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Geschichte in Geschichten 1 GeORG sUnDAG, FUhRMAnn Erzählt von seiner Tochter, Christine Bültmann. Mein Vater war ein sehr gutmütiger Mensch, ein herzensgu- ter Vater und ein sehr liebevoller Großvater. Er war immer freundlich, hilfsbereit und zufrieden. Arbeitsmäßig und finanziell gesehen hatte er ein nicht ganz leichtes Leben. Trotzdem lachte er oft und machte gern einmal ein Späßchen. Und er war nie verzagt, obwohl er dazu oft einen Grund gehabt hätte. Vielleicht war das auch die Ursache, weshalb er immer gesund war und eigentlich nie einen Arzt gebraucht hat. Allerdings mit zwei Ausnahmen: 1926 erlitt er einen Blinddarmdurchbruch und 1968 einen Beinbruch. Geboren wurde mein Vater im Jahr 1899 als Sohn des Bäckermeisters Heinrich Sundag und seiner Frau Margarete, geb. Niehaus. Er war das 4. Kind in der Familie. Nach ihm wurden noch 2 Kinder geboren. Bei der Geburt des 6. Kindes verstarb leider seine Mutter. Heinrich Sundag heiratete dann wieder und bekam mit seiner 2. Frau noch 2 weitere Kinder. Ich muss sagen, seine 2. Frau hat wirklich Achtung verdient. Mit nur 24 Jahren heiratete sie einen Mann, der schon 6 kleine Kinder hatte, wobei das älteste Kind gerade mal 12 Jahre alt war. Außerdem besaß er eine Bäckerei, ein Kolonialwarengeschäft, eine Gastwirtschaft und betrieb auch noch etwas Landwirt- schaft. Mein Vater sagte über sie, dass sie allen Kindern eine gute Mutter war und immer alles perfekt im Griff hatte.

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Geschichte in Geschichten

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GeORG sUnDAG, FUhRMAnn

Erzählt von seiner Tochter, Christine Bültmann. Mein Vater war ein sehr gutmütiger Mensch, ein herzensgu-

ter Vater und ein sehr liebevoller Großvater. Er war immer freundlich, hilfsbereit und zufrieden. Arbeitsmäßig

und finanziell gesehen hatte er ein nicht ganz leichtes Leben. Trotzdem lachte er oft und machte gern einmal

ein Späßchen. Und er war nie verzagt, obwohl er dazu oft einen Grund gehabt hätte. Vielleicht war das auch

die Ursache, weshalb er immer gesund war und eigentlich nie einen Arzt gebraucht hat. Allerdings mit zwei

Ausnahmen: 1926 erlitt er einen Blinddarmdurchbruch und 1968 einen Beinbruch.

Geboren wurde mein Vater im Jahr 1899 als Sohn des Bäckermeisters Heinrich Sundag und

seiner Frau Margarete, geb. Niehaus. Er war das 4. Kind in der Familie. Nach ihm wurden noch

2 Kinder geboren. Bei der Geburt des 6. Kindes verstarb leider seine Mutter. Heinrich Sundag

heiratete dann wieder und bekam mit seiner 2. Frau noch 2 weitere Kinder. Ich muss sagen, seine

2. Frau hat wirklich Achtung verdient. Mit nur 24 Jahren heiratete sie einen Mann, der schon 6

kleine Kinder hatte, wobei das älteste Kind gerade mal 12 Jahre alt war. Außerdem besaß er eine

Bäckerei, ein Kolonialwarengeschäft, eine Gastwirtschaft und betrieb auch noch etwas Landwirt-

schaft. Mein Vater sagte über sie, dass sie allen Kindern eine gute Mutter war und immer alles

perfekt im Griff hatte.

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Der Bäcker, der die Pferde liebte

Die Kinder wurden erwachsen und führten bald ihr eigenes Leben. Mein Vater wurde Bäcker und

machte 1921 seine Gesellenprüfung. Bis zu seiner Heirat im Jahr 1926 arbeitete er als Bäcker im

elterlichen Betrieb. Doch schon früh merkte mein Vater, dass seine eigentliche Leidenschaft den

Pferden galt. Schon als Junge konnte er gut mit Pferden umgehen. Deshalb schickte ihn mein

Großvater oft hinaus, um den Acker zu pflügen und zu bestellen. Vielleicht spürte er auch, dass

mein Vater es mehr liebte, draußen in der Natur zu sein als drinnen in der Backstube. Die Liebe

zu den Pferden hat mein Vater an seine Enkeltochter weitergegeben, die auch heute noch zwei

Pferde versorgt.

Einmal fuhr mein Vater zusammen mit meinem Großvater mit dem Pferdefuhrwerk nach Nordhorn

zur Mühle, um Korn mahlen zu lassen. Kurz vor dem Isterberg fragten 2 Männer, ob sie auf dem

Wagen mitfahren dürften. Mein Großvater sagte: „Steigt auf!“ Oben auf dem Isterberg stiegen die

Männer wieder vom Wagen. Zum Glück, wie sich später herausstellte. Als mein Großvater und

mein Vater auf dem Rückweg wieder am Isterberg vorbei kamen, sahen sie dort schon von wei-

tem viele Menschen stehen. Sie bemerkten noch, wie Polizisten gerade die Männer vom Vormit-

tag abführten. Die aufgebrachten Menschen erzählten, dass die Männer einen Fuhrmann ermor-

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det hatten. Es führte früher ein wichtiger Handelsweg nach Nordhorn; darum haben die Männer

vielleicht eine fette Beute vermutet. Da mein Großvater nur Korn geladen hatte, waren die Männer

wohl enttäuscht gewesen und waren wieder abgestiegen. Zum Glück für meinen Großvater und

meinen Vater.

es begann mit einem Ponyhof

1926 heiratete mein Vater. Er bekam als Erbteil zwei kleine Russenponys und einen kleinen Wa-

gen sowie ein kleines altes Haus außerhalb der Stadt, das sich meine Eltern wohnlich einrich-

teten. Allerdings gab es dort keinen Strom und keine Wasserleitung, nur Pumpen. Ein kleines

Gebäude, in dem früher ein Holzschuhmacher gearbeitet hatte, diente als Stall für die Ponys und

die Kuh, die meine Mutter bei der Heirat mitbekommen hatte. Damit war der Grundstein für die

Landwirtschaft gelegt. Mein Vater hatte auch noch einige Ländereien geerbt, die er nun mit den

Ponys beackern konnte.

Da sie weit von der Stadt entfernt wohnten und weit und breit kein Haus in der Nähe war, konnten

meine Eltern schalten und walten, wie sie wollten. Sie fühlten sich dort in der Natur sehr wohl.

Die nächsten Nachbarn waren Hinkebeen und Wanning (später Göttrup). Wo jetzt der Quendorfer

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See ist, war früher nur Heide. Im August, wenn die Heide blühte, sah man dort einen wunderschö-

nen rosa Teppich.

Bald wurden die Ponys verkauft. Mein Vater schaffte sich zwei Arbeitspferde an und gründete ein

Fuhrunternehmen, das er von 1926 bis 1976 betrieb. Es war aber eine schwere Zeit, um damit

Geld zu verdienen. Ein geregeltes Einkommen gab es meist nicht. Sein Geschäft lief nur schlep-

pend. Oft musste er für Bürger, die damals einen Acker besaßen, das Land pflügen, Roggen

sähen, Heu holen oder Dünger zum Acker fahren usw. Viel Geld gab es dafür nicht. Für Bauun-

ternehmer fuhr mein Vater Steine und Sand. Für ein Fuder Vechtesand bekam er 1,00 Mark. Für

ein Fuder Bausand 2,00 Mark. Und den Sand musste er selbst mit der Schüppe aufladen. Das

war harte Arbeit. Alte Rechnungen von 1931 und 1934 belegen, dass er für 1 Fuder Steigerholz

1,50 Mark, für 1 1/2 Stunde Kohlenasche fahren 2,00 Mark, für ein Fuder Schutt 1,50 Mark und

für einen halben Tag Sand fahren 7,50 Mark verdiente.

Einmal sollte mein Vater zwei Fuder Sand zu einem Bau an der Bentheimer Straße bringen. Die

Maurer warteten darauf. Er hatte zwei leere Wagen zu den Sandbergen, dem sogenannten Gal-

genberg, mitgenommen. Als er das erste Fuder wegbrachte, wollte ich meinen Vater überraschen

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und fing an, den zweiten Wagen voll zu schippen. Ich habe es natürlich nicht geschafft, den Wa-

gen voll zu beladen, jedoch hat sich mein Vater trotzdem sehr darüber gefreut und erledigte den

Rest. Bei dieser Gelegenheit konnte ich selber die Erfahrung machen, welche schwere Arbeit und

welche Quälerei er fast täglich zu bewältigen hatte.

harte Winter – harte Arbeit

Später wurde dann immer mehr gebaut. Da bekam mein Vater von mehreren Bauunternehmer

Aufträge. Im Winter, wenn das Baugewerbe ruhte, blieb die Auftragslage aber schwierig. Wochen-

lang war kaum Arbeit da. Wenn allerdings der Boden hart gefroren war, kamen ein paar Aufträge.

Da musste mein Vater Holz aus dem Samerott oder Wengseler Bruch holen. Wenn es große

und schwere Bäume waren, hat er das Holz zusammen mit den Gebrüdern Welp, mit denen er

auch verschwägert war, transportiert. Dann wurden zwar 4 Pferde angespannt, aber es blieb eine

schwere Arbeit für Pferde und Männer. Und auch diese Arbeit wurde sehr schlecht bezahlt. Mein

Vater kam oft total durchgefroren nach Hause. Da wir damals keine Heizung hatten, war der Herd

in der Küche der einzige Wärmespender. Das sogenannte Stövchen leistete gute Dienste für die

Füße; oder man hielt die Füße zum Aufwärmen in den Backkasten. In unserer Küche war es im

Winter bei Petroleumlicht und Herdfeuer sehr gemütlich.

Mit den Jahren hatten sich meine Eltern Kühe und Kälber, Schweine und Ferkel, Schafe, Hühner,

Gänse usw. angeschafft und auch einige Äcker wurden dazu gepachtet. Dadurch wurde die Arbeit

in der Landwirtschaft immer mehr.

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So sehr mein Vater sich einen Sohn gewünscht hatte, der ihn in der Landwirtschaft ein wenig

entlastet würde, bin ich als Tochter das einzige Kind geblieben. Meine Mutter bekam zwar noch

Zwillinge (Mädchen), die aber gleich nach der Geburt verstorben sind. Es war eine sehr schwere

Zeit, aber meine Eltern haben sie gemeistert.

Mein Vater musste kurz vor Schluss noch als Soldat in den 1. Weltkrieg ziehen. Gott sei Dank

nur für kurze Zeit, denn der Krieg war bald zu Ende. Auch im 2. Weltkrieg wurde er von 1940 bis

1941eingezogen. Er bekam am Freitag die Einberufung und musste schon am Montag in Lingen

beim Wehrbezirkskommando sein. Er kam gleich nach Polen (Krakau, Jahreslau). Schnell hatte

er noch dafür gesorgt, dass die Pferde bei der Firma Schümer untergebracht wurden. Die Zeit

war knapp. Nun war ich allein zu Haus. Meine Mutter lag zur Zeit im Krankenhaus. Das Vieh

konnte ich wohl versorgen, auch den Schweinekessel kochen. Aber Melken konnte mit 13 Jahren

ich noch nicht. Das habe ich erst mit 16 oder 17 Jahren gelernt. Ich weiß nicht, wer in dieser Zeit

bei uns gemolken hat, bis meine Mutter aus dem Krankenhaus wieder entlassen wurde. Nach

fast einem Jahr schrieb mein Vater aus Polen, meine Mutter solle ein Gesuch aufstellen, dass er

Landwirt und Fuhrunternehmer sei, dieses vom Bürgermeister beglaubigen lassen und dann nach

Lingen zum Wehrbezirkskommando schicken. Das würde ein Kamerad aus Gildehaus und aus

der Niedergrafschaft auch machen. Und tatsächlich, mein Vater wurde entlassen.

Nun fing die Arbeit wieder an, aber es war Krieg. Im Baugewerbe war nicht viel zu tun. Bei der

Firma Börgeling gab es hin und wieder Arbeit für ihn und seine Pferden, die er inzwischen von der

Firma Schümer wohlbehalten zurück bekommen hatte.

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Obwohl die Arbeit oft sehr hart war, hat sich mein Vater nie vor ihr gedrückt. So bekam er zum

Beispiel von der Stadt Schüttorf die Erlaubnis, ein großes Heidegebiet an der Drievordener Straße

zu kultivieren. Unentgeltlich. Dafür wurde ihm aber versprochen, dass er diese Fläche als Weide

für seine Pferde und Kühe nutzen könnte. Als er die Fläche kultiviert hatte, teilte man ihm jedoch

mit, dass da Häuser gebaut werden sollten. Also war die Mühe vergebens. Ein anderes Beispiel:

Als früher die Engdener Straße noch ein Fuhrweg war und aus lauter Pfützen und Schlaglöcher

bestand, hat mein Vater die Schlaglöcher mit vielen Fudern Bauschutt aufgefüllt. Dann hat er den

Schutt verteilt, so dass der Weg einigermaßen zu befahren war. Am Rand des Weges brachte er

Kohlenschlacke auf, damit man dort mit dem Fahrrad besser fahren konnte. Natürlich bekam er

keinen Lohn dafür.

nach dem Krieg wurde unser Leben einfacher

Im Jahre 1946 hatte mein zukünftiger Schwiegervater, der eine Klempnerei besaß, einen Rohr-

brunnen eingespült und eine Wasserleitung zu unserem Wohnhaus und dem Stallgebäude gelegt.

Endlich mussten wir nicht mehr pumpen, brauchten nur noch den Wasserhahn aufdrehen. 1947

bekamen wir dann auch einen Stromanschluss. Zwar wurden ab 1934 am Engdener Weg weitere

Häuser gebaut; aber das Stromnetz ging nur bis Klumparend. Die letzten drei Familien, Schütte,

Niehaus und wir, hatten nur Petroleumlicht. Mehrfach hatten wir Anträge beim E-Werk gestellt,

aber es geschah nie etwas. 1947 sagte Herr Lübke vom E-Werk zum meinem Vater, wenn er die

Laternenpfähle mit seinem Fuhrwerk aus Salzbergen holen würde, würden wir an das Stromnetz

angeschlossen. Also holte mein Vater die Laternenpfähle aus Salzbergen, die dann die drei Fa-

milien sogar selbst bezahlen mussten. Aber wir hatten endlich Strom. Wenn jetzt Nachts im Stall

eine Kuh kalbte oder ein Schwein Ferkel bekam, brauchte mein Vater sich nicht mehr mit Laternen

behelfen. 1957 haben wir durch sehr viel Eigenarbeit ein neues Wohnhaus errichtet. Das alte

wurde komplett abgerissen. Meine Eltern führten dann mit uns und ihren Enkelkindern noch einige

Jahre lang ein angenehmes Leben. Mit Heizung, Strom und fließend Wasser.

Nach dem Krieg gab es mehr Arbeit, die auch besser bezahlt wurde. 1948 bekamen die Fuhr-

unternehmer festgesetzte Fuhrlöhne vorgeschrieben. Mein Vater hatte von der Firma Schümer

zwei ausrangierte Kipper günstig erworben, die seine Arbeit erleichterten. Wenn er für die Firma

Maschmeyer Kohlen fahren musste, brauchte er sie nur abkippen. Anders war es, bei den Koh-

lenhändlern Mönnink und Mannsbrügge. Da wurden die Kohlen und Briketts in Säcken ausgelie-

fert. Die zentnerschweren Säcke mit Kohlen und Briketts wurden auf dem Rücken meines Vaters

und eines Arbeiters in die Keller der Kunden getragen. Manchmal bekam dafür er eine Zigarre,

worüber er sich immer freute. Aber manchmal erhielt er noch nicht einmal das kleine Wörtchen

„Danke“.

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ein Landauer für den König

Mein Vater besaß auch einen Landauer. Damit fuhr er die Hochzeitskutsche oder die Königskut-

sche für den Schützenverein. Sehr beliebt waren auch die Fahrten mit dem Rollwagen, organisiert

von Vereinen, Clubs und Nachbarschaften. Mein Vater richtete den Rollwagen extra dafür her,

indem er ihn mit Birkenzweigen ausschmückte. Dann wurden die Pferde angespannt und die

Fahrt konnte beginnen. Es wurde viel gelacht, gesungen und manches Späßchen gemacht. Für

ein paar Stunden war dann der Alltag vergessen. Bei vielen Leuten blieben diese Fahrten noch

lange in guter Erinnerung.

1963 bekam mein Vater Arbeit bei der Firma Stemmann, um mit seinen Pferden Material von

der Firma zum Bahnhof zu transportieren. Das war von der Arbeit her gesehen die schönste Zeit

im Leben meines Vaters. Er hatte er zum ersten Mal ein geregeltes Einkommen. Als er den ers-

ten Lohn bekam und ihn meiner Mutter gab, sagte er: „Ich muss das Geld ja fast mit bebenden

Händen anfassen.“ Er meinte damit, er hätte sich ja gar nicht genug dafür gequält. Ja, so war

mein Vater.

Seit 1941 war mein Vater Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Schüttorf. Wenn ein Einsatz gemel-

det wurde, war er zur Stelle. Auch die geselligen Kameradschaftsabende schätzte er sehr. 1981

feierte die Ortsfeuerwehr ihr 50-jähriges Bestehen. Dabei stellte der Bürgermeister die Leistungen

zweier Feuerwehrmänner in den Mittelpunkt, die der Wehr seit 40 Jahren angehörten. Mein Onkel

Welp und mein Vater Georg Sundag wurden von der Samtgemeinde mit Präsentkörben geehrt.

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Der Kreisbrandmeister schloss sich mit einem Zinnteller des Landkreises den Glückwünschen

an. Außerdem überreichte er Ehrenurkunden und die entsprechenden „Goldenen Ehrenzeichen.“

Grober Unfug mit teuren Folgen

Ja, mein Vater hat in seinem Leben sehr viel gearbeitet und auch so manchen erlebt. Als er eines

Abends mit der Königskutsche auf dem Heimweg war, hielt er bei seinem Bruder Heini Sundag,

um noch schnell eine Schachtel Zigaretten zu kaufen. Er ging in die Gastwirtschaft und sagte:

„Heini, doo mi gaue eene Schachtel Zigaretten, ick heeb de Peerde buten vör de Kutsche stoahn.

De willt no hus!” Er bekam seine Zigaretten, bezahlte und ging wieder hinaus. Da waren höchs-

tens drei Minuten vergangen. Als er nun nach draußen kam, war die Kutsche weg. Er lief schnell

wieder hinein und rief: „Heini, haal gaue dat Auto rut, dee Kutsche is wech, well weet, wat dorr

pessert is!“ Mein Vater und sein Bruder fuhren die Quendorfer Straße entlang. Da sahen sie, dass

die Pferde am Eingang zum Engdener Weg die Kurve zu schnell genommen hatten. Ein Rad der

Kutsche war in den Graben geraten und hatte die Deichsel zur Seite gerissen. Ein Pferd lag im

Graben, das andere stand. Das gesamte Geschirr war kaputt; die Deichsel gebrochen. Der Scha-

den war groß. Nur mit Mühe konnten sie die Pferde und die Kutsche nach Hause bringen.

Meine Mutter war schon sehr in Sorge, denn sie hatte die Kutsche schon auf der Quendorfer

Straße vernommen. Die eisenbeschlagenen Räder waren auf dem Kopfsteinpflaster bereits von

weitem zu hören. Sie war schon nach draußen gegangen und stand auf dem Weg, weil mein Vater

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immer noch nicht mit der Kutsche auftauchte. Inzwischen war es dunkel geworden. Im Schein-

werferlicht des Autos erblickte sie dann die Kutsche. Es sah unheimlich aus. Mein Vater hatte ein

Pferd am Halfter, das andere musste mit der zerbrochenen Deichsel die Kutsche ziehen. Meinem

Vater war zum Heulen zumute, denn mit dem Lohn, den er am Tag verdient hatte, konnte er den

Schaden nicht bezahlen. Später stellte sich heraus, dass Jugendliche die Zügel und Bremse der

Kutsche gelöst und die Pferde angefeuert hatten. Das war nun wirklich kein Spaß mehr, sondern

grober Unfug.

Der verlorene schinken

Aber, wie bereits gesagt, mein Vater war trotz allem ein fröhlicher, humorvoller Mann. Eines Tages

hatte man ihm einen Streich gespielt. Er sollte einen Schinken, den er zuvor zum Räuchern ge-

geben hatte, wieder mitbringen. Wir schlachteten damals ja selbst. Mein Vater hatte den Rollwa-

gen, auf dem Korn für Pferdefutter geladen war, dabei. Nun lag der eingepackte Schinken unter

einem Sack auch auf dem Wagen. Als er bei meinem Onkel Heini Sundag in die Gastwirtschaft

einkehrte, sagte er dummerweise: „Ich muss am Fenster stehen, damit ich den Wagen immer

beobachten kann. Ich habe einen Schinken auf dem Wagen.“ Die anderen Gäste hatte die Ohren

gespitzt. Besonders der Wirt Heinz König, der die Gastwirtschaft gepachtet hatte und immer für

ein Späßchen zu haben war. Er sagte nun zu einigen Gästen: „Ihr müsst Georg ablenken, damit

er nicht nach draußen schauen kann. Ich versuche dann, den Schinken vom Wagen zu holen.“

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Gesagt, getan, geklappt. Mein Vater bezahlte und fuhr nach Hause, ohne sich zu vergewissern,

ob der Schinken noch auf dem Wagen lag. Inzwischen hat Herr König bei meiner Mutter ange-

rufen und sie über den Streich informiert. Er meinte, sie solle nicht zu heftig mit meinem Vater

schimpfen, er würde später den Schinken vorbeibringen. Als mein Vater zu Hause ankam, brach-

te er zuerst die Pferde in den Stall und fütterte das Vieh. Dann wollte er den Schinken ins Haus

bringen. Aber, oh Schreck, der Schinken war weg. Er kam ganz bedröppelt ins Haus und sagte

kleinlaut, dass der Schinken nicht mehr da sei, obwohl er so gut aufgepasst hätte. Eine kleine

Strafpredigt meiner Mutter musste er über sich ergehen lassen. Da konnte man fast Mitleid mit

ihm haben. Dann hielt draußen ein Auto, die Tür ging auf und Herr König kam mit dem Schinken

herein. „Hier hast du deinen verlorenen Schinken wieder,“ sagte er. Da war die Erleichterung na-

türlich groß und mein Vater hat herzhaft über diesen Streich gelacht.

immer viel Arbeit, aber manchmal auch viel Glück

Überhaupt, mein Vater ließ sich nicht so schnell unterkriegen. Er war schon „hart im Nehmen“. Für

Familie Roolfing musste er einmal ein schweres Fuder Mist auf einen Acker am Engdener Weg

bringen. Hinter der hoch vollgeladenen Fuhre Mist hatte er noch einen leeren Wagen befestigt.

Als er beim Acker angelangt war, wollte den leeren Wagen abhängen. Dazu musste er aber unter

dem vollgeladenen Mistwagen einen Hebel lösen. Als der Wagen abgehakt war, zogen die Pfer-

de plötzlich an. Mein Vater, der noch rücklings unter dem schweren Mistwagen lag, konnte sich

nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen. Das rechte Hinterrad rollte direkt über den Bauch meines

Vaters. Zum Glück war unser Haus nicht weit entfernt. Er schleppte sich mit letzter Kraft dorthin

und rief nach meiner Mutter, die es Gott sei dank hörte. Dann brach er vor dem Haus bewusstlos

zusammen. Ein Nachbar und meine Mutter trugen meinen Vater ins Haus. Nach einer kurzen Ru-

hephase ging es meinem Vater aber wieder besser. Das grenzt für mich an ein Wunder, denn im

Sand konnte man den Abdruck seines Körpers und den Abdruck der Knöpfe seiner Arbeitsjacke

deutlich erkennen. Er hatte mal wieder Glück gehabt.

So wie in den letzten Kriegstagen 1945. Als mein Vater mit dem Pferdefuhrwerk über dem Markt-

platz fuhr, wurde er von einem damaligen Ortsgruppenführer angehalten. Übrigens ein mir bekann-

ter Schüttorfer Bürger. Er sagte, mein Vater müsse sich sofort beim Volkssturm an der Bentheimer

Straße melden. Zwischen Schüttorf und Bentheim sollten Gräben ausgehoben und Hindernisse

aufgestellt werden, um den Feind aufzuhalten. Wenn mein Vater diesem Befehl nicht nachkäme,

würde er standrechtlich erschossen. Mein Vater erwiderte: „Nun mal langsam, soll ich etwa die

Pferde auf dem Marktplatz stehen lassen?“ „Nein, die kannst du noch in den Stall bringen, aber

dann musst du sofort kommen. Das ist ein Befehl. Heil Hitler!“ Er brachte dann die Pferde in den

Stall, da bekam er gerade die Nachricht, er solle sofort mit Pferden und Wagen kommen und Ge-

fangene, die in einem kleinen Lager in Schüttorf lebten, zur Sammelstelle nach Lingen bringen.

Unterwegs wurden sie zwar noch von Tieffliegern beschossen, aber es ist gut gegangen. Der

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Feind rückte so schnell näher, dass aus der standrechtlichen Erschießung Gottseidank nichts

mehr wurde. Wieder einmal hatte mein Vater Glück gehabt.

Dies war ein kleiner Einblick aus dem Leben meines Vaters. Er hat sich mit meiner Mutter zwar nie

einen Urlaub gegönnt, war jedoch immer froh gelaunt und mit sich und seinem Leben zufrieden.

ENDE