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GREENPEACE MEMBER 2011, NR. 2 DOSSIER: Energiewende ab S. 10 Biobaumwolle aus Indien und Afrika S. 40 Sojaproduktion zerstört Regenwälder S. 44 Das Jahr des Waldes S. 28, 38, 54 Rainbow Warrior III steht vor dem ersten Einsatz S. 48

Greenpeace Switzerland Magazin 2/2011 DE

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Rainbow Warrior III steht vor dem ersten Einsatz.

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Dossier: energiewende ab s. 10Biobaumwolle aus indien und Afrika s. 40sojaproduktion zerstört regenwälder s. 44Das Jahr des Waldes s. 28, 38, 54

— rainbow Warrior iii steht vor dem ersten einsatz s. 48

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Editorial — Mit der Katastrophe von Fukushima hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Die Welt ist dabei, eine andere zu werden nach diesem 3/11 für die Atomkraft. Bei redakti-onsschluss Mitte April wird die Ökologie gerade neu erfunden. Dieser elan soll andauern, fordern wir – und machen unser Greenpeace-Magazin neu. sie halten die erste Ausgabe dieser neuen Zeit in den Händen.

Der Umweltschutz ist auch ohne japanische Kernschmelze im Umbruch, sogar im satten ehemaligen Pionierland schweiz. Der Gedanke der Ökologie verbreitet sich rasant. Grün wird zu einer dominanten Farbe in der so trendsen-siblen Werbung – und wie grün sind all die Blätter, die einer nachhaltigen Lebensweise auf ihren seiten immer mehr Platz einräumen. Greenpeace bleibt natürlich grün. Und werbefrei.

Nicht nur die Ökologie, auch die Kommunikation wird umgekrempelt. im internet entstehen Bewegungen. Auch Greenpeace informiert, inspiriert, mobilisiert über alle digitalen Kanäle. Zugleich erwacht der Wunsch nach Distanz und reflexion. Nach einem Heft, das man lange mit sich herumtragen kann. es will sich queren Gedanken und fremden Blickwinkeln öffnen. Auch deshalb soll unser Magazin kontroverser werden. im vorliegenden Heft spielt die Wirt-schaft eine grosse rolle. Wir geben Menschen das Wort, die mit Umweltschutz Geld verdienen wollen, wie Urs studer, rabtherm-Gründer, der eine Abwasser-Wärmetauschtech-nologie entwickelte. Aber wir spüren auch dem Begriff der Verantwortung nach, wie susan Boos in ihrem essay.

Bei der vorletzten grossen Katastrophe, der Ölpest nach der explosion der «Deepwater Horizon», zeigte sich noch deutlich, wie Ökonomie und Ökologie an verschiedenen stricken zogen. Die Klimadebatte leidet unter diesem Antago-nismus. Die Bedrohlichkeit von Fukushima wirkt da ganz anders: Die Fronten brechen auf, und im Gegensatz zu Tscher-nobyl vor 25 Jahren sind Forschung und Wirtschaft so weit, Wege in eine erneuerbare Zukunft zu zeigen.

Wir freuen uns, genau in diesem Moment mit einem neuen Magazin aufzuwarten und die reflexion offen und unab-hängig mitzugestalten. Neue Autoren sind zu uns gestossen. Und die Grafiker der Agentur Hubertus haben unseren inhalten eine aufregende Form gegeben. Nun hoffen wir, dass nicht Katastrophen, sondern ideen in Zukunft die inhalte bestimmen werden.

Die redaktion

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Magazin GreenpeaceNr. 2 — 2011

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In aktion Greenpeace Geht WeltWeit 2 aufs Ganze

Dossier: Energiewende atomaufsicht — 10 Die orGanisierte nachsicht

WOZ-Chefredaktorin Susan Boos verdeutlicht in einem Essay, wie die atomaufsichtsbehörde mit Ihrer Verantwortung umgeht

pioniere für Die umWelt 13 Der Weg von der Idee zum Produkt: Drei zukunftsweisende Unternehmer im Dienst der Energieeffizienz

Ökostrom hat Die nase vorn 18Eine Behauptung, die nur stimmt, wenn für alle anbieter die gleichen Regeln gelten

Die Dritte chance Der schWeiz 21 Kampagnenleiter Kaspar Schuler über zwei verpasste Gelegenheiten zur abkehr von der atomenergie

Interview BioBaumWolle-proDuzent hohmann: 40 ethik unD Business sinD kein WiDerspruch

RW III Dieses schiff ist ein sonDerlinG 48

2011 — Jahr des Waldes Die Bäume unD Wir 28 lorenzo pelleGrini – ein leBen im WalD 38 Greenpeace stoppt holzschlaG in finnlanD 54

Foto-Essay fliessenDes Gift in china 33

landwirtschaft«haGuhans aus Br asilien, Das ist Doch aBsurD» 44

Die Karte 24In Kürze 56Interview mit der «Sonnenfrau» 60Öko-Rätsel 64

impressum Greenpeace memBer 2/2011

Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweiz Heinrichstrasse 147, Postfach, 8031 ZürichTelefon 044 447 41 41, Fax 044 447 41 99 www.greenpeace.ch — Postkonto 80-6222-8

Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, Jonas Scheu, Roland FalkGestaltung: Hubertus DesignDruck: Swissprinters, St. GallenPapier Umschlag: Rebello Recycling matt 150 gm2

Papier Inhalt: Ultralux semigloss UWS 70 gm2

Druckauflage: d 128 500, f 22 000Erscheinungsweise: viermal jährlich

Das Magazin Greenpeace geht an alle Mitglieder (Jahresbeitrag ab Fr. 72.–). Es kann Meinungen enthalten, die nicht mit offiziellen Greenpeace- Positionen übereinstimmen.

Cover: © Oliver Tjaden / Greenpeace

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altlast Die Dreckschleuder muss wegGreenpeace-aktivisten fordern mit einem riesigen trans-parent die Schliessung des Kohlekraftwerks im hafen von Bridgeport (USa), das jährlich eine Million tonnen Kohlendioxid freisetzt.

f o t o : © G r e e n p e ac e

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tschernobyl-Gedenktag Beklemmendes SpektakelVor dem 25. tschernobyl-Gedenktag simulieren brasiliani-sche Greenpeace-aktivisten einen GaU und fordern die Nationale Bank für wirtschafliche und soziale Entwicklung auf, keine neuen aKW mehr zu finanzieren.

f o t o : © i vo G o n z a l e z / G r e e n p e ac e

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Zitterpartie Keine Scheu vor kalten GüssenIn bewegter See hängt ein Greenpeace-aktivist an der ankerkette eines tai wanesischen Fischtrawlers. Die Behör-den sollen so aufgefordert werden, Firmen zu überprüfen, die gegen Fangbestimmungen verstossen.

f o t o : © pau l h i l t o n / G r e e n p e ac e

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Staatsmacht Widerstand mit friedlichen MittelnGreenpeace-aktivisten ketten sich trotz grosser Polizeiprä-senz an Bahngeleise, um einen Castor-transport mit 1100 tonnen radioaktivem Material zu stoppen, der vom franzö-sischen la hague ins deutsche Gorleben unterwegs ist.

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Magazin GreenpeaceNr. 2 — 2011 10

Hans Wanner war ein unbekannter Mann. Dann kam der 11. März, die Erde bebte in Japan, ein Tsunami überrollte Fukushima und liess die Welt zusehen, wie ein Atomkraftwerk ausser Kontrolle gerät. Wanner ist Direktor des Eid-genössischen Nuklearsicherheitsinspektorates (Ensi). Man könnte diese Institution auch als AKW-Polizei der Schweiz bezeichnen – früher hiess sie Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen HSK. Hans Wanner trägt dabei eine Verantwortung, über die er in letzter Kon-sequenz lieber nicht nachdenken möchte. Die Schweiz ist nicht Fukushima, ein Super-GAU kann hier nicht passieren, lässt Wanner immer wieder verlauten, und vermutlich glaubt er das auch. Wenn nicht, müsste er sich ja vorstellen, was geschehen müsste, wenn Mühleberg ausser Kontrolle geriete und Bern zu evakuieren wäre.

In den letzten Jahren hat sich kaum jemand fürs Ensi interessiert. Es ging vor allem um die geplanten neuen Reaktoren, und diesbezüglich verlief die Debatte schwammig und ruhig. Die alten Meiler waren so gut wie vergessen. Es ist die Aufgabe des Ensi, auch sie im Auge zu be-halten. Doch das Ensi benimmt sich nicht wie die Polizei, sondern wie eine nachsichtige Mut-ter, die mit viel Geduld ihre widerspenstigen Zöglinge zu erziehen versucht.

In Japan ging es offensichtlich nicht anders zu. Inzwischen ist bekannt, dass das Energie-unternehmen Tepco, das Fukushima betreibt, den dortigen Aufsichtsbehörden noch kurz vor dem Erdbeben frisierte Unterlagen geschickt hatte. Wichtige Tests bezüglich Notstromgene-ratoren oder Notpumpen hatte Tepco gar nicht durchgeführt. Die Aufsichtsbehörden interve-nierten und baten Tepco, bis im Juni einen neu-en Bericht abzuliefern – das war zu viel Geduld.

Fukushima ist gleich gebaut wie Mühle-berg und etwa gleich alt. Was der Tsunami in Ja-pan war, könnte hierzulande der Wohlensee sein: Auch da droht eine Flutwelle das AKW zu überschwemmen, wenn nach einem Erdbeben der Damm brechen sollte. Zudem weist Mühle-berg Risse im Kernmantel auf.

Hans Wanner windet sich, wenn er zu er-klären versucht, warum Mühleberg nicht sofort vom Netz muss. Er sagte in einem Interview: «Für eine sofortige Abschaltung braucht es eine akute Gefahr.» Das haben sich die Atom-aufsichtsbehörden in Japan vermutlich auch gesagt.

Das Ensi führt eine lange Mängelliste, die alle AKW betrifft. Und immer wieder räumt das Ensi den Betreibern grosszügige Fristen ein, um die Mängel zu beheben. An Mühleberg lässt sich das gut illustrieren – obwohl es bei Beznau ver-mutlich nicht besser ausschaut. Aber in Mühle-berg gibt es eine Handvoll Leute, die sich seit Jahren beharrlich gegen das AKW wehren und enorm viel wissen über den Altreaktor.

Fassungslos waren die Mühleberg-Gegner-Innen, als das AKW kurz vor Weihnachten 2009 vom Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) eine «unbe fristete Betriebsbewilligung» erhielt. Die atomkritische Organisation Fokus Anti-Atom warnte damals: «Gut möglich, dass bei einem heftigen Erdbeben die Kühlleitungen abreissen, der Kernmantel nicht dicht hält, die Brenn-stäbe freigelegt werden und es zur gefürchteten Kernschmelze kommt.» Damals war zu lesen: «Dann geschähe, was sich niemand vorstellen will: ein Super-GAU. Bis zu drei Millionen Menschen müssten ein neues Zuhause suchen.» Vor einem Jahr glaubten viele, das sei ein über-zeichnetes Schreckensszenario.

Die Atomaufsichtsbehörde wusste es schon lange besser. Sie schrieb 2007 in einer Stel-lungnahme: «Das im Rahmen der Nachweise für den Langzeitbetrieb vom KKM [Kernkraftwerk Mühleberg] eingereichte und hier bewertete Konzept der Klammervorrichtung kann von der HSK nicht als endgültige Instandsetzung des Kernmantels anerkannt werden.» Sie formulier-te auch ihre Forderungen, fügte dann aber an: «Das Kernkraftwerk Mühleberg hat der HSK bis am 31. Dezember 2010 ein überarbeitetes Instandhaltungskonzept für den rissbehafteten Kernmantel einzureichen.»

atomaufsicht —Die orGanisierte nachsicht

Von Susan Boos*

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Bis heute ist nichts geschehen, obwohl das Ensi seit vier Jahren weiss, wie heikel die Ge-schichte ist. Die Behörde hat extra in Deutsch-land ein Gutachten zu dieser Angelegenheit in Auftrag gegeben. Dieses blieb aber unter Ver-schluss. Die Mühleberg-GegnerInnen mussten sich das Recht erklagen, einen Blick hinein-werfen zu dürfen. Es wurde ihnen aber gericht-lich verboten, aus dem Gutachten zu zitieren.

Inzwischen sind die wesentlichen Punkte trotzdem publik geworden. Die Gutachter halten die Risse und die Zuganker, mit denen der Kern-mantel angeblich geflickt wurde, für höchst problematisch. Das Ökoinstitut Darmstadt hat das Gutachten inzwischen auch gelesen und befindet: «Zusammenfassend ist es unverständ-lich, weshalb HSK/Ensi den Betrieb des KKM trotz der eindeutig negativen Bewertung der Zugankerkonstruktion durch den TÜV weiterhin zulässt.» Das Ensi ignoriert also das eigene Gut-achten, um das AKW nicht abstellen zu müssen.

Das Uvek hätte es in der Hand, einzuschrei-ten. Doch das Departement schiebt seine Ver-antwortung seit je gern ans Ensi ab. Dieses hat all die Jahre nie ernsthaft interveniert – wie soll es nun plötzlich einen Kurswechsel rechtferti-gen? Woher soll es den Mut nehmen, den AKW-Betreibern zu befehlen: Abstellen, sichern und erst dann weiterfahren!? Jeder Polizist würde das bei einem Velofahrer tun, dessen Bremsen nicht funktionieren. Doch in der Atomwelt regiert Nachsicht: Weil keine «akute Gefahr» besteht, dreht man sich weiter fröhlich im Kreis und schiebt die Verantwortung reihum weiter.

Die AKW-Betreiber und die HSK/Ensi-Leute haben schon lange miteinander zu tun. Man kennt sich und weiss, dass die andern ordentlich arbeiten. Früher sassen mehrere HSK-Leute im Nuklearforum, wie die Lobbyorganisation der Atomwirtschaft heisst. Seit die Mitgliederliste an die Öffentlichkeit gelangt ist, sind offiziell keine HSK/Ensi-Leute mehr beim Nuklearforum ge-meldet. Das Problem ist aber nicht behoben: Die Ensi-Geschäftsleitung wird vom Ensi-Rat ange-stellt. Der Rat amtet als Aufsichtsgremium des Nuklearinspektorats und wird von Peter Huf-schmied präsidiert. Hufschmied ist ein tüchtiger Mann und geschäftet erfolgreich mit den BKW. Sein Tropenhaus in Frutigen, ein Erlebnispark im Berner Oberland, lässt er sich von der Nationa-len Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sponsern. Die BKW betreiben

das AKW Mühleberg und die Nagra wird eben-falls vom Ensi überwacht. Zudem sitzt Horst-Michael Prasser im Ensi-Rat, dessen Lehrstuhl an der Universität Zürich von den Schweizer AKW-Betreibern finanziert wird.

Das alles ist illegal, denn im Ensi-Gesetz steht unmissverständlich: «Die Mitglieder des Ensi-Rates dürfen weder eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben noch ein eidgenössisches oder kantonales Amt bekleiden, welche geeignet sind, ihre Unabhängigkeit zu beeinträchtigen.»

Der Bundesrat müsste intervenieren. Er hätte zudem die Leute gar nicht einstellen dürfen, denn er wählt die Mitglieder des Rates. Womit das Problem offenkundig wird: Bundesrätin Doris Leuthard, heute fürs Uvek zuständig, war früher auch Mitglied des Nuklearforums und gilt als Gefolgsfrau der Atomwirtschaft. Der Klüngel ist kaum durchschaubar, auch die Lob-by im Parlament ist eklatant: 98 von 246 Parla-mentarierInnen sind Mitglieder der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (Aves), die sich für die AKW-Industrie stark macht. Economie-suisse spielt dabei ebenfalls eine zentrale Rolle. Urs Rellstab, der bis vor Kurzem beim Wirt-schaftsdachverband für die Energiekampagne zuständig war, hat zur PR-Firma Burson-Mar-steller gewechselt, wo die Geschäftsstelle des Nuklearforums unter ge bracht ist und mit viel Geld eine mächtige AKW-PR-Maschine betrieben wird. Im Economie suisse-Vorstand sitzen Kurt Rohrbach, Chef der BKW (AKW Mühleberg), sowie Heinz Karrer, Chef der Axpo (AKW Bez-nau I/II). Das ist der Filz und die Macht, gegen die das Ensi antreten müsste, wenn es den Mut hätte.

Was tun? In Deutschland zum Beispiel ist die Aufsicht über die AKW weniger zentralistisch organisiert. Die Behörden lassen AKW- Gut-achten systematisch von unabhängigen Insti-tutionen verfassen. So konkurrenzieren sich TÜV Nord, TÜV Süd oder das Ökoinstitut. Das Resultat: Klarere, schärfere Gutachten. Und vor allem: Weniger Kungelei, eine offenere Debatte, mehr Sicherheit. Das bringt am Ende eine Anti-AKW-Bewegung hervor, die sehr gut infor-miert, stark und erfolgreich ist.* Redaktorin WOZ, Die Wochenzeitung

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Die Innovation entsteht an der Peripherie

Die Energieversorgung der Zukunft ist nicht nur erneuerbar — sie ist auch dezentral. Strom und Wärme sollen dort produziert werden, wo sie gebraucht werden. Zehntausend Solardächer statt ein Grosskraftwerk! Ob neue technologien zur Nutzung der abwärme in den Kanalisationen oder der Fliesskraft unserer Bäche — ein Blick in die landschaft der Energiepioniere zeigt: Die wirkliche Innovation setzt auf den Endverbraucher, auf über-sichtliche Kollektive wie Firmen und Wohnbau-genossenschaften, allenfalls auf Gemeinden und regionale Netzwerke. Das wirtschaftliche und ökologische Potenzial entfaltet sich dann, wenn diese genialischen Erfindungen im Provinzformat in grosser Zahl zur anwendung kommen. Darauf hoffen unzählige KMU und tüftler.

Immer wieder fehlt es ihnen aber an Investi-tionen. Das Geld fliesst strudelfreier in gigantische Energieprojekte — lesen Sie dazu unseren artikel auf Seite 18. Da lassen sich fette Innovationspake-te schnüren. Die Energieriesen bleiben ihren Ge-schäftsmodellen treu und kontrollieren die gros -sen linien der Versorgung, die «Strom highways». Sie verdienen an den gewaltigen Energiemengen, die sie — dem höheren Preis folgend — hin und her leiten. Ihnen ist nicht an dezentralen Konzepten gelegen.

Es heisst, in Sachen Ökotechnologie sei die Schweiz von der Spitze ins Feld zurückgefallen. Das land spielt im Energiecasino lieber die Karte der Gross- und Pumpspeicherkraftwerke — und wird in Sachen Erneuerbare zur Provinz. aber die wahre Innovation passiert an der Peripherie. In-sofern hat der halbschatten der Provinz auch sei-ne Vorteile. Es wird nun aber Zeit, den tüftlern — einige von ihnen haben wir in diesem heft port-rätiert — Geld zu geben, damit sie wirklich loslegen können.

Von den klassischen Geldgebern ist wohl nichts zu erwarten. aber die hoffnung ist berech-tigt, dass statt wenigen grossen viele kleine Investoren eines neuen typs künftig den ton angeben. Bekanntlich folgten auf die Dinosaurier kleinere, agilere lebensformen. –red.

clevere unternehmer

unD ihre erfinDunGen

Von Therese MartyFotos von

Nicolas Fojtu

Nie aufhören zu denken. Schritt für Schritt voran-gehen. Den Glauben nicht verlieren. Das sind drei Credos von Unternehmern, die im Dienst der Energie-effizienz viel Zeit, Energie und Geld investieren. Greenpeace hat die Erfinder besucht und erfahren: Der Weg von der Idee bis zum Produkt ist lang und bedeutet Knochenarbeit.

Eine Abwasserleitung in Winterthur Wülflingen. Eng und dreckig ist es in der Kanalisation. Trotz-dem steigen regelmässig Besucher durchs enge Loch, um sich in der Unterwelt umzusehen. Grund des Interesses: Das durchschnittlich 25 Grad warme Abwasser der nahen Überbau-ungen wird durch den Einsatz von Wärmetau-schern als Energiequelle genutzt. Die gewonne-ne Wärme wird in die Häuser zurückgeführt, umweltfreundlich und effizient. 1996 wurden in Zürich die ersten Wärmetauscher in die Ka-nalisation eingebaut. Mittlerweile sind 42 solche Anlagen in Betrieb und 300 weitere in Bearbei-tung – in 18 Ländern Europas, zudem in Nord-amerika und Asien. Das bedeutet den Durch-bruch für die Rabtherm genannte Technologie, die sich für Industrie- wie Wohnbauten ab 16 Wohnungen eignet und in ökonomischer wie ökologischer Hinsicht überzeugt.

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Die Entwicklung kostete Zeit. Vor 20 Jahren war es, als Urs Studer auf dem Heimweg in Zürich Höngg vor einem der dampfenden Gullys stehenblieb. «Das sind ja wahre Kraftwerke da unten», notierte sich der Maschineningenieur auf einem Notizblock, den er stets bei sich trägt, um Geistesblitze festhalten zu können. Die Idee, Abwasserwärme zu nutzen, liess den Inhaber eines erfolgreichen Ingenieurbüros nicht mehr los. Denn Studers Devise lautet: «Wenn ich einen Einfall habe, heisst das, dass ich ihn auch umsetzen kann.»

So einfach war das jedoch nicht damals, als Öl noch billig und Energieeffizienz kein dring-liches Thema war. «Die ersten zehn Jahre kam ich nur schleppend voran und investierte sehr viel Zeit, Energie und Geld», sagt Studer – nicht klagend, sondern mit leuchtenden Augen, Feu-er und Enthusiasmus versprühend. Wie kann die Wärme genutzt werden? Lohnt sich das über-haupt? Welche Materialien eignen sich? Wem gehört das Abwasser? Wo finde ich meine Kun-den? Unzählige Dinge gab es zu bedenken, zu bereden, zu berechnen, zu klären. Um sich der Verwirklichung seiner Idee voll und ganz wid-men zu können, verkaufte Studer sein Ingeni-eurbüro und nahm das Unverständnis von Kol-legen sowie kritische Bemerkungen und finan -zielle Einbussen in Kauf. Rückhalt gab ihm seine Ehefrau. «Sie hat stets an mich geglaubt, sonst hätte ich das nicht geschafft.»

In den USA hat Studer viel gelerntAm Ende hat es funktioniert. Und weil Stu-

der einer ist, der immer weiterdenkt und sich unaufhörlich Fragen stellt, wurde das mittlerwei-le patentierte Rabtherm-System immer besser und effizienter. Kam der Tüftler bei einem The-ma nicht weiter, suchte er ungeniert Hilfe bei anderen. «Es gibt immer jemanden, der etwas weiss, das mir nützen kann», hat ihn die Er-fahrung gelehrt. Und heute, mit dem Internet, sei es einfach, Knowhow zusammenzutragen. Dank neuen, innovativen Lösungen wurde die Leistungsfähigkeit des Rabtherm-Systems um über 40 Prozent erhöht. Studer fand beispiels-weise heraus, wie die Wärmeleistung durch die Verhinderung des Biofilms auf dem Wasser um über 30 Prozent erhöht werden kann. Und er veranlasste den weltgrössten Stahlhersteller Arcelor-Mittal zur Entwicklung eines Chrom-stahls mit 80 Prozent verbesserter Wärmeleit-

fähigkeit. Dank ständiger Verbesserung rechnet sich eine Anlage nun bereits nach zwei bis fünf Jahren – die Lebensdauer der Wärmetauscher beträgt 50, jene des Gesamtsystems 25 Jahre.

Studer ist keiner, der sich nach solchen Er-folgen zurücklehnt. Unermüdlich ist er mit den Unterlagen von Rabtherm im Gepäck und inno-vativen Lösungen im Kopf auf dem Globus unterwegs, sucht neue Projekte, besucht Kunden, spricht mit Produzenten, diskutiert mit Exper-ten. Das Resultat seiner Aktivitäten manifestiert sich in Stapeln akribisch geordneter Mäppchen, die sich auf und um den Schreibtisch türmen. Mittendrin erinnert ein Wimpel mit Sternenban-ner an die Zeit, als der junge Maschineningeni-eur in den USA arbeitete, bevor er Entwicklungs-leiter bei Luwa und Konzernleitungsmitglied bei Sulzer wurde. In den Staaten habe er sich wohl gefühlt und viel gelernt. Als Projektleiter für technische Systeme der Apollo-Weltraumkap-seln war er von Wissenschaftlern und Pionieren umgeben und schätzte es, dass «permanent Neues erfunden und realisiert wurde».

Aus Amerika kennt er die Theorie, dass jeder Mensch im Leben drei Chancen erhalte. Studer liess die erste sausen: «Vor vielen Jahren entwickelte ich ein Kapselsystem für Kaffee-maschinen. Wer weiss, was wäre, wenn ich das weiterverfolgt hätte …» Die zweite Chance packte er: Sein Rabtherm-System hat Erfolg. Bleibt Nummer drei. «Es braucht viel Durchhaltever-mögen, um eine neue Idee umzusetzen», sin-niert Studer und spricht von den Hürden, die insbesondere bei alternativen Projekten über-wunden werden müssen. «Es gibt aber noch viel Potenzial, um zumindest einen Teil des Bedarfs aus erneuerbaren Energien zu gewinnen.» Ob er selber eine neue Idee verfolgt? «Wer weiss», schmunzelt er – spruchreif sei die Sache noch nicht. So viel aber verrät er: «Sie hat mit Energie-effizienz zu tun.»

Drei Männer, viel Knowhow, eine PassionEingebettet zwischen den Flumserbergen

und den Churfirsten richten sich hoch über dem Boden wie transparente Flügel wirkende Son-nensegel dem Licht entgegen. 320 Solarpanels sind, gestützt durch Seilbahnmasten, beweglich an zwei Seilen montiert. Eine solche Tragseil-konstruktion ist einzigartig. Die am 1. März 2010 in Betrieb genommene Fotovoltaikanlage liefert pro Jahr 90 000 Kilowattstunden Strom, was

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hanspeter ackermann, Roland Bartholet, arthur Buechel (v.l.): Das trio ist die treibende Kraft der Firma Solar Wings aG.

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den Bedarf von 30 Haushalten deckt. Nach der für dieses Jahr geplanten Erweiterung werden jährlich 135 000 Kilowattstunden produziert.

So wird auf dem Lagergelände des Stein-wol leproduzenten Flumroc in Flums erfolgreich umgesetzt, was findige Köpfe erdacht haben. Drei Spezialisten sind es, die zur Weiterentwick-lung und Vermarktung ihrer Erfindung – des seilbasierten Montagesystems – die Firma Solar Wings AG gegründet haben: Franz Baum-gartner, Professor für Alternativenergie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen-schaften (ZHAW) in Winterthur, der Liechten-steiner Arthur Buechel, Elektroingenieur mit MBA, sowie Roland Bartholet, Verwaltungsrats-präsident des gleichnamigen Flumser Maschi-nenbauunternehmens mit über 50-jähriger Seil-bahntradition.

Drei Männer, viel Knowhow, eine Passion: die Fotovoltaik. «Das ist eine faszinierende Technologie mit nur einem Nachteil: Sie ist noch relativ teuer», erklärt Buechel. Denn während Kosten und Effizienz der Solarmodule laufend optimiert worden sind, habe man die Lösungen für die Montage vernachlässigt. So werden «insbesondere in Solarparks Montagesysteme eingesetzt, die sehr viel Material wie Alumini-um, Beton oder Stahl erfordern und entspre-chend teuer sind». Und um die Solarmodule nach dem Sonnenstand auszurichten, würden zahlreiche Antriebseinheiten benötigt, «was nebst Kosten zusätzlichen Wartungsaufwand mit sich bringt».

Buechel, Baumgartner und Bartholet wa-ren überzeugt: «Hier kann man mit Technologie und Innovation sehr schnell sehr viel ändern.» Nach den ersten Sitzungen im Jahr 2007 ging es zügig voran. Auf den Prototyp im Frühling 2008 folgte im Dezember das erste Versuchsprojekt in Deutschland und im Februar 2010 die Anlage in Flums. Nur: So ganz nach Drehbuch lief es nicht. Buechel: «Geplant war, nach der Realisie-rung des ersten Projekts zunächst nach Inves-

toren zu suchen – doch da kam uns die Finanz-krise dazwischen.» Das bedeutet, dass Solar Wings noch Geld für den Geschäftsaufbau sucht.

Ganz ohne Unterstützung standen die drei Partner jedoch nicht da. Im St. Galler Rheintal kennt man sich und arbeitet zusammen. Die Firma Flumroc, die ebenfalls auf erneuerbare Energien setzt, liess auf ihrem Logistikareal die eingangs beschriebene Anlage bauen. Und ein vierter Mann kam ins Spiel: Hanspeter Acker-mann, Geschäftsführer der Flumroc-Tochter Pamag Engineering, tüftelte, rechnete und kon-struierte. Er leistete seinen Beitrag dazu, dass die Anlage – optimal montiert, verstrebt und aus-gerichtet – über den blauen Paketstapeln mit Flumroc-Dämmstoffen wertvollen Solarstrom produziert. «Problemlos und weitgehend war-tungsfrei», wie Ackermann betont.

«Strom soll möglichst da produziert werden, wo er gebraucht wird», lautet die Philosophie der drei Besitzer von Solar Wings. Mit ihren Foto-voltaikanlagen wollen sie dazu beitragen. Dass dies mit der bewährten, robusten und leicht rück-baubaren Seilbahntechnologie gelingen wird, davon sind die Pioniere überzeugt. «Ein entschei-dender Vorteil ist, dass man bei unserem Sys-tem die Fläche unter der Anlage für andere Zwe-cke nutzen kann», sagt Buechel. Ein weiterer Pluspunkt ist der vergleichsweise geringe Mate-rialeinsatz. «Wir rechnen damit, dass unsere Anlagen insbesondere in Wohn- und Indus-triegebieten zum Einsatz kommen werden – sei dies für Parkplätze oder Lagerflächen.» Also dort, wo die Energie benötigt wird.

Die Möglichkeit, einen nachhaltigen Beitrag für die Umwelt zu leisten, ist für Buechel «ein wunderbares Gefühl». Für die Solarenergie sieht er grosses Potenzial. Entscheidend sei, die Kosten in den Griff zu bekommen. «Da gibt es noch einiges zu tun, zumal vor allem die Spei-chertechnik noch nicht befriedigend ist.» Das sei aber eine Frage der Zeit, denn: «Es gibt viele verheissungsvolle Lösungsansätze, die man jetzt vorantreiben muss. Man sollte einfach jenen Leuten, die Lösungen präsentieren, mehr Gehör schenken als solchen, die immer nur über Pro-bleme sprechen.» Als erfahrener Unternehmer weiss der Liechtensteiner, was es braucht, um mit unkonventionellen Ideen und Produkten erfolgreich zu sein: «Der Weg besteht aus vielen kleinen Schritten – so kommt man langsam, aber sicher zum Ziel.»

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E«Es gibt viele verheissungs-volle lösungs an sätze, die man jetzt voran treiben muss»

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Turbinen mit hohem WirkungsgradEiner, der noch auf den Durchbruch war-

tet, ist Hasan Isik, von Beruf Erfinder. Der Türke in der Ostschweiz hat in seinem Leben schon einiges patentieren lassen – eine Zahnbürste mit Licht etwa. Oder ein Toilettenbelüftungssystem, das 90 Prozent Energie einspart. Die Spezialität des Autodidakten jedoch sind Turbinen. Dass Isik etwas davon versteht, wird offensichtlich, wenn er abwechselnd zeichnend und gestikulierend seine jüngste Erfindung erklärt. «Es handelt sich um eine Turbine zur Energie gewinnung in Fliess-gewässern, die an unterschiedliche Einsatz-bedingungen angepasst werden kann und einen vergleichsweise hohen Wirkungsgrad ermög-licht.» Dieser werde erreicht, «weil die einzel-nen Schaufeln am Turbinenrad gelenkig an-geordnet sind, was die Reibung und damit den Energieverlust verringert.» Akribisch erklärt der 44-Jährige, wie und weshalb aufblasbare Elemente die Effizienz der Turbine erhöhen und welche individuellen Lösungen möglich sind.

«Eine gute Idee», das habe man ihm über-all bestätigt, wo er mit seiner Erfindung vorstel-lig geworden sei. Bei der ETH wie der Zürcher

Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur, beim Energiedeparte-ment seines Wohnkantons wie bei weiteren Fachstellen hat der Findige um Unterstützung angefragt – und sie in fachlicher Hinsicht auch erhalten. «Forscher und Spezialisten zeigten sich von meiner Erfindung überzeugt.» Isiks Turbine ist zum Patent angemeldet. Was noch fehlt, ist ein Prototyp, damit die nötigen Messun-gen gemacht werden können. Doch um einen solchen herzustellen, fehlt dem mittellosen Er-finder das Geld.

Unermüdlich kämpft der Tüftler aus Istan-bul für die Realisierung seiner Idee. Er, der vor fünf Jahren eigens seiner Turbine wegen in die flussreiche Schweiz gekommen ist, hat sich das einfacher vorgestellt. Kein Geld und (noch) keine Investoren, die gewillt sind, seiner Turbi-ne eine Chance zu geben – etwas zermürbend sei das schon, sagt Isik. Nichts hindere ihn aber daran, weiter an sich zu glauben und sein Pro-jekt weiterzuentwickeln. «Wissen Sie», sagt er und tippt an seine Stirn, «es hört nicht auf zu denken hier drin. Nie.»

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t Urs Studer: «Es braucht viel Durchhaltevermögen, um eine neue Idee umzusetzen»

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Wie Mahnfinger recken sich die vier bis zu 92 Meter hohen Hardau-Hochhäuser in Zürich in den Himmel. Wer den Zürcher Hauptbahnhof ansteuert, kennt die Bauten. Es ist die grösste Wohnsiedlung der Stadt und ihr grösster Ener-gieverbraucher nach dem Stadtspital Triemli. Seit 1990 sorgen zwei hocheffiziente, dezentra-le Kleinkraftwerke für Strom und Wärme – sie sollen, vorgeblich aus Altersgründen, demon-tiert werden. Statt des sen plant der Stadtrat eine vergleichsweise klimafreundliche, aber den-noch Strom fressende Grosswärmepumpe.

Die Situation ist symptomatisch: Rein rech-nerisch würde durch die gleichzeitige Ausnut-zung von Erdgas für Strom und Wärme, wie in der Hardau, schweizweit mehr Elektri zität er-zeugt, als das Atomkraftwerk Leibstadt abgibt. Stattdessen stagniert der Anteil der so genann-ten Wärmekraftkopplung, wie sie bisher in der Hardau genutzt wurde.

Die Signale von der dezentralen Energie-projekt-Front sind durchzogen: In Sachen Ener-gieeffizienz verharren wir gemäss der im März veröffentlichten WKK-Statistik 2009 des Bun-desamts für Energie seit Ende der 90er Jahre auf gleichem Niveau. Nur in Kehrichtverbren-nungsanlagen wurde mehr Strom erzeugt. In Sachen erneuerbare Energien (Sonne, Wind, Bio masse) werden im Vergleich zu 1990 rund 850 Millionen Kilowattstunden Strom zusätzlich erzeugt: die Hälfte dessen, was etwa die Stadt Basel pro Jahr benötigt. Das scheint viel, ist aber wenig: In der gleichen Zeit nahm der Landes-verbrauch um das Zwölffache bzw. um rund 10 Milliarden Kilowattstunden zu.

Nach der Atomkatastrophe in Fukushima liegt der Fokus der energiepolitischen Diskussi-on von Bundesrat, Bundesämtern und Politik auf grossen Gaskraftwerken. Tauchen irgendwo de-zentrale Lösungen auf? Fehlan zeige, auch in der bundesrätlichen «Vier-Säulen-Politik» von 2007: Energieeffizienz, Erneuer bare, Grosskraftwerke und Energieaussenpolitik, worunter der Bundes-rat auch die Beschaffung von Erdgas versteht.

Die aktuellen Stromtarife sind verzerrt«Trotz teilweise richtigen Schritten des

Bundes fehlt es an fairen Rahmenbedingungen für die Wirtschaftlichkeit der umweltfreundli-chen Stromerzeugung und für Energieeffizienz», sagt Andreas Appenzeller, Geschäftsleiter der in Liestal niedergelassenen Ökostrom-Pionierin ADEV Energiegenossenschaft. Mit den Finan-zen klappte es dagegen: «Am Geld kann es nicht liegen, es wäre eigentlich genug da.»

Die ADEV ist einer der wenigen landesweit agierenden unabhängigen Ökostromerzeuger. 1985 wurde sie vom Ökozentrum Langenbruck, von Energieplanern und Energiepolitikern ge-gründet. Sie betreibt dezentral Kleinkraftwerke in der Schweiz, in Deutschland und Frankreich. Rund 15 Millionen Franken Eigenkapital wurden im Publikum platziert. Erzeugt werden etwa 14 Millionen Kilowattstunden Ökostrom im Wert von rund 4 Millionen Franken pro Jahr.

Ein Problem für Investoren ist der aktuelle Marktpreis für Strom, der die Ausschüttungs-höhe der so genannten Kostendeckenden Ein-speisevergütung (KEV) mitbestimmt, die es seit 2009 gibt. Wenn der Strompreis sinkt, fällt die

Ökostrom hat Die nase vorn — Wenn für alle Die

Gleichen reGeln GeltenVon Marc Gusewski

Die gesetzliche ausgestaltung der Schweizer Stromver-sorgung begünstigt ein seitig die Strom mono pol isten. In dieser Situation sind unabhängige Ökostrom produzenten und Energie pioniere auf sich selbst ange wiesen — und die dezentrale Energiewende bleibt in weiter Ferne.

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Entschädigung für Ökostrom gering aus. Im schlimmsten Fall muss der Betreiber mit einem Loch in der Kasse rechnen.

Unter Beobachtern ist klar, dass die aktuel-len Tarife verzerrt sind. Zum einen haben die Verbraucher in den letzten 10 bis 15 Jahren für – vorsichtig geschätzt – 8 bis 10 Milliarden Schweizer Franken Investitionen der Elektrizi-tätsbranche über den Strompreis unfreiwillig vorzeitig abbezahlt («vergoldete Staumauern»), darunter auch das Atomkraftwerk Leibstadt. Der Effekt: Diese produzieren so billig wie nie. Zusätzlich haben die Stromversorger in der glei-chen Zeitperiode 15 bis 20 Milliarden Franken an stillen Reserven angelegt. Damit finanzieren die Altmonopolisten neue Projekte.

Diese Situation hat es noch nie gegeben, dass eine Generation Stromverbraucher gleich-zeitig für die zu teuren Kraftwerke der Vergan-genheit bezahlt, für ihren aktuellen Betrieb und für die künftigen Investitionen. Darauf machen etwa die industriellen Grossverbrau-cher in der Schweiz aufmerksam, die seit lan-gem in ihren Augen ungerechtfertigt hohe Stromtarife bekämpfen, sowie der Schweizeri-sche Gewerbeverband.

Entscheidend ist, dass für alle gleiche Spiel-regeln gelten. Die Erfahrungen der Stromgenos-senschaft Greenpeace Energy in Hamburg, die sich den offenen deutschen Strommarkt zur För-derung der erneuerbaren dezentralen Energie zunutze macht, bestätigen dies. So sagt Martin Schaefer, ihr Pressesprecher: «Es geht aufwärts, seit die Politik die Rahmenbedingungen für alle Akteure gleich gesetzt hat.» Gemäss einer Studie von Mitte April sind «Wind und Wasser schon heute billiger als Kohle und Atom».

Das Schweizer Stromversorgungsgesetz (StromVG) von 2009 begünstigt durchwegs die Teilmonopolisten und die grossen Elektrizitäts-erzeuger – indem die Kantone den bisherigen Inhabern wettbewerbsfrei Stromnetzgebiete und Nutzungskonzessionen zuschanzen, indem nur Kraftwerkbesitzer die Grundkosten für den Netzbetrieb auf ihre Käufer abwälzen können, und indem die Verteilkosten fast beliebig aufge-blasen werden können und der eidgenössische Strommarktregulator nur in krassen Fällen ein-greifen darf. Andreas Appenzeller von der Liestaler ADEV Energiegenossenschaft: «Gegen die Grossen hätten wir nur eine Chance, wenn für alle die gleichen Spielregeln gelten wür-

den.» Berechnungen der ADEV zeigen, dass unter fairen Bedingungen ein regelrechter Boom für unabhängige Ökostroman bieter ein-setzen müsste.

Politik versagt bei der EnergiewendeRolf Wüstenhagen vom Institut für Wirt-

schaft und Ökologie an der Hochschule St. Gal-len unterstützt die Vermutungen der ADEV, warum es die kleinen Umweltfreundlichen ge-gen die grossen Riskanten so schwer haben. Wenn Energieversorger Kraftwerkprojekte ver-gleichen, würden als Massstab oft die Gesteh-ungskosten als Renditemass gewählt: «Hier der vermeintlich günstige Strom aus Atomkraft und Kohle, dort die ‹teuren› erneuerbaren Energien.»

Das heisst, die Akzente in der Energie -politik müssen in Zukunft neu gesetzt werden. Wie, darauf gibt eine im letzten Jahr im Auftrag von Greenpeace, Energie-Stiftung, WWF, Pro Natura sowie von den Kantonen Basel-Stadt, Genf und dem Berner Energieversorger EWB vorgelegte Studie Auskunft («Stromeffizienz und erneuerbare Energien – wirtschaftliche Alterna-tiven zu Grosskraftwerken»).

Unterm Strich wird das Versagen der Politik für die Verhinderung der Energiewende verant-wortlich gemacht. «Der Kern einer Strategie zur Förderung von Stromeffizienz und erneuerbaren Energien sind eine Stromlenkungsabgabe, die die Konkurrenzfähigkeit von Stromeffizienz und erneuerbaren Energien so weit erhöht, dass die-se Ansätze am Markt den Durchbruch schaffen.»

An diesem Punkt scheitern seit Jahrzehn-ten alle politischen Vorstösse in Richtung Ener-giewende. Dass der Bundesrat letzten Dezem-ber das Strommonopol für die bisherigen Inhaber um ein weiteres Jahr verlängerte und weitere Verlängerungen in Aussicht stellte, kann nur eins bedeuten: Hocheffiziente Wär-mekraftkopplungen wie in Zürich-Hardau werden abgerissen und mehr Wärmepumpen installiert. Energiepioniere und Ökostrom-erzeuger haben nur geringe Chancen, mit den etablierten Anbietern zu konkurrieren.

Dabei hat die auf erneuerbare Energien spezialisierte Bank Sarasin beobachtet: «Im Jahr 2008 wurde in Europa und den USA mehr Energie aus erneuerbaren als aus konventionel-len Quellen installiert.» Würden für alle gleiche Regeln gelten, wäre klar, wer im Rennen um die Stromerzeugung der Zukunft vorne liegt.

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aktionen des Widerstands: Im Januar 1969 wurde nach einem Unfall im Versuchsreaktor lucens protestiert, am 2. Juli 1977 in Däniken gegen das aKW Gösgen.

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Die erste Chance: 21. Januar 1969

In einer Felskaverne bei Lucens in der Nähe von Yverdon wird der erste Schweizer Kernreak-tor in Betrieb genommen, entwickelt und ge-baut von einem einheimischen Konsortium aus Indus trie, Kantonen und Gemeinden. Schon nach wenigen Stunden Betriebszeit gerät er ausser Kontrolle: Ein durchgeschmolzener Brenn-stab entzündet sich. Das Personal wird evaku-iert, die Kaverne für Jahrzehnte versiegelt. Der Traum vom «Schweizer Reaktor» ist ausge-träumt. Der Untersuchungsbericht wird erst zehn Jahre später abgeliefert. Alle darin enthal-tenen Erklärungsversuche scheitern an unauf-lösbaren Widersprüchen.

In Betrieb genommen werden der Siede-wasserreaktor in Mühleberg und die Druckwas-serreaktoren Beznau I und II. Bis 1984 folgen die AKW Gösgen und Leibstadt.

Im September 1978, also vor 33 Jahren, ver-öffentlichen einige der hellsten energiepoliti-schen Köpfe des Landes* das Buch «Jenseits der Sachzwänge», einen «Beitrag der Umweltorgani-sationen zur schweizerischen Gesamtenergie-konzeption». Sie entwickeln darin eine fundierte Sicht auf eine ökologische Energieversorgung der Schweiz, die Alternativen zeigt zu einem un-

beschränkt wachsenden Energieverbrauch: «Anstatt die Energieproduktion durch den Bau von zentralisierten Grossanlagen anzuheizen, lassen sich energiesparende Technologien för-dern, wie beispielsweise verstärkte Wärme-dämmung in Gebäuden. Sparen und echte Subs-titution können als zwei sich ergänzende Komponenten einer umfassenden Strategie des rationellen Einsatzes von Energie betrachtet werden, wobei sich Sparen auf den quantitativen und Substituieren auf den qualitativen Aspekt der Energie bezieht.» Die Massnahmen, die zur Umsetzung vorgesehen sind, heissen Energie-steuer und Energiefonds. Dessen Mittel «werden zweckgebunden für zielgerechte Energiefor-schung und Entwicklung, für effiziente Energie-sparmassnahmen sowie für die Förderung neuer Energietechniken und inländischer rege-nerierbarer Energien eingesetzt.»

Ich bin zwanzig Jahre alt, als ich dieses Buch kaufe und mir ob der Komplexität der Energiepolitik den Kopf zerbreche. Später ver-hallen solche vorausschauende Stimmen. Die Internationale Energieagentur rüffelt die Schweiz sogar offiziell für ihre fortgesetzte Energie ver schwendung und die fehlende Len-kung. Mir dämmert, in welch schwer zu ver-ändernden Parametern sich die Schweizer Ener-giepolitik bewegt.

Die Dritte chance Der schWeiz

Von Kaspar SchulerGreenpeace-Kampagnenleiter

Klima & Energie

Der erste Unfall geschah in einem dilettantisch konstruierten Schweizer Kernreaktor. Der zweite wegen der sowjetischen Planwirtschaft. Der dritte traf das hoch industrialisierte Japan. Er wäre das aktuelle Zeichen zum Umdenken. Wann macht die Schweiz den Schritt in eine sichere Energieversorgung? Kaspar Schuler beschreibt, wie er den blockierten Weg dorthin seit 33 Jahren erlebt hat und was Greenpeace fordert.

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Die zweite Chance: 26. April 1986

Der Reaktor im Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl explodiert. Mehrere zehntausend Liquidatoren sterben, die radioaktive Wolke wird aufgrund des Graphitbrands hoch in die Luft getragen und über das bis heute schwer darunter leidende Weissrussland nach Westeu-ropa verfrachtet. Im besorgten Deutschland wird am Bodensee das junge Gemüse unterge-pflügt. Am anderen Ufer, in der Schweiz, wird beschwichtigt.

Heute könnte ich mich ohrfeigen, dass ich in jenen sonnigen Tagen um den 26. April mit meinem vierjährigen Sohn und seinem zweijäh-rigen Bruder im Sandkasten gespielt habe!

In der hiesigen Energiepolitik bewegt sich wieder nichts. Die Stromwirtschaft propagiert rund ein Dutzend neue Pumpspeicherseen in den Schweizer Alpen, da Europa «die Batterie-funktion der Schweizer Wasserkraft» unbe-dingt benötige. Faktisch geht es schon damals um die Umwandlung überschüssiger Atom-kraft.

Die Bevölkerung lässt sich vom Bundesrat und vom Parlament einlullen und stimmt 1990 einzig dem Atomkraftmoratorium zu. Der Atomausstieg wird abgelehnt.

2003 wird auch die Verlängerung des AKW-Moratoriums verworfen. Die Konzerne Axpo und BKW sowie die Atel – die spätere Alpiq – wittern Morgenluft: Ab Sommer 2008 planen sie drei neue «Ersatz-AKW» – mit verdreifachter Leistung.

Die dritte Chance: 11. März 2011

Das Atomkraftwerk Fukushima I / Daiichi wird nach einem Seebeben von einem Tsunami überflutet. Als ich am Morgen danach mit Green-peace-MitarbeiterInnen telefoniere und mit meiner Partnerin über Sonntagsarbeit spreche, beginnt meine siebenjährige Tochter zu schreiben und hält mir das Blatt vor die Nase: TELE FON KONFERENZ NEIN. BÜRO GO NEIN. Sie hat – wie so viele andere Kinder rund um die Welt – während Wochen keine Chance mit ihrem Appell. Doch auch 1986, als Green-peace in der Schweiz gerade mal zwei Jahre alt war, war das wohl nicht anders.

Die Geschichte wiederholt sich. Es ist des-halb Zeit, sich die aktuell wichtigsten Fragen zu stellen:

Verlieren wir die energiepolitische Diskussion erneut?Gut möglich. In diesen Tagen, anlässlich

der energiepolitischen Sondersession des Parla-ments, muss Bundesrätin Leuthard im Namen der Regierung Farbe bekennen. Vor etwa drei Jahren erwiderte sie mir echauffiert, dass Tscher-nobyl mit den Atomkraftwerken in der Schweiz nicht zu vergleichen sei und die Sowjetunion nicht mit der Schweiz: «Das wissen Sie genau!» Die AKW Fukushima I und Mühleberg sind ty-pengleich. Japan wie auch die Schweiz sind hoch entwickelte Industrieländer. Hat Frau Leuthard dazugelernt? Absehbar ist, dass sie statt neue AKW nun Gaskraftwerke propagiert – Hauptsa-che, es sind Grosskraftwerke, die weiterhin die Effizienzbemühungen behindern und eine dezen-trale Energieproduktion torpedieren.

Im Anschluss an den Bundesrat muss Mitte Juni das Parlament zu vierzig atompolitischen Vorstössen und den beiden Motionen Grunder und Schmidt Stellung beziehen. Diese fordern explizit den Ausstieg aus der Atomenergie. Schau-en Sie genau hin, wer wie stimmt – im Herbst sind Wahlen.

Hat die Stromwirtschaft hinzugelernt?Kaum. Heinz Karrer, der smarteste CEO

aller hiesigen Atomstromkonzerne, scheint zwar unmittelbar nach Beginn der Katastrophe verunsichert und sinniert öffentlich, ob ein genereller Verzicht auf neue AKW das Richtige für Axpo wäre. Doch Anfang April schreibt er uns bereits wieder im alten Stil: «Aufgrund der derzeitigen Lage ist es allerdings verfrüht, um energiepolitische Entscheidungen von grösserer Tragweite zu treffen.»

Alpiq-Chef Giovanni Leonardi stösst ins gleiche Horn und deklariert, dass er selber nicht handeln will: «Frau Bundesrätin Leuthard hat mit der Sistierung der Rahmenbewilli-gungsgesuche das richtige und der Lage ange-messene Zeichen gesetzt. (...) Das letzte Wort hat das Schweizer Volk.»

Bei den BKW ist Unternehmensleiter Kurt Rohrbach gegenüber Greenpeace bereits am 29. März sicher, dass das Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) trotz seiner Risse im Kernmantel keine

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gravierenden Probleme hat: «Eine erste Bewer-tung durch die Spezialisten der BKW und der zuständigen Behörden zeigte, dass aufgrund der Ereignisse in Fukushima keine betrieblichen Sofortmassnahmen für das KKM erforderlich sind. Es ist auf die standortspezifischen Gefah-renpotenziale ausgelegt und verfügt über um-fangreiche Sicherheitssysteme.

Sind die energiewirtschaftlichen Voraussetzungen anders?Eindeutig. Als Erste in der energiepoliti-

schen Diskussion hat Greenpeace Schweiz zusammen mit anderen Umweltorganisationen Mitte Mai fundierte Berechnungen für einen Atomausstieg innert 15 bis 25 Jahren vorgelegt. Das Ergebnis spricht Bände: Dank der techno-logischen Entwicklung ist eine ökologisch trag-bare, das Klima schützende Stromversorgung auf den Hauptpfeilern Wasserkraft, Solarener-gie, Geothermie, Biomasse und Windenergie möglich, und zwar in Kombination mit den wei-terhin unausgeschöpften Möglichkeiten der Energieeffizienz. Grosse Gaskraftwerke braucht es nicht. Den Ausstiegszeitpunkt 2035 meistern wir ausschliesslich über die Inlandproduktion. Soll der Ausstieg schneller erfolgen – zum Bei-spiel bis 2025 – kommen wir nicht um Importe herum, beispielsweise von Windenergie. Ein solcher Stromimport bedeutet keine einseitige Abhängigkeit, denn mit den lukrativen Schwei-zer Pumpspeicherseen ist und bleibt die Schweiz unverzichtbar im europäischen Stromverbund. Ganz Europa kann sich bis 2050 ohne Kohle- und Atomkraft versorgen, wie eine zu Jahresbeginn erschienene Studie von Greenpeace International

berechnet. Was es dazu vorab braucht, ist ein Ausbau der Stromnetze – regional mit so genann-ten Smart Grids und kontinental mit Hochspan-nungs-Gleichstromübertragungsleitungen.

Eine solche, echt nachhaltige Energiever-sorgung haben die energiepolitischen Vordenker bereits 1978 vorgeschlagen. Heute kann sie berechnet und umgesetzt werden. Wie damals sind die zwei wichtigsten politischen Massnah-men eine Energielenkungsabgabe und die ge-zielte Förderung der erneuerbaren, dezentralen Energieproduktion. Inzwischen kennt auch die Schweiz eine Kostendeckende Einspeisever-gütung (KEV). Die Energielenkungsabgabe dage-gen fehlt immer noch.

Der Blick über 40 Jahre zurück gibt keinen Grund zur Euphorie. Dennoch setze ich alles auf die heutige, dritte Chance der Schweiz. Es könnte unsere Letzte sein im Land mit den weltweit äl-testen Atomkraftwerken. Meine Tochter müsste mir beim GAU in Mühleberg keine Forderungen mehr unter die Nase halten. Ich bliebe bei ihr.* Es waren dies: Samuel Mauch (Projektleiter), theo Ginsburg, Elmar ledergerber, heribert Rausch, Werner Geissberger, Walter Ott, heidi Ramseier und Elsie Wyss.

Schwerpunkte der Greenpeace-arbeit nach Fukushima

Der GaU in Fukushima lässt uns das Engagement für den atomausstieg intensivieren und neu ausrichten. Ein nationales Referendum gegen den Bau neuer atomkraftwerke — wie für 2013 vorge-sehen — ist hoffentlich nicht mehr nötig. an die Stromkonzerne axpo, alpiq und BKW rich-ten wir die Forderung nach einem definitiven Rück-zug ihrer Rahmenbewilligungsgesuche für zurzeit noch zwei neue aKW. Eine Sistierung reicht nicht. an das Ensi (Eidgenössisches Nuklearsicher-heitsinspektorat) und den Bundesrat richten wir die Forderung, das aKW Mühleberg umgehend aus-ser Betrieb zu nehmen und es so schnell wie möglich stillzulegen. Von Bundesrat und Parlament erwarten wir bereits in der Sommersession eine Neuausrichtung der Schweizer Energiepolitik. Eine sichere, dezentrale und erneuerbare Stromversorgung stärkt unsere Volkswirtschaft in allen Regionen — im Gegensatz zum Bau neuer aKW. ab herbst gehen wir mit einer attraktiven mo-bilen Energie-ausstellung auf Schweizer tournee.

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Die suche nach enDlaGernSichere Depots für hochradioaktiven Müll bleiben eine Utopie.

Status der Endlager-Suche

Standort festgelegt

Standort wird/wurde erkundet

Forschung im Untertagelabor

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USa 1960 \ 58 490 \ tuff bzw. unklarIn den USA ist die End-lagerfrage de facto wieder offen. Nach jahrzehntelanger Erkundung hat Präsident Obama das Projekt Yucca Mountain 2009 wegen Sicherheitsbedenken auf Eis gelegt. Nun sucht eine Expertenkommission neue Lösungen für das Atom-müllproblem.

Finnland1977 \ 1710 \ GranitFinnland will das weltweit erste Endlager für hoch-radioaktiven Abfall eröffnen. 2012 soll der Bauantrag für Olkiluoto gestellt werden. Geplanter Einlagerungsbe-ginn ist 2020. Ähnlich wie in Schweden gibt es allerdings ungeklärte Fragen.

Deutschland1971 \ 10 630 \ SalzAls einziger möglicher Standort wird der Salzstock Gorleben erkundet. Von Be-ginn an gab es Zweifelan seiner Eignung. Die Poli-tik hofft trotzdem auf ein Endlager ab 2035.

Schweiz1969 \ 1440 \ tonDrei Regionen an der deut-schen Grenze sollen bis 2023 ergebnisoffen verglichen werden. Unabhängig davon wird im Untertagelabor Mont Terri bereits jetzt Opalinuston untersucht.

a \ b \ c a Betriebsstart des ersten kommerziellen Reaktors b abgebrannte Bren nelemente in tonnen Schwermetallc Favorisiertes Wirts gestein

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Die suche nach enDlaGernSichere Depots für hochradioaktiven Müll bleiben eine Utopie.

Russland1954 \ 13 940 \ GranitAbgebrannte Brennelemen-te lagern überwiegend im sibirischen Atomkomplex Majak. Voruntersuchungen für ein Endlager gibt es un-ter anderem auf der Kola-Halbinsel. Über ein Unterta-gelabor soll 2015 entschie-den werden.

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Kanada1962 \ 35 410 \ GranitKanada legt derzeit das Un-tertagelabor Whiteshell in Pinawa still, wo jahrzehnte-lang Granit untersucht wurde. Bei der Suche nach einem Endlager setzt Ottawa auf freiwillige Gemeinden. Es soll in einer Region stehen, in der Atomkraft ge-nutzt wird.

argentinien 1974 \ 3370 \ unklarAbgebrannte Brennelemen-te lagern an den AKWs.

Brasilien 1982 \ 420 \ unklarAbgebrannte Brennelemente lagern an den AKWs.

Mexiko1989 \ 420 \ unklarAbgebrannte Brennelemen-te lagern an den AKWs.

Noch immer gibt es kein finales Depot für hoch-radioaktiven atommüll. Einer der hauptgründe, weshalb keine neuen aKW mehr gebaut werden sollten.

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Frankreich1959 \ 30 990 \ tonIm Untertagelabor Bure wird Ton auf seine Eignung als Wirtsgestein untersucht. Pläne für ein Labor in Granit scheiterten am Widerstand der Bevölkerung. Vieles deutet darauf hin, dass Bure ab 2025 zum Endlagerstand-ort wird.

Grossbritannien1956 \ 26 320 \ unklar1982 entschied sich die Re-gierung für 50 Jahre Zwi-schenlagerung. Bei der End-lagersuche setzt London auf freiwillige Gemeinden. Drei sind zu Gesprächen bereit. Schottland plant einen Sonderweg mit oberflächen-naher Lagerung.

Ukraine1977 \ 5950 \ unklarDie Ukraine will ihren Atom-müll für mindestens 50 Jahre zwischenlagern.

Schweden1972 \ 4800 \ GranitSchweden möchte «Anfang der 2020er-Jahre» ein End-lager in Forsmark in Betrieb nehmen. Die Bauarbeiten sollen 2015 beginnen und 2070 abgeschlossen sein. Es gibt allerdings noch offene Fragen zur Einlagerungs-technik.

Spanien1986 \ 4550 \ Salz, ton und GranitDie Entscheidung über ein mögliches tiefengeologi-sches Endlager wurde auf-grund der langsamen inter-nationalen Standortsuche verschoben. Hochradioakti-ver Atommüll soll für die kommenden Jahrzehnte in ein zentrales Zwischenla-ger. Acht freiwillige Gemein-den sind als Standorte im Rennen. Ihnen winken Milli-onenzahlungen.

Belgien1974 \ 2920 \ tonDas Untertagelabor in Mol heisst HADES (High Activity Disposal Experimental Site). Mit einem Endlager wird nicht vor 2080 gerechnet.

tschechien1985 \ 910 \ unklarTschechien will 2015 drei Standortkandidaten für ein Endlager auswählen. In Betrieb wäre dieses frühes-tens 2065. Zugleich hofft Prag auf eine internationale Lösung.

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Slowakei1972 \ 840 \ unklarDie Slowakei lagert ihren Atommüll an den AKW. Sie hat mit der Endlagersuche begonnen, hofft aber auf eine internationale Lösung.

Ungarn1983 \ 1010 \ tonUngarn untersucht derzeit eine Tonformation nahe Pécs für ein Untertagelabor. Baubeginn ist frühestens 2020.

Bulgarien1974 \ 1740 \ unklarBulgarien lässt abgebrannte Brennstäbe zum Teil in Russland wiederaufbereiten oder lagert sie provisorisch. Was langfristig mit dem Atommüll geschehen soll, ist unklar.

Rumänien1996 \ 1090 \ unklarRumänien lagert abgebrann-te Brennelemente zunächst an den AKW-Standorten und nach zehn Jahren in einem zentralen Zwischen-lager. Es gibt Voruntersu-chungen für ein mögliches Endlager.

armenien1976 \ 300 \ unklarBis zum Zerfall der UdSSR nahm Russland den Atom-müll zurück. Jetzt lagert er am Kraftwerk.

Niederlande1969 \ 410 \ Salz oder tonDie Niederlande haben die Entsorgungsfrage 100 Jahre aufgeschoben. Das Zwischen lager Habog in Vlissingen soll bis 2103 in Betrieb sein.

Slowenien1981 \ 240 \ unklarVor 2050 ist nicht mit einem Endlager zu rechnen. Slowe-nien hofft parallel zur eige-nen Suche auf eine internati-onale Lösung.

Italien1963 \ 1070 \ unklarItalien ist nach der Tscher-nobyl-Katastrophe 1990 aus der Atomkraft ausgestiegen und plant jetzt den Wieder-einstieg. Der Atommüll lagert an den abgeschalteten AKW oder ist noch zur Wiederaufbereitung im Aus-land. Erste Endlagerpläne sind am Protest der Bevölke-rung gescheitert.

litauen1983 \ 1380 \ unklarLitauen hat das letzte seiner beiden AKW 2009 auf Geheiss der EU vom Netz genommen. Das Land plant, seinen Atommüll erst einmal 50 Jahre zwischen-zulagern.

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Japan1966 \ 21 760 \ GranitJapan will 2035 ein Endlager in Betrieb nehmen und setzt bei der Suche auf freiwillige Gemeinden. Derzeit sind Untertagelabors in Mizunami (Granit) und Horonobe (Sedimentgestein) im Bau.

Südkorea1977 \ 10 730 \ unklarSüdkorea will 2016 ein zentrales Zwischenlager ein-weihen.

Indien1969 \ 4450 \ unklarEs gibt ein Forschungspro-gramm zur Endlagerung.

China1991 \ 3060 \ GranitChina untersucht drei mög-liche Endlagerstandorte in der Wüste Gobi. In 10 Jahren soll eine Entscheidung fallen. Ein Endlager gibt es nicht vor 2050.

taiwan1978 \ 3210 \ unklarDer von China beanspruchte Inselstaat lagert abgebrann-te Brennelemente an den AKW-Standorten. Nach An-gaben des nationalen Ener-gieversorgers laufen Vorer-kundungen für ein Endlager. Angesichts der Ein-China-Politik Pekings gibt es al lerdings auch Befürworter einer Entsorgung in der Volksrepublik.

Pakistan1972 \ 190 \ unklarAbgebrannte Brennelemente lagern an den AKW.

Iranab Ende 2011 \ 0 \ unklarDie abgebrannten Brenn-stäbe sollen an Russland zu-rückgehen.

Kasachstan1973 \ 10 \ unklarKasachstan hat sein letztes Atomkraftwerk 1999 abge-schaltet, plant allerdings den Wiedereinstieg. Das Land prüft, ob es ein Gesetz zur Endlagerung erlassen soll.

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Südafrika1984 \ 530 \ unklarAbgebrannte Brennelemente lagern an den AKW.

Quellen: IaEa; Nuclear Energy agency (OECD), World Nuclear associa tion, natio nale Be hörden. Berechnung der abfall-mengen: Österreichisches Ökologie-Institut für das Greenpeace- Magazin Deutschland.

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Die Bäume unD WirDer Anthropologe Jeremy Narby schreibt, wie Wälder den

Menschen geformt haben. Und umgekehrt. Und warum hiesige so viel ärmer sind als die der Tropen.

Von Jeremy Narby

Jeremy Narby wurde bekannt mit einer Forschungsarbeit in den Wäldern des Amazonas, die unter dem Titel «Die kosmische Schlange» 1995 in Genf erschienen ist und einen erstaunlichen Zusammenhang schafft zwi schen dem modernen westlichen und dem uralten schamanischen Wissen um das Grundprinzip des Lebens – um das, was wir in unseren Breiten mit DNS oder Genetik zu umschreiben versuchen. Der Anthropologe hat zwei Jahre bei den Ashaninka-Indianern gelebt und ihren Umgang mit den natür-lichen Ressourcen studiert. Bald kam die Schamanendroge Ayahuasca ins Spiel, und die klassische Feldforschung erlebte eine unerwartete Wendung. Unser Gespräch im letzten März handelte aber nicht von Halluzi nationen, sondern von Bäumen – 2011 ist das UNO-Jahr der Wälder.Narby lebt in einem alten Haus mit einem parkähnlichen Garten, in den er aber nicht viel Zeit zu investieren scheint. Egal, was er an Gartenkunst realisieren würde – verglichen mit dem tropischen Urwald im peruanischen Amazonasgebiet schiene es lächerlich. Davon handelt auch ein Teil seines Berichts: von der «armseligen» Biodiversität des 10 000 Jahre jungen europäischen Waldes gegenüber jener des hundert Millionen Jahre alten Regenwaldes.

Erstmals betrat ich den tropischen Urwald in Peru, im Tal von Pichis. Ich war begleitet von zwei Ashaninka-Indianern. Wir folgten der Schneise der Holzfäller und ihrer Bulldozer. Dann endete die Piste.

Was mir beim Eintritt in den Regenwald als Erstes den Atem verschlug, war die Grösse der Bäume. Ich musste sofort an die Kathe -drale von Rheims denken, aber ich stand in einer Kathedrale aus Pflanzen: die Höhe der Decke aus Baumwipfeln, die kühle Tempera-tur, die eigenartige Akustik, durch welche die Waldgeräusche gleich-zeitig reflektiert und geschluckt wurden … Damals sprach ich noch vom «Dschungel» und erwartete etwas Schreckliches. In Wirklichkeit umfing mich sofort eine schöne, hypnotische Stimmung. Ich war erleichtert, dass es nicht mehr so heiss und grell war wie «draussen». Ich öffnete die Augen und war hingerissen von der grenzenlosen Vielfalt der Natur. Es war, als befände ich mich in einem impressionis-tischen Gemälde. Keine Pflanze glich einer anderen. Ich befand mich, wie ich herausfinden sollte, im Epizentrum der Biodiversität: Auf einer einzigen Hektare gab es 330 Baumarten. Das war mehr als auf dem gesamten europäischen Kontinent.

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Die Paläontologen sagen, dass der Jura vor 150 Millionen Jahren den Bahamas glich, mit Stränden aus feinem Sand und Tempera -turen um dreissig Grad. Eine gute alte Zeit! Der Jura lag auf der heutigen Breite Marokkos, am Meer, und die Vegetation bestand aus primitiven Nadelbäumen. Die Biosphäre ist in einem ständigen Wandel: Die Kontinente driften, das Klima erwärmt sich oder kühlt ab, die Arten kommen und gehen. Da war noch nicht einmal eine Ahnung eines menschenähnlichen Wesens.

Wir Menschen gehören zu den Primaten, einer Ordnung der Säugetiere, die sich dem Leben in den Bäumen angepasst hatte. Die ersten bekannten Primaten hatten die Grösse eines kleinen Eich-hörnchens und lebten vor ungefähr 55 Millionen Jahren. In jenen Zeiten waren die Dinosaurier schon verschwunden und die Erde war warm und feucht und mit riesigen Wäldern bedeckt.

Es lebten auch andere Säugetiere auf dem Boden, und einige wurden gross und gefährlich. Aber in den Baumwipfeln übernahmen die Primaten die Herrschaft. Die Bäume schützten sie vor den Gefahren am Boden und ernährten sie. Im Lauf der Zeit passten sie ihren Körper dem Leben in den Bäumen an: Sie entwickelten ein vertikales Rückgrat, das lang und biegsam ist; Schulterblätter für eine weite Öffnung der Arme; verlängerte Gliedmassen, bewegliche Gelenke und an den Händen drehbare Daumen; lange und sensible Finger, die schnell und präzise nach Ästen greifen können; und Nägel statt Krallen, was eine grössere Sensibilität erlaubt.

Primaten haben ihre Augen auf der Vorderseite statt auf der Seite des Kopfes, sodass sie Reliefs präzise abschätzen können: Für Tiere, die von Ast zu Ast springen, ist es nötig, Distanzen genau zu erfassen. So hat sich unsere dreidimensionale Sicht entwickelt. Ein Vierbeiner am Boden bewegt sich in zwei, ein Primat in drei Dimensionen. Auf Bäumen zu leben, ist komplexer und gefährlicher, es schärft die Sinne und macht wachsam. Deshalb haben Primaten im Vergleich zu ihrem Körper grosse Gehirne.

Die ersten menschenähnlichen Affen sind vor etwa 25 Millionen Jahren in Afrika aufgetaucht. Einige von ihnen fingen an, sich unterhalb der Äste fortzubewegen, an den Armen hängend, mit dem Körper in der Vertikalen. Das war der Beginn des Gangs auf zwei Beinen. Als Afrika einige Millionen Jahre später austrocknete und die feuchten Wälder der Savanne Platz machten, wagten sich gewisse Primaten auf den Boden. Die Anfänge des aufrechten Gangs bleiben mysteriös. Aber es waren die ersten Schritte, die uns von den Bäumen entfernten. Alle heutigen Primaten wie Gorillas und Bonobos können auf zwei Füssen gehen.

Die grossen Tiere lebten am Boden: Hyänen, Löwen und Säbel-zahntiger. Da war es nützlich, auf Bäume klettern zu können. Die ersten Arten des Homo kletterten noch immer auf Bäume, um Früch-

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te zu pflücken, Honig zu sammeln oder Schutz zu suchen. Und die Bäume blieben wichtig im Alltag für die Herstellung von Waffen und Werkzeugen. Eine der menschlichen Eigenarten ist das Feuerma-chen: Das Holz der Bäume wärmt uns seit unseren Anfängen.

Dann, vor 200 000 Jahren, durchtrennte der moderne Mensch, Homo sapiens sapiens, die Nabelschnur, die ihn mit den Bäumen ver-band. Er fand neue Möglichkeiten, sich zu ernähren und zu schützen. Erst vor 500 bis 600 Generationen haben wir angefangen, Bäume durch eigene Kulturen zu ersetzen. Indem wir Landwirte wurden, entwickelten wir uns zu Baumjägern.

Vor 20 000 Jahren gab es hier in der Schweiz keine Wälder. Es herrschte die letzte grosse Eiszeit. An bestimmten Stellen des hie-sigen Hochplateaus lag eine 300 Meter dicke Eisschicht. Es gab sehr wenige Bäume. Die eisfreien Orte waren Mammutsteppen: kalt, trocken, von Gras bedeckt, mit einigen Wäldchen aus Zwergbirken. Das Eis in Europa fing erst vor 16 000 Jahren an zu schmelzen. Nach und nach kehrten die Laubbäume, die Bäume mit fallendem Laub, aus ihrem Exil im Mittleren Osten zurück und breiteten sich nach Norden aus. Dank der Klimaerwärmung wuchsen die heutigen Wäl-der heran. Zunächst kamen die mediterranen Olivenbäume und Ei-chen zurück, dann Wacholder, Weiden und Birken. Die Laubbäume rückten mit einer Geschwindigkeit von rund einem Kilometer im Jahr nach Norden vor, vom Mittelmeer bis nach Skandinavien. Der hie-sige Wald ist also sehr jung, nicht mehr als 10 000 Jahre alt.

Im Vergleich dazu wurde die Entwicklung des Amazonaswaldes seit mindestens 65 Millionen Jahren nicht mehr durch Eiszeiten oder andere traumatische Ereignisse unterbrochen. Im Amazonasge-biet hat die stupende Vielfalt des Lebens mindestens 6000-mal mehr Zeit gehabt, sich zu entwickeln. Wer also den Wald wirklich ver-stehen will, muss sich mit dem Tropenwald vertraut machen.

Vor 10 000 Jahren erzeugte der junge Wald in Europa Böden, die sich für die Landwirtschaft und die Viehzucht eigneten. Das gefallene Laub verwandelte sich in Humus. Vor 8000 Jahren stand alles bereit, und der europäische Wald glich dem heutigen. Dann kamen vor etwa 7000 Jahren die ackerbauenden Völker aus dem Orient und begannen mit Steinäxten zu entwalden. Dieser Prozess wurde durch die Erfindung von Metalläxten vor 4000 Jahren beschleunigt. Die unerbittliche Entwaldung Europas hat sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fortgesetzt.

Das englische forest (Wald) kommt vom lateinischen foris, was aussen heisst, ausserhalb der menschlichen Welt. Die europäischen Sprachen trennen das Menschliche von der Natur und insbesondere vom Wald. Von der Kultur wird erwartet, dass sie uns von der Natur unterscheidet. Aber der erste Sinn des Wortes «Kultur» ist das «Tun, die Erde zu bebauen». Davon zeugt der Begriff der «Agrikultur».

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Und man kann den Boden nicht bebauen, ohne ihn zuvor gerodet zu haben. Kultur setzt also Abholzung voraus: Wir haben unsere Ge-sell schaften und Kulturen in Opposition zu den Bäumen gebaut. Das lateinische Wort für Wald ist übrigens silva, das in vielen Sprachen, auch in französisch, dem Wort wild zugrunde liegt (sauvage, savage, ital. selvatico).

Aber das Leben ist voller Paradoxe, und die Menschen haben die Bäume angebetet, während sie sie geschlagen haben. Die Bäume stehen im Mittelpunkt unzähliger Kosmologien: Man betrachte nur die Genesis, Kapitel 2 und 3, oder den Baum des Lebens, des Wissens um Gut und Böse in der Mitte des Gartens Eden: Seine Früchte öffneten die Augen der ersten Menschen und erlaubten es ihnen, das Leben wie Götter zu betrachten.

Weil ein Baum Wurzeln hat, die in den Boden eintauchen, und Äste, die in den Himmel reichen, ist er das universale Symbol für den Austausch zwischen Erde und Himmel. Tatsächlich ist der Baum der Welt ein Synonym für die Achse der Welt (axis mundi): Die kosmische Kette der Kelten zeigt das ebenso wie die Esche Yggdrasil in Skandinavien, der Olivenbaum im islamischen Orient und der Baum von Bodhi, unter dem Buddha Erleuchtung erlangte.

Die Bäume verlieren ihre Blätter und verwerten sie wieder. Sie symbolisieren den Kreis von Leben und Tod. Bäume haben ein langes Leben: Die meisten überdauern Jahrhunderte, einige leben länger als tausend Jahre und erlangen sogar eine Form der Unsterblichkeit über die Triebe, die sie setzen. Die Bäume befehlen die Zeit.

Die Mehrzahl der Bäume sind keine Einzelgänger, sondern siedeln in Kolonien. Aber ihre Knospen sind sozusagen eigenständige Pflanzen. Man kann einen Baum teilen, ohne dass er stirbt, was im Widerspruch steht zum Konzept des Individuums. Der Baum ist ein zwiespältiges, ein zugleich einzelnes und kollektives Wesen. Von allen Lebewesen sind die Bäume die grössten, die schwersten, die am längsten leben und sich – obwohl am Boden festgemacht – den Wolken am meisten nähern.

Wir pflegen eine Hassliebe zu den Bäumen. In junger Zeit haben wir begonnen, sie in kontinentalen Dimensionen umzulegen – während wir fortfuhren, sie zu verehren. Darin steckt eine vater- oder muttermörderische Komponente. Der Homo sapiens hat erst seine Nabelschnur zu den Bäumen zerschnitten, dann schnitt er die Bäume selbst ab. Glücklicherweise ist es noch nicht zu spät und wir haben noch nicht alle Bäume des Planeten gefällt. Die Bäume haben uns geformt. Und sie erneuern die Luft, die wir atmen. Es ist sehr wahr-scheinlich, dass wir ohne sie nicht auskommen und dass eine Welt ohne Bäume eine Welt ohne uns wäre.

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China intensiviert seine Industrialisierung ohne Rücksicht

auf Verluste. Eine Auswirkung: Wo früher Wasser war, findet man vielerorts nur noch eine krank machende Brühe.

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Gesundes Wasser wird zur Mangelware, beson-ders in China und Südostasien, wo die oft schlecht kontrollierte Industrie fatale Folgen für Mensch und Umwelt bewirkt. Eine internatio-nale Greenpeace-Studie do kumentiert, wie Flüs-se mit ihren Anwohnern zugrunde gehen, wenn das Malheur nicht gestoppt wird.

In üblem Zustand ist etwa der Yangtse-Fluss in China. In seinem Umfeld leben 400 Millionen Men schen und hier sind auch die Hälfte aller Fabriken des Landes ange siedelt. Die gemessene Schadstoffkonzentration wirkt sich bis in die Ostchinesische See aus. Die Einwohner vieler Dörfer sind krank, sie leiden an Krebs. Was den Menschen in fast 500 inoffi ziell regis trierten «Krebsdörfern» zusetzt, ist noch nicht er-forscht – giftige Chemikalien aus Fabriken mit «Dreck produktion» sind sehr wahrscheinlich.

Die Studie dokumentiert auch Fälle von Dreckproduktion aus dem Norden, die dem Süden zu denken geben sollten. Umweltsa-nierungen kosten oft ein Hun dertfaches dessen, was die Dreckproduktion eingebracht hat. Und vielerorts fehlt das Geld. Fazit der Studie: Wo kein Gift ist, entsteht kein Schaden.

Die Studie «hidden Consequences of Water Pollution» (Die unsicht baren Folgen von Wasser-verschmutzung) ist der auftakt der weltweiten, sorgfältig recherchierten Greenpeace-Kampagne für sauberes Wasser. Unter www.greenpeace.org finden Sie die englische Online-Version mit Fotos und Interviews betroffener Menschen.

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1 Ein Greenpeace-Kampagnenmitglied entnimmt einem ver-dreckten Fluss bei Dadun in der Stadt Xintang Wasserproben. Die Gegend ist stark belastet mit Schadstoffen aus der hier vor-herrschenden textilindustrie. Greenpeace hat die auswir-kungen der Kontaminierung auf die Bevölkerung dokumentiert.2 aus dem Fluss bei yanglingang wird garantiert nichts Gesun-des geangelt: Die Fischer der Gegend sind umgeben von sanie-rungsbedürftiger Schwerindustrie.3 Ein Kanal der Stadt Gurao in der Provinz Shantou ist derart zugemüllt, dass tie risches leben darin praktisch unmöglich ist. Die Menschen sind weitum gefährdet.4 Schülerinnen in Gurao radeln nach hause und haben trotz vorgehaltener hand keine Chance, sich gegen den Smog zu schützen.5 Die Papiermühle am yangtse bei yanglingang ist das grosse Ärgernis der lokalen Fischer: Die Netze sind ständig von schlei-migem abfall verkleistert.

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«Mit fünf lernte ich, für das Bügeleisen meiner Mutter Holzkohle zu machen. Später war ich bis sieben Monate im Jahr in den Wäldern der Ab-ruzzen unterwegs, um Holz zu schlagen. Mit dem Material fer tigte ich Holzschuhe, das schlechte-re verkaufte ich als Brennmaterial. Ich hatte mir eine Hütte gebaut, aus eigener Kraft, fünf Geh-stunden vom nächsten Dorf entfernt.

Auch heute arbeite ich nur mit der Axt, habe wie beim Holzen keine moderne Technik zur Verfügung.

Bäume fällt man im Winter, wenn der Saft nied rig steht, und immer dann, wenn der Mond abnimmt. Jeden Baum lasse ich im Wald liegen, bis die Feuchtigkeit raus ist. Würde das Holz in dieser Zeit blau, wäre das ein Zeichen von Schimmel. Gute Stücke für den Instrumenten-bau lagert man nach dem Trocknen bis 20 Jahre.

Seit 50 Jahren lebe ich im Jura, räume die Wälder auf, lichte sie aus, wenn die Stämme zu dicht stehen. Ich bin meist allein unterwegs, höre oft tagelang nur, was mir die Natur sagt. Wenn ich Rinde, Äste und Wurzeln betrachte, weiss ich sofort, was ein perfekter Baum ist. In unserer Gegend im Jura gibt es Bäume mit sehr trockenem Kern. Wasser ist rar, oft sind die Wurzeln bis 100 Meter lang, um in den Kalk-böden an genügend Feuchtigkeit zu kommen. Dieses Holz, das pro Jahr höchstens um Kopf-grösse wachsen sollte, eignet sich gut für Geigen und Gi tarren. Allerdings sollten die Stämme möglichst wenig Verästelungen aufweisen.

Mein Respekt vor den Bäumen ist gross. Im letzten November brachten wir einen zu Boden, der sicher 800 Jahre alt war. Was ist dagegen unser Leben? Für Bäume gelten völlig andere Zeitbegriffe. Je älter sie werden, desto mehr ver-feinert sich ihre Struktur. Um die Jahresringe erkennen zu können, braucht man irgendwann eine Lupe. Ich und die Bäume – das ist eine Einheit, die ich nie missen möchte. Der Wald ist mein Zuhause, meine Welt.»Über den Waldmenschen Pellegrini ist von anne- lise Vullioud das Buch «Der Baumpflücker» sowie eine DVD erschienen (auf Französisch). Beides zusammen kann für 79 Franken bei der autorin bestellt werden: [email protected].

lorenzo Pellegrini durch-streift seit mehr als 50 Jahren die Wälder im Vallée de Joux und kennt das beste holz für Instrumentenbauer. Die Bäume erzählen ihm mehr als die Menschen.

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von Sarah Chevalier

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«Das ist Doch mein leBen!»

Mit Patrick hohmann, Gründer des Biotextilpioniers Remei, sprach

hannes Grassegger

Ein Visionär ist er, aber kein träumer. Der Remei-Patron Patrick hohmann gilt als ethischer Entrepreneur, einer, für den sich Bio und Business nicht gegenseitig ausschliessen.

Er ist ein «Textiler» der alten Schule. Ein « Pa tron», dessen Sohn in der eigenen Firma arbeitet. Doch 1990, nach Jahrzehnten in der konventionellen Textilindustrie, nach einer Kindheit als Sohn eines Textilhändler in Ägyp-ten und im Sudan, begann der Unternehmer Patrick Hohmann etwas, wofür er damals aus-gelacht wurde. Hohmann wurde grün. Sehr so-gar. Seit 2005 produziert sein Betrieb nur noch Bioware. Ein hartes Geschäft, voller Tücken, Betrüger, Preisschwankungen. Doch Hohmann liebt das Ringen. Man müsse Werte haben in diesem Geschäft, sagt der Firmengründer, der mittlerweile an Partizipation glaubt und eine ganz eigene Unternehmensethik entwickelt hat.

Hannes Grassegger: Sie verrieten mir kürzlich bei einer Besichtigung Ihrer Biobaumwoll­felder in Indien, dass sich der Anbau finan­ziell kaum mehr lohne. Doch Sie hätten ein Versprechen gegeben, spürten Verant­wortung. Wurde aus dem Geschäftsmann ein Visionär?Patrick Hohmann: Auch als reiner Geschäfts-mann war ich Visionär. Ich wollte viel verdienen,

Karriere machen. Aber wie das Leben so spielt: Man begegnet Menschen, hat Familie, Kinder. Mit fortlaufendem Alter gehen die Augen im-mer weiter auf. Mit 40 Jahren dachte ich: Diese Wirtschaftsform, die ich bisher erlebt habe, ist doch einfach Unfug. Ich sah, wie die Textil-industrie sich änderte. Da wollte ich einen Ser viceanbieter gründen, der allen nützt.Wie viele Menschen arbeiten im Produk­tionsnetzwerk, das Remei betreut?

Es sind 54 Betriebe, die wir koordinieren, und damit etwa achtzig- bis hunderttausend Menschen.Ursprünglich war Remei ein konventionel­ler Betrieb. Wie kamen Sie auf Bio?

Da lag eine Werbung des WWF auf mei-nem Tisch, in der für handgepflückte Baumwolle geworben wurde. Etwa 1990. Das suggerierte, handgepflückt sei etwas Gutes. Was auch stimmte, weil nicht durch Entlaubungsmittel ge-erntet wurde. Ich sagte mir aber: Wenn schon, dann richtig!

Eigentlich war das Pflücken von Hand nur in Amerika etwas Besonderes. Siebzig Prozent der Baumwolle wurden ja handgepflückt. Ich ging etwas später zu meinen Spinnereien in Indien und fragte meine Zulieferer, woher denn eigent-lich ihre Baumwolle komme. «Von weit her.» Da fragte ich: «Warum nicht von hier, vor der Haus-tür? Warum nehmen wir nicht Bio?» Ich wurde erst einmal ausgelacht. Damals gab es noch keine Bio-Bewegung. Neun Monate später stellte ich die gleiche Frage dem Spinner der Maikaal-Spin-nerei. Und der sagte: «Lass uns das machen.» Hinter Remei stehen Sie. Sie sagten einmal, Sie seien ein Patron. Ihr Unternehmen scheint kein revolutionäres Modell zu sein.

Fast alle Mitarbeiter sind beteiligt (hält ein Aktionärsregister hoch). Ein Unternehmen mit Namenaktien! Habe ich wirklich Patron gesagt? Nun, ich führe relativ breit, versuche, ein guter Patron zu sein, und frage meine Mitarbeiter. Ich koordiniere ein Führungsteam mit sechs Leu-ten. Mit mir und meinem Sohn sind nur zwei Männer in der Führungsetage. Ein guter Patron? Was sind denn Ihre unter­nehmerischen Werte?

Ich möchte Qualität und Preisgerechtig-keit. Qualität heisst, wirklich das Beste aus dem Produkt herauszuholen. Preisgerechtigkeit heisst, so zu arbeiten, dass jeder, der am Geschäft beteiligt ist, sich auch damit entwickeln kann

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und seinen Teil kriegt. Nicht einer sehr viel und der andere sehr wenig.

Wenn man wie ich mit Tausenden Partnern zusammenarbeitet, kann man das nicht eins zu eins lösen, sondern muss Regeln aufstellen. Darin liegt die Schwierigkeit: Regeln so auf-zustellen, die Mitarbeiter so zu sensibilisieren, dass sie diese Regeln anwenden wollen. Das ist der Schlüssel. Dass ich eine Unternehmung schaffen möchte, in der diese Regeln lebendig, in Bewegung bleiben. Wir überlegen uns bei Zahlen in den Bilanzen: Wie wirkt sich unser Handeln auf die Bauern aus? Sie denken für andere mit?

Ja! Für Farmer und für Endkunden.Sie sagen, Ihre heutige Unternehmensethik besteht darin, für Zulieferer wie Abnehmer so nützlich zu werden, dass Remei einen Wert darstellt und nicht nur Kosten.

Ich glaube nicht, dass Ethik und Wirtschaft sich widersprechen. Die unethische Wirtschaft läuft aus dem Ruder. Die ethische Wirtschaft balanciert aus. Zu ethisch ist nicht wirtschaftlich. Zu unethisch ist nur noch wirtschaftlich. Die Balance, die man zwischen Angebot und Nach-

frage schaffen muss, ist etwas Verbindendes, Wertschaffendes. Daraus soll der Ertrag unserer Firma kommen. Der Nutzen unseres Unter-nehmens für die Kunden besteht darin, dass die Partner etwas mitnehmen können.Sie experimentieren mit biodynamischen Methoden. Was bedeutet Ihnen Anthropo­sophismus?

Im Anthroposophismus fand ich Gedanken, die eine überkulturelle Zusammenarbeit ermög-lichen. Etwa, dass jeder frei ist, seiner Denk-welt zu folgen. Und jeder ist dem Anderen zuge-wandt, es hat keinen Sinn, Wirtschaft nur für sich zu machen, sondern es ist immer auch für den Anderen. Drittens: Vor dem Gesetz ist jeder gleich, es gibt Regeln, die für alle gelten. Hält man sich daran, kann man weltweit wirtschaften, ohne zu unterdrücken oder Regeln aufzuzwän-gen. Wir bieten Biodynamisch als Option, zwin-gen das aber den Bauern nicht auf. 2009 begann eine Krise in der Biocotton­Branche. Zu allem Unglück traf Sie auch noch ein schwerer gesundheitlicher Rück­schlag. Wie fanden Sie die Kraft, wieder in die Firma zurückzukehren?

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Patrick hohmann mit indischen Feldarbeitern: «Der Bioanbau bedeutet ungeheures Ringen. Das Vorspie-len von Einfachheit — das macht die Gentechnik».

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alles ist handarbeit: «Ich kann mir mein leben nicht vorstellen ohne dieses Ringen um Bio oder eigent-lich noch um viel mehr — um eine soziale Wirtschaft. Werte sind eminent wichtig.»

Baumwollernte im indischen Kasrawad: «Ich glaube nicht, dass Ethik und Wirtschaft sich widersprechen. Die unethische Wirtschaft läuft aus dem Ruder, die ethische balanciert aus.»

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Das ist doch mein Leben! Ich kann es mir nicht vorstellen ohne dieses Ringen um Bio oder eigentlich noch um viel mehr: um eine soziale Wirtschaft. Ich will das hinkriegen, wirtschaftlich und nachhaltig zu arbeiten. Ich möchte, auch wenn das nicht immer möglich scheint, dass die Menschen, die mit mir zusammen gearbeitet haben, einen Vorteil aus dieser Zusammen arbeit ziehen können. Ich habe gesehen, das ist noch nicht fertig. Das muss auf viel breitere Schul-tern, auf viel mehr Menschen, nicht einfach auf einen Patron gestellt werden. Diese Ideen des partizipativen Zusammenarbeitens, das müssen wir wirklich noch weitertragen, das muss For-men finden über eine lange Kette, so dass der Bauer bis zum Retailer durchkommt. Das alte, horizontale Wettbewerbs modell Weber gegen Weber ist tot. Wie wichtig ist es, an seinen Werten festzuhalten, wenn man in der Biobranche arbeitet?

Ich glaube, Werte sind eminent wichtig. Wenn es um Werte, um Glauben geht, wie kann dann Kritik an Bio – etwa aus den Medien – eine produktive Rolle ein­nehmen?

Ich bin kein Besserwisser. Und ich habe manchmal Mühe mit Kritik. Aber ich nehme das auf und denke immer: Es könnte etwas dran sein. Kritik wird bei uns hoch angesehen. Wir versuchen, sie für unsere Performance zu nutzen. So war das auch, als 2010 Berichte über gentechbelastete Bioware erschienen. Darauf haben wir unser Kontrollsystem noch mal ver-schärft. Und wir haben festgestellt: Wir müssen noch viel besser werden, um Gentech die Stirn bieten zu können. Sie haben in Ihrem Jahresbericht bereits 2009 auf schwere Unregelmässigkeiten hingewiesen. So ehrlich wie bei Hohmann war Bio vordem nie. Was hat es Ihnen ge­bracht?

Es ist mir wurscht, was die anderen dazu sagen. Wer die Wahrheit sagt, muss sich nachher nicht daran erinnern, was er gesagt hat. Der Bioanbau ist keine einfache Sache. Er bedeutet ungeheures Ringen. Das Vorspielen von Ein-fachheit, das macht die Gentechnik. Das ist nicht lebendig. Wenn man lebendig arbeitet, hat man Widerstände. Wenn man will, dass der Andere teilnehmen kann, muss man ihm die Wahrheit erzählen.

Nun hat Remei – vielleicht aufgrund ihrer aufwendigen Gentechkontrollen – Tausende Farmer verloren. Nehmen Sie die Gentech­nik vielleicht zu ernst?

Die Gentechnik kann man gar nicht zu ernst nehmen. Sie ist empirisch gedachter Anbau. Zuerst kam die grüne Revolution, dann gab es zu viele Unkräuter. Man vernichtete sie und damit starben die nützlichen Insekten aus. Also muss-te man die Pflanzen spritzen. Dann haben sich die Schädlinge unter den Blättern verteilt. Dann musste man die ganze Pflanze vergiften. Gen-tech: Es gibt keine Ruhe in diesem System. Auch sozial nicht: Erst haben sich die Bauern mit uns entschuldet. Dann kehrten sie zur Gentechnik zurück – und haben wieder Schulden. Wir müssen die Balance finden. Das geht nicht, indem man ganze Flächen vergiftet. Wir müssen anders denken! Bioanbau setzt Kräfte ins richtige Ver-hältnis zueinander. Ich bin zu alt, um noch an die Gentechnik glauben zu können. Ich sehe zu viele Widersprüchlichkeiten darin. Sie haben geringere Profite durch den Mehraufwand, den Sie für die ethischen Praktiken in Kauf nehmen.

Es geht uns gut, vor allem wenn ich mich mit anderen Textilunternehmen vergleiche. Wir sind in sehr schwarzen Zahlen. Doch es geht nicht nur um Profit. Profit ist nur eine Notwen-digkeit. Wir müssen gut verdienen, um sozial zu sein. Wir wollen gut verdienen und haben da unsere Ziele, aber wir wollen mehr.Der textilhersteller Remei aus Rotkreuz nahe luzern ist ein klingender Name in der Biotextilwelt. Rund 7000 Farmer in Indien und tansania produzieren Baumwolle im auftrag von Remei, der sich als Netzwerkmanager versteht. Durch ein vielstufiges Produktionssystem gelangen Remei-Kleider schliesslich in die Regale von Monoprix, Coop und Mammut. auch Greenpeace setzt auf Remei.

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Brasilien, Das ist Doch

aBsurD»Mit Martin aebi sprach

Claudio De Boni

Der anbau von Soja in den Produzentenländern ist alles andere als nachhaltig: Monokulturen, hoher Pestizid einsatz, Biodiversi-tätsverluste, Bodenerosion, Gewässer verschmutzung und die direkte Konkurrenz zur Ernährung der lokalen Bevölkerung sind die tra-gischen Folgen.

Martin Aebi (35) und seine Frau Gudrun (30) kommen aus einer Bauernfamilie und haben drei Kinder. Im hügeligen Emmental halten sie Kühe und Schweine. Die Kühe wollen sie dieses Jahr auf Grasfütterung umstellen, denn Soja-importe aus Übersee für Futtermittel sind ökolo-gisch und sozial problematisch. Einfach sei die Umstellung in der Praxis jedoch nicht.

Greenpeace: Martin Aebi, Sie halten 16 Kühe. Was fressen die und wie viel Milch geben sie?

Martin Aebi: Im Sommer grasen die Kühe auf der Weide. Im Winter fressen sie Heu und Kraftfutter. Eine Kuh gibt etwa 6000 Liter Milch pro Jahr, wobei die Menge von der Rasse abhän-gig ist. Wir könnten vom Platz her 19 Kühe hal-ten, erreichen unser Milchlieferrecht aber schon mit 16.Künftig wollen Sie Ihren Kühen möglichst nur noch Gras verfüttern. Wieso das?

Ausschlaggebend war ein «Kassensturz»-Beitrag über den Schweizer Kraftfutterimport aus Übersee. Ein wichtiger Bestandteil von Kraft-

futter ist Soja, das in immer grösseren Mengen importiert wird. Dass das problematisch ist, war mir schon aus der Landwirtschafts schule be-kannt. Allerdings hielt ich bisher einen Verzicht auf Kraftfutter für wirtschaftlich nicht machbar.Ist reine Grasfütterung ein Konzept, das bei Bauern in Vergessenheit geraten ist?

Ja. Der Einsatz von Kraftfutter ist seit eini-gen Jahren Standard. Die meisten Bauern wollen primär eine hohe Milchleistung pro Kuh erzielen. Das ist in den Köpfen drin und er-schwert den Umstieg auf Grasfütterung. Wenn die durchschnittliche Milchmenge pro Kuh sinkt, wird man schräg angeschaut. Mein Ziel ist es, möglichst viel Milch pro Hektare Land zu produzieren. Das ist eine sinnvollere Messein-heit, die aber momentan leider noch nicht ho noriert wird.Welches sind denn die grössten Hindernisse bei der Umstellung?

So eine Umstellung gelingt nicht von heute auf morgen. Das Schwierigste ist der fehlende Erfahrungsaustausch. Es gibt fast keine gesicher-ten Werte aus der Praxis darüber, wie man mit Kraftfutter hochgezüchtete Kühe wieder auf eine lokale Fütterung umstellen kann. Anderseits ist es schwierig einzuschätzen, welche Rassen wie auf die Futterumstellung reagieren und wie viel Milch sie dann noch geben. Das ist aber ent-scheidend, denn als fünfköpfige Bauernfamilie muss man genau kalkulieren. Grasmilch müsste also sicher mehr kosten als konventionell mit Kraftfutter hergestellte Milch. Qualität hat ihren Preis.Wie gross sind die mengenmässigen Einbussen in der Milchproduktion nach der Umstellung?

Wir rechnen damit, dass unsere Kühe im Schnitt 20 bis 25 Prozent weniger Milch geben werden. Ob wir diesen Minderertrag mit den Einsparungen beim Futtermittelkauf kompensie-ren können, ist fraglich. Denn mehr Heu pro-duzieren bedeutet auch mehr Aufwand. Ausser-dem muss man die Zucht umstellen, sowohl was die Kreuzung der Rassen als auch was den Rhythmus der Geburten angeht. Vieles ist un berechenbar, aber immerhin arbeiten wir mit der Natur.Sie gehen mit der Umstellung freiwillig ein Risiko ein. Ist die Sorge um die ökologischen und sozialen Konsequenzen der Soja­produktion in Übersee Ihr einziger Antrieb?

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Nein. Ich verspreche mir damit auch eine bessere Gesundheit der Kühe. Zudem ist erwie-sen, dass Milch aus Grasfütterung bessere Nähr-werte aufweist als konventionell produzierte Milch. Schliesslich ist die Grasfütterung auch schlicht sinnvoll: Kühe sind Wiederkäuer, und wir können Milch mit Futter aus unserer Um ge-bung produzieren. Wir stellen in unserer Ge-nossenschaftskäserei Emmentaler und andere lokale Spezialitäten her, zum Beispiel Raclette oder einen feinen, würzigen Käse mit dem Namen «Haguhans». Das ist eine Figur aus Gott-helfs «Ueli der Knecht». Haguhans aus Brasi-lien, das ist doch absurd.Während des Interviews mit Martin aebi bekam die Kuh helga ihr drittes Kalb. aebis suchten einen Namen, der mit h beginnt, und entschieden sich für hina — ein tipp von Greenpeace, denn so heisst unsere Bildredaktorin, die gerade Mutterschafts-urlaub geniesst.

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Wir Schweizer konsumieren zu viel Fleisch, Milch-produkte und Eier. Dafür ist ein grosser Nutztierbe-stand nötig, was zu überdüngten Böden und Gewässern, zu einem Verlust der Pflanzen- und tiervielfalt sowie zu treibhausgasemissionen führt. Es braucht fast noch einmal die gesamte acker-fläche der Schweiz (275 000 ha) im ausland, um den Futtermittelbedarf von Kühen, Schweinen und hühnern zu decken. Mittlerweile importieren wir rund 300 000 tonnen Soja pro Jahr, also etwa 800 tonnen pro tag. Gemäss Statistik hat sich die Menge seit 1990 verzehnfacht! Ein Greenpeace-Bericht deckt auf, weshalb immer mehr Soja verfüttert wird und wie die Im-portmenge reduziert werden könnte. So haben die ausdehnung der Milch- und Geflügelproduktion, die leistungssteigernde Optimierung der Nutztier-fütterung, sinkende Importpreise und das 2001 erlassene tiermehlverbot zu einem wachsenden Sojafutterberg geführt. aber auch finanzielle anreize, wie zum Beispiel die Verkäsungszulage oder die hohen tierbeiträge, wirken sich auf die verfütterte Sojamenge aus. Geschätzte 41% der importierten Soja wird an Milchkühe, Kälber und Rinder verfüttert (29% an Schweine, 26% an Ge-flügel). Kühe könnten ihren Nährstoffbedarf aber praktisch vollständig aus einheimischem Weide-gras, aus heu und Gras-Silage decken.

Soja wird vor allem an Kühe verfüttert, die auf eine hohe Milchleistung hin gezüchtet werden. In der Rindviehfütterung liegt damit das grösste Poten-zial zur Reduktion von Importsoja — zum Beispiel mit einer konsequenten ausrichtung auf die einheimische Raufutterbasis: Wiesen und Weiden. Das ist gut für die Umwelt, zudem ist es tierge-recht und vermindert die Überproduktion von Milch und Fleisch. Darüber hinaus weisen Milch und Fleisch von tieren, die nur mit Wiesenfutter ernährt werden, höhere Gehalte an mehrfach ungesät-tigten Fettsäuren auf. Greenpeace fordert deshalb eine an die lokalen Verhältnisse angepasste Milch- und Fleischproduktion. Zudem müssen auf politischer Ebene anreize für eine ökologischere Rindviehfütterung geschaffen werden. Und der Markt muss bereit sein, diese Produkte zu fördern. Während Bioproduzenten bereits reduzierte Mengen Kraftfutter an Kühe verfüttern, bemüht sich auch die label-Organi-sation IP- Suisse um die Einführung von Grasmilch aus grasbasierter Fütterung. Greenpeace begrüsst solche Initiativen und setzt sich dafür ein, dass eine möglichst kraftfutterfreie Rindvieh-fütterung wieder zum Standard wird.

Greenpeace-Bericht zum Downloaden unter: greenpeace.ch/soja

hintergründe und ausblicke

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NNach ansicht der Wissenschaftler hat das leben in den Weltmeeren vor rund drei Milliarden Jahren begonnen.

Die durchschnittliche Ozeantiefe beträgt etwa 3,7 Kilometer.

Der Marianen graben ist die tiefste Senke der Weltmeere. Sein tiefster Punkt liegt mehr als 11 Kilometer unter der Meeres ober fläche.

Der Mount Everest (8847 m) ist nicht der höchste Berg der Erde. Diese Ehre fällt dem Mauna Kea auf hawaii zu: Vom Meeresboden aus ragt er 10 200 Meter in die höhe.

tintenfische haben drei herzen.

Der Blauwal ist das grösste tier auf der Erde und übertrifft jeden einstigen Dinosaurier. Sein herz ist so gross wie ein VW Käfer.

an Geschichten über Meeresschlangen ist vielleicht doch etwas dran: Die Wesen waren aber keine Ungeheuer, sondern sehr seltene Fische. anlass zu

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horrorstorys gaben wahrscheinlich Sichtungen von Exemplaren des Riemenfischs (Regalectus glesne), des mit bis zu 15 Metern länge grössten Knochenfischs der Weltmeere.

Der Druck am tiefsten Punkt des Meeresgrundes entspricht demjenigen von 50 aufeinandergeschichteten Jumbo-Jets auf einen liegenden Menschen.

Obwohl Korallenriffe nur 0,5% des Meeresbodens bedecken, sind mehr als 90% aller Meeresarten direkt oder indirekt von ihnen abhängig.

Die antarktis umfasst gleich viel Eis wie der atlantische Ozean Wasser.

90% unserer Bestände von grossen Raubfischen sind verschwunden.

Der Begriff «arktis» (von arktos) stammt aus dem altgriechischen und bedeutet Bär.

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Das Modell der Rainbow Warrior III im Emp-fangsraum der Fassmer-Werft ist nicht zu über-sehen. Der grün lackierte Rumpf mit dem auf-gemalten Regenbogen, die fünf schneeweissen Segel und die ungewöhnliche Silhouette ziehen den Blick magisch an: Das neue Greenpeace-Schiff ist schon heute ein Star. Dabei hat die Werft viel grössere und teurere Schiffe gebaut, von denen sie ebenfalls Miniaturen besitzt. Doch die Juwelen unter Glas stehen in den hin-teren Korridoren des Unternehmens.

Fassmer ist eine vielseitige Werft. Sie baut Fähren, Vermessungs- und Forschungsschiffe, Rettungskreuzer, Luxusyachten und Hochsee-Patrouillenschiffe für Militär, Zoll und Küsten-wachen; komplizierte Konstruktionen für spe-zifische Aufgaben. In den Hallen an der Weser zwischen Bremerhaven und Bremen werden auch Rettungsboote hergestellt und Flügel und Verkleidungen für Offshore-Windkraftanlagen.

«Wir liegen im Zeitplan», sagt Uwe Lampe (52), einer der Projektleiter von Fassmer und verantwortlich für den Bau der Rainbow Warri-or III. «Das Schiff wird in der zweiten Junihälfte eingewassert.» Danach soll es während sechs

Wochen für die «Pier-Erprobung» vor der Werft am Quai liegen: In dieser hektischen Zeit testen die Ingenieure die Systeme und die Handwer-ker vollenden die Ausbauarbeiten. Gleichzeitig werden die riesigen Masten aufs Deck gestellt und die Segel mit ihren Rollanlagen eingebaut. Mitte September folgt eine zweiwöchige Erpro-bung auf dem Meer.

Genau genommen wird dies die zweite See-reise der Rainbow Warrior III sein. Das Schiff war schon im vergangenen November zwei Tage auf dem Meer. Damals wurde der stählerne Rumpf von einem Schlepper von Polen nach Bre-merhaven und die Weser hinauf zur Fassmer-Werft gezogen. Die rund 1100 Kilometer legte der Schleppverband in fünfzig Stunden zu-rück. Viel schneller wird auch das fertige Schiff nicht sein. Die Rainbow Warrior wog damals erst 320 Tonnen und bestand lediglich aus dem Stahlkasko, also den Teilen von Rumpf, Deck und Aufbauten, die aus Stahl sind: ein unfertiges Schiff, nur geschützt von der roten Grundierung.

Der Bau des Kaskos in der Maritim-Werft in Gdansk – einem Unternehmen, das sonst Con-tainerschiffe baut – dauerte ein halbes Jahr. Als

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Die GeBurt Der rainBoW Warrior iii in ihrer Werft

Von thomas Jucker

Üblicherweise zerschmettert die taufpatin eine Champagner-flasche am Rumpf. Dann wird das Schiff zu Wasser gelassen und läuft zu seiner ersten Seereise aus. Die Rainbow Warrior III aber hat ihre Jungfernfahrt schon hinter sich, obwohl sie noch längst nicht fertig gebaut ist. Und das ist nur eine von vielen Besonderheiten des faszinierenden neuen Green-peace-Flaggschiffs.

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Die Rainbow Warrior III verfügt unter anderem über 30 Kojen, einen helikopterlandeplatz, ein kleines Spital und einen Raum für abfalltrennung.

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Erstes schnitt ein computergesteuerter Plasma-cutter Hunderte von Teilen aus sechs bis fünf-zig Millimeter dicken Stahlplatten. Dann wurden die Stücke zu acht Sektionen zusammenge-schweisst. Und schliesslich setzten die Schiffbau-er diese vorfabrizierten Teile zu einem Rumpf mit Kiel, Deck und Teilen der Aufbauten zusam-men.

Die Vorarbeit dauerte ein JahrDie Arbeit der Fassmer-Werft hatte schon

viel früher begonnen. Gerd Leipold, damals Exe cutive Director von Greenpeace Internatio-nal, hatte den Bauvertrag am 2. Juli 2009 unter-zeichnet, worauf sich die Ingenieure sofort an die Arbeit machten. Die Zeichnungen des hol-ländischen Yachtdesigners Gerard Dijkstra, der die Rainbow Warrior III entwarf und entwickel-te, mussten in Computerprogramme übertragen werden, die später die Schneidmaschine steuer-ten. Die Ingenieure errechneten die Dicke jedes Bestandteils samt der zu erwartenden Belas-tung. Fast ein Jahr dauerte die minutiöse Vorar-beit, bei der jede Hydraulikleitung, jedes Strom-kabel, jede Wasserleitung sowie die Bestandtei-le des Maschinenraums und der Takelage auf den Bildschirmen Gestalt annahmen. Auch die dreissig Kojen, die Tische, die Toiletten und die Küche wurden ins virtuelle Schiff ein gebaut.

Die Rainbow Warrior III ist ein komplizier-tes Schiff. Nur wenige andere verfügen über einen Helikopterlandeplatz, was einen 3000-Liter-Tank für Flugbenzin nötig macht. Und auf kaum einem anderen Schiff findet man so viele

verschiedenartige Schlauchboote, die mit Krä-nen blitzschnell gewassert werden können. Die Liste der Spezialitäten ist lang: modernste Kommu nikationssysteme, mit denen Medien mitten auf dem Ozean mit Bildern belie fert wer-den können, ein Kampagnenbüro und ein Kon-ferenzraum für 50 Personen, ein kleines Hospi-tal, die ungewöhnliche Takelage und der elektrische Antrieb der Welle. Dazu kommen ein Stauraum für Schweissflaschen sowie Werk-stätten für Reparaturen an Schiff, Beibooten und Motoren. In einem Raum für die Abfalltren-nung stehen zwei Müllpressen sowie ein Gerät, das Glasflaschen zerkleinert.

Die RW III, wie sie auch genannt wird, ist ein richtiges Segelschiff und nicht bloss – wie ihre Vorgängerinnen – ein Fischkutter, dem Green-peace das Segeln beigebracht hat. Die neue Rain-bow Warrior, so hoffen die Seeleute bei Green-peace, wird neun Zehntel ihrer Fahrten unter Segel bewältigen und den Motor nur bei Flaute oder Notfällen einsetzen. Das Schiff wird ein exzel lenter Segler sein – dafür bürgt der Name seines holländischen Designers: Gerard Dijkstra & Partners haben viele weltberühmte Segel-yachten gezeichnet.

Um gute Segeleigenschaften zu erzielen, verfügt die Rainbow Warrior III über einen aero-dynamischen Kiel, der dem Rumpf einen Tief-gang von 5,1 Meter verleiht. Der wird mit 44 Ton-nen Blei gefüllt, die das Schiff aufrecht halten und den Druck der 1290 Quadratmeter Segelflä-che ausgleichen.

Auch das Blei steht auf der langen To-do-Liste, die bis zum Stapellauf abgearbeitet wer-den muss. Es wird in 1630 Barren à 27 Kilo-gramm von Hand in den Kiel gehievt. Im Kiel klafft deshalb an einer Seite eine grosse Öff-nung. Erst wenn das Blei eingefüllt ist, wird der Kielkasten zugeschweisst und mit Druckluft auf Dichtigkeit geprüft. Dass in Segelschiffen Blei verwendet wird, liegt an seiner Dichte und daran, dass Segelboote wie Stehaufmännchen einen tiefen Schwerpunkt brauchen. Beton etwa kommt als Ballast nicht in Frage: Er braucht zu viel Platz. Ein Kubikmeter wiegt 2,4 Tonnen, wogegen ein Kubikmeter Stahl bereits 7,9 Ton-nen schwer ist.

Ein Kubikmeter Blei dagegen wiegt 11,3 Tonnen! Das Metall wird deshalb als Ballast be-vorzugt, obwohl es sehr teuer ist. Bei einem Kielgewicht von 44 Tonnen läppern sich Kosten

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Die Rainbow Warrior IIIverfügt über abwassertanks, deren 60 000 liter in den häfen abgepumpt werden können.

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von 150 000 Franken zusammen. Blei ist ein Schwermetall, also giftig. Greenpeace nimmt das in Kauf. Blei kann dafür im Gegensatz zu Beton und anderen Ballastmaterialien fast end-los wiederverwertet werden.

Das Schiff erhält einen Green PassportDamit sind wir bei einer weiteren Spezialität

der Rainbow Warrior III: Greenpeace will, dass sein Flaggschiff das umweltfreundlichste seiner Art wird. Das hat seinen Preis und stellte den Innovationsgeist der Schiffbauer zusätzlich auf die Probe. Die RW III verfügt über Abwassertanks, deren 60 000 Liter in den Häfen abgepumpt werden können. Grau- (Abwasch- und Dusch-wasser) und Schwarzwasser (Fäkalien) werden in einer Bordanlage vorgeklärt, damit sie im Notfall auf dem offenen Meer ent sorgt werden können. Weitere Tanks fassen bis zu 2700 Liter Altöl sowie 3500 Liter Wasser aus der Bilge, dem tiefsten Punkt des Schiffsinnern. Dort sammeln sich nebst Kondenswasser auch ande-re Flüssigkeiten, die an Bord auslaufen.

Das Schiff wird einen Green Passport bezie-hungsweise einen Environmental Passport erhalten. So jedenfalls bezeichnete man bis vor kurzem die IHM-Richtlinien (Inventory of Hazardous Materials), die heute gültigen Nor-men des Germanischen Lloyd, der Klassifizie-rungsgesellschaft für Schiffe. Jeder Bestandteil des Schiffes wird in Tabellen erfasst, die seine Charakteristiken bezüglich neun ozonschädli-cher Substanzen sowie neun Schwermetallen verzeichnen. Die Idee ist, dass man beim späte-ren Verschrotten genau weiss, was wie rezyk-lierbar ist und wo sich das Material befindet. Diese IHM-Erfassung ist eine Sisyphusarbeit, denn während Gase wie das ozonschädliche Halon heute leicht ersetzbar sind, finden sich Schwermetalle auch in elektronischen Bestand-teilen wie Transistoren und Dioden. Und Elektronik gibt es auf einem Spezialschiff von 58 Metern Länge fast überall. Uwe Lampe, der zurückhaltende Projektleiter, seufzt leise: «Wir haben 160 Zulieferer und müssen von allen genaue Aufstellungen über die Substanzen in ihren Produkten anfordern.»

Wer die Halle betritt, in der die Rainbow Warrior III entsteht, wird von der Grösse des Schiffes fast erschlagen: Es wirkt gigantisch und füllt den Raum fast vollständig aus. Der Tief-gang von über fünf Metern verstärkt den Ein-

druck der Grösse noch. Die Wasserlinie, also jene Ebene, über der ein schwimmendes Schiff aus dem Wasser ragt, liegt zurzeit in über sechs Me-tern Höhe, weil Rumpf und Kiel auf den Roll-gestellen der Slipwagen stehen, auf denen das Schiff in die Halle gefahren wurde.

Besucher klettern neben dem Schiff Stock-werk um Stockwerk das Gerüst hoch und fühlen sich wie Ameisen. Beim Gang über das geräu-mige Deck stimmen dann die Proportionen wie-der. Hier ist eine stählerne, seefeste Tür, dort die von einer massiven Reling eingefasste Fläche, auf der später die Beiboote verstaut werden. Beim Steuerhaus sind die Fensteröffnungen noch nicht ausgeschnitten, damit sich das Alumi-nium bei den Schweissarbeiten nicht verzieht. Der Blick über das Seitendeck zum Bug offenbart schon deutlich den Charakter des Schiffes. Wer die Augen leicht zukneift, ahnt die riesigen Segel an den Masten und glaubt zu spüren, wie es sich eines Tages leicht neigen wird unter dem Druck der 50 Meter hohen Takelage.

Man könnte lange auf dem Deck stehen, die vielen Details betrachten und die Stimmung aufnehmen. Doch es ist 12 Uhr und Uwe Lampe folgt seinen Schiffbauern zum Mittagessen. Ein letzter Blick fällt auf das glänzende Modell im Empfangsraum der Werft. Durch die geöff-nete Glastüre weht eisige Luft. Grauer Himmel, schneidender Wind. Noch ist das Meer nicht in Sicht.

Die RWIII, wie sie auch genannt wird, ist ein richtiges Segelschiff und nicht bloss — wie ihre Vorgängerinnen — ein Fisch kutter, dem Greenpeace das Segeln beigebracht hat.

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Vielen Dank! Mit der hilfe zahlreicher Schweizer Spender innen und Spender kann Greenpeace Schweiz 1,4 Millionen Franken zur neuen Rainbow Warrior III beitragen, zur neuen heldin der Meere. Vergangenen herbst machten uns die Kosten für den Bau unseres neuen Flaggschiffs RWIII noch ratlos. Zu den 30 Millionen Gesamtkosten fehlten 17,5 Millionen: ein schwindel er regen der Betrag, auch für eine inter nationale Organisation mit eigener Flotte.Der aufruf an unsere Spenderinnen und Spender — in der Schweiz und in der Welt — hat ein kleines Wunder bewirkt.

Bis auf 5 Millionen Franken ist das Geld beisammen! Vielen Menschen ist das Segelschiff, das zurzeit im Bau ist, bereits ans herz gewachsen. Sie wollen teil der Rain-bow Warrior III werden und mit uns Geschichte schreiben. anlässlich der herbst-Sammelaktion hatten wir eine aufnahme im Spenden reglement für drei Monate beschlossen, obwohl das Reglement vorgibt, projektbe-zogene Spenden erst ab 10 000 Franken zu akzeptieren. Manche Menschen entschieden sich für 5 Franken, andere für 250 000, je nach Möglichkeit. Jeder Beitrag ist wichtig — und die Gründe zum Spenden sind so verschie-den wie die Menschen. Eine Spenderin zum Beispiel verzichtete auf einen Diamantring, den sie vom Ehemann zum 25. hochzeitstag bekommen sollte. Den Wert des Ringes spendete sie Greenpeace. Bei anderen war es der Reiz, zukunftsträchtige meeresökologische technologie zu ermöglichen, mit der sich Mass stäbe für die Seefahrt setzen lassen. andere wiederum fasziniert das Green-

peace-Schiff als Symbol für hoffnung und Umweltgerech-tigkeit, ob es nun die Rainbow Warrior I, II oder III ist. Und nicht wenige entschieden sich für eine Spende, weil ein schnelleres Greenpeace-Schiff mehr Schutz für die Mee-re und ihre Biodiversität bedeutet. Etliche Medien boten uns auch kostenlose oder günstige Werbemöglichkeiten.

Wir schätzen die Unterstützung unserer Schweizer Spenderinnen und Spender und werden ihnen nach dem Stapellauf im herbst 2011 gerne von den ersten Erfolgen unserer neuen Öko-Kämpferin erzählen.

Spenden über 5000 Franken für die Rainbow Warrior III wollten wir an dieser Stelle ursprünglich mit Namen verdanken, aber die Mehrzahl der Spenderinnen und Spender wünschten explizit, nicht erwähnt zu werden. Somit verzichten wir auf Einzelnennungen und danken auf diese Weise all denen, die den Bau der RW III speziell grosszügig unterstützt haben. f

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Die kettensäGen schWeiGen

Von Lisa Begere

Greenpeace hat den Kampf um die Erhaltung eines Urwaldgebietes in lappland gewonnen. Für die Ren-tierzüchter der Sami ist das überlebenswichtig.

Kalevi Paadar aus Nellim lebt wie seine Vorfah-ren von der Rentierzucht. Der Hirte gehört den Sami an, dem indigenen Volk Finnlands. Er streift mit seinem Schneemobil auf den Spuren der Rentiere durch die Wälder Lapplands. In den langen, dunklen Wintern ernähren sich sei-ne Rentiere von Bartflechten, die nur an Ästen der teilweise jahrhundertealten Bäume wachsen. 500 Kilo Flechten liefert ein Hektar Urwald, nur fünf Kilo ein bewirtschafteter Forst.

Finnland trägt mittlerweile nur noch drei Prozent zum Restbestand des europäischen Urwaldes bei. Die fortschreitende Entstehung von eintönigen Forstplantagen ist der Grund für die Bedrohung Hunderter Tier- und Pflanzen-arten. In den Forsten fehlt es an Totholz, dem Lebensraum vieler Nützlinge und Zeichen für einen lebendigen Wald. Bereits kleinere Kahl-schläge zerstören den Urwald – zuerst suk zessive, dann unwiederbringlich. Durch die rauen Be-dingungen in der polaren Region wächst die Ve-getation dort extrem langsam – was einmal abgeholzt ist, kann nicht wieder aufgebaut werden. Obwohl sich die finnische Papier- und Holzindustrie als nachhaltig bezeichnet, opfert sie die letzten Reste des Urwalds für Zeit-schriften und Verpackungsmaterial.

Jahrelang hat Paadar gegen die brummen-den Motorsägen in seinem Wald gekämpft. In den Siebzigerjahren begann der staatseigene finnische Forstbetrieb Metsähallitus im grossen Stil zu roden und das Gebiet der Sami dadurch Jahr für Jahr zu verkleinern. Paadar sah das Über-leben der Rentiere gefährdet und begann mit dem Forstbetrieb zu verhandeln, der jedoch stets weitere Gebiete einforderte.

In seiner Verzweiflung wandte sich der Rentierzüchter an Greenpeace. Bei nächtlichen Tem peraturen von bis zu –30°C wurde im Früh-jahr 2005 ein «Forest Rescue Camp» im hohen Norden errichtet und bezogen. Die Aktivisten liefen mit den Sami durch den verschneiten Wald, hängten Schilder mit der Aufschrift: «Achtung! Wichtiger Wald für die Rentierwirt-schaft!» auf und nutzten Hundeschlitten, um den Wald zu vermessen. Nicht alle Dorfbewoh-ner waren begeistert – neben den Hirten leben auch Holzfäller in der Region. Sie errichteten ein «Anti- Terror-Camp». Bäume wurden gefällt und angezündet, die Feuersirenen liefen in der Nacht und die Aktivisten wurden mit Schnee-mobilen eingekreist.

Doch Greenpeace blieb und nahm Kontakt zu Unternehmen auf, die an der Rodung be-teiligt sind. Nach dem Besuch des Geschäftsfüh-rers von Stora Enso, einer Papierfirma, blieb der Forstbetrieb dem Wald fern. Das Camp wur-de abgebaut.

Kurze Zeit später waren die Motorsägen wieder zu hören. Paadar klagte beim Amtsge-richt in Ivalo gegen den finnischen Staat und nach Beratung mit Greenpeace auch beim UN-Menschenrechtsrat. «Die Abholzung beein-trächtigt die Rentierhaltung und bedroht so die Kultur der Sami», lautete deren Einschätzung. Auf Empfehlung der UNO liess die Forstbehörde ihre Arbeit rund um Nellim vorerst ruhen. Greenpeace blieb weiterhin am Ball – unter ande-rem mit gross angelegten Protestaktionen im Hafen von Lübeck, wo Frachter finnisches Papier nach Deutschland brachten.

Heute sind 1500 Quadratkilometer Urwald vor den Kettensägen der Papierindustrie dauer-haft geschützt. Der langjährige Einsatz von Greenpeace im Verbund mit den Sami hat sich gelohnt. Ein entsprechender Vertrag wurde im Dezember 2010 in Helsinki unterzeichnet. Die genaue Kartografierung lokalisiert den schützenswerten Wald, in dem in den nächsten 20 Jahren auf Holzschlag verzichtet wird. Davon, dass der Holzschlag danach wieder auf-genommen wird, geht keine der Parteien aus.

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Von Bruno heinzer — Bio-Shrimps aus Bang-ladesh, Bio-Pangasius aus Vietnam, Bio-Forelle aus Schweizer Zucht …

Bio, Bio, Bio. Die Auswahl für umweltbewusste Fischkonsumenten ist mittlerweile gross. Ob das hoch gelobte Label auch bei Fischen wirk-lich Nachhaltigkeit und artgerechte Tierhaltung garantiert, lässt sich aber nicht so einfach be-stätigen.

Bio-Fisch ist freilich die bessere Wahl als Fisch aus industriellem Fang oder aus unkontrol-lierter Aquakultur. Aber jeder Bio-Fisch lebt letztlich in «Käfighaltung» und wird künstlich gemästet. Das trägt zwar dazu bei, jenen Kon-sumenten eine Alternative zu bieten, die keinen überfischten Fisch essen möchten. Bio-Zucht schont zerstörte Lebensräume und gestörte Kreisläufe. Aber tiergerecht ist sie selten. Anders gesagt: Bio-Kühe und Bio-Hühner bekommen Auslauf, Bio-Fische nicht.

Die meistverkauften Zuchtfische Lachs und Forelle sind räuberische Einzelgänger und Wanderer. Auch wenn die so genannte Besatz-dichte (Tiere pro Wasservolumen) bei der Bio-Zucht etwas tiefer liegt, ist sie doch immer noch weit entfernt von einer artgerechten Tierhal-tung. Bei Raubfischen in Gefangenschaft wird die Ernährung immer ein Problem bleiben. Etwas besser geeignet sind Pflanzen- und Alles-fresser wie Karpfen und Pangasius.

Auch Shrimps sind keine Käfigtiere. Einge-pfercht pflanzen sie sich nicht mehr fort. Bei Bio-Zucht leben die Shrimps in den Mangroven-wäldern, bewahren diese und es wird auf Zu-fütterung verzichtet. Erstes Ziel sollte nämlich sein, die natürlichen Habitate und Lebenszyk-len zu erhalten.

Leider erhält echt nachhaltige Zucht wie die jahrhundertealte asiatische Teichwirtschaft mit Pflanzen fressenden Fischen und Enten in überschwemmten Reisfeldern kein Bio-Label. Ebenso wenig wie in natürlicher Umgebung lebende Wildfische aus gesunden, nachhaltig genutzten Beständen. So ist beispielsweise pazi-fischer Wildlachs aus staatlich kontrolliertem Fang in Alaska norwegischem Bio-Zuchtlachs vorzuziehen. Ökologisch und tierschützerisch gesehen schlagen Felche und Egli aus dem Zürich- oder Zugersee eine «Bio-Forelle» aus der Zucht im Steinbecken.

Fazit: Manchmal ist der Wildfang bestimm-ter Fische beim Einkauf die beste Wahl. Da heisst es also ganz genau hinschauen. Der Green-peace-Fischführer kann dabei helfen. Es gibt ihn nun auch als iPhone-App. Da heisst es dann klipp und klar: Bio hin oder her, Hände weg von Raubfischen aus Zucht wie Lachs, Forelle, Egli, Zander oder Wolfsbarsch. Lachs gehört nur auf den Tisch, wenn er aus Alaska kommt. Und nachhaltig geniesst, wer sich Süsswasser-Raub-fische aus hiesigen Seen gönnt.Den Fischratgeber können Sie downloaden oder als app installieren: www.greenpeace.ch/app.

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Magazin GreenpeaceNr. 2 — 2011 57

Muttenz

Neue Allianz gegen Chemiemüll

16 Organisationen, Parteien und Ver-bände beider Basel setzen sich neu als Allianz Deponien Muttenz (ADM) da-für ein, dass die Chemiemülldeponien in Muttenz BL sicher saniert werden und das Trinkwasser in einem mehrstu-figen Verfahren aufbereitet wird. Alle Ar beiten sollen unter neusten technologi schen Aspekten definitiv er-ledigt und die Kosten von Novartis, Syngenta, Clariant und BASF übernom-men werden. Vorbild ist das jurassische Collectif Bonfol (CB), das seit elf Jahren die Sanierung der Chemiemülldepo-nie Bonfol begleitet. In der ADM sind die SP, die Grünen und die Gewerk-schaft Unia vertreten. Nebst Green-peace waren an der Gründung auch der WWF, das Aktionskomitee Chemiemüll weg! sowie der VCS dabei.

Greenleaks

Aufklärer und Frühwarner

Missstände in den Bereichen Umwelt, Klima und Verbraucherschutz aufde-cken – das ist der Zweck der Onlineplatt-form GreenLeaks, die im Januar in Ber-lin ans Netz gegangen ist. Journalisten, Juristen und Aktivisten haben sich dafür zu einer Gruppe um den australi-schen Dokumentarfilmer Scott Millwood vereint. Im Brennpunkt sollen nicht bloss illegale Aktionen im Emissions-handel oder Umweltsünden von Gross-konzernen stehen, sondern auch frag-würdige Praktiken im lokalen Bereich. Die GreenLeaks-Betreiber verstehen sich aber – anders die Leute hinter Wiki-Leaks – nicht als Ankläger von Firmen und Regierungen, sondern eher als Part-ner, die früh auf Probleme hinweisen. Auf diese Weise sollen Verantwortliche früh genug Abhilfe schaffen und Katas-trophen wie etwa die im Golf von Mexi-ko verhindern können. GreenLeaks will an allen gemeldeten Fällen dran-bleiben, bis gehandelt wird. Die Betrei-ber erstellen derzeit einen sicheren elektronischen Briefkasten, über den Informationen anonym auf die Platt-form geschickt werden können.www.greenleaks.org

Bewusster Einkauf

Das hanDy zeiGt, Wo man zulanGen Darf

Seelachs und andere arten sind über fischt. Die Gratis-app auf iPhone oder android zeigt, welcher Fisch nicht auf den tisch gehört. Codecheck.info bietet aber auch Produktinfor-mationen zu anderen lebens mitteln.

Ein Strichcode-Scan mit der Handykamera, und schon er-scheinen die Informationen zum Fischprodukt auf dem Dis-play. Auch wer den Einkauf übers Internet auf www.code-check.info prüfen will, wird optimal ins Bild gesetzt.

Die Plattform verfügt im deutschen Sprachraum über die grösste unabhängige Produktedatenbank (über 90 000 Pro-dukte) und wird von einem gemeinnützigen Verein mit Sitz in Zürich betrieben. Das junge Team verlässt sich auf Experti-sen von unabhängigen Gesundheits-, Konsumentenschutz- und Umweltorganisationen sowie auf eine Community, die selber Produkte erfasst, bewertet und Daten prüft. Das Konzept stösst auf Anerkennung und wurde international schon mehrmals ausgezeichnet. Die App ist für iPhone und Android erhältlich.

Die Fischinformationen liefern Experten von Greenpeace Schweiz. Codecheck bietet auch Informationen zu Palmöl, weil dafür riesige Flächen des indonesischen Urwaldes gerodet und Tausende von Tierarten gefährdet werden. Das dabei freige-setzte CO2 setzt dem Weltklima zu. Bereits plant Codecheck weitere Produktinformationen für einen bewussten Konsum.

Codecheck bringt mehr Transparenz in den Markt und fördert damit Qualitätsprodukte, denn was nicht gekauft wird, verschwindet aus den Regalen.www.codecheck.info

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58Magazin GreenpeaceNr. 2 — 2011

Buchtipp

Leitfaden für zivilen Ungehorsam

Frech, witzig und endlich auf Deutsch erhältlich ist das Buch «Die Monkey Wrench Gang», das 1975 auf Englisch auf den Markt kam. Die Story dreht sich um eine Gruppe freakiger Ökoaktivisten, die den zivilen Ungehorsam und – der guten Sache zuliebe – den Umgang mit Sprengstoff üben. Illustriert wurde der Band, den Greenpeace trotz ihrer gewalt-freien Philosophie empfiehlt, vom Kultzeichner Robert Crumb.Erhältlich im Verlag Walde+ Graf: www.waldegraf.ch

Buchtipp

Kritik am WachstumswahnFür eine radikale Abkehr von der Wachstumsideolo-gie plädiert das bewährte Autorenteam Urs Gasche und Hans peter Guggenbühl im neuen Buch «Schluss mit dem Wachstumswahn». Das zur Religion er-hobene Wirtschaftswachstum zerstört nicht nur die Natur, sondern lässt sich in den Industriestaaten nur noch durch eine «Verschuldungsorgie» aufrecht-erhalten. Die Autoren analysieren jedoch nicht nur kompetent die Absurdität von Energieverschleiss und modernem Finanzkapitalismus, sondern schlagen auch eine ganze Reihe von Lösungen vor, die aus der Wachstumssackgasse herausführen. Zu bestellen unter: www.rueggerverlag.ch

UBS

Die Bank will sauberes Palmöl

Welche Richtlinien gelten für die UBS bei Geschäften im Palmöl- und Forst-sektor? Das war die Kernfrage einer Greenpeace-Kampagne, die im Dezem-ber begann. Der Grund war, dass die UBS mit umstrittenen Firmen wie jenen der indonesischen Sinar-Mas-Gruppe Geschäfte im Palmöl- und Zellstoffsek-tor macht. Beide Produktionen tragen massiv zur Zerstörung des indone-sischen Urwalds bei. Die Bank hat nun kürzlich ein Papier publiziert, in dem sie ankündigt, die Beziehungen zu Kli-enten mit fragwürdigen Aktivitäten überdenken zu wollen: ein wichtiger und richtiger Schritt. Solange keine vollständigen Richtlinien vorliegen, fehlt Anlegern aber die Möglichkeit, einzuschätzen, wie entschieden sich die Bank bei Umwelt- und Menschen-rechtsproblemen verhält. Wichtig wäre, dass Akteure aus dem Finanz-sektor vermehrt Verantwortung über-nehmen würden im Kampf gegen Klima- und Umweltzerstörung. Soziale und ökologische Komponenten fehlen bisher weitgehend in ihrem System. Greenpeace fordert die UBS und an-dere Finanzinstitute auf, die internen Richtlinien zu heiklen Palmöl- und Forstgeschäften offenzulegen.

Rrrevolve

Web-Tipp für grüne Schnäppchen-

jägerViele Alltagsprodukte sind mittlerwei-le zwar grün, aber oft noch grotten-hässlich. Dieses Image korrigieren die Verantwortlichen des Online-Shops www.rrrevolve.ch mit vielen witzigen und nützlichen Produkten für Haus-halt, Beruf und Hobby. Zu haben sind etwa hölzerne Armbanduhren, der aus Zeitungen gefertigte Papierkorb «News» oder eine Solarladehülle fürs iPhone. Logisch, dass man im Angebot auch weniger Verrücktes wie etwa ein Badesalz findet. Alles ist ökologisch un-bedenklich und steht unter der Devise «Fair Trade». Ein Eldorado für grüne Schnäppchenjäger.

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Klimacamp

Selbst kreierte Miniwelt

Zum dritten Mal bietet die Organisation Klimacamp Schweiz Naturinteres sierten die Möglichkeit, auf einem Feld eine nachhaltige Welt entstehen zu lassen. In diversen thematischen und methodischen Workshops werden vom 29. Juli bis 7. August Wissen, Bewegung und Action geboten und Enga gement vermittelt. Das Camp steht im Bündnerland und bietet Platz für deutsch und französisch Sprechende. Die Teilnahme ist bis auf einen kostendeckenden Beitrag für die Verpflegung gratis.Interessierte werden unter www.klimacamp.ch mit Detail-informationen versorgt.

Bergwald

Einsatz für Hobby-Holzer

Die Stiftung Bergwaldprojekt ruft zu einer Woche freiwilliger Waldarbeit auf. Dabei sein können Frauen und Männer zwischen 18 und 88 Jahren. Gearbeitet wird nach neuzeitlichen Forststandards, nach eigenen Fähigkei-ten und in einem selbst gewählten Tempo. Für Interessierte, die mit Gleichgesinnten Hand anlegen möch-ten, sind noch Plätze frei. Details erfahren Sie unter www.bergwaldprojekt.org oder unter telefon 081 650 40 40.

Walfang

Die Branche steht vor dem Aus

Das japanische Ministerium für Land-wirtschaft, Wald und Fischerei hat die Walfangsaison in der Antarktis in die-sem Jahr frühzeitig beendet. Die Flot-ten wurden in die Häfen zurückbeor-dert. Greenpeace-Informanten melden, dieser Rückzug mit nur der halben übli-chen Fangmenge sei von Anfang an ge-plant gewesen, weil die Kühlhäuser von Walfleisch überquellen: Rund 5000 Tonnen haben sich angehäuft, denn die Nachfrage sinkt – und droht die Bran-che in den Ruin zu treiben. Greenpeace hat im letzten Jahrzehnt immer wieder

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auf die Korruption in diesem Geschäft hingewiesen. Zwei Informanten ent-deckten vor etwa drei Jahren, dass etli-ches Fleisch an Beamte und Schiffs-besatzungen verkauft wurde. Die bei-den wurden inhaftiert und selber des Diebstahls bezichtigt. Ihnen droht trotz Berufung ein Jahr Gefängnis. Green-peace kämpft jedoch un verdrossen wei-ter für ein generelles Walfangverbot. Immer wieder mit Teil erfolgen: Die für den Fang in Japan verantwortliche Agentur ging bereits gegen Mitarbeiter vor, die der Crew von Trawlern gratis Walfleisch abgegeben und damit gegen den eigenen Ethik-Kodex verstossen hatten.

Indonesien

Umdenken der Waldvernichter?

Die indonesische Palmöl-Lieferantin Sinar Mas und ihre Tochter Golden Agri Resources (GAR) zerstören für ihre Pro-duktion nachweislich Torflandschaften und roden Regenwald, um Plantagen zu errichten. Greenpeace hat in den letz-ten drei Jahren grosse Firmen wie Uni-lever, Nestlé, Kraft und Burger King da-zu gebracht, ihre direkten Verträge mit GAR, der weltweit zweitgrössten Palmölproduzentin, zu kündigen. Zu-vor hatte Greenpeace in einer grossen, internationalen Kam pagne die Ma-chenschaften des Konzerns transparent gemacht und die Verbindungen mit grossen Nahrungsmittelherstellern auf-gedeckt. Golden Agri Resources hat angekündigt, keine «High Carbon Storage»-Wälder mehr zu roden, die viel CO2 speichern. Geschont werden auch Torflandschaften, die seltenen Tierarten wie dem Orang-Utan als Habitat dienen und für den Klimaschutz wesentlich sind. Zudem werden künftig die Rechte der lokalen und der indi-genen Bevölkerung respektiert. Golden Agri Resources will mit der Organisa-tion The Forest Trust (TFT) sicherstel-len, dass die Vorhaben auch Realität werden. Greenpeace wird die Entwick-lung sorgfältig verfolgen in der Hoff-nung, dass die indonesische Regierung die neuen Massstäbe in der ganzen Palmöl- und Forstindustrie durchsetzen wird. Nötig wäre ein Moratorium, das jede weitere Expansion verhindert.

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«Wir müssen Den leuten auf Der pelle BleiBen»

Mit Elsy Zulliger sprach Franziska Rosemund

Was sie mit ihrem bescheidenen lebensstil seit Jahrzehnten an Energie spart, bün-delt Elsy Zulliger doppelt in ihrem Wesen: Die bald 90-Jährige ist wortstark und ihr Wissen so aktuell, als stünde sie noch mitten in ihrer Zeit als Verfechterin von Strom-sparen und erneuerbaren Energien. Wenn es in den nächsten Jahren darum geht, für eine Zukunft ohne atomkraft zu kämpfen, möchte sie noch einmal dabei sein.

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Frau Zulliger, Sie könnten Ihren Lebensabend geniessen und sich mit beschaulicheren Dingen als Energiefragen befassen. Stattdessen füllen Sie noch heute Briefkästen mit Infomaterial. Was treibt Sie an?

Es fällt mir schwer, dass ich nur noch das machen kann! Denn es ist meine tiefste Überzeugung, dass eine Energiever-sorgung möglich ist, ohne natürliche Ressourcen zu plündern. Eine ohne gefährliche Atomkraftwerke, die Generationen von Menschen strahlenden Müll hinterlassen.Sie haben zusammen mit der Stiftung SonneSchweiz schon vor 30 Jahren Stromsparen und den Umstieg auf erneuerbare Energien propagiert. Warum ist die Wende bis heute nicht eingetreten?

Das Hauptproblem ist die Bequemlichkeit des Menschen: dieser hartnäckige Unwille, bei sich selbst zu beginnen. Dabei wäre es so einfach für jede und jeden, im eigenen Alltag Strom zu sparen! Hinzu kommt, dass die Gefahren der Atomtechnologie immer mehr in Vergessenheit geraten.Was braucht es, damit der Mensch aus seiner Trägheit erwacht?

Leider würde wohl nur eine neue AKW-Katastrophe die Leute wirklich aufrütteln… Nützen würde aber sicher auch, wenn es bei uns einmal zu einer Stromrationierung käme. Dann würden plötzlich alle den Deckel auf die Pfanne setzen beim Wasserkochen und manche halbleere Wäschetrommel würde nicht angeworfen.Einen Zwang zum Stromsparen könnte ja die Politik mit Vorschriften bewirken.

Die Politiker wollen das gar nicht! Die Mehrheit steht ja unter dem Einfluss der Wirtschaft, die den Umstieg aus Eigeninteressen verhindern will. Darum haben wir bis heute keine wirklich strengen Vorschriften für Elektrogeräte und die erneuerbaren Energien werden nur halbherzig gefördert.Die menschliche Natur gibt Ihnen wenig Hoffnung. Und auch Ihr Vertrauen in die Politik ist nicht sehr gross. Woher nehmen Sie dennoch Ihre Zuversicht?

Ich freue mich über die vielen privaten Initiativen, die es heute im Bereich der neuen erneuerbaren Energien gibt. Denken Sie nur an die riesige Solaranlage in Melchnau, die Strom für 65 Haushalte produziert. Oder an den Pfingstmarsch im vergangenen Jahr – dass der zustande kam, hat mich positiv überrascht. Am meisten Hoffnung geben mir die jungen Leute, um deren Zukunft es ja schliesslich geht. Wenn sie in der Schule noch mehr Wissen zu den Möglichkeiten der erneu-erbaren Energien vermittelt bekommen und merken, dass neue Atomkraftwerke der komplett falsche Weg sind, kann das viel bewirken. Wir müssen unbedingt immer wieder mit den Jungen reden!Ihr energiearmer Lebensstil ist absolut bescheiden. Die Mehrheit des Volks hat eine andere Lebensrealität. Was raten Sie einem Durchschnittsmenschen, der etwas zur Energiewende beitragen möchte?

Die «Sonnenfrau» aus thunstetten

Elsy Zulliger — in ihrem Berufsleben war sie Putzfrau — machte sich in den Sieb zigerjahren einen Namen als engagierte Gegnerin des von der Bernischen Kraftwerke aG geplanten atomkraftwerks in Graben BE. als Mitglied der Bewe-gung «SonneSchweiz» betreute sie während Jahren Informationsstände und warb mit ausstellungen und Kursen für Solar en ergie. Sie verzich-tet seit vielen Jahren auf ein tele-fon, das Bügeleisen braucht sie so gut wie nie und ihr Kühlschrank ist nicht in Betrieb. Vor 30 Jahren montierte Elsy auf ihrem Dach eine Solaranlage, die ihr seither das Warmwasser liefert. Die bald 90-Jährige heizt bis heute mit holz. Elsy Zulliger mischt sich weiterhin ein: Sie verteilte vor der Berner abstimmung zum aKW Mühleberg Info material zu den Problemen der atomkraft und stellt in ihrer Wohngemeinde thunstetten BE un bequeme Fragen zur lokalen Energiepolitik.

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Zuallererst müssten viel mehr Leute begreifen, dass Bescheidenheit glücklicher macht als Überfluss: Je weniger man hat, desto zufriedener ist man. Und je zufriedener man ist, desto weniger braucht man und führt so ein gesünderes, glücklicheres Leben.Dieses hehre Ziel ist nur schwer zu erreichen in einer Zeit, die auf Konsum ausgerichtet ist und in der immer mehr elektronische Geräte zur Verfügung stehen.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn jeder und jede sich bei einem neuen Gerät überlegte, ob er oder sie es wirklich braucht. Und wenn ja, ob es das sparsamste Modell ist. Dieses sollte man dann bitte mit gesundem Menschenverstand ein-setzen.In rund zwei Jahren findet die für die Schweizer Energie­wende entscheidende Abstimmung statt, ob im Land neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen. Was raten Sie den Leuten, die sich heute aktiv gegen solche einsetzen?

Hartnäckigkeit und Ausdauer! Ich habe damals gewisse Briefkästen zwei, drei Mal mit Infomaterial bedient, bis ich merkte, dass die Leute wirklich kapiert hatten, worum es geht. Heute können dank moderner Kommunikation zwar mehr Leute mit mehr Information erreicht werden. Dennoch bleibt es das Wichtigste, immer wieder schlagende Argumente zu liefern. Würden auf allen Schweizer Dächern Solaranlagen installiert, könnte jede Gemeinde sich selber mit Strom versor-gen und sogar noch welchen verkaufen – so etwas Einleuch-tendes wird haften bleiben.Wagen Sie eine Prognose für den Abstimmungsausgang?

Wir können es schaffen. Dafür müssen wir den Leuten aber auf der Pelle bleiben und weiter aufzeigen, dass alles wirk-lich funktioniert ohne neue Atomkraftwerke. Wenn es der Herrgott zulässt, werde ich bei dieser Arbeit auch noch einmal mithelfen!anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde vor der nukle-aren Katastrophe von Fukushima geführt und berücksichtigt nicht die letzten politischen Entwicklungen in der aKW-Diskussion.

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Der neue Greenpeace-testament-Ratgeber und das Notizheft «Meine Wünsche» können helfen, den Nachlass und den eigenen Willen klarer zu regeln.

Seit über 18 Jahren gibt Greenpeace Rat, wenn Personen sich überlegen oder gar entscheiden, Greenpeace im Testament zu bedenken. Wem steht ein Pflichtteil zu? Wie bedenkt man eine Organisation wie Greenpeace? Was genau ist die freie Quote? Antworten findet man im neuen Testament-Ratgeber, der aufzeigt, wie man ein Testament schreiben und ändern kann, wo man es aufbewahren sollte und wie man den Willensvollstrecker bestimmen kann. Zudem erfahren die Leserinnen und Leser, was Legate an Greenpeace bewirken können.

Das Notizheft «Meine Wünsche» hingegen ist ein praktischer Wegweiser, der dem Verfasser und seinen Liebsten hilft, all die kleinen Dinge zu regeln, die dereinst geregelt werden müssen. So kann man etwa festlegen, was mit dem Haustier gesche-hen soll, wer die Familienfotos erhält, welche Konten gekündigt werden müssen und mit welcher Musik die Trauerfeier gestaltet werden soll. Das Notizheft ist natürlich kein Ersatz für ein rechtsgültiges Testament, sondern eine nützliche Ergänzung.

Beide Publikationen sind ab Juni 2011 gratis bei Greenpeace erhältlich. Interessenten melden sich bitte bei Claudia Steiger, Telefonnummer 044 447 41 79 (Mo bis Fr jeweils zwischen 9 und 13 Uhr), oder E-Mail: [email protected].

Von Muriel Bonnardin Wethmar, Zuständige für Erbschaften

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nordruss.Halbinsel

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Bundesge-richt (Abk.)

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Auf welcher Insel liegtder weltweit höchste

Berg (vom Meeresbodenaus gemessen)?

Abkür-zung für:

rechts

schriftlichePrüfung

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Gewinnen Sie ein Greenpeace-t-Shirt und setzen Sie ein Zeichen gegen neue atomkraftwerke! Senden Sie das lösungswort Mitte Juni per E-Mail an [email protected] oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Öko-Rätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels resp. das Empfangsdatum des E-Mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.

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8015 Zürich

Plakate und Kleber dieses Logos können Sie bestellen unter: www.akwnein.ch/aktiv.html

— JahreSbericht 2010Was wir erreicht haben. Wie ihr beitrag wirkt. alle Fakten, alle Zahlen. Mit hintergründen und berichten zu unseren Kampagnen und aktivitäten. Der multimediale Greenpeace-Jahresbericht ist jetzt online.www.greenpeace.ch/jahresbericht