem Abbau von organischem Material stammt. Die Vor-kommen befinden sich in den Böden der Perma-frostzonen des nordens ab einer Tiefe von 150 Metern, vor allem aber im Meer an den Kon-tinentalrändern, je nach Temperatur und Druck in einer Tiefe von 100 bis 300 Metern. Me-thanhydrat ist die grösste fossile Energiereserve überhaupt. Geschätzt wird, dass darin dreimal mehr Kohlenstoff gebunden ist als in den Vorkommen von Öl, Gas und Kohle zusammen.

Verschiedene Forschungsunternehmen erproben Techniken, bei denen warmes Wasser, Enteisungsmittel oder flüssiges Kohlendioxid (CO2) in die Lagerstätten des Methanhydrats injiziert werden, um das Eis zum Schmelzen zu bringen und das Methangas absaugen zu kön-nen. Einen Haken hat die Sache: Methan ist ein Klimakiller. Es wirkt 20 bis 30 Mal stärker als CO2, wenn es in die Atmosphäre gelangt. Der Abbau von Methanhydrat, sei es im Perma-frostboden an Land oder im Meer, ist kaum mög-lich, ohne dass grosse Mengen Methan unkont-rolliert entweichen.

Ob und wann der Abbau beginnt, hängt von der technischen Entwicklung und den Ener-giepreisen ab. Im Permafrost Alaskas könnte es bereits 2015 losgehen. Im Meer dürfte es min-destens zehn Jahre länger dauern. Denn da gibt es noch einen zweiten Haken, der den Forschern Kopfzerbrechen macht: Wie der Permafrost im Gebirge stabilisiert Methanhydrat das Gestein der Kontinentalabhänge im Meer. Es abzubauen, könnte die Hänge ins Rutschen bringen und Tsunamis auslösen.

Schmutzige Konzerne waschen grün. Auch die Rohstoffkonzerne können sich der Kritik an ihren Methoden nicht entziehen. Unterdessen publi-zieren die meisten Nachhaltigkeitsberichte und spenden an lokale Hilfswerke oder Naturschutzpär-ke. Auf der internationalen Ebene setzen sie auf

freiwillige Richtlinien und Zertifizierungssysteme. Nur: Solange deren Einhaltung nicht rechtlich bindend und einklagbar ist, solange es keine unab-hängige Überprüfung gibt, sind diese guten Vorsätze der vielleicht schmutzigsten Industrie nicht viel mehr als ein unglaubwürdiges «Grünwaschen».

Die Rebellion der Nüchternen. Hoffnung wächst von unten. Fossile Energie und Metalle sind begrenzt,

die einfach und günstig zugänglichen Vor-kommen weitgehend erschöpft.

neue Technologien und die hohen Rohstoff-preise ermöglichen es zwar, in immer entlege-nere Regionen vorzudringen und immer tiefere Konzentrationen auszubeuten. Gleichzeitig wird dafür aber auch immer mehr (immer teurere) Energie aufgewendet, und die hohen Investitionen werden immer riskanter sowie anfälliger auf spekulative Preisschwankungen. Die eigentliche Konzentration der Rohstoffe ist oft nicht mehr entscheidend für die Wahl des Standorts, stattdessen orientiert sich der Gewinn an Faktoren wie tiefen Steuern, tiefen Kosten für Energie und Wasser und Umweltgesetzen, die entweder lasch sind oder nicht durchgesetzt werden. Daraus ergibt sich auch eine Verschie-bung von den reicheren Ländern des nordens in den ärmeren Süden, wo «schmutzige Indus-trien» bisher auf weniger Widerstand stiessen. Doch die Welt wird auch für die Konzerne immer enger. Die lokale Bevölkerung war früher meist schlecht informiert und wehrte sich erst, wenn eine Mine in Betrieb ging und Schäden sichtbar wurden. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit früheren Minen geschieht dies heute oft bereits in der Planungsphase. nicht selten erfolgreich: In Argentinien, Mexiko, Peru, Ban-gladesh, der Türkei und anderswo gelang es starken Basisbewegungen, einzelne Minen durch Blockaden und andere direkte Aktionen zu verhindern oder gleich die Parlamente dazu zu bewegen, den Einsatz von Zyanid oder den Tagebau insgesamt zu verbieten. Weltweit behar-ren indigene Völker immer stärker auf dem von der UnO garantierten «Recht der freien informierten Zustimmung» bei Projekten auf ihren traditionellen Territorien – inklusive des Rechts, nein zu sagen. All das stärkt das Bewusstsein, dass die Zeit der billigen Rohstoffe vorbei ist und wir ernsthaft nach Alternativen suchen sollten.

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Seit 1999 wird Schiefergas in den USa gefördert. Neuerdings interes-siert man sich auch in Europa und in der Schweiz dafür. Eine Übersicht von Pascal Vinard, Geologe und Spezialist für tiefengeothermie.

Schiefergas ist ein Erdgas, das in Sedimentgesteinen aus Ton, Kalk-stein und Silikaten eingelagert und viel aufwändiger aus dem Unter-grund zu fördern ist als Erdgas.

In den USA bereits industriell gefördertDie USA setzen auf Erdöl und

sehen darin eine geostrategische Priorität. Die Reserven im Inland sind fast erschöpft, die nachfrage steigt weiter. Dadurch entsteht Abhängigkeit vom Ausland. In den letzten 15 Jahren erschien Schie-fergas als Abhilfe. Anfang 2011 waren 493 000 Förderbohrungen in Betrieb.

Die damit verbundenen Umweltschäden sind vielerorts enorm. Sehr problematisch ist die hydraulische Frakturierung (Fracking): Wasser wird mit sehr hohem Druck in den Boden gespritzt, um das Gestein auf-zubrechen. Dieser Vorgang ver-braucht pro Förderbohrung 10 000 bis 15 000 Kubikmeter Was-ser, das versetzt wird mit Chemi -ka lien, Bioziden, Schmier- und Reini gungsmitteln, die ver hindern, dass sich Risse und Brüche wieder versch liessen. Verschmutzung von Grund- und Oberflächenwas-ser und Erdbeben sind die Risi-ken. Auch operieren Unterneh-

men mit irreführenden CO2-Bilan-zen: Insbesondere fehlen in den Auf stel lungen der beim Bau und Betrieb der Förderschächte und beim Transport von Wasser und Gas anfallende CO2-Ausstoss sowie das Methangas, das beim Förderprozess entweicht. Die Aus-wirkungen der Schiefergasförde-rung sind schlimmer als jene der konven tio nellen Gasförderung.

Am 21. Juni 2011 hat der Glied-staat Arkansas die Förderung von Schiefergas verboten, nachdem seit Beginn des Jahres 1220 Erdbe-ben registriert worden waren. Dennoch will die Obama-Regie-rung ihre Politik nicht ändern.

Unklarheit in EuropaDie USA wollen mittelfristig

ihren Gasbedarf selber decken und Energie exportieren. Insbeson-dere in Europa sind US-Firmen in der Erschliessung von Schiefergas aktiv geworden. Mit ihnen gehen hie sige Unternehmen Kooperatio-nen ein und erwerben Förder kon-zes sionen, auch in der Schweiz.

Der Bezug von Erdgas ist in der Schweiz diversifiziert. Daher ist das Land nahezu unabhängig von russischem Erdgas. Der Bedarf wird aber hauptsächlich aus dem Ausland gedeckt. Die Förderboh-rung von noville im Kanton Waadt wird daran nicht viel ändern.

In den 70er- und 80er-Jahren fanden Probebohrungen statt. In Essertines VD fand man Erdöl, in Hermrigen BE herkömmliches Erdgas, aber die Förderung war nicht rentabel. Seit einigen Jahren kommen die In haber der Konzes-sionen wieder auf den Plan. In Hermrigen läuft eine Probeboh-rung, und es werden Messungen der Bodenerschütterung durchge-führt, so im Tessin letzten Sommer und kürzlich in Obwal-den und nidwalden. Als nächstes steht die Region Gros-de-Vaud

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Die haltung von Greenpeace Schweiz

Potenzielle Schiefergasvorkommen im Schweizer Untergrund dürfen auf keinen Fall erschlossen werden: Das hydraulische aufsprengen des Gesteins (Fracking) ist ein schwer-wiegender Umwelteingriff. Das einge-spritzte Wasser enthält Chemikalien, die Grundwasser und Böden gefährden. Die Bohrungen verbrauchen viel Wasser und chemische Stoffe. Es bilden sich giftige Schlämme, die Oberflächen-gewässer, Böden und luft verschmutzen. Diese Schlämme müssen in der Folge abgelagert und gereinigt werden. Weiter bedingt der transport von Wasser und Zusatzstoffen sowie der Schlämme für jede Bohrung Dutzende lastwagenfahrten pro tag. Die Förderung von Schiefergas wider-spricht den Schweizer Zielen zur Reduk-tion der treibhausgasemissionen. Damit kann der Erdölimport gesenkt werden, im Gegenzug verstärkt sich aber die ab-hängigkeit von fossilen Energieträgern. Beachtlich ist zudem die Gefahr, dass wegen der Schiefergasproduktion Investi-tionen in erneuerbare Energien zurück-gestellt werden.

auf der Liste. In der Schweiz sind die Risiken höher, weil die Be-völkerungsdichte grösser ist und die Grundwasserträger für die Trinkwasserversorgung entschei-dend sind.

Die eingereichten Konzessions-gesuche zur Förderung von Schiefergas in der Schweiz befin-den sich in der Warteschlaufe. Frankreich hat ein Moratorium für diese Fördermethode beschlos-sen, und die ablehnenden Ent-scheide in den Kantonen Freiburg und Waadt im April und Septem-ber 2011 bremsen die Entwicklung in der Schweiz. Föderalistische Entscheidungswege führen in der Schweiz aber zu unkoordinierten Positionen der Kantone. Daher überlegt sich der Branchenverband SVGW (Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches) die Schaffung einer technischen Kom-mission. Diese sollte «Richtli-nien» entwickeln, auf die sich die kantonalen Behörden stützen könnten. Bis anhin gibt es keine eindeutige Position, und ein Umschwenken auf Schiefergasex-ploration und -förderung ist denk-bar. Angesichts des Entscheids des Ständerats zum Atomausstieg wäre das ein fatales Signal.Der Geologe und Hydrogeologe Pascal Vinard ist Spezialist für Schiefer gestein. Er war Mitglied der Schweizer Delegation bei der Euro-päischen Weltraumorganisa tion ESA, die moderne Methoden zur Erdbe-obachtung im Hinblick auf Umwelt-fragen und Katastrophen sowie Technologien zur Satellitennavigati-on (GPS, Galileo) entwickelt. Pascal Vinard ist beruflich im Bereich erneuerbare Energien und Tiefen-geothermie tätig.

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In Shanghai hat sogar Recycling einen globali sierten Marktplatz. Von léon Schneider

Die chinesische Rohstoffbörse Shanghai Fu tures Exchange ist eine besondere Börse. Zwar funk-tioniert auch sie im Grundsatz nach dem Prinzip von Angebot und nachfrage. Aber die nach frager, nur chinesische Unternehmen, können Preise bieten, die weit über denen des Weltmarkts liegen. Denn als Teil seiner Rohstoff-strategie subventioniert der Staat die Preis differenzen. Im ersten Halbjahr 2009, berichtet die deut-sche «Wirtschaftswoche», hätten die Preise in Shanghai bis zu 15 Prozent über jenen von new York oder London gelegen. Das Magazin nannte die Börse in Shanghai darum einmal «Chinas manipulative Rohstoffbörse».

Braucht China viel Kupfer, stei-gen die Preise in Shanghai bis zu einem Mehrpreis von 1000 Dollar pro Tonne, verglichen mit den zwei grossen Konkurrenzbörsen, der London Metal Exchange und der Comex in new York. Schrott-händlern in Europa ist das egal. Ihr Kupferschrott ist eine grosse Rohstoffquelle. Ist der Preis in Chi-na höher als anderswo, verkaufen sie ihr Altmetall eben in den fernen Osten statt an hiesige Recycler. Doch das gefährdet diese Firmen.

Stefan-Georg Fuchs, Einkaufs-leiter einer westfälischen Recyc-linghütte, sagt: «Kupferschrott ist die grösste Kupfermine, die wir in Europa haben.» In der Regel lagern

bis 10 000 Tonnen Altkupfer bei ihm – Arbeit für vier Wochen. Doch im Januar 2009, als die Rohstoffe weltweit knapp wurden, war sein Hof fast leer. Es drohte Kurzarbeit. Fuchs sagt: «Es ist wichtig, dass die Sammlung und das Recycling von Kupfer in Europa erfolgen.»

Gleiche Beobachtung bei Alumi-nium: Günter Kirchner, Generalse-kretär der Organi sation of the European Aluminium Recycling Industry (OEA): «Aluminium-schrottexporte nach China (und Indien) sind eine latente Gefahr für die Recyclingindustrie in Euro-pa. Trotz modernster Technik und hoher Produktivität europäi-scher Schmelzhütten sind sie im Wettbewerb oft unterlegen, da die Bedingungen ungleich sind.»

Die neusten offiziellen Zahlen der Interessen vereinigung sind alarmierend: Die Menge an Alumi-niumrecycling ist von 3 Millionen Tonnen im Jahr 2007 auf 2,2 Milli-onen Tonnen 2009 gesunken. Letztes Jahr ist die Produktion wie-der auf 2,6 Millionen Tonnen angestiegen. Sie liegt aber immer noch 14 Prozent unter dem Höchstwert von 2007. Zwar ist der Rückgang der vergangenen Jahre laut Recyclingexperte Kirchner durch die Finanz- und Wirtschafts-krise bedingt. Allerdings sei in gleicher Zeit auch die Ausfuhr von Aluminiumschrott nach China gestiegen. «Insofern ist zwar das Recycling sichergestellt», sagt Kirchner, «aber nicht in Europa.»

Pro Jahr werden rund zwölf Millionen Autos verschrottet. Das

chinesische Unternehmen für Schrottverwertung Huaren Resour-ces Recycling hat das Potenzial erkannt und will bis ins Jahr 2012 zwei Millionen dieser Wracks aus Europa importieren. Daraus gewinnt es Aluminium, Stahl, Lithi-um, Blei, Kunststoffe, Palladium und seltene Erden.

Laut Zahlen des weltgrössten Vermögensverwalters, BlackRock aus den USA (das Finanz institut verwaltet 3,65 Billionen Dollar), konsumiert China gemessen an der weltweiten Rohstoffförderung 46 Prozent des Aluminiums, 48 Prozent des Stahls und sogar 58 Prozent des nickels. Um diese nachfrage zu stillen, will der chinesische Staat tief in die Kasse greifen und Mehrpreise bezahlen. Da der Abbau auch China teuer zu stehen kommt, setzt das Reich der Mitte auf Secondhand-Ware.

Recycling ist wortwörtlich Gold wert ist. In einer Tonne Mobil-telefone befinden sich 300 bis 350 Gramm – das sind fast 15 000 Franken. Die Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz (Pusch) schreibt, dass bis zu 40 Prozent der Materialien eines Handys wie-derverwendet werden können. Obwohl ein Handy bis zu sieben Jahre funktioniert, schafft sich der Durchschnittsschweizer alle ein bis eineinhalb Jahre ein neues an. Pro Jahr werden etwa 2,8 Millio-nen Handys verkauft. Dabei wird nur rund ein Siebtel der ersetzten Geräte einer Sammels telle überlas-sen. 1000 Tonnen Wertstoff lan-den im Haushaltsabfall oder lagern in Haushalten, die auch eine Gold-grube für Altkupfer sind. Laut Swiss Recycling sind in einem Haushalt rund 200 Kilogramm Kupfer ver-baut: in Stromleitungen, Heizungs-rohren und Dachrinnen.

China droht, diesen Vorrat weg-zufressen. Hat die Schweiz 2006 erst 19 202 Tonnen Metalle und

Rohstoffe

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China zahlt hohe Preise für wiederverwertbaren Schrott — Europas Recycler sind im Wettbewerb benachteiligt.

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Metallwaren nach China exportiert, waren es vergangenes Jahr 24 771 Tonnen. Laut Zahlen der Schweizer Zollverwaltung stieg der Wert dieser Exporte von 2009 bis 2010 um über 55 Prozent. Umgekehrt nahmen die Menge wie auch der Wert der Schweizer Metallimporte aus China nur um knapp 15 Pro-zent zu. Da die Schweiz kaum Metalle abbaut, ist ein grosser Teil ver mutlich Secondhand-Ware.

Recycling wird zum Wirtschafts-politikum – zumindest in Europa. In einem Bericht zu ihrer Rohstoff-strategie hat die EU Mitte Septem-ber die Bedeutung von Recycling unterstrichen. Dieses wurde – neben Rohstoffförderung in der EU und einer «Rohstoffdiplomatie» – zum dritten Pfeiler einer Strategie deklariert, die eine sichere Rohstoffversorgung der EU garan-tieren soll. Im Papier des EU- Par laments steht, auch der Recy c-

lingsektor biete viele Arbeitsplätze und könne weitere schaffen. «Daher gilt es, ihn zu fördern und zu stärken.»

In der Schweiz hat man die Be-deutung von Recycling noch nicht wirklich erkannt. Das eidgenös-sische Volkswirtschaftsdeparte-ment (EVD) von Bundesrat Johann Schneider- Ammann schreibt nur: «Die generelle Einführung von Recycling-Systemen wird heute nicht mehr in Frage gestellt.»

Auch bei Swissmem wird Recy-cling als Schweizer Rohstoffquelle nur zaghaft gefordert. Der Dach-verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie hat zwar ein Papier zur «strategischen Rohstoffpolitik» verfasst. Doch im Dokument des Verbands, den Schneider-Ammann bis zu seiner Wahl in den Bundesrat präsidierte, kommt «Recycling» kein einziges Mal vor. Dafür wird über «protek-tionistische Praktiken» lamentiert und nach «offenen und diskrimi-nierungsfreien Märkten» gerufen. nur in einem Aufsatz von Swiss-mem-Vizepräsident Jean-Philippe Kohli wird die «Stärkung der Recycling-Wirtschaft» gefordert. In seinem Fazit aber schreibt Kohli nur von der notwendigkeit offener Märkte.

Kohli ist derzeit ein einsamer Rufer. Die Schweizer Medienda-tenbank, das Archiv aller Zeitungs-artikel in der Schweiz, spuckt zu «Recycling», «Rohstoffstrategie» und «Schweiz» keinen einzigen Treffer heraus. Immerhin: Auf kommunaler Ebene kommt allmäh-lich Bewegung in die Politik.

Am 11. Februar 2011 sprach der Zürcher SVP-Baudirektor Markus Kägi erstmals von «Urban Mining», also der Gewinnung von wert vollem Rohstoff aus Abfall.

Bisher wird Recycling meist als Bestandteil der Umweltpolitik verstanden. Bezeichnen derweise

ist es in der Schweiz das Bundes-amt für Umwelt, das auf die Roh-stoffreserven in Gebrauchtmate-rial hinweist. Doch die Recycling-branche zu unterstützen, ist auch Wirtschaftspolitik. Dank disziplinierter Alusammlung in der Schweiz hatte die hiesige Wirt-schaft im Jahr 2009 Zugriff auf Aluminium im Wert von 135 Millio-nen Franken. Auch 7000 Tonnen Kupfer wurden gesammelt. Diese sind ge messen am diesjährigen Höchstpreis von fast 10 000 Fran-ken pro Tonne rund 70 Millionen Franken wert. Deutschland spart dank Recycling über 5 Milliarden Euro für Rohstoffimporte. Bereits 14 Prozent der Rohstoffgewinnung stammen aus Recycling. 15 Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 2 Prozent. Für die Schweiz fehlen Sta tistiken.

Zu hoffen ist, dass die Schweiz kein böses Erwachen hat, wenn diese Zahlen einmal er hoben wer-den und festgestellt werden müss-te, dass der Metallschrott nach China verschachert statt hiesigen Unternehmen verkauft wird.

In einem Rohstoff-dokument von Swissmem kommt Recycling kein einziges Mal vor.

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auch Photovoltaikanlagen bergen Ökorisiken. Die Branche muss genauer hinschauen. Von Marcel hänggi

Im September 2011 kam es im chinesischen Haining zu gewalt-samen Ausschreitungen. Hun-derte Anwohnerinnen und Anwoh-ner protestierten gegen die Firma JinkoSolar. Sie machen die Fluo ridemissionen des Solar-zellenherstellers für erhöhte Krebsraten und ein Fischsterben verantwortlich. Die Behörden verhafteten zunächst einen Spre-cher der Protes tierenden und warfen ihm vor, falsche Gerüchte zu verbreiten; am Tag darauf indes suspen dierten sie die Pro-duktion der Fabrik.

Die Techniken, die die ökolo-gische Energiewende bringen sollen – von Solarzellen und Wind-rädern bis zur Batterie zur Spei-

cherung des grünen Stroms –, tragen ihrerseits zu ökologischen und sozialen Problemen bei. Ein kürzlich erschienener Bericht* widmet sich solchen Missständen, die insbesondere aus dem Bedarf an Rohstoffen für die neuen Ener-gietechniken hervorgehen. «Die Autoren des Berichts befürworten den zügigen Ausbau von Wind- und Solarenergie», sagt Peter Fuchs, Geschäftsführer der her-ausgebenden Organisation PowerShift, «aber eine glaubwür-dige Green Economy darf nicht nur technokratischer Umbau im norden sein, sondern muss bei der Rohstoffbeschaffung einen neuen, fairen Deal mit dem Süden einschliessen.»

Zum Beispiel PhotovoltaikSind grüne Techniken die neuen

Umweltsünder? Betrachten wir die Photovoltaik (PV), die für die

Schweiz zurzeit wichtigste Tech-nik der neuen erneuerbaren Ener-gien. «Photo voltaische Systeme belasten die Umwelt vor allem, weil ihre Herstellung viel Energie verbraucht», sagt Mariska de Wild-Scholten von SmartGreenScans, dem führenden Büro für PV-Öko-bilanzen. Das heisst aber nicht, dass Solarzellen weniger Energie produzieren, als ihre Herstellung verbraucht, wie immer wieder behauptet wird. Typischerweise, so de Wild-Scholten, dauere es im südlichen Europa zwischen 0,8 und 1,8 Jahre, bis eine moderne PV-Anlage die Energie wieder eingespielt habe, die sie bei ihrer Herstellung verbrauchte – bei alten Anlagen einige Monate län-ger. Wie gross die nettoener-gieausbeute über die Lebensdauer eines Systems ist, lässt sich für die neuesten PV-Techniken mangels Erfahrungswerten nicht sagen. De Wild-Scholten schätzt aber, dass eine Anlage in ihrer Lebenszeit den Energieaufwand für ihre Her-stellung mindestens 30-fach wieder einspielen wird. Zum Ver-gleich: Erdöl enthält nur rund das 17-Fache der Energie, die man durchschnittlich aufwenden muss, um es zu fördern. Und während diese Kennzahl für die PV dank technischen Fortschritten ständig besser wird, verschlechtert sie sich für Erdöl rapide, weil zuneh-mend schwer zugängliche Öl quellen ausgebeutet werden.

Der Rohstoffbedarf der PV-Her-stellung schlägt ökologisch viel weniger zu Buche. 90 Prozent der Solarzellen werden aus Silizium hergestellt. Dieser Stoff ist ungiftig und buchstäblich wie Sand am Meer vorhanden, denn Sand be-steht (meist) aus Quarz, also Silizi-umdioxid. Den Rest des Markts teilen sich Solarzellen aus verschie-denen, teilweise seltenen Ele-menten.

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Laut de Wild-Scholten haben in einer ökologischen Gesamtbilanz Dünnschicht-Solarzellen aus Cadmiumtellurid (CdTe) die nase vorn. Das erstaunt, weil CdTe im Gegensatz zu Silizium die Ge-sundheit schädigt und Cadmium in Elektro- und Elektronikgeräten nur in ge ringen Konzentrationen erlaubt ist (Solarzellen sind von dieser Regel ausgenommen). Cd-Te sei aber viel harmloser als an-dere, leicht lösliche Cadmiumver-bindungen, sagt de Wild-Scholten, und es gelange von Solarzellen nur extrem wenig Cadmium in die Umwelt. Zudem fielen Cadmium wie auch Tellur als nebenpro-dukte der Metallgewinnung an, es brauche also keine Minen eigens für diese Elemente. Silizium dage-gen ist zwar im Überfluss vorhan-den und ungiftig; der Quarzabbau und die Gewinnung hochreinen Siliziums aus Quarz sind aber ausgesprochen energieintensiv.

Produktion, Recycling, InfrastrukturenWie «grün» Solarzellen sind,

hängt stark von der Produktions-weise und dem Recycling ab. Die eingangs genannte JinkoSolar hat offensichtlich die Fluor-Ionen, die bei der Fertigung anfallen, nicht fachmännisch immobilisiert (ent-giftet). Die PV-Produktion kann auch zum Klimakiller werden: Bei der Herstellung von Dünn-schicht-Solarzellen aus Silizium (wie auch von Computerchips) werden normaler weise Reini-gungsgase wie Stickstofftrifluorid (nF3) eingesetzt. nF3 wirkt als äusserst potentes Treibhausgas 17 000-mal so stark wie CO2. Das ist nicht weiter schlimm, wenn man das Gas unschädlich macht – was leicht möglich ist. Weil aber das Kyoto-Protokoll nF3 nicht nennt, besteht für die Kyoto-Ver-tragsstaaten wenig Anreiz,

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Bei der Beurteilung von Energiearten kommt es darauf an, welche Faktoren wie gewichtet werden. Das Paul Scherrer Institut (PSI) hat eine Methode entwickelt, die ökologische, soziale und ökonomi-sche Gesichtspunkte einbezieht. Bewertet wer-den Energietechniken, die mutmasslich 2050 zur Verfügung stehen — wobei bei Photovoltaik und Kernspaltung (vierte Generation) mit den grössten technischen Fortschritten gerechnet wird. Die Gewichtung der Kriterien basiert auf einer Umfrage unter Stakeholdern (Vertreter von Energiekon-sumenten, Energieproduzenten, Umweltorganisa-tionen, Wissenschaft, Politik etc.). Je kürzer der Balken, desto besser die Bewertung.

* MCDa (Multiple Criteria Decision aid)

Energiearten ⁄ MCDa-Punkte*

aKW typ EPR ⁄ 13,90

aKW 4. Generation ⁄ 10,80

Kohle ohne CO2-abscheidung ⁄ 21,40

Kohle mit CO2-abscheidung ⁄ 21,90

Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk ⁄ 10,30

Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk mit CO2-abscheidung ⁄ 19,30

Erdgas-Brennstoffzelle ⁄ 5,93

Biomasse-abfall (Stroh) Wärme- Kraft-Koppelung ⁄ 10,00

Photovoltaik (Dachanlage, Dünnschicht) ⁄ 2,88

Solarthermie ⁄ 1,02

Wind Offshore ⁄ 6,95

Stromerzeuger im Vergleich

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die Vernichtung des Gases vorzu-schreiben und durchzusetzen. Messungen zeigen, dass rund ein Sechstel des weltweit produzier-ten nF3 in der Atmosphäre landet.

Die Energiewende basiert aber nicht nur auf neuen Techniken der Stromgewinnung. Ein höherer An-teil erneuerbarer Energie bedeutet (gemäss den meisten Szenarien) auch, dass die Stromnetze ange-passt und ausgebaut werden müssen. Dazu braucht es viel Kup-fer. Der Abbau, meist im Tagebau betrieben, reisst riesige Löcher in die Landschaft, verschlingt Un-mengen Wasser und benötigt zahl-reiche Chemikalien. Zurück blei-ben enorme Mengen giftigen Schlamms, die in Rückhaltebecken gelagert werden, die allzu oft un-dicht sind. Wie gross der Bedarf an neuen Stromleitungen sein wird, hängt stark davon ab, welche Stra-tegie verfolgt wird: Soll der grüne Strom, ähnlich wie heute die fossi-len Energieträger, weitab der Verbrauchsorte produziert werden, wird er in neuen Hochspannungs-Gleichstromleitungen weit trans-portiert werden müssen – etwa von Solarkraftwerken in der S ahara über das Mittelmeer nach Europa. Wird dagegen die Energiever-sorgung dezentralisiert, dürfte der Mehrbedarf gering ausfallen.

Schliesslich muss man unregel-mässig an fallenden Strom aus erneuerbaren Quellen speichern können. Verschiedene Techniken dazu sind in rascher Entwicklung. Eine immer wieder propagierte Idee lautet, eine elektrifizierte Au-toflotte der Zukunft könnte die Schwankungen der Stromproduk-tion dämpfen, indem die Auto be-sitzer ihre Batterien dann aufl aden, wenn viel Strom im netz ist.

Unzuverlässige DatenZur Speicherung im grossen Stil

müsste man also auf Millionen

kleiner Autobatterien setzen. Diese werden heute vor allem auf Lithi-umbasis erstellt und enthalten etliche weitere Metalle, darunter Kobalt oder die so genannten seltenen Erden neodym und Dys-prosium. Laut dem Institut für Zukunftsstudien und Technologie-bewertung (IZT) wird der Lithium-bedarf schon 2015 deutlich über der heutigen Weltproduktion liegen.

Kein Problem, wenn man gewis-sen Prog nosen glaubt: Allein in Boliviens Böden sollen 100 Mil-lionen Tonnen des leichten Metalls lagern, ein Vielfaches der heute erschlossenen Vorräte – sagt die bolivianische Bergbaugesellschaft. Die US-Regierung dagegen schätzt die bolivianischen Vorkommen auf 9 Millionen, andere Studien auf lediglich 300 000 Tonnen. Ver-gangenes Jahr meldete das Pen-tagon, man habe in Afghanistan riesige Lithiumvorkommen gefun-den. Kritiker meinen, das sei schon lange bekannt und werde lediglich als weitere Rechtferti-gung für die US-Militärpräsenz am Hindukusch ins Feld geführt.

Die weltweite Autoflotte bei einer gleich bleibenden und gar weiterhin schnell wachsenden Zahl von Fahrzeugen auf elektrisch umzustellen, dürfte sehr bald an knapp verfügbaren Rohstoffen scheitern. Zur Speicherung von Strom im grossen Stil auf Millio-nen Batterien zu setzen, ist zudem weder energetisch noch ökolo-gisch effizient – zumal Elektroautos in ihrer Gesamtumweltbilanz laut der Forschungsanstalt Empa nicht besser sind als «sparsame» Ben ziner.

Für die Energiewende brauchts mehr als TechnikKlar ist: Solarenergie (und

dasselbe gilt für Windenergie oder Erdwärme) schneidet öko logisch, aber auch in einer ökologisch-ökonomisch-sozialen Gesamtbe-

trachtung (vgl. Tabelle) deutlich besser ab als fossile und atomare Energie. Damit die neuen Energien so sauber wie möglich sind, müssen zudem Umwelt- und Sozi-alstandards von der Rohstoffge-winnung über die Verarbeitung bis zur Entsorgung eingefordert wer-den. Recycling schont die Ressour-cen – am besten dann, wenn es bereits beim Produktdesign einge-plant wird. Eine Dezentralisie-rung der Stromversorgung hilft, material intensive Infrastruktur zu sparen, und senkt die damit ver-bundenen Umweltbelastungen.

Stellen wir die Energiever-sorgung lediglich von nicht erneu-erbar auf erneuerbar um, ohne die Produktions-, Verteilungs- und Verbrauchsmuster zu hinterfra-gen, ist die Bezeichnung «Energie-wende» unzulässig.* PowerShift / Forum Umwelt und Entwicklung: «Oben hui, unten pfui? Rohstoffe für die ‹grüne› Wirtschaft: Bedarfe, Probleme, handlungs optionen für Politik, Wirt-schaft und Zivilgesellschaft», Berlin 2011; Gratis-Download unter http://power-shift.de/?p=624

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Pazifi scher Nordkaper < Unbekannt> Max. wenige 100

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atlantischer Nordkaper < 3000—15 000> 300—350

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Südkaper < 60 000> 7000

Nördlicher Zwergwal < Unbekannt> 150 000

Grönlandwal< Unbekannt> 10 000

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wie sie wandern und wieviele es noch gibt.

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Die Best ände der Grosswale (geschätzt)< Vor Beginn des indust riellen Walfangs> heute

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Finnwal < 500 000> 65 000

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Südlicher Zwergwal < Unbekannt> 312 000

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Buckelwal < 125 000—1 500 000> 12 000

Blauwal < 300 000> 5000

Nördlicher Zwergwal < Unbekannt> 150 000

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DIE ENDzEIT DER WALEMeeresriesen: wo sie leben,

wie sie wandern und wieviele es noch gibt.

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«KARTEN SIND BEWEISE»

Kiki Taufik wurde in West-Java (Indonesien) geboren. Der 36-Jährige interessiert sich seit seiner Jugend für Landkarten. Als GIS-Spezialist für Greenpeace (GIS = Geografisches Infor-mationssystem) dokumentiert er die Gefährdung des naturwaldes.

Greenpeace: Wann hast du begonnen, Karten zu erstellen? Macht es dir Spass?Kiki Taufik: Als ich in der High School war, schloss ich mich einer naturwald-Gruppe an. Ich liebte das Wandern und das Kartenlesen. Einer meiner Freunde schlug mir vor, im College Geografie als Hauptfach zu belegen – was ich auch tat. Beruflich befasse ich mich seit 1996 mit Karten. Die Arbeit ist sehr befriedigend.Wieso hast du das Kartografieren mit dem GIS zum Beruf gemacht?

Ich fand es einfach interessant, zu lernen, wie man Karten und geografische Informations-systeme erstellt, vor allem in Bezug auf Wälder. Ich hatte ein ernsthaftes Interesse am Karten-lesen und liess mich davon treiben – und so bin ich hier gelandet.Kanntest du Greenpeace, bevor du zu ihr gestossen bist?

Zum ersten Mal hatte ich in der Schulzeit von Greenpeace gehört, als die Rainbow Warrior in den 90er-Jahren nach Jakarta kam. Es ging um eine Kampagne gegen illegalen Transport von Chemieabfällen. Ich erinnere mich, wie auf-geregt ich war. Jahre später, als ich für eine Kar-tierungsorganisation arbei tete, kam Green-peace ab und zu vorbei und bat mich um Daten über Waldbestand, Abforstung und anderes mehr. Bevor ich aber zu Greenpeace stiess, war das Erstellen von Karten eher eine nebenarbeit.

Bei Greenpeace sind Karten unerlässlich – wir brauchen sie als Informationen für unsere Kampagnen. Das macht den Job aufregend: Ich schaffe etwas von Bedeutung. Greenpeace braucht immer Analysen und Berichte. Die Organisation ist auf die Kenntnisse von Spezia-listen angewiesen, um zu erfahren, was sich abspielt. nur so können wir irreführende oder veraltete Informationen anfechten.

Hast du vor deinem Greenpeace-Engage-ment schon für eine andere Nichtregierungs-organisation (NGO) gearbeitet?

Zuvor war ich für die Beratungsfirma Sarvision Indonesien tätig, die sich mit Satelli-ten-Karten befasst. Wir arbeiteten eng mit der nGO BOS Foundation (Borneo Orang Utan) zusammen. Ich half auch anderen nicht profitorientierten Organisationen. Zum Beispiel versorgte ich Walhi, die grösste und älteste Umwelt-Interessengruppe Indonesiens, mit Karten zu den Waldbeständen.

Für mich gibt es nur zwei Gründe für eine Stelle. Erstens sollte die Arbeit mit meiner Ausbildung in Verbindung stehen: Das GIS ist also eine gute Option. Zweitens werde ich für keine Organisation arbeiten, die der Umwelt schadet. Das tönt sehr prinzipientreu, nicht wahr? Aber es kommt aus der Seele, die ich der Umwelt verschrieben habe.Wie muss man sich deine Arbeit bei Greenpeace vorstellen?

Ich stelle Daten zusammen, die für Karten wichtig sind, wie Angaben zum Waldbestand, zu Torfmoorwäldern, kritischem Landbestand, Waldschutzgebieten, zu entwaldeten Regionen oder zu Gebieten, für die Unternehmen Kon-zessionen erhalten haben. Dann studiere ich diese und erstelle für Greenpeace eine Analyse mit Informationen, welche die Organisation für ihre Kampagnen braucht.Du wirst als «leitender GIS-Spezialist» bezeichnet. Übertrieben?

Leicht, ja. Aber das Geoinformationssystem ist eine bedeutende Spezialisierung bei der Erstellung von Karten. Das Wort «Spezialist» bezieht sich darauf. «Leitende» Fachkraft – das sagt man vielleicht, weil ich vier Kinder habe, mehr als meine Kollegen. Es mag daher so aus-sehen, dass ich der Älteste bin. Ist es wichtig, dass Forst- und NGO-Sektoren Karten erstellen?

Ja. Auch andere Institutionen, die sich mit Raum- oder Ressourcenplanung befassen, sollten eine Kartierungsdivision haben. nGO wie Greenpeace, die Kampagnen durchführen, müssen zudem Beweise vorlegen können. Karten sind neben Fotos und Videos die besten solchen Beweise.Du beschäftigst dich seit Jahren mit Forst-wirtschaft. Wie ist der Zustand der Wälder in Indonesien?

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Unsere Wälder befinden sich in einer kritischen Lage. Am schlimmsten sind die Schä-den auf Sumatra, wo tiefe Torfmoorwälder für Plantagen zerstört wurden. Das ist nicht nur für die Wälder eine Katastrophe, sondern auch für das globale Klima, da diese Wälder immense Mengen von Kohlenstoff binden.

Die Abholzung von Wäldern auf der Insel Sumatra begann in den 80er-Jahren, doch seit Ende der 90er-Jahre ist es schlimmer geworden. Seither gibt es viel weniger Kontrolle. Provinz- und Lokalregierungen verkauften Land, das für Palmöl-, Papier- oder Holzplantagen sowie für Bergbau umgenutzt wurde. Das dauert bis heute an.

Vielleicht erinnerst du dich an die riesigen Waldbrände von 1997/98? Der Rauch zog auch über die nachbarländer Malaysia und Singapur. Seither hassen die uns deswegen.

Abholzung und Waldschädigung müssten gestoppt werden. Wenn nicht, werden wir unse-ren Schatz verlieren. In der Provinz Riau auf Sumatra gab es einst 9 Millionen Hektar Wald, bis heute haben 931 000 Hektar überlebt, Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 die komplette

Zerstörung bedeutet, stehen die Regenwälder Indonesiens bei 8.Bist du optimistisch für die Zukunft der Wälder? Kann das Moratorium, für das sich euer Präsident einsetzt, Erfolg haben?

Ich bin pessimistisch. Ausser es gelingt uns, die Regierung unter Druck zu setzen. Es gibt noch immer Beamte, die gegen Regeln ver-stossen. Sie arrangieren «Schwarzgeschäfte», um viel Geld zu erhalten, ohne je in Betracht zu ziehen, was das nach sich zieht. Wenn die Gesetze nicht rasch eingehalten werden, wer-den wir bis 2050 alles verloren haben.

Ich will, dass meine Kinder die Schönheit der Wälder noch geniessen können, wenn sie erwachsen sind, dass sie die natur lieben kön-nen, wie es auch ihr Vater tut. Ich nehme sie schon früh hinaus in die natur, damit sie diese schätzen lernen.

Ich möchte allen Unterstützerinnen und Unterstützern von Greenpeace in der Schweiz sagen, wie dankbar ich bin. Dank finanzieller Unterstützung können wir weiter daran arbeiten Indonesiens Wälder zu retten. Jeder Beitrag hilft, eine bessere Zukunft zu schaffen.

Greenpeace-Kartenexperte Kiki taufik: «Meine arbeit kann irreführende Informationen widerlegen.»

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Greenpeace: Julia, weshalb engagierst du dich als Freiwillige bei Greenpeace?

Ich kann einfach nicht zusehen, wie die Welt zugrunde gerichtet wird. Aktion statt Ohn-macht, darum geht es. Ich fühle mich den Problemen der Welt nicht mehr so machtlos aus geliefert, seit ich mich engagiere. Zusammen mit anderen AktivistInnen arbeite ich an verschiedenen Projekten, hauptsächlich an der Verhinderung der Kohlekraftwerks-beteiligungen des Bündner Energiekonzerns Repower. Als Freiwillige lerne ich sehr viel, vom Organisatorischen bis zum Verhalten in bren z-ligen Situationen. Und du, Eckhard?

Als mein Vater Ende der 1950er-Jahre gegen die Begradigung von Flussläufen in nord-deutschland nahe Bremen kämpfte, ging es auch um die Rettung der Pflanzen- und Tierwelt. Da gab es noch keine grossen Umweltorga-nisationen. Auch die 68er und die Anti-AKW-Bewegung der 1970er-Jahre kamen ohne ein solches Dach aus. Ich war sehr oft mittendrin und vorne dabei. Greenpeace, das kam später, in den ersten 1980er-Jahren in Deutschland und seit

1986 in der Schweiz. Ich war lange kaum mehr als ein zahlendes Mitglied, weil es beruflich und in meinem freiwil ligen Engagement andere Priori täten gab. Seit zwölf Jahren engagiere ich mich stark für Greenpeace. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn ich demnächst in Pension gehe. Das Motiv ist dasselbe geblieben. Ich bin nicht bereit, Unrecht einfach zuzu lassen, und ich setze mich ein für eine erhaltenswerte Welt, dass Menschen allerorts jetzt und auch nächste Generationen gute Lebensbedingungen vor-finden.Denkt ihr angesichts der sich türmenden Probleme hierzulande und weltweit nicht manchmal ans Aufgeben?

Julia: nein, ans Aufgeben denke ich nie, auch wenn mir die Gleichgültigkeit, die ich gerade auch unter jungen Leuten beobachte, manchmal zu schaffen macht. Wir können eh nichts ändern, sagen viele. Angesichts der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, um eine gefährliche Veränderung des Klimas zu ver-hindern, erschreckt mich diese Haltung. Doch oft spüre ich auch Wertschätzung meiner Arbeit gegenüber.

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NIE»Eckhard Wolff und Julia Ritschard engagieren sich bei Greenpeace als freiwillige

aktivistInnen für die Umwelt. Eckhard ist 64, Julia 21. Was hat sich verändert in 40 Jahren Umweltbewegung?

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Eckhard: Aufgeben? nein. Der Gedanke kommt schon nicht auf, weil er nicht gerechtfer-tigt ist. Es ist ja nicht so, dass wir nur gegen eine Wand anrennen und nichts bewirken. Schnelle Erfolge mögen die Ausnahme sein, aber auf die lange Sicht haben wir mit Beharrlichkeit sehr viel erreicht. Es freut mich, dass der Atomaus-stieg nun endlich kommt. Gleichzeitig bin ich empört, wenn ich höre, wie Politiker so tun, als ob es neue Erkenntnisse gäbe. Dabei war das alles doch schon vor 30 Jahren bekannt. 2012 jährt sich der Erdgipfel von Rio zum 20. Mal. Damals sprach die ganze Welt davon, Umweltanliegen endlich ernst zu neh-men. Mit der Agenda 21 sollten diese auch umgesetzt werden. Julia, hat Rio Spuren in deinem Engagement hinterlassen?

Julia: Mir war Rio weder als Kind noch als Erwachsene je wirklich bewusst als Wegmarke des internationalen Umweltschutzes. Das liegt wohl vor allem daran, dass es zwar Versprechen und gute Absichten gab, aber auf der Hand-lungsebene nicht sehr viel passiert ist. Die Klima-debatte, die daraus entstanden ist, betrachte ich zwar als entscheidenden ersten Schritt. Aber jetzt müssen wir vor allem eines: handeln.Was hat Rio 1992 bewirkt, Eckhard?

Eckhard: Es geht um die alte Frage, ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist. Wenn ich den Massstab eines Umweltaktivisten ansetze, dann ist da kaum Wasser drin. Denn tatsächlich ist ja seither nicht viel Substanzielles geschehen. Doch man muss schon auch anerkennen, dass Rio vor allem in der Wissenschaft viel bewegt hat. Viele Fachleute realisierten damals, dass es ihr Engagement braucht. Und heute streiten selbst die Leute von der Finanzwirtschaft nicht mehr ab, dass wir das Ding an die Wand fahren. Dass es ihnen reichlich egal ist, steht auf einem anderen Blatt Papier. Ist dieser Gesinnungswandel auch auf der Strasse zu spüren, wenn ihr als AktivistInnen unterwegs seid?

Eckhard: Ich erinnere mich an eine Aktion gegen die Chemiewerke in Basel, als wir Kiesgru-benerde vor ihre Firmenportale kippten und symbolisch Giftfässer draufstellten, um gegen die von ihnen verschleppte Deponiesanie rung zu protestieren und die Klageschrift zu übergeben. Ein Portier zeigte Verständnis, auch die zufällig anwesende Polizei hielt sich zurück, die Medien schwiegen das Ereignis tot. Ähnliches geschah an

einer nestlé-Hauptversammlung. Man will uns einfach ins Leere laufen lassen und spricht gleichzeitig öffentlich scheinheilig von nachhal-tigkeit und der Verantwortung der Unter-nehmen. Auf der Strasse stossen wir auf Resigna-tion und Gleichgültigkeit gegenüber Umwelt -pro blemen oder der politischen Entwicklung.Kommt es bei euren Aktionen zu direkten Gesprächen mit Gegnern oder Passanten?

Julia: Das kommt immer wieder vor. Als wir in Samedan an einer öffentlichen, von Repower gesponserten Veranstaltung ein Kohlekraftwerks-modell in den Saal schoben, um gegen die Koh-lepläne von Repower zu demonstrieren, wur-den wir zuerst aus dem Saal geschmissen. Doch als wir uns erklärten und betonten, es gehe um Repower und nicht um den Veranstalter, wurden wir wieder hineingebeten, und es kam zu einer sehr spannenden Diskussion.

Eckhard: Solche Gespräche können sich ergeben und werden gezielt angestrebt, aber es kann auch sehr feindselig uns gegenüber werden. Da ist alles möglich. Das gehört für mich zur natur der Sache. Auch wer friedlich protes-tiert, muss auf alles gefasst sein.

«In Sachen Klima müssen wir vor allem eines tun: handeln.»

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Wie war das früher?Eckhard: Zu reden, das hiess damals vor

allem, die juristischen Mittel auszuschöpfen. Erst dann kam der Protest. Zu persönlichen Kon-takten kam es kaum. Mit der juristischen Ausei-nandersetzung sind die Sichtweisen klar, die Fronten gezogen. Das gilt auch heute noch.

Julia: Das sehe ich auch so. In einem Land wie der Schweiz, in dem so viele Banken, mul-tinationale Konzerne und Energiegesellschaften angesiedelt sind, die weltweit in zerstörerische Geschäfte investieren, braucht es Aktionen und Protest. Gespräche im Vorfeld sind oft sinnvoll, aber es braucht diesen Druck der Aktion, und es braucht den Druck der Öffentlichkeit. Sonst passiert gar nichts. In den 1970er-Jahren stand der Kampf ge-gen die Atomenergie im Mittelpunkt. Heute ist der Ausstieg fast beschlossene Sache. Welche Themen bewegen Greenpeace-Akti-vistInn im Jahr 2012?

Julia: Ich war ja nicht dabei, aber es gab mal eine Zeit, da wurde die Atomkraft als Lösung für all unsere Energieprobleme propagiert. Das ist sicher vorbei. Aber die Themen Energie und Rohstoffe sind aktueller denn je. Und wenn angeblich nachhaltig operierende Unterneh-men wie Repower auf Kohle setzen, dann sehe ich keinen wirklichen Paradigmenwechsel. Vielmehr scheint mir, dass heute wie damals suggeriert wird, es brauche nur neue Techno-logien, und schon hätten wir die Sache im Griff. Dabei ist gerade diese Technikgläubigkeit das Problem.

Eckhard: Es gab in den 1970er-Jahren die Berichte des Club of Rome, der auf die Grenzen des Wachstums hinwies. Heute müsste man nur die Zahlen aktualisieren. Die grundsätzliche Aussage bleibt genau gleich. Was uns noch zusätzlich zu schaffen macht, ist das liberalisierte Finanzsystem inklusive der Offshore-Finanz-plätze. Das macht alles noch schlimmer. Eckhard, ihr habt damals praktisch ohne moderne Kommunikationsmittel protes-tiert. Heute ist Social Media in aller Munde. Welche Rolle spielen Facebook & Co.?

Eckhard: Bei den jungen Leuten sind sie wohl kaum mehr wegzudenken. Ich bleibe aus Gründen des Datenschutzes skeptisch.

Julia: Social Medias sind wichtige Instru-mente geworden, um eine breite Öffentlichkeit einzubeziehen. Sie sind nützliche Werk zeuge,

mehr aber auch nicht. Für mich kann kein elektronisches Hilfsmittel das direkte Gespräch ersetzen. Ihr arbeitet bei manchen Aktionen zusam-men. Wie begegnen sich junge und alte AktivistInnen?

Julia: Wir fragen erfahrene Leute wie Eckhard gezielt an, wenn absehbar ist, dass es brenzlige Situationen geben könnte, bei denen Erfahrung doppelt zählt, oder wenn ein älterer Mensch mehr Chancen hat, gehört zu werden. Ich schätze diese Zusammenarbeit ausserordent-lich. Eckhard gibt mir mit seiner Einstellung das Gefühl, das Richtige zu tun.

Eckhard: Alte und Junge können sich doch ideal ergänzen. Ich muss in meinem Alter nicht mehr dahin, wo es auch körperlich an Grenzen gehen kann, ich mag auch nicht mehr tagelang in Zelten verbringen. Aber ich bin da zur Stelle, wo meine Erfahrung gefragt ist. Manchmal bewirken graue Haare Wunder. Und was Julia betrifft: Es tut gut, junge Menschen wie sie um sich zu haben. Ihr Engagement ist bewunderns-wert.Das Interview wurde geführt von Urs Fitze, Pressebüro Seegrund

Julia Ritschard, Jahrgang 1990, engagiert sich seit 2009 in verschiedenen aktionsgruppen bei Greenpeace. Sie arbeitet 50 Prozent in einer Genossenschaftsbeiz in Weinfelden.

Eckhard Wolff, Jahrgang 1947, ist seit den Gründer-tagen bei Greenpeace, zuerst in Deutschland, nach 2000 in der Schweiz. Er lebt seit 1986 in der Schweiz und geht in diesen tagen in Pension.

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Das Eis der Arktis schwindet, das Klima droht zu kippen.

Der englische Fotograf nick Cobbing hat ein Forschungsteam auf dem Greenpeace-Eisbrecher Arctic Sunrise begleitet.

Fotos von Nick Cobbing

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Erschreckend, das Fazit der diesjährigen Arktis-Mission, die Greenpeace mit der Universität Cambridge durchführte: Das Eisminimum war noch geringer als 2007, dem Tiefpunkt bishe-riger Messungen. Die Wissenschaftler an Bord des Greenpeace-Eisbrechers Arctic Sunrise zeigten sich besorgt: Ohne kompakten Eisschild, der 80 Prozent des Sonnenlichts reflektiert und so das Klima stabil hält, droht der Welt in den nächsten Jahrzehnten ein Desaster. John Quigley, ein Künstler im Team, realisierte auf dem Eis den «vitruvianischen Menschen» von Leonardo da Vinci – mit fehlenden Körper-teilen, welche die Erosion in Polnähe ver-deutlichten.

Der Engländer Nick Cobbing, 44, arbeitet seit 20 Jahren als Fotograf, seit 17 Jahren immer wieder für Greenpeace-Projekte in aller Welt. Viermal schon war er in der arktis, deren Veränderungen er in berührenden und mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichneten Bildern transparent macht. Cobbing lebt in lon-don und hat eine 18-jährige tochter.

1 Beobachter auf der arctic Sunrise: Bei Gefahr warnt er die Crew-Mitglieder, die auf dem Eis arbeiten. 2 Mit Spezialgeräten machen sich Green-peace-Mitarbeitende daran, die Beschaffenheit des Eises in der Nähe von Svalbard zu unter-suchen.3 Der «vitruvianische Mensch», von John Quigley nach leonardo da Vincis Vorlage aufs Eis gebracht, verdeutlicht das rasante Schmelzen des Polareises.4 Greenpeace-Eisbrecher arctic Sunrise: Kompakte Eisfelder gibt es kaum mehr — der Schutzschild der Erde zerbricht, wenn nichts getan wird.5 Ein Wissenschaftler begutachtet ein Stück eisigen Bohrkern — jede Probe wurde im labor des Schiffes analysiert.

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Beim «Tauchen» entdeckst du Dinge, mit denen du nicht gerechnet hast. Hier dreht es sich aber, wohlverstanden, nicht um das Tauchen im Meer, sondern im Müll. Die Rede ist von Trash Diving, Containern, Dumpster Diving – einer «Randsportart», die ins Reich der Wiedergewinnung gehört.

Wer selbst einmal in die Mülltonnen hinter Supermärkten geschaut hat, versteht warum: Darin lässt sich vieles finden, und längst nicht nur Müll. Vielmehr Brot, Käse, Bananen, Konser-ven, aber auch Haushaltsgeräte. Vielleicht darf es auch einmal ein Laminiergerät sein (so ge-schehen). Eben fast alles, was man auch drinnen im Ladenregal findet.

Abend in einem Dorf am Zürichsee. «Ein-kaufsbummel» bei Denner. Aus dem Container fische ich einen Jahresvorrat Waschmittel (eingerissene Ecke), ein Zwölferpack Bier (eine Dose kaputt), zehn netze Tomaten (ein Drittel angeschimmelt). Und da wäre mehr, wie so oft, viel mehr, als ich mitnehmen kann, und zu rück-lassen tut weh. Weh tut auch das Gefälle zwi-schen Hunger in der Welt und Überfluss. Dumps-ter Diving ist eine besondere Art, mit diesem

Überfluss umzugehen. Es gibt Menschen, die aus Armut containern. Dumpster Diver aber tun dies freiwillig – der Inbegriff eines para doxen Luxus: Wir sind nicht so arm, dass wir containern müssen; wir sind so reich, dass wir es können.

Weggeworfen wird oft nach SchönheitskriterienDie aktuelle Studie der FAO (Food and

Agriculture Organization) zeigt: Auf jeden Europäer kommen im Schnitt pro Kopf, pro Jahr 280–300 kg weggeworfene nahrungsmittel. Davon schmeisst der europäische Konsument 95–115 kg weg.

In der Schweiz landen jährlich 765 000 Ton-nen organische Substanzen im Abfall. Aktuelle Daten, wie viel davon nun Lebensmittel sind, gibt es nicht. Das sind verpackte Lebensmittel, Speisereste und Küchenabfälle, aber auch Gar-tenabfälle. Doch was Markus Christen, Leiter der letzten Erhebung der Kehrichtzusammenset-zung 2001 am meisten überraschte, ist die Qualität der weggeworfenen Lebensmittel: «Wir hätten uns problemlos eine Woche davon ernähren können.»

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LECKERBISSEN AUS DEM CONTAINER

Von Inga laas

Grossverteiler schmeissen jährlich tonnen von lebens-mitteln weg — wegen übertriebener hygiene- und Verfall-kriterien. Einige wenige Menschen haben begonnen, sich dieser Wegwerfkultur zu widersetzen. Sie «containern» sich ihre Nahrung aus dem Müll. Nicht aus armut, aus Protest.

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Kein Wunder, wenn schon eine Unterbre-chung der Kühlkette beim Transport ausreichen kann, um hunderte Kilos nahrung zu vernich-ten. Laut Hygienevorschriften müssen die Lebensmittel entsorgt werden, egal, ob sie noch geniessbar sind. noch viel schlimmer mutet an, dass Essen aufgrund von unerfüllten Schön-heitskriterien im Container landet, zum Beispiel Obst wegen ein bisschen Schorf oder einer Druckstelle. Ist die Ware abgepackt, wandert die ganze Packung in den Eimer und nicht nur der eine hässliche Apfel oder die eingedrückte Dose.

Die Container hinter zahllosen Supermärk-ten bezeugen diese Praxis. Von Greenpeace um eine Stellungnahme zum Containern gebeten, reagieren die Detailhändler unterschiedlich: Den-ner schweigt. Aldi wirft weg, was das Mindest-haltbarkeitsdatum überschritten hat – in abge-schlossenen Containern: «Damit keine Personen kommen und nach Essens resten Ausschau hal-ten», erklärt Sven Bradke, Mediensprecher von Aldi Suisse. Die Angst vor der Verantwortung für verdorbene Lebensmittel ist zu gross. Vergüns-tigt abgegeben werden nur wenige Lebnsmittel wie z. B. Brot, an die Mitarbeitenden gar nichts.

Sabine Vulic, Mediensprecherin bei Coop, versichert: «Bei uns landet nichts im Contai-ner.» Klar definiert sei, was mit nicht ver kaufter Ware geschehe: Preisreduktion für Kunden und Mitarbeitende und Abgabe an soziale Institu-tionen wie «Tischlein deck dich» und «Schwei-zer Tafel». Aber auch Coop entsorgt jährlich 12 000 Tonnen Früchte und Gemüse. Sie wer-den zu Tierfutter oder zu Biogas verarbeitet.

Urs naef, Mediensprecher von Migros, möchte zum Containern «eigentlich keine Stel-lung nehmen». Man sei bemüht, nichts weg-zuwerfen. Migros verkauft Produkte, die kurz vor dem Verkaufsdatum sind, mit bis zu 50 Prozent Rabatt. Falls die Produkte auch dann nicht über den Ladentisch weggehen, dürfen die Mit-arbeitenden sie bis zum Haltbarkeitsdatum mit einem 75-Prozent-Preisabschlag erwerben. Auch der orange Riese berücksichtigt soziale netz-werke, die mit ausgeklügelter Logistik die Ware kurz vor der Unverkäuflichkeit an Bedürf tige weitergeben. Letztlich schafft auch die Migros tonnenweise nahrung in die Biogasanlage.

Auch wenn’s absurd klingt: «Besser eine energetische nutzung als gar keine», findet Roland Schüren. Als erster Bäcker in Deutschland bezieht er die Energie für seinen Betrieb aus alten Broten. Trotzdem währe es besser, nur soviel zu produzieren, wie wir brauchen.

Meine Cousine Mia ist neun Jahre alt und hat eine neue Leidenschaft: das «Mindesthalt-barkeitsdatum». «13.09.2011», murmelt sie nachdenklich, die Packung prüfend in den Hän-den haltend, «das ist heute. Sie ist schlecht; die Milch kann man nicht mehr trinken.» Und was soll mit der Milch passieren? «Wegwerfen, natürlich.» Geruchs- und Kostprobe stimmen sie um; die Milch wird vom Ausguss verschont. Tatsächlich ist die Macht des aufgedruckten Datums heute grösser als das Vertrauen in die eigenen fünf Sinne.

Gekühlt überdauert Joghurt MonateArchäologen fanden Honig in altägypti-

schen Gräbern – geniessbar. Der hohe Zuckerge-halt und natürliches Antibiotika machen Schim-meln unmöglich. Es müssen ja nicht gerade Jahr tausende sein. Honig kann im Dunkeln bei 10 Grad mindestens zehn Jahre verwahrt wer-den, bloss wissen das die wenigsten. Erst 2006 hat der Bund festgelegt, die Haltbarkeit von Honig zu begrenzen. Inzwischen war nämlich

Wer «containert», bewegt sich in einer juristischen Grauzone.

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nützliches Wissen über die Konservierung von Produkten verloren gegangen. Oder lagert je-mand heute noch Äpfel und Kartoffeln gemein-sam, weil das Ethylen der Äpfel die Keimung der Kartoffeln verlangsamt?

Bei vielen Produkten könnten unsere Sinne problemlos über die Geniessbarkeit entschei-den. Beim Wein eine Selbstverständlichkeit: Hier hat sich ein Wissen um richtige Lagerung erhalten; wer würde schon auf einer reifen Flasche Château Margaux nach einem Verfall-datum suchen? Besonders erstaunt der an-scheinende Verlust des gesunden Vertrauens bei Milchprodukten: Dabei zeigt verdorbene Milch der nase deutlich, ob sie noch in den Kaf-fee soll. Joghurt überdauert im Kühlschrank Monate, bis der Deckel sich wölbt. Bestimmte Käse sind richtig gelagert jahrzehntelang essbar. Früher sollen Walliser in ihren besten Jahren Wein und Käse im Keller eingelagert haben, damit er – oft Jahrzehnte später – zu ihrem Be-gräbnis gereicht würde.

In unserem Verhältnis zur nahrung spielt das Mindesthaltbarkeitsdatum eine zentrale Rolle. Seit 1967 gesetzlich geregelt, unter-

scheidet das Gesetz zwischen zwei Deklaratio-nen: dem«Mindesthaltbarkeitsdatum» und «Verbrauchsdatum». Angaben wie «Abgepackt am ...» oder «Zu verkaufen bis ...» sind freiwillig.

Auf leicht verderbliche Lebensmittel, die gekühlt aufbewahrt werden müssen, wird die Deklaration «Verbrauchen bis» angewendet. Diese Produkte dürfen nach Ablauf weder ver-kauft noch an soziale Institutionen abgegeben werden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird laut der Schweizer Gesellschaft für Ernährung (SGE) für haltbare Lebensmittel vergeben. Abgelau-fene Produkte müssen nicht weggeworfen, son-dern dürfen zu einem günstigeren Preis verkauft werden. Allerdings ist der Hersteller von seiner Garantiepflicht befreit. Gleichzeitig räumt die SGE ganz klar ein, dass diese Produkte auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums für den Verzehr meist unbedenklich sind. So auch in den niederlanden. Hier forderte die Super-marktkette Jumbo ihre Kunden auf, alle Produkte mit einer Haltbarkeit von weniger als zwei Tagen mitzunehmen – gratis. Aber es ist weniger die Sorge um gesundheitliche Risiken, sondern mehr die um entgangene Profite, die Läden dazu

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veranlasst, Ware zu entsorgen anstatt zu ver-schenken. Ergo, ran an die Container!

«Containern» ist in der Schweiz zwar ver-breiteter, als die meisten annehmen, trotzdem spricht man nur wenig drüber, und die Infor-mationen sind spärlich. Anders in den USA. Dass an Partys demonstrativ Müll aufgetischt wird, ist keine Seltenheit. Containern hat Szenecharakter. Im nachbarland Deutschland sind die Dumpster Diver gut informiert. Sites wie dumpstern.de formulieren Unmut und Pro-test gegen die nahrungsmittelverschwendung, erklären die juristische Lage und geben Tipps für ein entspanntes Containern.

In den deutschen Grossstädten hat Con-tainern häufiger einen existenziellen als einen ideologischen Hintergrund. Selten trifft man sich. Dann aber wird getauscht und geteilt.

Müllcontainer, zugänglich und ohne Schloss, gibt es in der Schweiz nicht viele, aber immer-hin einige. Bei mir zu Hause sorgen Aldi, Denner und Spar für einen vollen Tisch. Wenn ich im Container wühle, zieht das Blicke auf sich: ver-ächtliche, mit Sprüchen wie «Schmarotzer-mädchen», aber auch anerkennende. «Beim

nächsten Mal gib Bescheid. Ich komme mit», höre ich nicht selten. Bei Tageslicht und unver-mummt errege ich als normale, junge Frau mehr Aufmerksamkeit als eine «urbane Guerillera» mit schwarzem Kapuzenpulli.

Weil das normale und der Abfall nicht zusammenpassen. Weil es in unserem Denken keinen Kontext hat. Es ist ein bisschen, als ob es die nahrungsmittel im Müll nicht geben würde – obwohl jeder davon weiss. Was wäre, wenn Mütter sich am Container bedienen würden? Adrette Büroangestellte auf dem Weg von der Arbeit? Das wäre politische Aktion – quer durch alle Schichten.

Zuhause bewundere ich meine Beute: Tomaten, Salat, Orangen, Joghurt (und sogar einen Toaster, der einwandfrei funktioniert). Erstklassige Ware. Sie hat einen enorm hohen Preis. So berichtet Bäcker Schüren vom Stress immer ein volles Brotregal haben zu müssen – bis zum Ladenschluss. Ist die gewünschte Ware nicht vorhanden, geht der Stress für die Verkäufer erst richtig los. Also ist das Angebot immer frisch und knackig, aber auch immer zuviel.

Schuld sind wir Kunden, denn «genug ist nicht genug».

Laut dem Psychologen Stephan Grünewald «kaufen wir nicht, was wir heute brauchen, sondern, was wir irgendwann mal brauchen wer-den. Wir versuchen, für jede Lebenslage ge-rüstet zu sein, und darum kaufen wir letztendlich immer zu viel.» Und das bezieht sich längst nicht nur aufs Einkaufen für den eigenen Herd.

Containern hat etwas AnarchistischesMarias Catering-Unternehmen sorgt für

das kulinarische Wohl der Gäste. Kürzlich klang Verzweiflung aus ihrer Erzählung: «Wir muss-ten eine 600 Franken teure Hochzeitstorte weg-schmeissen. nur ein Viertel wurde gegessen – der Rest: in die Tonne. Auch verschenken durften wir nichts. Denn laut Vertrag gehört das Essen nicht uns, sondern dem, der es bezahlt hat.» Sie erzählt weiter: «Selbst wenn der Kun-de zustimmt, das Hygieneamt stellt sich quer – Essen, das nicht gekühlt wurde, sondern auf dem Tisch stand, muss weg. Ein Dilemma!»

Für viele hat Containern etwas Anarchisti-sches. Dumpster Diver bewegen sich vorwie-gend im Dunkeln, ausserhalb der Geschäftszei-ten – in einer juristischen Grauzone. Man fühlt

Produzenten müssten verpflichtet werden, Unverkäufliches an soziale Institutionen abzugeben.

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sich seltsam illegal, obwohl man eigentlich nichts Verbo tenes tut. Aber wem gehört denn eigent-lich Müll? Information gibt Melzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel: «Wenn jemand Lebensmittel in einen Müllcontainer schmeisst, die ausschliesslich der Vernichtung zugeführt werden sollen, dann kann jedermann darüber verfügen. Es ist nicht ein Geschenk an die Keh-richtabfuhr oder so ähnlich. Der Besitzer der Lebensmittel ist mit einer Vernichtung einver-standen. Somit gibt er den Gewahrsam auf, und es wird kein neuer Gewahrsam begründet.»

In Deutschland sind die Grenzen entschie-den schärfer gezogen: Hier kann Abfall einen Besitzer haben. Damit kann sein Entwenden strafrechtliche Folgen haben. Allerdings halten sich öffentliches und polizeiliches Interesse am Stehlen von «wertlosem» Gut in Grenzen, auch wenn es so köstlich wie kostbar ist.

Als Dumpster Diva (die weibliche Form von Diver) fühle ich mich immer wieder seltsam verkehrt. Als stehe die Welt auf dem Kopf. nicht die Verschwendung und Vernichtung von nah-rungsmitteln gilt als strafbar, sondern allenfalls ihre Überführung zu ihrem eigentlichen Zweck.

Die Idee, dass verschwendete Lebensmittel durch Steuerabgaben «bestraft» werden sollen, ist nicht neu. Die Journalisten Stefan Kreutz-berger und Valentin Thurn fordern in ihrem Bericht «Taste The Waste»: Produzenten und Handel sollten gesetzlich verpflichtet werden, alle unverkäuflichen Lebensmittel an soziale Institutionen abzugeben und was darüber hin-aus verdirbt, zu versteuern. Entsorgungskosten könnten so gespart, das Klima geschont werden.

Seit Juli 2011 gilt in der Schweiz ein «Schweinekübelverbot»: Speisereste dürfen nicht mehr an Tiere verfüttert werden – aus Angst vor Seuchen. In der EU führt das Verbot derzeit zu einer Mehrproduktion von etwa fünf Millionen Tonnen Futtergetreide. Dabei könnten Küchenreste vor der Verfütterung mit Hitze behandelt werden.

30 000 Tonnen organische Abfälle allein bei Migros und Coop. Diese Zahl wäre noch grösser, fände nicht bereits auf den Äckern ein gnaden-loser Schönheitswettbewerb statt. Viele nah-rungsmittel schaffen nicht einmal den Weg vom Acker ins Warenregal: Zu hart sind die Schön-heitskriterien auch bei Kartoffel und Co. Für die Landwirtschaft bedeutet das eine ständige Überproduktion, um Verluste durch unförmige Pro dukte zu vermeiden.

Die Auflageliste ist schwer umsetzbarSo hat sich die Obst- und Gemüsebranche

«Qualitätsbestimmungen» auferlegt, zum Beispiel: Der Durchmesser der Fleischtomate muss zwischen 67 und 102 mm liegen. Die Salat-gurke darf auf 10 cm Länge maximal 10 mm gekrümmt sein. Für die verschiedenen Reifestu-fen gibt es Farbtabellen. Die Liste der Auflagen ist lang und scheint kaum umsetzbar. Perverser-weise gilt sie auch für Pellati in der Büchse, Püree und Pizzabeläge.

Was nicht genügt, bleibt auf dem Acker liegen, landet bestenfalls im Kompost. Was wäre, male ich mir aus, wenn es einen Bauernmarkt für «hässliches» Gemüse und Obst gäbe? Was wäre, wenn wir lernen würden, unsere nahrung wieder als etwas Existenzielles, ja, Heiliges zu verstehen?

Carlo Petrini, Gründer von Slow Food, erzählt von alten Menschen in Italien, die ein heruntergefallenes Stück Brot aufheben und küssen, bevor sie es wieder auf den Tisch legen.

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BiokohleEffizienter als herkömmliches Brennmaterial soll die Biokohle aus Pflanzenmaterial sein, die von der Firma SunCoal in ludwigsfelde bei Berlin gegenwärtig perfektioniert wird. «Im kommenden Jahr wird unser Produkt industriell hergestellt», verspricht das zehnköpfige team um den Geschäftsführer tobias Wittmann. Der Vorgang ist relativ un-kompliziert: Pflanzenreste werden zuerst gehäckselt und gewaschen, so dass Steine, Sand und Erde aus der Biomasse verschwinden «und der aschegehalt unserer Kohle redu-ziert wird». In einem Druckbehälter findet danach bei 200 Grad und unter 20 Bar die Verkohlung statt. Nach wenigen Stunden entsteht kaffee-schwarzer Schlamm, dessen Wasser-gehalt durch thermische trocknung bis auf acht Prozent gesenkt wird. aus einer tonne Grünabfall lassen sich bis zu 800 Kilo Kohle-Pellets fertigen.

WellenkraftDie schottische Firma Pelamis (grie-chisch für Meerestier) tüftelt seit sieben Jahren an einer stromgenerie-renden, auf dem Meer schwimmen-den hightech-Schlange. Die Konst-ruktion aus vier Rohrstücken, 2004 vor den Orkney-Inseln zu Was-ser gelassen, ist 1300 tonnen schwer und 150 Meter lang. Sie er-zeugt 2,7 Millionen Kilowattstunden pro Jahr und versorgt 500 haushalte. Das Prinzip ist relativ einfach: Die Segmente der Schlange schaukeln im Wellengang und treiben so die integrierten Generatoren des Unge-tüms an. Etwa 25 000 anlagen, rechnen die Pelamis-leute, könnten 20 Prozent des britischen Strombe-

darfs decken. Die britische Regie-rung unterstützt Forschungen im Bereich Meeresenergie mit 75 Millio-nen Euro.

Vertical Farminghört sich extrem futuristisch an, das Projekt des amerikaners Dickson Despommier. Bis zum Jahr 2050, schätzt er, werden rund 80 Prozent der Erdbevölkerung in gigantischen Städten leben. Und deshalb mache es Sinn, die lebensmittel auch dort zu produzieren, nicht zuletzt, weil Böden immer rarer und deren Qualität zunehmend schlechter wer-den. Sein Projekt «the Vertical Farm» sieht gigantische türme vor, in denen in hors-sol-Manier ohne Erde Pflanzen kultiviert werden, ent-weder in einer Nährlösung (hydronik) oder in mit Nährstoffen und Was-serdampf gesättigter luft (aero-ponik). Der Wasserverbrauch könnte um über 90 Prozent gesenkt werden, CO2-Emissionen würden grössten-teils wegfallen, weil keine langen transportwege mehr erforderlich sind. Ein weiterer Vorteil wäre, dass pflanz-liche Nahrung unabhängig von Jahres zeiten durchgehend produziert werden könnte, der Nachteil, dass Bauern weitgehend beschäftigungs-los würden. Sie könnten aber, so Despommier, mit Geldern entgolten werden, die aus der konsequenten Besteuerung von CO2 anfallen würden. Frei werdende ackerflächen sollen dann der Natur überlassen werden, so dass etwa riesige Wälder entstünden, die als riesige lungen Schadstoffe wegfiltern könnten. Plä-ne und Interessierte für die hoch-hausfarmen gibt es bereits in China und dem Nahen Osten.

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Strom aus der hohlkugelEin ungewöhnliches Pumpspeicher-werk schwebt dem emeritierten deutschen Kernphysik- Professor horst Schmidt-Böcking vor. Bei einem konventionellen Werk nutzt man zwei Becken, mit denen man vor und hinter der turbine eine Druckdiffe-renz entstehen lässt, die das Wasser durchfliessen lässt und Strom erzeugt. Diesen Unterschied möchte der Wissenschaftler im Meer er-zielen. In 2000 Metern tiefe herrscht ein Druck von 200 Bar. Einen nie-drigeren will er in einer Stahlkugel mit 100 Metern Durchmesser schaffen und in diese durch turbinen Wasser laufen lassen, das mit überschüs-sigem Strom aus Windkraftwerken an der Meeresoberfläche ab gepumpt wird. Mit einer doppelt so grossen Kugel könnte er in 4000 Metern tiefe bei 400 Bar «für zehn Stunden täg-lich vier Gigawatt erzeugen und zur Spitzenzeit vier aKW ersetzen». Übers Jahr gerechnet wäre es mög-lich, «mit der grossen Kugel 1,5 Prozent des deutschen Strom-bedarfs zu speichern». Für seine Idee hat Schmidt-Böcking ein Patent angemeldet.

WasserentkeimungBerechtigt, der European Inventor award, der ashok Gadgil und Vikas Garud in diesem Jahr zugesprochen wurde. Seit 1996 machen sich die beiden US-Forscher mit ihrem Gerät UV Waterworks verdient, das in Schwellenländern für entkeimtes Wasser sorgt und Millionen von Säug-lingen und Kleinkinder vor dem tod bewahrt. Ihre Entwicklung, ein nur sieben Kilo schweres Maschinchen, greift so in die DNa von Viren und

Bakterien ein, dass die Erreger dem Menschen nicht mehr gefährlich werden können. Zunutze machen konnten sich die Forscher die Entde-ckung des US-Wissenschaftlers John Keys, der 1919 herausfand, dass sich UV-licht zur Sterilisation eignet — eine Bestrahlung von 12 Sekunden reicht. Pro Stunde lassen sich mit dem UV Waterworks 1000 liter Was-ser so aufbereiten, dass sie be-denkenlos getrunken werden können. Fern von Stromnetzen kann der Kleinapparat mit einer autobatterie oder einem Photovoltaikmodul be-trieben werden. Bewährt hat er sich schon nach einigen Umweltkata-strophen, etwa nach dem verheeren-den tsunami von 2004.

Kunststoff-MülltrennerRessourcen schonen war die absicht des Karlsruher Professors Gunther Krieg, als er sich an die Entwicklung des Systems Powersort 200 machte, das in Rezyklier-PEt-Granulat mit hochgeschwindigkeits-laserspekt-roskopie andersartige Stoffe eruiert. PEt kann nur in reiner Form wieder-verarbeitet werden und braucht für die herstellung viel Energie. Für ein Kilo werden 1,9 Kilo Rohöl aufgewendet. Deshalb muss es frei sein von Einsprengseln wie Kunststoffen mit Chlor- oder Schwermetallverbin-dungen. Entdeckt werden konnten diese vor dem Powersort 200 weder mit visuellen oder kamerabasierten noch mit sonstigen Methoden. Kriegs team plant, mit einer ähnlichen tech-nologie auch aus Elektronikschrott störende Materialien zu eliminieren, so dass die Stoffe von tV-Gehäusen, Computern und haushaltsgeräten sortenrein zur aufbereitung gegeben werden können.

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Wenn schon

gegen Goliath,dann mit

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Im Verlauf der Geschichte hat sich immer wieder gezeigt, dass jede und jeder Einzelne von uns Grosses und scheinbar Unmögliches bewirken kann. Auf diesen ungleichen Kampf gegen die Goliaths dieser Welt lässt sich Greenpeace Tag für Tag ein, um unsere Umwelt nachhaltig zu schüt-zen. Je mehr Davids wir sind, desto wirkungsvoller sind wir im gewaltfreien Kampf gegen die Goliaths dieser Welt.

Davids grösste ErfolgeDie wichtigsten Erfolge in der Greenpeace-Geschichte:

Ende des kommerziellen Walfangs.Verbot von Rohstoffabbau in der Antarktis für 50 Jahre ab 1998.Keine Versenkung von Ölplatt-formen, wie der Brent Spar.Weltweites Verbot für die Verklappung von Atom- und Industriemüll auf hoher See. Nestlé, Unilever, Burger King u.a. verzichten auf Palmöl aus Urwaldvernichtung.

Die nächsten Goliaths Die Piratenfi scherei u.a. Europas vor der Küste Afrikas.Illegaler Holzschlag von Gross-unternehmen in Urwäldern. Kampf der Konzerne um die Rohstoffreserven der Arktis.

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Wenn schon

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von Chris Martenson liefert Zusammenhänge und eine neue Sicht.

Von Mark Ita

Die europäischen Staaten und die USA, wie auch ihre Bankensysteme sind schwindelerregend überschuldet. Seit dem Platzen der ameri-kanischen Immobilienblase, das 2008 Banken weltweit ins Chaos kata-pultierte, bekämpfen die Regierungen eine Krise nach der anderen. Verzweifelte Ad-hoc-Massnahmen sind in Irland, Portugal, Griechen-land, Spanien und Italien zur Anwendung gekommen – dem Grund-übel auf den Grund kamen sie damit nicht. Schulden werden durch neue Schulden finanziert mit dem impliziten Versprechen, dass sie in Zukunft einmal mit Zinsen und Zinseszinsen zurückbezahlt werden. Die Annahme: In Zukunft wird es von allem viel mehr haben.

Was hat das mit den drängenden Problemen der Klimaer-wärmung, der Abholzung der Regenwälder, der Verschmutzung der Meere, der Vernichtung der Fischbestände zu tun? Und was hat das mit dem in weiten Kreisen noch völlig unerkannten Problem von Peak Oil, der global stagnierenden Erdölförderung, zu tun? Sehr viel.

Chris Martenson, 49, ein promovierter neurotoxikologe, gehörte bis 2005 zum oberen Kader des Pharmakonzerns Pfizer – bis ihm offenbar wurde, dass die ökonomischen Prämissen unserer Dienst-leistungs- und Konsumgesellschaft auf Illusionen fussen: dass unsere Gesellschaft unterwegs ist, sich an die Wand zu fahren. Er sah die Finanzkrise 2008 kommen. Er hängte seinen Job an den nagel, reduzierte seinen Lebensstil, zog mit seiner Familie aufs Land und machte sich daran, mit naturwissenschaftlicher Akribie die Grund-lagen unserer Ökonomie zu studieren: Was ist Geld? Was ist seine Funktion? Wie entsteht Geld? Wie vermehrt sich Geld? Wer bestimmt über Geld? Was bewirkt Geld? Was ist Wachstum?

Und er ging noch weiter: studierte auch andere grosse Probleme unserer Zeit, wie die Umweltzerstörung, die Rohstoffknappheit, den global exponentiell zunehmenden Konsum, die stagnierende För-derung von Erdöl und einiges mehr. All diese Phänomene setzte er zueinander in Beziehung. Aus einer Serie von meist isoliert betrach-teten Einzelthemen hat er so ein Gesamtbild von starker Erklärungs-

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kraft geschaffen und damit eine befreiende Gegenthese zu den schwer verständlichen und metaphysisch wirkenden Erklärungen und Prognosen unserer Wirtschaftselite aufgestellt.

Chris Martenson hat sich zum Ziel gesetzt, eine möglichst gros-se Zahl Menschen über diese Zusammenhänge ins Bild zu setzen und sie mit der Vorstellung vertraut zu machen, dass die «normale Welt», in der wir aufgewachsen sind und von der wir alle anneh-men, dass sie so bleibt, daran ist, sich massiv zu verändern. Wer nicht auf dem falschen Fuss erwischt werden will, muss der Tatsache ins Auge blicken, dass die Menschheit an einem noch nie da gewesenen Punkt angekommen ist und dass die kommenden 20 Jahre grund-legend anders sein werden als die vergangenen 20 Jahre.

Der «Crash Course» besteht aus 20 kurzen Videosequenzen. Dieser im Internet abrufbare Workshop zu Economy, Energy, Envi-ronment (Ökonomie, Energie, Umwelt) ist jeder und jedem frei zugänglich und lässt sich in weniger als vier Stunden vor dem Com-puter absolvieren. Er ist dicht, konzise, allgemein verständlich und sogar unterhaltsam.

Er führt in die Welt der Geldwirtschaft ein und zeigt, wie Geld die Selbstverständlichkeiten unseres Alltags gestaltet. Geld muss aufgrund seiner Beschaffenheit wachsen. Frei verfügbare Energie, die wir dank dem Erdöl bis heute in wachsenden Mengen nutzen konnten, ist ein Grundpfeiler unserer komplexen, arbeitsteiligen Kultur. Ohne Energie keine kulturelle Entwicklung. Doch die Ener-gie kann nicht mehr wachsen, denn die Erdölförderung stagniert weltweit; die mit geringem Aufwand und Risiko erschliessbaren Quel-len sind am Versiegen. Ein Ersatz ist nicht in Sicht.

Deshalb ist das Zeitalter des Wirtschaftswachstums an seinem Ende angelangt. Die heutigen Finanz-, Energie- und Konjunkturkri-sen, die sich immer heftiger und rascher folgen, sind Ausdruck davon.

Dass uns die Zeit davonläuft, zeigt Martenson eindrücklich am Phänomen der Exponentialität und des «Auftürmens», englisch Compounding, bei dem sich die Mengen in immer kürzeren Zeitinter-vallen verdoppeln. Betrachten wir die Verläufe von Weltbevölkerung, Geldmenge, Energiekonsum, Artenschwund, Meeresverschmutzung und vielem mehr über die vergangenen 100 Jahre, sehen wir eine deutliche Beschleunigung seit der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Mar-tensons Grafiken zeigen eine Häufung von «Hockeyschläger»- Kurven, die immer steiler werden und Entwicklungen abbilden, die sich im Ausmass bedrohlich verstärken – um sich schliesslich jeglicher Kontrolle zu entziehen.

Die Finanzkrise, die wir heute erleben, ist keine zyklische Krise, die bald überwunden sein wird, wie unsere Konjunkturgurus uns weismachen wollen. Sie ist Ausdruck einer grundlegenden Erschütte-rung, eine einsetzende Wirtschaftsschrumpfung mit tief greifenden

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Konsequenzen und Wirren. «Occupy Wall Street» ist ein klarer Aus-druck der sich einstellenden Enttäuschung über unsere herrschende Ordnung. Ein Aufruf zu einer Abkehr von fatalen Wachstums-illusionen.

Chris Martenson hat sein Vermögen und sein ganzes Talent dazu eingesetzt, diese Tatsache vielen verunsicherten Menschen zu erklären und Wege aufzuzeigen, wie sie sich auf diese neue Realität einstellen können. Seine Website hat er 2008 lanciert, in mehreren Sprachen. Er unterhält darauf Foren zu verschiedenen aktuellen Themen. Er ist kein Unheilsverkünder, der mit Genuss und süsssaurer Miene das Menetekel an die Wand schmiert, sondern ein opti-mistischer Aufklärer, der unsere Chance in einer nicht auf Konsum bauenden Wirtschaft sieht. Seine Bedingung: dass wir uns der Realität stellen und dem Lalaland des Konsums sowie der Idee, dass wir alle Menschen auf der Erde dorthin führen können, den Rücken kehren.

Ich habe Chris Martenson vor zwei Jahren im Internet entdeckt und war auf Anhieb überzeugt und fasziniert von der ungewohnten Perspektive des Zusammenbringens von Finanzwirtschaft, Energie und Umwelt sowie dem einfachen und leicht nachvollziehbaren Kurs, der mir komplexe Zusammenhänge in kurzer Zeit einprägsam erklärte. Ich habe in der Folge mit einer kleinen Gruppe von Leuten aus der Schweiz und Deutschland eine deutsche Fassung dieses Kurses geschaffen. Er ist höchst empfehlenswert für all jene, die mehr Klarheit über die heutigen Entwicklungen wünschen, aber nicht die Zeit haben, sich durch dicke Wälzer hindurchzuarbeiten. Der Kurs eignet sich sehr gut für Schulen und Universitäten. Es ist die junge Generation, die erkennen muss, wo die Weichen nun neu gestellt werden müssen.

So wie bisher geht es nicht mehr. Rezepte für die nächsten Schritte gibt es keine. Die Situation ist neu.

Chris Martensons «Crash Course» ist kostenlos in Englisch, Spanisch und Französisch auf www.chrismartenson.com und in Deutsch auf http://chrismartenson.de/ verfügbar.Mark Ita ist Rechtanwalt, Berater, Master of Health Administration und aktuell Delegationsleiter des Schweizerischen Roten Kreuzes in Pakistan.

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KLARE REgELN FÜR SChWEIzER

KONzERNE – WELTWEIT

Die Schweiz hat ein Zuwanderungsproblem: 269 ausländische Konzerne haben allein zwischen 2003 und 2009 ihren Hauptsitz hierher verlagert. Gründe sind häufig Steuervorzüge und ein Rechtssystem, das Konzerne bei Verstössen gegen Mensch und Umwelt im Ausland unbehelligt lässt. Das muss sich ändern.

Im Jahr 2010 erwirtschafteten internationale Konzerne laut dem «Atlas der Globalisierung» mehr als einen Viertel des weltweiten Brutto-inlandprodukts. Über ihre niederlassungen, Zweigstellen und Zulieferer kontrollieren sie rund zwei Drittel des Welthandels.

Für die Grenzen sprengenden Konzerne gelten Regulierungen grösstenteils nur auf nati-onaler Ebene. Die Macht der Konzerne wächst also rasant, und die demokratische Kontrolle verschwindet. Corporate Social Responsibility (CSR), also Unternehmensverantwortung, nimmt zwar in den PR-Kampagnen und Jahres-berichten viel Platz ein. Meist ist das aber nur ein Lippenbekenntniss zur freiwilligen Selbst-kontrolle. International tätige Firmen sind nicht verpflichtet, Menschenrechte und Umwelt-standards zu respektieren. Einen eindrückli-chen Überblick über Konzernverbrechen bieten die Shortlists vergangener Jahre der von Green-peace und der Erklärung von Bern orga nisierten Public Eye Awards (www.publiceye.ch).

Die Anfang november von rund 50 Schweizer nGO lancierte Kampagne «Recht ohne Grenzen» hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, in der Schweiz rechtlich verbindliche Regeln durchzusetzen, um die hierzulande behei matete Konzerne zur Rechenschaft ziehen zu können. Greenpeace trägt die Kam pagne mit. Denn Greenpeace deckt im Kampf für Mensch und Umwelt Missstände auf und bringt Konzerne in Erklärungsnot. So auch den zugezogenen Rohstoffmulti Trafigura mit

80 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz. Als dieser 2006 ein Frachtschiff voller hochgiftiger Ölabfälle an der Elfenbeinküste entlud – wobei 15 Menschen starben und Zehntausende Opfern von Vergiftungen wurden –, blockierte Greenpeace dieses Schiff in einem Hafen. nach zähen Verhandlungen und massivem öffen-tlichem Druck erklärte sich der Multi bereit, die Opfer zu entschädigen. Tausende warten noch auf das Einhalten des Versprechens. Mit richtiger Gesetzgebung wäre Trafigura von Anfang an belangbar gewesen.

Die Forderungen der Koalition «Recht ohne Grenzen»: Die Koalition «Recht ohne Grenzen» fordert in einer Petition, dafür zu sorgen, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und die Umwelt weltweit respektieren müssen.

Es braucht gesetzliche Grundlagen,• damitSchweizerKonzernefürihreTätigkeitenund jene ihrer tochterfirmen sowie Zulieferer Massnahmen treffen müssen, um hierzulande und anderswo Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen zu verhindern (Sorgfaltspflicht).• damit Menschen, die durch die tätigkeiten von Schweizer Konzernen, ihren tochterfirmen und/oder Zulieferern Schaden erleiden, hierzulande klagen und Wiedergutmachung verlangen können.

Verhelfen Sie der Gerechtigkeit in der Wirtschaft zu mehr Gewicht und unterschreiben Sie die Petition unter www.rechtohnegrenzen.ch.

Public Eye 2012ab dem 5. Januar wird per Internetabstimmung auf www.publiceye.ch erneut der übelste Konzern des Jahres gewählt. Ende Januar, während des WEF, küren Greenpeace und die Erklärung von Bern die «Sieger» vor Ort in Davos. als Special Guests werden auch Vertreter von «Recht ohne Grenzen» präsent sein. Ihr Ziel: durch bessereRegulierungen die haarsträubenden Fälle von Menschenrechtsverstössen und Umweltsünden in Zukunft zu reduzieren.

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EIN SUpER-gAU OhNE ENDE

Von Susan Boos

Die neusten Nachrichten aus Fukushima sind alte — seit Wochen. Man könnte meinen, in den Unglücks-reaktoren von Fukushima Daiichi sei alles wieder unter Kontrolle. Doch das Einzige, was stabil ist, ist ein riesiges, schwarzes loch des Nichtwissens.

Ein Super-GAU ohne Ende, den einem die Website der deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (www.grs.de) verdeut-licht: In einer bunten Tabelle ist dort zu lesen, was man weiss – und vor allem was man nicht weiss. Bei den Reaktoren 1, 2, und 3 steht rot ein-gefärbt «Kern geschmolzen», «Reaktorkühl-system: nicht funktionsfähig». Zum «Zustand der Elemente im Abklingbecken» liest man «un bekannt» respektive «Schaden vermutet». An mehreren Stellen steht «unbekannt» oder «vermutet», und alles ist rot oder gelb eingefärbt: Rot steht für dramatisch, Gelb für mittelge-fährlich, Grün für nicht so heikel. Aber grün ist bei diesen drei Reaktoren nichts.

Die GRS hat die Grafik Mitte März aufge-schaltet und versucht sie aktuell zu halten. Das Bild hat sich aber in all den Monaten kaum geändert. Die GRS weiss einfach nicht mehr. Und wie es aussieht, auch sonst niemand im Westen.

Vielleicht weiss man in Fukushima mehr. Aber nach aussen dringt kaum etwas. Man weiss nicht, wie viele Leute gegenwärtig dort arbeiten und was sie tun. Angeblich kamen in den ersten sechs Monaten über 10 000 Leute zum Einsatz.

Wer sind sie? Was tun sie? Tepco, die Anlagen-betreiberin, publiziert zwar, wie viele Arbeiter welche Strahlendosen abbekommen haben. Allerdings wurde auch bekannt, dass Tepco Arbeiter ohne Dosimeter in die kaputten Meiler geschickt hat – die können also gar nicht wissen, wie hoch ihre Strahlenbelastung war. Auch erfährt man nichts über den Gesundheitszustand der Menschen. Was ist mit denen, die in den ersten Tagen aus Versehen in hochradioaktivem Wasser standen? Sind einige krank? Schon welche gestorben?

Die Behörden weigern sich bis heute, aus-ländische Teams in die Anlage zu lassen. Uno- Organisationen wie die Internationale Atom-energieagentur oder das Un-Umweltprogramm Unep hätten gerne ihre Expertenteams geschickt, konnten sich bislang aber nicht durchsetzen.

Ob japanischer Stolz oder japanische Scham der Grund dafür ist – für die Menschen in den betroffenen Gebieten ist es fatal. Denn es bedeu-tet, dass es bis heute keine zuverlässigen Mess-werte gibt. Zwar existieren Karten über die Kon-taminierung durch Cäsium. Dieser sogenannte Gammastrahler lässt sich relativ einfach lokali-sieren, weil Gammastrahlung fast alles durch-dringt und eine grosse Reichweite hat. Deshalb lässt sich Cäsium einfach mit einem Helikopter aus der Luft messen. Cäsium ist aber nur eines von vielen Radionukliden, die freigesetzt wur-den. Es ist auch nicht das schlimmste, weil es eine biologische Halbwertszeit von etwa drei Mona-ten hat, das heisst, die Hälfte des Cäsiums wird nach drei Monaten über den Urin ausgeschieden.

Hotspots strahlen überdurchschnittlichDurch die Kernschmelzen in Fukushima

gelangten aber auch Strontium und Plutonium in die Umgebung. Strontium ist ein Betastrahler, wirkt also verheerender als Cäsium, und weil es sich in Knochen oder Zähnen einlagert, verweilt es fast ein Leben lang im Körper. Plutonium ist eines der gefährlichsten nuklide überhaupt. Atmet man ein Milligramm davon ein, kann das Lungenkrebs auslösen. Strontium wie Plutoni-um kann man jedoch nur in Proben nachweisen, ein Geigerzähler hilft da nicht. Erde, Gras, Milch oder Fische müssten also in grossem Stil getestet werden. Das ist aufwändig, weil bei einem Unfall wie in Tschernobyl oder in Fukushima die radioaktiven Partikel ungleichmässig übers Land verteilt werden. Je nach Witterung und

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Gelände gibt es an manchen Orten Hotspots – heisse Flecken, die überdurchschnittlich strah-len. Man sieht sie nicht, und rundherum kann es fast sauber sein.

Ein klares Bild, welche Gegenden wie belas-tet sind, fehlt in Japan – immer wieder tauchen neue Hotspots auf. Manche von ihnen finden sich selbst in der Millionen-Metropole Tokyo, 200 Kilometer von den Unglücksreaktoren ent-fernt. Vor über 20 Jahren, nach dem Reaktor-unglück von Tschernobyl, war es noch aufwändig, gute Verstrahlungskarten herzustellen. Es dau-erte fast zwei Wochen, bis man in einer Probe Plutonium nachweisen konnte. Heute sind spe-zialisierte Labors in der Lage, in zwei Tagen die Analysen zu machen und selbst geringste Mengen von Plutonium zu finden.

Die Regierung redet Gefahren kleinFür die betroffene Bevölkerung wäre es exis-

tenziell, diese Informationen zu haben. Denn schützen kann man sich nur, wenn man genau weiss, wo die höher kontaminierten Orte sind, die man zu meiden hat. Man müsste aber auch die Menschen kontinuierlich überwachen, um herauszufinden, ob sie keine kontaminierten Lebensmittel zu sich nehmen. In Tschernobyl kannte man dieses Phänomen auch: Bei Ganz-körpermessungen, die unter anderem das Schweizer Katastrophenhilfskorps mit dem AC Labor Spiez durchgeführt hatte, stellte man fest, dass Frauen markant weniger Radionuklide aufgenommen hatten als Männer. Sie hatten sich offensichtlich strikter an die Empfehlungen der Behörden gehalten.

Solche Ganzkörpermessungen waren in den 90er-Jahren noch aufwändig, heute lassen sie sich ohne grossen Zeitaufwand durchführen. Das AC Labor Spiez hätte gerne sein mobiles Ganz-körpermessgerät zur Verfügung gestellt, Japan wollte es jedoch nicht.

Die Regierung tut, was auch die Sowjets versucht hatten: Sie redet Gefahren klein. Ende September hob sie die Evakuierungsempfehlung für fünf Gemeinden auf. Unter anderem für Minamisoma und naraha, zwei Städte, über die die nukleare Wolke hinweggezogen ist. Beim Eingang des Spitals von Minamisoma werden immer noch 0,51 Mikrosievert pro Stunde ge-messen. Bei einer Grundschule von naraha sind es gar 0,77 Mikrosievert. Das macht hochge-

rechnet 4,5 respektive 6,75 Millisievert pro Jahr. Die Regierung hat den Grenzwert jedoch kurz nach dem Unfall auf 20 Millisievert pro Jahr angehoben. Dieser Grenzwert gilt weltweit für AKW-Arbeiter. In Japan werden aber auch Kindern solche Dosen zugemutet.

In manchen verseuchten Gemeinden trägt man Erde ab, um die Strahlung zu reduzieren. Das wird kaum funktionieren. In diversen Dörfern rund um Tschernobyl hatten das die Sowjets Ende der 80er-Jahre auch probiert, waren aber meist erfolglos, weil das gesäuberte Ge lände kurze Zeit später strahlte wie zuvor. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Radionuklide durch Regen und Schnee in den Boden geschwemmt werden – da bekommt man sie kaum mehr raus. Die Dekontaminierung von so grossen Gebieten ist eine fast unmögliche Aufgabe. Auch weiss niemand, wohin mit den Unmengen verseuchter Erde. Man behilft sich zurzeit damit, auf den verseuchten Schulhöfen eine grosse Grube auszuheben, die man mit Plas-tikplanen abdichtet. Danach schüttet man die kontaminierte Erde in die Grube, deckt sie wie-der mit Plastik zu und wirft Erde darauf. Später wird der Schulhof neu mit Sand bestreut. Fortan bergen also all die betroffenen Schulhöfe kleine Atommülllager. Das soll nur eine befristete Lösung sein, aber niemand weiss, wie lange sie dauert.

Immer lauter wird die Kritik an den hilflos wirkenden Dekontaminierungsmassnahmen. Oft werden verseuchte Häuser mit Hochdruck-reinigern abgesprüht, womit die Radionuklide in die Kanalisation gespült werden. Die Dekon-tamination verkommt zur sinnlosen Verlage-rung und Verteilung strahlender Partikel. Wirk-same Dekontaminierungsmittel, die im grossen Stil angewendet werden könnten, gibt es keine – es bliebe nur die Evakuation, und die möchten die Behörden vermeiden: weil das unendlich viel kostet und auch Grossstädte wie Fukushima beträfe. Susan Boos, Redaktorin WOZ, Die Wochen zeitung. Autorin von «Beherrschtes Entsetzen — Die Ukraine zehn Jahre nach Tschernobyl»

Updates zu Fukushima finden Sie unter:www.greenpeace.ch

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gREENpEACE- MITBEgRÜNDERIN DOROThy STOWE

Von Rex Weyler, autor, Journalist und ehemaliger Direktor

von Greenpeace

Dorothy Anne Rabinowitz wurde am 22. Dezem-ber 1920 in Providence, Rhode Island (USA), geboren. Ihren Vater Jacob beschrieb sie als politisch: «Er setzte sich ein für Gerechtigkeit – nicht nur für die Juden, sondern für alle Menschen.» Ihre Mutter, Rebecca Miller, unter-richtete Hebräisch und weckte in ihr den Wunsch nach Bildung. Dorothy studierte am Pembroke College in den USA, wurde psych-iatrische Sozialarbeiterin und erste Vorsitzende der lokalen Gewerkschaft der öffentlichen Angestellten. 1953 heiratete sie den Bürgerrechts-anwalt Irving Strasmich. Zu Ehren von Harriet Beecher Stowe, einer US-Feministin und Sklave-reigegnerin, gaben sie sich den Familiennamen Stowe. Ihre zwei Kinder Robert, geboren 1955, und Barbara, geboren 1956, leben in Vancouver.

In den 50ern begannen Dorothy und Irving Stowe ihren Kampf gegen Atomwaffen. Sie liessen sich von Quäker-Gedanken inspi-rieren, von «Zeugnis ablegen» (bearing witness) und «den Mächtigen die Wahrheit vorhalten» (speaking truth to power). 1961 wanderten die Stowes nach neuseeland aus, um zu vermeiden, dass ihre Steuergelder den Vietnamkriegs mit-

finanzierten. Dort organisierten sie Demons-trationszüge vor die US-Botschaft und protestier-ten gegen französische Atomwaffenversuche in Polynesien. Als neuseeland 1965 ebenfalls Trup-pen nach Vietnam entsandte, zogen die Stowes nach Kanada. In Vancouver arbeitete Dorothy als Familientherapeutin und ermöglichte es Irving so, hauptamtlich als Friedensaktivist tätig zu sein. Sie lernten die Quäker Jim und Marie Boh-len sowie Zoe Hunter kennen: Diese Gruppe bildete den Kern einer Friedens- und Umweltor-ganisation, die mit Protesten bald für weltweites Aufsehen sorgte. Als die USA 1968 eine Serie von Atomwaffenversuchen in Alaska ankündeten, gründeten die Stowes ein «Don’t Make a Wave»-Komitee, dessen name die Furcht vor einem Tsunami verdeutlichte, der durch die Explosio-nen hätte ausgelöst werden können. Dorothy Stowe mobilisierte Sozialarbeiter und Frauen-gruppen für einen Boykott gegen US-Produkte, der andauern sollte, bis die Tests abgesagt würden. Als Jim und Marie Bohlen vorschlugen, per Boot ins Testgebiet vorzustossen, waren Dorothy und Irving Stowe dabei. Sie charterten ein Heilbutt-Boot und nannten es «Green-peace». Das Boot stach im September 1971 in See, wurde von der Coast Guard gekapert und erreichte nie die Insel im Testgebiet. Trotzdem verursachte die Aktion Aufsehen, und im Februar 1972 beschloss die US-Regierung, ihre Testversuche einzustellen.

Ab Mai 1972 nannte sich die Gruppe «Greenpeace». Die Organisation hat heute Büros in über 40 Ländern, einschliesslich China und Indien und seit jüngstem auch in Afrika. «Erstaunlich», sagte Dorothy kürzlich, «was einige um den Küchentisch versammelte Leute erreichen können.»

Dorothy Stowe starb am 23. Juli 2010 in Vancouver, Kanada, im Alter von 89 Jahren. Das Beste, was wir im Gedenken an sie tun können, ist, weiterhin unsere Arbeit für Frieden, Gerech-tigkeit und eine lebendige Erde zu tun. Dorothy Stowes Überzeugung für Greenpeace, die Organisation, die sie selber mitformte, blieb ihr bis zum lebensende erhalten. Dorothy hinter-liess Greenpeace International ein legat von 5000 kanadischen Dollars. Das ehrt und berührt uns tief.

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2012 hEISSt ES: atOMaUSStIEG KONKREt

Wenn Sie diese Zeilen lesen, hat der Nationalrat den atomausstieg hoffentlich besiegelt. aber selbst wenn der ausstieg im Parlament doch noch Schiffbruch erlitten haben sollte — dies än-dert nichts daran, dass der Bundesrat auf hoch-touren an der Energiestrategie 2050 arbeitet. Diese wird aufzeigen, wie sich die Stromversor-gung ohne atomkraftwerke in der Schweiz reali-sieren lässt. auch Greenpeace lässt Know-how in diesen vom Bundesamt für Energie geleiteten Stra tegie prozess einfliessen. In der Diskussion mit allen involvierten akteuren — von den Strom-versorgern bis zu Vertretern des Natur- und land-schaftsschutzes — setzen wir uns dafür ein, dass solide Rahmenbedingungen für die Energie-wende geschaffen werden: unbeschränkte kos-tendeckende Einspeisevergütung, vereinfachte Bewilligungsverfahren für den ausbau der erneu-erbaren Energien, lenkungsabgabe auf den Stromverbrauch sowie ein zukünftiges Strom-netz, das die Einspeisung von erneuerbaren Energien in grossen Mengen sowie eine intelli-gente abstimmung von angebot und Nachfrage ermöglicht. auch ausserhalb des politischen Prozesses wird Greenpeace dafür sorgen, dass die Energie-wende in der Schweiz erkennbar wird. Im neuen Jahr starten wir eine Kampagne zur Produktion und Wertschöpfung erneuerbarer Energien und werden den Finger da draufhalten, wo besonders viel Strom verschleudert wird. Unsere atomkam-pagne steht ganz im Zeichen der Sicherheit der bestehenden, zum teil sehr alten aKW in der Schweiz. Spätestens nachdem die atomkatast-rophe im hochtechnologieland Japan drastisch verdeutlicht hat, was «Restrisiko» bedeutet, wer-den wir darauf pochen, dass auch in der Schweiz die Verantwortung für den Schutz von Mensch und Umwelt vor radioaktiver Verseuchung wahr-genommen wird.

EIN laNGER WEG ZUR GEREChtIGKEIt

auf 1500 Quadratkilometern amazonas-Regen-wald lebt das indigene Volk der Deni im Einklang mit der Natur. In den 1980er-Jahren wurden le-bensraum und heimat der Indianer erstmals durch holzkonzerne bedroht. Die Indianer forderten eine offizielle aner-kennung ihres landes und das Recht, darüber zu bestimmen. Doch Brasiliens Regierung zog nicht mit. Begründung: Die Grenzen des Deni-territori-ums seien weder aus der luft noch vom Wasser aus klar zu erkennen. 20 Jahre sollten bis zur offi-ziellen anerkennung vergehen. Zwischenzeitlich wurde das land illegal, ohne Zustimmung der Deni, an holzkonzerne verkauft — so begann die Zusammenarbeit von Greenpeace mit den India-nern. Mit Greenpeace-aktivistInnen aus acht ländern schlugen die Deni Schneisen als Grenz-streifen in den Dschungel. am 9. Oktober 2001 musste die Regierung das land offiziell anerken-nen, und die Indianer be kamen das Recht, Ein-dringlinge jederzeit zu vertreiben. Zum 10-Jahres-Jubiläum verabschiedeten die Deni erstmals einen eigenen Gebiets-Management-Plan, um den Schutz ihres territoriums auch in Zukunft zu gewährleisten.

NaChtRaGDoch der amazonas-Regenwald und das land der Deni sind durch eine eventuell anstehende änderung des «Forest Code» in Gefahr. Das bra-silianische Waldgesetz soll gelockert werden. Strafen für illegale abholzung sollen für fünf Jahre entfallen, Schutzgebiete verringert werden, und auch eine gesetzliche Wiederaufforstung der Wälder auf dem eigenen territorium könnte nur noch ab einer bestimmten Farmgrösse festge-schrieben sein.

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EINE tRENNUNG BEWEGt DIE WElt

Barbie und Ken — dass es zwischen dem Barbie- traumpaar zum Bruch kommen würde, hätte nie-mand gedacht. Im Juni jedoch deckte Green-peace auf, dass dessen hersteller Mattel sein Verpackungsmaterial bei der Firma asia Pulp & Paper (aPP) bezog. aPP ist eine Zellstoff- und Pa-pierfirma, die in Indonesien Regenwald und damit den lebensraum der bedrohten Sumatra- tiger und Orang-Utans zerstört. Das Unternehmen gilt als ausgesprochen aggressiv und skrupellos. al-lein in den indonesischen Provinzen Riau und Jambi hat aPP über eine Million hektar Regen-wald vernichtet. aPP ist in landrechtskonflikte verwickelt, bei denen dem Konzern Menschen-rechtsverletzungen vorgeworfen werden. Ein schockierendes Interview mit Ken, in dem er sei-ner Barbie den laufpass gab, brachte die Wahr-heit ans licht. 500 000 Menschen weltweit sand-ten daraufhin ein E-Mail an Mattel und forderten einen Kurswechsel. Erfolgreich. Mattel hat sich verpflichtet, die Zulieferer anzuweisen, den Be-zug von holzfasern aus umstrittenen Quellen ein-schliesslich Firmen, die für Waldzerstörung be-kannt sind, zu unterlassen. Die neuen Richtlinien fördern die anwendung von Recyclingpapier und bevorzugen vom Forest Stewardship Council (FSC) zertifizierte holzprodukte.

KOMMERZIalISIERUNG VON GENtECh-REIS

IN ChINa aUF EIS GElEGtChina gehört zu den weltweit grössten Reisex-porteuren. Nicht verwunderlich eigentlich, dass das land seit 1999 Versuchsfelder mit Gen-Reis unterhält. Besorgniserregend ist aber, dass man seither in Europa immer wieder aus China impor-tierte Reiswaren entdeckt, die mit nicht zugelas-

senem Gen-Reis verunreinigt sind. Jetzt hat das chinesische landwirtschafts ministerium in einer klugen Entscheidung beschlossen, die Kommer-zialisierung von Gen-Reis erst mal zu stoppen. Dies berichtete Chinas grösstes Wirtschaftsma-gazin «Economic Observer». Chinas Entschei-dung betrifft uns alle, denn der grossflächige anbau von Gen-Reis würde eine gentechfreie Produktion dauerhaft unmöglich machen. Damit gäbe es keine Wahlfreiheit mehr. Ein weiteres Problem wären die ausländischen Patente auf chinesische Gen-Reis-Sorten. Werden wirt schaft- liche ansprüche geltend gemacht, ist Chinas Ernährungssicherheit gefährdet, denn Reis ist für 1,3 Milliarden Chinesen das hauptnahrungs-mittel.

SChMUtZIGE WäSChE ISt OUt

Im Juli veröffentlichte Greenpeace die Studie «Schmutzige Wäsche» und belegte, dass die meisten der weltweit getesteten Markentextilien Rückstände der giftigen Chemikaliengruppe No-nylphenolethoxylate (NPE) enthalten: In 52 von 78 Produkten wurde das hormongift NPE nachge-wiesen. Wasserproben und unabhängige analy-sen an zwei chinesischen textilfabriken am Jangt-se und am Pearl River zeigten Nonylphenol, azofarbstoffe, Schwermetalle und andere Schad-stoffe mit gefährlichen Eigenschaften. aus die-sem Wasser beziehen Menschen trinkwasser und Nahrung, oder sie nutzen es für die Bewässe-rung der Felder. Für mehr als 600 Menschen in zehn ländern war das Grund genug, sich vor Nike- und adidas-Geschäften ihre «schmutzige Wäsche» vom leib zu reissen, um damit einen Striptease-Weltrekord aufzustellen. Innert zwei Monaten haben Puma, Nike, adidas und h&M sich dazu verpflichtet, bis 2020 alle Zulieferer zu entgiften. Bisher sind das erst absichtserklärun-gen, und Greenpeace wird überprüfen, ob auf Worte auch taten folgen.

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atomausstieg und Stromzukunft

Setzen Sie Wegmarken!

Greenpeace Schweiz unterstützt die Volksinitiativen «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» (in der Heftmitte) und «neue Arbeitsplätze dank erneuerbaren Energien». Die Ausstiegsinitiative braucht jetzt Ihre Unterschrift.Bundesrat und Parlament haben dem Atomausstieg in einer vagen Absichtserklärung zugestimmt. In den kommenden Jahren geht es nun darum, der AKW-freien Energiezukunft der Schweiz ein Gesicht zu geben – auch dann noch, wenn die Katastrophe von Fukushima in den Hintergrund rückt. Unter anderem braucht die Schweiz einen Zeitplan für die Abschaltung aller Atomkraftwerke des Landes, wie ihn die Grünen mit ihrer Ausstiegsinitiative per 2029 verlangen. Damit die Energie-wende Realität wird, muss die Produktion und Wertschöpfung erneuerbarer Energien in allen Landesregionen gestärkt werden, und es bedarf dezidierter Mass-nahmen für Energieeffizienz. Auf der politischen Ebene fordert dies die «Cleantech»-Initiative der Sozialdemokraten. Während die SP ihr Volksbegehren bereits einreichen konnte, läuft zurzeit die Unterschriftensamm-lung für die Ausstiegsinitiative. Bitte benützen Sie die beiliegen-den Unterschriftenbögen und helfen Sie so mit, dass Bundesrat und Parlament die richtigen Wegmarken setzen.

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Energie-Projekt

Flexblue-Atomkraft aus dem Meer:billig und hochriskant

Der französische Atom-U-Boot-Hersteller DCnS kündigt den Bau von Mini-Atomkraftwerken auf dem Meeresgrund an. In hundert Metern Tiefe soll die Anlage namens «Flexblue» festgemacht wer-den und eine Küstenstadt (100 000 bis 1 Million Einwohner) versor-gen. Mit einer Kapazität von 50 bis 250 Megawatt wäre das Kraft-werk etwa 100 Meter lang und 14 Meter breit. Projektpartner sind die Konzerne Areva und Electricité de France (EDF) sowie das französische Kommissariat für Atomenergie. 150 Ingenieure sind mit der Entwicklung beschäftigt. Der Entscheid zum Bau eines Prototyps soll 2013 fallen, 2017 soll dieser in Betrieb sein. Das Mini-Atomkraftwerk würde auf der Werft von Cherbourg gebaut und per Schiff an den Bestimmungsort gebracht.

Mehrheitsaktionär der Firma DCnS ist der französische Staat. Dessen strategische Priorität ist der Export von Atomtechnologie in Schwellenländer, auch wenn diese im Prinzip über genügend Solarenergie verfügen. «Dieses Projekt taugt für alle Länder mit Meeresküsten», sagt Patrick Boissier, CEO von DCnS. «Die Umset-zung ist aber nur denkbar in Ländern, die keine grossen Vorbe-halte gegen Atomtechnologie haben», fügt Bruno Tertrais von der französischen Stiftung für strategische Forschung an. «Vor allem jene Länder, die sich klassische Atomkraftwerke nicht leisten kön-nen, sind ein Markt», schätzt Tertrais. Dieser Meinung ist auch DCnS. Die Firma geht von einem Absatz von 200 Einheiten aus.

Didier Anger, Ex-Mitglied des Europaparlaments, weiss: «Bei einem Unfall gibt es nichts Schlimmeres als Wasser, weil sich darin die radioaktive Kontamination schneller ausbreitet als in der Luft. [...] Die plötzliche Erwärmung des Meerwassers wäre ein thermischer Schock, den kein Lebewesen überstehen würde. Hinzu kämen der Verdunstungseffekt und die Freisetzung giftiger Aerosole.»

Das Projekt Flexblue zeigt vor allem eines: Die Atomindustrie steckt in einem Überlebenskampf. Denn der Anteil von Atom an der weltweiten Energieversorgung wird Jahr für Jahr kleiner. Der-weil bedroht die atomare Flucht nach vorne das Überleben der ganzen restlichen Welt. Philippe de Rougemont

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Greenpeace-Gedenkbaum

Hommage an verstorbene Gönner

In einem geschichtsträchtigen Moment – 40 Jahre Greenpeace sowie Tag des Testaments – wurde am 15. September 2011 in Anwe-senheit des gesamten Stiftungsrats und der Geschäftsleitung von Greenpeace Schweiz ein Gedenk-baum eingeweiht.Der Gedenkbaum, der im Empfang des Büros von Greenpeace Schweiz seinen Platz hat, ist eine Hom-mage an die vielen Menschen, die Greenpeace in ihrem Testament berücksichtigten. Sie haben damit ein positives Zeichen für die Zukunft gesetzt. Ihre Grosszügig-keit hat einen grossen Einfluss auf den Schutz von natur und Um-welt und ist ein Geschenk an die kommenden Generationen. Durch die Erfolge von Greenpeace blei-ben die Spender und Spenderinnen in lebendiger Erinnerung.Bisher haben über 200 Menschen Greenpeace in ihrem Testament bedacht und damit ihre eigenen Werte weiterleben lassen.Aus Respekt und Dankbarkeit möchten wir in Zukunft mit dem neuen Gedenkbaum auf einfache, bildliche Weise an diese Menschen erinnern.

Bergwald-Projekt

Jeder kann ein Retter sein

Lust auf freiwillige Forstarbeit? Ihr Einsatz trägt zur Erhaltung des Bergwalds bei. Das Magazin Greenpeace hat ein Projekt beglei-tet und eine Reportage auf www.greenpeace.ch/Bergwald aufgeschaltet.Bestellen Sie jetzt das Jahres-programm 2012 unter: www.bergwaldprojekt.ch

Solarenergie

Guetzli backen mit «Strom von hier»

Im Emmental gibt es einige grös-sere und kleinere Solaranlagen, die weder eine kostendeckende Einspeisevergütung noch von den Bernischen Kraftwerken (BKW) eine Vergütung für den öko-logischen Mehrwert bekommen. Deshalb haben sich die Initianten Franz Held, Markus Gisler und Anton Küchler zusammenge-schlossen und «Strom von hier» gegründet.Jugendsolar by Greenpeace hat als Partner von «Strom von hier» an einer der Anlagen mitgebaut. Da die Schweiz den Atomausstieg praktisch besiegelt hat und das Öl zur neige geht, gewinnt die de zentrale, regionale Energiever-sorgung zunehmend an Bedeu-tung. Solarenergie ist im sonnigen Emmental naheliegend.Einer der ersten grossen Kunden von «Strom von hier» ist der be-rühmte Biskuit-Hersteller Kambly aus Trubschachen. Er bezieht sei-nen Ökostrom nicht mehr von den BKW, sondern hat sich verpflich-tet, jährlich 100 000 Kilowattstun-den Solarstrom von «Strom von hier» zu beziehen. Das ist rund die doppelte Menge, die er bisher den BKW abgekauft hat – dabei handelte es sich um Strom, der auf dem Stade de Suisse produziert wurde. neu entsteht der Solarstrom für Kambly auf dem Dach einer Scheune bei Sumiswald.www.stromvonhier.ch

Nachruf

Wangari Maathai ist tot

Die kenianische Friedensnobel-preisträgerin Wangari Maathai ist im Alter von 71 Jahren an Krebs gestorben. Sie war als «Mutter der Bäume» bekannt.Wangari Maathai ist in nairobi einem Krebsleiden erlegen. Das teilte die von ihr gegründete Organisation Green Belt Move-ment mit. Die Kenianerin hatte jahrzehntelang korrupte Politiker angeprangert und ermutigte Tausende Menschen, Bäume zu pflanzen. Bei ihrem Kampf für Umweltschutz und Menschenrech-te riskierte die Biologin immer wieder Leib und Leben. Mehrfach wurde Maathai von Schergen des früheren Machthabers Daniel arap Moi geschlagen und eingesperrt. Ihre Organisation Green Belt Movement hat das Ziel, die zer-störten Wald bestände wieder auf-zuforsten. Weltweit wurden seit ihrer Gründung im Jahr 1997 fast 40 Mil lionen Bäume gepflanzt. Interna tional war die Verfechterin von Demokratie und Umweltschutz hoch geachtet. Als erste afrika-nische Frau hat Wangari Maathai im Jahr 2004 den Friedens nobel-preis erhalten.

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Buchtipp

Einfach intelligent produzieren.

Cradle to cradle: Die natur zeigt, wie wir die Dinge besser

machen können. Autos aus Autos? Schuhe als Dün-gemittel für unsere Balkonblu-men? Künftig gibt es nur noch zwei Arten von Produkten: Ver-brauchsgüter, die vollständig bio-logisch abgebaut werden können, und Gebrauchsgüter, die sich end-los recyceln lassen. Die Devise lautet: Wir müssen nicht weniger produzieren, sondern weniger verschwenderisch und in techni-schen sowie biologischen Kreis-läufen. Eine ökologisch-industri-elle Revolution steht uns bevor, mit der natur als Vorbild. Was die beiden Fachleute in anschaulicher Weise darbieten, ist keineswegs nur graue Theorie, sondern das Ergebnis eigener praktischer Er-fahrungen: Michael Braungart und William McDonough erproben seit Jahren mit Firmen wie Ford, nike, Unilever und BP erfolgreich die Realisierbarkeit ihrer Ideen.Von Michael Braungart und William McDonough, im Fachhandel erhältlich.

Klipp und klar

gATES Dä NO!

Von Kuno Roth — Informationen sollten nützliches und Anregendes vermitteln – stattdessen sind sie zunehmend ein Gut, das wie jede Handelsware Abfall produziert. Infomüll ist ein Problem geworden, das Suchen nach Wesentlichem mühsam. Büroangestellte klönen, die Mail -flut sei kaum zu bewältigen. Dabei könnte man einiges aus der Geschichte des herkömmlichen Abfalls lernen.

Als vor 10 000 Jahren die Land wirtschaft erfunden wurde, war nirgends Abfall zu sehen. Zu Jesu Zeiten gab es Holzspäne und rostige nägel, aber Abfälle? Unbekannt. Keine Dosen im Wald, keine PET-Flaschen im Bach. Von den ersten Abfällen aus frühindustrieller Produktion bis zum Beginn der Wegwerfgesellschaft Mitte des 20. Jahrhunderts verstrichen 100 Jahre. Weitere 50 dauerte es, um den heutigen Müllberg aufzutürmen. Zeit, die genutzt wurde, einen Abfall-Himalaya zu vermeiden. Das gelang in der Schweiz, indem der Ordnungssinn mit «vermeiden – verwenden – verwerten» gekoppelt wurde.

Infomüll lässt sich nicht wiederverwerten und muss möglichst vermieden werden. Täglich aber verschickt man 100 Milliarden Mails, davon 40 Milliarden Spams, die hohe volkswirtschaftliche Schäden verur sachen. Eine Methode, mit Unwichtigem umzugehen, wäre, alles dem E-Müll-Verursacher [email protected] zu schicken mit dem Vermerk «Gates dä no!». Solange ich das alleine tat, war es lächerlich. Würden aber Millionen so agieren, hätte der Software-König eine gigaharte Zeit. Garantiert käme in Kürze ein Programm mit den Funk-tionen «cc control» und «Floskel-Filter» auf den Markt. Erstere würde die Mails der Mitteilungsjunkies erkennen, derjenigen, die ihre Mails Unmengen Leuten per «cc» schicken. Wären ihre Adressen markiert, würde ihr Müll im Papierkorb landen und mit dem Floskel-Filter Wichtiges automatisch aus der Floskelflut gesiebt. Vor-tests bei Politiker-Reden ergaben mögliche Kürzungen von 100 Prozent ... ab 2012 finden Sie regelmässig Kurztexte von Kuno zu allen möglichen Umweltthemen auf www.greenpeace.ch/kuno.

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Buchtipp

Schrott auf Schritt und Tritt

Triste Relikte der Besitz- und Konsumwelt zeigt Jörg Vanhöfen im Band «Aftermath»: Indu-striebrachen in Detroit etwa, Elek-troschrott in Duisburg, einen gestrandeten Tanker in Spanien. Was immer der Mensch tut, er ist ein Verschandler, sagen die nur scheinbar poetischen Fotos. hatje Canz Verlag, Fr. 78.—

DVD

Countdown to Zero

Der Film, realisiert von den Ma-chern von Inconvenient Truth, beschäftigt sich mit dem Thema nukleare Katastrophe oder Wie komme ich an eine Atombombe? Die Dokumentarfilmerin Lucy Walker verdeutlicht darin, wie ehemalige Staatspräsidenten wie Michail Gorbatschow und Tony Blair über atomares Wettrüsten im vergangenen Jahrhundert denken.

Ausserdem legt sie den Fokus auf Situationen, die mehrmals fast zu einem nuklearkrieg geführt haben.Zu bestellen zum Sonderpreis von Fr. 19.90 unter: cede.ch oder [email protected]

Mitgliederangebot

Preisgekröntes Magazin

Erst kürzlich haben wir unser neues Schweizer Magazin green-peace lanciert, und schon machen wir Werbung für die «Konkur-renz». Mit gutem Grund, denn kritische und gut recherchierte Artikel kann es nicht genug geben. deshalb empfehlen wir das preis-gekrönte Greenpeace-Magazin aus Hamburg, das alle zwei Mona-te erscheint. Auf 100 Prozent Recyclingpapier gedruckt, berich-tet es unabhängig und engagiert über brisante Themen aus Umwelt, Politik und Wirtschaft. Das Maga-zin finanziert sich ausschliesslich aus dem Verkauf, ohne Spenden und Werbung – und das als einziges Printmedium Deutschlands.Das Tollste daran: Mitglieder von Greenpeace Schweiz können das deutsche Magazin ab sofort zum Vorzugspreis abonnieren. Für 42 statt 50 Franken erhalten Sie sechs Ausgaben plus die aktuelle Ausgabe als Willkommensge-schenk. abonnieren Sie das Greenpeace-Magazin auf www.greenpeace-magazin.de/abo/GreenpeaceSchweiz.

Buchtipp

Tschernobyl für immer. Zum richtigen Zeitpunkt ist Peter Jaeggis Buch zu atomaren Katastrophen erschienen. Katastrophen folgen nicht dem Gesetz der Medien und ihrem Hunger nach Tagesaktualität: Katastrophen haben ein sehr langes Verfallsdatum. Was es heisst, 25 Jahre nach dem Unglück in Tschernobyl in den ver strahlten Gebieten zu leben, vermittelt das Buch mit eindrücklichen Interviews und Berichten betroffener Menschen. Den aktuellen Bezug zu Fukushima, dem Beginn der neusten Atomkatas-trophe, schildert der Beitrag von Taro Yamamoto, der mit dem Appell endet: «Einfach weitermachen wie bisher ist keine Option». Wer Peter Jaeggis Buch gelesen hat, wird diesen Schluss teilen: «Eine spannende und lesenswerte Lektüre – auch für Atomkraftbefürworter». (Südostschweiz)Peter Jaeggi, tschernobyl für immer, 408 Seiten, mit zahl-reichen Karten, abbildungen und einem atom-aBC, lenos Verlag, 2011, www.lenos.ch. Preis Fr. 34.—

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72Magazin GreenpeaceNr. 4 — 2011

Zu gewinnen: drei Fotobücher «Schatzkammer Arktis» Senden Sie das Lösungswort bis am 31. Januar 2012 per E-Mail an [email protected] oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Ökorätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels resp. das Empfangsdatum des E-Mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.

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g r e e n p e ac e M e M B e r

Ob Lisa, Marco, Roger,

Eigentlich bist du einLaura oder Walter.

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