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________________________________________________________________________________________________ eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung 03/2014 vom 05.11.2014 Antje Grobe, Johannes Nöldeke: Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturprojekten – der Ausbau des Europa-Park in Rust eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung 03/2014 vom 05.11.2014 Seite 1 Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturprojekten – der Ausbau des Europa-Park in Rust Antje Grobe • Johannes Nöldeke Spätestens seit Stuttgart 21 ist die Bedeutung früher Öffentlichkeitsbeteiligung landesweit auf der Agenda von Politik, Verwaltung und privatwirtschaftlichen Vorhabenträger/innen, wenn es um die Realisierung von Indust- rie- oder Infrastrukturprojekten geht. Inzwischen haben Bund und Länder reagiert – nicht nur in Form von poli- tischen Willenserklärungen oder Koalitionsverträgen, in denen festgelegt wurde, dass Bürgerinnen und Bürger verstärkt eingebunden werden sollen. Allein 2014 wurden verschiedene Handbücher für gute Bürgerbeteiligung veröffentlicht, von der Ministeriumsebene (1) bis hin zu Kommunen (2), die ihre Vorgehensweise in Leitfäden beschreiben. Eine große Bandbreite an Forschungsprojekten zur Bürgerbeteiligung wurde initiiert oder erfolg- reich beendet (3), Förderprogramme finanziert wie z. B. das Landesprogramm Bürgerforum Energieland Hessen (4), oder es wurden konkrete Verwaltungsvorschriften oder Planungsleitfäden wie in Baden-Württemberg ent- wickelt (5). Eine Vielzahl von Praxisbeispielen wurde dokumentiert, evaluiert und ausgewertet. Wer die Wahl hat … Die Fülle an Auswahlmöglichkeiten guter Ratgeber hinterlässt den interessierten Vorhabenträger/innen, die um die dringend benötigte Akzeptanz eines Projekts kämpfen wollen, mit Ratlosigkeit. Dies gilt gleichermaßen für private Vorhabenträger/innen, die eine Industrieanlage bauen wollen, für kommunale Unternehmen wie zum Beispiel Energieversorger, die Windräder planen, Kommunen in der Stadtentwicklung oder Regierungsprä- sidien, die große Infrastrukturprojekte wie Hochwasserschutz oder Verkehrswege umsetzen wollen. Welcher Leitfaden und welche Empfehlung passt auf das Projekt und wie sollen Ingenieure, Projektplaner oder Fachangestellte der Verwaltung mit den neuen kommunikativen Herausforderungen umgehen, die im Grunde fern ihrer Ausbildung auf sie zukommen? Denn in einem sind sich alle Leitfäden einig: Eine Delegation an eine versierte Agentur allein reicht nicht. Die Bürger/innen wollen Antworten aus erster Hand, sie fordern nicht nur bessere Informationen, sondern auch Mitgestaltungsmöglichkeiten. Anwohner und Betroffene wollen mit- bestimmen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert, wollen Einfluss nehmen auf die Variantenauswahl und stellen nicht selten das Projekt als Ganzes in Frage. Häufig überlagern andere Konflikte aus der Kommu- nalpolitik oder »Altlasten« unglücklicher Kommunikationsstrategien der Vorhabenträger/innen das eigentliche Projekt. Dann ist guter Rat in der Tat gefragt.

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Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturprojekten – der Ausbau des Europa-Park in Rust

Antje Grobe • Johannes Nöldeke Spätestens seit Stuttgart 21 ist die Bedeutung früher Öffentlichkeitsbeteiligung landesweit auf der Agenda von Politik, Verwaltung und privatwirtschaftlichen Vorhabenträger/innen, wenn es um die Realisierung von Indust-rie- oder Infrastrukturprojekten geht. Inzwischen haben Bund und Länder reagiert – nicht nur in Form von poli-tischen Willenserklärungen oder Koalitionsverträgen, in denen festgelegt wurde, dass Bürgerinnen und Bürger verstärkt eingebunden werden sollen. Allein 2014 wurden verschiedene Handbücher für gute Bürgerbeteiligung veröffentlicht, von der Ministeriumsebene (1) bis hin zu Kommunen (2), die ihre Vorgehensweise in Leitfäden beschreiben. Eine große Bandbreite an Forschungsprojekten zur Bürgerbeteiligung wurde initiiert oder erfolg-reich beendet (3), Förderprogramme finanziert wie z. B. das Landesprogramm Bürgerforum Energieland Hessen (4), oder es wurden konkrete Verwaltungsvorschriften oder Planungsleitfäden wie in Baden-Württemberg ent-wickelt (5). Eine Vielzahl von Praxisbeispielen wurde dokumentiert, evaluiert und ausgewertet.

Wer die Wahl hat …

Die Fülle an Auswahlmöglichkeiten guter Ratgeber hinterlässt den interessierten Vorhabenträger/innen, die um die dringend benötigte Akzeptanz eines Projekts kämpfen wollen, mit Ratlosigkeit. Dies gilt gleichermaßen für private Vorhabenträger/innen, die eine Industrieanlage bauen wollen, für kommunale Unternehmen wie zum Beispiel Energieversorger, die Windräder planen, Kommunen in der Stadtentwicklung oder Regierungsprä-sidien, die große Infrastrukturprojekte wie Hochwasserschutz oder Verkehrswege umsetzen wollen.

Welcher Leitfaden und welche Empfehlung passt auf das Projekt und wie sollen Ingenieure, Projektplaner oder Fachangestellte der Verwaltung mit den neuen kommunikativen Herausforderungen umgehen, die im Grunde fern ihrer Ausbildung auf sie zukommen? Denn in einem sind sich alle Leitfäden einig: Eine Delegation an eine versierte Agentur allein reicht nicht. Die Bürger/innen wollen Antworten aus erster Hand, sie fordern nicht nur bessere Informationen, sondern auch Mitgestaltungsmöglichkeiten. Anwohner und Betroffene wollen mit-bestimmen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert, wollen Einfluss nehmen auf die Variantenauswahl und stellen nicht selten das Projekt als Ganzes in Frage. Häufig überlagern andere Konflikte aus der Kommu-nalpolitik oder »Altlasten« unglücklicher Kommunikationsstrategien der Vorhabenträger/innen das eigentliche Projekt. Dann ist guter Rat in der Tat gefragt.

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Richtlinie VDI 7000 – Richtlinie für frühe Öffentlichkeitsbeteiligung

Interessanterweise hat der Verein Deutscher Ingenieure die Breite der bisherigen Leitfäden in einer Richtlinie verdichtet und für private und öffentliche Vorhabenträger systematisiert. Die Verwaltungsvorschrift und der Planungsleitfaden aus Baden-Württemberg verweisen bereits auf die Richtlinie, die derzeit im Gründruck vor-liegt und im Winter final veröffentlicht wird (6). Die Richtlinie unterstützt die Mitarbeitenden privater und öf-fentlicher Vorhabenträger bei der Suche nach einer breit akzeptierten Antragsvariante im Vorfeld der gesetzlich geregelten Öffentlichkeitsbeteiligung eines Genehmigungsverfahrens. Wird frühzeitig eingebunden, können Anliegen aufgenommen werden, weit bevor sie im gesetzlichen Verfahren z. B. im Erörterungstermin als bereits manifestierte Konflikte auftauchen. Denn in der Regel sind zum Zeitpunkt der Einreichung eines Genehmi-gungsverfahrens die Planungen bereits so weit fortgeschritten, dass die Vorhabenträger eher abwehrend auf Änderungsvorschläge oder Forderungen reagieren. Allein aus dieser Abwehr- und Rechtfertigungshaltung her-aus verstärken sich die Konflikte und ein Eskalationskreislauf wechselseitiger Unterstellungen, Unverständnis für die jeweils andere Perspektive, von Enttäuschungen und Zurückweisungen ist vorprogrammiert. Die VDI Richtlinie konzentriert sich dagegen darauf, wie Ingenieure, Planer/innen und Projektkoordinatoren durch die frühe Einbeziehung des Wissens vor Ort vielleicht bessere, technische Lösungen finden, die auf breitere Akzep-tanz treffen – und zwar zu einem Zeitpunkt, der noch Handlungsspielräume bietet und an dem Konflikte noch nicht eskaliert sind.

Die VDI 7000 gibt praktische Empfehlungen zu konkreten Prozessschritten für eine effektive und frühe Öffent-lichkeitsbeteiligung. Sie beschreibt die Anforderungen

an den Wissensaufbau in der Organisation,

an den Aufbau früher, kooperationsbasierter Öffentlichkeitsbeteiligung,

an die kommunikative Begleitung von Genehmigungsverfahren und

an die Art und Weise des Austausches mit den Anspruchsgruppen während der Projektrealisierung bzw. der Bauphase.

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Die operative Umsetzung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung gliedert sich in vier aufeinanderfolgenden Pha-sen, von der Projektidee bis zu dessen Realisierung:

Abbildung 1: Ablaufdiagram VDI 7000. (Quelle: VDI 2014)

In der Phase 1 gilt es zunächst geeignete Strukturen und Kompetenzen beim Vorhabenträger selbst aufzubau-en, bevor in Phase 2 die Öffentlichkeit strukturiert beteiligt wird. Der Vorhabenträger hat in der Phase ausrei-chend Zeit, Anpassungen aufgrund der eingebrachten Anregungen aufzunehmen oder aber gut zu begründen, warum eine andere Lösung in das Genehmigungsverfahren eingebracht wird. Die Kommunikation und der Austausch mit den Dialogakteuren werden während des Verfahrens (Phase 3) als auch begleitend zur Bauphase (Phase 4) beibehalten und z. B. in Form von Baustellenbeiräten oder Anwohner-Stammtischen umgesetzt. In ihren zentralen Empfehlungen stützt sich die VDI 7000 auf die systematische Analyse erfolgreich durchgeführ-ter Großprojekte. Hierfür wurden über 60 Interviews mit Spitzenkräften aus Unternehmen und öffentlicher Verwaltung, die Großprojekte umgesetzt haben, sowie mit den Entscheidungsträger/innen auf Ebene der Re-gierungspräsidien, der Länder- und der Bundesregierung geführt und ausgewertet.

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Auf das »WIE« kommt es an

Die VDI Richtlinie beschreibt dabei nicht nur Prozessbausteine, sondern setzt sich auch mit den grundlegenden Kriterien gelungener Öffentlichkeitsbeteiligung auseinander. Die Richtlinie legt, wie oben beschrieben, ver-schiedene Handbücher und Leitfäden der letzten Jahre übereinander und verdichtet Erfolgskriterien: Frühzei-tigkeit und eine Offenheit im Ergebnis beziehungsweise klare Handlungsoptionen, über die die Bürger/innen diskutieren und idealerweise mitentscheiden können, scheinen Grundvoraussetzungen gelungener Dialoge zu sein. Sind diese Kriterien nicht erfüllt, raten die meisten Leitfäden und auch die VDI 7000 dazu, die Grenzen der Bürgerbeteiligung so früh wie möglich offenzulegen.

Es gibt aber noch weitere Übereinstimmungen zwischen den Leitfäden, die eher auf die »weichen Faktoren« abzielen und die Persönlichkeit jedes Akteurs fordern: Hierzu gehört Klarheit bzw. eine leicht verständliche Sprache, eine gewisse Bereitschaft zur Transparenz, eine hohe Glaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit und Respekt, Kontinuität und nicht zuletzt die Bereitschaft der Akteure, auch persönlich Verantwortung zu übernehmen. Dies sind nicht zu unterschätzende menschliche Komponenten, die neben allen Empfehlungen für Verfahrens-schritte, Checklisten und methodischen Tools nicht hoch genug bewertet werden können.

Bürgerforum Wasserpark schlägt »neues Kapitel der Bürgerbeteiligung« auf

Dass es vielleicht gerade diese »weichen Faktoren« sind, die auch große Bürgerbeteiligungsformate erfolgreich machen, zeigt beispielhaft das Projekt der Erweiterung des Europa-Parks in Rust. Mitbetroffen ist die Nachbar-gemeinde Ringsheim, die auch Sitz des Zweckverbandes Tourismus-Dienstleistungen-Freizeit beider Gemein-den ist – dem späteren Auftraggeber der Bürgerbeteiligung. Aber der Reihe nach: Der Freizeitpark hat über 30.000 Gäste nach ihren Wünschen für eine Verbesserung befragt. Über 60 Prozent wünschten sich dabei ei-nen Wasserpark mit Indoor- und Outdoor-Angeboten, Wasserrutschen, Gastronomie, mehr Übernachtungsan-geboten und dies alles auf dem gewohnt hohen Niveau, das den Europa-Park bis heute auszeichnet. Der Euro-pa-Park, ein Familienunternehmen mit knapp fünf Millionen Besucher/innen im Jahr und 3.500 Angestellten bekennt sich klar zum Standort und möchte in die Zukunft investieren: Auf einer Fläche von knapp 40 Hektar soll der neue Wasserpark entstehen. Aber wie überall geht dies nur mit Unterstützung der Kommunen und der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger.

Um die umliegenden Gemeinden frühzeitig an den Diskussionen um die Ausbaupläne zu beteiligen, wurde von den beiden Bürgermeistern Kai-Achim Klare (Rust) und Heinrich Dixa (Ringsheim) das »Bürgerforum Wasser-park« ins Leben gerufen. Die beiden Auftaktveranstaltungen am 8. und 9. Juli 2014 in den Gemeinden Rust und Ringsheim zeigten einen hohen Informationsbedarf, und über 800 Bürgerinnen und Bürger beider Gemeinden nahmen trotz sommerlicher Temperaturen und abendlichen Spielen der Fußballweltmeisterschaft an den Ver-anstaltungen teil.

Die eigentliche Überraschung an beiden Abenden war die konstruktive Stimmung mit der kritische Fragen ge-stellt und beantwortet wurden. Dabei waren auch hier alle Zutaten für eine explosive Veranstaltung vorhan-

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den. Arten- und naturschutzfachliche Fragen mussten geklärt werden und das Konzept für eine nachhaltige Wasserversorgung stand auf dem Prüfstand. Es bestand die Befürchtung, die Verkehrsbelastung an Spitzenta-gen könne sich verstärken und der Lärm für die Anwohner durch den Park zunehmen. Der große Europa-Park – so einige Stimmen im Vorfeld – würde die kleine Gemeinde Rust umschließen und keinen Raum für kommende Baugebiete lassen. Das Muster von David gegen Goliath wurde durch eine Vielzahl von Medienberichten und Leserbriefen immer wieder bemüht. Warum also blieb es ruhig, wo andernorts tumultartige Szenen entstehen? Wie war es möglich, dass man sich zuhörte und nun gemeinsam die nächsten Schritte des Genehmigungsver-fahrens abwarten kann und dennoch im Dialog bleibt?

Abbildung 2: Impressionen aus den Bürgerforen (Quelle: B. Rein, A. Mutz 2014)

Akteurs- und Themenfeldanalysen im Vorfeld

Bereits im Vorfeld der beiden Veranstaltungen wurde ein neutrales Dialogbüro beauftragt, intensive Vorge-spräche mit allen relevanten Stakeholdern zu führen, Ortstermine wahrzunehmen und ein Beteiligungskonzept zu erarbeiten. Die beiden beteiligten Gemeinden Rust und Ringsheim informierten ihre Gemeindevertre-ter/innen, organisierten eine Pressekonferenz und wiesen in den Medien auf den Prozess der frühen Bürgerbe-teiligung hin. Die Bürgerinnen und Bürger konnten zwei Wochen vor den Veranstaltungen ihre Fragen einge-ben, Themen auswählen und somit Form und Inhalt der Veranstaltungen mitbestimmen. So wurden Fragen und Anregungen aus der Bürgerschaft zu Themen wie Konzept, Standort, Verkehr, Lärm, Wasser/Abwasser sowie Arten- und Umweltschutz im Internet gesammelt. Zusätzlich wurde in den Gemeindeblättern mit einem

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Formular aufgerufen, eigene Fragen einzubringen, das per Fax geschickt oder persönlich abgegeben werden konnte. Alle Fragen wurden in einer Themenfeldanalyse ausgewertet und kontinuierlich verdichtet:

Abbildung 3: Themenfeldanalyse der Bürgerfragen nach VDI 7000 (Quelle: DIALOG BASIS 2014)

Soweit eine nahezu lehrbuchmäßige Anwendung der Phase 1 nach VDI 7000, der intern die notwendige Ak-teurs- und Medienanalyse vorausgegangen war. Die in der Grafik dargestellte Verdichtung der Themenfelder diente nicht allein der Übersichtlichkeit der zu diskutierenden Themen, sondern auch der inhaltlichen Vorberei-tung der Expertenvorträge. Die Bürgerfragen wurden nachvollziehbar beantwortet. Im Anschluss an die Vorträ-ge bot sich den Bürgerinnen und Bürgern ausreichend Möglichkeit, bislang ungeklärte Fragen zu stellen. Zu-sammen mit den vor Ort vorgetragenen Beiträgen aus dem Plenum wurden weitere Fragen und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger aus dem Internetforum jeweils von Vertreter/innen der Gemeinden Rust und Ringsheim, des Landratsamtes Ortenaukreis, des Europa-Parks sowie von weiteren Fachexperten für Verkehr, Lärmschutz, Wasser- und Abwasser sowie Vogel- und Artenschutz kompetent beantwortet. So konnten wesent-liche Sachfragen geklärt, strittige Themen diskutiert und gemeinsam Lösungsansätze entwickelt werden.

Verabredet wurde konkret

der Aufbau einer Internetplattform mit Informationen zum Planungsstand und veröffentlichten Gutach-ten,

eine aktivere Kommunikation der Vorhabenträger/innen gegenüber der Öffentlichkeit und eine

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engere Einbindung der Gemeinderäte in den Planungsprozess sowie

eine Art Bürgerfachforum, das die Themenschwerpunkte wie Arten- und Naturschutz, Verkehr und Lärm oder die Entwicklung des Konzepts weiterhin begleitet, das Wissen vor Ort aufnimmt und die Bürger/innen über die Anpassungen und Weiterentwicklungen informiert.

Auch über das Thema Wasserpark hinaus wurden weitere Themenfelder auf dem Bürgerforum angeregt. Ent-scheidend war hier eine sofortige Reaktion des Vorhabenträgers. So wurden zum Beispiel Gespräche mit Vertre-tenden einer Bürgerinitiative zu Verbesserung der Bahnanbindung geführt. Ebenfalls auf Anregung verschie-dener Bürgervoten wurde gemeinsam überlegt, wie die Hotline des Europa-Parks im Sinne einer Bürger-Hotline auch in der Bauphase des Wasserparks auf Anliegen des Lärmschutzes schneller reagieren könne.

Der Bürgermeister der Gemeinde Rust bilanzierte: »Das Bürgerforum Wasserpark hat ein neues Kapitel der Bürgerbeteiligung aufgeschlagen. Professionell durchgeführte Bürgerbeteiligung kann große Infrastrukturpro-jekte qualitativ besser und schneller in der Umsetzung machen. Dieser Beteiligungsprozess soll daher nicht nur punktuell, sondern kontinuierlich sein.«

Persönliche Verantwortung: Das Zaubermittel des Erfolgs?

Letztlich bietet also das »Bürgerforum Wasserpark« eine beinahe idealtypische Umsetzung der VDI 7000: Die Bürgerinnen und Bürger der vom Infrastrukturprojekt betroffenen Gemeinden wurden frühzeitig und aktiv in die Planungen eingebunden – und zwar noch weit vor dem formellen Genehmigungsverfahren. Verschiedene Varianten, etwa der verkehrstechnischen Erschließung, wurden auf öffentlichen Veranstaltungen präsentiert, gemeinsam diskutiert und Verbesserungsvorschläge von den Planer/innen aufgenommen.

Entscheidend dabei: Sowohl der Vorhabenträger, die Europa-Park GmbH & Co Mack KG der Familien Mack, als auch die beteiligten Kommunen Rust und Ringsheim und deren Bürgermeister ziehen trotz unterschiedlicher Interessen und Motive in Sachen Bürgerbeteiligung an einem Strang. Ein grundlegender Wille zur Kooperation über Parteigrenzen hinweg ist vielleicht einer der entscheidenden »weichen Faktoren«. Noch wichtiger schei-nen die Rolle und die Grundhaltung der handelnden Personen auf Seiten des Vorhabenträgers. Das Familienun-ternehmen rund um die Brüder Roland und Jürgen Mack und die Söhne Michael und Thomas Mack ist tief in der Region verwurzelt und heute bereits in der achten Generation in Rust tätig. Entlang des gesamten Beteili-gungsprozesses waren die Familienmitglieder, unabhängig von der eigenen Position, mit hohem persönlichem Einsatz Teil der Debatte mit den Bürger/innen. Dieses Engagement wird von der Bevölkerung honoriert und hat bislang erheblich zum erfolgreichen Verlauf des Prozesses beigetragen.

Diesem Aspekt – dem persönlichen Einsatz und der offenen, inneren Haltung der Vorhabenträger/innen ge-genüber dem gesamten Beteiligungsprozess – kommt eine besondere Bedeutung zu. Das haben auch die Ana-lysen im Rahmen der VDI 7000 gezeigt. Denn letztlich kann eine Dialogorganisation lediglich beratend bei der professionellen Konzeption, Organisation und Moderation der Bürgerbeteiligung zur Seite stehen. Mit Leben werden solche Prozesse erst durch Personen erfüllt, die glaubwürdig und für die Bürgerschaft erkennbar für die

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Prozessinhalte einstehen. Beim »Bürgerforum Wasserpark« ist dies uneingeschränkt der Fall. Entsprechend breit ist die Akzeptanz des Beteiligungsverfahrens. (7)

Anmerkungen

(1) Vgl. BMVI 2014.

(2) Vgl. Stadt Pforzheim 2014.

(3) Vgl. Bundesumweltamt 2014.

(4) Vgl. HMWEVL 2014.

(5) Vgl. Landesregierung Baden-Württemberg 2014.

(6) Vgl. VDI 2014.

(7) Mehr Informationen über die Hintergründe dieses Artikels finden Sie hier: Gemeinde Rust: http://www.rust.de/de, Gemeinde Ringsheim: http://www.ringsheim.de/, Europa-Park: http://www.europapark.de/, VDI 7000: http://www.vdi.de/7000, DIALOG BASIS: http://www.dialogbasis.de/.

Literatur

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [BMVI] (2014): Handbuch für eine gute Bürgerbeteili-gung. Planung von Großvorhaben im Verkehrssektor, verfügbar unter: http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/handbuch-buergerbeteiligung.pdf?__blob=publicationFile.

Bundesumweltamt (2014): DELIKAT – Fachdialoge Deliberative Demokratie: Analyse Partizipativer Verfahren für den Transformationsprozess, 31/2014, verfügbar unter: http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/delikat-fachdialoge-deliberative-demokratie-analyse.

Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung [HMWEVL] (2014): Bürgerfo-rum Energieland Hessen, verfügbar unter: http://www.energieland.hessen.de/buergerforum_energie.

Landesregierung Baden-Württemberg (2014): Beteiligungsportal Baden-Württemberg, verfügbar unter: http://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/mitmachen/planungsleitfaden/.

Stadt Pforzheim (2014): Leitfaden Bürgerbeteiligung, verfügbar unter: https://di0pda1wg490s.cloudfront.net/fileadmin/user_upload/hauptamt/masterplan/dokumentationen/leitfaden_buergerbeteiligung.pdf.

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Verein Deutscher Ingenieure [VDI] (2014): VDI 7000 – Früher Öffentlichkeitsbeteiligung bei Industrie- und Infra-strukturprojekten, verfügbar unter: http://www.vdi.de/7000.

Autorinnen

Dr. Antje Grobe, Unternehmensleitung DIALOG BASIS, führt seit etwa 20 Jahren Stakeholder-Dialoge und Bür-gerbeteiligungsverfahren in aktuellen Technikdebatten, zur Energiewende sowie zu Infrastrukturprojekten durch und überträgt dabei Beteiligungsformate aus der Schweiz und den skandinavischen Ländern auf Deutschland. Sie war Mitglied der Geschäftsleitung der Schweizer Stiftung Risiko-Dialog und gründete 2012 mit ihrem Team die deutsche DIALOG BASIS. Dr. Antje Grobe ist Mitglied im VDI-Fachbeirat Gesellschaft und Tech-nik und gemeinsam mit Dr. Volker Brennecke Co-Autorin der Richtlinie VDI 7000 »Frühe Öffentlichkeitsbeteili-gung bei Industrie- und Infrastrukturprojekten«. Sie arbeitet als wissenschaftliche Expertin und Moderatorin für verschiedene Generaldirektionen der Europäischen Kommission in Brüssel, für die WHO, die OECD und die UNFCCC. Antje Grobe leitet an der Universität Stuttgart bei ZIRIUS nationale und internationale Forschungspro-jekte zur Risikowahrnehmung sowie zu neuen Ansätzen von Bürgerbeteiligung. Sie studierte Kommunikati-onswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft in Essen und promovierte im Bereich Wirt-schaftsethik an der Universität St. Gallen, Schweiz. Johannes Nöldeke, Projektmanager DIALOG BASIS, studierte »Politics and International Relations« an der Royal Holloway University of London sowie »Public Policy« an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt. Mit seiner Masterarbeit »Trassenkampf – Widerstand gegen den Netzausbau im Zuge der Energiewen-de: Die Reform der Partizipationspraxis als Rettung eines Gemeinschaftswerkes« schloss er seine Studien er-folgreich ab. Bei DIALOG BASIS betreut Herr Nöldeke als Projektmanager neben dem »Bürgerforum Wasser-park« auch Projekte wie das »Bürgerforum Energieland Hessen« zur Umsetzung der Energiewende, den »DAW Stakeholder Dialog« zur Zukunft der Wärmedämmung sowie weitere Projekte rund um die Themen Infrastruk-tur – z. B. die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zum Rückhalteraum Elisabethenwört – und Stadtentwicklung – etwa die Bürgerbeteiligung »Am Stöckach«, im Rahmen des Sanierungsprojektes Stuttgart 29. Kontakt DIALOG BASIS Breitwasenring 15 72135 Dettenhausen/Tübingen E-Mail: [email protected] Website: www.dialogbasis.de

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