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Gliederung und Aufbau von Gedichten
METRUM
Das Metrum ist im Deutschen die regelmaumlszligige Abfolge von stark betonten Silben (man nennt sie Hebungen) und schwach betonten bzw unbetonten Silben(man nennt sie Senkungen)
Die wichtigsten Metren (= Plural von Metrum)
Der Jambus (Pl die Jamben von griech raquoSpringenderlaquo) Abfolge einer unbetonten und einer betonten Silbe (gekoacutennt Empfaacuteng)
Der Trochaumlus (Pl die Trochaumlen von griech raquoschnelllaquo) Abfolge einer betonten und einer unbetonten Silbe (Leacuteben Roacutese Fiacutescher)
Der Daktylus (Pl die Daktylen von griech raquoFingerlaquo) Abfolge einer betonten und zweier unbetonter Silben (Koumlnigin Heacuteilige [Einfalt] Fiacutengerhut)
Der Anapaumlst (Pl die Anapaumlste von griech raquoZuruumlckprallenderlaquo) Abfolge zweier unbetonter und einer betonten Silbe (Schweinereacutei ignoraacutent)
VERSFORMEN
Einzelne Gedichtzeilen nennt man Verse Zumeist sind sie gekennzeichnet durch ein mehr oder weniger strenges Metrum und die Festlegung des Zeilenendes Gaumlngige Versformen sind zB
Der Blankvers fuumlnffuumlszligiger Jambus dh eine Folge von fuumlnf Jamben in ungereimten Versen wird oft in klassischen Dramen verwendet zB in Lessings raquoNathan der Weiselaquo
Der Alexandriner (in franzoumlsischen Epen um Alexander den Groszligen im 12 Jahrhundert entstanden und verwendet) sechsfuumlszligiger Jambus mit Mittelzaumlsur dh nach dem dritten Jambus unterbricht eine kleine Pause den Fluss der Zeile
Der Hexameter (von griech raquosechsfuumlszligiglaquo) eine Verszeile mit sechs Hebungen ( _ )
Der antike Autor Homer hat seine Epen raquoIliaslaquo und raquoOdysseelaquo in Hexametern geschriebenIn der deutschen Sprache besonders seit dem Sturm und Drang erhielt der Hexameter folgende BesonderheitenDie ersten vier Takte sind zweisilbig ( )oder dreisilbig ( ) gefuumlllt der fuumlnfte Takt muss drei
Silben haben ( ) der sechste Takt beendet die Zeile mit weiblicher Kadenz ( oder ) Eine solch lange Zeile wird durch eine Zaumlsur geteilt Sie liegt meist nach dem dritten oder vierten Takt Einen Reim kennt der Hexameter nicht dafuumlr wird er oft mit
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dem Zeilensprung gebildet Auf diese Weise entstehen Zeilen die rhythmisch unterschiedlich bewegt sind
Ein Beispiel dafuumlr ist Goethes Versepos raquoReineke Fuchslaquo
Pfingsten das liebliche Fest war gekommen es gruumlnten undbluumlhten
Feld und Wald auf Huumlgeln und Houmlhn in Buumlschen und HeckenUumlbten ein froumlhliches Lied die neuermunterten VoumlgelJede Wiese sprosste von Blumen in duftenden GruumlndenFestlich heiter glaumlnzte der Himmel und farbig die Erde
Der Pentaacutemeter (von griech raquofuumlnflaquo und raquoMaszliglaquo) auch aus der Antike stammende Versform der das Metrum Daktylus zugrunde liegt Trotz seines Namens besteht der Pentameter aus sechs Hebungen doch anstelle des dritten und des sechsten Daktylus steht nur eine Hebung ohne Senkungen (unbetonte Silben) so dass in der Versmitte zwei betonte Silben unmittelbar aufeinander folgen und eine stauende Wirkung entsteht Ein Beispiel aus Goethes raquoRoumlmischen Elegienlaquo (Dritte Elegie zweiter Vers)Glaub es ich denke nicht frech denke nicht niedrig von dir [ ]
Fast immer ist der Pentameter Teil eines Distichons
Beim Knittelvers unterscheidet manstrenge Knittel vierhebiger alternierender (eine betonte Silbe wechselt immer mit einer unbetonten Wechsel von Hebung und Senkung) Vers meist mit Auftakt und mit maumlnnlichem oder weiblichem Versende Paarig gereimt Durch den strengen Knittel kommt es haumlufig zu Tonbeugungen d h es wird der natuumlrlichen Wortbetonung oft nicht Folge geleistet und freie Knittel nicht festgelegte Versfuumlllung d h er kann auf eine Senkung ganz verzichten oder aber auch vier und sogar mehr Senkungen pro Hebung besitzen auch der Reim kann unregelmaumlszligig sein
Der Knittel ist der wichtigste Vers in der deutschen Literatur des 16 Jahrhunderts Seit dem 18 Jahrhundert wurde er als raquoVers des Volkeslaquo wieder aufgegriffen z B in Goethes Urfaust in der Kapuzinerpredigt in Schillers Wallenstein oder bei Wilhelm Busch Gelegentlich wird er auch heute noch als Mittel der Parodie verwendet Goethes Faust (Erster Teil) zB beginnt mit einem freien Knittel
Haacutebe nun aacutech PhiacutelosophigraveeJuacuteristeregravei und MeacutedizigravenUnd leacuteider aacuteuch TheacuteologigraveeDurchaacuteus studiacuteert mit heacuteiszligem BemuumlhnDa steacutehrsquo ich nuacuten ich aacutermer ToacuterUnd biacuten so kluacuteg als wiacutee zuvoacuter
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Ebenfalls aus Goethes raquoFaustlaquo ein Beispiel fuumlr einen strengen Knittel
Und fraacutegst du noacutech waruacutem dein Heacuterz Sich baacuteng in deacuteinem Buacutesen kleacutemmtWaruacutem ein uacutenerklaumlrter SchmeacuterzDir aacutelle Leacutebensreacutegung heacutemmt
Ein bekanntes Beispiel fuumlr einen strengen Knittelvers findet man bei Wilhelm Busch
Ach was muss man oft von boumlsenKindern houmlren oder lesenWie zum Beispiel hier von diesenwelche Max und Moritz hieszligenDie anstatt durch weise Lehrensich zum Guten zu bekehrenOftmals noch daruumlber lachtenund sich heimlich lustig machtenJa zur UumlbeltaumltigkeitJa dazu ist man bereitMenschen necken Tiere quaumllenAumlpfel Birnen Zwetschgen stehlenDas ist freilich angenehmerund dazu auch viel bequemerAls in Kirche oder Schulefestzusitzen auf dem StuhleAber wehe wehe weheWenn ich auf das Ende sehe
Der Madrigalvers ein sehr frei gestalteter gereimter Vers der sich im 17 Jahrhundert im Madrigal (kunstvolles weltliches Chorlied) entwickelte und in der Dichtung der Aufklaumlrung beliebt wurde Er kann drei- vier- und fuumlnfhebig jambisch trochaumlisch oder auch daktylisch sein eine sehr variantenreiche Versart also
Im raquoFaustlaquo ist es bevorzugt der Vers in dem Goethe Mephisto pointenreich sprechen laumlsst
Ihr duacuterchstudiert die groacuteszligrsquo und kleacuteine WeacuteltUgravem es am Eacutende geacutehn zu laacutessenWiersquos Goacutett gefaumlllt
Mit dem letzten uumlberraschenden Kurzvers der den Reim des vorhergehenden laumlngeren Verses aufnimmt wird Mephistos Pointe scharf und laumlssig herausgearbeitet
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STROPHENFORMEN
Das Distichon (von griech raquoDoppelverslaquo) Verspaar aus Hexaacutemeter und Pentaacutemeter Friedrich Schiller verfasste ein Distichon mit dem Titel Distichon das zugleich als Merkvers gelten kann
raquoIm Hexameter steigt des Springquells fluumlssige SaumluleIm Pentameter drauf faumlllt sie melodisch herablaquo
Die Terzine (ital von lat tertius = der Dritte) dreizeilige Strophenform im Deutschen aus fuumlnffuumlszligigen Jamben mit umarmendem Reim (aba) der durch die Reihung von Strophen zum fortlaufenden Kettenreim wird (aba bcb cdc usw)
Im raquoFaustlaquo laumlsst Goethe die Titelfigur im 2 Teil mit Terzinen beginnen
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendigAumltherische Daumlmmerung milde zu begruumlszligenDu Erde warst auch diese Nach bestaumlndigUnd atmest neu erquickt zu meinen FuumlszligenBeginnest schon mit Lust mich zu umgebenDu regst und ruumlhrst ein kraumlftiges BeschlieszligenZum houmlchsten Dasein immerfort zu streben -In Daumlmmerschein liegt schon die Welt erschlossen[]
Die Volksliedstrophe ist in ihrer haumlufigsten Form eine vierzeilige Strophe mit drei oder vier Hebungen alternierend dh im Wechsel mit einer Senkung Die Zeilen enden abwechselnd zweisilbig (weiblich klingend) und einsilbig (maumlnnlich stumpf) entsprechend ist die vorherrschende Reimform der Kreuzreim Mit dem Versende faumlllt meist auch eine Pause im Satz zusammenDie Volksliedstrophe findet sich nicht nur im Volkslied seit Herders und Goethes Begeisterung fuumlr die Volksdichtung haben Dichter besonders in der Epoche der Romantik immer wieder im raquoVolksliedtonlaquo gedichtet
Als Beispiel ein Gedicht von Heinrich Heine (1824) das zum Volkslied geworden ist
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Das Loreleylied
Ich weiszlig nicht was soll es bedeuten Daszlig ich so traurig bin Ein Maumlrchen aus uralten Zeiten Das kommt mir nicht aus dem Sinn
Die Luft ist kuumlhl und es dunkelt Und ruhig flieszligt der Rhein Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein
Die schoumlnste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar Ihr goldnes Geschmeide blitzet Sie kaumlmmt ihr goldenes Haar
Sie kaumlmmt es mit goldenem Kamme Und singt ein Lied dabei Das hat eine wundersame Gewaltige Melodei
Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh Er schaut nicht die Felsenriffe Er schaut nur hinauf in die Houmlh
Ich glaube die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn Und das hat mit ihrem Singen Die Lore-Ley getan
Postkarte aus den raquoZwanziger Jahrenlaquo
WEITERE STRUKTURELEMENTE
Reim
Die aumllteste Form des Reims im Deutschen ist der Stabreim auch
genannt bei dem in einem Vers mindestens zwei Woumlrter mit demselben Laut beginnen
Winterstuumlrme wichen dem Wonnemondim milden Lichte leuchtet der Lenzauf lauen Luumlften lind und lieblichWunder webend er sich wiegtdurch Wald und Auen weht sein Atemweit geoumlffnet lacht sein Augrsquo
Alliteration
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Aus selrsquoger Voumlglein Sange suumlszlig er toumlntholde Duumlfte haucht er ausseinem warmen Blut entbluumlhen wonnige BlumenrsquoKeim und Spross entspringt seiner KraftMit zarter Waffen Zier bezwingt er die WeltWinter und Sturm wichen der starken Wehr
Aus Richard Wagner Walkuumlre I Akt 3 Szene
Eine Haumlufung von Alliterationen die auf heutige Leser bzw Houmlrer skurril wirkt
Man findet die Alliteration auch in Redewendungen
was Kuumlche und Keller hergeben bei Wind und Wettermit Kind und KegelUntergang mit Mann und Maus
und in der Werbung
Milch macht muumlde Maumlnner munter
Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Reim den
Man unterscheidet ihn nach der Anzahl der reimenden Silben
Endreim
stumpfer oder maumlnnlicher oder einsilbiger Reim Rauch - Hauch
klingender oder weiblicher oder zweisilbiger Reim klagen - sagen
reicher oder dreisilbiger Reim (kommt selten vor)
schleichenden -weichenden
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Man unterscheidet auszligerdem nach der Reimfolge
Ein vokalischer Halbreim ist die
Hier klingen nur die Vokale gleich Stab - Macht schlafen - klagen Wagen - rasseln
Eine Sonderform des Reims ist der
Seine Regeln sind leicht zu durchschauen
Menschen moumlgen Moumlwen leidenwaumlhrend sie die Loumlwen meiden
Oder
Es klapperten die Klapperschlangenbis ihre Klappern schlapper klangen
Christian Morgenstern
Das aumlsthetische Wiesel
Ein Wieselsaszlig auf einem Kieselinmitten Bachgeriesel
Wiszligt ihrweshalb
Das Mondkalbverriet es mirim Stillen
Das raffinier-te Tiertats um des Reimes willen
Paarreim aa bb cc
Kreuzreim abab cdcd
umarmender Reim abba cddc
Schweifreim aabccb
Waise
Die Waise ist eine reimlose raquoverwaistelaquo Verszeile innerhalb gereimter Verse
Assonanz
Schuumlttelreim
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Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
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In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
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Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
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und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
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Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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dem Zeilensprung gebildet Auf diese Weise entstehen Zeilen die rhythmisch unterschiedlich bewegt sind
Ein Beispiel dafuumlr ist Goethes Versepos raquoReineke Fuchslaquo
Pfingsten das liebliche Fest war gekommen es gruumlnten undbluumlhten
Feld und Wald auf Huumlgeln und Houmlhn in Buumlschen und HeckenUumlbten ein froumlhliches Lied die neuermunterten VoumlgelJede Wiese sprosste von Blumen in duftenden GruumlndenFestlich heiter glaumlnzte der Himmel und farbig die Erde
Der Pentaacutemeter (von griech raquofuumlnflaquo und raquoMaszliglaquo) auch aus der Antike stammende Versform der das Metrum Daktylus zugrunde liegt Trotz seines Namens besteht der Pentameter aus sechs Hebungen doch anstelle des dritten und des sechsten Daktylus steht nur eine Hebung ohne Senkungen (unbetonte Silben) so dass in der Versmitte zwei betonte Silben unmittelbar aufeinander folgen und eine stauende Wirkung entsteht Ein Beispiel aus Goethes raquoRoumlmischen Elegienlaquo (Dritte Elegie zweiter Vers)Glaub es ich denke nicht frech denke nicht niedrig von dir [ ]
Fast immer ist der Pentameter Teil eines Distichons
Beim Knittelvers unterscheidet manstrenge Knittel vierhebiger alternierender (eine betonte Silbe wechselt immer mit einer unbetonten Wechsel von Hebung und Senkung) Vers meist mit Auftakt und mit maumlnnlichem oder weiblichem Versende Paarig gereimt Durch den strengen Knittel kommt es haumlufig zu Tonbeugungen d h es wird der natuumlrlichen Wortbetonung oft nicht Folge geleistet und freie Knittel nicht festgelegte Versfuumlllung d h er kann auf eine Senkung ganz verzichten oder aber auch vier und sogar mehr Senkungen pro Hebung besitzen auch der Reim kann unregelmaumlszligig sein
Der Knittel ist der wichtigste Vers in der deutschen Literatur des 16 Jahrhunderts Seit dem 18 Jahrhundert wurde er als raquoVers des Volkeslaquo wieder aufgegriffen z B in Goethes Urfaust in der Kapuzinerpredigt in Schillers Wallenstein oder bei Wilhelm Busch Gelegentlich wird er auch heute noch als Mittel der Parodie verwendet Goethes Faust (Erster Teil) zB beginnt mit einem freien Knittel
Haacutebe nun aacutech PhiacutelosophigraveeJuacuteristeregravei und MeacutedizigravenUnd leacuteider aacuteuch TheacuteologigraveeDurchaacuteus studiacuteert mit heacuteiszligem BemuumlhnDa steacutehrsquo ich nuacuten ich aacutermer ToacuterUnd biacuten so kluacuteg als wiacutee zuvoacuter
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Ebenfalls aus Goethes raquoFaustlaquo ein Beispiel fuumlr einen strengen Knittel
Und fraacutegst du noacutech waruacutem dein Heacuterz Sich baacuteng in deacuteinem Buacutesen kleacutemmtWaruacutem ein uacutenerklaumlrter SchmeacuterzDir aacutelle Leacutebensreacutegung heacutemmt
Ein bekanntes Beispiel fuumlr einen strengen Knittelvers findet man bei Wilhelm Busch
Ach was muss man oft von boumlsenKindern houmlren oder lesenWie zum Beispiel hier von diesenwelche Max und Moritz hieszligenDie anstatt durch weise Lehrensich zum Guten zu bekehrenOftmals noch daruumlber lachtenund sich heimlich lustig machtenJa zur UumlbeltaumltigkeitJa dazu ist man bereitMenschen necken Tiere quaumllenAumlpfel Birnen Zwetschgen stehlenDas ist freilich angenehmerund dazu auch viel bequemerAls in Kirche oder Schulefestzusitzen auf dem StuhleAber wehe wehe weheWenn ich auf das Ende sehe
Der Madrigalvers ein sehr frei gestalteter gereimter Vers der sich im 17 Jahrhundert im Madrigal (kunstvolles weltliches Chorlied) entwickelte und in der Dichtung der Aufklaumlrung beliebt wurde Er kann drei- vier- und fuumlnfhebig jambisch trochaumlisch oder auch daktylisch sein eine sehr variantenreiche Versart also
Im raquoFaustlaquo ist es bevorzugt der Vers in dem Goethe Mephisto pointenreich sprechen laumlsst
Ihr duacuterchstudiert die groacuteszligrsquo und kleacuteine WeacuteltUgravem es am Eacutende geacutehn zu laacutessenWiersquos Goacutett gefaumlllt
Mit dem letzten uumlberraschenden Kurzvers der den Reim des vorhergehenden laumlngeren Verses aufnimmt wird Mephistos Pointe scharf und laumlssig herausgearbeitet
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STROPHENFORMEN
Das Distichon (von griech raquoDoppelverslaquo) Verspaar aus Hexaacutemeter und Pentaacutemeter Friedrich Schiller verfasste ein Distichon mit dem Titel Distichon das zugleich als Merkvers gelten kann
raquoIm Hexameter steigt des Springquells fluumlssige SaumluleIm Pentameter drauf faumlllt sie melodisch herablaquo
Die Terzine (ital von lat tertius = der Dritte) dreizeilige Strophenform im Deutschen aus fuumlnffuumlszligigen Jamben mit umarmendem Reim (aba) der durch die Reihung von Strophen zum fortlaufenden Kettenreim wird (aba bcb cdc usw)
Im raquoFaustlaquo laumlsst Goethe die Titelfigur im 2 Teil mit Terzinen beginnen
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendigAumltherische Daumlmmerung milde zu begruumlszligenDu Erde warst auch diese Nach bestaumlndigUnd atmest neu erquickt zu meinen FuumlszligenBeginnest schon mit Lust mich zu umgebenDu regst und ruumlhrst ein kraumlftiges BeschlieszligenZum houmlchsten Dasein immerfort zu streben -In Daumlmmerschein liegt schon die Welt erschlossen[]
Die Volksliedstrophe ist in ihrer haumlufigsten Form eine vierzeilige Strophe mit drei oder vier Hebungen alternierend dh im Wechsel mit einer Senkung Die Zeilen enden abwechselnd zweisilbig (weiblich klingend) und einsilbig (maumlnnlich stumpf) entsprechend ist die vorherrschende Reimform der Kreuzreim Mit dem Versende faumlllt meist auch eine Pause im Satz zusammenDie Volksliedstrophe findet sich nicht nur im Volkslied seit Herders und Goethes Begeisterung fuumlr die Volksdichtung haben Dichter besonders in der Epoche der Romantik immer wieder im raquoVolksliedtonlaquo gedichtet
Als Beispiel ein Gedicht von Heinrich Heine (1824) das zum Volkslied geworden ist
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Das Loreleylied
Ich weiszlig nicht was soll es bedeuten Daszlig ich so traurig bin Ein Maumlrchen aus uralten Zeiten Das kommt mir nicht aus dem Sinn
Die Luft ist kuumlhl und es dunkelt Und ruhig flieszligt der Rhein Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein
Die schoumlnste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar Ihr goldnes Geschmeide blitzet Sie kaumlmmt ihr goldenes Haar
Sie kaumlmmt es mit goldenem Kamme Und singt ein Lied dabei Das hat eine wundersame Gewaltige Melodei
Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh Er schaut nicht die Felsenriffe Er schaut nur hinauf in die Houmlh
Ich glaube die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn Und das hat mit ihrem Singen Die Lore-Ley getan
Postkarte aus den raquoZwanziger Jahrenlaquo
WEITERE STRUKTURELEMENTE
Reim
Die aumllteste Form des Reims im Deutschen ist der Stabreim auch
genannt bei dem in einem Vers mindestens zwei Woumlrter mit demselben Laut beginnen
Winterstuumlrme wichen dem Wonnemondim milden Lichte leuchtet der Lenzauf lauen Luumlften lind und lieblichWunder webend er sich wiegtdurch Wald und Auen weht sein Atemweit geoumlffnet lacht sein Augrsquo
Alliteration
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Aus selrsquoger Voumlglein Sange suumlszlig er toumlntholde Duumlfte haucht er ausseinem warmen Blut entbluumlhen wonnige BlumenrsquoKeim und Spross entspringt seiner KraftMit zarter Waffen Zier bezwingt er die WeltWinter und Sturm wichen der starken Wehr
Aus Richard Wagner Walkuumlre I Akt 3 Szene
Eine Haumlufung von Alliterationen die auf heutige Leser bzw Houmlrer skurril wirkt
Man findet die Alliteration auch in Redewendungen
was Kuumlche und Keller hergeben bei Wind und Wettermit Kind und KegelUntergang mit Mann und Maus
und in der Werbung
Milch macht muumlde Maumlnner munter
Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Reim den
Man unterscheidet ihn nach der Anzahl der reimenden Silben
Endreim
stumpfer oder maumlnnlicher oder einsilbiger Reim Rauch - Hauch
klingender oder weiblicher oder zweisilbiger Reim klagen - sagen
reicher oder dreisilbiger Reim (kommt selten vor)
schleichenden -weichenden
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Man unterscheidet auszligerdem nach der Reimfolge
Ein vokalischer Halbreim ist die
Hier klingen nur die Vokale gleich Stab - Macht schlafen - klagen Wagen - rasseln
Eine Sonderform des Reims ist der
Seine Regeln sind leicht zu durchschauen
Menschen moumlgen Moumlwen leidenwaumlhrend sie die Loumlwen meiden
Oder
Es klapperten die Klapperschlangenbis ihre Klappern schlapper klangen
Christian Morgenstern
Das aumlsthetische Wiesel
Ein Wieselsaszlig auf einem Kieselinmitten Bachgeriesel
Wiszligt ihrweshalb
Das Mondkalbverriet es mirim Stillen
Das raffinier-te Tiertats um des Reimes willen
Paarreim aa bb cc
Kreuzreim abab cdcd
umarmender Reim abba cddc
Schweifreim aabccb
Waise
Die Waise ist eine reimlose raquoverwaistelaquo Verszeile innerhalb gereimter Verse
Assonanz
Schuumlttelreim
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Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
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In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
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Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
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und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
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Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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Ebenfalls aus Goethes raquoFaustlaquo ein Beispiel fuumlr einen strengen Knittel
Und fraacutegst du noacutech waruacutem dein Heacuterz Sich baacuteng in deacuteinem Buacutesen kleacutemmtWaruacutem ein uacutenerklaumlrter SchmeacuterzDir aacutelle Leacutebensreacutegung heacutemmt
Ein bekanntes Beispiel fuumlr einen strengen Knittelvers findet man bei Wilhelm Busch
Ach was muss man oft von boumlsenKindern houmlren oder lesenWie zum Beispiel hier von diesenwelche Max und Moritz hieszligenDie anstatt durch weise Lehrensich zum Guten zu bekehrenOftmals noch daruumlber lachtenund sich heimlich lustig machtenJa zur UumlbeltaumltigkeitJa dazu ist man bereitMenschen necken Tiere quaumllenAumlpfel Birnen Zwetschgen stehlenDas ist freilich angenehmerund dazu auch viel bequemerAls in Kirche oder Schulefestzusitzen auf dem StuhleAber wehe wehe weheWenn ich auf das Ende sehe
Der Madrigalvers ein sehr frei gestalteter gereimter Vers der sich im 17 Jahrhundert im Madrigal (kunstvolles weltliches Chorlied) entwickelte und in der Dichtung der Aufklaumlrung beliebt wurde Er kann drei- vier- und fuumlnfhebig jambisch trochaumlisch oder auch daktylisch sein eine sehr variantenreiche Versart also
Im raquoFaustlaquo ist es bevorzugt der Vers in dem Goethe Mephisto pointenreich sprechen laumlsst
Ihr duacuterchstudiert die groacuteszligrsquo und kleacuteine WeacuteltUgravem es am Eacutende geacutehn zu laacutessenWiersquos Goacutett gefaumlllt
Mit dem letzten uumlberraschenden Kurzvers der den Reim des vorhergehenden laumlngeren Verses aufnimmt wird Mephistos Pointe scharf und laumlssig herausgearbeitet
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STROPHENFORMEN
Das Distichon (von griech raquoDoppelverslaquo) Verspaar aus Hexaacutemeter und Pentaacutemeter Friedrich Schiller verfasste ein Distichon mit dem Titel Distichon das zugleich als Merkvers gelten kann
raquoIm Hexameter steigt des Springquells fluumlssige SaumluleIm Pentameter drauf faumlllt sie melodisch herablaquo
Die Terzine (ital von lat tertius = der Dritte) dreizeilige Strophenform im Deutschen aus fuumlnffuumlszligigen Jamben mit umarmendem Reim (aba) der durch die Reihung von Strophen zum fortlaufenden Kettenreim wird (aba bcb cdc usw)
Im raquoFaustlaquo laumlsst Goethe die Titelfigur im 2 Teil mit Terzinen beginnen
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendigAumltherische Daumlmmerung milde zu begruumlszligenDu Erde warst auch diese Nach bestaumlndigUnd atmest neu erquickt zu meinen FuumlszligenBeginnest schon mit Lust mich zu umgebenDu regst und ruumlhrst ein kraumlftiges BeschlieszligenZum houmlchsten Dasein immerfort zu streben -In Daumlmmerschein liegt schon die Welt erschlossen[]
Die Volksliedstrophe ist in ihrer haumlufigsten Form eine vierzeilige Strophe mit drei oder vier Hebungen alternierend dh im Wechsel mit einer Senkung Die Zeilen enden abwechselnd zweisilbig (weiblich klingend) und einsilbig (maumlnnlich stumpf) entsprechend ist die vorherrschende Reimform der Kreuzreim Mit dem Versende faumlllt meist auch eine Pause im Satz zusammenDie Volksliedstrophe findet sich nicht nur im Volkslied seit Herders und Goethes Begeisterung fuumlr die Volksdichtung haben Dichter besonders in der Epoche der Romantik immer wieder im raquoVolksliedtonlaquo gedichtet
Als Beispiel ein Gedicht von Heinrich Heine (1824) das zum Volkslied geworden ist
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Das Loreleylied
Ich weiszlig nicht was soll es bedeuten Daszlig ich so traurig bin Ein Maumlrchen aus uralten Zeiten Das kommt mir nicht aus dem Sinn
Die Luft ist kuumlhl und es dunkelt Und ruhig flieszligt der Rhein Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein
Die schoumlnste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar Ihr goldnes Geschmeide blitzet Sie kaumlmmt ihr goldenes Haar
Sie kaumlmmt es mit goldenem Kamme Und singt ein Lied dabei Das hat eine wundersame Gewaltige Melodei
Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh Er schaut nicht die Felsenriffe Er schaut nur hinauf in die Houmlh
Ich glaube die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn Und das hat mit ihrem Singen Die Lore-Ley getan
Postkarte aus den raquoZwanziger Jahrenlaquo
WEITERE STRUKTURELEMENTE
Reim
Die aumllteste Form des Reims im Deutschen ist der Stabreim auch
genannt bei dem in einem Vers mindestens zwei Woumlrter mit demselben Laut beginnen
Winterstuumlrme wichen dem Wonnemondim milden Lichte leuchtet der Lenzauf lauen Luumlften lind und lieblichWunder webend er sich wiegtdurch Wald und Auen weht sein Atemweit geoumlffnet lacht sein Augrsquo
Alliteration
6
Aus selrsquoger Voumlglein Sange suumlszlig er toumlntholde Duumlfte haucht er ausseinem warmen Blut entbluumlhen wonnige BlumenrsquoKeim und Spross entspringt seiner KraftMit zarter Waffen Zier bezwingt er die WeltWinter und Sturm wichen der starken Wehr
Aus Richard Wagner Walkuumlre I Akt 3 Szene
Eine Haumlufung von Alliterationen die auf heutige Leser bzw Houmlrer skurril wirkt
Man findet die Alliteration auch in Redewendungen
was Kuumlche und Keller hergeben bei Wind und Wettermit Kind und KegelUntergang mit Mann und Maus
und in der Werbung
Milch macht muumlde Maumlnner munter
Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Reim den
Man unterscheidet ihn nach der Anzahl der reimenden Silben
Endreim
stumpfer oder maumlnnlicher oder einsilbiger Reim Rauch - Hauch
klingender oder weiblicher oder zweisilbiger Reim klagen - sagen
reicher oder dreisilbiger Reim (kommt selten vor)
schleichenden -weichenden
7
Man unterscheidet auszligerdem nach der Reimfolge
Ein vokalischer Halbreim ist die
Hier klingen nur die Vokale gleich Stab - Macht schlafen - klagen Wagen - rasseln
Eine Sonderform des Reims ist der
Seine Regeln sind leicht zu durchschauen
Menschen moumlgen Moumlwen leidenwaumlhrend sie die Loumlwen meiden
Oder
Es klapperten die Klapperschlangenbis ihre Klappern schlapper klangen
Christian Morgenstern
Das aumlsthetische Wiesel
Ein Wieselsaszlig auf einem Kieselinmitten Bachgeriesel
Wiszligt ihrweshalb
Das Mondkalbverriet es mirim Stillen
Das raffinier-te Tiertats um des Reimes willen
Paarreim aa bb cc
Kreuzreim abab cdcd
umarmender Reim abba cddc
Schweifreim aabccb
Waise
Die Waise ist eine reimlose raquoverwaistelaquo Verszeile innerhalb gereimter Verse
Assonanz
Schuumlttelreim
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Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
9
In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
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Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
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und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
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Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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STROPHENFORMEN
Das Distichon (von griech raquoDoppelverslaquo) Verspaar aus Hexaacutemeter und Pentaacutemeter Friedrich Schiller verfasste ein Distichon mit dem Titel Distichon das zugleich als Merkvers gelten kann
raquoIm Hexameter steigt des Springquells fluumlssige SaumluleIm Pentameter drauf faumlllt sie melodisch herablaquo
Die Terzine (ital von lat tertius = der Dritte) dreizeilige Strophenform im Deutschen aus fuumlnffuumlszligigen Jamben mit umarmendem Reim (aba) der durch die Reihung von Strophen zum fortlaufenden Kettenreim wird (aba bcb cdc usw)
Im raquoFaustlaquo laumlsst Goethe die Titelfigur im 2 Teil mit Terzinen beginnen
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendigAumltherische Daumlmmerung milde zu begruumlszligenDu Erde warst auch diese Nach bestaumlndigUnd atmest neu erquickt zu meinen FuumlszligenBeginnest schon mit Lust mich zu umgebenDu regst und ruumlhrst ein kraumlftiges BeschlieszligenZum houmlchsten Dasein immerfort zu streben -In Daumlmmerschein liegt schon die Welt erschlossen[]
Die Volksliedstrophe ist in ihrer haumlufigsten Form eine vierzeilige Strophe mit drei oder vier Hebungen alternierend dh im Wechsel mit einer Senkung Die Zeilen enden abwechselnd zweisilbig (weiblich klingend) und einsilbig (maumlnnlich stumpf) entsprechend ist die vorherrschende Reimform der Kreuzreim Mit dem Versende faumlllt meist auch eine Pause im Satz zusammenDie Volksliedstrophe findet sich nicht nur im Volkslied seit Herders und Goethes Begeisterung fuumlr die Volksdichtung haben Dichter besonders in der Epoche der Romantik immer wieder im raquoVolksliedtonlaquo gedichtet
Als Beispiel ein Gedicht von Heinrich Heine (1824) das zum Volkslied geworden ist
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Das Loreleylied
Ich weiszlig nicht was soll es bedeuten Daszlig ich so traurig bin Ein Maumlrchen aus uralten Zeiten Das kommt mir nicht aus dem Sinn
Die Luft ist kuumlhl und es dunkelt Und ruhig flieszligt der Rhein Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein
Die schoumlnste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar Ihr goldnes Geschmeide blitzet Sie kaumlmmt ihr goldenes Haar
Sie kaumlmmt es mit goldenem Kamme Und singt ein Lied dabei Das hat eine wundersame Gewaltige Melodei
Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh Er schaut nicht die Felsenriffe Er schaut nur hinauf in die Houmlh
Ich glaube die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn Und das hat mit ihrem Singen Die Lore-Ley getan
Postkarte aus den raquoZwanziger Jahrenlaquo
WEITERE STRUKTURELEMENTE
Reim
Die aumllteste Form des Reims im Deutschen ist der Stabreim auch
genannt bei dem in einem Vers mindestens zwei Woumlrter mit demselben Laut beginnen
Winterstuumlrme wichen dem Wonnemondim milden Lichte leuchtet der Lenzauf lauen Luumlften lind und lieblichWunder webend er sich wiegtdurch Wald und Auen weht sein Atemweit geoumlffnet lacht sein Augrsquo
Alliteration
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Aus selrsquoger Voumlglein Sange suumlszlig er toumlntholde Duumlfte haucht er ausseinem warmen Blut entbluumlhen wonnige BlumenrsquoKeim und Spross entspringt seiner KraftMit zarter Waffen Zier bezwingt er die WeltWinter und Sturm wichen der starken Wehr
Aus Richard Wagner Walkuumlre I Akt 3 Szene
Eine Haumlufung von Alliterationen die auf heutige Leser bzw Houmlrer skurril wirkt
Man findet die Alliteration auch in Redewendungen
was Kuumlche und Keller hergeben bei Wind und Wettermit Kind und KegelUntergang mit Mann und Maus
und in der Werbung
Milch macht muumlde Maumlnner munter
Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Reim den
Man unterscheidet ihn nach der Anzahl der reimenden Silben
Endreim
stumpfer oder maumlnnlicher oder einsilbiger Reim Rauch - Hauch
klingender oder weiblicher oder zweisilbiger Reim klagen - sagen
reicher oder dreisilbiger Reim (kommt selten vor)
schleichenden -weichenden
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Man unterscheidet auszligerdem nach der Reimfolge
Ein vokalischer Halbreim ist die
Hier klingen nur die Vokale gleich Stab - Macht schlafen - klagen Wagen - rasseln
Eine Sonderform des Reims ist der
Seine Regeln sind leicht zu durchschauen
Menschen moumlgen Moumlwen leidenwaumlhrend sie die Loumlwen meiden
Oder
Es klapperten die Klapperschlangenbis ihre Klappern schlapper klangen
Christian Morgenstern
Das aumlsthetische Wiesel
Ein Wieselsaszlig auf einem Kieselinmitten Bachgeriesel
Wiszligt ihrweshalb
Das Mondkalbverriet es mirim Stillen
Das raffinier-te Tiertats um des Reimes willen
Paarreim aa bb cc
Kreuzreim abab cdcd
umarmender Reim abba cddc
Schweifreim aabccb
Waise
Die Waise ist eine reimlose raquoverwaistelaquo Verszeile innerhalb gereimter Verse
Assonanz
Schuumlttelreim
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Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
9
In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
10
Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
11
und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
12
Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
13
Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
14
5
Das Loreleylied
Ich weiszlig nicht was soll es bedeuten Daszlig ich so traurig bin Ein Maumlrchen aus uralten Zeiten Das kommt mir nicht aus dem Sinn
Die Luft ist kuumlhl und es dunkelt Und ruhig flieszligt der Rhein Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein
Die schoumlnste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar Ihr goldnes Geschmeide blitzet Sie kaumlmmt ihr goldenes Haar
Sie kaumlmmt es mit goldenem Kamme Und singt ein Lied dabei Das hat eine wundersame Gewaltige Melodei
Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh Er schaut nicht die Felsenriffe Er schaut nur hinauf in die Houmlh
Ich glaube die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn Und das hat mit ihrem Singen Die Lore-Ley getan
Postkarte aus den raquoZwanziger Jahrenlaquo
WEITERE STRUKTURELEMENTE
Reim
Die aumllteste Form des Reims im Deutschen ist der Stabreim auch
genannt bei dem in einem Vers mindestens zwei Woumlrter mit demselben Laut beginnen
Winterstuumlrme wichen dem Wonnemondim milden Lichte leuchtet der Lenzauf lauen Luumlften lind und lieblichWunder webend er sich wiegtdurch Wald und Auen weht sein Atemweit geoumlffnet lacht sein Augrsquo
Alliteration
6
Aus selrsquoger Voumlglein Sange suumlszlig er toumlntholde Duumlfte haucht er ausseinem warmen Blut entbluumlhen wonnige BlumenrsquoKeim und Spross entspringt seiner KraftMit zarter Waffen Zier bezwingt er die WeltWinter und Sturm wichen der starken Wehr
Aus Richard Wagner Walkuumlre I Akt 3 Szene
Eine Haumlufung von Alliterationen die auf heutige Leser bzw Houmlrer skurril wirkt
Man findet die Alliteration auch in Redewendungen
was Kuumlche und Keller hergeben bei Wind und Wettermit Kind und KegelUntergang mit Mann und Maus
und in der Werbung
Milch macht muumlde Maumlnner munter
Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Reim den
Man unterscheidet ihn nach der Anzahl der reimenden Silben
Endreim
stumpfer oder maumlnnlicher oder einsilbiger Reim Rauch - Hauch
klingender oder weiblicher oder zweisilbiger Reim klagen - sagen
reicher oder dreisilbiger Reim (kommt selten vor)
schleichenden -weichenden
7
Man unterscheidet auszligerdem nach der Reimfolge
Ein vokalischer Halbreim ist die
Hier klingen nur die Vokale gleich Stab - Macht schlafen - klagen Wagen - rasseln
Eine Sonderform des Reims ist der
Seine Regeln sind leicht zu durchschauen
Menschen moumlgen Moumlwen leidenwaumlhrend sie die Loumlwen meiden
Oder
Es klapperten die Klapperschlangenbis ihre Klappern schlapper klangen
Christian Morgenstern
Das aumlsthetische Wiesel
Ein Wieselsaszlig auf einem Kieselinmitten Bachgeriesel
Wiszligt ihrweshalb
Das Mondkalbverriet es mirim Stillen
Das raffinier-te Tiertats um des Reimes willen
Paarreim aa bb cc
Kreuzreim abab cdcd
umarmender Reim abba cddc
Schweifreim aabccb
Waise
Die Waise ist eine reimlose raquoverwaistelaquo Verszeile innerhalb gereimter Verse
Assonanz
Schuumlttelreim
8
Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
9
In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
10
Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
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und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
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Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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Aus selrsquoger Voumlglein Sange suumlszlig er toumlntholde Duumlfte haucht er ausseinem warmen Blut entbluumlhen wonnige BlumenrsquoKeim und Spross entspringt seiner KraftMit zarter Waffen Zier bezwingt er die WeltWinter und Sturm wichen der starken Wehr
Aus Richard Wagner Walkuumlre I Akt 3 Szene
Eine Haumlufung von Alliterationen die auf heutige Leser bzw Houmlrer skurril wirkt
Man findet die Alliteration auch in Redewendungen
was Kuumlche und Keller hergeben bei Wind und Wettermit Kind und KegelUntergang mit Mann und Maus
und in der Werbung
Milch macht muumlde Maumlnner munter
Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Reim den
Man unterscheidet ihn nach der Anzahl der reimenden Silben
Endreim
stumpfer oder maumlnnlicher oder einsilbiger Reim Rauch - Hauch
klingender oder weiblicher oder zweisilbiger Reim klagen - sagen
reicher oder dreisilbiger Reim (kommt selten vor)
schleichenden -weichenden
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Man unterscheidet auszligerdem nach der Reimfolge
Ein vokalischer Halbreim ist die
Hier klingen nur die Vokale gleich Stab - Macht schlafen - klagen Wagen - rasseln
Eine Sonderform des Reims ist der
Seine Regeln sind leicht zu durchschauen
Menschen moumlgen Moumlwen leidenwaumlhrend sie die Loumlwen meiden
Oder
Es klapperten die Klapperschlangenbis ihre Klappern schlapper klangen
Christian Morgenstern
Das aumlsthetische Wiesel
Ein Wieselsaszlig auf einem Kieselinmitten Bachgeriesel
Wiszligt ihrweshalb
Das Mondkalbverriet es mirim Stillen
Das raffinier-te Tiertats um des Reimes willen
Paarreim aa bb cc
Kreuzreim abab cdcd
umarmender Reim abba cddc
Schweifreim aabccb
Waise
Die Waise ist eine reimlose raquoverwaistelaquo Verszeile innerhalb gereimter Verse
Assonanz
Schuumlttelreim
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Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
9
In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
10
Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
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und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
12
Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
13
Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
14
7
Man unterscheidet auszligerdem nach der Reimfolge
Ein vokalischer Halbreim ist die
Hier klingen nur die Vokale gleich Stab - Macht schlafen - klagen Wagen - rasseln
Eine Sonderform des Reims ist der
Seine Regeln sind leicht zu durchschauen
Menschen moumlgen Moumlwen leidenwaumlhrend sie die Loumlwen meiden
Oder
Es klapperten die Klapperschlangenbis ihre Klappern schlapper klangen
Christian Morgenstern
Das aumlsthetische Wiesel
Ein Wieselsaszlig auf einem Kieselinmitten Bachgeriesel
Wiszligt ihrweshalb
Das Mondkalbverriet es mirim Stillen
Das raffinier-te Tiertats um des Reimes willen
Paarreim aa bb cc
Kreuzreim abab cdcd
umarmender Reim abba cddc
Schweifreim aabccb
Waise
Die Waise ist eine reimlose raquoverwaistelaquo Verszeile innerhalb gereimter Verse
Assonanz
Schuumlttelreim
8
Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
9
In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
10
Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
11
und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
12
Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
13
Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
14
8
Rhythmus
In mancherlei Hinsicht dem Rhythmus der Musik vergleichbar kann bei einer sprachlichen Aumluszligerung ein charakteristischer Sprachfluss wahrgenommen werden zB
flieszligend - stockend -stroumlmend - gestaut
In der Sprache von Gedichten koumlnnen verschiedene Elemente eine rhythmische Struktur bewirken
- in erster Linie das Metrum dasunterschiedlich realisiert seinkann zB regelmaumlszligig oderauffallend unterbrochen
- das Verhaumlltnis von Versstruktur und Satzbau Enjambement oder Zeilenstil
- Satzstrukturen zB Parallelismen Anaphern Einschuumlbe
- die Reimfolge
Diese Elemente sind objektiv feststellbar der durch sie bewirkte Rhythmus selbst allerdingsist eine weniger objektivierbare Kategorie fuumlr die Beschreibung von Gedichten zumal seine Wahrnehmung durch die Art des Lesens gesteuert werden kann
Enjambement
Zeilensprung Wenn in einem Gedicht ein Satz nicht mit der Verszeile endet sondern in die naumlchste Versezeile raquohinuumlberspringtlaquo entsteht eine Spannung zwischen Syntax und Versbau zwischen inhaltlicher und metrischer Gliederung Das Versende laumlsst eine Pause erwarten der Satz aber laumluft weiter Das kann verschiedene Wirkungen erzeugen Ein Beispiel
Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Der roumlmische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gieszligt Er voll der Marmorschale RundDie sich verschleiernd uumlberflieszligtIn einer zweiten Schale GrundDie zweite gibt sie wird zu reichDer dritten wallend ihre FlutUnd jede nimmt und gibt zugleichUnd stroumlmt und ruht
9
In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
10
Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
11
und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
12
Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
13
Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
14
9
In diesem Gedicht ist das Enjambement Teil der Aussage Das Stroumlmen des Wassers von einer Brunnenschale zur naumlchsten der flieszligende Uumlbergang ist auch im Rhythmus des Gedichts zu houmlren
Zeilenstil
Ein Versstil bei dem die Sinneinheit der einzelnen Zeile erstrebt und das Enjambement vermieden wirdZeilenstil findet man oft bei Gedichten in volkstuumlmlichem Ton zB in GoethesraquoErlkoumlniglaquo
Wer reitet so spaumlt durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem KindEr hat den Knaben wohl in dem ArmEr fasst ihn sicher er haumllt ihn warm
Auch in der Lyrik des Expressionismus wird immer wieder der Zeilenstil verwendet zB um die unverbundene Gleichzeitigkeit - Simultaneitaumlt - des Geschilderten zum Ausdruck zu bringen
10
Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
11
und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
12
Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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Ein Beispiel dafuumlr ist
Alfred Lichtenstein
Die Daumlmmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem TeichDer Wind hat sich in einem Baum gefangenDer Himmel sieht verbummelt aus und bleichAls waumlre ihm die Schminke ausgegangen
Auf lange Kruumlcken schief herabgebuumlcktUnd schwatzend kriechen auf dem Feld zwei LahmeEin blonder Dichter wird vielleicht verruumlcktEin Pferdchen stolpert uumlber eine Dame
An einem Fenster klebt ein fetter MannEin Juumlngling will ein weiches Weib besuchenEin grauer Clown zieht sich die Stiefel anEin Kinderwagen schreit und Hunde fluchen
Zaumlsur
Die Zaumlsur ist ein vom Versmaszlig geforderter regelmaumlszligig wiederkehrender Einschnitt im Vers Vom Metrum her festgelegte Einschnitte gibt es beim Alexandriner und beim Pentameter
Als Beispiel ein Vers von Martin Opitz (1597-1639)
Ich weiszlig nicht was ich will || ich will nicht was ich weiszlig
Die Spaltung des Verses durch die Zaumlsur in zwei Teile pointiert die Gegensaumltzlichkeit des Inhalts Unterstuumltzt wird in diesem Beispiel die Pointierung durch die rhetorische Figur des Chiasmus
GEDICHTFORMEN
Ballade
Ursprung Urspruumlnglich war die Ballade (ital ballare = tanzen) in den romanischen Laumlndern ein kurzes Tanzlied in Strophen das im Wechsel zwischen Vorsaumlnger und Tanzenden gesungen wurde Mit Beginn des 13 Jahrhunderts entwickelten es die Troubadure in Frankreich weiter In England und Schottland bezeichnete man Lieder die die Taten von Volkshelden (wie Robin Hood) besingen als Balladen Dieser Begriff wurde dann im deutschen Sprachraum auf Lieder uumlbertragen die etwas mit Maumlrchen und Sagen gemeinsam haben die von Heldentaten aber auch von Daumlmonen
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und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
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Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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und Geistern erzaumlhlten Zunaumlchst wurden sie anonym als sogen Volksballaden weitererzaumlhlt oder auch als Baumlnkellieder vorgetragen
Kunstballade Heute versteht man unter Ballade eine dramatische Erzaumlhlung in Gedichtform In der Ballade findet man Elemente aus allen drei Gattungen - Drama EposErzaumlhlung Lyrik In der Regel wird in ihr eine Geschichte erzaumlhlt sie ist nicht selten gepraumlgt von woumlrtlicher Rede und Dialog gleichzeitig wird die Ballade von einer starken gefuumlhlsmaumlszligigen Beteiligung und Wertung getragen Aus diesen Gruumlnden ist sie von Goethe als ein Genre aufgefasst worden in dem alle Gattungen synthetisiert sind Goethe meinte in ihr sogar die urspruumlngliche Naturform der Poesie sehen zu koumlnnen raquoweil hier die Elemente noch nicht getrennt sondern wie in einem lebendigen Urei zusammen sindlaquo
Entwicklung und Beispiele Mit Gottfried August Buumlrgers raquoLenorelaquo (1773) einer schaurig-schoumlnen Gespenstergeschichte begann in der deutschen Literatur die Entwicklung der Kunstballade Goethe und Schiller haben sie zu einer neuen kunstvollen Form weiterentwickelt und vor allem in der Zeit ihrer intensiven Zusammenarbeit im sogen Balladenjahr (179798) eine groszlige Anzahl von Balladen geschrieben Goethe zB raquoErlkoumlniglaquo raquoDer Zauberlehrlinglaquo - Schiller zB raquoDer Handschuhlaquo raquoDer Taucherlaquo raquoDie Kraniche des Ibykuslaquo raquoDie Buumlrgschaftlaquo Diese Tradition wurde von Heine (raquoAtta Trolllaquo) und Fontane (raquoDie Bruumlcklsquo am Taylaquo) im 19 Jahrhundert von Brecht und Biermann mit Ruumlckbesinnung auf die volkstuumlmlichen Wurzeln des Baumlnkelsangs im 20 Jahrhundert fortgesetzt
Sonett
Das Sonett ist eine Gedichtform mit einem strengem Aufbau
Vier Strophen - zwei Vierzeiler (Quartette) und zwei Dreizeiler (Terzette)
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Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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Reimfolge uumlblicherweiseabba abba (umarmender Reim) || (Zaumlsur)cdcdcdallerdings kommen auch andere Kombinationen vor vor allem bei den Terzetten
Dem formalen Aufbau entspricht meist auch eine deutliche gedankliche Gliederung Die Quartette koumlnnen zB in These und Antithese die Themen des Gedichts aufstellen die Terzette diese Themen dann entfalten und die Schlusszeile kann das Ergebnis der vorangegangenen Gedanken und Bilder pointiert hervorheben
Verwendung des Sonetts Einen ersten Houmlhepunkt erlebte das Sonett im Italien der Renaissance (14- 16 Jahrhundert) Francesco Petrarca (1304-1374) wurde durch seine Sonette beruumlhmt und in Rom 1341 zum Dichter gekroumlnt Einen Gipfel der englischen Sonett-Kunst stellt Shakespeares (1564-1616) Zyklus von 154 Sonetten dar erstmals erschienen 1609 In der deutschen Literatur verwendeten Dichter des Barock das Sonett zB Paul Flemming (1609-1640) und Andreas Gryphius (1616-1664) Die Strenge dieser Gedichtform war ein Mittel die Erfahrung des Chaos in der Zeit des Dreiszligigjaumlhrigen Krieges zu bewaumlltigen Aumlhnliches kann vielleicht gelten fuumlr die expressionistische Lyrik in der Zeit vor und waumlhrend des Ersten Weltkriegs die auffallend haumlufig der Ahnung des Chaotischen und den Wunsch nach Durchbrechen starrer Ordnungen im Sonett gestalteteVgl dazu Gedichte von Georg Heym Auch Goethe verwendete die Sonettform Geradezu begeistert aufgenommen wurde sie von den Romantikern und von ihnen nahe stehenden Dichtern spaumlterer Generationen wie Rainer Maria Rilke (1875-1926) (raquoSonette an Orpheuslaquo) (Beispiel raquoEin Gott vermags raquo)oder Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)(Beispiel raquoDie Beidenlaquo)
Freie Rhythmen
Koumlnnen Sie kein regelmaumlszligiges Metrum und keine regelmaumlszligige Reimfolge erkennen Sind die Verse unterschiedlich lang oft von Zeile zu Zeile wechselndDann handelt es sich um sogenannte raquoFreie Rhythmenlaquo freie metrisch ungebundene bewusst rhythmisch bewegte Verse von nicht festgelegter Anzahl und Folge von Hebungen und Senkungen
Muss ein Dichter sich nicht an (selbst gewaumlhlte) formale Vorgaben halten kann er unmittelbarer Stimmungen und Gefuumlhle in den Rhythmus des Sprechens uumlbertragen Dynamisch bewegte oder auch feierlich-hymnische Gedichte sind oftmals in raquoFreien Rhythmenlaquo verfasst Auch wenn ein formales Geruumlst fehlt handelt es sich nicht um Prosa Satzbau und Sprechfluss sind im Vergleich zur Alltagssprache deutlich veraumlndert und auffallend rhythmisiert
In der Lyrik des Sturm und Drang rebellierten die Dichter mit raquoFreien Rhythmenlaquo nicht nur gegen formalen Regelzwang sondern auch gegen alle Formen zB gesellschaftlicher politischer religioumlser BevormundungEin beruumlhmtes Beispiel dafuumlr ist Goethes Gedicht raquoPrometheuslaquo
13
Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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Prometheus
Bedecke deinen Himmel ZeusMit WolkendunstUnd uumlbe Knaben gleichDer Disteln koumlpftAn Eichen dich und BergeshoumlhnMuszligt mir meine ErdeDoch lassen stehnUnd meine HuumltteDie du nicht gebautUnd meinen HerdUm dessen GlutDu mich beneidest
Ich kenne nichts AumlrmeresUnter der Sonn als euch GoumltterIhr naumlhret kuumlmmerlichVon OpfersteuernUnd GebetshauchEure MajestaumltUnd darbtet waumlrenNicht Kinder und BettlerHoffnungsvolle Toren
Da ich ein Kind warNicht wuszligte wo aus wo einKehrte mein verirrtes AugZur Sonne als wenn druumlber waumlrEin Ohr zu houmlren meine KlageEin Herz wie meinsSich des Bedraumlngten zu erbarmen
Wer half mir widerDer Titanen UumlbermutWer rettete vom Tode mich
Von SklavereiHast dus nicht alles selbst vollendetHeilig gluumlhend HerzUnd gluumlhtest jung und gutBetrogen RettungsdankDem Schlafenden dadroben
Ich dich ehren WofuumlrHast du die Schmerzen gelindertJe des BeladenenHast du die Traumlnen gestilletJe des Geaumlngsteten
Hat nicht mich zum Manne geschmiedetDie allmaumlchtige ZeitUnd das ewige SchicksalMeine Herren und deine
Waumlhntest du etwaIch sollte das Leben hassenIn Wuumlsten fliehnWeil nicht alle Knabenmorgen-Bluumltentraumlume reiften
Hier sitz ich forme MenschenNach meinem BildeEin Geschlecht das mir gleich seiZu leiden weinenGenieszligen und zu freuen sichUnd dein nicht zu achtenWie ich
177377 e Johann Wolfgang Goethe
raquoPrometheus erwehrt sich des AdlerslaquoZeichnung Goethes(Bleistift Feder Tusche)vermutlich erst nach 1787
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