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www.bwpat.de Christine BETTING & Ariane NEU (FernUniversität Hagen) (Aus)Bildungsstrukturen in den Therapieberufen vom „Sackgassenberuf“ zu neuen durchlässigeren Bildungswegen in der Aus- und Weiterbildung historische Einblicke Online unter: http://www.bwpat.de/ausgabe36/betting_neu_bwpat36.pdf in bwp@ Ausgabe Nr. 36 | Juni 2019 Historiografische Berufsbildungsforschung Hrsg. v. Karin Büchter, Anna Lambert, Mathias Götzl & Franz Gramlinger www.bwpat.de | ISSN 1618-8543 | bwp@ 20012019 Herausgeber von bwp@ : Karin Büchter, Martin Fischer, Franz Gramlinger, H.-Hugo Kremer und Tade Tramm . Berufs- und Wirtschaftspädagogik - online

gik - bwpat.de · BETTING/NEU (2019) bwp@ Nr. 36; ISSN 1618-8543 2 Ausbildungsstandards wird durch den Blick in die Historie dieser Berufe nachvollziehbar und begründbar. Traditionell

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www.bwpat.de

Christine BETTING & Ariane NEU (FernUniversität Hagen)

(Aus)Bildungsstrukturen in den Therapieberufen – vom „Sackgassenberuf“ zu neuen durchlässigeren Bildungswegen in der Aus- und Weiterbildung – historische Einblicke

Online unter:

http://www.bwpat.de/ausgabe36/betting_neu_bwpat36.pdf

in

bwp@ Ausgabe Nr. 36 | Juni 2019

Historiografische Berufsbildungsforschung

Hrsg. v. Karin Büchter, Anna Lambert, Mathias Götzl & Franz Gramlinger

www.bwpat.de | ISSN 1618-8543 | bwp@ 2001–2019

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BETTING/NEU (2019) www.bwpat.de bwp@ Nr. 36 Abstract

ABSTRACT (BETTING/NEU 2019 in Ausgabe 36 von bwp@)

Online: http://www.bwpat.de/ausgabe36/betting_neu_bwpat36.pdf

Therapieberufe, die zu den Gesundheitsfachberufen zählen, wurden bislang traditionell ausschließlich

an Berufsfachschulen ausgebildet. Historisch betrachtet entwickelten sich die Therapieberufe zunächst

als reine Frauenberufe aus den Anfängen des Berufsbildungssystems an der Schwelle zum 20. Jahr-

hundert, zeitlich parallel zum dualen Ausbildungssystem. Der Weg der Verberuflichung, rechtlichen

Normierung und Einordnung in das heutige Berufsbildungssystem unterlag jedoch gänzlich anderen

Bedingungen und Weichenstellungen, was die Struktur der Berufe bis heute prägt und ihre Weiterent-

wicklung hemmt. Kernpunkt des Aufsatzes ist die Systematisierung der bisherigen Ausbildungs- und

Weiterbildungsstrukturen innerhalb der therapeutischen Gesundheitsfachberufe. Basis bildet dabei die

besondere historische Entwicklung der Berufe Ergotherapie und Physiotherapie. Für diese Therapiebe-

rufe endete der formale Bildungsweg traditionell nach der beruflichen Erstausbildung in der Sekundar-

stufe II und eine formale Weiterqualifizierung im tertiären oder quartären Bildungsbereich war nicht

vorgesehen. Entsprechend galten sie bislang als sogenannte „Sackgassenberufe“. Die berufliche Bil-

dung steht hier heute vor der Herausforderung, die Absolvent(inn)en auf veränderte berufliche Anfor-

derungen mit einem geeigneten Ausbildungsformat vorzubereiten. Hier werden unterschiedliche Wege

gegangen, von der Anpassung der Berufsgesetze über das Erproben neuer Ausbildungs- und Weiter-

bildungswege im tertiären Bereich. Die historische Entwicklung der Berufsstrukturen erweist sich hier

als gewichtiger Faktor, der die Entwicklung der Berufe bislang an vielen Stellen gehemmt hat und bis

heute beeinflusst.

Education/Training Structures in Therapeutic Professions – from "Dead-

End Profession" to New and More Permeable Structures in Initial and

Follow-on Training – historical insights

Therapeutic professions that are classified as health care professions have traditionally been

taught exclusively at vocational colleges (Berufsfachschulen). From a historical point of view,

therapeutic professions initially developed as purely female occupations from the beginnings

of the vocational education and training system at the turn of the 20th century at the same

time that the dual training system was evolving. The process of professionalisation, legal

standardisation and classification in the current vocational education and training system was,

however, subject to completely different conditions and priorities for therapeutic professions,

which still characterises the structure of such professions today and hinders their further

development. The central point of the article is the systematisation of previous initial and

follow-on training structures within the therapeutic health care professions. The basis for this

is the special historical development of the professions of occupational therapy and physio-

therapy. Formal education for these therapeutic professions traditionally ended after initial

vocational training at upper secondary level and no further formal qualification in tertiary or

higher education was possible. This meant that they were thought of as dead-end professions.

The challenge facing vocational education and training today is to prepare school-leavers for

changing vocational demands by providing them with an appropriate training format. This

involves a number of different approaches such as adapting occupation-related legislation and

testing new initial and follow-on training in tertiary education. The historical development of

occupational structures is proving to be an important factor that has so far hampered the

development of professions in many ways and continues to do so today.

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CHRISTINE BETTING & ARIANE NEU (FernUniversität Hagen)

(Aus)Bildungsstrukturen in den Therapieberufen – vom „Sack-

gassenberuf“ zu neuen durchlässigeren Bildungswegen in der

Aus- und Weiterbildung – historische Einblicke

1 Einleitung

Die therapeutischen Gesundheitsfachberufe in Deutschland befinden sich in einer Umbruch-

phase. Veränderte Versorgungsbedarfe, bedingt durch den demografischen Wandel und

andere epidemiologische Entwicklungen in der Bevölkerung, stellen das Gesundheitssystem

heute und morgen vor große Herausforderungen. Der Wissenschaftsrat empfahl daher bereits

2012, die bisherige Arbeitsteilung in der Gesundheitsversorgung zu überdenken, um den ver-

änderten Versorgungsbedarfen gerecht werden zu können. Konkret ist es nach Auffassung des

Wissenschaftsrates zukünftig erforderlich, dass „insbesondere die Angehörigen der Gesund-

heitsfachberufe nicht nur zunehmend komplexere Aufgaben erfüllen, sondern in einem gewis-

sen Umfang auch bestimmte, vormals von Ärztinnen und Ärzten wahrgenommene Aufgaben

übernehmen“ (Wissenschaftsrat 2012, 8). In der Konsequenz führt dies dazu, dass sich die

Gesundheitsfachberufe mit veränderten Qualifikationsbedarfen konfrontiert sehen (vgl. Bun-

desministerium für Bildung und Forschung 2014, 14; Wissenschaftsrat 2012, 7f.). Gerade die

therapeutischen Gesundheitsfachberufe (im Fokus werden in diesem Beitrag die Berufe Phy-

siotherapie und Ergotherapie betrachtet) stehen hier vor veränderten und zukünftig möglich-

erweise auch neuen Aufgaben, was die derzeitigen Ausbildungsstrukturen in den Blick rücken

lassen.

Traditionell und historisch verortet sind die therapeutischen Gesundheitsfachberufe in

Deutschland im nicht-akademischen Berufsbildungssystem. Seit einigen Jahren schreitet

parallel dazu der Ausbau hochschulischer Bildungsangebote voran.

Einerseits eröffnet der Aufbruch in den tertiären Bildungssektor diesen Berufen, die aufgrund

der bislang eingeschränkten Weiterqualifizierungswege im formalen Bildungssystem als

„Sackgassenberufe“ galten, neue Chancen. Andererseits haben sich so parallele Qualifizie-

rungswege herausgebildet, deren gemeinsame Basis lediglich die jeweiligen veralteten

Berufsgesetze darstellen, die jedoch kaum Anhaltspunkte für eine Ausrichtung der Ausbil-

dung nach einheitlichen, den Anforderungen des Beschäftigungssystems angemessenen Aus-

bildungsstandards liefern. Die uneinheitlichen Aus- und Weiterbildungsstandards der vielfäl-

tigen Bildungsgänge, das ungeklärte Verhältnis unterschiedlicher Qualifizierungswege bezie-

hungsweise deren Absolventinnen und Absolventen zueinander sowie die fehlende horizon-

tale und vertikale Abgrenzung der Berufe hinsichtlich ihrer Tätigkeitsprofile, stellen hier

aktuelle Herausforderungen dar und verhindern eine systematische Steuerung und curricularer

Vereinheitlichung der Ausbildung (vgl. Friese 2014, 3f.).

Diese Heterogenität der Bildungswege in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen ver-

bunden mit einer kaum herstellbaren Qualitätssicherung und Herausbildung einheitlicher

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Ausbildungsstandards wird durch den Blick in die Historie dieser Berufe nachvollziehbar und

begründbar. Traditionell sind die therapeutischen Gesundheitsfachberufe nicht im dualen

Berufsausbildungssystem verortet, sondern im Schulberufssystem, welches als zweite Säule

des Berufsbildungssystems besteht. Historisch haben sich zwar beide Säulen zeitgleich an der

Schwelle zum 20. Jahrhundert entwickelt. Dies erfolgte jedoch strukturell höchst unterschied-

lich und unabhängig voneinander, was sich in den unterschiedlichen Qualifikationsstrukturen

der Berufe der jeweiligen Systeme manifestiert hat. Bis heute nehmen die Gesundheitsfachbe-

rufe eine Sonderstellung im Berufsbildungssystem ein und erweisen sich die gewachsenen

Berufs- und Bildungsstrukturen gerade in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen immer

wieder als Stolpersteine und Hemmschuh sowohl in der strukturellen als auch inhaltliche

Weiterentwicklung und Modernisierung dieser Berufe. Der Beitrag nimmt, nach einer Dar-

stellung der momentanen Bildungsstrukturen und Einordnung der therapeutischen Gesund-

heitsberufe in das deutsche Bildungssystem, die historische Entwicklung der therapeutischen

Gesundheitsfachberufe Physiotherapie und Ergotherapie in den Blick. Es wird aufgezeigt,

inwieweit die historisch gewachsenen Bildungsstrukturen dieser Berufe es auch heute noch

erschweren, eine systematische, standardisierte und den heutigen Qualitätsansprüchen ange-

messene Aus- und Weiterbildung für dies Berufe zu etablieren, mit dem Ziel, Absolventinnen

und Absolventen durchlässige Bildungs- und Aufstiegswege zu bieten, die lebenslanges Ler-

nen ermöglichen und den Verbleib im Beruf über die Lebensspanne erleichtern.

Aufgrund der oben bereits angedeuteten Heterogenität der Gesundheitsberufe stellt sich auch

der Gegenstand der Berufsbildungsforschung in diesem Bereich unsystematisch und von

unterschiedlichen Richtungen ausgehend dar. An der Schnittstelle zwischen Berufs- und Wirt-

schaftspädagogik/Erziehungswissenschaften und den Fachwissenschaften der Berufe verortet,

finden sich wenig systematisch sowohl Beiträge in berufs- und wirtschaftspädagogischen/

erziehungswissenschaftlichen- als auch therapiewissenschaftlichen Fachzeitschriften (vgl.

Darmann-Finck 2015, 5). Dies wird auch im vorliegenden Beitrag abgebildet. Die erst lang-

same und zögerliche Wissenschaftsentwicklung in den Gesundheitsfachberufen baut histo-

risch auf eine meist forschungs- und wissenschaftsferne Praxis (vgl. Ewers et al. 2012, 37),

was sich in einer erst beginnenden Forschungsaktivität zu den Gesundheitsfachberufen zeigt.

Diese kann sich noch nicht auf Strukturen und Kapazitäten vergleichbar mit anderen for-

schungsaktiven Disziplinen stützen (vgl. Ewers et al. 2012, 34) und ist momentan, wo vor-

handen, mehrheitlich auf Didaktik, Curriculumsentwicklung (vgl. Darmann-Finck 2015,7)

sowie der Versorgungsforschung (vgl. Ewers et al. 2012, 39) ausgerichtet. Kaum erforscht

sind Sozialisationsprozesse in den Berufen (vgl. BMBF 2014, 195) und fast gänzlich fehlt

eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den historisch gewachsenen Berufsstrukturen

in den Gesundheitsfachberufen. Hierzu möchten die folgenden Ausführungen einen Beitrag

leisten.

2 Therapieberufe und ihre Verortung im deutschen Berufsbildungssystem

Der Definition des Wissenschaftsrats (2012) folgend können die Therapieberufe Physiothera-

pie, Logopädie und Ergotherapie neben den Pflegeberufen sowie den Hebammen und Entbin-

dungshelfern unter den Gesundheitsfachberufen verortet werden. Als Gesundheitsfachberufe

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definiert der Wissenschaftsrat solche Berufe, für die „im Gegensatz zum ärztlichen und zahn-

ärztlichen Beruf - eine hochschulische Ausbildung rechtlich nicht erforderlich ist“ (Wissen-

schaftsrat 2012, 12). Ähnlich bezeichnet auch Zöller (2012, 6) die Gesundheitsfachberufe als

nicht akademische Heilberufe, deren Ausbildung an Schulen des Gesundheitswesens auf

Grundlage von Berufszulassungsgesetzen erfolgt. Diese Schulen nehmen innerhalb des deut-

schen Berufsbildungssystems eine Sonderstellung ein, was auf ihre historische Entstehungs-

geschichte zurückzuführen ist, wie noch gezeigt werden wird. Um die heutige Verortung der

therapeutischen Gesundheitsfachberufe im deutschen Berufsbildungssystem nachvollziehen

zu können wird zunächst dessen Grundstruktur kurz vorgestellt.

2.1 Grundstruktur des nicht-akademischen Berufsbildungssystem in Deutschland

Im Wesentlichen lässt sich das nicht-akademische Berufsbildungssystem in drei Teilbereiche

untergliedern: das duale System der Berufsausbildung, das Schulberufssystem sowie den

Übergangsbereich (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 79). Im dualen System

kann eine Ausbildung in einem der aktuell rund 330 staatlich anerkannten Ausbildungsberufe

nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder Handwerksordnung (HwO) absolviert werden. Diese

duale Berufsausbildung ist aufgeteilt in einen eher praxisorientierten Ausbildungsteil am

Lernort Betrieb und in einen eher theoretisch ausgerichteten Teil am Lernort Teilzeitberufs-

schule. Als formale Zugangsvoraussetzung zu einer solchen Ausbildung gilt lediglich die

Erfüllung der Vollzeitschulpflicht. Es muss kein bestimmter allgemeinbildender Schulab-

schluss vorliegen. Finanziert wird die Ausbildung primär durch die ausbildenden Betriebe, die

insbesondere die Kosten für den betrieblichen Teil der Ausbildung tragen und dem jeweiligen

Auszubildenden eine Ausbildungsvergütung zahlen. Die inhaltliche Festlegung der mindes-

tens zu erwerbenden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten werden für jeden anerkannten

Ausbildungsberuf geregelt; für den betrieblichen Ausbildungsteil über vom zuständigen Bun-

desministerium als Rechtsverordnungen erlassene und bundesweit geltende Ausbildungsord-

nungen und für den berufsschulischen Teil über die von der KMK entwickelten Rahmenlehr-

pläne, die aufgrund der Kulturhoheit der Länder von den einzelnen Bundesländern in entspre-

chende Landeslehrpläne umgesetzt werden (vgl. Hippach-Schneider/Krause/Woll 2007, 26f.).

Entwicklung und Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen erfolgen

dabei im Rahmen eines mehrstufigen Prozesses. An diesem sind neben Bund und Ländern

insbesondere auch die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände beteiligt. Die politische Steu-

erung und Kontrolle der dualen Berufsausbildung erfolgt somit in gemeinsamer Verantwor-

tung von Staat und Sozialpartnern in korporatistischen Arrangements, so dass Arbeitgeber-

und Arbeitnehmerverbänden einen hohen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung und die

praktische Durchführung der Ausbildung haben (vgl. Baethge 2008, 543, 546).

Die zweite Säule des nicht-akademischen Berufsbildungssystems stellt das Schulberufssystem

dar, in dem ebenfalls ein Abschluss in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf erwor-

ben werden kann. Im Gegensatz zur Ausbildung im dualen System erfolgt die Ausbildung

hier jedoch in vollzeitschulischer Form in Verantwortung des Schulträgers (vgl. Konsortium

Bildungsberichterstattung 2006, 79). Zum Schulberufssystem gehören Berufsfachschulen, an

denen ein vollqualifizierender Berufsabschluss entweder nach BBiG/HwO oder außerhalb von

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BBiG/HwO erworben werden kann, Fachschulen im Bereich der beruflichen Erstausbildung

sowie die Schulen des Gesundheitswesens (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006,

258). Grundsätzlich unterliegen sie der Aufsicht der Länderkultusminister; eine Ausnahme

stellen hier jedoch die Schulen des Gesundheitswesens dar (vgl. Baethge 2008, 578). Deren

Ausbildungsgänge unterliegen in der Regel dem Bundesrecht (vgl. Zöller 2015, 52). Die

rechtlichen Grundlagen der Bildungsgänge im Schulberufssystem sind folglich wesentlich

heterogener als im dualen System der Berufsausbildung. Auch finden sich unterschiedliche

Zugangsvoraussetzungen für diese Bildungsgänge und erhalten Schülerinnen und Schüler,

anders als in der dualen Ausbildung, bislang keine Ausbildungsvergütung.

Die dritte Säule stellt der Übergangsbereich dar. Hierzu zählen Bildungsmaßnahmen, die

unterhalb einer vollqualifizierenden Berufsausbildung liegen (vgl. Baethge 2008, 543) und

daher im Folgenden nicht weiter betrachtet werden.

2.2 Verortung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe im Bildungssystem

Therapeutischen Gesundheitsfachberufe werden traditionell an den oben genannten Schulen

des Gesundheitswesens ausgebildet, die sich häufig in freier Trägerschaft befinden und an

eine Praxiseinrichtung (beispielsweise Krankenhaus oder Gesundheitszentrum) angeschlossen

sind oder mit einer solchen kooperieren (vgl. Wissenschaftsrat 2012, 54f.). Die Gesetzge-

bungskompetenz für diese Ausbildungen fällt als Besonderheit nicht in den Bereich der Bun-

desländer, die basierend auf der Kulturhoheit grundsätzlich für Schulangelegenheiten zustän-

dig sind. Aufgrund der mit der Ausübung dieser Berufe verbundenen Gesundheitsgefahren für

die zu behandelnden Personen hat stattdessen der Bund auf Basis der konkurrierenden

Gesetzgebung nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz von seiner Gesetzgebungskompe-

tenz Gebrauch gemacht und die Zulassung und Ausübung als „Heilgewerbe“ über die jeweili-

gen Berufsgesetze bundeseinheitlich geregelt (vgl. BMBF 2014, 15).

Die zentralen rechtlichen Grundlagen für die hier betrachteten Berufe finden sich im Ergo-

therapeuten- (ErgThG) bzw. Physiotherapeutengesetz (MPhG) sowie in den Ausbildungs- und

Prüfungsverordnungen für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten (ErgThAPrV) bzw. für

Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten (PhysTh-APrV). Diese Rechtsgrundlagen regeln

unter anderem, dass als formale Zugangsvoraussetzung für eine Ausbildung zum/zur Physio-

therapeuten/-in bzw. Ergotherapeuten/-in ein Realschulabschluss, eine andere gleichwertige

Ausbildung oder eine nach Hauptschulabschluss abgeschlossene Berufsausbildung von min-

destens zweijähriger Dauer vorliegen muss (§ 4 Abs. 2 ErgThG; § 10 MPhG). Darüber hinaus

finden sich in den Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen Angaben zum Mindestumfang

des theoretischen und praktischen Unterrichts im Rahmen der dreijährigen Ausbildung (vgl.

Zöller 2014, 21).

Mit diesen rechtlichen Grundlagen werden bundesweit geltende Eckdaten für die Ausbildun-

gen und Prüfungen vorgegeben. Die konkrete Ausgestaltung dieser Eckdaten erfolgt aufgrund

der eingeschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes jedoch weitgehend durch die Bun-

desländer. Dies geschieht allerdings nicht einheitlich und auch die Verantwortung ist in den

einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Teilweise untersteht die Ausbildung den

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Gesundheits- oder Sozialministerien, seltener den Kultusministerien (vgl. Dielmann 2013,

158).

Diese Sonderstellung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe im Berufsbildungssystem

wird nachvollziehbar in der Rekonstruktion der historischen Entwicklung dieser Berufe, wie

im Folgenden gezeigt wird.

3 Die therapeutischen Gesundheitsfachberufe – historische Entwicklung

Historisch betrachtet nahmen etliche Berufe, die heute im Schulberufssystem ausgebildet

werden, ihren Anfang in etwa zeitlich parallel zur Entwicklung des heutigen dualen Ausbil-

dungssystems. Es entstand eine Vielzahl an beruflichen Schulen als Vorläufer heutiger voll-

qualifizierender Berufsfachschulen (vgl. Feller 1998, 292). Die aus dieser Entwicklung ent-

standenen heutigen Berufe nahmen ihren Anfang hauptsächlich als reine ‚Frauenberufe‘

(Berufe mit einem Frauenanteil von mehr als 70% (vgl. Trappe 2006, 51, 61)) und fanden

ihren Platz erst nach langem Ringen in einer hierarchisierten Berufswelt, die diese Berufe in

eine Sackgassenposition drängte. Es entstand so eine Vielzahl von Berufen, die aber, anders

als im dualen Ausbildungssystem, auf keiner gemeinsamen rechtlichen Basis oder gemeinsa-

men beruflich-korporatistischen Regelungsstrukturen fußten, sondern sich unabhängig vonei-

nander in unterschiedlichen Kontexten entwickelten (vgl. Dobischat 2010, 104). In dieser

Entstehungsgeschichte der sogenannten Schulberufe nahmen die Gesundheitsfachberufe einen

eigenen Entwicklungsstrang ein. Daher werden nachfolgend zunächst allgemeine Entwick-

lungslinien des Berufsbildungssystems nachgezeichnet, bevor anschließend eine detaillierte

Betrachtung der Historie der hier im Mittelpunkt stehenden Berufe Physiotherapie und Ergo-

therapie erfolgt.

3.1 Die historische Entwicklung der nicht-akademischen Ausbildungsberufe

Das Fundament des heutigen Berufsbildungssystems entstand an der Schwelle zum 20. Jahr-

hundert und differenzierte sich nach und nach im Wesentlichen in zwei Teilbereiche. Zum

einen die Lehre als Vorläufer der heutigen dualen Ausbildung für Berufspositionen mit der

Intention einer langfristigen Bindung an den Arbeitsmarkt, was prinzipiell nur für männliche

Jugendlichen gelten sollte. Zum anderen ein breites Spektrum an vollzeitschulischen Bil-

dungsgängen für Mädchen und junge Frauen, die unterschiedlichen politischen und sozialen

Intentionen folgten (vgl. Feller 1998, 292).

Betrachtet man die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der damaligen Zeit in

Deutschland, so kann festgehalten werden, dass der Motor der Entwicklung des dualen Aus-

bildungssystems zunächst nicht die Qualifizierungsinteressen der Gesellschaft war, sondern es

sollte vorrangig die Bindung der männlichen Jungend an die bürgerliche Gesellschaft nach

Entlassung aus der Volksschule sichern und sie auf ihre staatsbürgerlichen Pflichten vorberei-

ten (vgl. Dobischat 2010, 102f.; Kerschensteiner 1901, zit. in Krüger 2003, 149). Erst die über

viele Jahrzehnte andauernde Weiterentwicklung der zunächst unabhängig voneinander lau-

fenden Lernorte Betrieb und Schule und der mit Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes

1969 letztlich verankerte Systemcharakter der Ausbildung, führte zur Konsolidierung des bis

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heute anhaltenden Qualifizierungsmodells des deutschen „Facharbeiters“ (vgl. Dobischat

2010, 103).

Die Entwicklung vollzeitschulischer Bildungsgänge für Mädchen und junge Frauen kann zeit-

lich parallel verfolgt werden, jedoch wurden die Weichenstellungen hier organisatorisch,

inhaltlich und rechtlich gänzlich anders vollzogen (vgl. Dobischat 2010, 104). So entwickel-

ten sich verschiedene fachliche Stränge vollzeitschulischer Berufsbildung im Kontext ihrer

jeweils spezifischen zeitgeschichtlichen Geschehnisse, die bis heute keine einheitliche Grund-

struktur aufweisen, sondern formal, inhaltlich, rechtlich und strukturell äußerst heterogen auf-

gestellt sind (vgl. Feller 1998, 292).

Die meisten dieser vollzeitschulischen Bildungsgänge beinhalteten keinen klaren Berufsbe-

zug, sondern dienten hauptsächlich als Zwischenstadium und Vorbereitung auf die Familien-

gründung (vgl. Feller 1998, 293). So entstanden sogenannte „höhere Töchterschulen“, die

hauptsächlich auf Tätigkeiten rund um die Familienfunktionen „erziehen, pflegen, gesund

erhalten“ vorbereiteten. Basisgedanken war, Mädchen systematisch von einer Berufsausbil-

dung fernzuhalten, um ihre Orientierung auf ein späteres Familienleben und die Übernahme

der Familienpflichten nicht zu gefährden. Es galt, den Zugang zu qualifizierten Erwerbstätig-

keiten, die möglicherweise Optionen und Interessen an einer langfristigen Berufstätigkeit

entwickeln und stützen könnten, schon im Ansatz zu verhindern (vgl. Mayer 1992, zit. in

Krüger 2004, 150). Außerdem entstanden aber auch Handelsschulen, die es (unverheirateten)

Frauen ermöglichen sollte, sich einen eigenen Lebensunterhalt zu sichern, was nach dem ers-

ten Weltkrieg für viele auch essentiell wurde (vgl. Krüger 2004, 150). Daneben wurden durch

die zunehmende Industrialisierung insbesondere auch Frauen aus der Unterschicht zu außer-

häuslichen, ungelernten Tätigkeiten in Industrie oder Landwirtschaft gezwungen. Für sie ent-

standen sogenannte Industrie- oder Armenschulen mit dem Ziel einer allgemeinen beruflichen

Qualifizierung aber keiner spezifischen Berufsausbildung. Sie dienten der Erziehung zur

Arbeitsamkeit und Förderung der Erwerbsfähigkeit. Anlass für die Gründung dieser Schulen

war auch die Veränderungen in der Textilproduktion, da viele Beschäftigungen durch einen

Modewechsel Ende des 18. Jahrhunderts (weg von groben Samt zu Seide aus Frankreich)

wegfielen, gleichzeitig aber der Bedarf an Dienstboten stieg (vgl. Feller 1998, 292). Auch die

zurückliegenden Kriege lösten erhöhte Bedarfe an gesundheitlicher und sozialfürsorglichen

Tätigkeiten aus, die speziell für unverheiratete Frauen aus dem Bürgertum als Überbrückung

bis zur Eheschließung als geeignet angesehen wurden (vgl. Meifort 1999, zit. in Dobischat

2010, 105). So entstanden Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls verschiedene sozialdienstliche

Schulen mit Ziel der Bildung einer „Sozialen Frauenpersönlichkeit“, was nicht an den Anfor-

derungen potentieller Arbeitsgeber orientiert war (vgl. Feller 1998, 295).

Diese „Bildungsanstalten für Frauen“ wurden insgesamt nicht nach den Prinzipien des dualen

Systems gestaltet, sondern den Kultusministerien oder später auch freien Trägern mit entspre-

chendem Arbeitskräftebedarf unterstellt. Es fehlten in einzelnen Sektoren oder Tätigkeitsbe-

reichen, anders als in der Industrie, berufliche beziehungsweise korporatistische Regelungs-

strukturen, ordnungsrechtliche Standardisierung und Professionalisierung (vgl. Krüger 2004,

150; Dobischat 2010, 104; Friese 2014, 2).

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Später entstanden aus diesen Anfängen schulischer Ausbildungsgänge für Frauen mit Heraus-

kristallisierung der Berufsförmigkeit von Dienstleistungen eine Vielzahl personenbezogener

Dienstleistungsberufe in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Soziales und Hauswirtschaft, von

denen einige Berufe später in das duale Ausbildungssystem überführt wurden, wie beispiels-

weise die Arzthelferin (heute medizinische Fachangestellte). Andere wurden in vollzeitschuli-

scher Form belassen (vgl. Krüger 2004, 150), wie auch die hier betrachteten therapeutischen

Gesundheitsfachberufe Physiotherapie und Ergotherapie.

3.2 Die historische Entwicklung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe Physio-

therapie und Ergotherapie

Die Entstehungsgeschichte der heutigen therapeutischen Gesundheitsfachberufe Physiothera-

pie und Ergotherapie kann zwar zeitlich parallel zu den beschriebenen schulischen Bildungs-

gängen für Frauen nachgezeichnet werden, sie nahm hier jedoch einen eigenen Entwicklungs-

strang ein, der sich unabhängig davon entwickelte. Stark geprägt war der Weg in die Verbe-

ruflichung von der Initiative engagierter Frauen und auch Ärzten sowie auch durch den Ein-

fluss zeitgeschichtlicher Geschehnisse in Deutschland.

Ein Meilenstein in der Entwicklung des Berufes der Physiotherapie stellen die Bemühungen

des Berliner Arztes Albert Neumann dar. Dieser brachte die aus Schweden stammende

„medizinische Gymnastik“ Mitte des 19. Jahrhunderts nach Deutschland und etablierte in

Berlin den ersten ärztlich geleiteten Kursaal für medizinische Heilgymnastik. Da die preußi-

sche Gesundheitsbehörde allerdings die Notwendigkeit eines eigenständigen Heilgymnasten

bezweifelte, erhielt Neumann keinen staatlichen Lehrauftrag für Heilgymnastik (vgl. Hüter-

Becker 2004, 9f.). Erst um 1900 eröffnete die erste privat gegründete Lehranstalt für Heil-

gymnastik in Kiel. Diese Ausbildung erfolgte zwar mit staatlicher Anerkennung aber unter

der Prämisse eines „Heil-Hilfsberufs“, der die Heilgymnastik klar unter die Oberhoheit des

ärztlichen Berufes stellte. Die erste staatliche Schule für „Krankengymnastik und Massage“

wurde 1919 in Sachsen gegründet (vgl. Hüter-Becker 2004, 14). Weitere Schulen folgten

schon bald, denn aufgrund zunehmender Verkehrs- und auch Arbeitsunfälle im Zuge der

Industrialisierung sowie aufgrund der körperlichen Folgen der beiden Weltkriege stieg stetig

der Bedarf an entsprechenden heilgymnastischen Therapien. Die bis dato vorhandenen Aus-

bildungsstätten reichten bei weitem nicht aus, diesen Bedarf zu decken (vgl. Hüter-Becker

2004, 13f.; Kohlwes 2009, 42).

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges gab es die ersten Bestrebungen, den Berufsstand zu

konsolidieren und die Ausbildung zu vereinheitlichen, denn bislang fehlte es sowohl an einer

einheitlichen rechtlichen Fundierung der Ausbildungsgänge als auch an einem Schutz der

Berufsbezeichnung (vgl. Hüter-Becker 2004, 16). 1948 wurden sodann durch eine Gruppe

engagierter Frauen die Weichen für einen „gesamtdeutschen“ krankengymnastischen Berufs-

verband gestellt. 1949 folgte als weiterer Meilenstein das erste Treffen der Vertreter der

Krankengymnastikschulen und Landesverbände, um einheitliche Regelungen der Ausbildung

mit Schutz der Berufsbezeichnung durch ein Bundesgesetz vorzubereiten (vgl. Hüter-Becker

2004, 17). 10 Jahre später wurde dann das erste Bundesgesetz „über die Berufe des Masseurs,

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des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten“ erlassen. Dieses

sah den verordnenden Arzt klar für die Entscheidung und Verantwortung über die auszufüh-

renden Therapien vor (vgl. Hüter-Becker 2004, 20; Kohlwes 2009, 41). 1994 wurde das

Gesetz novelliert und ein Anerkennungspraktikum in die Ausbildung integriert.

Bis in die 1970er Jahre war der Berufe ein reiner Frauenberuf. Erst mit Einführung des Nume-

rus clausus für das Medizinstudium interessierten sich auch Männer für die Krankengymnas-

tikausbildung (vgl. Hüter- Becker 2004, 24).

Ähnlich wie für den Beruf der Physiotherapie lassen sich auch Meilensteine in der Entwick-

lung des Berufs der Ergotherapie identifizieren. Den ersten Ausbildungsgang für Beschäfti-

gungstherapie gab es bereits 1908 in Chicago (vgl. Kubny-Lüke 2000, 12). In Deutschland

wurde der erste organisierte Ausbildungsgang hingegen erst 1947 in der Landeskrankenanstalt

in Bad Pyrmont durchgeführt. Dort war eine große Anzahl an Kriegsverletzten untergebracht,

deren geschädigte Gliedmaßen durch eine auf Aktivität ausgerichtete Therapie behandelt

werden sollten. Wie bei der Physiotherapie war also auch bei der Ergotherapie die hohe Zahl

an Verletzten des zweiten Weltkrieges und dem sich daraus ergebenden Bedarf an therapeuti-

schen Maßnahmen zur Behandlung der körperlichen Kriegsfolgen ein wesentlicher Treiber

für die Entwicklung des Berufsbildes der „Beschäftigungstherapie“ in Deutschland (vgl. Mar-

quardt 2004, 13f.). Die erste staatlich anerkannte Schule für Beschäftigungstherapie entstand

1953 in Hannover. Zugleich setzten sich ab Anfang der 1950er Jahre engagierte Beschäfti-

gungstherapeutinnen für einen eigenen Berufsverband ein. Dieser nahm ab 1954 seine Arbeit

auf und beschäftigte sich in den Folgejahren intensiv mit der Eigenständigkeit des Berufes,

den Ausbildungsinhalten und der Ausbildungsdauer. Es dauerte dann jedoch noch bis 1977

bis das Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten in Kraft trat und

die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung bundeseinheitlich geregelt wurde. Die

Oberhoheit über die Ausbildung lag auch hier weitgehend in ärztlicher Hand (vgl. Kubny-

Lüke 2000, 12f.).

3.3 Hierarchisierung der Berufswelt

Die Entstehungsgeschichte dieser „Heil-Hilfsberufe“ ist im Spanungsfeld der Etablierung von

Professionen im tertiären Bildungssektor ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu betrachten. Im

Rahmen dieser Professionalisierungsprozesse kam es dazu, dass in Bereichen wie bspw. der

Justiz und vor allem auch in der Medizin nur die akademische Ausbildung den Zugangsweg

zum exklusiven Kreis der „professionals“ eröffnete, die bestimmte Dienstleistungen anbieten

durften (vgl. Wetterer 1995, 15). Im Bereich der Medizin sollten dadurch einerseits Patienten

vor „Kurpfuschern“ und „Scharlatanen“ bewahrt werden. Andererseits konnten so jedoch

auch Konkurrenten ausgeschalten und die einträglichen Marktanteile gesichert werden (vgl.

Wetterer 1995, 15).

Bedeutsam für die hier dargestellte Hierarchisierung der Berufswelt ist aus historischer Per-

spektive besonders der machttheoretische Ansatz, der als Dominanzmodell die Beziehung

zwischen Ärzten und nichtmedizinischem Personal charakterisiert. Als Urheber des Begriffs

„professional dominance“ gilt der amerikanische Soziologe Eliot Freidson, „der die Autono-

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mie und damit die gesellschaftliche Autorität des Ärztestandes partiell in der Herrschaft der

Profession über das System der medizinischen Arbeitsteilung, also über die nachgeordneten

Gesundheitsberufe, begründet sah“ (Freidson, 1970, zit. in Döhler 1997, 61). So erreichte die

Ärzteschaft an der Wende zum 20. Jahrhundert „die nahe vollständige Beherrschung des

Gesundheitsmarktes und ihre privilegierte soziale Stellung“ (Bollinger/ Gerlach 2015, 90).

Von dieser Monopolstellung der Ärzte für die Ausübung der Heilkunde wurden dann unter

ärztlicher Kontrolle an „nachgeordnete“ Berufsgruppen Tätigkeiten delegiert. Unter dieser

Subordination hat die medizinische Profession „die Definitionshoheit über Ausbildungs-

inhalte, Tätigkeitsfelder und den praktischen Einsatz vieler nichtärztlicher Gesundheitsberufe

erlangt, indem sie ein den dafür zuständigen staatlichen oder nichtstaatlichen Regulierungs-

instanzen eine Veto- oder gar Kontrollposition etablieren konnte“ (Döhler 1997, 63). Diese

„Heil-Hilfsberufe“ sollten so nicht die ärztliche Weisungsbefugnis in Frage stellen und auf die

Ausführung von Anweisungen beschränkt bleiben (vgl. Scherfer 2004, 48).

In diesem System der akademischen Professionen entstanden so semi-professionellen Berufs-

gruppen, die in allen Fragen der Rekrutierung, Qualifikation und Berufsausübung der Wei-

sungsbefugnis und Kontrolle der akademischen Professionen unterstellt wurden. Besetzt wur-

den diese „Heil-Hilfsberufe“ auch deshalb mehrheitlich von Frauen, da ihnen lange Zeit der

Zugang zur akademischen Bildung verwehrt wurde. So etablierte sich eine geschlechtshierar-

chische Arbeitsteilung zwischen vorwiegend männlich dominierten Professionen und weib-

lich besetzten „Semiprofessionen“, ein Muster der Beziehungen zwischen Männer- und Frau-

enarbeit, das sich laut Wetterer in vielen Berufsbereichen zeigte (vgl. Wetterer 1995, 16f.).

Auf diese Weise hat sich im Gesundheitsbereich eine berufliche Grundstruktur etabliert, die

bis heute die therapeutischen, nichtärztlichen Heilberufe unter die Dominanz der ärztlichen

Profession stellt und sie auf den Rang einer Semiprofession verweist. Aus historischer Per-

spektive konnten so Frauen, die diese „Heil-Hilfsberufe“ besetzten, in dieser hierarchischen

Grundstruktur auf einen Platz weiter unten in der beruflichen Hierarchieebene festgehalten

werden. Bis heute ist bei der staatlichen Prüfung in der Physio- und Ergotherapie-Ausbildung

gemäß der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zwingend mindestens ein Arzt

in den Prüfungsausschuss zu bestellen (§ 3 PhysTh-APrV; § 3 ErgThAPrV). Bis heute wird

die deutsche Physiotherapie wie auch die Ergotherapie durch diese historische Gewordenheit

und Verortung im System medizinischer Versorgung als Heil- und Hilfsberuf geprägt (vgl.

Höppner/Richter 2018, 3) und erweisen sich diese Berufsstrukturen als Hemmschuh in der

Weiterentwicklung und Modernisierung dieser Berufe.

4 Entwicklungen in den therapeutischen Gesundheitsfachberuf - vom

„Sackgassenberufe“ zu durchlässigen, modernen Bildungsstrukturen

Aus der dargelegten Historie der Berufe wird deutlich, dass durch die für sie vorgesehene

Stellung im Gefüge der Gesundheitsversorgung keine beruflichen Weiterentwicklungen

erwünscht waren und daher die Berufsstrukturen auch über lange Zeit keine Möglichkeiten

des beruflichen Aufstieges im formalen Bildungssystem boten.

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Momentan befinden sich die therapeutischen Gesundheitsfachberufe in einer Umbruchphase

und es werden unterschiedliche Wege begangen, die Durchlässigkeit in diesen Berufen zu

erhöhen. Aber auch das Berufsbild selbst steht zur Diskussion und wie die Berufsausbildung

zu modernisieren ist, um den Anforderungen, die heute an Absolventinnen und Absolventen

dieser Ausbildungsgänge gestellt werden, gerecht zu werden, was im Folgenden näher erläu-

tert wird.

4.1 Therapeutische Gesundheitsberufe als Bildungssackgasse

Die therapeutischen Gesundheitsfachberufe galten bislang als sogenannte „Sackgassen-

berufe“, da für diese Berufe aus ihrer historischen Gewordenheit und Positionen im Gesund-

heitssystem keine vertikal durchlässigen Bildungswege vorgesehen waren bzw. Weiterent-

wicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen sehr begrenzt wurden (vgl. Scherfer 2004,

48). Höhere berufliche Leitungspositionen waren weitgehend nur auf dem Weg einer langen

Betriebszughörigkeit sowie Kompetenzen und Zertifikaten zu erreichen, die außerhalb des

formalen Bildungssystems erworben wurden.

Im Anschluss an eine berufliche Erstausbildung stehen die Angehörigen der therapeutischen

Gesundheitsfachberufe heute einer sehr heterogenen Weiterbildungslandschaft gegenüber. Im

non-formalen Bildungsbereich gibt es eine Vielzahl an nicht oder kaum regulierten Fortbil-

dungsangeboten von diversen Bildungsanbietern in unterschiedlicher Trägerschaft (vgl. Hil-

bert/Bräutigam/Evans 2014, 45). Diesem Weiterbildungsbereich kommt eine große Bedeu-

tung zu, da im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes 2004 vom Gesetzgeber eine Ver-

pflichtung aller zugelassenen Heilmittelberbringer eingeführt wurde, sich kontinuierlich fort-

zubilden. Dies haben die Heilmittelverbände und Spitzenverbände der Krankenkassen in der

Rahmenempfehlung nach § 125 SGB V genauer geregelt und die regelmäßige Teilnahme an

anerkannten non-formalen Zertifikatskursen zur Voraussetzung für die Zulassung bei den

Krankenassen gemacht. Bei nicht Einhalten kann dies bis zum Entzug der Kassenzulassung

führen (vgl. Deutscher Verband für Physiotherapie 2013, 9).

Im formalen Bildungssystem waren durchlässige Bildungswege in die akademische Bildung

traditionell nicht vorgesehen und eine berufliche Weiterentwicklung konnte vor Einführung

erster Studiengänge häufig nur über ein Hochschulstudium in einer anderen (Nachbar-)Diszi-

plin erfolgen. Dies führte allerdings auch dazu, dass viele der ausgebildeten Therapeut(inn)en

dem Berufsstand verloren gingen (vgl. Scherfer 2004, 48).

Ein durchgängiges und rechtlich einheitlich geregeltes Berufslaufbahnkonzept innerhalb des

formalen Berufsbildungssystems, wie es bei den Ausbildungsberufen im dualen System

gemäß BBiG/HwO etabliert wurde, besteht auf Basis dieser Weiterbildungsstruktur für die

therapeutischen Gesundheitsfachberufe somit bislang kaum (vgl. Zöller 2012, 7f.).

Gerade bei den Gesundheits- und Sozialpflegeberufen wurde daher in der Vergangenheit auch

vielfach „die begrenzte Anschlussfähigkeit an tertiäre Ausbildungsgänge […] moniert“

(Baethge 2008, 581).

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4.2 Durchlässigere Bildungswege in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen

Mittlerweile besteht für ausgebildete Physio- und Ergotherapeut(inn)en die Möglichkeit, eine

landesrechtlich geregelte Fach- oder Funktionsweiterbildung im tertiären Bildungsbereich zu

absolvieren (vgl. Zöller 2014, 11f.). Anders als für die Pflegeberufe für die es eine relativ

hohe landesrechtliche Regelungsdichte gibt, ist dies für die therapeutischen Gesundheitsfach-

berufe mit wenigen Ausnahmen (zum Beispiel die Weitbildungsverordnung des Landes Sach-

sen zum/zur Fachphysiotherapeuten/-in für psychosoziale Medizin) jedoch nicht gegeben

(vgl. Dielmann 2013, 171f.).

Insbesondere seit den 1990er Jahren ist es zu einer Ausweitung hochschulischer Ausbildungs-

angebote für die hier betrachteten therapeutischen Gesundheitsfachberufe gekommen. Dieser

sich immer noch vollziehende Prozess wird befeuert durch unterschiedliche Entwicklungen

im Gesundheitswesen, wie bspw. der demografische Wandel sowie neue wissenschaftliche

Erkenntnisse, die zu quantitativ und qualitativ veränderten Qualifikationsbedarfen führten

(vgl. Wissenschaftsrat 2012, 7f., 62f.). Aber auch Diskussionen um eine Ausbildung, die im

europäischen Vergleich wettbewerbsfähig ist und den deutschen Berufsangehörigen Mobilität

innerhalb von Europa ermöglicht, können als Treiber für den Ausbau hochschulischer Bil-

dungsangebote in den therapeutischen Gesundheitsberufen identifiziert werden (vgl. Deut-

scher Bundestag 2016, 7). Beispielsweise ist im Vergleich mit anderen europäischen Bil-

dungsabschlüssen in der Physiotherapie Deutschland neben Kroatien und Serbien-Monte-

negro das einzige Land, indem die Ausbildung nicht grundsätzlich auf der Ebene des tertiären

Bildungssektors verortet ist (vgl. Klemme/Geuter/Willimczik 2007, 81).

Zu Beginn dieses Akademisierungsprozesses bestand das hochschulische Bildungsangebote

für die therapeutischen Gesundheitsfachberufe vor allem aus zertifizierten Weiterbildungsstu-

diengängen. Diese ermöglichen Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und

gegebenenfalls Berufserfahrung eine individuelle berufliche Weiterbildung auf akademischen

Niveau (vgl. Wissenschaftsrat 2012, 57, 62). Ab 2001 begann dann der Aufbau ausbildungs-

integrierender Studiengänge, die eine hochschulische Ausbildung mit einer Ausbildung an

einer berufsbildenden Schule und kooperierenden Praxiseinrichtungen verzahnen (vgl. Wis-

senschaftsrat 2012, 58, 62).

Durch die sogenannten Modellklauseln im Physiotherapeuten- und Ergotherapeutengesetz ist

es in den hier betrachteten therapeutischen Gesundheitsfachberufen seit 2009 darüber hinaus

möglich, auch grundständige berufszulassende Bachelorstudiengänge an Fachhochschulen

und Universitäten zu konzipieren und zu erproben. Dabei sind die „Ziele, Dauer, Art und all-

gemeine Vorgaben zur Ausgestaltung der Modellvorhaben sowie die Bedingungen für die

Teilnahme […] jeweils von den Ländern festzulegen“ (§ 4 Abs. 6 ErgThG). Gleichwohl sind

diese primärqualifizierenden Studiengänge ebenso wie die ausbildungsintegrierenden Studi-

engänge hinsichtlich der praktischen Ausbildung an die Vorgaben der jeweils bundesweit

gültigen Berufsgesetze gebunden (vgl. Wissenschaftsrat 2012, 57f.). Die Erprobung dieser

akademischen Erstausbildung war zunächst bis zum 31. Dezember 2017 befristet und wurde

wissenschaftlich begleitet und evaluiert (vgl. Deutscher Bundestag 2016, 7). Über eine Ver-

stetigung dieser akademischen Erstausbildung wurde bislang allerdings noch nicht abschlie-

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ßend entschieden. Stattdessen wurden die vorhandenen Modellklauseln in den Berufsgesetzen

zunächst bis zum Jahr 2021 verlängert, um die Prozesse weiterhin wissenschaftlich zu beglei-

ten (vgl. Bundesministerium für Gesundheit, 2016).

Auf diese Weise ist in den letzten Jahren ein heterogenes Feld an verschiedenen hochschuli-

schen Qualifizierungsmodellen für die therapeutischen Gesundheitsfachberufe entstanden,

welches das traditionelle Modell der Berufsausbildung an Schulen des Gesundheitswesens

erweitert.

Einerseits hat sich für die therapeutischen Gesundheitsberufe mit Einführung dieser akademi-

schen Bildungsgänge eine Chance für durchlässigere Bildungswege (bis zur Promotion) auf-

getan und damit ein Schritt heraus aus der historisch gewachsenen Tradition eines „Hilfsbe-

rufs“ möglich gemacht. Hier ist besonders auch das Modell der wechselseitigen Anrechnung

von Ausbildungsanteilen aus der Berufsausbildung auf die akademischen Bildungsgänge von

Bedeutung (vgl. Dielmann 2013, 176).

Andererseits wurde der Weg in die Akademisierung ähnlich gegangen, wie zuvor der Weg in

die Verberuflichung: von „Inseln“ oder einzelnen Initiativen von Hochschulen ausgehend,

ohne einheitliche Standards, Ausbildungsformate oder Curricula für die Verzahnung von

beruflicher und akademischer Bildung. Dies stellt erneut einen Hemmschuh für eine einheitli-

che Weiterentwicklung der Berufe dar.

Mittlerweile wurde die Diskussion darüber, wie ein einheitliches zukunftsfähiges und durch-

lässiges Bildungskonzept in den therapeutischen Gesundheitsberufen aussehen soll, sowohl

von politischer und wissenschaftlicher Seite als auch aus den Berufsverbänden selbst heraus

verstärkt aufgenommen. So legte beispielsweise der deutsche Verband der Ergotherapeuten

einen Entwurf eines Bildungskonzeptes vor, das neben einer grundständigen akademischen

Ausbildung durchlässige Bildungswege über die berufliche Bildung an einer Berufsfachschule

bis hin zur Promotion an einer Universität aufzeigt (vgl. Longrée/Junge 2014, 33). Auch im

vom Bundesministerium für Gesundheit 2018 herausgegebenen „Eckpunktepapier zur Siche-

rung und Weiterentwicklung der Heilmittelversorgung“ wird konstatiert, dass die organisato-

rische und inhaltliche Ausgestaltung der Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen auf

den Prüfstand gestellt werden muss. Organisatorisch soll dafür ein Gesamtkonzept zusammen

mit den Ländern entwickelt werden, das u. a. auch bedarfs- und praxisorientierte Strukturen,

z. B. hinsichtlich der Regelungen zu erwerbender Zertifikate und die Frage nach der Akade-

misierung dieser Berufe klären soll. Inhaltlich wird darüber hinaus die Ausgestaltung der

Ausbildung entlang von kompetenzorientierten Aufgabenprofilen als weiteres wichtiges

Handlungsfeld genannt (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2018). Die inhaltlichen Dis-

kussionen um Gegenstand, Ziel und Eigenständigkeit der Physiotherapie und Ergotherapie ist

in den letzten Jahren zunehmend auch aus den Berufsständen selbst heraus, sowohl auf politi-

scher als auch auf wissenschaftlicher Ebene, zu beobachten, wie im Folgenden erläutert wird.

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4.3 Inhaltliche Neuausrichtung und Modernisierung der therapeutischen Gesundheits-

fachberufen

Neben der Auseinandersetzung mit den strukturellen Bedingungen der Ausbildung wird

zunehmend auch die Diskussion um den jeweiligen Berufsstand und dessen inhaltliche Wei-

terentwicklung und Professionalisierung geführt. Die wahrgenommenen Veränderungen der

beruflichen Praxis durch veränderte Versorgungssituationen führen laut Richter zu einem

Nachdenken über berufliches Handeln, das historisch gewachsen bislang geprägt war durch

„eine zunehmende Anhäufung von relativ unstrukturiertem und oft wenig validem Wissen“

(Richter 2018, 213). Für die Physiotherapie beschreibt er seit den 1990 Jahren einen “Trans-

formationsprozess, welcher als emanzipatorischer Akt fachlicher und institutioneller Loslö-

sung von der ärztlichen Medizin verstanden werden kann“ (Richter 2018, 213).

Für die Ergotherapie beschreibt Hagedorn (2004, 17f.) die fachlich/inhaltliche Entwicklung

für den Beruf als „evolutionären Prozess“. Historisch betrachtet steht im ersten Stadium die-

ses Modells der Berufsentwicklung die rein empirische Entwicklung von Berufspraktiken, die

anhand praktischer Erfahrung getestet, weiterentwickelt und weitervermittelt werden. Im

nächsten Stadium, einhergehend mit der „Verberuflichung“, werden Wissen und Fertigkeiten

für den Berufstand als „legitim“ akzeptiert, vereinheitlicht und als Standard der Ausbildung

offiziell anerkannt und formalisiert (und rechtlich normiert, in diesem Fall durch die Verab-

schiedung des Berufsgesetzes). Im dritten Stadium erfolgt die Weiterentwicklung der Berufe

auf Hochschulniveau. Es werden empirische, fachpraktische Systematiken wissenschaftlich

hinterfragt und diskutiert sowie auf Basis eigener entwickelter Theorien und Modelle fundiert

und begründet. Daraus sollen dann wiederum Erkenntnisse und Belege für die Wirksamkeit

der therapeutischen Arbeit abgeleitet werden können. Diese Suche nach eigenen Konzepten,

Definitionen und Entwicklung eigener Theorien und Modelle sind laut Hagedorn entschei-

dende Bausteine in der Weiterentwicklung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe hin zu

eigenständigen Professionen, auf deren Basis idealerweise dann eine akademische Ausbildung

erfolgen könnte (vgl. Hagedorn 2004, 17f.).

Ähnlich argumentiert Richter (2018) für die Physiotherapie, die „sich auf den Weg vom Beruf

zur Profession gemacht [hat]“ (ebd., 213). Auf Basis der „Veränderung der beruflichen Praxis

durch veränderte Versorgungssituationen, eine zunehmende Anhäufung von relativ unstruktu-

riertem und oft wenig validem Wissen sowie gesellschaftlichen Legitimationszwängen“ (ebd.,

213) muss über berufliches Handeln neu nachgedacht werden.

Nachdem sowohl die Ergotherapie als auch die Physiotherapie in ihren fast hundertjährigen

Entwicklungen nahezu ohne verallgemeinernde und generalisierbare theoretische Grundlagen

existierten, werden in diesen therapeutischen Gesundheitsfachberufen nun Anstrengungen

unternommen, das berufliche Handeln auf ein neues wissenschaftliches Fundament zu stellen

(vgl. Höppner/Richter 2018, 19). Berufliches Handeln, das sich bislang traditionell durch

praktisches Handeln auszeichnete bzw. sich auf handlungsorientierte Erfahrung gründete, soll

nun um eine wissenschaftsbasierte Dimension erweitert werden. Derzeitige Basis der Berufs-

ausbildungen sind, wie oben erläutert, noch die veralteten Berufsgesetze sowie Ausbildungs-

und Prüfungsverordnungen.

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Während im dualen Ausbildungssystem eine kontinuierliche Anpassung der Ausbildungsord-

nungen unter korporatistischer Beteiligung aller Akteure der Ausbildung an neue Gegebenhei-

ten und Notwendigkeiten in den jeweiligen Berufen erfolgt (Dobischat 2010, 103), blieben die

Berufsgesetz der therapeutischen Gesundheitsfachberufe mit wenigen Änderungen im Grunde

ohne inhaltliche Anpassung an neuere Entwicklungen bis heute bestehen. Momentan steht die

bereits in Angriff genommene Anpassung der Berufsgesetze in der Physiotherapie und Ergo-

therapie an die fachlichen, beruflichen und didaktischen Entwicklungen noch aus.

Die jeweils aktuellen Berufsgesetze legen noch, wie anfangs ausgeführt, lediglich Mindest-

standards an Ausbildungsstunden und Ausbildungsinhalten fest, die curriculare Ausgestaltung

obliegt jedoch darüber hinaus den jeweiligen Schulen bzw. primärqualifizierenden Hochschu-

len. Historisch betrachtet ergibt sich dies durch die anfangs erläuterte eingeschränkte Gesetz-

gebungskompetenz des Bundes, der hier ein Zulassungsgesetz erlassen hat, um Schaden von

Patienten abzuwenden, was durch die Festlegung dieser Mindeststandards gesichert werden

soll. So wird lediglich die staatliche Prüfung von den jeweiligen zuständigen Stellen über-

wacht, und geprüft, ob diese Mindeststandards eingehalten werden. Eine Ausrichtung der

beruflichen Ausbildung an Kompetenzzielen, die an den aktuellen Anforderungen des Berufes

ausgerichtet sind, wie sie in der dualen Ausbildung formuliert sind, findet sich jedoch noch

nicht in diese Berufszulassungsgesetzen.

Leitziel einer dualen Berufsausbildung ist die berufliche Handlungskompetenz. Das Berufs-

bildungsgesetz (BBiG) legt für den betrieblichen Teil dieser Ausbildung fest: „Berufsausbil-

dung hat die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wan-

delnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten

(berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln“ (§ 1,

Abs. 3 BBiG). Für den berufsschulischen Teil der Ausbildung hat die Kultusministerkonfe-

renz (KMK) für die Rahmenlehrpläne ebenfalls die Erlangung von Handlungskompetenz als

Leitziel festgeschrieben. Verstanden wird unter Handlungskompetenz „die Bereitschaft und

Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen

sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (KMK

2011, 30).

Analog hierzu hat die KMK (2013) eine Rahmenvereinbarung über die Berufsfachschulen

herausgegeben, die Leitziele und Aufgaben von Berufsfachschulen benennt. Explizit werden

die Berufsfachschulen für Berufe, die nach Bundesrecht geregelt sind, davon ausgenommen.

Es sei denn, sie verleihen zusätzlich schulische Berechtigungen (vgl. KMK 2013, 4). Dies ist

bei den berufsfachschulischen Ausbildungen in den hier betrachteten therapeutischen Gesund-

heitsfachberufen allerdings in der Regel nicht der Fall.

Betrachtet man die bundeseinheitlichen Berufsgesetze für die Ergotherapeut(inn)en und Phy-

siotherapeut(inn)en, findet sich in diesen kaum Anhaltspunkte für zu erwerbende Kompetenz-

profile oder eine Kompetenzorientierung. Lediglich im Berufsgesetz der Physiotherapeuten

findet sich ein Passus zum Ziel der Ausbildung:

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„Die Ausbildung soll entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs insbesondere dazu befä-

higen, durch Anwenden geeigneter Verfahren der Physiotherapie in Prävention, kurativer

Medizin, Rehabilitation und im Kurwesen Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wie-

derherstellung aller Funktionen im somatischen und psychischen Bereich zu geben und bei

nicht rückbildungsfähigen Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen (Ausbildungs-

ziel)“ (§ 8 MPhG).

In den entsprechenden Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen werden die theoretischen

und praktischen Unterrichtsinhalte festgeschrieben sowie die zu absolvierende Stundenanzahl

der hinzukommenden praktischen Ausbildung (§ 1, Abs.1; Anlage 1 PhysTh-APrV; § 1, Abs.

1; Anlage 1 ErgThAPrV). Darüber hinaus findet sich der Vermerk, dass den Schüler(inne)n

ausreichende Möglichkeit gegeben werden muss, um die erforderlichen praktischen Fähigkei-

ten und Fertigkeiten entwickeln und einüben zu können (§ 1, Abs. 3 PhysTh-APrV; § 1, Abs.

1 ErgThAPrV).

Explizite Ausbildungsziele lassen sich auch bei den Ergotherapeut(inn)en kaum ableiten.

Stattdessen werden diese lediglich durch die Inhalte bestimmt. Auch die oben beschriebene

Modellklausel in beiden Berufsgesetzen ändert nichts an den festgeschriebenen Inhalten. Es

kommt zu keiner Erweiterung der Aufgaben. Vielmehr kommt es dem Gesetzgeber darauf an,

festzustellen, „ob die Ausbildung in praktisch tätigen Berufen auch an Hochschulen Ziel füh-

rend ist und gegebenenfalls mit einer Qualitätsverbesserung einhergeht“ (Wissenschaftsrat

2012, 35).

Für das „Wie“ einer solchen Qualitätsverbesserung, das „Wie“ der Vermittlung der geforder-

ten Fähigkeiten und Fertigkeiten oder dem angestrebten „Outcome“ (analog zur definierten

beruflichen Handlungskompetenz für die dualen Ausbildungsberufe), geben die Berufsgesetze

also kaum Antwort.

Genaue Aufgabenprofile auf Basis der rechtlichen Grundlagen für diese Berufe können so nur

bedingt abgeleitet werden, sondern werden eher durch die vorherrschende Versorgungspraxis

geprägt (vgl. Wissenschaftsrat 2012, 39).

Einen Anhaltspunkt gibt der Wissenschaftsrat, der auf Basis von Selbsteinschätzungen der

Berufsverbände, Standards der Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit und den

Definitionen des Statistischen Bundesamtes Aufgabenprofile der Gesundheitsfachberufe dar-

gestellt hat (vgl. ebd., 39). Für die Physiotherapie wird beschrieben:

„Physiotherapeutinnen und -therapeuten erarbeiten anhand ärztlicher Verordnungen und eige-

ner Befunderhebungen Behandlungspläne für Patientinnen und Patienten, deren körperliche

Bewegungsmöglichkeiten auf Grund hohen Alters, einer Krankheit, Verletzung oder Behinde-

rung eingeschränkt sind. Sie führen entsprechende Maßnahmen durch (z. B. Bewegungsthera-

pie mit und ohne Geräte, Atem-, Elektro-, Wärmetherapie, Massagen), die auch vorbeugend

eingesetzt werden können. Physiotherapeutisches Handeln zielt primär auf die Wiederherstel-

lung, Erhaltung und Förderung von Beweglichkeit.“ (ebd., 41)

Analog wird für die Ergotherapie beschrieben:

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„Ergotherapeutinnen und -therapeuten beraten, behandeln und fördern Patientinnen und Pati-

enten jeden Alters, die durch eine physische oder psychische Erkrankung, durch eine Behin-

derung oder durch eine Entwicklungsverzögerung in ihrer Selbstständigkeit und Handlungs-

fähigkeit beeinträchtigt sind oder werden können. Sie erarbeiten individuelle Behandlungs-

pläne und führen Therapien sowie Maßnahmen der Prävention durch. Ergotherapeutisches

Handeln zielt primär auf die Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung von Alltagsbetäti-

gungen“ (ebd., 41).

Die aus unterschiedlichen Berufstraditionen entstandenen Aufgabenverteilungen im Gesund-

heitswesen sind hier laut Wissenschaftsrat (2012, 42) immer noch stark an den historisch

gewachsenen beruflichen Hierarchien ausgerichtet, wobei Ärzte bislang eine exklusive, dele-

gierende Rolle eingenommen haben. Die Komplexität in der Gesundheitsversorgung ist in den

letzten Jahrzehnten jedoch stark gestiegen, was zu einer weiteren Ausdifferenzierung der ein-

zelnen Berufe führt (vgl. ebd., 42). Für die therapeutischen Gesundheitsfachberufe eröffnen

sich hier neue Chancen der Neuordnung ihrer Berufsstrukturen, die aber vor dem Hintergrund

der Historie dieser Berufe gesehen werden müssen, um die Hürden auf dem Weg zu einem

neuen Berufsbild und Platz im Berufsbildungssystem besser einordnen zu können.

5 Fazit

Die vorherigen Ausführungen machen deutlich, dass die Berufsbildung bzw. „Verberufli-

chung“ der therapeutischen Gesundheitsfachberufe einen langen, historischen Prozess durch-

laufen hat und mit der Erprobung neuer Aus- und Weiterbildungsformaten mitnichten abge-

schlossen ist. Um den beruflichen Anforderungen in der heutigen gewandelten Gesellschaft

mit ihren Herausforderungen im Bereich der Gesundheit und Pflege gerecht werden zu kön-

nen, bedarf es einer inhaltlich hochqualifizierte Ausbildung in den therapeutischen Gesund-

heitsfachberufen, die Absolventinnen und Absolventen auf diese Aufgaben angemessen vor-

bereitet.

Welchen weiteren Weg die therapeutischen Gesundheitsfachberufe in ihrer beruflichen Ent-

wicklung gehen werden, ist noch nicht klar. Neben der Forderung nach einer Vollakademisie-

rung dieser Berufe durch die großen Berufsverbände gibt es auch Szenarien, die beide Wege

der Berufsbildung nebeneinander bestehen lassen wollen und die Durchlässigkeit bzw.

Anschlussfähigkeit beider Bildungswege erhöhen möchten. Hier ist ein Anfang gemacht.

Durch die Heterogenität der Bildungswege ist jedoch eine einheitliche, standardisierte und

qualitativ gleichwertige Aus- und Weiterbildung nach wie vor nicht gegeben. Beachtet wer-

den muss hier auch, dass diese Berufe in ihrer Tradition im Sekundarbereich II angesiedelt

sind und Inhabern eines mittleren Bildungsabschlusses offen stehen. Gerade für sie sind

durchlässige Bildungswege und Anschlussfähigkeit in den tertiären Bildungssektor von

Bedeutung. Es muss die Frage nach einem einheitlichen standardisierten und durchlässigen

Bildungskonzept innerhalb des formalen Bildungssystems noch beantwortet und rechtlich

verankert werden.

Für beide Berufe erscheint es auf der Inhaltsebene zwingend notwendig, eine an die Anforde-

rungen der Versorgungsbedarfe der Bevölkerung angepasste Ausbildungsbasis zu schaffen,

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die einen einheitlichen Qualitätsstandard und Ausbildung beruflicher Handlungsfähigkeit

garantiert. Offene Fragen bleiben damit die Standardisierung der Ausbildung mit einheitlichen

Curricula, die verbindliche Inhalte über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus fest-

schreiben, sowie eine sinnvolle Verzahnung von beruflicher und akademischer Bildung mit

dem Ziel, die Durchlässigkeit zwischen beiden Systemen zu erhöhen.

Weiterhin bleiben auch die Autonomiebestrebungen der Berufe, die sich aus dem Status der

Semiprofessionen zu befreien suchen, mit diesen Fragen verbunden. Eine weitere Professio-

nalisierung der Berufe müsste auch mit einer Erweiterung des Verantwortungsbereiches ein-

hergehen. Dafür müsste dann wiederum die Ausbildung so angepasst werden, dass Absolven-

tinnen und Absolventinnen auf diese Verantwortungsübernahme auch optimal vorbereitet

werden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Autonomiebestrebungen im historisch gewach-

senen System medizinischer Versorgung mit Professionen und Semiprofessionen umsetzbar

sein werden.

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Dieser Beitrag wurde dem bwp@-Format: BERICHTE & REFLEXIONEN zugeordnet.

Schlüsselwörter: Sackgassenberuf, Physiotherapie, Ergotherapie, Berufsstruktur, Verberufli-

chung, Durchlässigkeit

Zitieren dieses Beitrages

Betting, C./Neu, A. (2019): (Aus)Bildungsstrukturen in den Therapieberufen – vom „Sack-

gassenberuf“ zu neuen durchlässigeren Bildungswegen in der Aus- und Weiterbildung – his-

torische Einblicke. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 36, 1-21.

Online: http://www.bwpat.de/ausgabe36/betting_neu_bwpat36.pdf (24.06.2019).

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Die Autorinnen

CHRISTINE BETTING

FernUniversität in Hagen, Lehrgebiet Lebenslanges Lernen,

Universitätsstr. 33 (KSW), 58097 Hagen

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ARIANE NEU

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