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Franz Petermann (Hrsg.)
Diagnostik
Klinische Psychologie
Rehabilitation
Forschungsbericht
2005 - 2012
Diagnostik
Klinische Psychologie
Rehabilitation
Forschungsbericht
2005 - 2012
S. Roderer Verlag, Regensburg 2012
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbib-
liografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de
abrufbar.
ISBN 978-3-89783-765-2
Herausgeber: Prof. Dr. Franz Petermann
Zentrum für Klinische Psychologie und
Rehabilitation der Universität Bremen
Grazer Straße 6, 28359 Bremen
Tel.: 0421/218-68600
E-Mail: [email protected]
Lektorat: Dr. Ulrike de Vries
Umschlaggestaltung: Dr. Norbert A. Karpinski
© Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie
der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch
Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung
des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbei-
tet werden.
2012 Roderer Verlag, Regensburg
5
Vorwort
Das Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) wurde Ende 1995
als Forschungseinrichtung der Universität Bremen gegründet und hat sich in den
letzten acht Jahren weiter spezialisiert im Bereich der Klinischen Kinderpsychologie
und Testentwicklung. Beide Bereiche werden durch umfassende Drittmittelprojekte
und die Leistungen im Rahmen der Krankenversorgung in sehr unterschiedlicher
Weise geprägt.
Der vorliegende Forschungsbericht umfasst einen ungewöhnlich großen Zeitraum
von acht Jahren. Dies hatte zur Folge, dass nicht alle Projekte in diesem Zeitraum
berücksichtigt werden konnten. Kleinere Projekte von einer Förderdauer von unter
einem Jahr und solche, die nicht den Hauptgebieten „Klinische Psychologie“, „Reha-
bilitation“ und „Testentwicklung“ zugeordnet werden konnten, wurden nicht be-
rücksichtigt. Die zusammengestellten 40 Projekte weisen ein Fördervolumen in der
Höhe eines zweistelligen Millionen-Euro-Betrages auf. Im Durchschnitt wurden jähr-
lich ca. 50 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter drittmittelfinanziert.
In der Ausbildung und Lehre engagierten wir uns im
• Bachelor Psychologie (seit 2007),
• Master Klinische Psychologie (seit 2010),
• Graduiertenkolleg „Klinische Kinderpsychologie“ (seit 2006) bzw. „Klinische Psy-
chologie“ (seit 2012) und der
• Postgraduierten Ausbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten im
Rahmen des „Norddeutschen Verbundes Kinderverhaltenstherapie (NOKI)“ (seit
2011).
Darüber hinaus besteht eine Kooperation mit dem Christoph-Dornier-Institut für
Klinische Psychologie, Institut Bremen (seit 2007); in diesem Rahmen werden Psy-
chologische Psychotherapeuten seit vier Jahren ausgebildet.
In die Zukunft blickend ist erwähnenswert, dass ab 2013 im ZKPR sowohl der Be-
reich „Gesundheitspsychologie“ als auch der Bereich „Rehabilitationspsychologie“
durch jeweils eine Stiftungsprofessur vertreten sein wird.
Für die Profilierung des Forschungsbereichs Säuglings- und Kleinkindforschung und
Klinische Kinderpsychologie wird das schon seit drei Jahren vorbereitete BMBF-
Projekt BIKE hoffentlich zum 1.4.2013 starten. Dieses Projekt ist als Längsschnitt-
studie über sieben Jahre, also bis Frühjahr 2020, konzipiert und wird vom Bund
(BMBF), dem Land Bremen und der Jacobs Foundation (Zürich) finanziert. Die Ein-
richtung einer Professur mit dem Forschungsschwerpunkt „Experimentelle Säug-
lingsforschung“ ist hierfür von zentraler Bedeutung.
Ich freue mich sehr, dass ich am 1.1.2007 einen Teil meines Lehrgebietes, nämlich
die „Klinische Kinderpsychologie“, an meine Frau abgeben konnte. An diesem Tag
6
wechselte meine Frau von der TU Dortmund auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für
Klinische Psychologie mit dem Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie. Ich danke
allen Beteiligten, die diesen Plan unterstützt haben und ermöglichten.
Besonders freut mich, dass wir seit dem 1.11.2010 mit Herrn Dipl.-Volkswirt Micha-
el Behrends unseren Verwaltungsbereich gestärkt haben. Darüber hinaus steht mir
seit dem 1.4.2011 die Geschäftsführerin des ZKPR, Frau Dr. Ulrike de Vries, zur Sei-
te. Mein Dank geht selbstverständlich auch an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter des ZKPR für die stets gute und erfolgreiche Zusammenarbeit.
Bremen, im Dezember 2012
Prof. Dr. Franz Petermann
Direktor des ZKPR der Universität Bremen
Inhalt
7
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................... 5
Aufbau und Struktur des ZKPR ............................................................................. 7
Wissenschaftliche MitarbeiterInnen des ZKPR .................................................... 18
StipendiatInnen des ZKPR .................................................................................. 19
Teil I: Diagnostik
1 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)..................... 23
1.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 23 1.2 Zusammenfassung................................................................................................ 23 1.3 Stand der Forschung............................................................................................. 23 1.4 Ziele....................................................................................................................... 25 1.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 26 1.6 Ergebnisse............................................................................................................. 26 1.7 Literatur ................................................................................................................ 27
2 Entwicklung eines neuropsychologischen Screeningverfahrens für Vorläuferfähigkeiten von Lesen, Rechtschreibung und Rechnen: BASIC-Preschool .................................................................................................. 29
2.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 29 2.2 Zusammenfassung................................................................................................ 29 2.3 Stand der Forschung und eigene Forschungsarbeiten ......................................... 30 2.4 Ziele....................................................................................................................... 30 2.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 31 2.6 Ergebnisse............................................................................................................. 32 2.7 Literatur ................................................................................................................ 33
3 Konstruktion, Normierung und Validierung des Sprachstandserhebungstests für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10).......................................... 35
3.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 35 3.2 Zusammenfassung................................................................................................ 35 3.3 Stand der Forschung............................................................................................. 36 3.4 Ziele....................................................................................................................... 36 3.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 37 3.6 Ergebnisse............................................................................................................. 38 3.7 Literatur ................................................................................................................ 39
4 Normierung und Validierung des Kognitiven Entwicklungstest für das Kindergartenalter (KET-KID)....................................................................... 41
4.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 41 4.2 Zusammenfassung................................................................................................ 41 4.3 Stand der Forschung............................................................................................. 41
Inhalt
8
4.4 Ziele....................................................................................................................... 42 4.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 42 4.6 Ergebnisse............................................................................................................. 43 4.7 Literatur ................................................................................................................ 44
5 Entwicklung eines Screenings für den Einsatz bei der schulärztlichen Schuleingangsuntersuchung (SOPESS) ........................................................47
5.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 47 5.2 Zusammenfassung ................................................................................................ 47 5.3 Stand der Forschung ............................................................................................. 47 5.4 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 50 5.5 Ergebnisse............................................................................................................. 51 5.6 Literatur ................................................................................................................ 52
6 Normierung und Validierung des Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung für Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE) ..........................55
6.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 55 6.2 Zusammenfassung ................................................................................................ 55 6.3 Stand der Forschung ............................................................................................. 55 6.4 Ziele....................................................................................................................... 56 6.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 56 6.6 Ergebnisse............................................................................................................. 57 6.7 Literatur ................................................................................................................ 59
7 Adaption, Normierung und Validierung der Wechsler-Skalen (WPPSI-III, WISC-IV, WAIS-IV)......................................................................................61
7.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 61 7.2 Zusammenfassung ................................................................................................ 61 7.3 Stand der Forschung ............................................................................................. 62 7.4 Ziele....................................................................................................................... 63 7.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 63 7.6 Ergebnisse............................................................................................................. 65 7.7 Literatur ................................................................................................................ 65
8 Schuleingangsdiagnostik............................................................................67
8.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 67 8.2 Zusammenfassung ................................................................................................ 67 8.3 Stand der Forschung ............................................................................................. 67 8.4 Ziele....................................................................................................................... 68 8.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 69 8.6 Ergebnisse............................................................................................................. 70 8.7 Literatur ................................................................................................................ 70
9 Konstruktion, Normierung und Validierung des ADHS-Screening für Erwachsene (ADHS-E) ................................................................................73
9.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 73 9.2 Zusammenfassung ................................................................................................ 73
Inhalt
9
9.3 Stand der Forschung............................................................................................. 74 9.4 Ziele....................................................................................................................... 74 9.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 75 9.6 Ergebnisse............................................................................................................. 75 9.7 Literatur ................................................................................................................ 76
10 Normierung der Befindlichkeitsskala (Bf-SR) u. Beschwerden-Liste (B-LR) .. 79
10.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 79 10.2 Zusammenfassung................................................................................................ 79 10.3 Stand der Forschung............................................................................................. 80 10.4 Ziele....................................................................................................................... 81 10.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 81 10.6 Ergebnisse............................................................................................................. 81 10.7 Literatur ................................................................................................................ 82
11 Revision des Entwicklungstests ET 6-6: Der ET 6-6-R................................... 85
11.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 85 11.2 Zusammenfassung................................................................................................ 85 11.3 Stand der Forschung............................................................................................. 86 11.4 Ziele....................................................................................................................... 87 11.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 87 11.6 Ergebnisse............................................................................................................. 89 11.7 Literatur ................................................................................................................ 89
12 Adaptation und Normierung der Wechsler Memory Scale IV - Deutsche Version (WMS-IV)...................................................................................... 91
12.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 91 12.2 Zusammenfassung................................................................................................ 91 12.3 Stand der Forschung............................................................................................. 92 12.4 Ziele....................................................................................................................... 93 12.5 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 94 12.6 Ergebnisse............................................................................................................. 96 12.7 Literatur ................................................................................................................ 97
13 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Neuropsychologische Befunde zu diagnostischen Kriterien.......................................................... 99
13.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 99 13.2 Zusammenfassung................................................................................................ 99 13.3 Stand der Forschung........................................................................................... 100 13.4 Ziele..................................................................................................................... 103 13.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 104 13.6 Ergebnisse........................................................................................................... 105 13.7 Literatur .............................................................................................................. 105
14 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen - eine bedarfsorientierte Frühförderung......................................................................................... 109
14.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 109
Inhalt
10
14.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 109 14.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 109 14.4 Ziele..................................................................................................................... 110 14.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 111 14.6 Ergebnisse........................................................................................................... 112 14.7 Literatur .............................................................................................................. 116
Teil II: Klinische Psychologie
1 Depression im Jugendalter.......................................................................121
1.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 121 1.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 121 1.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 122 1.4 Ziele..................................................................................................................... 123 1.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 124 1.6 Ergebnisse........................................................................................................... 126 1.7 Literatur .............................................................................................................. 129
2 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Neuropsychologische Störungen im Langzeitverlauf ...................................................................................131
2.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 131 2.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 131 2.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 132 2.4 Ziele..................................................................................................................... 133 2.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 133 2.6 Ergebnisse........................................................................................................... 134 2.7 Literatur .............................................................................................................. 134
3 Therapeutische Hausaufgaben .................................................................137
3.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 137 3.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 137 3.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 137 3.4 Ziele..................................................................................................................... 138 3.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 139 3.6 Ergebnisse........................................................................................................... 140 3.7 Literatur .............................................................................................................. 141
4 Within- u. Between-Session Prozesse bei Panikstörung u. Agoraphobie ...143
4.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 143 4.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 143 4.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 144 4.4 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 144 4.5 Ergebnisse........................................................................................................... 146 4.6 Literatur .............................................................................................................. 147
5 Effekte eines Aufmerksamkeitstrainings bei Sozialer Phobie auf verhaltensnahe Variablen........................................................................149
Inhalt
11
5.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 149 5.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 149 5.3 Stand der Forschung........................................................................................... 150 5.4 Ziele..................................................................................................................... 150 5.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 150 5.6 Ergebnisse........................................................................................................... 155 5.7 Literatur .............................................................................................................. 155
6 Vorstudie zum Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter .......................... 157
6.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 157 6.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 157 6.3 Stand der Forschung........................................................................................... 158 6.4 Ziele..................................................................................................................... 159 6.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 159 6.6 Ergebnisse........................................................................................................... 165 6.7 Literatur .............................................................................................................. 167
7 Luxemburger Modell „Projet Prima!r“ ..................................................... 169
7.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 169 7.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 169 7.3 Stand der Forschung........................................................................................... 170 7.4 Ziele..................................................................................................................... 172 7.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 172 7.6 Ergebnisse........................................................................................................... 174 7.7 Literatur .............................................................................................................. 181
8 Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen.............................................. 185
8.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 185 8.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 185 8.3 Stand der Forschung........................................................................................... 186 8.4 Ziele..................................................................................................................... 186 8.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 186 8.6 Ergebnisse........................................................................................................... 187 8.7 Literatur .............................................................................................................. 188
9 JobFit-Training ........................................................................................ 191
9.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 191 9.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 191 9.3 Stand der Forschung........................................................................................... 192 9.4 Ziele..................................................................................................................... 192 9.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 193 9.6 Ergebnisse........................................................................................................... 194 9.7 Literatur .............................................................................................................. 194
10 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder zwischen 18 und 48 Monaten (BilKi) ....................................................................................... 197
10.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 197
Inhalt
12
10.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 197 10.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 197 10.4 Ziele..................................................................................................................... 198 10.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 199 10.6 Ergebnisse........................................................................................................... 200 10.7 Literatur .............................................................................................................. 201
11 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue.......................................203
11.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 203 11.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 203 11.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 204 11.4 Ziele..................................................................................................................... 205 11.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 205 11.6 Ergebnisse........................................................................................................... 209 11.7 Literatur .............................................................................................................. 212
Teil III: Rehabilitation
1 Depression als Prädiktor für den Misserfolg der Rehabilitation von chronischem Rückenschmerz ...................................................................219
1.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 219 1.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 219 1.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 220 1.4 Ziele..................................................................................................................... 221 1.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 221 1.6 Ergebnisse........................................................................................................... 222 1.7 Literatur .............................................................................................................. 223
2 Evaluation der modellhaften Einführung von Patientenschulungsprogrammen für die pneumologische Rehabilitation..225
2.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 225 2.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 225 2.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 226 2.4 Ziele..................................................................................................................... 228 2.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 228 2.6 Ergebnisse........................................................................................................... 229 2.7 Literatur .............................................................................................................. 236
3 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom ...........................................239
3.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 239 3.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 239 3.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 240 3.4 Ziele..................................................................................................................... 241 3.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 242 3.6 Ergebnisse........................................................................................................... 245 3.7 Literatur .............................................................................................................. 250
Inhalt
13
4 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten ....................................... 253
4.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 253 4.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 253 4.3 Stand der Forschung........................................................................................... 253 4.4 Ziele..................................................................................................................... 254 4.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 254 4.6 Ergebnisse........................................................................................................... 255
5 Jugendliche mit chronischer Grunderkrankung in der stationären Rehabilitation ......................................................................................... 259
5.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 259 5.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 259 5.3 Stand der Forschung........................................................................................... 260 5.4 Ziele..................................................................................................................... 260 5.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 261 5.6 Ergebnisse........................................................................................................... 262 5.7 Literatur .............................................................................................................. 262
6 Modularisiertes Elterntraining für Eltern entwicklungsauffälliger Kinder in der stationären Rehabilitation................................................................. 265
6.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 265 6.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 265 6.3 Stand der Forschung........................................................................................... 266 6.4 Ziele..................................................................................................................... 266 6.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 266 6.6 Ergebnisse........................................................................................................... 269 6.7 Literatur .............................................................................................................. 273
7 Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation .................. 275
7.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 275 7.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 275 7.3 Stand der Forschung........................................................................................... 276 7.4 Ziele..................................................................................................................... 277 7.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 277 7.6 Ergebnisse........................................................................................................... 278 7.7 Literatur .............................................................................................................. 278
8 Evaluation einer kulturoffenen prästationären Informationsveranstaltung vor psychosomatischer Rehabilitation ..................................................... 281
8.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 281 8.2 Zusammenfassung.............................................................................................. 281 8.3 Stand der Forschung........................................................................................... 282 8.4 Ziele..................................................................................................................... 284 8.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 284 8.6 Ergebnisse........................................................................................................... 287 8.7 Literatur .............................................................................................................. 287
Inhalt
14
9 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation .......291
9.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 291 9.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 291 9.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 292 9.4 Ziele..................................................................................................................... 294 9.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 294 9.6 Ergebnisse........................................................................................................... 295 9.7 Literatur .............................................................................................................. 295
10 Entwicklung eines Programms zur manualgestützen Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation.............................................................299
10.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 299 10.2 Zusammenfassung .............................................................................................. 299 10.3 Stand der Forschung ........................................................................................... 300 10.4 Ziele..................................................................................................................... 300 10.5 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 300 10.6 Ergebnisse........................................................................................................... 303 10.7 Literatur .............................................................................................................. 304
Teil IV: Einrichtungen, Studiengänge und Qualifikationsarbeiten
1 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter................309
1.1 Einrichtungen...................................................................................................... 309 1.1.1 Organisation.............................................................................................309 1.2 Wissenschaftlicher Hintergrund ......................................................................... 310 1.3 Psychologische Kinderambulanz......................................................................... 311 1.4 Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche ........................... 312 1.5 Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie ..................................... 312 1.6 Literatur .............................................................................................................. 314
2 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen......317
2.1 Modelleinrichtungen .......................................................................................... 317 2.1.1 Organisation.............................................................................................317 2.2 Wissenschaftlicher Hintergrund ......................................................................... 318 2.3 Hochschulambulanz für Forschung und Lehre ................................................... 318 2.4 Modellambulanz der Christoph-Dornier-Stiftung, Institut Bremen ................... 319
3 Masterstudiengang: Klinische Psychologie (Master of Science).................323
3.1 Organisation........................................................................................................ 323 3.2 Module................................................................................................................ 323 3.3 Ziele..................................................................................................................... 324 3.4 Konzept ............................................................................................................... 325 3.5 Erreichung der Studiengangsziele....................................................................... 326 3.6 Lernziele, Modularisierung, ECTS ....................................................................... 326 3.7 Lernkontext......................................................................................................... 327 3.8 Exemplarische Modulbeschreibung.................................................................... 328
Inhalt
15
4 Doktorandenkolleg: Klinische Kinderpsychologie (2006-2011).................. 329
4.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 329 4.2 Hintergrund ........................................................................................................ 329 4.3 Forschungsprogramm des Doktorandenkollegs................................................. 330 4.4 Studienprogramm des Kollegs............................................................................ 331 4.5 Dissertationsthemen der StipendiatInnen ......................................................... 332
5 Doktorandenkolleg: Klinische Psychologie (2012-2016)............................ 337
5.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 337 5.2 Ziele, Konzepte und Methodik............................................................................ 337 5.3 Themenschwerpunkte........................................................................................ 338 5.4 Studienprogramm............................................................................................... 339
6 Promotionen und Habilitationen ............................................................. 341
Teil V: Symposien und Kongresse
1 Symposium des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen (RFNB): Neue Ansätze in der psychosomatischen
Rehabilitation ......................................................................................... 345
1.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 345 1.2 Tagungsbericht ................................................................................................... 345 1.3 Literatur .............................................................................................................. 348
2 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie: Erklären,
Entscheiden, Planen ................................................................................ 349
2.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 349 2.2 Tagungsbericht ................................................................................................... 349 2.3 Literatur .............................................................................................................. 351
Aufbau und Struktur des ZKPR
17
Aufbau und Struktur des ZKPR
Direktor: Prof. Dr. Franz Petermann
Geschäftsführung: Dr. Ulrike de Vries
Verwaltung: Dipl.-Volkswirt Michael Behrends
Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Diagnostik Prof. Dr. Franz Petermann
Lehrstuhl für Klinische Psychologie, Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie Prof. Dr. Ulrike Petermann
Lehrstuhl für Klinische Psychologie, Schwerpunkt Klinische Psychologie des Erwachse-nenalters N. N. (das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen)
Stiftungsprofessur Gesundheitspsychologie N.N. (das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen)
Stiftungsprofessur Rehabilitationspsychologie PD Dr. Axel Kobelt (Vertretung)
Bereich Methoden und Statistik Leitung: Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann
Bereich Testentwicklung Leitung: PD Dr. Monika Daseking
Hochschulambulanz für Forschung und Lehre (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann
Psychologische Kinderambulanz Leitung: Prof. Dr. Ulrike Petermann
Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie (NOKI) Prof. Dr. Franz Petermann (geschäftsführend)
Prof. Dr. Wolf-Dieter Gerber, Kiel Prof. Dr. Rainer Hanewinkel, Kiel
Prof. Dr. Ulrike Petermann
Ausbildungsambulanz des NOKI Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann
Kinderverhaltenstherapietage (KVT) an der Universität Bremen Leitung: Prof. Dr. Ulrike Petermann
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann
Doktorandenkolleg Klinische Psychologie Sprecher: Prof. Dr. Franz Petermann
Sekretariate Birgit Abel, Dana Hudcovic, Eva Todisco
Wissenschaftliche MitarbeiterInnen des ZKPR
18
Wissenschaftliche MitarbeiterInnen des ZKPR
Ahlers, Doris Janke, Nina Riezler, Bernadette
Aikara, Fumiyo Jaščenoka, Julia Rißling, Julia Katharina
Auer, Maxi e von Kamau, Lena Röll, Judith
Bahmer, Judith Anna Karpinski, Norbert Röpcke, Lutz
Baldus, Christiane Knievel, Julia Scheewe, Liselotte Behrends, Ann-Kristin Knisel-Scheuring, Gerlinde Schiffrin, Marc
Belhadj Kouider, Esmahan Koglin, Ute Schipper, Marc
Bise, Veronika Kooiker, Elvira Schröder, Eva-Maria
Bohn, Bernd Kordt, Anne Schröder, Katharina
Bornschlegl, Mona Kranz, Gesa Senin, Tatjana
Brunnemann, Nicole Kranzpiller, Juliane Soltau, Christian
Czilwik, Sarah Krummrich, Mara Zoe Sülz, Juliane
Cammin, Sandra Kruse, Leif Teichmann, Juliane
Damm, Franziska Laakmann, Mirjam Theiling, Johanna
Daseking, Monika Lange, Meike Thomsen, Monika de Vries, Ulrike Laws, Tanja Tischler, Lars
Dietmair, Iris Lepach, Anja Tlach, Lisa
Eikelmann, Antje Linnemann, Lydia Toussaint, Anne
Ender, Stephanie Lipsius, Maike Vogel, Melanie
Fischer, Christin Macha, Thorsten Volkmer, Carolin
Freitag, Juliane Maetze, Maren Waldmann, Christian
Fröhlich, Linda Paulina Marées, Nandoli Walter, Hans-Jörg
Führer, Daniel Meer, Bart van der Weid, Tanja
Geisler, Kira Meier, Claudia Wensauer, Mirjam
Gledhill, Daniela Metz, Dorothee Werpup, Lina Groen, Gunter Mohr, Beate Wiench, Regina
Gust, Nicole Niebank, Kai Winkel, Sandra
Hallmann, Andrea Natzke, Heike Wintjen, Laura
Hamid, Leila Nicklaussen, Julia Witthöft, Jan
Häring, Jutta Nitkowski, Dennis
Hecking, Masha Oldenhage, Marijke
Hefter, Philipp Owsianny, Bettina
Helbig-Lang, Sylvia Pätel, Johanna
Helmsen, Johanna Pauls, Franz
Hillebrandt-Wegner, Christina Prinz, Maren Holtz, Maike Rau, Jörn
Hustedt, Katja Renziehausen, Anja
Jacobs, Claus Reuber-Linder, Danielle
StipendiatInnen des ZKPR
19
StipendiatInnen des ZKPR
Brüggemann, Johanna Kruse, Leif Rücker, Stefan
Danielsson, Julia Kullik, Angelika Stauber, Tatiana
Desman, Christiane Lipsius, Maike Tischler, Lars
Fröhlich, Linda Paulina Lohbeck, Annette Theiling, Johanna
Gienger, Claudia Njichop, Richard Cho Walter, Franziska
Göbber, Julia Ortbandt, Christine Waskewitz, Steffi
Hamid, Leila Pauls, Franz Weber, Hanna Maria
Janke, Nina Piegza, Magdalena Witthöft, Jan
Korsch, Franziska Rachuy, Karin
Teil I: Diagnostik
21
Teil I: Diagnostik
Eine fundierte klinische Forschung ist heute ohne standardisierte Erhebungsverfah-
ren unmöglich. Konsequent wurde für die Klinische Kinderpsychologie, Psychiatrie
und medizinische Rehabilitation eine Vielzahl von Testverfahren entwickelt. Ein
Schwerpunkt lag zweifelsfrei im Bereich der Diagnostik kognitiver Funktionen (u.a.
Intelligenzdiagnostik). Im Einzelnen wurden folgende Erhebungsverfahren von 2005
bis heute entwickelt bzw. weiterentwickelt:
2005
Hampel, P. & Petermann, F. (2005). Screening psychischer Störungen im Jugendalter (SPS-J).
Bern: Huber. Jacobs, C. & Petermann, F. (2005). Rechenfertigkeiten- und Zahlenverarbeitungs-
Diagnostikum für die 2. bis 6. Klasse (RZD 2-6). Göttingen: Hogrefe.
Petermann, F. & Renziehausen, A. (2005). Neuropsychologisches Entwicklungs-Screening
(NES). Bern: Huber.
2006
Petermann, U. & Petermann, F. (2006). Lehrereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten
(LSL). Göttingen: Hogrefe.
2007
Petermann, F. & Petermann, U. (2007). Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder - IV
(HAWIK-IV). Bern: Huber.
Petermann, F. & Winkel, S. (2007). Fragebogen zur Leistungsmotivation für Schüler der 4.
bis 6. Klasse (FLM 4-6). Frankfurt: Pearson Assessment.
Petermann, F. & Winkel, S. (2007). Fragebogen zur Leistungsmotivation für Schüler der 7.
bis 13. Klasse (FLM 7-13). Frankfurt: Pearson Assessment.
Tellegen, P.J., Laros, J.A. & Petermann, F. (2007). Snijders-Oomen Non-verbaler Intelligenz-
test 2 1/2-7 - Revidierte Fassung (SON-R 2 1/2-7). Göttingen: Hogrefe.
2008
Heubrock, D. & Petermann, F. (2008). Kurzfragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfak-
toren (K-FAF). Göttingen: Hogrefe.
Lepach, A.C. & Petermann, F. (2008). Battery for Assessment in Children - Merk- und Lernfä-higkeitstest für 6- bis 16-Jährige (BASIC-MLT). Bern: Huber.
Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2008). Sozialpädiatrisches Ent-
wicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen (Einschulungsscreening) SOPESS.
Düsseldorf: Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW.
Petermann, F., Stein, I.A. & Macha, T. (2008). Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre (ET 6-6)
(3. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment.
2009
Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Battery for Assessment in Children - Screening für
kognitive Basiskompetenzen im Vorschulalter (BASIC-Preschool). Bern: Huber.
Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Kognitiver Entwicklungstest für das Kindergartenalter
(KET-KID). Göttingen: Hogrefe.
Teil I: Diagnostik
22
Petermann, F. (Hrsg.) (2009). Movement Assessment Battery for Children-2 (M-ABC-2) (2.,
erweit. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment.
Petermann, F. (Hrsg.) (2009). WPPSI-III - Wechsler Preschool and Primary Scale of
Intelligence - Third Edition - deutsche Version. Frankfurt: Pearson Assessment.
Schmidt, S. & Petermann, F. (2009). ADHS-Screening für Erwachsene (ADHS-E). Frankfurt:
Pearson Assessment.
2010
Koglin, U., Petermann, U. & Petermann, F. (2010). Entwicklungsbeobachtung und -
dokumentation: EBD 48-72 Monate. Berlin: Cornelsen.
Marées, N. v. & Petermann, F. (2010). Bullying- und Viktimisierungsfragebogen Kinderver-
sion und Lehrerversion (BVF). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. (2010). Kaufman-Computerized Assessment Battery - deutsche Adaptation
(K-CAB). Frankfurt: Pearson Assessment.
2011
Petermann, F. & Petermann, U. (Hrsg.) (2011). Wechsler Intelligence Scale for Children -
Fourth Edition (WISC-IV). Frankfurt: Pearson Assessment.
Zerssen, D. v. & Petermann, F. (2011). Beschwerden-Liste - Revidierte Fassung (B-LR). Göt-
tingen: Hogrefe.
Zerssen, D. v. & Petermann, F. (2011). Befindlichkeits-Skala - Revidierte Fassung (Bf-SR).
Göttingen: Hogrefe.
2012
Hampel, P. & Petermann, F. (2012). Screening psychischer Störungen im Jugendalter-II (SPS-
J-II) (2., veränd. Aufl.). Bern: Huber.
Heubrock, D. & Petermann, F. (2012). Testbatterie zur Forensischen Neuropsychologie
(TBFN) (3., korr. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment.
Petermann, F. (2012). Sprachstandserhebungstest für Fünf- bis Zehnjährige (SET 5-10) (2.,
veränd. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. (2012). Wechsler Adult Intelligence Scale - Fourth Edition (WAIS-IV). Frank-
furt: Pearson Assessment.
Petermann, F. & Lepach, A.C. (Hrsg.) (2012). Wechsler Memory Scale - Fourth Edition (WMS-
IV). Frankfurt: Pearson Assessment.
Petermann, F., Schmidt, M.H. & Suing, M. (2012). Kompetenzanalyseverfahren Fremdbeur-
teilung beobachtbarer personaler Ressourcen bei Kindern und Jugendlichen (KANN). Göt-
tingen: Hogrefe.
Petermann, F., Waldmann, H.-C. & Daseking, M. (2012). Frostigs Entwicklungstest der visu-
ellen Wahrnehmung - Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE). Göttingen: Hogrefe.
Petermann, F. & Daseking, M. (2012). Zürcher Lesetest - II (ZLT-II). Bern: Huber. Petermann, U., Petermann, F. & Koglin, U. (2012). Entwicklungsbeobachtung und -
dokumentation (EBD 3-48) (3., erw. Aufl.). Berlin: Cornelson.
Tellegen, P.J., Laros, J.A. & Petermann, F. (2012). Non-verbaler Intelligenztest von 6 bis 40
Jahren (SON-R 6-40). Göttingen: Hogrefe.
von Zerssen, D. & Petermann, F. (2012). Münchner Persönlichkeitstest (MPT). Göttingen:
Hogrefe.
Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)
23
1 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)
1.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
PD Dr. Monika Daseking
Mitarbeiterin
Dipl.-Psych. Tanja Weid
Zeitraum
01.01.2010 - 30.09.2012
Finanzierung
Verlag Hans Huber, Bern
1.2 Zusammenfassung
Ziel des Projektes ist die Weiterentwicklung, Normierung und Validierung eines
Tests zur Diagnose von Lese-Rechtschreibstörung bei Kindern und Jugendlichen im
Sinne der klinisch-diagnostischen Kriterien. Das Verfahren überprüft den schuli-
schen Leistungsstand im Lesen und bietet darüber hinaus Hinweise zur Auswahl von
Fördermaßnahmen.
1.3 Stand der Forschung
Die Bedeutung des Kulturguts „Lesen“ hat in der heutigen Gesellschaft einen enor-
men Stellenwert. Dennoch wird die Fertigkeit selbst, aber auch ihr Erwerb als
selbstverständlich hingenommen. Die Bildungspflicht in Nordamerika und Westeu-
ropa spiegelt sich laut Berichten der UNESCO zum Bildungsstand in Schulbesuchs-
quoten von 95% wider, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Erwerb
der Schriftsprache naturgemäß gegeben zu sein scheint. In den Klassifikationssys-
temen stellt ein unzureichender Schulbesuch ein Ausschlusskriterium für die Diag-
Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)
24
nose einer Lese-Rechtschreibstörung (LRS) dar. Trotzdem weisen ungefähr 5% der
Schüler eine Entwicklungsstörung des Schriftspracherwerbs auf. Damit wird die au-
genscheinliche Selbstverständlichkeit der Fertigkeiten Lesen und Schreiben wider-
legt.
Um den langfristigen Folgen eines defizitären Schriftspracherwerbs möglichst früh-
zeitig entgegenzuwirken, müssen Testverfahren zur Verfügung gestellt werden, die
die Symptome und Problemlage zuverlässig und differenziert aufdecken. Die Über-
prüfung der Leseleistung gehört zur Standarddiagnostik bei Verdacht auf umschrie-
bene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Die Leitlinien der Deutschen
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (2007) empfeh-
len neben der Abklärung medizinischer Sachverhalte als Testdiagnostik die Verwen-
dung von standardisierten Testverfahren.
Das Ursachengefüge, das der Entwicklung von Teilleistungsstörungen zugrundliegt,
ist multifaktoriell und sollte im Rahmen der Diagnostik möglichst auf allen Ebenen
berücksichtigt werden. Die Überprüfung der Lesefertigkeit darf nur einen, wenn-
gleich wichtigen Faktor in der Beurteilung der individuellen Leistung von Schülern
darstellen. Basierend auf möglichen Ursachen wurden in der Vergangenheit ver-
schiedene Verfahren entwickelt, die neben der reinen Leseleistung auch andere
Bereiche berücksichtigen. Der ZLT-II setzt einen besonderen Fokus auf die phonolo-
gische Verarbeitung, einem Indikator, der eine prominente Rolle bei der Entstehung
von Lese-Rechtschreibstörungen spielt (Wagner & Torgesen, 1987). Die phonologi-
sche Verarbeitung beschäftigt sich mit Prozessen, die bei der Verarbeitung von a-
kustischen Signalen mit sprachlichen Inhalten ablaufen (Ptok et al., 2008). Unter
dem Begriff werden verschiedene Fertigkeiten vereint, die flüssiges und sinnent-
nehmendes Lesen ermöglichen. Es handelt sich dabei um die phonologische Be-
wusstheit, das phonologische Rekodieren mit Zugriff auf das semantische Gedächt-
nis sowie das phonetische Rekodieren im Arbeitsgedächtnis. All diese Prozesse ku-
mulieren in der Fähigkeit, Schriftsymbole zu dekodieren und in Sprache zu überfüh-
ren.
Durch die Kombination von Tests, die die Leseleistung erfassen (Lesegeschwindig-
keit, Fehleranzahl), mit zusätzlichen differenzierteren Untertests, werden wertvolle
Hinweise gewonnen, die eine detaillierte Beschreibung der individuellen Lese-
schwäche ermöglichen. Die Erfassung des individuellen Leseprofils ermöglicht dar-
über hinaus die abgestimmte Planung von Förder- und Therapiemaßnahmen, um
auf die jeweilige Problematik des Schülers einzugehen.
Testverfahren zur Überprüfung der Leseleistung
Der Zürcher Lesetest (ZLT) stellt seit vielen Jahren ein anerkanntes Verfahren zur
Diagnostik der Lesestörung dar. Aufgrund der sich stetig verändernden Erkenntnisse
sowie der notwendigen Aktualisierung von Normen im Bereich der Leistungsdia-
gnostik, wurde eine Überarbeitung des Verfahrens von Linder und Grissemann
Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)
25
(2000) erforderlich. Der Zürcher Lesetest-II basiert auf dem ursprünglich von Maria
Linder 1963 zusammengestellten Verfahren, das mehrfach normiert und erweitert
wurde (1967, 1973/1974, 1981). Die Kerntests der letzten aktualisierten Ausgabe
beinhalten das laute Vorlesen von Wortlisten und kurzen altersgerechten Textab-
schnitten. Als Kennwerte dienen die Lesegeschwindigkeit und die Anzahl der Lese-
fehler. Als zusätzliche Verfahren, die auch der Förderempfehlung dienen, wurden
im Laufe der Zeit der Mottiertest sowie die psycholinguistische Verlesungsanalyse
hinzugefügt.
Der ZLT, der als Einzeltest durchgeführt wird, ist für den Einsatz für Schüler ab der
zweiten Klasse bis zur sechsten Klasse vorgesehen. Er beinhaltet Normtabellen für
das erste, zweite und vierte Schulquartal (2. und 3. Klassenstufe) sowie im Jahres-
abstand (4., 5. und 6. Klassenstufe). Prozentrangstufen zur Beurteilung der Leseleis-
tung hinsichtlich Lesezeit und Anzahl der Lesefehler liegen für die Klassenstufen 2
und 3 sowie 5 und 6 vor. Der ZLT stellte über lange Zeit eines der wenigen Messin-
strumente der syntaktischen Lesefertigkeit dar und wird bis heute als populäres
Diagnostikinstrument bei Lerntherapeuten, Pädagogen und Psychologen ange-
nommen.
1.4 Ziele
Um dem neuesten Forschungsstand im Schriftspracherwerb gerecht zu werden,
wurde eine grundlegende Überarbeitung des ZLT notwendig. Der Charakter eines
Förderdiagnostikums sollte dabei nicht verloren gehen. Die Kerntests (Wortlesetest,
Textabschnitte) wurden aktualisiert und an den heutigen Sprachgebrauch von Schü-
lern angepasst. Die Überarbeitung beinhaltete auch den Mottiertest (jetzt Pseudo-
wörter nachsprechen). Erweitert wurde der ZLT um die Berücksichtigung wichtiger
Kennwerte der phonologischen Verarbeitung (Pseudowörter lesen, Silbentrennung
mündlich und schriftlich, Schnellen Benennen). Die Psycholinguistische Verlesungs-
analyse wurde übernommen, um eine weitere Möglichkeit der qualitativen Beurtei-
lung zu bieten. Außerdem wurde der Einsatzbereich des ZLT-II vergrößert: es wer-
den nun Normtabellen für Schüler ab Ende der ersten Klassenstufe bis zur achten
Klasse im Halbjahres- (Ende 1. bis Ende 4. Klassenstufe) bzw. Jahresabstand (5. bis 8.
Klassenstufe) angeboten. So ist es mit dem neuen Instrument möglich, bereits früh-
zeitige Defizite im Schriftspracherwerb festzustellen. Die Normierung und Validie-
rung des Zürcher Lesetest-II als Nachfolger des ZLT ist Ziel des Projekts. Für die
Standardisierung eines Verfahrens ist die Gewährleistung dieser Gütekriterien un-
verzichtbar.
Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)
26
1.5 Methodisches Vorgehen
Zur Realisierung des Normierungs- und Validierungsprojektes ZLT-II wurde die Pla-
nung und Entwicklung entsprechend der Qualitätsanforderungen an psychologische
Tests durchgeführt. Neben Wahrung der Objektivität und Reliabilität standen Test-
eichung und Validierung im Mittelpunkt des Arbeitsprogramms.
Nach Zusammenstellung eines Itempools wurde im Rahmen der Konstruktion einer
Stichprobe, deren Zusammensetzung analog der späteren Normierungsstichprobe
erfolgte, der ZLT-II vorgelegt. Nach einigen Modifikationen wurde die Endversion für
die Normierungsphase fertiggestellt. Im Zeitraum zwischen April 2010 und Septem-
ber 2011 haben 1145 Kinder und Jugendliche an der Datenerhebung im Rahmen der
Normierung teilgenommen. Es wurde dabei auf eine gleichmäßige Geschlechterver-
teilung geachtet. Die Datenerhebung erfolgte in vier Regionen der Bundesrepublik
Deutschland.
1.6 Ergebnisse
Zur Gewährleistung der Testgüte wurde das Verfahren im Hinblick auf Objektivität,
Reliabilität und Validität überprüft. Die Ergebnisse wurden im Manual zum ZLT-II
publiziert.
Objektivität. Die detaillierten Darstellungen im Manual des ZLT-II mit Vorgabe von
Instruktionstexten für die einzelnen Untertests unterstützen eine standardisierte
Durchführung. Um zu überprüfen, ob die Testergebnisse in Abhängigkeit vom Test-
leiter variieren, wurden univariate Varianzanalysen berechnet. Diese weisen nicht
signifikante Ergebnisse für die Testleiter, deren Protokollbögen miteinander vergli-
chen wurden, in Bezug auf die Lese- bzw. Benenngeschwindigkeit sowie die Fehler-
anzahl auf. Somit ist das Verfahren unter Berücksichtigung der entsprechenden
Hinweise im Manual als hinreichend objektiv in der Durchführung zu betrachten.
Gleiches gilt für die Auswertungs- und Interpretationsobjektivität.
Reliabilität. Die Zuverlässigkeit wurde anhand der internen Konsistenz sowie der
Retest-Reliabilität bestimmt. Die internen Konsistenzen für die einzelnen Unter-
tests, bei denen dieses Kriterium Anwendung fand, können insgesamt als sehr hoch
angesehen werden.
Die Retest-Reliabilität konnte mit hohen Koeffizienten für die Lesegeschwindigkeit
nachgewiesen werden. Zusätzlich wurde die Batterie-Reliabilität für alle Untertests,
die pro Gruppe durchgeführt werden, bestimmt. Vor allem für den Grundschulbe-
reich ergeben sich sehr hohe Gesamt-Reliabilitäten.
Validität. Vergleicht man die durchschnittlichen Leistungen der Altersgruppen mit-
einander, kann festgestellt werden, dass die Leseleistungen mit der Zeit stetig an-
Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)
27
steigen. Zur Überprüfung wurde eine univariate Varianzanalyse durchgeführt. Es
zeigen sich in allen Untertests signifikante Unterschiede zwischen den Grundschü-
lern und den Schülern weiterführender Schulen und belegen somit bedeutsame
Leistungszunahmen über die Altersspanne, für die das Verfahren konzipiert wurde.
Zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität wurden die Leseleistungen der Kinder mit
den Schulnoten des letzten Schulzeugnisses im Fach Deutsch bzw. Lesen verglichen.
Der Vergleich erbrachte signifikante Zusammenhänge zwischen Note und Leseleis-
tung: je schneller die Lesegeschwindigkeit, umso besser die Note bzw. je weniger
Lesefehler umso besser die Note.
Leistungsunterschiede bei Zweisprachigkeit. Zusätzlich zu den Gütekriterien wur-
den Leistungsunterschiede von Muttersprachlern und Schülern, die zweisprachig
aufgewachsen sind. Es kann vorkommen, dass Kinder und Jugendliche, die zwei-
oder mehrsprachig aufwachsen, Symptome zeigen können, die denen einer LRS
ähnlich sind. Bei Lesetests, die Defizite im Schriftspracherwerb im Sinne einer Ent-
wicklungsstörung schulischer Fertigkeiten aufdecken sollen, ist dieser Umstand be-
sonders differenziert zu betrachten. Es wurden daher 213 Kinder mit einer anderen
Muttersprache als Deutsch mit 213 deutschsprachigen Kindern nach Alter, Klassen-
stufe, Schulform und Geschlecht gematcht. Mittels t-Tests für unabhängige Stich-
proben wurden die Leistungen der Kinder in den Untertests auf Unterschiede hin
überprüft. Bei den meisten Untertests unterscheiden sich die Leistungen der Kinder
nicht signifikant voneinander. Lediglich zwei Untertests (Schnelles Benennen 2 und
Pseudowörter nachsprechen) fielen mit leichten Unterschieden auf. So schneiden
anders- bzw. mehrsprachige Kinder beim Schnellen Benennen etwas schlechter ab.
Dies lässt sich mit dem u. U. etwas geringeren Wortschatz dieser Gruppe erklären.
Beim Untertest Pseudowörter nachsprechen hingegen lieferten die anderssprachi-
gen Kinder bessere Ergebnisse. Dies ist möglicherweise damit erklärbar, dass diese
Kinder bereits früh eine weitere Sprache erlernt haben und somit sicherer im Um-
gang mit neuen (fremden) Wörtern sind. Zieht man alle Ergebnisse in Erwägung,
kann der ZLT-II auch für den Einsatz mit anderssprachigen Kindern ohne Einschrän-
kungen eingesetzt werden.
1.7 Literatur
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
(2007). Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im
Säuglings-, Kindes- und Jugendalter (3., überarb. Aufl.). Köln: Deutscher Ärzte
Verlag.
Linder, M. & Grissemann, H. (2000). Zürcher Lesetest (6. Aufl.). Bern: Hans Huber.
Ptok, M., Berendes, K., Gottal, S., Grabherr, B., Schneeberg, J. & Wittler, M. (2008).
Phonologische Verarbeitung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 156, 860-866.
Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)
28
Wagner, R. K. & Torgesen, J. K. (1987). The nature of phonological processing and its
casual role in acquisition of reading-skills. Psychological Bulletin, 101, 192-212.
Publikationen
Petermann, F. & Daseking, M. (2012). Zürcher Lesetest - II (ZLT-II). Weiterentwick-
lung des Zürcher Lesetests (ZLT) von Maria Linder und Hans Grissemann. Bern:
Huber.
BASIC-Preschool
29
2 Entwicklung eines neuropsychologischen Screeningverfahrens für Vorläuferfähigkeiten von Lesen, Rechtschreibung und Rechnen: BASIC-Preschool
2.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
PD Dr. Monika Daseking
Mitarbeiterin
Dipl.-Psych. Julia Knievel
Zeitraum
01.06.2005 - 30.06.2009
Finanzierung
FNK der Universität Bremen, BMW-Stiftung
2.2 Zusammenfassung
In den letzten drei Jahrzehnten ist ein deutlicher Erkenntniszuwachs auf dem Gebiet
der Entwicklung des schulbasierten Erwerbs von Lesen, Rechtschreiben und Rech-
nen zu verzeichnen. Schriftspracherwerb und die Grundschulmathematik basieren
auf einer Reihe von Vorläuferfähigkeiten, die bereits im Kindergartenalter erworben
werden. Mit altersangemessenen und sensitiven Screeningverfahren können Vor-
läuferbeeinträchtigungen bereits vorschulisch identifiziert werden. Ziel des Projek-
tes war die Entwicklung, Normierung und Validierung eines Tests zu neuropsycholo-
gisch begründbaren Vorläuferfähigkeiten für den schulbasierten Erwerb von Lesen,
Rechnen und Rechtschreibung.
BASIC-Preschool
30
2.3 Stand der Forschung und eigene Forschungsarbeiten
Die Auswahl der Funktionsbereiche und Items erfolgte in Anlehnung an die Entwick-
lung kognitiver Funktionen (vgl. Hirnreifung).
• Visuelle Differenzierung (optische Differenzierung), Visuelles Scanning (Unter-
scheidung oben-unten, links-rechts)
• Phonologische Bewusstheit (Rhythmus, Geräuschememory, Reime)
• Verbale Merkfähigkeit (Wortliste)
• Visuelle Merkfähigkeit (Nachzeichnen einer komplexen Form aus dem Gedächt-
nis; Wiedererkennen und freie Reproduktion visuell dargebotener Inhalte)
• Mengenerfassung (automatische Erfassung kleiner Mengen, Schätzung: viel –
wenig, Längen- oder Größenvergleich) und einfaches Zahlwissen (Benennen von
Ziffern, Vorgänger-Nachfolger)
• Kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit als Funktion der Aufmerksamkeit
(sprachgebunden, Auge-Hand-Koordination)
• Selektive Aufmerksamkeit
• Kategorisieren (Klassifikationen; Reihenfolgen)
Im Rahmen von mehreren Forschungsarbeiten wurden die einzelnen Funktionsbe-
reiche theoretisch fundiert, auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft und ein Aufga-
benpool entwickelt, aus dem dann das eigentliche Screening zusammengestellt
wurde.
2.4 Ziele
BASIC-Screening verfolgt mehrere Strategien: Mit Hilfe einer motivierenden und
teilweise computergestützten Gestaltung soll dem Problem niedriger Reliabili-
tätskennwerte diagnostischer Erhebungsverfahren begegnet werden. Außerdem
sollen die wesentlichen neuropsychologischen Vorläuferfähigkeiten, die ein Kind im
Vorschulalter entwickelt und die es für einen erfolgreichen Schulstart mitbringen
sollte, wissenschaftlich fundiert in Testaufgaben umgesetzt werden, die im Sinne
eines Breitbandscreenings in verschiedenen Settings wie Einschulungsuntersu-
chung, klinisch-psychologischer Diagnostik oder kinderärztlicher Vorsorgeuntersu-
chung zum Einsatz kommen können.
BASIC-Preschool
31
2.5 Methodisches Vorgehen
Beschreibung des Testverfahrens BASIC-Preschool
Mit dem BASIC-Screening zur Analyse neuropsychologischer Basiskompetenzen im
Vorschulalter (Battery for Assessment in Children) (Daseking & Petermann, 2009)
liegt ein Verfahren zur Früherkennung von Voraussetzungen vor, die zum Gelingen
des Erlernens von Lesen, Schreiben und Rechnen beitragen. Früherkennung heißt in
diesem Fall, dass Beeinträchtigungen in den entsprechenden Vorläuferfähigkeiten
so rechtzeitig erhoben werden, dass eine gezielte und spezifische Förderung noch
vor der Einschulung greifen kann. Mögliche Defizite in einzelnen Funktionsberei-
chen haben zu diesem Zeitpunkt noch keine gravierenden Auswirkungen auf alltäg-
liche Leistungen, die negativen Konsequenzen ergeben sich häufig erst durch die
deutlich steigenden Anforderungen im Rahmen des Schulunterrichts. Die Grund-
konzeption basiert auf kognitions- und neuropsychologischen Erkenntnissen über
Vorläuferfähigkeiten für den schulvermittelten Erwerb der Kulturtechniken.
Um das Kind zu einer optimalen Mitarbeit zu motivieren, sind die Untertests in eine
Geschichte eingebettet. Die abwechslungsreiche Darbietung der Untertests verbes-
sert die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit des Kindes. Die Anwendung ist be-
sonders zu Beginn des letzten Kindergartenjahres zu empfehlen, um im Bedarfsfall
noch vor der Einschulung eine differenzierte Abklärung und/oder Förderung einlei-
ten zu können.
Mit insgesamt zehn Untertests können Aussagen über die Teilleistungen selektive
Aufmerksamkeit, visuell-räumliche Wahrnehmung, Sprachverständnis und Zahlen-
und Mengenwissen gemacht werden. Es kann ein Gesamt-Risikowert gebildet wer-
den, der als Maß für das Risiko dient, schulische Lernstörungen zu entwickeln. Ne-
ben diesem Gesamtwert kann auch auf Untertestebene eine Risikoaussage vorge-
nommen werden. Die zehn Untertests erfassen verschiedene neuropsychologische
Teilleistungen, die sich inhaltlich zu vier Bereichen zusammenfassen lassen (vgl.
Abb. 1):
• Visuell-räumliche Wahrnehmung,
• Sprachverständnis,
• selektive Aufmerksamkeit und
• das Zahlen- und Mengenwissen.
Die Vergleichswerte basieren auf den Ergebnissen von 710 Kindern, die im Zeitraum
zwischen dem 01.11.2005 und dem 30.06.2007 an der Datenerhebung zur Normie-
rung des Testverfahrens teilgenommen haben.
BASIC-Preschool
32
2.6 Ergebnisse
Korrelation mit dem Elternurteil. Mit einem zusätzlichen Fragebogen wurden An-
gaben zu unspezifische Vorläuferfähigkeiten, spezifische Vorläuferfähigkeiten für
Lese-Rechtschreibfertigkeiten und spezifische Vorläuferfähigkeiten für Rechenfer-
tigkeiten erhoben. Aus den Antworten wurde ein Gesamt-Risikowert des Elternur-
teils gebildet, der mit dem Gesamt-Risikowert des BASIC-Screenings korreliert wur-
de. Diese Korrelation erweist sich als hoch signifikant (r = .49***). Ein höherer Risi-
ko-Gesamtwert im BASIC-Preschool geht demnach mit einem höheren Risiko-
Gesamtwert im Elternfragebogen einher. Die Elterneinschätzungen und das Tester-
gebnis zeigen also gute Übereinstimmungen.
Abbildung 1: Zuordnung der erfassten Teilleistungen zu den vier Merkmalsberei-
chen
Korrelation mit Entwicklungsverzögerungen. Mittels Elternfragebogen wurden An-
gaben zu Geburtskomplikationen, schweren Kopfverletzungen und Entwicklungs-
verzögerungen im motorischen und sprachlichen Bereich in den ersten beiden Le-
bensjahren erhoben. Geburtskomplikationen und/oder Entwicklungsverzögerungen
und BASIC-Preschool-Ergebnisse korrelieren signifikant und spezifisch, aber niedrig.
Frühe Entwicklungsverzögerungen scheinen somit kein ausreichender Prädiktor für
Beeinträchtigungen in den Vorläuferfähigkeiten im letzten Kindergartenjahr zu sein.
BASIC-Preschool
33
Zusätzlich wurde geprüft, welchen Einfluss Zweisprachigkeit beziehungsweise ein
Migrationshintergrund auf die Vorläuferfähigkeiten aufweist. Darüber hinaus wur-
den Korrelationsstudien mit etablierten Instrumenten (u. a. ET 6-6) zum Nachweis
der Konstruktvalidität durchgeführt.
Prognostische Validität. Die prognostische Validität des Verfahrens wurde mit einer
umfangreichen Studie (N = 122) nachgewiesen (vgl. Abb. 2). Die vorschulischen Leis-
tungen in den vier Merkmalsbereichen wurden auf ihre Vorhersagekraft für die
Rechtschreibleistung (DRT 1), die Rechenleistung (DEMAT 1+) und das Intelligenzni-
veau (WISC-IV) zu Beginn der zweiten Klasse überprüft. Die Zusammenhangsmaße
und die Regressionsanalysen weisen auf die besondere Bedeutung des vorschuli-
schen Sprachverständnisses für Rechtschreib- und Rechenleistung hin. Die Ergebnis-
se belegen die Notwendigkeit, sprachliche Fähigkeiten im letzten Kindergartenjahr
zu erfassen und zu fördern.
Abbildung 2: Studiendesign mit den eingesetzten Messverfahren. t1 = erster Mess-
zeitpunkt, t2 = zweiter Messzeitpunkt, DRT 1: Diagnostischer Recht-
schreibtest für 1. Klassen, DEMAT 1+: Deutscher Mathematiktest für
erste Klassen, WISC-IV: Wechsler Intelligence Scale for Children - Ver-
sion IV.
2.7 Literatur
Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Battery for Assessment in Children - Screening
für kognitive Basiskompetenzen im Vorschulalter (BASIC-Preschool). Bern: Huber.
Publikationen
Daseking, M., Bauer, A., Knievel, J., Petermann, F. & Waldmann, H.-C. (2011). Kogni-
tive Entwicklungsrisiken bei zweisprachig aufwachsenden Kindern mit Migrati-
onshintergrund im Vorschulalter. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychi-
atrie,60, 351-368.
t1 letztes Kindergarten-
jahr
t2 Beginn zweites Schul-
jahr
BASIC-Preschool
DRT 1
DEMAT 1+
WISC-IV
Lehrerurteil
BASIC-Preschool
34
Knievel, J. (2009). Die prognostische Bedeutung kognitiver Vorläuferfähigkeiten im
Kindergartenalter für den Erwerb der Rechtschreibung und des Rechnens. Bre-
men: Unveröffentlichte Dissertation.
Knievel, J., Daseking, M. & Petermann, F. (2010). Kognitive Basiskompetenzen und
ihr Einfluss auf die Rechtschreib- und Rechenleistung. Zeitschrift für Entwick-
lungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 42, 15-25.
Knievel, J., Petermann, F. & Daseking, M. (2011). Welche Vorläuferdefizite weisen
Kinder mit einer kombinierten Rechtschreib- und Rechenschwäche auf? Di-
agnostica, 57, 212-224.
SET 5-10
35
3 Konstruktion, Normierung und Validierung des Sprachstandserhebungstests für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10)
3.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterinnen
Dr. Dorothee Metz
Dr. Lina Paulina Fröhlich,
Dipl.-Psych. Julia-Katharina Rißling
Zeitraum
01.01.2007 - 31.07.2013
Finanzierung
Eigenmittel ZKPR, Hogrefe-Verlag Göttingen.
3.2 Zusammenfassung
Störungen der Sprache gehören zu den häufigsten Entwicklungsstörungen und kön-
nen die kognitive, emotionale und psychische Entwicklung eines Kindes nachhaltig
beeinflussen. In der Diagnostik wird der Einsatz psychometrischer Testverfahren
empfohlen, da diese, sofern sie den Testgütekriterien genügen, zu objektiven Be-
funden führen. Während für das Vorschulalter noch verschiedene Verfahren zur
Verfügung stehen, nimmt die Anzahl der Verfahren im Grundschulalter erheblich
ab. Die Mehrheit der eingesetzten Instrumente beruht, wenn überhaupt, auf veral-
teten Normen, verfügt über keine theoretische Fundierung oder kann den Testgü-
tekriterien nicht gerecht werden. Im Rahmen des Projektes wurde daher ein neuer
allgemeiner Sprachtests speziell für Kinder ab dem fünften Lebensjahr entwickelt,
der eine zuverlässige Diagnostik für Kinder im Vor- und Grundschulalter ermögli-
chen soll.
SET 5-10
36
3.3 Stand der Forschung
Sprache ist zentraler Bestandteil unserer Kultur. Sie ermöglicht die Aneignung neu-
en Wissens, sowie den Austausch und die Vermittlung von Emotionen und Gedan-
ken. Die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten ist einer der wichtigsten Entwick-
lungsbereiche der Kindheit (Grimm, 2003; von Suchodoletz, 2003). Die Mehrheit der
Kinder bewältigt die Entwicklungsaufgabe des Spracherwerbs ohne Probleme und
eignet sich das damit verbundene Konglomerat von Regeln, Strukturen und Bedeu-
tungen scheinbar mühelos an. Dennoch stellen Störungen der Sprache bis zum
Schulbeginn die häufigsten Entwicklungsstörungen dar, die zudem verschiedene
andere Bereiche der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung eines Kindes
beeinflussen.
Sprachstörungen können, je nach Alter des Kindes sowie Art und Ausprägung der
Störung, eine große Variationsbreite aufweisen und die kognitive, emotionale und
psychische Entwicklung eines Kindes sowie die Eltern-Kind-Beziehung negativ beein-
flussen. Zudem bilden sich die Defizite im sprachlichen Bereich ohne Behandlung
meist nicht vollständig zurück (Neumann et al., 2009). Die Identifikation von Sprach-
störungen ist somit wichtig, um frühzeitig Förderungen oder therapeutische Maß-
nahmen einleiten zu können. Hierfür ist eine optimierte, valide Diagnostik von zent-
raler Bedeutung.
Für das Vorschulalter stehen im deutschen Sprachraum verschiedene Verfahren zur
Verfügung. Mit Beginn des Grundschulalters nimmt die Zahl der Testverfahren je-
doch erheblich ab. Viele der aktuell in der Praxis eingesetzten Instrumente werden
zudem den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht gerecht: Sie beruhen,
wenn überhaupt, auf veralteten Normen, basieren auf keinem theoretischen Kon-
zept oder entsprechen nicht den Gütekriterien, so dass an ihrer Aussagekraft und
ihrer Tauglichkeit für eine qualifizierte Diagnostik gezweifelt werden muss (Keil-
mann, Moein & Schöler, 2012; Metz & Petermann, 2010; Neumann et al., 2011).
3.4 Ziele
Es sollte ein Sprachtest für Kinder zwischen fünf und zehn Jahren entwickelt wer-
den, der eine an den Entwicklungsstand angepasste, umfassende Beurteilung des
Sprachstandes ermöglicht. Hierfür sollte der Sprachtest verschiedene sprachliche
Bereiche, wie Wortschatz, Sprachverständnis und Sprachproduktion) aber auch die
Verarbeitungsgeschwindigkeit und die auditive Merkfähigkeit erfassen, die als wich-
tige Vorläuferfähigkeiten für einen erfolgreichen Spracherwerb gelten (Leonard et
al., 2007). Die Normen des Tests sollten in einer deutschlandweiten Erhebung an
mindestens 1000 Kindern basieren und den Testgütekriterien Objektivität, Reliabili-
tät und Validität genügen (vgl. Petermann, 2012).
SET 5-10
37
3.5 Methodisches Vorgehen
Im Rahmen der Konstruktionsstichprobe des neu entwickelten Testverfahrens SET
5-10 sollten 2008 etwa 300 Kinder aus den Bundesländern Bayern, Bremen und
Hessen überprüft werden. Für die Normierung des SET 5-10 wurde als Ziel definiert,
dass im Zeitraum von April bis Oktober 2009 etwa 1000 Kinder im Alter zwischen
5;0 und 10;11 Jahren in Kindergärten und Grundschulen in Niedersachsen, Nord-
rhein-Westfalen, Bayern und Sachsen überprüft werden sollten. Um die Validität
des SET 5-10 zu bestimmen sollten weitere Studien, u.a. zur Überprüfung der Krite-
riumsvalidität des Verfahrens folgen.
Für die Entwicklung des SET 5-10 wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zu-
sammengestellt, die sich aus Kinderpsychologen, Entwicklungspsychologen und
Linguisten zusammensetzte. Es wurden Items unterschiedlicher Schwierigkeitsstu-
fen entwickelt. Die Auswahl der endgültigen Items orientierte sich an den statisti-
schen Kennwerten und inhaltlicher Vorgaben (wie uneindeutige Items), die im
Rahmen der Konstruktionsstichprobe des SET 5-10 ermittelt wurden.
Konstruktion und Analyse. Für die Konstruktionsstichprobe wurden N=275 Kinder
(142 Jungen und 133 Mädchen) aus den Bundesländern Bayern, Bremen und Hes-
sen mit dem SET 5-10 überprüft. 74 Kinder (27%) wiesen einen Migrationshin-
tergrund auf. Das durchschnittliche Alter der Grundschüler betrug 7;8 Jahre, die
Kindergartenkinder wiesen ein durchschnittliches Alter von 5;7 Jahren und die Kin-
der aus der pädiatrischen Praxis ein durchschnittliches Alter von 7;4 Jahren auf.
Normierung. Die Erhebung der Normstichprobe erfolgte im Zeitraum von Mai bis
September 2009. Es wurden 1052 Kinder im Alter zwischen 5;0 und 10;11 Jahren
mit dem SET 5-10 überprüft. Die Eltern der überprüften Kinder erhielten zudem
einen Fragebogen, u.a. zur Entwicklung des Kindes, zur Muttersprache und zum
Bildungshintergrund der Eltern. 83% der Kinder wuchsen monolingual deutschspra-
chig auf. Auf der Basis der Normierungsstichprobe konnten T-Werte und Prozent-
ränge für sieben Altersgruppen bestimmt werden.
Validierung. Erste Analysen zur Güte des SET 5-10 wurden auf der Basis der Nor-
mierungsstichprobe des SET 5-10 durchgeführt. Hierfür wurden die Daten von n=46
Kindern, die laut Elternurteil grammatikalische Auffälligkeiten aufwiesen, mit einer
altersgleichen Kontrollgruppe verglichen. Die Analysen zeigten, dass die Kinder mit
grammatikalischen Auffälligkeiten signifikant niedrigere Ergebnisse in den Berei-
chen Sprachverständnis, Sprachproduktion sowie Grammatik/Morphologie aufwie-
sen als die Kinder ohne grammatikalische Auffälligkeiten (Metz, Belhadj, Kouider,
Karpinski & Petermann, 2011).
In einer ersten Studie zur konvergenten Validität des SET 5-10 für die Altersgruppe
der Sieben- und Achtjährigen wurden N=71 Kinder mit dem SET 5-10 sowie einer
Auswahl spezifischer Sprachtests überprüft und die Korrelationen der SET 5-10 Ska-
SET 5-10
38
len mit Testverfahren, die vergleichbare Konzepte erheben, berechnet. Die Stich-
probe setzte sich aus n=40 Achtjährigen und n=31 Siebenjährigen monolingual
deutschsprachigen Kindern mit durchschnittlichen, nonverbalen kognitiven Fähig-
keiten zusammen. Zu den eingesetzten Verfahren gehörten der Wortschatz- und
Wortfindungstests für 6- bis 10-Jährige (WWT 6-10; Glück, 2007), der Test zur Über-
prüfung des Grammatikverständnisses (TROG-D; Fox, 2009), der Untertest Expressi-
ve Sprache (Grammatik), der Basisdiagnostik umschriebener Entwicklungsstörungen
im Grundschulalter (BUEGA; Esser, Wyschkon & Ballaschk, 2008) und die Untertests
Symbolsuche und Durchstreichtest des Wechsler Intelligence Scale for Children
(WISC-IV; Petermann & Petermann, 2011).
Aufbauend auf diesen ersten Ergebnissen zur konvergenten Validität des SET 5-10
wurde in einer weiteren Studie die Kriteriumsvalidität der SET5-10-Skalen für alle
Altersgruppen und Untertests durchgeführt. Hierfür wurden im Zeitraum von Okto-
ber 2011 bis Juni 2012 N=304 Kindern (141 Mädchen; 163 Jungen) zwischen 5 und
10 Jahren in Kindergärten und Grundschulen in Bremen und Niedersachsen mit dem
SET 5-10 und den zugeordneten Testverfahren überprüft. Das durchschnittliche Al-
ter der Kinder betrug 7;5 Jahre. Zur Prüfung der Kriteriumsvalidität des SET 5-10
wurden die korrelativen Zusammenhänge der einzelnen Untertests des SET 5-10 mit
den Ergebnissen aus anderen Verfahren bzw. deren Untertests bestimmt. Zu die-
sem Verfahren gehörten der Aktive Wortschatztest für 3- bis 5-jährige Kinder
(AWST-R; Kiese-Himmel, 2005), der Wortschatz- und Wortfindungstests für 6- bis
10-Jährige (WWT 6-10; Glück, 2007), der Sprachentwicklungstest für 3- bis 5-jährige
Kinder (SET-K 3-5; Grimm, Aktas & Frevert, 2010), der Test zur Überprüfung des
Grammatikverständnisses (TROG-D; Fox, 2009), der Untertest Expressive Sprache
(Grammatik) der Basisdiagnostik umschriebener Entwicklungsstörungen im Grund-
schulalter (BUEGA; Esser, Wyschkon & Ballaschk, 2008) und der Untertest Kunst-
wörter nachsprechen des Heidelberger auditiven Screenings in der Einschulungsdia-
gnostik (HASE; Brunner & Schöler, 2008) sowie die Untertests Symbol-Suche und
Kodieren die Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - III (WPPSI III;
Petermann, 2011) und die Untertests Symbolsuche und Durchstreichtest des Wechs-
ler Intelligence Scale for Children (WISC-IV; Petermann & Petermann, 2011).
3.6 Ergebnisse
Die Berechnungen, basierend auf den Daten der Konstruktionsstichprobe, ergaben,
dass die Itemschwierigkeiten breit streuten und die Trennschärfe der Items inner-
halb einzelner Untertests von .34 bis .74 reichte (Metz, Fröhlich & Petermann,
2009). Die Mehrzahl der Untertests zeigte eine zufriedenstellende bis gute interne
Konsistenz.
Erste Analysen zur Güte des SET 5-10, basierend auf der Normierungsstichprobe,
SET 5-10
39
geben einen ersten Hinweis darauf, dass Kinder mit grammatikalischen Auffälligkei-
ten auch im SET 5-10 als auffällig identifiziert werden können (Metz, Belhadj Koui-
der, Karpinski & Petermann, 2011).
Die Analysen im Rahmen der ersten Studie zur konvergenten Validität des SET 5-10
sprechen für eine mittlere bis hohe Validität der SET 5-10 Skalen für die Altersgrup-
pe der Sieben- und Achtjährigen (Metz, Rißling, Karpinski & Petermann, 2011). Die-
se Ergebnisse konnten für alle Altersgruppen und Untertests weitgehend bestätigt
werden (Rißling & Petermann, 2012). Insgesamt lässt sich festhalten, dass der SET 5-
10 eine an den Entwicklungsstand angepasste, umfassende Beurteilung des Sprach-
stands ermöglicht und so einen wichtigen Beitrag zur objektiven Diagnostik sprach-
licher Fähigkeiten von Kindern ab fünf Jahren leistet.
Mit dem SET 5-10 wurde ein Verfahren entwickelt, dem gegenwärtig im deutsch-
sprachigen Raum in Bezug auf Aktualität, Auswahl der Zielgruppe und der Weite des
Ansatzes eine Alleinstellung zukommt.
3.7 Literatur
Brunner, M. & Schöler, H. (2008). Heidelberger Auditives Screening in der Einschu-
lungsdiagnostik (HASE) (2., überarb. u. erw. Aufl.). Wertingen: Westra.
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Fox, A.V. (2009). Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (TROG-D). Id-
stein: Schulz-Kirchner.
Glück, C.W. (2007). Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- 10-Jährige (WWT 6-
10). München: Urban & Fischer.
Grimm, H. (2003). Störungen der Sprachentwicklung (2., überarb. Aufl.).Göttingen:
Hogrefe.
Grimm, H. Aktas, M. & Frevert, S. (2010). SETK 3-5. Sprachentwicklungstest für drei-
bis fünfjährige Kinder. Diagnose von Sprachverarbeitungsfähigkeiten und auditi-
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diagnostizierte Sprachentwicklungsstörungen erfasst? HNO, 60, 63-71.
Kiese-Himmel, C. (2005). AWST-R. Aktiver Wortschatztest für 3- bis 5-jährige Kinder -
Revision. Göttingen: Beltz Test GmbH.
Leonard, L.B., Weismer, S.E., Miller, C.A., Francis, D.J., Tomblin, J.B. & Kail, R.V.
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SET 5-10
40
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und 10 Jahren (SET 5-10). Sprache Stimme Gehör, 35, 216-221.
Neumann, K., Holler-Zittlau, I., van Minnen, S., Sick, U., Zaretsky, Y. & Euler, H.A.
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Petermann, F. (2011). Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - III -
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Petermann, F. (2012). Sprachstandserhebungstest für Kinder zwischen 5 und 10 Jah-
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Suchodoletz, W. von (2003). Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen. Monats-
schrift Kinderheilkunde, 151, 31-37.
Publikationen
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Sprachstandserhebungstests für fünf- bis zehnjährige Kinder (SET 5-10): Erste
Analysen. Das Gesundheitswesen, 73, 637-643.
Metz, D., Fröhlich, L.P. & Petermann, F. (2009). Sprachstandserhebungsverfahren
für Fünf- bis Zehnjährige (SET 5-10). Konstruktion und Analyse. Kindheit und Ent-
wicklung, 18, 194-203.
Metz, D. & Petermann, F. (2010). Sprachdiagnostik und -förderung im Grundschulal-
ter. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 1125-1136.
Metz, D., Rißling, J.-K., Karpinski, N. & Petermann, F. (2011). Erste Analysen zur Kri-
teriumsvalidität des Sprachstandserhebungstests für Kinder im Alter zwischen 5
und 10 Jahren (SET 5-10). Sprache Stimme Gehör, 35, 216-221.
Petermann, F. & Petermann, U. (Hrsg.) (2011). Wechsler Intelligence Scale for
Children - Fourth Edition (WISC-IV, deutsche Version). Frankfurt: Pearson Assess-
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Rißling, J.-K. & Petermann, F. (2012). Intelligenz und Sprache - Sprachentwicklung
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Rißling, J.-K. & Petermann, F. (2012). Kriteriumsvalidität des SET 5-10. Sprache
Stimme Gehör, 36, 123-127.
KET-KID
41
4 Normierung und Validierung des Kognitiven Entwicklungstest für das Kindergartenalter (KET-KID)
4.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
PD Dr. Monika Daseking
Mitarbeiterin
Dipl.-Psych. Julia Danielsson
Zeitraum
01.01.2006 - 31.12.2009
Finanzierung
Hogrefe Verlag, Göttingen und Eigenmittel (Doktorandenkolleg)
4.2 Zusammenfassung
Ziel des Projektes ist die Adaption, Normierung und Validierung eines Tests zur kog-
nitiven Entwicklung nach dem Konzept von A. Luria (Cuestionario de Madurez Neu-
ropsicológica Infantil, CUMANIN; Porcellano Pérez et al., 2002).
4.3 Stand der Forschung
Mit dem CUMANIN steht ein spanischsprachiges, neuropsychologisches Untersu-
chungsinstrumentarium zur Verfügung, dass verschiedener kognitiver Funktionen
wie Psychomotorik, Sprache, Aufmerksamkeit, räumliches Denken, visuelle Wahr-
nehmung, Gedächtnis und Lateralität bei 3- bis 6-jährigen Kindern überprüfen soll.
Die ausgewählten Funktionen weisen einen engen Zusammenhang zur Hirnreifung
auf. Die ersten Jahre der frühkindlichen Entwicklung sind von überaus großer Wich-
tigkeit, sowohl im Sinne der zerebralen Reifungsprozesse als auch hinsichtlich neu-
ronaler Hirnreifungsstörungen. Die Autoren weisen darauf hin, dass es zwar eine
KET-KID
42
Reihe von exzellenten entwicklungsneuropsychologischen Testverfahren und Skalen
zur Einschätzung des Kindes gibt, aber nicht für die genannte Altersspanne. Dabei
stellt das Vorschulalter einen Entwicklungszeitraum dar, der sich für die zerebrale
Entwicklung als enorm bedeutungsvoll erwiesen hat. Die neuronalen Verbindungen,
die in dieser Zeit geknüpft werden, bilden das zukünftige Fundament für Lernen und
Verhalten. Auch die zerebrale Stoffwechselaktivität ist in dieser Zeit (bis zu 60% des
Gesamtstoffwechsels) so hoch wie zu keinem anderen Zeitpunkt in der Entwicklung!
CUMANIN verfolgt das Ziel, eine diagnostische Lücke zu schließen. Rechtzeitige I-
dentifikation, Intervention oder Therapie kann dazu beitragen, Lernstörungen zu
verhindern oder zu minimieren. CUMANIN stellt ein Instrument dar, das eher zur
Einschätzung der neuropsychologischen Reifung als zur Beurteilung der intellektuel-
len Entwicklung eingesetzt werden kann. Dies umfasst auch die Evaluation von Kin-
dern, die neurologische Softsigns oder Hirnschädigungen aufweisen, mit dem Ziel,
darauf aufbauende spezifische Therapie-Programme zu entwickeln und die Entwick-
lungschancen oder Lernkapazitäten des Kindes entscheidend zu verbessern.
4.4 Ziele
Das neu konzipierte Verfahren mit dem mit dem Titel „Kognitiver Entwicklungstest
für das Kindergartenalter“ beinhaltet eine Vielzahl von Vorläuferfähigkeiten schul-
bezogener Kompetenzen. Damit kann das Verfahren auch eine Verbesserung des
Bildungsangebotes in Kindergärten anregen. In anderen Ländern wurde bereits
nachgewiesen, dass die Qualität der Förderung im Kindergartenalter einen großen
Einfluss auf die späteren schulischen Leistungen der Kinder hat. Die Ergebnisse die-
ses Projektes können eine ähnliche Entwicklung in Deutschland fördern. Dazu wur-
de die neuropsychologische Testbatterie zur Diagnostik von neuropsychologischen
Störungen und umschriebenen Entwicklungsstörungen in das deutsche Sprachsys-
tem übertragen und inhaltlich erweitert. Über die Beurteilung aller wichtigen neu-
ropsychologischen Entwicklungsaspekte hinaus können mithilfe der Weiterentwick-
lung des Verfahrens vor allem im Bereich Sprachkompetenz wichtige Entscheidun-
gen bezüglich schulischer Fertigkeiten und deren Störungen frühzeitig getroffen und
notwendige Interventionen eingeleitet werden.
4.5 Methodisches Vorgehen
Für die Normierung und Validierung des Testverfahrens wurden die Daten sowohl
gesunder Kindergarten-, Vor- und Grundschulkindern als auch einer klinischen
Stichprobe bei Frühgeborenen erhoben. Daraus ergibt sich eine differenzierte Aus-
sagekraft des Verfahrens im Hinblick auf die Einordnung einer normalen Entwick-
KET-KID
43
lung und ihren Abweichungen. Damit wird die Einsatz- bzw. Indikationsbreite des
Testes deutlich verbessert. Die Datenerhebung im Rahmen der Testnormierung er-
streckte sich von August 2007 bis April 2008. Um eine hohe Repräsentativität des
Testes sicherzustellen, wurden Kinder aus verschiedenen Bundesländern einbezo-
gen. Da sich in den OECD-Studien ein deutlicher Vorteil für das ostdeutsche Kinder-
gartensystem herausgestellt hat, war eine Einbeziehung eines entsprechenden
Bundeslandes in die Normierung zwingend erforderlich.
4.6 Ergebnisse
Beschreibung des Testverfahrens KET-KID
Der KET-KID ist ein Testverfahren für die diagnostische Einzelfalluntersuchung zur
Erfassung von neuropsychologischen Basisfähigkeiten für Kinder im Altersbereich
von 3;0 Jahren bis 6;6 Jahren. Das Verfahren erfasst neuropsychologische Basis-
kompetenzen und Teilleistungen wie Psychomotorik, visuelle Wahrnehmungsleis-
tungen, auditive und visuelle Gedächtnisleistungen, expressive und rezeptive Spra-
che oder Aufmerksamkeit und ermöglicht Aussagen zur Lateralität. Die Grundkon-
zeption basiert auf entwicklungsneuropsychologischen Erkenntnissen zu den um-
schriebenen Entwicklungsstörungen. Die abwechslungsreiche Darbietung der Unter-
tests verbessert die Aufrechterhaltung der kindlichen Aufmerksamkeit. Die Unter-
testleistungen (Psychomotorik, Artikulation, auditives Gedächtnis, Sprachverständ-
nis, räumliche Vorstellung, Visuoperzeption und -konstruktion, bildhaftes Gedächt-
nis und Rhythmus) fließen in einem Entwicklungsquotienten zusammen. Dazu las-
sen sich verbale und nonverbale Fähigkeiten getrennt bewerten. Parallel wird die
Lateralität des Kindes eingeschätzt.
Die publizierten Vergleichswerte basieren auf den Leistungen von 750 Kindern aus
verschiedenen deutschen Standorten.
Der Test kann vor allem zur Früherkennung kognitiver und motorischer Teilleis-
tungsstörungen eingesetzt werden kann. Das Verfahren weist eine hohe prognosti-
sche Validität im Hinblick auf mögliche spätere Beeinträchtigungen auf. Die betrifft
besonders den schulischen Bereich also die umschriebenen Entwicklungs- und Lern-
störungen. Sollten spezifische Teilleistungsstörungen mit KET-KID identifiziert wer-
den, kann eine weitere Abklärung erfolgen. Auch für eine allgemeine Entwicklungs-
begleitung von Kindern im Kindergartenalter ist KET-KID eine gute Alternative. Ent-
wicklungsverläufe in verschiedenen kognitiven Bereichen lassen sich gut abbilden.
Im klinischen Kontext und auch im Rehabilitationsprozess von Kindern bietet KET-
KID eine fundierte Möglichkeit, den (Rehabilitations-) Verlauf abzubilden.
KET-KID
44
Geschlechtsunterschiede
Für Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen ergeben sich nur in den
Untertests Visuokonstruktion und Aufmerksamkeit signifikante Unterschiede, wobei
sich die realen Leistungsunterschiede im Rahmen eines Rohwertpunktes bewegen.
Auf Skalenebene ergibt sich eine signifikante Differenz für die Nonverbalen Skala,
die aber ebenfalls vernachlässigbar erscheint.
Leistungsunterschiede zwischen ein- und zweisprachig aufwachsenden Kindern
Die Überprüfung der Daten der Normierungsstichprobe ergab, signifikanten Leis-
tungsunterschiede in den sprachlichen Untertests. In den übergeordneten Skalen
zeigen sich sehr signifikante Unterschiede in der Entwicklungsskala und in der Ver-
balen Skala. Nur in der Nonverbalen Skala und in den entsprechenden Untertests
ergeben sich keine Leistungsunterschiede. Eine Ausnahme bildet der Untertest
Räumliche Vorstellung. Hier sollen die Kinder sprachliche Anweisungen mit einem
hohen Anteil an Raumwahrnehmung und Raumvorstellung umsetzen. Hier muss das
Kind auch präpositionale Beziehungen erfassen und umsetzen (vor, hinter usw.).
Diese Fähigkeit hat sich als sensibler Prädiktor für Leistungen des Sprachverständ-
nisses erwiesen. Hier schneiden Kinder mit einer anderen Muttersprache deutlich
schwächer ab.
Kinder mit Sprachstörungen
Ergebnisse einer Studie zeigen, dass Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen in
den Bereichen Artikulation, auditives Gedächtnis, räumliche Vorstellung sowie Visu-
okonstruktion signifikant schlechter abschneiden als die gesunden Kinder einer nach
Alter und Geschlecht gematchten Kontrollstichprobe. In der nonverbalen Intelli-
genzleistung gibt es keine signifikanten Unterschiede. Damit weisen Kinder mit um-
schriebenen Sprachentwicklungsstörungen ein erhöhtes Risiko zu weiteren kogniti-
ven Beeinträchtigungen auf. Auch in der Lateralitätsausbildung erweisen sich diese
Kinder als verzögert. Dies geht einher mit graphomotorischen Defiziten, die wieder-
um Auswirkungen auf schulische Leistungen haben können. Alle Bereiche sollten
frühzeitig diagnostisch mit überprüft und bei Bedarf in die Förderung integriert
werden.
4.7 Literatur
Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Kognitiver Entwicklungstest für das Kindergar-
tenalter (KET-KID). Göttingen: Hogrefe.
OECD (2001). Starting Strong - early childhood and education care. Paris: OECD
Publications.
KET-KID
45
Portellano Pérez, J.A. Mateos Mateos, R., Martínez Arias, R., Tapia Pavón, A. &
Granados García-Tenorio, M.J. (2002). Cuestionario de Madurez Neuropsicológica
Infantil (CUMANIN). Madrid: TEA Ediciones.
Publikationen
Danielsson, J. (2010). Kognitive Entwicklung bei Kindern im Kindergartenalter bei
drei ausgewählten Risikogruppen. Unveröffentlichte Dissertation: Bremen.
Danielsson, J., Daseking, M. & Petermann, F. (2010). Komorbide Beeinträchtigungen
bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen. Monatsschrift Kinderheilkunde,
158, 669-676.
Danielsson, J., de Boer, M., Petermann, F. & Daseking, M. (2009). Nikotinexposition
in der Schwangerschaft - Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung im Kinder-
gartenalter. Geburtshilfe und Frauenheilkunde, 69, 692-697.
Danielsson, J. & Petermann, F. (2009). Cognitive deficits in children with benign
rolandic epilepsy of childhood or rolandic discharges: a study of children
between 4 and 7 years of age with and without seizures compared with healthy
controls. Epilepsy & Behavior, 16, 646-651.
SOPESS
47
5 Entwicklung eines Screenings für den Einsatz bei der schulärztlichen Schuleingangsuntersuchung (SOPESS)
5.1 Allgemeine Angaben
Leitung
PD Dr. Monika Daseking
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterin
Dipl.-Psych. Marijke Oldenhage
Zeitraum
01.10.2006 - 30.09.2009
Finanzierung
Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst Nordrhein Westfalen
(LIGA.NRW)
5.2 Zusammenfassung
Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines Screening-Verfahrens zur Erhebung des
Entwicklungsstands eines Kindes im Rahmen der Einschulungsuntersuchung in
Nordrhein- Westfalen bei vorgezogenem Einschulungsalter. Das neue Testverfahren
soll in ein Gesamtkonzept vorschulischer Förderung eingebunden werden. Daher
soll es in erster Linie dazu dienen, frühzeitig Förderbedarf zu ermitteln, der sich an
schulbezogenen Vorläuferfähigkeiten orientiert.
5.3 Stand der Forschung
Durch die Kritik an Reifungstheorien und einer biologischen Sichtweise der kindli-
chen Entwicklung wurde der ursprünglich verwendete Begriff der Schulreife in der
aktuellen Diskussion durch den Begriff der Schulfähigkeit (und Schulbereitschaft)
abgelöst, wobei der ökosystemische Ansatz von Nickel (1991) eine dominierende
Rolle spielt.
SOPESS
48
Danach basiert die Schulfähigkeit auf vier sich gegenseitig beeinflussenden Kompo-
nenten/Teilsystemen:
• Schule (Anforderungen, Unterrichtsbedingungen)
• Schüler (individuelle Lernvoraussetzungen)
• Ökologie (häusliche, vorschulische und schulische Lernumwelt)
• Gesamtgesellschaftlicher Hintergrund (Wertvorstellungen, Ziele...)
Schulfähigkeit wird also als ein multifaktorielles Konstrukt definiert. Sie ist daher
nicht nur von den Lernvoraussetzungen des Kindes, sondern auch von den Anforde-
rungen des Unterrichtes her zu bestimmen (Kammermeyer, 2001a). Für den Über-
gang vom Kindergarten in die Grundschule werden dabei seit einigen Jahren immer
wieder neue Modelle vorgeschlagen, die insbesondere auf eine veränderte Schul-
eingangsphase abzielen. Aufgrund der Bildungshoheit der Bundesländer werden
hier unterschiedliche Strategien verfolgt. Die unterschiedliche Praxis der Bundes-
länder in der Stichtagsregelung und in der Flexibilisierung der Schuleingangsphase
führt in Abhängigkeit vom Wohnort langfristig zu zeitlichen Verschiebungen in den
Bildungsverläufen (vgl. dazu Daseking, Oldenhage & Petermann, 2008).
Im Zusammenhang mit diesen Veränderungen steht dabei immer wieder auch die
Funktion der Schuleingangsdiagnostik zur Diskussion. Die Abkehr vom Selektions-
prinzip impliziert gleichzeitig eine Hinwendung zum Förderprinzip. Dies führt zu ei-
ner deutlichen Veränderung in der Einschulungspraxis: die neue Schulgesetzgebung
sieht die bislang praktizierte Form der Zurückstellung nur noch in definierten Aus-
nahmefällen vor. Gleichzeitig werden aber Vorgaben zur Förderung von Kindern
gesetzlich verankert.
Schuleingangsdiagnostik. Die Schuleingangsdiagnostik dient der Feststellung der
Lernausgangslage eines Kindes. Es sollen Aussagen über Stärken und Schwächen des
Kindes getroffen werden (kompetenzorientierte Feststellung der Eingangsvoraus-
setzungen). In der aktuellen Betrachtung enthält die Schuleingangsdiagnostik vier
Hauptkriterien:
Als Bereiche der individuellen Lernvoraussetzungen des Kindes werden die somati-
sche und psychische Entwicklung angeführt; die psychische Entwicklung umfasst
kognitive, soziale und motivationale Faktoren.
Bedeutung von Testverfahren zur Einschulungsuntersuchung. Eine wesentliche
Schwierigkeit in der Früherkennung von schulbezogenen Entwicklungsstörungen ist
• Körperliche Aspekte somatische Entwicklung
• Sozialfähigkeit
• Motivationale und emotionale Stabilität psychische Entwicklung
• Kognitive Schulfähigkeit
SOPESS
49
darin zu sehen, dass sich verschiedene kognitive Funktionen nicht ohne weiteres im
Alltag des Kindes (Kindergarten, Elternhaus) beobachten lassen, sondern meist nur
über entsprechende Testverfahren valide erhoben werden können.
Als Kritikpunkt an der Schulfähigkeitsdiagnostik wird üblicherweise angeführt, dass
überwiegend kognitive Fähigkeiten erfasst werden, die sich zudem am „Normal-
kind“ (normorientiert) orientieren. Dagegen können kriteriumsorientierte Testver-
fahren, die zudem die Messung des Lernerfolgs in einem Themenbereich über einen
längeren Zeitraum beinhalten (Statuserhebung - Intervention - Überprüfung des
Erfolges), zugleich einen Förderbedarf ermitteln und den Erfolg einer eingeleiteten
Maßnahme evaluieren.
Da die kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchung U8 und U9 konzeptionell nur unzu-
reichend geeignet sind, um einschulungsgefährdende Auffälligkeiten bei Kindergar-
tenkindern zu erfassen (Michaelis, 2000), kommt der Einschulungsuntersuchung
eine wesentliche Rolle bei der Feststellung von Risikokindern für die Entwicklung
von Schulleistungsproblemen zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Risikokind erst
mit der Einschulungsuntersuchung identifiziert wird, ist außerdem abhängig von der
Art der Störung, dem Geschlecht und der Nationalität des Kindes (Tröster, Flender &
Reineke, 2004).
Aufgrund der entwicklungspsychologischen und entwicklungspädagogischen Er-
kenntnisse der letzten Jahre geht die Entwicklung insgesamt weg von einer Spätdia-
gnostik (kurzfristig mit dem Ziel einer Selektion bzw. Zuordnung zu einer Schulform)
hin zur Früherkennung schulischer Lernstörungen auf der Basis von Vorläuferstö-
rungen (Krajewski, 2003, 2005). Verschiedene Argumente sprechen für einen mög-
lichst frühen Zeitpunkt förderdiagnostischer Maßnahmen zur Identifizierung von
Risikokindern. Werden schulleistungsbezogene Vorläuferstörungen erst zum Zeit-
punkt der Einschulung oder in den ersten Grundschulmonaten erkannt, ist der zeit-
liche Rahmen für eine zielgerichtete Intervention bereits sehr eng gesteckt und er-
streckt sich häufig weit in die Schuleingangsphase hinein. Fördermaßnahmen im
Vorschulalter lassen sich dagegen oft optimal in das Setting des Kindergartens ein-
binden. Auch entwicklungspsychologische Befunde lassen den Schluss zu, dass eine
frühe Förderung schulbezogener Vorläuferfunktionen auf basaler Ebene die Ent-
wicklungsprognose des Kindes verbessert. In diesem Zusammenhang sei auf An-
nahmen zur Entwicklung als Abfolge sich aufeinander beziehender Entwicklungs-
schritte oder die Modellvorstellung von sensiblen Entwicklungsphasen („Zeitfens-
tern“) für einzelne Funktionsbereiche (wie beispielsweise in der Sprachentwicklung;
Grimm, 2003) verwiesen.
Auf Grund dieser Überlegungen geht der Weg wieder hin zu einer testgestützten
Überprüfung von kognitiven Fähigkeiten im Sinne lernzielnaher Voraussetzungen
(Kammermeyer, 2001b). Zu diesen kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten gehören:
• Visuelle Wahrnehmung
SOPESS
50
• Denkfähigkeit (allgemeine Intelligenz)
• Visuomotorik
• Mengen- und zahlenbezogenes Vorwissen (Krajewski, 2003, 2005)
• Gedächtnis (phonologisches und visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis) (Roe-
bers & Zoelch, 2005)
• Sprachverständnis (u.a. präpositionale Beziehungen)
• Phonologische Bewusstheit und
• Aufmerksamkeit.
Mit dem Schuljahr 2007/2008 beginnt die Vorverlegung des Stichtages zur Schul-
pflicht in NRW um jährlich einen Monat. Dieser Prozess erstreckt sich über sechs
Jahre und soll langfristig dazu führen, dass alle Kinder zum 1. August des Jahres
schulpflichtig werden, in dem sie sechs Jahre alt werden (Stichtag 31.12.). In der
ersten Phase erfolgt eine Vorverlegung um drei Monate (Stichtag 30.09.) Die Ein-
schulungsuntersuchung wird mit dem Schwerpunkt durchgeführt, Kinder frühzeitig
zu fördern, die im Bereich der schulbezogenen Lernvoraussetzungen Schwächen
aufweisen.
5.4 Methodisches Vorgehen
Das zu entwickelnde Testverfahren soll als Modell für den Einsatz bei der Einschu-
lungsuntersuchung 2008/2009 einsatzfähig sein. Im Anschluss an die Veröffentli-
chung des Verfahrens ist es notwendig, Validierungsstudien zur durchzuführen.
Das ZKPR kann auf eine langjährige Tradition in der Entwicklung von Testverfahren
für das Vorschulalter verweisen. Hier sei auf den Entwicklungstest für 6 Monate bis
6 Jahre. ET 6-6 (Petermann, Stein & Macha, 2005) sowie das Vorschulscreening
BASIC-Preschool (Daseking & Petermann, 2009) verwiesen. Dieses Verfahren hat
zum Ziel, ein breites Spektrum kognitiver Funktionen (Vorläuferfähigkeiten) zu er-
heben, um Risikokinder für umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fer-
tigkeiten bereits frühzeitig zu identifizieren. Die verschiedenen Untertests Visuelle
Analyse, Raum- und Objektwahrnehmung, Verbale Merkfähigkeit, Passiver Wort-
schatz, Selektive Aufmerksamkeit, Zählfertigkeit, Automatische Mengenerfassung,
Mengenvergleich sowie Mengenkonstanz werden den Funktionsbereichen Visuell-
analytische Leistungen, Sprachverständnis, selektive Aufmerksamkeitsleistungen
und Mengen- und Zahlenvorwissen zugeordnet.
SOPESS
51
5.5 Ergebnisse
Beschreibung des Testverfahrens SOPESS
Das Sozialpädiatrische Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen
(SOPESS, Petermann, Oldenhage, Simon & Daseking, 2009a, 2009b) kommt als
Screeningverfahren im Rahmen der Einschulungsuntersuchung durch die Gesund-
heitsämter zum Einsatz. Mit dem Test kann eine orientierende Einschätzung des
Entwicklungsstandes eines Kindes im Vorfeld der Einschulung vorgenommen wer-
den. Fallen Kinder durch Entwicklungs- und Verhaltensdefizite auf, können weitere
Maßnahmen eingeleitet werden. Damit steht das Förderprinzip im Vordergrund.
Das Verfahren zielt nicht auf eine Entscheidung über Einschulung bzw. Rückstellung.
Mit SOPESS können standardisierte Aussagen zu den Merkmalsbereichen Visuomo-
torik, Selektive Aufmerksamkeit, Zahlen- und Mengenvorwissen, Visuelles Wahr-
nehmen und Schlussfolgern, Sprechen und Sprache sowie Körperkoordination ge-
troffen werden (vgl. Tab. 1).
Für die Normierung des Tests wurden die Daten von 13.600 Kindern einbezogen.
Die Validierung erfolgte über spezifische Verfahren zur Merkmalserfassung (Sprach-
test, Entwicklungstest, Intelligenztest). Darüber hinaus wurde eine Studie zur Vor-
hersagegenauigkeit von SOPESS mit N = 372 Kindern durchgeführt. Alle Ergebnisse
wurden bereits publiziert.
Tabelle 1: Merkmalsbereiche und Untertests des SOPESS (modifiziert nach Daseking
et al., 2009b)
Merkmalsbereich Untertests
Visuomotorik I Einzeichnen geometrischer
Formen (LKW)
Selektive Aufmerksamkeit Gesichter durchstreichen
Nichtärztliches Personal
Zahlen- und Mengenvor-
wissen
Zählen
Simultanerfassung
Mengenvergleich
Visuomotorik II Abzeichnen von Zelt und Pfeil
Visuelles Wahrnehmen
und Schlussfolgern Matrizenaufgaben
Arzt/Ärztin
Sprache und Sprechen
Präpositionen
Pluralbildung
Pseudowörter
Artikulation
Körperkoordination seitliches Hin- und Herspringen
SOPESS
52
5.6 Literatur
Daseking, M., Oldenhage, M. & Petermann, F. (2008). Der Übergang vom Kindergar-
ten in die Grundschule - eine Bestandsaufnahme. Psychologie in Erziehung und
Unterricht, 55, 84-99.
Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Battery for Assessment in Children - Screening
für kognitive Basiskompetenzen im Vorschulalter (BASIC-Preschool). Bern: Huber.
Grimm, H. (2003). Störungen der Sprachentwicklung (2., erweit. Aufl.). Göttingen:
Hogrefe.
Kammermeyer, G. (2001a). Schulfähigkeit. In G. Faust-Siehl & A. Speck-Hamdan
(Hrsg.), Schulanfang ohne Umwege (S. 96-118). Frankfurt: Arbeitskreis Grund-
schule.
Kammermeyer, G. (2001b). Schuleingangsdiagnostik. In G. Faust-Siehl & A. Speck-
Hamdan (Hrsg.), Schulanfang ohne Umwege (S. 119-143). Frankfurt: Arbeitskreis
Grundschule.
Krajewski, K. (2003). Vorhersage von Rechenschwäche in der Grundschule. Ham-
burg: Kovac.
Krajewski, K. (2005). Vorschulische Mengenbewusstheit von Zahlen. In M. Hassel-
horn, H. Marx & W. Schneider (Hrsg.), Diagnostik von Mathematikleistungen (S.
49-70). Göttingen: Hogrefe.
Michaelis, R. (2000). Kinderärztliche Beurteilung der Schulfähigkeit. Kinderärztliche
Praxis, 71, 216-220.
Nickel, H. (1991). Die Einschulung als pädagogisch-psychologische Herausforderung.
„Schulreife“ aus ökologisch-systemischer Sicht - kritisches Ereignis oder erfolgrei-
cher Übergang. In D. Haarmann (Hrsg.), Handbuch Grundschule Bd. 1 (3. Aufl., S.
88-100). Weinheim: Beltz.
Petermann F., Stein I.A. & Macha T. (2006). ET 6-6. Entwicklungstest 6 Monate bis 6
Jahre (3., veränd. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment.
Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009a). Sozialpädiatri-
sches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS Theore-
tische und statistische Grundlagen zur Testkonstruktion, Normierung und Validie-
rung. Düsseldorf: LIGA.NRW.
Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009b). Sozialpädiatri-
sches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS. Hand-
anweisung zur Durchführung und Auswertung. Düsseldorf: LIGA.NRW.
Roebers, C.M. & Zoelch, C. (2005). Erfassung und Struktur des phonologischen und
visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses bei 4-jährigen Kindern. Zeitschrift für
Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 37, 113-121.
Tröster, H., Flender, J. & Reineke, D. (2004). Dortmunder Entwicklungsscreening für
den Kindergarten (DESK 3-6). Göttingen: Hogrefe.
SOPESS
53
Publikationen
Daseking, M., Oldenhage, M., Petermann, F. & Waldmann, H.-C. (2009). Die Validität
der Sprachskala des SOPESS unter Berücksichtigung der Erstsprache. Gesund-
heitswesen, 71, 663-668.
Daseking, M. & Petermann, F. (2011). Der Einfluss von Vorläuferfähigkeiten auf die
Rechtschreib-, Lese- und Rechenleistung in der Grundschule. Gesundheitswe-
sen, 73, 644-649.
Daseking, M., Petermann, F., Röske, D., Trost-Brinkhus, G. Simon, K. & Oldenhage,
M. (2009). Entwicklung und Normierung des Einschulungsscreenings SOPESS. Ge-
sundheitswesen, 71, 648-655.
Daseking, M., Petermann, F. & Simon, K. (2011). Zusammenhang zwischen SOPESS-
Ergebnissen und ärztlicher Befundbewertung. Gesundheitswesen, 73, 660-667.
Daseking, M., Petermann, F, Simon, K. & Waldmann, H.-C. (2011). Vorhersage von
schulischen Lernstörungen durch SOPESS. Gesundheitswesen, 73, 650-659.
Petermann, F. & Daseking, M. (2011). Screening und Schuleingangsuntersuchung.
Das Gesundheitswesen, 73, 635-636.
Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009). Sozialpädiatrisches
Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS Theoretische
und statistische Grundlagen zur Testkonstruktion, Normierung und Validierung.
Düsseldorf: LIGA.NRW.
Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009). Sozialpädiatrisches
Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS. Handanwei-
sung zur Durchführung und Auswertung. Düsseldorf: LIGA.NRW.
Oldenhage, M., Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Erhebung des Entwicklungs-
standes im Rahmen der ärztlichen Schuleingangsuntersuchung. Gesundheitswe-
sen, 71, 638-647.
Waldmann, H.-C., Oldenhage, M., Petermann, F. & Daseking, M. (2009). Screening
des Entwicklungsstandes bei der Einschulungsuntersuchung: Validität der kogni-
tiven Skalen des SOPESS. Gesundheitswesen, 71, 656-662.
FEW-JE
55
6 Normierung und Validierung des Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung für Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE)
6.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
PD Dr. Monika Daseking
Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann
Mitarbeiterin
Dipl.-Psych. Lina Werpup
Zeitraum
01.06.2010 - 30.09.2012
Finanzierung
Hogrefe Verlag
6.2 Zusammenfassung
Ziel des Projektes ist die Normierung und Validierung eines Tests zur Visuellen
Wahrnehmung nach dem Konzept von Marianne Frostig für Jugendliche und Er-
wachsene (Developmental Test of Visual Perception - Adolescents and Adults,
DTVP-A). Das neue Testverfahren ist in ein Gesamtkonzept zur Erfassung von Funk-
tionen der visuellen Wahrnehmung eingebunden (dt. Fassung: FEW-JE).
6.3 Stand der Forschung
Der Bereich der visuellen Wahrnehmung wird von Praktikern schon lange als wichti-
ges Einsatzgebiet für psychodiagnostische Verfahren anerkannt. Tatsächlich haben
Psychologen (in erster Linie Schul- und Neuropsychologen), Arbeitspsychologen,
Entwicklungsdiagnostiker und andere Berufsgruppen, die im Bereich Diagnostik o-
FEW-JE
56
der Rehabilitation tätig sind, die Messung der visuellen Wahrnehmung seit mehr als
50 Jahren als Standardbaustein in den diagnostischen Prozesses aufgenommen.
Allerdings erscheint die ursprünglich sehr weit gefasste Diagnostik mit geringer Prä-
zision und mangelnder Abgrenzung zu motorischen Defiziten heute nicht länger als
angemessen. Für jugendliche und erwachsene Patienten existieren nur sehr wenige
Testverfahren, die zudem als unzureichend zu bewerten sind. So genügen die Ver-
fahren nicht mehr den modernen wissenschaftlichen Standards, die man an psycho-
logische Testverfahren anlegt (z. B. Gütekriterien, aktuelle Normierung).
6.4 Ziele
Die einzelnen Teilbereiche sind von großer Bedeutung für die Entwicklung und die
Erfassung von Defiziten in der visuellen Wahrnehmung. Das Aufdecken von Defizi-
ten in der visuellen Wahrnehmung kann hilfreich bei der Erklärung schulischer und
lebenspraktischer Probleme (u. a. beim Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Bas-
teln) sein und eine Erfassung der einzelnen Leistungen ermöglicht die abgestimmte
Planung von Förder- und Therapiemaßnahmen, um auf die individuellen Probleme
des Kindes eingehen zu können.
6.5 Methodisches Vorgehen
Der Developmental Test of Visual Perception - Adolescent and Adult (DTVP-A) ist ein
im amerikanischen Sprachraum weit verbreitetes und anerkanntes standardisiertes
Verfahren zur Erfassung der Fähigkeiten der visuellen Wahrnehmung. Er basiert auf
einer von der Forschungsgruppe um Marianne Frostig (1961; 1964; 1966) entwickel-
ten Testbatterie, die zuletzt von Reynolds et al. (2002) für den Einsatz im Jugend-
und Erwachsenenalter weiterentwickelt und nun ins Deutsche übertragen und in
Deutschland normiert wurde. Der amerikanische DTVP-A ist für den Einsatz ab ei-
nem Alter von 11;0 Jahren vorgesehen. Um die Anschlussfähigkeit an den FEW-2 zu
garantieren, wurde für die deutsche Version (FEW-JE) auch neun- und zehnjährige
Kinder in die Datenerhebung einbezogen. Der FEW-2 (Büttner, Dacheneder, Schnei-
der & Weyer, 2008) wird zur Diagnostik bei Kindern bis 8;11 Jahre eingesetzt. Die
amerikanische Originalversion DTVP-2 (Hammill, Paerson & Voress, 1993) war auch
für Kinder bis 11;11 vorgesehen.
Der Test wird als Einzeltest durchgeführt und erfasst anhand von sechs Untertests
die globale visuelle Wahrnehmung sowie die motorikreduzierte visuelle Wahrneh-
mung (MRVW) und die visuo-motorische Integration (VMI), aus denen sich die glo-
bale visuelle Wahrnehmung (AVW) zusammensetzt. Die Skala zur visuo-motorischen
Integration setzt sich aus den Untertests Abzeichnen (AZ), Visuo-motorische Suche
FEW-JE
57
(VMS) und Visuo-motorische Geschwindigkeit (VMG) zusammen. Die motorikredu-
zierte Wahrnehmung wird über die Untertests Figur-Grund (FG), Gestaltschließen
(GS) und Formkonstanz (FK) erhoben. Durch die Vielseitigkeit der verschiedenen
Untertests und einen permanenten Wechsel von Aufgaben zur visuo-motorischen
Integration (im Aufgabenheft) und zur motorikreduzierten Wahrnehmung (im Sti-
mulusbuch) bleibt die Testperson optimal motiviert.
Bei den Untertests Figur-Grund, Gestaltschließen und Formkonstanz wird jeweils
die Anzahl der korrekt gelösten Aufgaben notiert. Beim Untertest Abzeichnen gibt
es Punkte für die Qualität der Zeichnungen. Bei der visuo-motorischen Suche wird
die Zeit notiert, die das Kind benötigt, um die Aufgabe zu lösen und beim Untertest
Visuo-motorische Geschwindigkeit zählt die Anzahl der korrekt markierten Formen,
die innerhalb einer Minute eingezeichnet wurden. Für alle Untertests werden
Normwerte ermittelt. Zusätzlich werden Normwerte und Prozentränge für die Leis-
tungen der globalen visuellen Wahrnehmung, der visuo-motorischen Integration
und der motorikreduzierten Wahrnehmung angegeben. Alle Normwerte können im
Profil dargestellt werden, sodass nicht nur eine Einschätzung der globalen visuellen
Wahrnehmung, der motorikreduzierten Wahrnehmung und der visuo-motorischen
Integration möglich sind, sondern auch dass einzelne Fähigkeiten miteinander ver-
glichen werden können, um Schwächen und Stärken differenziert zu ermitteln.
6.6 Ergebnisse
Beschreibung des Testverfahrens FEW-JE
Der FEW-JE stellt eine Testbatterie dar, bestehend aus sechs Untertests, die jeweils
unterschiedliche visuelle Wahrnehmungsfähigkeiten und visuo-motorische Fähig-
keiten erfassen. Der FEW-JE kann im Alter von 9 bis 90 Jahren eingesetzt werden. In
die Normstichprobe sind die Leistungen von insgesamt 1450 Kindern, Jugendlichen
und Erwachsenen aus allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland eingeflossen.
Der FEW-JE kann im Bereich Diagnostik, Therapie und Forschung bei Fragestellun-
gen zur visuellen Wahrnehmungsfähigkeiten von Kindern, Jugendlichen und Er-
wachsenen ab neun Jahren eingesetzt werden. Die Untertests des FEW-JE wurden
so gestaltet, dass sie mit Frostigs Vorannahmen übereinstimmen. Jeder der 6 Unter-
tests erfasst eine oder mehrere Formen visuell-perzeptueller Fähigkeiten (vgl. Tab.
1). Bei diesen Fähigkeiten handelt es sich um die Einschätzung der Raum-Lage Posi-
tion, der Formkonstanz, der räumlichen Beziehungen und der Figur-Grund-
Unterscheidung. Die Untertests lassen sich danach klassifizieren, in welchem Um-
fang motorische Fähigkeiten bei der Lösung der Aufgaben erforderlich sind (moto-
rik-reduziert vs. motorik-abhängig). Neben der Dokumentation von visuellen Wahr-
nehmungsstörungen und visuo-motorischen Störungen sowie der Erfassung des
Ausmaßes der Störungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kann der Test
FEW-JE
58
vor allem eingesetzt werden, um auffälligen Testpersonen gezielte Förderung zu-
kommen zu lassen beziehungsweise, um die Effektivität von Behandlungen zu über-
prüfen.
Tabelle 1: Formen visuell-perzeptueller Fähigkeiten des FEW-JE.
Beteiligung mo-torischer Fähig-
keiten Untertest Visuell-perzeptuelle Fähigkeit
gering hoch
1 Abzeichnen Räumliche Beziehungen X
2 Figur-Grund Figur-Grund-Unterscheidung X
3 Visuo-motorische Suche Figur-Grund Unterscheidung X
4 Gestaltschließen Formkonstanz X
5 Visuo-motorische Ge-
schwindigkeit
Formkonstanz, räumliche Be-
ziehungen X
6 Formkonstanz Formkonstanz X
Die Faktorenanalyse bestätigt die vorgeschlagene Teststruktur, zeigt gleichzeitig
aber auch Zusammenhänge zwischen den Skalen auf (vgl. Abb. 1).
Index Wert
Determination 0.807
N 1440
Χ² 104.277
Χ² df 12
p > Χ² <0.001
Standardized Root Mean
Square Residual 0.058
Goodness of Fit Index 0.996
Root Mean Square Error
of the Approximation 0.073
Bentler-Bonnett-Normed
Fit Index 0.795
Adjusted Goodness of Fit
Index 0.992
0.449
0.671
0.741
0.753
0.489 0.761
0.431
0.814
0.542
VMI
MRVW
0.798
0.550
0.451
0.707
FG
GS
FK
AZ
VMS
VMG
Bentler-Comparative Fit
Index 0.813
Abbildung 1: Fit-Maße der Faktorenanalyse.
FEW-JE
59
Darüber hinaus konnten erste Datenanalysen zeigen, dass sich für die visuelle
Wahrnehmung eine Abhängigkeit zum Bildungsniveau zeigt: Kinder und Jugendli-
che, die ein Gymnasium besuchten, schnitten signifikant besser ab als Kinder und
Jugendliche auf einer Realschule. Die schwächsten Leistungen weisen Kinder und
Jugendliche auf, die auf einer Hauptschule lernen. Hingegen können keine übergrei-
fenden Geschlechtsunterschiede gefunden werden.
6.7 Literatur
Büttner, G., Dacheneder, W., Schneider, W. & Weyer, K. (2008). Frostigs Entwick-
lungstest der visuellen Wahrnehmung - 2 (FEW-2). Göttingen: Hogrefe.
Frostig, M., Lefever, D.W. & Whittlesey, J. R.B. (1961). A developmental test of
visual perception for evaluating normal and neurologically handicapped children.
Perceptual and Motor Skills, 12, 383 - 394.
Frostig, M., Lefever, D.W. & Whittlesey, J.R.B. (1966). Administration and scoring
manual for the Marianne Frostig Developmental Test of Visual Perception. Palo
Alto, CA: Consulting Psychologist Press.
Hammill, D.D., Pearson, N.A. & Voress, J.K. (1993). Developmental Test of Visual
Perception - Second Edition. Austin, TX: PRO-ED.
Reynolds, CR., Pearson, N.A. & Voress, J.K. (2002). Developmental Test of Visual
Perception - Adolescent and Adult (DTVP-A). Austin, TX: PRO-ED.
Wechsler-Skalen
61
7 Adaption, Normierung und Validierung der Wechsler-Skalen (WPPSI-III, WISC-IV, WAIS-IV)
7.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Prof. Dr. Ulrike Petermann
PD Dr. Monika Daseking
Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann
Mitarbeiterinnen
Dr. Maike Lipsius
Dr. Claudia Gienger
Dr. Anne Toussaint
Zeitraum
01.01.2005 - 30.11.2012
Finanzierung
Durch die Verlage Huber (Bern) und Pearson Assessment (Frankfurt), Eigenmittel
7.2 Zusammenfassung
Die Wechsler-Skalen stellen die weltweit am häufigsten eingesetzten Intelligenz-
testverfahrens dar. Sie liegen in der amerikanischen Originalversion für einander
ergänzende Altersbereiche vor. Im Rahmen der Projekte wurde die Adaption und
Normierung der drei Skalen WPPSI-III, WISC-IV und WAIS-IV für den deutschen
Sprachraum vorgenommen. Alle drei Verfahren wurden publiziert und um diverse
Validierungsstudien ergänzt (Tab. 1).
Wechsler-Skalen
62
Tabelle 1: Wechsler-Skalen.
Amerikanische Originalversion Deutschsprachige Adaptation
Wechsler Preschool and Primary
Intelligence Scale - Third Edition
(WPPSI-III, Wechsler, 2002)
Wechsler Preschool and Primary
Intelligence Scale -III (dt. Version
WPPSI-III, Petermann, 2011)
Wechsler Intelligence Scale for Children
- Fourth Edition (WISC-IV, Wechsler,
2003)
Wechsler Intelligence Scale for Children
- IV (dt. Version WISC-IV, Petermann &
Petermann, 2011)
Wechsler Adult Intelligence Scale -
Fourth Edition (WAIS-IV, Wechsler,
2008)
Wechsler Adult Intelligence Scale - IV
(dt. Version WAIS-IV, Petermann, 2012)
7.3 Stand der Forschung
Wechsler Primary and Preschool Intelligence Scale -III (WPPSI-III)
Die WPPSI-III stellt einen Intelligenztest zur Erfassung allgemeiner und spezifischer
intellektueller Fähigkeiten von Kindern zwischen 3;0 und 7;2 Jahren dar. Die WPPSI-
III wird als Einzeltest durchgeführt. Mit dem Gesamt-IQ steht ein allgemeines Maß
für den kognitiven Entwicklungsstand eines Kindes im Vorschulalter zur Verfügung.
Zusätzlich lassen sich vier weitere übergeordnete Werte berechnen: Verbal- und
Handlungsteil, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Allgemeine Sprachskala. Die Reli-
abilität für den Gesamttest beträgt r = .95. Zum Nachweis der Validität liegen Inter-
korrelationsstudien, faktorenanalytische Studien, Korrelationsstudien mit anderen
Messinstrumenten wie der WISC-IV sowie klinische Validierungsstudien vor.
Wechsler Intelligence Scale for Children - IV (WISC-IV)
Die WISC-IV ist ein Einzeltest zur Untersuchung der kognitiven Entwicklung (Fähig-
keiten) von Kindern im Alter von 6;0 bis 16;11 Jahren. Diese aktualisierte Version
der WISC-III beinhaltet bedeutsame Änderungen wie neue Normen und neue Unter-
tests. Außerdem wird ein größeres Gewicht auf die zusammengesetzten Skalen ge-
legt, die die Leistungen des Kindes in einzelnen kognitiven Funktionsbereichen wi-
derspiegeln. Für die Testdurchführung wurden alle Vorlagen aktualisiert, um an-
sprechender und zeitgemäßer zu sein. Um die Benutzerfreundlichkeit des Tests zu
erhöhen, wurden Veränderungen in der Testdurchführung und -auswertung vorge-
nommen (Manual zum WISC-IV).
Unter Einbeziehung der gegenwärtigen Forschung zur kognitiven Entwicklung, zu
Intelligenztestung und zu kognitiven Prozessen ergeben sich für den WISC-IV deutli-
che Unterschiede im Vergleich den Vorgängerverfahren. Die WISC-IV setzt sich aus
Wechsler-Skalen
63
15 Untertests zusammen: zehn Untertests wurden dabei aus der WISC-III über-
nommen, fünf Untertests wurden neu entwickelt. Für die Berechnung des Gesamt-
IQ und der Indizes sind zehn Untertestergebnisse erforderlich. Neben der Neunor-
mierung wurde eine klinische Validierung über diverse zusätzliche Stichproben vor-
genommen. Diese betreffen insbesondere Kinder mit Lernstörungen, Hochbega-
bung, ADHS, geistiger Behinderung, Autismus und Hirnverletzungen.
Wechsler Adult Intelligence Scale - IV (WAIS-IV)
Die WAIS-IV gilt als eines der weltweit am häufigsten eingesetzte Intelligenzverfah-
ren für Jugendliche und Erwachsene von 16 bis 90 Jahren. Die WAIS-IV verbindet die
bewährte Wechsler-Tradition mit aktuellen Befunden aus der Intelligenzforschung.
Durch die neu entwickelten Untertests (z. B. Formenwaage, Visuelle Puzzle) können
Facetten der Intelligenz erfasst werden, die sich in der aktuellen Forschung als be-
deutsam herausgestellt haben. Die Aufteilung in Verbal- und Handlungsteil wurde -
wie auch für die WISC-IV - aufgegeben und durch vier Indexwerte ersetzt. Darüber
hinaus kann ein Gesamt-IQ bestimmt werden. Neben der differenzierten Einschät-
zung des Intelligenzniveaus einer Person auf Index-Ebene können weitere Analysen
auf der Untertestebene vorgenommen werden. Es liegen repräsentative Normen
für Deutschland aus dem Jahr 2012 vor. Aktuell werden Validierungsstudien zu ver-
schiedenen klinischen Störungsbildern (u. a. Schlaganfall, ADHS, Intelligenzminde-
rung, Depression) vorbereitet.
7.4 Ziele
Im Rahmen von klinischer Arbeit bestanden langjährige und umfangreiche Erfah-
rungen im Umgang mit den Vorgängerverfahren. In der Vorbereitung der Adaptio-
nen wurden differenzierte Vergleiche zwischen Vorgänger und aktueller amerikani-
scher Version erarbeitet. Im Folgenden soll dies am Beispiel von WISC-III und WISC-
IV gezeigt werden.
7.5 Methodisches Vorgehen
In der WISC-III wird ein hierarchisches Modell angenommen, dass sich auf drei E-
benen darstellen lässt (vgl. Abb. 1). Auch bei der WISC-IV handelt es sich um ein
hierarchisches Modell (vgl. Abb. 2). Jedoch zeigt die Gegenüberstellung der Skalen,
dass der Verbal-IQ und der ursprünglich untergeordnete Index „Sprachliches Ver-
ständnis“ zu einem neuen Index verschmolzen sind. Gleiches gilt für den Handlungs-
IQ und den Index „Wahrnehmungsorganisation“ (vgl. Tab. 2).
Wechsler-Skalen
64
Abbildung 1: Die hierarchische Aufschlüsselung der Gesamt- und Testleistungen
der WISC-III.
Abbildung 2: Konzeption WISC-IV: vier Faktoren (Indizes), ein Gesamtwert.
Tabelle 2: Gegenüberstellung der Faktoren und Indizes von WISC-III und WISC-IV.
WISC-III WISC-IV
Gesamt-IQ Gesamt-IQ
Verbal-IQ
Sprachliches Verständnis Sprachverständnis
Handlungs-IQ
Wahrnehmungsorganisation Wahrnehmungsbezogenes Logisches Denken
Unablenkbarkeit Arbeitsgedächtnis
Arbeitsgeschwindigkeit Verarbeitungsgeschwindigkeit
Gesamt-IQ
Verbal-IQ Handlungs-IQ
Sprachliches
Verständnis Unablenkbarkeit Wahrnehmungs-
organisation
Arbeits-
geschwindigkeit
AW AW AW AW AW AW AW AW AW AW AW AW
VCI Similarities
Vocabulary
Comprehension
Information
PRI Block Design
Picture Concepts
Matrix Reasoning
Picture Completion
WMI Digit Span
Letter-Number-
Sequencing
Arithmetic
PSI Coding
Symbol Search
Cancellation
FSIQ
Wechsler-Skalen
65
7.6 Ergebnisse
Die deutschen Adaptionen der drei Wechsler-Skalen wurden publiziert. Verschiede-
ne Validierungsstudien wurden bereits in den Testmanualen oder in der entspre-
chenden wissenschaftlichen Fachpresse veröffentlicht (siehe auch Publikationen).
Weitere Studien befinden sich in Vorbereitung. Dazu zählen vor allem die klinischen
Valdierungsstudien zur WAIS-IV (u. a. Studien zu Patienten mit Schlaganfall, Alzhei-
mer, Depression, ADHS).
7.7 Literatur
Petermann, F. (2011). Wechsler Preschool and Primary Scale - Third edition (WPPSI-
III, deutsche Version) (2., überarb. u. erw. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment.
Petermann, F. (Hrsg.) (2012). Wechsler Adult Intelligence Sale - Fourth Edition
(WAIS-IV, deutsche Version). Frankfurt: Pearson Assessment.
Petermann, F. & Petermann, U. (Hrsg.) (2011). Wechsler Intelligence Scale for
Children - Fourth Edition (WISC-IV, deutsche Version). Frankfurt: Pearson
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Schuleingangsdiagnostik
67
8 Schuleingangsdiagnostik
8.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
MitarbeiterInnen
Dipl.-Psych. Franziska Korsch
Dr. Sören Schmidt
Kooperationspartner
Eberhard Zimmermann, Gesundheitsamt Bremen
Zeitraum
01.05.2011 - 31.04.2014
Finanzierung
Mittel aus dem Doktorandenkolleg, Mittel der Hochschulambulanzen
8.2 Zusammenfassung
Das Projekt entstand im Rahmen einer Kooperation des Zentrums für Klinische Psy-
chologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen mit dem Gesundheits-
amt der Stadt Bremen. Kinder, bei denen im Verlauf der schulärztlichen Eingangsun-
tersuchung Verhaltensauffälligkeiten festgestellt werden, durchlaufen in der Psy-
chotherapeutischen Kinderambulanz des ZKPR ergänzende Untersuchungen, um
eine Einschätzung des psychosozialen, kognitiven und körperlichen Ent-
wicklungsstandes der Kinder zu ermöglichen, psychische Auffälligkeiten zu ermitteln
und gegebenenfalls im Rahmen präventiver Verhaltenstrainings zu verbessern.
8.3 Stand der Forschung
Mit dem Schuleintritt müssen sich Kinder an schulische Leistungsnormen gewöh-
Schuleingangsdiagnostik
68
nen, neue Lerninhalte erschließen und sich in einem neuen sozialen Umfeld orien-
tieren. Für die erfolgreiche Bewältigung dieses Entwicklungsschritts wird nicht nur
eine altersentsprechende kognitive und körperliche Entwicklung benötigt. Schulan-
fänger müssen auch in der Lage sein, ihr Verhalten an die neuen Regeln und Struk-
turen anzupassen (Koglin & Petermann, 2008). Kinder mit einer Verhaltensstörung
haben häufig Schwierigkeiten diese Anpassung vorzunehmen und es besteht die
Gefahr einer frühen Beeinträchtigung des schulischen Werdegangs: Betroffene Kin-
der werden von Lehrkräften bezüglich des Lern- und Unterrichtsverhaltens signifi-
kant schlechter eingestuft (Massetti et al., 2008), stehen in ihrer kognitiven Entwick-
lung bis zu zwei Jahre hinter ihren Klassenkameraden zurück (Green, McGinnity,
Meltzer, Ford & Goodman, 2005) und bleiben häufiger und länger vom Unterricht
fern als verhaltensunauffällige Kinder (Green, McGinnity, Meltzer, Ford & Good-
mann, 2005). Obwohl Verhaltensstörungen im Einschulungsalter keine Seltenheit
sind (Elberling, Linneberg, Olsen, Goodman & Skovgaard, 2010; Kuschel, Heinrichs,
Bertram, Naumann & Hahlweg, 2008), besteht im deutschsprachigen Raum noch
immer Forschungsbedarf bezüglich etablierter präventiver Maßnahmen und die
Möglichkeit der Umsetzung einer flächendeckenden Früherkennung von Verhal-
tensstörungen gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Mit der schulärztlichen Eingangsuntersuchung (SEU) existiert eine groß angelegte
Maßnahme zur Feststellung von Förderbedarf im Einschulungsalter, in der ein
Screening nach Verhaltensstörungen eingesetzt werden könnte, wodurch aufgrund
ihrer gesetzlich verbindlichen Teilnahme aller Einschulungskinder (z.B. §36 Ab-
schnitt 4 BremSchulG) eine flächendeckende Erfassung der Einschulungskohorte
ermöglicht wird. Obwohl ein Screening nach psychosozialen Defiziten in der frühen
Kindheit heutzutage als unverzichtbar angesehen wird (Wiedebusch & Petermann,
2011), sehen einige Bundesländer bislang noch kein Screening nach Verhaltensstö-
rungen in der SEU vor. So verzichtet beispielsweise Berlin bislang auf die Erhebung
der psychosozialen Gesundheit im Rahmen der SEU (Senatsverwaltung für Gesund-
heit, 2011). In der SEU in Bremen wird seit 2010 der schnell und einfach einsetzbare
Strength and Difficulties Questionnaire (SDQ; Goodman, 1997) als Screening-
verfahren eingesetzt (Gesundheitsamt Freie Hansestadt Bremen, 2010), der mit nur
25 Items eine große Bandbreite kindlichen Problemverhaltens schnell und einfach
erfasst. Um bei einem auffälligen Screeningbefund die Wartezeit bis zur differen-
zierten psychologischen Abklärung zu verringern, wurde zeitgleich eine Kooperation
des Gesundheitsamts mit der Psychotherapeutischen Kinderambulanz der Universi-
tät Bremen ins Leben gerufen.
8.4 Ziele
Auf Grundlage des oben beschriebenen Forschungsstands und des Kooperations-
Schuleingangsdiagnostik
69
projekts des Gesundheitsamts Bremen mit dem ZKPR der Universität Bremen, un-
tersucht das Projekt, ob Kinder mit klinisch bedeutsamen Verhaltensauffälligkeiten
durch die SEU zuverlässig identifiziert werden und ob betroffene Kinder von den
nach der SEU ansetzenden weiterführenden Diagnostik und den angebotenen För-
dermaßnahmen ausreichend profitieren. Aufgrund der zunehmenden Kritik am zeit-
lichen Setting der SEU stellt sich dabei weiterhin die Frage, ob das Verhaltensscree-
ning nicht bereits ein Jahr vor der Einschulung stattfinden sollte, um betroffenen
Kindern die Zeit zu geben, sich noch vor Schulbeginn einer Fördermaßnahme zu
unterziehen. Daher soll auch untersucht werden, ob es Kindern mit einer Verhal-
tensstörung gelingt, sich durch eine während der ersten Klasse einsetzende Förde-
rung an das Leistungsniveau verhaltensunauffälliger Gleichaltriger anzunähern.
8.5 Methodisches Vorgehen
Die Überweisung von verhaltensauffälligen Schulanfängern an die Hochschulambu-
lanz der Universität Bremen wird seit der SEU 2010 durchgeführt. Das Forschungs-
projekt begann am 01.05.11 und wird in Form einer Fall-Kontroll-Studie zur Unter-
suchung der psychosozialen Entwicklung von verhaltensauffälligen und -unauf-
fälligen Kindern über das erste Schuljahr mit Kohortensequenzdesign umgesetzt.
Fallgruppe. Die Rekrutierung der Fallgruppe erfolgt 2011 und 2012 anhand des Pa-
tientenaufkommens der Hochschulambulanz, bei denen in der SEU der Verdacht auf
das Vorliegen einer Verhaltensstörung festgestellt wurde. Nach einem Jahr erhalten
alle untersuchten Kinder eine Einladung zur erneuten psychodiagnostischen Über-
prüfung. Das schriftliche Einverständnis der Eltern zur wissenschaftlichen Verwen-
dung des Datenmaterials wurde eingeholt.
Kontrollgruppe. Die Kinder der Kontrollgruppe wurden über die Ausgabe von Info-
material in Kindergärten in allen Stadtgebieten Bremens, sowie die Veröffentlichung
von Zeitungsinseraten rekrutiert. Eingeschlossen wurden Kinder, die im Elternurteil
unauffällige SDQ-Werte erzielten und sich zur Zeit der Untersuchung nicht aufgrund
von psychosozialen Schwierigkeiten in einer Verhaltenstherapie befanden. Nach
Abschluss der ersten Klasse, erhalten alle Kinder der Kontrollgruppe eine Einladung
zum zweiten Messzeitpunkt.
Material zu Messzeitpunkt 1. Die Verhaltensbeurteilung vor Schulbeginn erfolgt
nach den Diagnosekriterien des ICD-10 und setzt sich aus einer ausführlichen A-
namnese, der Verhaltensbeobachtung durch den Diagnostiker sowie einer situati-
onsübergreifenden Befragung von Eltern und Erziehern anhand des SDQ und
Fremdbeurteilungsbögen des Diagnostik-Systems für psychische Störungen (DISYPS-
II; (Döpfner, Görtz-Dorten, Lehmkuhl, Breuer & Goletz, 2008)) zu ADHS, Störungen
des Sozialverhaltens und Angststörungen, zusammen. Weiterhin wird das kognitive
Leistungsniveau über die Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence-III
Schuleingangsdiagnostik
70
(WPPSI-III; Petermann, F., 2011b) überprüft. Aufgrund der bekannten Zusammen-
hänge zwischen Verhaltensstörungen, kognitiven Defiziten und entwicklungsbeding-
ten Koordinationsstörungen (Kastner & Petermann, 2010) erfolgt weiterhin ein
entwicklungsneurologisches Screening anhand der Movement Assessment Battery
for Children (M-ABC-II; Petermann, F., 2011a).
Material zu Messzeitpunkt 2. Die Verhaltensbeurteilung nach der ersten Klasse
erfolgt wie zu Messzeitpunkt 1. Aufgrund des angehobenen Alters der Versuchsper-
sonen wird das kognitive Leistungsniveau zu Messzeitpunkt 2 über die Wechsler
Intelligence Scale for Children (WISC-IV; Petermann, F., 2011b) überprüft. Weiterhin
wird erneut der Movement Assessment Battery for Children (M-ABC-II; Petermann,
F., 2011a) eingesetzt. Zur Überprüfung des Schulerfolgs wird die Lehrer-
einschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (LSL; Petermann & Petermann, 2006) an
die Lehrer ausgegeben.
8.6 Ergebnisse
Nach der SEU 2011 in Bremen erhielten 130 (3.38%) der 4212 untersuchten Kinder
eine Überweisung in die Hochschulambulanz der Universität Bremen zur psycholo-
gischen Abklärung. Von diesen 130 Kindern wurden 81 zur psychologischen Dia-
gnostik angemeldet, 13 erschienen nicht zu den vereinbarten Terminen. Eine Dia-
gnostik wurde aus Krankheitsgründen abgebrochen. Insgesamt konnte bei 67 Schul-
anfänger (20 w; 47 m) eine vollständige Diagnostik durchgeführt werden. Das
durchschnittliche Alter lag bei 75.4 Monaten. Die Termine für den zweiten Mess-
zeitpunkt wurden vergeben und finden aktuell statt. Die Erhebung der Kontroll-
stichprobe zu Messzeitpunkt 1 konnte mit 54 Schulanfängern abgeschlossen wer-
den. Die Termine für den zweiten Messzeitpunkt werden kommendes Frühjahr ver-
einbart.
8.7 Literatur
Döpfner, M., Görtz-Dorten, A., Lehmkuhl, G., Breuer, D. & Goletz, H. (2008). Dia-
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ADHS-E
73
9 Konstruktion, Normierung und Validierung des ADHS-Screening für Erwachsene (ADHS-E)
9.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiter
Dr. Sören Schmidt
Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann
Kooperationspartner
Dr. Paul Brieler, Institut für Schulungsmaßnahmen, Hamburg, Prof. Dr. Elmar Bräh-
ler, Selbstständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Sozio-
logie, Universität Leipzig
Zeitraum
01.07.2007 - 30.06.2009
Finanzierung
Pearson Assessment, Frankfurt und Eigenmittel der Universität Bremen und Leipzig
9.2 Zusammenfassung
Ziel des Projektes war die Etablierung eines Verfahrens, das Symptome einer ADHS
bei Erwachsenen auf der Basis der diagnostischen Leitlinien der Deutschen Gesell-
schaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie der Kri-
terien nach ICD-10 und DSM-IV-TR dokumentiert. Die Erfassung erfolgt dimensional
(T-Werte und Prozentränge) und ermöglicht eine differenzierte Problemanalyse
über verschiedene Subskalen und einem Gesamtwert (globale Beeinträchtigung).
Das ADHS-Screening für Erwachsene besteht aus zwei Fragebögen: Das ADHS-E als
Kernscreening mit 25 Items (5 Subskalen) und das ADHS-LE als Fragebogenlangform
mit 64 Items (7 Subskalen und ein Substanzmittelscreening).
ADHS-E
74
9.3 Stand der Forschung
ADHS ist eine Lebensspannenerkrankung, die ihren Ausdruck in einer grundlegen-
den Beeinträchtigung der Symptomtrias Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hy-
peraktivität findet. Betroffene Kinder erfüllen mit einer Prävalenz von etwa 2% teil-
weise schon im Vorschulalter die diagnostischen Kriterien (Petermann & Toussaint,
2009; Schlack, Hölling, Kurth & Huss, 2007), die stärkste Häufung findet sich mit
eine Prävalenz zwischen 4 und 10% im Grundschulalter (Schmidt et al., 2012), wobei
die hohe Varianz unter anderem auch auf die Unterschiede zwischen den eingesetz-
ten diagnostischen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV-TR zurückzuführen
ist. Im Erwachsenenalter sind etwa 3 und 5% von einer ADHS betroffen (Schmidt &
Petermann, 2009b; Schmidt, Waldmann, Petermann & Brähler, 2010), im US-
amerikanischen Raum ist der Anteil betroffener Erwachsener mit bis zu 7,3% noch
höher ausgeprägt (Turgay et al., 2012). Für das Erwachsenenalter erschwert das
Fehlen expliziter Diagnosekriterien eine diagnostische Eingrenzung der Symptome
(klinische Diagnose). Die von ICD-10 und DSM-IV geforderten Symptomtrias stellen
im Erwachsenenalter häufig nicht mehr den Problemschwerpunkt dar; vielmehr
leiden Betroffene an den daraus resultierenden Beschwerden. Zur diagnostischen
Unterstützung eignen sich die diagnostischen Leitlinie, basierend auf einem Exper-
tenkonsensus der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Ner-
venheilkunde (DGPPN). Dies beinhalten beispielsweise auch die im US-ameri-
kanischen Raum eingesetzten Utah-Kriterien (Wender, 2000), die sich explizit an das
pathologische Erscheinungsbild einer ADHS bei Erwachsenen richten. Neben der
ADHS-Symptomtrias werden auch Desorganisation, Affektlabilität, mangelnde Af-
fektkontrolle und Stressintoleranz als diagnoserelevante Kriterien angeführt; es gibt
im deutschsprachigen Raum jedoch kaum diagnostische Verfahren, die sich an die-
sen Kriterien orientieren. Diese Lücke sollte durch das ADHS-E geschlossen werden
9.4 Ziele
Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung eines Testverfahrens, welches un-
ter Einbezug erwachsenenspezifischer Diagnosekriterien eine valide Aussage zur
Symptombelastung durch ADHS ermöglicht. Dabei soll das Verfahren nicht allein
kriterienorientiert vorgehen, sondern auch Aussagen zum Schweregrad eine Belas-
tung durch ADHS ermöglichen. Dies hat eine hohe Praxisrelevanz, da auf diese Wei-
se die Möglichkeit zur Veränderungsmessung gegeben ist. Ziel ist ein Verfahren,
dass auf der Basis einer hohen psychometrischen Güte und unter Einbezug von
Normwerten (T-Werte und Prozentränge) eine möglichst breite Aussage zu Beein-
trächtigungen durch ADHS-Symptome ermöglicht.
ADHS-E
75
9.5 Methodisches Vorgehen
Die erste Version des Verfahrens (BAS-E; vgl. Schmidt, Brücher & Petermann, 2006)
wurde einer Patientenstichprobe vorgelegt um die psychometrische Güte zu über-
prüfen (Item- und Faktorenanalysen). Anschließend wurden die Fragebögen (eine
Kurzform [ADHS-E] und eine Langform [ADHS-LE]) an verschiedenen Stichproben
normiert. Parallel dazu wurden Studien durchgeführt, die der Validierung des ADHS-
E dienten.
Testkonstruktion. Die Itemanalysen wurden im Winter 2007/2008 realisiert. Die
Konstruktionsversion BAS-E wurde einer Patientenstichprobe vorgelegt, die sich mit
Verdacht auf eine ADHS in der Institutsambulanz des AMEOS Klinikum Dr. Heines in
Bremen einfanden. Für die statistische Weiterverarbeitung wurden nur Fragebögen
von den Patienten berücksichtigt, bei denen sich die Diagnose einer ADHS bestätig-
te. Aus den Item- und Faktorenanalysen entstanden zwei verschiedene Fragebo-
genversionen. Die Kurzform (ADHS-E) beinhaltete 25 Items, die sich auf fünf Prob-
lemskalen verteilen. Die Fragebogenlangform (ADHS-LE) umfasste 64 Items und
ermöglicht eine Einordnung der Problemlage auf sieben Dimensionen. Beide Frage-
bogenformen ermöglichen die Berechnung eines Gesamtwerts, der eine Aussage
über die globale Beeinträchtigung durch die Symptome zulässt.
Normierung und Validierung. Die Normierung des ADHS-E erfolgte im Juli 2008 an
einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe von N=1845 Personen. Die Daten
wurden vom Markt-, Meinungs-, und Sozialforschungsinstitut USUMA (Berlin) erho-
ben. Zeitgleich wurden Normwerte für das ADHS-LE an einer nicht-klinischen Ver-
gleichspopulation erhoben und berechnet (N=1296). Diese Daten entstammen dem
Institut für Schulungsmaßnahmen (IFS), Hamburg.
9.6 Ergebnisse
Eine a priori festgelegte Skalenzuordnung konnte mittels explorativer Faktorenana-
lysen bestätigt werden. Die Items beider Fragebögen verfügen über eine angemes-
sene Itemschwierigkeit, hohe Trennschärfen und eine insgesamt sehr zufriedenstel-
lende Reliabilität (interne Konsistenz [Cronbachs α] zwischen α = .86 und α = .93;
Split-Half-Reliabilität in beiden Fragebögen bei rk = .83; Retest-Reliabilität zwischen
rtt = .53 und rtt = .95). Unter Einbezug von klinischen- und Normdaten bescheinigen
multivariate Analysen dem Verfahren eine insgesamt eine hohe konvergente und
diskriminante Validität. Mittels ROC-Analysen wurden Sensitivität und Spezifität
berechnet. Diese fiel für beiden Verfahren ausgezeichnet aus (Schmidt, 2009;
Schmidt & Petermann, 2009a; Schmidt & Petermann, 2011).
ADHS-E
76
9.7 Literatur
Petermann, F. & Toussaint, A. (2009). Neuropsychologische Diagnostik bei Kindern
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Bf-SR und B-LR
79
10 Normierung der Befindlichkeitsskala (Bf-SR) u. Beschwerden-Liste (B-LR)
10.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Prof. Dr. Detlev von Zerssen, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München
Mitarbeiter
Dr. Sören Schmidt
Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann
Kooperationspartner
Prof. Dr. Elmar Brähler, Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische
Soziologie, Universität Leipzig
Zeitraum
01.03.2010 - 31.04.2011
Finanzierung
Hogrefe Verlag, Göttingen
10.2 Zusammenfassung
Sowohl die Beschwerden-Liste (Bf-SR) als auch die Befindlichkeits-Skala (B-LR) ha-
ben in der Psychiatrie, der Klinischen Psychologie und der Medizin eine lange Tradi-
tion. Beide Verfahren sind seit mehr als 35 Jahren im klinischen Einsatz und haben
sich dort in hohem Maße bewährt (vgl. v. Zerssen, 1975, 1976). Um sowohl Bf-SR als
auch B-LR weiterhin den aktuellen klinisch diagnostischen Ansprüchen gerecht wer-
den zu lassen, wurde eine grundlegende Revision angestrebt. Diese umfasste eine
Umformulierung einzelner Items, eine erneute Überprüfung der Itemgüte (I-
temschwierigkeit und Trennschärfe), der Dimensionalität sowie der klinischen Eig-
nung.
Bf-SR und B-LR
80
10.3 Stand der Forschung
Der Begriff „Befindlichkeit“ kann als ein zentraler Zustand aufgefasst werden, wel-
cher in der Literatur in verschiedener Art und Weise verwendet und diskutiert wird.
Neben verschiedenen Ansätzen in der Definition von Befindlichkeit, die sich an den
Disziplinen orientieren, in denen der Begriff verwendet wird (z.B. kulturwissen-
schaftliche Definition vs. medizinisch-psychiatrische Definition), besteht ein Konsens
darin, dass Befindlichkeit eher eine Konsequenz denn eine Grundlage von Verhalten
darstellt und zentrale Komponenten des subjektiven Empfindens von Emotionen
und deren kognitiver Bewertung (unter anderem) eine Rolle spielen (z.B. Kleinert,
Golenia & Lobinger, 2007). Dabei kann nach Schumacher, Klaiberg und Brähler
(2003) die emotionale Komponente in die Teilkomponenten „Positiver Affekt“, „Ne-
gativer Affekt“ sowie „Glück“ (als längerfristiger positiver Affekt) unterteilt werden.
Die kognitive Komponente umfasst sowohl globale als auch bereichsspezifische Le-
benszufriedenheit und stellt eher einen längerfristig andauernden Zustand (Trait)
dar, als es bei der emotionalen Komponente (State) der Fall ist (vgl. DeNeve & Coo-
per, 1998). Im Hinblick auf die psychodiagnostische Erfassung von Befindlichkeit ist
die zeitliche Komponente von Bedeutung. So lässt sich Wohlbefinden in einen aktu-
ellen Zustand und einen habituellen Zustand unterteilen (vgl. Becker, 1994). Wäh-
rend sich der aktuelle Zustand ausschließlich auf das momentane Erleben einer Per-
son bezieht, umfasst der habituelle Zustand das allgemeine Wohlbefinden mit ei-
nem zeitlichen Bezug auf die letzten Wochen und Monate. Die Bf-SR fokussiert da-
bei das momentane Erleben und ermöglicht damit dem Diagnostiker einen Über-
blick zum aktuellen Zustand.
Die Beschwerden-Liste zielt demgegenüber auf einen eher habituellen Zustand ab,
indem mit diesem Fragebogen verschiedene Formen von subjektiven Beschwerden
erfasst werden, die auch eine höhere zeitliche Stabilität aufweisen können. Be-
schwerden (oder auch Symptome) stellen im diagnostischen Prozess die kleinste
Einheit operationalisierbarer Informationen dar und signalisieren Veränderungen
oder auch Störungen von grundlegenden Eigenschaften oder Funktionen (vgl. Payk,
2010). Sie lassen sich zum einen durch die psychometrische Ermittlung von „beob-
achtbaren“ Symptomen ermitteln, zum anderen über die Schilderung von individu-
ell erlebten Beschwerden auf Seiten des Patienten. Die Einordnung und Interpreta-
tion von Symptomen in das individuelle Lebensumfeld des Patienten dient dann als
Handlungsgrundlage für den weiteren diagnostischen und später therapeutischen
Prozess. Ähnlich der Bf-SR hat sich die B-LR sowohl in der somatischen Medizin, der
klinischen Psychologie als auch der Psychiatrie etabliert und ist ebenfalls seit über
35 Jahren im Einsatz. Erfasst werden überwiegend körperliche und Allgemeinbe-
schwerden, sodass insbesondere Patienten mit chronischen Erkrankungen ange-
sprochen werden (Conrad et al., 2000; Strittmatter et al., 2005; Waanders, Tauter-
mann & König, 1997; Zimmermann et al., 2010). Da somatische Beschwerden häufig
mit psychischen Störungen einhergehen, liefert die B-LR auch hier wichtige Informa-
Bf-SR und B-LR
81
tionen zur subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustands (Ayen & Hautzinger,
2004; Denecke et al., 1995; Fehm, Beesdo, Jacobi & Fiedler, 2008; Schmidt, Wald-
mann, Petermann & Brähler, 2010).
10.4 Ziele
Ziel des Forschungsprojektes ist die grundlegende Überarbeitung beider Fragebö-
gen und die Adaption der Items an den aktuellen klinisch-diagnostischen Standard.
Da es sich bei beiden Fragebögen um etablierte Instrumente handelt, bestand das
primäre Ziel nicht darin, die Fragebögen völlig neu zu konzipieren. Vielmehr stellte
eine sprachliche Anpassung der Items sowie eine Re-Analyse der psychometrischen
Güte beider Verfahren das Kernelement des Projekts dar. Um letztlich die Aktualität
einer diagnostischen Aussage zu gewährleisten, wurden beide Verfahren an einer
bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe neu normiert und validiert.
10.5 Methodisches Vorgehen
Nach erfolgter sprachlicher Überarbeitung der Items wurden einzelne Items ent-
fernt, da diese entsprechend des diagnostischen Standards nicht mehr zeitgemäß
erschienen oder redundante Informationen erfassten. Anschließend erfolgte eine
Neuerhebung und Berechnung der Normdaten, eine grundlegende Re-Analyse der
Itemgüte sowie eine umfassende Validierung.
Normierung und Validierung. Die Normierung von Bf-SR und B-LR erfolgte im April
2010 an einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe (N=2504). Die Erhebung der
Daten wurde über das Markt, Meinungs- und Sozialforschungsinstitut USUMA (Ber-
lin) realisiert. Da die Fragebögen in beiden Verfahren über eine Parallelversion ver-
fügen (Bf-SR und Bf-SR‘; B-LR und B-LR‘) erfolgte die Normierung in zwei Wellen. In
der ersten Befragungswelle erhielten N=1235 Personen die Bf-SR und N=1230 die B-
LR. In der zweiten Befragungswelle wurde ausschließlich die Parallelform eingesetzt,
so dass N=1269 Personen die Bf-SR‘ und N=1267 die B-LR‘ erhielten. Anschließend
erfolgten die Berechnung der psychometrischen Güte, der Dimensionalität sowie
der faktoriellen und klinischen Validität.
10.6 Ergebnisse
Basierend auf der Forderung eines möglichst geringen Unterschiedes, wurde im
Rahmen einer Diskriminanzanalyse der Koeffizient Wilks Lambda (λ) berechnet. So-
wohl für die Parallelformen in der Bf-SR und in der B-LR ließ sich eine außergewöhn-
Bf-SR und B-LR
82
lich hohe Ausprägung des Koeffizienten feststellen (λ = 1, p = n.s.), so dass ange-
nommen werden kann, dass sowohl Grund- als auch Parallelform die gleichen
Merkmale erfassen. Die Itemmittelwerte lagen in allen Fragebögen zwischen = 40
und = 46. Die Itemtrennschärfen lagen zwischen rit = .57 und rit = .68. Für die Reli-
abilität wurden die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha; Werte zwischen .93 und
.94) und die Split-Half-Reliabilität (mit Spearman-Brown-Korrektur; Werte zwischen
.90 und .93) berechnet. Alle Fragebögen liegen hier in einem sehr guten Bereich. Die
Validierung erfolgte in zwei Schritten. Zunächst wurde die faktorielle Validität be-
stimmt, indem Bf-SR und B-LR mit verschiedenen konstruktnahen und konstruktfer-
nen Verfahren einer gemeinsamen Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse
mit Varimax-Rotation) unterzogen wurden. Hier zeigte sich, dass sowohl Bf-SR als
auch B-LR mit verschiedenen Verfahren zur Erfassung psychischer Belastung auf
einem gemeinsamen Faktor luden (konvergenter Faktor), während die konstrukt-
fernen Verfahren auf einem separaten Faktor luden (divergenter Faktor). Somit
konnte die Forderung an konvergente und divergente Validität bestätigt werden.
Als ein weiterer Schritt wurden für beide Verfahren Gruppenvergleiche berechnet,
in welchen eine Zufallsstichprobe aus dem Normdatensatz mit einer klinisch auffäl-
ligen Gruppe verglichen wurde. Dabei ergab sich ein signifikant höherer Belas-
tungswert auf Seiten der klinisch auffälligen Gruppe, so dass die Aussage zulässig
ist, dass sich Bf-SR und B-LR gleichermaßen zur trennscharfen Erfassung psychischer
Belastung eignen (vgl. v. Zerssen & Petermann, 2011a, 2011b)
10.7 Literatur
Ayen, I. & Hautzinger, M. (2004). Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im
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83
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ET 6-6-R
85
11 Revision des Entwicklungstests ET 6-6: Der ET 6-6-R
11.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiter
Dr. Thorsten Macha
Kooperationspartner
Prof. Dr. Heinrich Tröster, Universität Dortmund, Fakultät Rehabilitationswissen-
schaften
Prof. Dr. Udo Rudolph, TU Chemnitz, Institut für Psychologie
Prof. Dr. Ronald G. Schmid, Zentrum für Kinder und Jugendliche, Altötting
Dr. Rainer Hasmann, Sozialpädiatrisches Zentrum Kohlhof
Zeitraum
01.08.2008 - 31.12.2012
Finanzierung
Pearson Assessment, Eigenmittel
11.2 Zusammenfassung
Im Zuge einer anstehenden Aktualisierung der Testnormen erfolgte eine Weiter-
entwicklung des ET 6-6. Hierbei konnte unter Beibehaltung seiner günstigen Eigen-
schaften wie seiner hohen Praktikabilität und der hohen Testmotivation der Kinder
eine Erhöhung des Standardisierungsgrades sowie der Differenzierungsfähigkeit
erzielt werden. Kritikpunkte an den Skaleneigenschaften (z.B. Dokumentationslücke
zur Reliabilität) konnten ausgeräumt werden, die Auswertung wurde dabei an psy-
chometrisch gängige Standardwerte (Skalen-Entwicklungsquotienten: 10/3; Ge-
samt-Entwicklungsquotient: 100/15) angepasst und realisiert somit eine einfachere
Interpretation von Testergebnissen, eine präzisere Indikationsstellung sowie eine
bessere Vergleichbarkeit mit den Ergebniswerten anderer Leistungstests.
ET 6-6-R
86
11.3 Stand der Forschung
In den Jahren 1994 bis 2000 wurde am ZKPR der Universität der allgemeine Entwick-
lungstest für Kinder von sechs Monaten bis sechs Jahren (ET 6-6) konstruiert. Das
Verfahren untersucht in 12 Altersgruppen entwicklungsrelevante Leistungen von
Kindern in den Bereichen Körper- und Handmotorik, Kognitive Entwicklung und
Sprache sowie der Sozialentwicklung und der emotionalen Entwicklung. Der ET 6-6
hat sich seit dem Jahr 2000 als ein Standardverfahren zur Erfassung des Entwick-
lungsstandes von Kindern im deutschen Sprachraum etabliert. Entwicklungstests
identifizieren entwicklungsauffällige Kinder und stellen die Art und das Ausmaß von
Entwicklungsstörungen und Entwicklungsverzögerungen dar und liefern eine wich-
tige Grundlage bei der Indikationsstellung in Bezug auf die Komplexleistung Früh-
förderung (SGB IX) sowie in Bezug auf spezifische Entwicklungsförderung und The-
rapie (z.B. Ergotherapie, Physiotherapie, Sprachtherapie).
Die psychometrische Entwicklungsdiagnostik blickt auf eine nunmehr hundertjähri-
ge Geschichte zurück und lässt sich in ihren Anfängen zurückführen auf die Verfah-
ren von Binet und Simon (1905 a-c). Dabei haben sich im Laufe der folgenden Jahr-
zehnte unterschiedliche inhaltliche Anknüpfungspunkte und, teilweise dadurch be-
einflusst, charakteristische Konstruktionsmerkmale von Entwicklungstests in drei
unterschiedlichen Testformen (vgl. Macha & Petermann, 2006a) manifestiert:
• die Entwicklungs-Stufenleiter,
• die Entwicklungs-Testbatterie sowie
• das Entwicklungs-Inventar.
Jede dieser Testformen weist aufgrund ihrer Konstruktionsmerkmale besondere
Voraussetzungen bei der Durchführung auf und generiert charakteristische Testaus-
sagen. Die Stärken und Kritikpunkte an den verschiedenen Testformen wurden in
der deutschsprachigen Literatur in den letzten Jahren rege diskutiert (zusammen-
fassend s. Petermann & Macha, 2008a).
Der ET 6-6 war als ein Inventar ausgelegt, das heißt er erhebt eine große inhaltliche
Vielfalt entwicklungsrelevanter Leistungen und Fertigkeiten in inhaltlich heteroge-
nen Skalen. Dies gewährleistet einen abwechslungsreichen Testverlauf und somit
eine hohe Testmotivation auch bei schwierig zu untersuchenden Kindern. Eine be-
sondere Schwierigkeit weist jedoch die Reliabilitätsbestimmung von inhaltlich hete-
rogenen Tests auf, da die klassischen methodischen Zugänge der Reliabilitäts-
bestimmung (Retest- und Splithalf-Reliabilität sowie innere Konsistenz; vgl. Lienert
und Raatz, 1998, S. 175ff) bei sich über die Zeit verändernden Merkmalen in hete-
rogene Skalen zu einer Unterschätzung der „wahren Reliabilität“ führen, auch wenn
heterogene Tests „mit praktischen Validitätskriterien oft höher korrelieren als ho-
mogene Tests“ (Lienert & Raatz, 1998, S. 203). Ein weiterer Reliabilitätsaspekt, die
Paralleltestreliabilität, scheidet bei der Ermittlung der Reliabilität des ET 6-6 aus, da
keine Parallelversion vorliegt. Die Reliabilität des ET 6-6 lässt sich somit indirekt an-
ET 6-6-R
87
hand von Studien zur Validität einschätzen: Die Art und das Ausmaß, in dem ein
Entwicklungstest inhaltlich plausible entwicklungspsychologische sowie klinische
Erkenntnisse darzustellen vermag definiert indirekt auch seine Reliabilität. Macha
und Petermann (2006b) fordern somit eine punktuelle Validierungsstrategie für
Entwicklungstests, insbesondere auch um indirekt die Reliabilität von Entwicklungs-
Inventaren einzuschätzen.
11.4 Ziele
Die Zielsetzungen bei der Revision des ET 6-6 konzentrierten sich insbesondere auf
• die Beibehaltung oder gar Erhöhung der bereits guten Praktikabilität des
Tests,
• die Erhöhung des Standardisierungsgrades der einzelnen Aufgaben,
• die Erhöhung der Differenzierungsleistung seiner Ergebniswerte,
• die Aktualisierung der Normen sowie
• die Optimierung seiner psychometrischen Eigenschaften.
11.5 Methodisches Vorgehen
Zu Beginn der Arbeiten zum ET 6-6-R lag der ET 6-6 mit einem Aufgabenpool von
insgesamt 180 Aufgaben über die Altersspanne von 6 Monaten bis 6 Jahren vor.
Dabei waren die verschiedenen Entwicklungsbereiche in den unterschiedlichen Al-
tersgruppen jedoch durch zum Teil deutlich unterschiedliche Item-Anzahlen reprä-
sentiert, was wiederum zu stark abweichender psychometrischer Qualität der Ska-
len führte. So wurde in einem ersten Arbeitsschritt zum ET 6-6-R eine Item-
Datenbank erstellt, in die über 1000 Items aus etablierten Leistungstests eingingen.
Ein besonderes Problem im Hinblick auf die Item-Auswahl bestand darin, dass ver-
schiedene Test vordergründig sehr ähnliche Testaufgaben durchführen, dabei aber
sehr verschiedene Normdaten präsentieren. Hierzu ein Beispiel: Alle Breitband-
Entwicklungstests weisen für das zweite Lebensjahr eine Aufgabe „Das Kind stapelt
zwei Würfel“ auf, jedoch mit zum Teil drastisch voneinander abweichenden Nor-
mangaben: nach den Denver-Skalen (Flehmig, Schloon, Uhde & v. Bernuth, 1973)
lösen 90% aller Kinder die Aufgabe mit 18,7 Monaten, nach den Griffiths-Skalen
(Brandt & Sticker, 2001) lösen 95% aller Kinder die Aufgabe bereits mit 15 Monaten.
Dieser Unterschied ist im Wesentlichen auf die unterschiedlichen Durchführungs-
bedingungen zurückzuführen: Während die Rahmenbedingungen (Körperhaltung,
Sitzposition, Beschaffenheit der Unterlage) in den Denver-Skalen nicht weiter spezi-
fiziert sind, erfolgte bei den Griffiths-Skalen eine präzise Standardisierung. Solche
ET 6-6-R
88
Unterschiede wurden in der Item-Datenbank sorgfältig berücksichtig, so dass eine
gute empirische Fundierung entwicklungspsychologisch begründbarer Entwick-
lungsschritte gewährleistet war.
In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass der Standardisierungsgrad der
bisherigen ET 6-6-Aufgaben noch Optimierungspotential bot. Aus diesem Grund
wurde das Beschreibungsvolumen der einzelnen ursprünglichen Testaufgaben
durchschnittlich um den Faktor zwei bis drei erhöht. Auf diese Weise wurde die
Durchführungs- und Beurteilungsobjektivität des Tests spürbar erhöht und an
höchste psychometrische Standards angepasst. Die Gesamt-Item-Menge des ET 6-6-
R wurde zur Erhöhung der Differenzierungsleistung von ursprünglich 180 auf nun
245 Items erhöht, wobei es sich bei den neuen Aufgaben um 54 neue Testaufgaben
und 11 neue Elternfragen handelt. Hierzu wurden zahlreiche neue Testmaterialien
entworfen.
Eine vorläufige Version des ET 6-6-R wurde nun zunächst an 200 Kindern in Bremen
und im niedersächsischen Umland auf ihre Praktikabilität hin überprüft und auf sei-
ne Skaleneigenschaften hin untersucht. Es stellte sich heraus, das lediglich noch
geringe Korrekturen notwendig wurden, so dass in den Jahren 2011 und 2012 eine
Normierung mit 1053 Kindern mit der Unterstützung durch die o.a. Kooperations-
partner erfolgen konnte.
Hinsichtlich der Skalierung wurden beim ET 6-6-R folgende Änderungen vorgenom-
men:
(1) Die kognitive Entwicklung, die Sprachentwicklung sowie die sozial-
emotionale Entwicklung wird nun jeweils in einer umfassenden Skala abge-
bildet, eine weitere Unterteilung wie beim ET 6-6 (z.B. Kognitive Entwick-
lung: Gedächtnis, Handlungsstrategien, Kategorisieren und Körperbewusst-
sein) wurde aufgrund der eher entwicklungspsychologischen, aber geringe-
ren klinischen Relevanz aufgegeben.
(2) In den einzelnen Skalen erfolgte eine bessere Ausbalancierung der Items
nach ihren Schwierigkeiten. Der ET 6-6-R hat den Anspruch (a) einerseits auf-
fällige Kinder zu identifizieren (Screening-Anliegen) sowie (b) andererseits
vorliegend Entwicklungsdefizite differenziert abzubilden (gute Differenzie-
rung im unteren Leistungsbereich).
Somit wurden die Aufgabenzusammenstellungen in den einzelnen Bereichen so
vorgenommen, dass grundsätzlich etwas 50% leichte Aufgaben (p > 70), 30% mittel-
schwere Aufgaben (70>p>35) sowie 20% schwierige Aufgaben (p<35) mit dem Kind
durchgeführt werden. Somit weist der ET 6-6-R notwendige Konstruktionsmerkmale
auf, um die typischen klinischen Fragestellungen der Entwicklungsdiagnostik zu be-
antworten (vgl. Petermann & Macha, 2003).
ET 6-6-R
89
11.6 Ergebnisse
Die Gesamtdurchführungsdauer des Tests konnte erhalten werden, so dass Aspekte
wie die Konzentrations- und Ausdauerleistung in den verschiedenen Altersberei-
chen nach wie vor angemessen berücksichtigt sind. Der Test konnte von den Unter-
suchern bei der Normierung bereits nach geringer Einarbeitungszeit objektiv und
sicher durchgeführt und die Aufgaben sicher bewertet werden.
Der Test erzielt wie angestrebt eine gute Differenzierungsleistung im klinisch rele-
vanten unteren Leistungsbereich, dies jedoch um den Preis von Deckeneffekten.
Dies definiert sein Einsatzgebiet für die klinische Diagnostik (vgl. Macha, Proske &
Petermann, 2005).
Die inhaltlich heterogenen Skalen weisen innere Konsistenzen im Bereich von .50
bis über .80 (Cronbachs Alpha) mit einer Häufung im Bereich um .70 bis .80 auf. Dies
ist vor dem Hintergrund der Testanliegens einer Eignung als Entwicklungs-Screening
einerseits und einer guten Differenzierungsleistung in einem weiten Leistungsbe-
reich andererseits als sehr positiv zu bewerten.
11.7 Literatur
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WMS-IV
91
12 Adaptation und Normierung der Wechsler Memory Scale IV - Deutsche Version (WMS-IV)
12.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterin
Dr. Anja Lepach
Zeitraum
01.06.2010 - 31.05.2012
Finanzierung
Pearson Assessment
12.2 Zusammenfassung
Der Wechsler Gedächtnistest - Vierte Version (WMS-IV) ist ein Einzeltestverfahren
zur Erhebung verschiedener Gedächtnis- und Arbeitsgedächtnisfähigkeiten im Alter
von 16 bis 90 Jahren. Anhand eines Gesamtstichprobenumfang von N = 1.040 aus
16 Bundesländern wurden Maße zur Standardisierung und Validierung des Verfah-
rens erhoben. Die für Geschlecht und Bildung repräsentative Normstichprobe um-
fasst 812 Personen für 14 Altersstufen. Die WMS-IV weist ein hohes Maß an Stan-
dardisierung für Durchführung und Auswertung auf (Interrater-Übereinstimmungen
von 96% bis 97%). Die Indexwerte liefern in allen Altersgruppen überwiegend sehr
hohe Reliabilitätsmaße ( .88 bis .98).
Die Interkorrelationen der Untertests zu den Indizes fallen moderat bis hoch aus.
Untertests die ähnliche Funktionen prüfen korrelieren höher. Faktorenanalytisch
ließen sich die drei Hauptskalen (Auditives und Visuelles Gedächtnis, Visuelles Ar-
beitsgedächtnis) bestätigen. Klinische Vergleichsstichproben erbrachten signifikante
Leistungsunterschiede zwischen Hirngesunden und klinischen Kontrollgruppen.
WMS-IV
92
12.3 Stand der Forschung
Der Begriff „Gedächtnis“ ist Gegenstand diverser Theorien und Modellvorstellun-
gen. Gedächtnis und Lernen sind eng miteinander verbunden, da das Gedächtnis
das Endprodukt von bewussten oder unbewussten Lernprozessen ist. Squire (1987)
beschreibt Lernen als die Prozesse die zur Aufnahme neuer Informationen führen,
während das Gedächtnis für den Verbleib der Informationen und damit die Mög-
lichkeit des späteren Abrufs steht. Das Gedächtnis ist also ein Indikator für vorheri-
ge Lernprozesse.
Gängige traditionelle Modelle nehmen eine Unterteilung in Kurz- und Langzeitge-
dächtnis vor (Atkinson & Shiffrin, 1968). Sehr vereinfacht gesprochen wird dabei das
Kurzzeitgedächtnis üblicherweise als ein Speicher betrachtet, der Informationen nur
für wenige Sekunden bis Minuten bereit hält, während das Langzeitgedächtnis als
überdauernder und vergleichsweise stabilerer Speicher gilt. Die Aufbereitung der
externen Informationen in innere Gedächtnisrepräsentanzen bezeichnet man als
Enkodierung. Die Konsolidierung umfasst die biologischen Prozesse die eine Verfes-
tigung der Informationen ermöglichen (Squire & Butters, 1992). Beim Abruf werden
die Informationen wieder als bewusst erlebbar bzw. als Erinnerung aufbereitet. Ge-
dächtnisstörungen können bei jedem dieser Prozesse auftreten. Neben den von
Atkinson und Shifrin beschriebenen Kurzzeitspeichervorstellungen, enthalten mo-
dernere Gedächtnistheorien komplexe Arbeitsgedächtnismodelle (z.B. Baddeley,
2000; Gathercole, 2008).
Die Erfassung von visuellen und auditiven Gedächtnisleistungen sind eine elementa-
rer Bestandteil neuropsychologischer Diagnostik (Lepach & Petermann, 2007, 2008;
Lepach, Petermann & Schmidt, 2007; 2008). Die erforderlichen Teststandards sind
in Leitlinien zur Gedächtnisdiagnostik definiert (Diener & Putzki, 2008; Thöne-Otto
et al., 2010). Gefordert werden mindestens ein standardisiertes Verfahren zur Er-
fassung der Gedächtnisspanne und des Arbeitsgedächtnisses, je ein verbales und
visuelles Verfahren zur Untersuchung der unmittelbaren und verzögerten Wieder-
gabe von Informationen sowie eine Überprüfung von Lernverläufen (z. B. Wortlis-
ten-Lernen).
Der Wechsler Gedächtnistest - Vierte Version (WMS-IV) ist ein Einzeltestverfahren
zur Erhebung verschiedener Gedächtnis- und Arbeitsgedächtnisfähigkeiten im Alter
von 16 bis 90 Jahren, der in Form einer Testbatterie die geforderten Bereiche um-
fassend prüft (s. Tab. 1). Die Deutsche Version der WMS-IV ist eine Adaptation der
amerikanischen Version (Pearson, 2009). Die WMS-IV enthält neben dem Kogniti-
ven Kurzscreening, insgesamt sechs weitere Untertests. Vier der Untertests (Logi-
sches Gedächtnis, Verbale Paarerkennung, Muster Positionieren und Visuelle Wie-
dergabe) sind in zwei Phasen unterteilt: die unmittelbare Wiedergabe (I) und den
Abruf nach Verzögerung (II) jeweils nach etwa 20 bis 30 Minuten. Einige Untertests
beinhalten zudem auch optionale Aufgaben für zusätzliche Prozessinformationen
WMS-IV
93
(Wiedererkennungsleistungen, zusätzliche Abrufformaten etc.).
Tabelle 1: Abkürzungen und Beschreibungen der Untertests (Petermann & Lepach,
2012; S. 24f).
Untertests/Abkürzung Beschreibung
Kognitives Kurzscree-
ning (16-90 Jahre) /KKS Optionales Screening; Überprüfung kognitiver Funktio-
nen.
Logisches Gedächtnis (16-90 Jahre) / LG I
Freie Wiedergabe von vorgelesenen Geschichten.
LG II Geschichten nacherzählen und „Ja oder Nein“-Fragen
zur Wiedererkennung beantworten
Verbale Paarerkennung (16-90 Jahre) / VPI
Ergänzung von dargebotenen Wortpaaren.
VP II Abruf nach Verzögerung, Wortpaarergänzung nach
Wortauswahl.
Muster Positionieren
(16-69) / MP I
Raster mit Mustern wiedererkennen.
MP II Nach Verzögerung, die in MP I gesehenen Musteran-
ordnungen wiedererkennen.
Visuelle Wiedergabe (16-90 Jahre) / VW I
Muster nachzeichnen.
VW II Nach Verzögerung Muster aus VW II wiedererkennen.
Räumliche Ergänzung (16-69 Jahre) / RE
Raster / Muster bilden.
Symbolfolgen (16-90 Jahre) / SF
Reihenfolge von Symbolen wiedergeben.
Die Untertests werden zu fünf Indizes zugeordnet: Auditives Gedächtnis (AUG), Vi-
suelles Gedächtnis (VIG), Visuelles Arbeitsgedächtnis (VAGD), Unmittelbare Wieder-
gaben (UWG) und Verzögerte Wiedergabe (VWG). Die WMS-IV ist in zwei Testbatte-
rien (Erwachsene I: 16-69 Jahre und Erwachsene II: 65-90 Jahre) unterteilt, die zu-
sammen in insgesamt 14 Altersgruppen zwischen 16 und 90 Jahren differenzieren.
Testbatterie II ist in Länge und Schwierigkeitsgrad an die Bedürfnisse älterer Men-
schen angepasst.
12.4 Ziele
Ziel der Studie war eine repräsentative Standardisierung des Testverfahrens für den
deutschsprachigen Raum (Normierung). Dies beinhaltete auch eine Überprüfung
WMS-IV
94
sämtlicher relevanter Testgütekriterien, um Aussagen über Objektivität, Reliabilität
und Validität des Verfahrens zu leisten. Die Studie sollte außerdem eine Basis für
weitere Validierungsstudien und Erkenntnisse zu diversen Aspekten von Gedächt-
nisleistung über die Lebenspanne liefern. Sie knüpft daher inhaltlich eng an die hier
ebenfalls berichtete Studie „Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen.
Neuropsychologische Befunde zu diagnostischen Kriterien und differentialdiagnosti-
schen Aspekten“ an, erweitert diese aber auf die gesamte Lebenspanne.
12.5 Methodisches Vorgehen
Insgesamt wurden knapp 1.250 Personen zwischen 16 und 90 Jahren mit der deut-
schen Version der WMS-IV getestet. Davon blieben nach Bereinigung 1.040 Daten-
sätze übrig, diese teilten sich in 812 Personen für die Normstichprobe und 228 Teil-
nehmer aus klinischen Stichproben auf. Folgende klinische Störungsbilder wurden in
die Testungen einbezogen: ADHS (N = 16), Depression (F33 und F32 ICD-10; N = 44),
Substanzmissbrauch F10-13 ICD-10; N = 15), diverse Hirnschädigungen (Schlaganfall,
Schädelhirntrauma, Epilepsie, neurologische Störung; N = 91), leichte Intelligenz-
minderung (IQ <70; N = 15), Schizophrenie (F20 ICD-10; N = 17) und Demenz (Alz-
heimer, vaskuläre und andere Demenz, Korsakow; N = 30). Die klinischen Datensät-
ze wurden in 11 Bundesländern, aber überwiegend in Bremen und Niedersachsen
erhoben.
Die Erhebung der Normstichprobe erfolgte in 16 Bundesländern und wurde diese
wurde repräsentativ für Geschlecht und Bildung nach Zensus (Statistisches Bundes-
amt, 2011) stratifiziert. Für die Altersgruppen bis 64 Jahre wurde eine Gleichvertei-
lung des Geschlechts zu Grunde gelegt, für die älteren Personen überwiegt der
Frauenanteil (gemäß Zensus).
Es wurde in vier Bildungsgrade unterschieden: < 8 J. (kein Abschluss, noch Schüler,
Sonderschulabschluss); 8-9 J. (Volks- oder Hauptschulabschluss); 10-11 J. (Realschu-
le, Polytechnische Oberschule; ≥ 12 J. (Fach- oder allgemeine Hochschulreife und
ggf. Studium). Für die WMS-IV Testbatterie Erwachsene I (16-69 J.) wurden neun
Altersgruppen (16-17, 18-19, 20-24, 25-29, 30-34, 35-44, 45-54, 55-64, 65-69) erho-
ben; für die Testbatterie Erwachsene II (65-90J.) fünf (65-69, 70-74, 75-79, 80-84,
85-90). Die Altersgruppe 65-69 J. ist in beiden Testbatterien enthalten und wurde
anhand zwei verschiedener Stichproben erhoben.
In die Normstichprobe wurden nur hirngesunde Personen (Kognitives Kurzscree-
ning unauffällig) aufgenommen, die über für den Test ausreichend erforderliche
Deutschkenntnissen verfügten. Außerdem durften sich während der Testdurchfüh-
rung keine Hinweise auf besondere Einschränkungen, Auffälligkeiten oder Störun-
gen ergeben. Für alle Teilnehmer wurden Einverständniserklärungen (ggf. durch
gesetzliche Vertreter) eingeholt.
WMS-IV
95
Eine Anonymisierung der Daten war durch eine Codierung gesichert. Alle Testungen
wurden durch geschulte Testleiter durchgeführt und jeweils von zwei Experten un-
abhängig ausgewertet. Die Urteilerübereinstimmung lag bei über 95 %. Bei abwei-
chenden Urteilen wurde eine dritte Expertise der Projektverantwortlichen einge-
holt. Zusätzlich erfolgte eine stichprobenartige Gegenkontrolle durch diese. Für die
Dateneingabe wurden eigene Datenbanken mit rückmeldender Eingabemaske er-
stellt, die fehlende Eingaben oder Eingaben außerhalb des erlaubten Wertebereichs
anmahnten. Die Datensätze wurde systematisch auf fehlende Werte und außerge-
wöhnliche Abweichungen kontrolliert und bereinigt.
Im Anschluss an die Datenaufbereitung wurden die WMS-IV-Normdaten anhand
inferentieller Normierungsmethoden entwickelt (Gorsuch, 2003; Roid, 2003, Wil-
kins, Rolfhus, Weiss & Zhu, 2005). Für jede Altersgruppe wurden diverse Momente
(Mittelwerte [M], Standardabweichungen [SD] und Schiefe) berechnet und über das
Alter hinweg geplottet. Dabei wurden diesen Daten mehrere polynomische Regres-
sionsgraden, die von einer einfachen linearen bis hin zu Polynomen 4. Ordnung
reichten, angepasst. Die jeweiligen Funktionen der entsprechenden Werte-
Momente wurden auf Grundlage ihrer Konsistenz mit zugrundeliegenden theoreti-
schen Erwartungen und dem in der Normierungsstichprobe beobachteten Muster
der abnehmenden Kurven gewählt. Die geschätzten Momente wurden dann zur
Entwicklung theoretischer Verteilungen für die Normgruppen genutzt, um Perzenti-
le für die Rohwerte zu erhalten. Diese Perzentile wurden in Standardwerte (Skalen-
wertpunkte) von 1-19 (M 10; SD 3) überführt. Die Progression der Standardwerte
innerhalb und über die Altersgruppen hinweg wurde geprüft und kleinere Unregel-
mäßigkeiten geglättet (Petermann & Lepach, 2012). Für zusätzliche Untertest, die
aufgrund ihrer Beschaffenheit (z.B. hohe Ratewahrscheinlichkeit bei allen Wieder-
erkennungsaufgaben, geringer Schwierigkeitsgrad für Hirngesunde) sehr schiefe,
nicht normalverteilte Maße liefern, wurden anstelle von Skalenwerten kumulierte
Prozentwertbereiche ausgegeben (≤2, 3-9,10-16, 17-25, 26-50, 51-75 und >75).
Desweiteren wurden Kontrastskalenwerte für Leistungsvergleiche basierend auf der
Methode nach Delis et al. (2001) erstellt.
Lediglich anhand der alterskorrigierten Skalenwerte wurden anschließend die
Summen der Untertestskalenwerte für jeden Index gebildet. Diese Summenwerte
wurden wiederum in Skalensummenäquivalente überführt. Diesen resultierenden
Skalenwertsummen wurde für jeden Index eine Skala mit Mittelwert 100 und Stan-
dardabweichung 15 zugewiesen. Dies wurde auf Basis kumulierter Häufigkeitsver-
teilungen für die wahren Skalenwertsummen der Indizes und deren Überführung in
Skalenwertäquivalente erreicht. Zur Bestimmung der Testgüte wurden diverse Reli-
abilitätsmaße, Faktorenanalysen und Stichprobenvergleiche ermittelt. Eine ausführ-
liche Darstellung findet sich bei Petermann und Lepach (2012).
WMS-IV
96
12.6 Ergebnisse
Die Ergebnisse sind in Form des Testmanuals und weiterer Studien (siehe unten)
veröffentlicht worden. An dieser Stelle soll lediglich eine kurze Zusammenfassung
der Testgütekriterien erfolgen.
Objektivität. Bei Einhaltung der Testvorgaben ist ein hohes Maß an Standardisie-
rung für die Durchführung gegeben. Für die Untertests, die Entscheidungen des Be-
urteilers erfordern (Uhrenzeichnen, Visuelle Wiedergabe) wurden Interrater-
Übereinstimmungen von 96% und 97% festgestellt. Es kann insgesamt von einer
hohen Durchführungs- und Auswertungsobjektivität ausgegangen werden.
Reliabilität. Die Untertests der WMS-IV unterscheiden sich u.a. in der Präsentati-
onsform, Durchführung und der Art der geforderten Antwortformate. Dies nimmt
Einfluss auf die Berechnung der Reliabilität (vgl. Strauss, Sherman & Spreen, 2006
für eine Übersicht zur Testgüte bei neuropsychologischen Testbatterien). Reliabilitä-
ten durch Messwiederholungen (Retest-Reliabilitäten) sind bei Gedächtnistest auf-
grund vom Lerneffekten problematisch, weshalb hier untertestabhängig auf mehre-
re andere Methoden der Reliabilitätsprüfung zurückgegriffen wurde. Für die interne
Konsistenzprüfung wurden Split-Half- und Cronbachs-Alpha-Kennwerte berechnet.
Außerdem wurden Stabilitätskoeffizienten für die Untertests verwendet bei denen
interne Konsistenzen ungeeignet waren. Es ergaben sich für die alle Untertests mo-
derate bis hohe Reliabiliätsmaße ( .74 bis .94). Die Indexwerte weisen alle sehr hohe
Reliabilitätsmaße auf ( .88 bis .98). Die Untertests mit kleineren Wertebereichen
erreichten die niedrigsten Reliabilitäten. Die Reliabilitäten der Prozessskalenwerte
fallen niedriger aus als die der Hauptuntertests. Dies ist vermutlich auf die geringe-
ren Wertebereiche und Deckeneffekte oder den Einsatz von Retest-Reliabiliäten
zurückzuführen. Diese Ergebnisse zeigen, dass die WMS-IV als zuverlässiges Testin-
strument betrachtet werden kann.
Validität. Inhaltsvalidität kann anhand der amerikanischen Testkonstruktionsphase
angenommen werden (Pearson, 2009a). Interkorrelationen liefern ebenfalls Hinwei-
se auf die Validität des Verfahrens. Die Interkorrelationen der Untertests zu den
Indizes fallen moderat bis hoch aus. Insgesamt zeigte sich trotz moderater Zusam-
menhänge der Untertests, dass Untertests die ähnliche Funktionen prüfen höher
korrelieren. Die WMS-IV greift auch innerhalb der Skalen auf diverse Teilaspekte
von Gedächtnis zurück. Z.B. gehören die Untertests Logisches Gedächtnis und Ver-
bale Paarerkennung beide zur Skala Auditives Gedächtnis, messen dieses aber in
völlig unterschiedlicher Weise. Erwartungsgemäß ergeben sich moderate Korrelati-
onskoeffizienten. Hohe Korrelationen zwischen einzelnen Untertests werden nicht
erwartet. Moderate Korrelationen zwischen den Skalen sind ebenfalls plausibel, da
es Ähnlichkeiten in der angesprochenen Modalität oder in der Art der Präsentation
oder Items gibt.
Faktorenanalytisch ließen sich die drei Hauptskalen (Auditives und Visuelles Ge-
WMS-IV
97
dächtnis, Visuelles Arbeitsgedächtnis) bestätigen. Klinische Vergleichsstichproben
erbrachten signifikante Leistungsunterschiede und zeigen auf, dass die WMS-IV ge-
eignet ist, im klinischen Bereich zu differenzieren (Lepach & Petermann, 2012; Pe-
termann & Lepach, 2012). Weitere Studien zu Validierungsaspekten werden fortlau-
fend erhoben und veröffentlicht.
12.7 Literatur
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submitted for publication.
Petermann, F. & Lepach, A.C. (Hrsg.) (2012). Wechsler Memory Scale - Fourth
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Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
99
13 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Neuropsychologische Befunde zu diagnostischen Kriterien
13.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Franz Petermann
MitarbeiterInnen
Dr. Anja Lepach, Alja von Stülpnagel, Jörg Eckert
Kooperationspartner
Neurologisches Rehabilitationszentrum Bremen Friedehorst für Kinder und Jugend-
liche
Zeitraum
01.10.2007 - 31.03.2014
Finanzierung
Zentrale Forschungsförderung der Universität Bremen
13.2 Zusammenfassung
Eine Aufnahme eng umschriebener neuropsychologischer Funktionsbeein-
trächtigungen im Kindes- und Jugendalter in das ICD-Klassifikationssystem und da-
mit auch eine Kodierbarkeit und offizielle Anerkennung als Versorgungsleistung ist
nur möglich, wenn es eindeutige diagnostische Kriterien und daraus resultierende
Behandlungsempfehlungen gibt. Ein zentraler Beitrag klinisch orientierter neuro-
psychologischer Forschung liegt daher in der Erhebung von Klassifikationsmerkma-
len von bisher nicht oder nur unzureichend erfasster Störungsbilder. Gedächtnisstö-
rungen im Kindes- und Jugendalter stellen ein wichtiges Störungsbild dar, auf das
bei diesem Forschungsvorhaben fokussiert werden soll. Anhand einer klinischen
Inanspruchnahmestichprobe der Psychologischen Kinderambulanz der Universität
Bremen und des Neurologischen Rehabilitationszentrum Bremen für Kinder und
Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
100
Jugendliche Friedehorst, Bremen, sollen unter Berücksichtigung entwicklungspsy-
chologischer und differentialdiagnostischer Aspekte Untersuchungen zu Gedächt-
nisleistungen vorgenommen werden. Dabei geht es vor allem um die Differenzier-
barkeit von Syndromtypen mit Hilfe von strukturentdeckenden Verfahren.
Übergeordnetes Ziel dieser Pilotstudie sind Erkenntnisse, die die Erstellung von bis-
her fehlenden diagnostischen Kriterien und Behandlungsindikationen für die Diag-
nose einer Gedächtnisstörung im Kindes- und Jugendalter ermöglichen.
13.3 Stand der Forschung
Der Diagnostik und Therapie von Störungen im Bereich der Basisfunktionen wie den
Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozessen kommt eine große Bedeutung zu. Die-
se Funktionen werden grundlegend benötigt, um schulische oder andere kognitive
Alltagsanforderungen bewältigen zu können. Dieser hohen Bedeutung steht ein
Mangel an Definitionen für Störungsbilder und konkreten diagnostischen Kriterien
für diesen Bereich entgegen.
Ein großes Problem für die Anerkennung und damit auch für Behandlungsmöglich-
keiten neuropsychologischer Störungsbilder stellt die mangelnde Berücksichtigung
dieser in den internationalen Klassifikationssystemen dar. Für die in der neuropsy-
chologischen Diagnostik ermittelten Störungen auf Ebene von Teilfunktionen oder -
leistungen, sieht das bisherige ICD-10-Kodierungssystem (Weltgesundheitsorganisa-
tion, 1991) keine differenzierten Kodierungen vor. Objektivierbare Störungen die als
direkte Folge eines Schädelhirntraumas oder anderer neurologischer Störungen
zugeordnet werden können, werden zusammengefasst unter der Diagnose-
Kategorie F06 ICD-10 Sonstige psychische Störungen aufgrund einer Schädigung
oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Erkrankung. Treten nach
einem Schädelhirntrauma vor allem Wesensveränderungen und subjektive kogniti-
ve Leistungseinbußen (meist Aufmerksamkeit und Gedächtnis) ein, wird die Diagno-
se F07.2 ICD-10 Organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma vergeben.
Wesentlich schwieriger wird es bei angeborenen oder erworbenen Störungen, bei
denen keine eindeutige Verursachung auszumachen ist. Diese stellen aber gerade in
der ambulanten Versorgung einen großen Anteil dar. Da sich die Funktionsstörun-
gen und deren emotionale Folgen häufig auf die schulischen Fähigkeiten auswirken
und in Form von Lernstörungen auffällig werden, ist eine ungenaue und unbefriedi-
gende Möglichkeit die Kodierung als nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung
schulischer Fertigkeiten (F 81.9), die aber wiederum nicht zu den abrechenbaren
Leistungen gehört.
Eine Aufnahme häufiger eng umschriebener neuropsychologischer Funktionsbeein-
trächtigungen mit Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes in das ICD-
Klassifikationssystem und damit auch eine Kodierbarkeit und offizielle Anerkennung
Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
101
als abrechnungsfähige Leistung ist nur möglich, wenn es eindeutige diagnostische
Kriterien und daraus resultierende Behandlungsempfehlungen gibt. Ein zentraler
Beitrag klinisch orientierter neuropsychologischer Forschung liegt daher zunächst in
der Erhebung von Klassifikationsmerkmalen von bisher nicht oder nur unzureichend
erfassten Störungsbildern. Gedächtnisstörungen im Kindes- und Jugendalter stellen
ein wichtiges Störungsbild dar, auf das bei diesem Forschungsvorhaben fokussiert
wird.
Gedächtnis
Thöne-Otto und Markowitsch (2004) fassen unter den Begriff Gedächtnisstörung
alle Einbußen des Lernens, Behaltens und des Abrufs gelernter Information. Ge-
dächtnisbeeinträchtigungen können sowohl im Bezug auf die Gedächtnisprozesse
(Einprägen, Behalten und Abruf) als auch auf die Gedächtnissysteme auftreten. Am
häufigsten ist dabei das explizite Gedächtnissystem auffällig. Die expliziten Ge-
dächtnisstörungen können isoliert auftreten und entweder modalitätsübergreifend
(global) oder spezifisch sein oder zusammen mit anderen kognitiven Beeinträchti-
gungen auftreten (sekundäre Gedächtnisstörung). Die Prävalenzrate für organisch
bedingte Beeinträchtigungen von Gedächtnisleistungen variiert nach Rak (2002)
zwischen 36% und 70%. Gedächtnisstörungen gehören beispielsweise zu den be-
sonders häufigen Folgen erworbener Hirnverletzungen. Für den Kinder- und Jugend-
lichenbereich liegen keine eigenen Prävalenzzahlen vor, aber Heubrock und Peter-
mann (2001) konnten exemplarisch für eine ambulante Population aufzeigen, dass
42% aller über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren untersuchten Kinder, die auf-
grund von Entwicklungsauffälligkeiten oder schulischen Leistungsproblemen vorge-
stellt wurden, klinisch bedeutsame Merkfähigkeitsstörungen aufwiesen.
Während eine Störung der Merk- und Lernfähigkeit zu den erwarteten Beeinträchti-
gungen nach Hirnverletzungen gehört, bleiben angeborene oder anderweitig er-
worbene Defizite in diesem Bereich speziell bei Kindern häufig unentdeckt. Beson-
ders erschwert wird die Diagnose, da die Trennschärfe zu anderen Störungsberei-
chen beispielsweise der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit erschwert ist und
differentialdiagnostische Fragen aufwirft. Im Alltag fallen Kinder mit Gedächtnisstö-
rungen häufig durch unspezifische Symptome auf, die wenig Trennschärfe zu ande-
ren Störungsbildern liefern (z. B. planloses, unorganisiertes Verhalten, unvollständi-
ge Handlungen, Vergesslichkeit, häufiges Nachfragen, geringer Lernzuwachs). Eine
weitere Schwierigkeit im Diagnoseprozess stellt die Erkenntnis dar, dass globale
Amnesien im Kindesalter vergleichsweise selten sind, sondern wesentlich häufiger
Teilfunktionen innerhalb der diversen Gedächtnisprozesse und -strukturen betrof-
fen sind. Während auf Systemebene wie oben beschrieben den Störungen des ex-
pliziten Gedächtnisses eine große Bedeutung zukommt, liegt der wichtigste Unter-
schied auf der Prozessebene zwischen Störungen die die Aufnahme, Einspeicherung
und Verfestigung der Informationen betreffen (Speicherstörungen) und solchen, die
Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
102
den Abruf betreffen (Abrufstörungen).
Modalitätsübergreifend zeigen sich Merkfähigkeitsstörungen hauptsächlich unter
komplexeren Lernbedingungen, zum Beispiel bei Reproduktion einer größeren In-
formationsmenge, beim verzögerten Abruf oder bei Wiedergabe zuvor gelernter
Information nach einer Interferenz. Hingegen zeigen die merkfähigkeitsgestörten
Kinder weniger Schwierigkeiten beim unmittelbaren Abruf und Wiedererkennen.
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Gedächtnisstörungen bei einfachen
Testbedingungen übersehen werden können. Das ist besonders relevant wenn man
bedenkt, dass gängige Gedächtnistestaufgaben speziell die unmittelbare Merkspan-
ne beziehungsweise Arbeitsgedächtnisleistungen prüfen (vgl. z.B. Gathercole & Al-
loway, 2006; Gathercole et. al., 2004; Schmid, Zoelch & Roebers, 2008). Deswegen
ist der Einsatz von differentiellen diagnostischen Verfahren, die die Gedächtnisei-
genschaften sowohl unter einfachen als auch unter komplexeren Lernbedingungen
untersuchen, notwendig (Lepach & Petermann, 2010).
Die Diagnostik sollte daher sowohl Prozesse der Informationsaufnahme bezie-
hungsweise Enkodierung (Einprägen, Lernen), des Behaltens neuer Informationen
(kurz-, langfristig) als auch des Abrufs neuer und alter Gedächtnisinhalte (freier Ab-
ruf, Abruf mit Hilfen, Wiedererkennen) berücksichtigen (Erdfelder & Brandt, 2007;
Schuri, 1993, Schuri, 2000). Wichtig ist dabei auch zu beurteilen, inwieweit das Ler-
nen eines neuen Materials früher Gespeichertes stören kann (retroaktive Interfe-
renz) beziehungsweise ob gelerntes Material die anschließende Aufnahme anderer
Information stört (proaktive Interferenz). Ein weiterer wichtiger Beurteilungsfaktor
ist der Lernverlauf, der durch Einprägungswiederholungen sichtbar wird.
Tests mit Lernwiederholungsdurchgängen ermöglichen eine differenzierte Profilbe-
urteilung. Anhand von Fallstudien lassen sich Typen von Merk- und Lernstörungen
(Lepach & Petermann, 2007) vorschlagen, die auch in Kombination auftreten kön-
nen:
• Der unaufmerksame Typ (beeinträchtigte unmittelbare Merkspanne,
schwankende Lernverläufe, Interferenzanfälligkeit, unorganisiertes Ler-
nen),
• der stagnierende Typ (geringer Lernzuwachs, profitiert nicht von Wie-
derholung),
• der vergessliche Typ (behält Informationen nur über kurzen Zeitraum).
Die Merk- und Lernfähigkeit sollte auch in Relation zur Intelligenz und zur Aufmerk-
samkeit sowie weiterer differentialdiagnostischer Faktoren betrachtet werden.
Eine weitere Schwierigkeit in der Beurteilung von Gedächtnisleistungen bei Kindern
ist, dass entwicklungsbezogene Aspekte berücksichtigt werden müssen. Dafür spie-
len biologisch-funktionelle und entwicklungspsychologische Aspekte eine Rolle.
Es werden komplex interagierende biopsychosoziale Faktoren angenommen, die die
Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
103
individuelle Merk- und Lernfähigkeit gestalten. Während früher eher davon ausge-
gangen wurde, dass es entweder primär von Umweltfaktoren abhänge was und wie
viel Kinder lernen oder primär durch Gene und Hirnstrukturen vorhergesagt werde,
wird heute als wahrscheinlich gesehen, dass nicht nur eine Kombination aus biologi-
schen Vorrausetzungen und Umwelteindrücken darüber entscheiden, sondern diese
sich auch gegenseitig stark beeinflussen. Biologische Limitationen in der Anpas-
sungsfähigkeit des Organismus an die durch Lernprozesse initiierten Veränderungen
spielen demnach besonders dann eine Rolle, wenn sie nicht ausreichend durch an-
dere (Umwelt-)faktoren kompensiert werden können. Dies kann beispielsweise bei
Schädigungen hippokampaler Strukturen (z. B. bei Temporallappenepilepsien) an-
genommen werden. Den hippokampalen Strukturen kommt bekanntermaßen eine
wesentliche Bedeutung für das explizite Gedächtnis zu (Townsend et al., 2010).
Zur Definition von Merk- und Lernstörungen gehört die Frage, welche Gedächtnis-
kapazität und Ausnutzung dieser durch Strategien und metakognitive Prozesse als
altersgemäß zu betrachten ist. Für eine umfassende entwicklungspsychologische
Betrachtung verweisen wir an dieser Stelle unter anderem auf Berk (2005); Kail
(2004); DeMarie und Ferron (2003); Hasselhorn und Grube (2006); Meijs et al.
(2009); Schlagmüller und Schneider (2002); Schneider und Büttner (2002); Schnei-
der, Hasselhorn und Körkel (2003) und Siegler, DeLoache und Eisenberg (2005).
13.4 Ziele
Anhand einer klinischen Stichprobe der Psychologischen Kinderambulanz der Uni-
versität Bremen und des Neurologischen Rehabilitationszentrums für Kinder und
Jugendliche Friedehorst, Bremen, sollten mit einer standardisierten Testbatterie
Untersuchungen zu Gedächtnisleistungen und differentialdiagnostischen Aspekten
vorgenommen werden. Ziel dieser Untersuchungen sind Erkenntnisse, die die Er-
stellung von bisher fehlenden diagnostischen Kriterien und Behandlungsindikatio-
nen für die Diagnose einer Gedächtnisstörung im Kindes- und Jugendalter ermögli-
chen. Dabei geht es vor allem um die Differenzierbarkeit von Syndromtypen mit
Hilfe von strukturentdeckenden statistischen Modellen.
Nur wenn ausreichend viele Studien zu neuropsychologischen Störungsbildern und
deren Behandlung vorliegen, besteht die Möglichkeit, dass diese in zukünftigen Di-
agnose- und Klassifikationssystemen Berücksichtigung finden. Bisher ist die klinische
Relevanz der Störungsbilder, hier am Beispiel der Gedächtnisstörungen, zwar in
klinischen Settings unbestritten, aber aufgrund der erforderlichen Kodierung nach
standardisierten Diagnosen nur unzureichend deklarierbar.
Die Erstellung entsprechender Kriterien ist ein wichtiger Beitrag zur Anerkennung
dieses Störungsbildes und damit ein erster Schritt, den betroffenen Kindern den
Zugang zu gezielten Behandlungsmaßnahmen zu ermöglichen.
Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
104
In der Fortsetzung des explorierend angelegten Projekts sollen die erhobenen Daten
weiter systematisiert, vervollständigt und zur Veröffentlichungen aufbereitet wer-
den.
13.5 Methodisches Vorgehen
Es handelt sich um eine explorierende Studie, die vor allem auch der Hypothesen-
generierung für weitere Studien dienen soll. Geprüft werden soll die Differenzier-
barkeit von Syndromtypen von Gedächtnisstörungen anhand von diagnostischen
Merkmalen auf verschiedenen Ebenen (krankheitsnahen Variablen, Variablen des
Verhaltens und Erlebens, Leistungsmerkmalen, etc.). Ziel ist auch, die Menge an
Prädiktoren bzw. Diagnosekriterien auf ein praktisch handhabbares Maß zu reduzie-
ren.
Kinder in der Altersgruppe von neun bis 14 Jahren wurden in Kooperation mit dem
Neurologischen Rehabilitationszentrum Bremen Friedehorst standardisiert neuro-
psychologisch untersucht (siehe Tab. 1). Der angestrebte Stichprobenumfang betrug
150 für die klinische Gruppe und 50 für eine nicht klinische Vergleichsgruppe. Eine
Gleichverteilung von Geschlecht und Altersgruppen wurde angestrebt. Die Zuord-
nung erfolgte anhand folgender Kriterien:
Einschlusskriterien
• Vorliegen oder Verdacht auf neuropsychologische Funktionsstörung im
Bereich der Gedächtnisleistungen.
• Alter zwischen 9 und 14 Jahren;
• freiwilliges Einverständnis, Einverständniserklärung der Erziehungs-
berechtigten;
Ausschlusskriterien
• Geistige Behinderung oder massiver, mehrjähriger Entwicklungsrück-
stand;
• bekanntes übergeordnetes Störungsbild (z.B. genetisches Syndrom);
• aktueller Drogen- oder Substanzmissbrauch.
Die Untersuchung erfolgte mit einer speziell zusammengestellten neuropsychologi-
schen Testbatterie bestehend aus Standardverfahren zu den Bereichen Gedächtnis,
Intelligenz und Aufmerksamkeit (Tab. 1). Die Antragstellerin erstellte für das Projekt
außerdem Selbst- und Fremdbeurteilungsfragebogen bezüglich der Gedächtnisleis-
tungen, der zur Entwicklung einer Symptomcheckliste auf der Erlebensebene die-
nen soll. Das Projekt wurde mit einem Verlängerungsantrag seit dem 1.4.2011 fort-
geführt und befindet sich derzeit planmäßig im Übergang zu Phase 5.
Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
105
Tabelle 1: Neuropsychologische Testbatterie.
Funktionsbe-reich
Testverfahren/ Unterskalen/-tests
Abkürzung/ Autoren
Alter
Merk- und Lern-fähigkeit
BASIC-Merk- und
Lernfähigkeitstest
BASIC-MLT Lepach & Petermann
(2008)
6;0 bis 16;11
Jahre
Intelligenz Hamburg-WECHSLER-
Intelligenztest für Kin-
der
WISC
Petermann & Petermann
(2011)
6;0 bis 16;11
Jahre
Aufmerksamkeit Untertests (UT) aus
der Testbatterie zur
Aufmerksamkeits-
prüfung
TAP Zimmermann & Fimm
(2002)
66-90 Jahre
(abhängig
vom UT)
13.6 Ergebnisse
Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Diverse Teilergebnisse des Projekts konn-
ten jedoch bereits veröffentlicht werden.
13.7 Literatur
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Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen
108
Petermann, F. & Lepach, A.C. (2007). Klinische Kinderneuropsychologie. Kindheit
und Entwicklung, 16, 1-6.
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
109
14 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen - eine bedarfsorientierte Frühförderung
14.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Ulrike Petermann
Mitarbeiterin
Dr. Ina Schreyer-Mehlhop
Zeitraum
01.10.2007 - 30.09.2010
Finanzierung
FNK-Mittel der Universität Bremen
14.2 Zusammenfassung
Das vorliegende Projekt beschäftigte sich mit dem Rahmenthema „Verhaltensauffäl-
ligkeiten bei Kindern im Vorschulalter“. Hierzu wurden verschiedene diagnostische
Aspekte beleuchtet. Anschließend wurde der Zusammenhang von Verhaltensauffäl-
ligkeiten mit weiteren Risikofaktoren untersucht, wobei auch der Entwicklungsstand
der Kinder Berücksichtigung fand. Ebenfalls wurden das mütterliche Erziehungsver-
halten und der Migrationsstatus der Kinder als Risikofaktoren in die Betrachtung mit
einbezogen. Abschließend wurden die Auswirkungen unterschiedlich stark ausge-
prägter Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten auf die gesundheitsbezogene
Lebensqualität der Kinder untersucht. Ferner wurden der Einfluss des kindlichen
Migrationsstatus und des sozioökonomische Status auf die gesundheitsbezogene
Lebensqualität der Kinder betrachtet.
14.3 Stand der Forschung
Es liegt eine Vielzahl von Arbeiten vor, die sich mit Verhaltensauffälligkeiten bei
Kindern und Jugendlichen beschäftigt haben. Überschaubarer werden die Studien,
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
110
wenn man sich speziell auf das Vorschulalter konzentriert. Betrachtet man den For-
schungsstand für entwicklungsauffällige Kinder im Vorschulalter, liegen nur wenige
Studien vor. In den vorliegenden Untersuchungen wurde daneben zumeist nur ein
Entwicklungsbereich, wie zum Beispiel die motorische Entwicklung, beleuchtet. Im
deutschsprachigen Raum existieren vorwiegend Studien, die die Beziehung zwi-
schen Verhaltensauffälligkeiten und elterlichem Erziehungsverhalten an älteren
Kindern untersuchten. Darüber hinaus liegen Studien zur Lebensqualität der Kinder
bisher nur für Verhaltensauffälligkeiten an zumeist älteren Kindern vor. Der Einfluss
von Entwicklungsauffälligkeiten blieb bislang unberücksichtigt. Im Unterschied zu
bisher vorliegenden Studien zielt die vorliegende Arbeit darauf ab, Verhaltensauffäl-
ligkeiten im Vorschulalter systematisch unter Einbezug des Entwicklungsstatus zu
untersuchen. Aufgrund der beträchtlichen Anzahl an Kindern mit einem Migrations-
hintergrund soll dabei der Einfluss des Migrationsstatus berücksichtigt werden, da
dies bislang in Studien vernachlässigt wurde. In einem weiteren Schritt soll die ge-
sundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder untersucht werden. Hierbei sollen
neben dem Einfluss von Verhaltensauffälligkeiten auch der Einfluss von Entwick-
lungsauffälligkeiten sowie das komorbide Auftreten beleuchtet werden.
14.4 Ziele
Es sollten die folgenden Fragestellungen beantwortet werden:
1. Welchen Einfluss haben Entwicklungsauffälligkeiten und der Migrationsstatus
eines Kindes auf die Beurteilung von Verhaltensauffälligkeiten bei Eltern und Er-
zieherinnen?
2. Weisen Kinder mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Kindern ohne Migra-
tionshintergrund vermehrt Verhaltensauffälligkeiten im Eltern- und Erzieherin-
nenurteil auf?
3. Welche Erziehungspraktiken von Müttern stehen mit welchen internalisieren-
den und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten von Kindern im Vorschul-
alter in Zusammenhang und welche Erziehungspraktiken sind mit positivem So-
zialverhalten der Kinder assoziiert? (Schreyer-Mehlhop & Petermann, 2011)
4. Welchen Einfluss haben das kindliche Geschlecht und der Migrationsstatus der
Kinder auf die Erziehungspraktiken der Mütter?
5. Wie wirkt sich das Vorhandensein von Entwicklungsauffälligkeiten und/oder
Verhaltensauffälligkeiten auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kin-
der aus?
6. Unterscheidet sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern im
Vorschulalter mit und ohne Migrationshintergrund?
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
111
14.5 Methodisches Vorgehen
Die Fragestellungen dieser Arbeit wurden an Kindern zwischen 36 und 72 Monaten
getestet. Die Rekrutierung der Kinder erfolgte in Kindergärten in Bremen und dem
Bremer Umland. Es wurden Kindergärten aus verschiedenen Stadtteilen in Bremen
und dem Bremer Umland bei der Untersuchung berücksichtigt, so dass sowohl sozi-
al bevorzugte, als auch sozial benachteiligte Stadtteile vertreten waren. Nach einem
telefonischen Erstkontakt bekamen die Leiter der Kindergärten ein Informations-
schreiben über das Projekt zugeschickt und wurden im persönlichen Kontakt über
die genauen Ziele der Untersuchung aufgeklärt. Willigten die Leiter der Kindergär-
ten ein, an der Untersuchung teilzunehmen, wurden die Eltern informiert. Alle El-
tern wurden schriftlich ausführlich über das Forschungsvorhaben informiert und das
schriftliche Einverständnis der Eltern wurde vor Beginn der Testdurchführungen
eingeholt.
Um den Entwicklungsstatus der Kinder zu bestimmen, wurde mit den Kindern ein
Entwicklungstest (Petermann, Stein & Macha, 2008) durchgeführt. Wiesen die Kin-
der ein auffälliges Ergebnis im Entwicklungstest auf, wurden sie der Gruppe der
entwicklungsauffälligen Kinder zugeteilt. Dies bedeutete, dass die Kinder in mindes-
tens drei Entwicklungsdimensionen ein Ergebnis erzielten, welches zwischen einer
und zwei Standardabweichungen unter der alters- und geschlechtsspezifischen
Norm lag oder sich mindestens zwei Entwicklungsdimensionen mehr als zwei Stan-
dardabweichungen unterhalb dieser Norm befanden. Die Eltern füllten einen Eltern-
fragebogen aus, der prä-, peri- und postnatale Risiken sowie soziodemographische
Angaben erfasste. Daneben wurden den Eltern Fragen zum Erziehungsverhalten
und zu ihrer Lebensqualität gestellt. Auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität
der Kinder wurde im Elternurteil erhoben. Verhaltensstärken und -schwächen der
Kinder wurden mittels des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ; Klasen,
Woerner, Rothenberger & Goodman, 2003; Koglin, Barquero, Mayer, Scheithauer &
Petermann, 2007) im Eltern- und Erzieherurteil erfasst. Die Erzieherinnen füllten
zusätzlich den Verhaltensbeurteilungsbogen für Vorschulkinder (VBV 3-6; Döpfner
et al., 1993) aus, mit dem ebenfalls Verhaltensauffälligkeiten erfasst werden kön-
nen. Die Angaben zu Verhaltensauffälligkeiten wurden von den Eltern und den Er-
zieherinnen eingeholt, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten und um po-
tenzielle Abweichungen zwischen den Eltern und Erzieherinnen klassifizieren zu
können (vgl. Tab. 1).
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
112
Tabelle 1: Übersicht über die Erhebungsinstrumente.
Erhebungsbereich Instrument
Entwicklungsstand Entwicklungstest sechs Monate bis sechs Jahre (ET 6-
6; Petermann et al., 2008)
Verhaltensauffälligkeiten
(Eltern- und Erzieherin-
nenangaben)
Strengths and Difficulties Questionnaire in der El-
tern- und Erzieherversion (SDQ; Klasen et al. 2003;
Koglin et al., 2007); Verhaltensbeurteilungsbogen für
Vorschulkinder in der Erzieherversion (VBV 3-6;
Döpfner et al., 1993)
Erziehungsverhalten Modifizierte Fassung des Alabama Parenting
Questionnaire (APQ; Frick, 1991)
Lebensqualität Fragebogen zur Erfassung der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität der Kinder (Kiddy-Kindl-R; Ravens-
Sieberer & Bullinger, 2000); Fragebogen zur Erfas-
sung der Lebensqualität der Eltern (EUROHIS-QOL;
The WHOQOL Group, 1998a; 1998b)
Migrationsstatus Geburtsland des Kindes, Geburtsland beider Eltern,
zu Hause vorwiegend gesprochene Sprache
Soziodemografische Daten Fragebogen (Eigenentwicklung)
14.6 Ergebnisse
Einfluss von Entwicklungsauffälligkeiten und Migrationsstatus eines Kindes auf die Beurteilung von Verhaltensauffälligkeiten bei Eltern und Erzieherinnen
Für die Gesamtstichprobe lagen die Korrelationen im Mittel bei .25. In der Unter-
gruppe der entwicklungsunauffälligen Kinder lag der Mittelwert bei .29 und bei den
Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten bei .16. Hier zeigt sich, dass die Beurteilun-
gen von Eltern und Erzieherinnen bei entwicklungsauffälligen Kindern weniger ü-
bereinstimmen als bei unauffälligen Kindern. Als signifikant erwiesen sich die Unter-
schiede in der Höhe der Korrelationen bei den Skalen „Verhaltensprobleme“ (Z =
2.91, p < .01) sowie „Gesamtproblemwert“ (Z = 2.33, p < .05). Ein tendenzieller Un-
terschied zeichnete sich auf der Skala „Hyperaktivität“ ab (Z = 1.68, p < .10). Es ist
davon auszugehen, dass es sowohl Eltern als auch Erzieherinnen schwerer fällt, ag-
gressives Verhalten und hyperaktives Verhalten bei Kindern mit Entwicklungsauffäl-
ligkeiten übereinstimmend einzuschätzen im Vergleich zu Kindern ohne Entwick-
lungsauffälligkeiten. Für Kinder mit einem Migrationshintergrund ergab sich nur für
die Skala „Prosoziales Verhalten“ eine mittlere Übereinstimmung zwischen Eltern
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
113
und Erzieherinnen (r = .39, p > .01), für alle anderen Skalen traten keine signifikan-
ten Übereinstimmungen auf.
Verhaltensauffälligkeiten im Eltern- und Erzieherinnenurteil bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund
Signifikante Effekte für das Erzieherurteil traten bei Kindern mit einem Migrations-
hintergrund auf den Skalen „Verhaltensprobleme“, „Hyperaktivität“ sowie „Prosozi-
ales Verhalten“ des SDQ auf. Für Kinder mit einem Migrationshintergrund gaben die
Erzieherinnen signifikant höhere Werte für Verhaltensprobleme und Hyperaktivität
an als für Kinder ohne Migrationshintergrund. Für das prosoziale Verhalten gaben
die Erzieherinnen bei den Kindern mit Migrationshintergrund niedrigere Werte an
als bei den Kindern ohne Migrationshintergrund. Für das Elternurteil des SDQ konn-
ten signifikante Effekte des Migrationshintergrunds für die Skalen „Verhaltensprob-
leme“ und „Probleme mit Gleichaltrigen“ belegt werden. Für Kinder mit einem
Migrationshintergrund gaben die Eltern auf beiden Skalen höhere Werte an als für
Kinder ohne Migrationshintergrund. Weiterhin ergab sich ein tendenzieller Unter-
schied für die Skala „Emotionale Probleme“. Auch hier schätzten Eltern die Kinder
mit einem Migrationshintergrund als stärker belastet ein.
Entwicklungsauffälligkeiten bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund
In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass sich der Entwicklungsstatus
von Kindern mit einem Migrationshintergrund in einigen Bereichen vom Entwick-
lungsstatus von Kindern ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Diese bislang in
dieser Form unveröffentlichten Ergebnisse sollen nachfolgend dargestellt werden.
Zur Beantwortung der Fragestellung, ob Kinder mit Migrationshintergrund im Vor-
schulalter mehr Entwicklungsauffälligkeiten aufweisen als Kinder ohne Migrations-
hintergrund wurden die Häufigkeiten für alle Entwicklungsbereiche des ET 6-6 ver-
glichen. Für die Körper- und Handmotorik der Kinder ließen sich keine signifikanten
Zusammenhänge in den Häufigkeiten feststellen. Auch für die Entwicklungsbereiche
Gedächtnis, Handlungsstrategien sowie die soziale Entwicklung konnten keine Zu-
sammenhänge nachgewiesen werden.
Für die nachfolgenden Entwicklungsbereiche zeigten sich signifikante Zusammen-
hänge mit dem Migrationshintergrund der Kinder: Körperbewusstsein, Zahlen nach-
sprechen, emotionale Entwicklung sowie Sprachentwicklung (rezeptive und expres-
sive Sprachentwicklung). Ferner ließ sich ein tendenzieller Zusammenhang zu Kate-
gorisieren feststellen. Das Risiko der Kinder mit Migrationshintergrund, ein auffälli-
ges Ergebnis für den Entwicklungsbereich Körperbewusstsein zu erlangen, ist 2,78-
mal so hoch wie das der Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=2.78, 95% KI =
1.86-4.15). Das Risiko der Kinder mit Migrationshintergrund, ein auffälliges Ergebnis
für den Entwicklungsbereich Zahlen nachsprechen zu erlangen, ist 1,97-mal so hoch
wie das der Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=1.97, 95% KI = 1.22-3.17). Für
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
114
die emotionale Entwicklung zeigte sich, dass das Risiko der Kinder mit Migrations-
hintergrund 2,38-mal so hoch ist, hier ein auffälliges Ergebnis zu erlangen (RR=2.38,
95% KI = 1.33-4.23). Für die expressive Sprachentwicklung ist das Risiko 3,03 mal so
hoch für Kinder mit Migrationshintergrund, ein auffälliges Ergebnis zu erhalten, wie
für Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=3.03, 95% KI = 1.70-5.41). Für den Ent-
wicklungsbereich „Kategorisieren“ zeigte sich, dass das Risiko der Kinder mit Migra-
tionshintergrund, hier ein auffälliges Ergebnis zu erhalten, 2,09-mal so hoch ist, wie
dasjenige der Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=2.09, 95% KI = .89-4.88).
Zusammenhang zwischen Erziehungspraktiken von Müttern und internalisie-renden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten von Kindern im Vorschulalter
Korrelationsanalysen zeigten, dass „Geringes Monitoring und inkonsistente Erzie-
hungspraktiken“ sowie „Bestrafende Erziehungspraktiken“ signifikant positiv mit
den Skalen „Verhaltensprobleme“ und „Hyperaktivität“ korrelierten. Auch für „Ge-
ringes Monitoring und inkonsistente Erziehungspraktiken“ und „Emotionale Prob-
leme“ ließ sich ein positiver Zusammenhang feststellen. Signifikante negative Zu-
sammenhänge mit positiven Erziehungspraktiken ergaben sich für die Skalen „Emo-
tionale Probleme“, „Hyperaktivität“ sowie „Probleme im Umgang mit Gleichaltri-
gen“. Positive Erziehungspraktiken hingen signifikant positiv mit dem prosozialen
Verhalten der Kinder zusammen. Gaben die Mütter höhere Werte für positive Er-
ziehungspraktiken an, berichteten sie auch für ihre Kinder höhere Werte auf der
Skala „Prosoziales Verhalten“. Erwartungsgemäß ergab sich ein negativer Zusam-
menhang zwischen negativen mütterlichen Erziehungspraktiken mit der Skala „Pro-
soziales Verhalten“. Abweichend von den bivariaten Analysen zeigten die regressi-
onsanalytischen Ergebnisse, dass insbesondere „Geringes Monitoring und inkonsis-
tente Erziehungspraktiken“ emotionale Probleme vorhersagten, während positive
Erziehungspraktiken nicht mehr signifikant wurden. Für die Skala „Hyperaktivität“
spezifizierten die regressionsanalytischen Ergebnisse die Korrelationsanalysen. Nur
noch die positiven Erziehungspraktiken hatten einen signifikanten Effekt in negati-
ver Richtung. Die Skalen „Geringes Monitoring und inkonsistente Erziehungsprakti-
ken“ sowie „Bestrafende Erziehungspraktiken“ wurden nicht mehr signifikant. Der
Effekt der Variable „Geschlecht“ erwies sich in negativer Richtung für „Hyperaktivi-
tät“ als signifikant. In Bezug auf die Skala „Prosoziales Verhalten“ wird in den Reg-
ressionsanalysen ersichtlich, dass im Vergleich zu den Korrelationen nur noch „Posi-
tive Erziehungspraktiken“ einen positiven Einfluss und „Bestrafende Erziehungs-
praktiken“ einen negativen Einfluss hatten, während der Effekt von „Geringem Mo-
nitoring und inkonsistenten Erziehungspraktiken“ nicht mehr als signifikant bewer-
tet werden konnte.
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
115
Einfluss des kindlichen Geschlechts und Migrationsstatus der Kinder auf die Erziehungspraktiken der Mütter
In der multivariaten Varianzanalyse zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt für das
kindliche Geschlecht (F(3,177) = 3.76, p < .05) und eine tendenzielle Interaktion zwi-
schen dem Geschlecht und dem Migrationsstatus der Kinder (F(3,177) = 2.19, p <
.10). Für den Migrationsstatus ergab sich kein signifikanter Haupteffekt. In weiter-
gehenden univariaten Analysen wurde deutlich, dass der Einfluss des kindlichen
Geschlechts und des Migrationsstatus besonders bei der Skala „Positive Erziehungs-
praktiken“ zum Tragen kam. Die Mütter von Jungen gaben niedrigere Werte für
positive Erziehungspraktiken an als die Mütter von Mädchen (MJungen = 67.80, SD
= 6.85; MMädchen= 69.99, SD = 5.12; F(1,179) = 10.82, p < .001). Die Mütter der
Kinder mit einem Migrationshintergrund gaben niedrigere Werte für positives Er-
ziehungsverhalten an als die Mütter von Kindern ohne Migrationshintergrund
(Mmit Migrationshintergrund = 66.73, SD = 7.77; Mohne Migrationshintergrund =
69.44, SD = 5.48; F(1,179) =5.72, p < .05). Angeschlossene t-Tests zeigten für die
Interaktion, dass bei den Kindern mit Migrationshintergrund die Mütter von Jungen
weniger positive Erziehungspraktiken einsetzten als die Mütter von Mädchen (t (46)
= -2.70, p < .01), während sich bei den Müttern von Kindern ohne Migrationshin-
tergrund kein geschlechtsspezifischer Effekt zeigte.
Auswirkungen der Entwicklungsauffälligkeiten und/oder Verhaltensauffälligkeiten auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder
In der multivariaten Varianzanalyse zeigte sich ein signifikanter Effekt für die Grup-
pen (F(18,537) = 2.33, p < .01) und auch die univariaten Analysen für den Faktor
„Gruppe“ zeigten für alle Skalen, bis auf die Skala „Familie“, signifikante Gruppenef-
fekte (vgl. Schreyer et al., 2011). Für das körperliche Wohlbefinden der Kinder tra-
ten signifikante Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe der ver-
haltensauffälligen Kinder auf (p < .01). Die Mütter der verhaltensauffälligen Kinder
gaben niedrigere Werte für das körperliche Wohlbefinden ihrer Kinder an als die
Mütter der gesunden Kontrollkinder. Die Kinder mit komorbiden Entwicklungs- und
Verhaltensauffälligkeiten erzielten signifikant niedrigere Werte für das körperliche
Wohlbefinden als die Kinder der gesunden Kontrollgruppe im Urteil ihrer Mütter (p
< .001). Ferner zeigte sich ein Unterschied zwischen der Gruppe der entwicklungs-
auffälligen Kindern und der Gruppe mit den komorbiden Auffälligkeiten (p < .05).
Kinder mit komorbiden Auffälligkeiten erhielten niedrigere Werte von ihren Müt-
tern für das körperliche Wohlbefinden als die entwicklungsauffälligen Kinder.
Für das psychische Wohlbefinden der Kinder traten signifikante Unterschiede zwi-
schen der Kontrollgruppe und der Gruppe der verhaltensauffälligen Kinder (p < .01)
auf. Die Mütter der verhaltensauffälligen Kinder gaben für das psychische Wohlbe-
finden ihrer Kinder signifikant niedrigere Werte an als die Mütter der gesunden
Kontrollgruppe. Auch die Kinder mit komorbiden Entwicklungs- und Verhaltensauf-
Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen
116
fälligkeiten erhielten signifikant niedrigere Werte für das psychische Wohlbefinden
als die Kinder der gesunden Kontrollgruppe (p < .01). Für die Skala „Selbstwert“ des
Kiddy-KINDL-R berichteten die Mütter von entwicklungsauffälligen Kindern signifi-
kant niedrigere Werte für das Selbstwertgefühl ihrer Kinder als Mütter unauffälliger
Kinder (p < .05). Gleichermaßen berichteten die Mütter von Kindern, bei denen so-
wohl Entwicklungs- als auch Verhaltensauffälligkeiten auftraten, signifikant niedri-
gere Werte für das Selbstwertgefühl ihrer Kinder als Mütter unauffälliger Kinder (p
< .001). Für die Skala „Familie“ erhielten die verhaltensauffälligen Kinder von ihren
Müttern niedrigere Werte als die unauffälligen Kinder (p < .05). Für die Skala
„Freunde“ zeigte sich, dass die Mütter der Gruppe der entwicklungsauffälligen Kin-
der auf dieser Skala signifikant höhere Werte für ihre Kinder angaben als die Mütter
der Kinder mit gleichzeitig bestehenden Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten
(p < .05). Für die letztgenannte Gruppe (EA+VA) traten daneben signifikant niedrige-
re Werte für die Lebensqualität im Bereich „Freunde“ (p < .001) und für die Skala
„Funktionsfähigkeit im Alltag (Kita)“ (p < .01) gegenüber der Kontrollgruppe auf.
Unterscheidet sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern im Vor-
schulalter mit und ohne Migrationshintergrund? (Schreyer & Petermann, 2010).
Signifikante Effekte für den Migrationshintergrund traten auf den Subskalen „Psy-
chisches Wohlbefinden“ und „Selbstwert“ des Kiddy-KINDL-R auf. Die Migrati-
onsgruppe wurde von ihren Eltern hinsichtlich ihres psychischen Wohlbefindens
und ihres Selbstwertes niedriger eingeschätzt als die Kinder ohne Migrationshin-
tergrund. Eine signifikante Wechselwirkung für „Migrationshintergrund x sozioöko-
nomischer Status“ ergab sich für das körperliche Wohlbefinden (F(1,137) = 4.13, p <
.05). Im Einzelnen zeigte sich, dass die Eltern für Kinder ohne Migrationshintergrund
und mit hohem sozioökonomischen Status ein signifikant höheres körperliches
Wohlbefinden angaben als für Kinder mit Migrationshintergrund und hohem sozio-
ökonomischen Status (t(145) = 2.70, p < .01). Weiterhin zeigte sich ein signifikanter
Interaktionseffekt für den Migrationshintergrund und das Geschlecht. Für Mädchen
ohne Migrationshintergrund gaben die Eltern signifikant höhere Werte für das fami-
liäre Wohlbefinden an als für Mädchen mit Migrationshintergrund (t(88) = 2.41, p <
.05).
14.7 Literatur
Döpfner, M., Berner, W., Fleischmann, T. & Schmidt, M. (1993). Verhaltensbeurtei-
lungsbogen für Vorschulkinder (VBV 3-6). Weinheim: Beltz.
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gie, 18, 119-129.
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Verhaltensauffälligkeiten von Kindern im Vorschulalter. Zeitschrift für Entwick-
lungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 43, 39-48.
Teil II: Klinische Psychologie
119
Teil II: Klinische Psychologie
In dieser Sektion sind elf Forschungsprojekte angesiedelt, die im Wesentlichen dem
Bereich der Klinischen Kinderpsychologie zugeordnet werden können. Drei Projekte
repräsentieren Fragestellungen der Klinischen Psychologie des Erwachsenenalters;
ein Projekt stellt eine Patientenschulungsstudie dar, die aus Mitteln der BMBF
(Schwerpunkt „Pflegeforschung“) finanziert wurde. Dieses Projekt stellt eine enge
inhaltliche Nähe zur medizinischen Rehabilitationsforschung dar, die in Teil III vor-
gestellt wird.
Depression im Jugendalter
121
1 Depression im Jugendalter
1.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
MitarbeiterInnen
Dipl.-Psych. Angelika Kullik
Dr. Julia Jaščenoka
Dipl.-Psych. Karin Rachuy
PD Dr. Falk Hoffmann, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen
PD Dr. med. Christian J. Bachmann, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -
psychotherapie Gießen und Marburg
Kooperationspartner
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen
Prof. Dr. Cecilia A. Essau, Centre for Applied Research and Assessment in Child and
Adolescent Wellbeing (CARACAW), Roehampton University Whitelands
Prof. Dr. Ute Koglin, Universität Bremen
Zeitraum
01.07.2011 - 30.06.2012
Finanzierung
Stiftungsmittel
1.2 Zusammenfassung
Bereits vor einigen Jahren konnte die Bremer Jugendstudie bedeutsame Prävalenz-
zahlen psychischer Störungen aufzeigen (Essau, Karpinski, Petermann & Conradt,
1998). Derzeit mangelt es an Studien, die aktuelle Daten zur Verbreitung psychi-
scher Störungen und deren Behandlung bei Jugendlichen liefern. Die vorliegende
Untersuchung untergliederte sich in zwei Teile. In Teil 1 wurden mit 333 Schülerin-
nen und Schülern zwischen 12 und 17 Jahren aus der Stadt Bremen vollstandardi-
sierte, klinische Interviews zur Messung von Lebenszeitprävalenzen psychischer
Depression im Jugendalter
122
Störungen durchgeführt. Ferner wurden anhand eines Fragebogenkatalogs umfas-
sende Angaben zu psychischen Belastungen der Jugendlichen erhoben. Die ersten
Ergebnisse zeigten, dass insgesamt 108 Jugendliche (32.4%) die Diagnosekriterien
einer psychischen Störung erfüllten. 44 Jugendliche (13.2%) wiesen eine Affektiven
Störungen auf. Diese Ergebnisse entsprechen Prävalenzschätzungen früherer Stu-
dien und betonen die Notwendigkeit einer frühzeitigen Prävention und Interventi-
on. In Teil 2 wurden die Routinedaten der Gmünder ErsatzKasse (GEK) von Jugendli-
chen zwischen 12 und 18 Jahren aus dem Jahr 2009 bezüglich der Häufigkeit und
Behandlung depressiver Störungen analysiert. Von 140563 erfassten Jugendlichen
wiesen 4295 Jugendliche (3.1%) 2009 mindestens eine Diagnose einer depressiven
Störung auf. 11.6% der Betroffenen erhielten Antidepressiva, 69.2% der betroffenen
Jugendlichen eine Psychotherapie. Derartige Zahlen liefern wichtige Implikationen
für zukünftige Medikation und Behandlungsansätze bei Depressionen im Jugendal-
ter.
1.3 Stand der Forschung
Bereits Ende der 90er Jahre wurde die erste Bremer Jugendstudie (BJS; DFG-
Finanzierung) ins Leben gerufen, die sich mit den Belastungen und Herausforderun-
gen des Jugendalters beschäftigt hat. Im Rahmen der Studie wurde eine umfangrei-
che Stichprobe von zwölf- bis 17-jährigen Bremer Jugendlichen (N = 1034) hinsicht-
lich der Häufigkeit sowie Komorbidität psychischer Störungen und psychosozialer
Begleiterscheinungen untersucht. Fast die Hälfte der Jugendlichen (41.9%) erfüllte
die Diagnosekriterien für mindestens eines der erfassten psychischen Störungsbil-
der. Dabei traten Angststörungen am häufigsten auf, dicht gefolgt von depressiven
Störungen (Essau et al., 1998). Mit den Ergebnissen lieferte die Bremer Jugendstu-
die bereits vor rund 15 Jahren entscheidende Erkenntnisse.
Das Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) veranschaulicht aktuell die Not-
wendigkeit für eine zeitgemäße Replikation der Prävalenzraten psychischer Störun-
gen im Jugendalter. Bei über 14000 Kindern und Jugendlichen konnten hohe Anteile
emotionaler und verhaltensbezogener Probleme aufgedeckt werden (Hölling, Er-
hart, Ravens-Sieberer & Schlack, 2007). Allerdings wurden im Rahmen des KiGGS
keine klinischen Diagnosen nach den gängigen Klassifikationssystemen ICD-10 oder
DSM-IV gestellt, sondern lediglich Screeningverfahren herangezogen. Damit wurden
die Häufigkeiten verschiedener Problembereiche möglicherweise überschätzt. Eini-
ge weitere Untersuchungen und Statistiken deuten darauf hin, dass eine umfassen-
de Untersuchung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen aktuell gefordert
ist, wie etwa die bundesweit steigenden Krankheitskosten bei psychischen Störun-
gen im Jugendalter (vgl. Statistisches Bundesamt, 2011).
Ein besonderes Augenmerk gilt es auf depressive Erkrankungen zu richten, die mit
Depression im Jugendalter
123
Beginn des Jugendalters (ab dem 12. Lebensjahr) merklich zunehmen (Avenevoli,
Knight, Kessler & Merikangas, 2008). Bereits Ende der 90er Jahre stellte die Bremer
Jugendstudie für die Zwölf- bis 17-Jährigen Häufigkeiten von bis zu 18% fest (Essau
et al., 1998). Die folgenden Gründe machen Angaben zur Verbreitung der Depressi-
onen im Jugendalter besonders erforderlich:
• Depressionen können chronisch verlaufen und die gesamte Lebensspan-
ne umfassen. Sie gehen im Jugendalter mit einer deutlich erhöhten
Selbstmordtendenz einher und beeinträchtigen alle Lebensbereiche er-
heblich (Horowitz & Garber, 2006; Lasgaard, Goossens & Elklit, 2011;
Monnin et al., 2012).
• Nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird spätes-
tens im Jahre 2020 die Depression zu den häufigsten und damit teuers-
ten Krankheiten in der westlichen Welt gehören.
• Eine Depression im Jugendalter besitzt eine besonders schlechte Progno-
se, kann aber durch früh einsetzende Präventionsmaßnahmen in ihrem
Verlauf günstig beeinflusst werden (Fonagy, Target, Cottrell, Phillips &
Kurtz, 2002).
• Um Präventionsprogrammen planen zu können, die idealerweise im Kon-
text der Schule angeboten werden sollten, sind genauere, aktuelle Daten
zum erstmaligen Auftreten depressiver Symptome, zu deren Verlauf und
zu Angaben zur Symptomschwere nötig.
1.4 Ziele
Vor dem Hintergrund der wesentlichen Befunde der Bremer Jugendstudie sowie der
KiGGS möchte das vorliegende Projekt die Lücke der bis dato fehlenden aktuellen
Prävalenzraten zu psychischen Störungen und Problembereichen von Jugendlichen
schließen. Es sollen daher aktuelle Daten erhoben werden, um so einen genauen
Einblick in ihren psychischen Gesundheitszustand der Jugendlichen zu gewinnen, an
dem es bislang mangelt. Eine derartige Analyse lässt abschätzen, in welchen Berei-
chen besonders Probleme auftreten und welche Personengruppen speziell von psy-
chischen Problemen betroffen sind (z. B. Geschlechter- oder Altersvergleich), um so
ferner eine gezielte Entwicklung und Durchführung von Präventions- und Interven-
tionsprogrammen für Jugendliche zu unterstützen. Die gezielte Prävention einer
Chronifizierung psychischer Probleme von Jugendlichen ist wichtig, um damit auch
ein Risiko für weitere Beeinträchtigungen bis ins Erwachsenenalter gering zu halten
(Essau et al., 1998). Zusammenfassend verfolgt das Projekt folgende Ziele:
• eine fundierte Diagnosestellung nach den Klassifikationssystemen ICD-10
und DSM-IV, die über grobe Schätzungen mittels Screeningverfahren hi-
nausgeht (vgl. KiGGS) und fundierte Aussagen zu Prävalenzraten psychi-
Depression im Jugendalter
124
scher Probleme von Jugendlichen der Stadt Bremen ermöglicht,
• die individuelle Erfassung grundlegender psychischer Belastungen der
Jugendlichen und
• die Schaffung eines reliablen Ausgangspunkts für die Entwicklung und
Durchführung gezielter Präventions- und Interventionsmaßnahmen für
Jugendliche in Bremen.
• Mit Hilfe eines großen Datensatzes einer gesetzlichen Krankenversiche-
rung soll die Häufigkeit (Prävalenz) von Depressionen im ambulant-
ärztlichen Bereich bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ermittelt
und ein Überblick über die Versorgung der Erkrankten geschaffen wer-
den.
1.5 Methodisches Vorgehen
Teil 1: Untersuchung von Jugendlichen in der Stadt Bremen. Ein Schwerpunkt die-
ser Studie besteht in der Erfassung von Informationen zum Umgang mit den unter-
schiedlichen Belastungen und Herausforderungen des Alltags. Es wird erfasst, wel-
che Strategien und Lösungsversuche Jugendliche anwenden und mit welcher Art
von Problemen und Schwierigkeiten sie sich am häufigsten konfrontiert sehen. Auch
die Unterstützung durch Eltern und Freunde wird erfragt sowie das emotionale Er-
leben und Verhalten. Schließlich soll die seelische und körperliche Gesundheit der
Jugendlichen erfasst werden. Als Informationsquellen für die folgenden Informatio-
nen dienen die Jugendlichen selbst sowie deren Eltern/Erziehungsberechtigte:
• demographische und sozioökonomische Hintergrundinformationen,
• kritische Lebensereignisse,
• Problemlöseverhalten und Umgang mit kritischen Lebensereignissen,
• Beziehung zu Eltern und Freunden,
• Emotionales Befinden und Verhalten,
• Fähigkeiten zur Regulation von Emotionen und
• Seelisches und körperliches Befinden.
Ein zweiter Schwerpunkt besteht in der Erfassung von psychischen Auffälligkeiten
und der Diagnose von möglichen Störungsbildern nach den Klassifikationssystemen
ICD-10 und DSM-IV. Folgende Informationen werden erfasst:
• Prävalenz, Art und Ausmaß von psychischen Auffälligkeiten und Störungen,
• Komorbiditätsmuster einzelner Störungsbilder,
• Zusammenhänge von Art und Ausmaß einzelner Störungen mit psychosozia-
len Beeinträchtigungen und Ressourcen und
• die Identifikation von Risiko- und Schutzfaktoren.
Teil 2: Analyse von Routinedaten einer Krankenkasse zu an Depression erkrankten
Depression im Jugendalter
125
Kindern und Jugendlichen. Routinedaten der Gmünder ErsatzKasse (GEK) aus dem
Jahr 2009 zur ambulant-ärztlichen Versorgung, zur Verordnung von Arzneimitteln
sowie zu demografischen Informationen schafften eine Grundlage für die Auswer-
tung. Die GEK (im Januar 2010 mit der BARMER fusioniert) stellt eine bundesweit
tätige gesetzliche Krankenversicherung dar, in der etwa 2% der deutschen Wohnbe-
völkerung versichert waren (ca. 1.8 Millionen Menschen).
Routinedaten (sog. Sekundärdaten) der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
werden in den vergangenen Jahren zunehmend im Rahmen wissenschaftlicher Stu-
dien herangezogen (z. B. Bramesfeld, Grobe & Schwatz, 2010). Dabei handelt es sich
um umfangreiche, prozessproduzierte Informationssammlungen, die im Rahmen
von Verwaltung, Leistungserbringung bzw. Kostenerstattung vorliegen und elektro-
nisch erfasst sind. Die Routinedaten zeichnen sich durch den Vorteil aus, dass die
unter Alltagsbedingungen ohne zusätzlichen Erhebungsaufwand miterhoben wer-
den und damit die aktuelle Versorgungssituation widerspiegeln. Die Daten stehen
zeitnah und häufig in großen Patientenkollektiven zur Analyse zur Verfügung. In der
vorliegenden Studie sollte mindestens einmal im Jahr 2009 eine der folgenden Di-
agnosen im ambulant-ärztlichen Sektor gestellt worden sein:
• Postschizophrene Depression (F20.4),
• Bipolare affektive Störung, gegenwärtig leichte oder mittelgradige depressi-
ve Episode (F31.3),
• Bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode ohne
psychotische Symptome (F31.4),
• Bipolare affektive Psychose, gegenwärtig schwere depressive Episode mit
psychotischen Symptomen (F31.5),
• Depressive Episode (F32.-),
• Rezidivierende depressive Störung (F33.-),
• Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2),
• Anpassungsstörung (F43.2) oder
• Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung (F92.0).
Zudem werden die wesentlichen Kennzeichen aller Jugendlichen mit einer Diagnose
in 2009 erfasst:
• Alter (12-18 Jahre), Wohnregion,
• Anzahl Quartale mit einer Diagnose,
• Kontakt zu: Allgemeinmedizinern/ hausärztlich tätigen Internisten, Kinder-
ärzten, Psychiatern/ Neurologen, Kinder- und Jugendpsychiatern,
• Verordnung von Antidepressiva,
• Psychotherapie bzw. Antidepressiva und Psychotherapie.
48 Schulen in der Stadt Bremen wurden die Studieninhalte vorgestellt. Davon ver-
neinten 37 Schulen eine Teilnahme an der Studie. An den elf teilnehmenden Schu-
len (ein Gymnasium; sieben Oberschulen mit noch teilweiser Untergliederung in
Depression im Jugendalter
126
gymnasiale-, Real-, Gesamt- sowie Hauptschulklassen; drei Berufsschulen) wurde
das Studienvorhaben in den siebten bis elften Jahrgangsstufen vorgestellt. Die Schü-
lerinnen und Schüler erhielten zusätzlich eine Informationsbroschüre, der eine Ein-
verständniserklärung zur Teilnahme beigefügt war. Die Jugendlichen bekamen zu-
dem Informationsbroschüren und Einverständniserklärungen für ihre Eltern. In Ab-
sprache mit der jeweiligen Schulleitung wurden Interview- und Gruppenbefragungs-
termine vereinbart. Die Jugendlichen wurden ca. ein bis zwei Stunden in einem ext-
ra bereitgestellten Raum der Schule interviewt. Die Fragebögen wurden zu einem
gesonderten Termin in den Räumen der einzelnen Schulen im Gruppensetting von
max. 30 Jugendlichen in Einzelarbeit ausgefüllt. Diese Befragung wurde von mindes-
tens zwei Mitarbeiterinnen des Projekts betreut. Zusätzlich bearbeiteten El-
tern/Erziehungsberechtigte einen Fragebogen zuhause.
1.6 Ergebnisse
Teil 1: Untersuchung von Jugendlichen in der Stadt Bremen. Von den rund 1460
angesprochenen Jugendlichen stimmten 345 Jugendliche und deren Eltern der Teil-
nahme an der Studie zu. Neun Jugendliche konnten aufgrund von Krankheit oder
technischen Gründen nicht am Interview teilnehmen. Drei Jugendliche wollten nur
an der Fragebogenbefragung teilnehmen (vgl. Tab. 1).
Tabelle 1: Soziodemografische Information zur Stichprobe (N=333).
Alter (Jahre) 12 13 14 15 16 17 gesamt
N
(%) 27
(8.1)
54
(16.2)
80
(24.0)
81
(24.3)
56
(16.8)
35
(10.5)
333
(100)
weiblich
(n) (%) 14
(9.0)
24
(15.5)
32
(20.6)
43
(27.7)
31
(20.0)
11
(7.1)
155
(46.5)
männlich
(n) (%) 13
(6.7)
30
(16.9)
48
(27.0)
38
(21.3)
25
(14.0)
24
(13.5)
178
(53.5)
Migrationshin-tergrund
Mädchen Jungen gesamt
ja nein ja nein ja nein fehlend
geb. in Deutschlanda
(n) (%) 123
(90.4)
10
(7.4)
130
(89.7)
13
(9.0)
255
(90.7)
24
(8.5)
2
(0.7)
Deutsch Mutterspra-
chea
(n) (%)
89
(65.4)
44
(32.4)
94
(64.8)
49
(33.8)
186
(66.2)
94
(33.5)
1
(0.4)
Deutsch zuhauseb
(n) (%) 115
(74.2)
21
(13.5)
126
(70.8)
22
(12.4)
241
(72.4)
43
(12.9)
49
(14.7)
Anmerkungen. aBerechnet für die Stichprobe der N = 281 Jugendlichen, die vollständige
Angaben zum Fragebogen gemacht und am Interview teilgenommen haben. bZum Interview
gestellte Frage „Sprichst du zuhause im Allgemeinen Deutsch?“ (N=333).
Depression im Jugendalter
127
44 Jugendliche (13.2%) besuchten zum Erhebungszeitpunkt das Gymnasium, 239
eine Oberschule (71.8%; davon 46 Gymnasium (13.8%), 35 Realschule (10.5%), 50
Gesamtschule (15.0%), 12 Hauptschule (3.6%) und 96 Oberschule ohne Gliederung
(28.8%) und 50 eine Berufsschule (15.0%). Insgesamt wurden in der Stichprobe der
333 Jugendlichen 44 Diagnosen (13.2%) einer Affektiven Störung gestellt. Bei sieben
Jugendlichen (2.1%) wurden zwei verschiedene Affektive Störungen diagnostiziert;
davon waren sechs Mädchen (85.7%) und ein Junge (14.3%) betroffen. Weitere An-
gaben zu gestellten Diagnosen sind Tabelle 2 zu entnehmen. Es gilt zu beachten,
dass Jugendliche von mehreren Diagnosen betroffen sein konnten. Die Diagnosen
von phobischen Störungen wurden auch mit gar keinem oder einem geringen
Schweregrad erfasst.
Tabelle 2. Diagnosen psychischer Störungen der Jugendlichen nach ICD-10.
ICD-10 Code
Gesamt
N (%) Mädchen n (%)
Jungen n (%)
F10.1 Alkoholmissbrauch 17 (5.1) 6 (1.8) 11 (3.3)
F10.2 Alkoholabhängigkeit 5 (1.5) 1 (.3) 4 (1.2)
Affektive Störungen
F30.0 Hypomanie 3 (.9) 1 (.3) 2 (.6)
F31.0 Bipolar II Störung mit letzter Episode hypo-
man
1 (.3) 0 1 (.3)
F31.11 Bipolar I Störung mit letzter Episode ma-
nisch, leicht
1 (.3) 0 1 (.3)
F32.0 Major Depression, einzelne Episode, leicht 6 (1.8) 1 (.3) 5 (1.5)
F32.1 Major Depression, einzelne Episode, mittel-
schwer
7 (2.1) 5 (1.5) 2 (.6)
F32.2 Major Depression, einzelne Episode, schwer,
ohne psychotische Merkmale
6 (1.8) 5 (1.5) 1 (.3)
F33.0 Major Depression, rezidivierend, leicht 4 (1.2) 2 (.6) 2 (.6)
F33.1 Major Depression, rezidivierend, mittel-
schwer
1 (.3) 1 (.3) 0
F33.2 Major Depression, rezidivierend, schwer,
ohne psychotische Merkmale
4 (1.2) 3 (.9) 1 (.3)
F34.1 Dysthyme Störung 18 (5.4) 13 (4.9) 5 (1.5)
Angststörungen
F40.00 Agoraphobie ohne Panikattacke in Vorge-
schichte
3 (.9) 2 (.6) 1 (.3)
F40.01 Panikstörung mit Agoraphobie 2 (.6) 0 2 (.6)
F40.1 Soziale Phobie 5 (1.5) 3 (.9) 2 (.6)
F40.21 Spezifische Phobie Tiertypus 24 (7.2) 15 (4.5) 9 (2.7)
F40.22 Spezifische Phobie Umwelt-Typus 18 (5.4) 11 (3.3) 7 (2.1)
F40.23 Spezifische Phobie Blut-Spritzen-Verletzungs-
Typus
19 (5.7) 10 (3.0) 9 (2.7)
Depression im Jugendalter
128
Tabelle 2: Fortsetzung
F40.24 Spezifische Phobie Situativer-Typus 13 (3.9) 7 (2.1) 6 (1.8)
F40.25 Spezifische Phobie anderer Typus 2 (.6) 1 (.3) 1 (.3)
F40.9 Nicht näher bezeichnete Angststörung 1 (.3) 0 1 (.3)
F41.0 Panikstörung ohne Agoraphobie 1 (.3) 1 (.3) 0
F41.1 Generalisierte Angststörung 1 (.3) 1 (.3) 0
Weitere Störungen
F42.8 Zwangsstörung 6 (1.8) 4 (1.2) 2 (.6)
F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung 1 (.3) 1(.3) 0
F44 Konversionsstörung 5 (1.5) 3 (.9) 2 (.6)
F44.5 Konversionsstörung mit Anfällen oder
Krämpfen
1(.3) 0 1 (.3)
F44.6 Konversionsstörung mit sensorischen Sym-
ptomen oder Ausfällen
4 (1.2) 3 (.9) 1 (.3)
F50.0 Anorexia Nervosa 1 (.3) 0 1 (.3)
F50.1 Untypische Anorexie 3 (.9) 2 (.6) 1 (.3)
F50.3 Untypische Bulimie 1 (.3) 1 (.3) 0
Teil 2: Analyse von Routinedaten einer Krankenkasse zu an Depression erkrankten Kindern und Jugendlichen. Mindestens einen Tag in allen vier Quartalen des Jahres
2009 waren insgesamt 140563 Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren
(M = 15.1 Jahre; SD = 2.0) versichert (48.9% Mädchen; 51.1% Jungen). Insgesamt
wiesen 821 (.6%) mindestens eine Verschreibung eines antidepressiven Medika-
ments in 2009 auf (insgesamt wurden 1357 Packungen Antidepressiva verschrie-
ben), wobei der Anteil der Mädchen höher lag als bei den Jungen (.76% vs. .41%).
Die Gesamtanzahl der Jugendlichen, die mindestens eine Diagnose einer depressi-
ven Störung erhielten, betrug 4295 (3.1%; vgl. Tab. 3). Davon waren 58.8% weiblich,
wobei das mittlere Alter bei den Mädchen niedriger war (15.1 vs. 15.8 Jahre). Die
Mädchen erhielten mit höherer Wahrscheinlichkeit die Diagnose einer depressiven
Episode (F32; 50.6% vs. 38.7%). Ca. acht bis neun von zehn Patienten besuchten
Allgemeinmediziner, ein Drittel Kinderärzte. Kinder- und Jugendpsychiater wurden
von rund 37.1% der Jungen sowie 24.6% der Mädchen aufgesucht.
Der Anteil die Patienten, die ein Antidepressivum verschrieben bekommen haben,
lag bei 11.6% (mit einer höheren Rate für die Mädchen). Bei der Mehrzahl der Me-
dikamente handelte es sich um Seronotin Wiederaufnahmehemmer (SSRIs; 55.6%).
Trizyklische Antidepressiva (TCAs; 17.9%) und Fluoxetine, Citalopram sowie Mitra-
zapine machten die anderen 50% aus. 43.7% der Jugendlichen, die ein Antidepressi-
vum verschrieben bekommen haben, erhielten nur eine Packung, 56.3% bekamen
zwei oder mehr Packungen. Insgesamt erhielten 69.2% der betroffenen Jugendli-
chen eine Psychotherapie, wobei hier kaum ein Geschlechtsunterschied zu beo-
bachten war (Jungen 69.9%; Mädchen 69.0%). In Anbetracht der Tatsache, dass
Mädchen jedoch mehr Antidepressiva erhielten, zeigte sich hier ein höherer Anteil
Depression im Jugendalter
129
von Mädchen, die eine Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie beka-
men. Mit zunehmendem Alter erhielten mehr Jugendliche eine solche Kombination.
Tabelle 3: Jugendliche mit der Diagnose einer depressiven Störung im Jahr 2009.
Jungen (%)
Mädchen (%)
Gesamt (%)
Alter (Jahre)
12-13 29.2 16.3 21.7
14-15 25.6 21.0 22.9
16-18 45.2 62.7 55.5
Diagnosen
Anpassungsstörung (F43.2) 52.9 46.8 49.3
Depressive Episode (F32) 38.7 50.6 45.7
Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2) 6.8 8.9 8.0
Störung des Sozialverhaltens mit depressiver
Störung (F92.0)
8.5 3.8 5.7
Rezidivierende depressive Störung (F33) 3.8 5.0 4.5
Post-schizophrene Depression oder Bipolare
Affektive Störung mit Depression (F20.4, F31.3,
F31.4, F31.5)
0.1 0.1 0.1
Behandlung
Nur Psychotherapie 62.7 57.4 59.6
Psychotherapie und Antidepressiva 6.9 11.6 9.6
Nur Antidepressiva 2.0 1.9 1.9
Keine 28.4 29.2 28.8
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Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter
131
2 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Neuropsychologische Störungen im Langzeitverlauf
2.1 Allgemeine Angaben
Leitung
PD Dr. Monika Daseking
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterinnen
Dipl.-Psych. Julia Knievel, Dipl. Psych. Antje Eikelmann, Dipl.-Psych Wiebke Schlag-
heck, Dipl.-Psych. Christin Fischer
Kooperationspartner
Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe, Gütersloh
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Hämatologie und
Onkologie, Münster
Gerinnungszentrum Rhein-Ruhr, Duisburg
Zeitraum
01.11.2005 - 30.09.2013
Finanzierung
Deutsche Schlaganfallhilfe (Gütersloh), Förderverein Schlaganfall und Thrombosen
im Kindesalter e.V. (Münster)
2.2 Zusammenfassung
Die langfristige Entwicklung nach kindlichem Schlaganfall zeigt, dass besonders nach
perinatalen Schlaganfällen vielfältige Beeinträchtigungen und Probleme zu erwarten
sind, die umfangreiche Therapiemaßnahmen nach sich ziehen. So weisen viele Kin-
der Beeinträchtigungen in den Bereichen Motorik, Sprachentwicklung, exekutive
Funktionen, Aufmerksamkeit und Sozialverhalten auf. Anhand von Fragebogenda-
ten und der diagnostischen Untersuchung soll ein Überblick über störungsspezifi-
sche neurologische Symptome, kognitive Einschränkungen und Verhaltensprobleme
Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter
132
sowie die langfristige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nach einem
Schlaganfall gegeben werden.
2.3 Stand der Forschung
Die Diagnose Schlaganfall wird jedes Jahr bei 300 bis 500 Kindern und Jugendlichen
in Deutschland gestellt. In der Literatur lassen sich für die Anzahl der Neuerkran-
kungen unterschiedliche Zahlen finden. Einen Einfluss darauf haben zum Beispiel
die unterschiedlich definierten Diagnosekriterien oder Primärerkrankungen. Mallick
und O´Callaghan (2010) geben in ihrer Übersichtsarbeit zur Epidemiologie kindlicher
Schlaganfälle Inzidenzraten an, die von 1,3 bis 13 pro 100.000 Kindern reichen. Da-
bei handelt es sich um ein äußerst heterogenes Krankheitsbild, dessen ätiologische
Abklärung die Berücksichtigung vieler möglicher Ursachen und Risikofaktoren erfor-
dert. Die durch den Insult entstehenden Läsionen des Hirngewebes führen wieder-
um zu einem breiten Spektrum an neurologischen und psychologischen Beeinträch-
tigungen und können daher den bevorstehenden Lebensweg des betroffenen Kin-
des bzw. Jugendlichen und deren Familien einschneidend verändern. Das Ausmaß
und die Art der Defizite nach einem kindlichen Schlaganfall sind von einer Vielzahl
an Faktoren abhängig. Dabei spielen das Alter zum Zeitpunkt des Schlaganfalls, die
Lokalisation und der Umfang des geschädigten Areals und das nachfolgende Auftre-
ten von epileptischen Anfällen eine große Rolle, aber auch die Ausbildung einer
Hemiparese und wiederholte Schlaganfälle haben einen verstärkenden Effekt auf
die resultierenden Beeinträchtigungen.
Die neurologischen und psychologischen Beeinträchtigungen können zudem aber
auch sehr komplexe Verhaltens- und/oder psychosoziale Probleme für die Kinder
verursachen, die ein breites Spektrum an möglichen Verhaltensstörungen umfas-
sen. Psychosoziale Konsequenzen können sich ebenfalls für die weiteren Familien-
mitglieder ergeben. Insbesondere das Zusammenspiel mit der körperlichen Behin-
derung (Hemiparese) kann für schlaganfallbetroffene Kinder und Jugendliche zu
Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen beitragen.
Eine Vielzahl an Studien hat gezeigt, dass Erwachsene nach Hirnschädigungen ne-
ben neurologischen und psychologischen Defiziten nicht selten emotionale bzw.
Verhaltensstörungen entwickeln (Lippert-Grunert, Kuchta, Hellmich & Klug, 2006).
Im Gegensatz dazu werden solche Zusammenhänge bei Kindern und Jugendlichen
nach Hirnschädigungen allgemein und insbesondere nach Schlaganfällen wenig un-
tersucht und beschrieben. Studien, die sich der beschriebenen Thematik zugewen-
det haben, belegen, dass Kinder nach einem Schädel-Hirn-Trauma einem weitaus
höheren Risiko ausgesetzt sind, Verhaltensstörungen zu entwickeln, als gesunde
Kinder (Taylor et al., 2002). So fällt es Kindern mit Hirnschädigungen beispielsweise
schwerer, Gefühle anderer zu erkennen und selbst auszudrücken, was wiederum
Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter
133
zum Auftreten sozialer Probleme führen kann (Tonks, Williams, Frampton, Yates &
Slater, 2007). Auch bei Neugeborenen, die Erkrankungen oder Schädigungen des
Gehirns erleiden, treten deutlich häufiger eine ADHS-Symptomatik, impulsives Ver-
halten, Aggression und Angststörungen auf (von Handel, Swaab, de Vries & Jong-
mans, 2007). Landry und Mitarbeiter (2004) berichten von Störungen der fokussier-
ten Aufmerksamkeit nach (früh-)kindlichen Hirnschädigungen. Langzeitstudien
konnten belegen, dass sich Störungen des Verhaltens und der schulischen Leistun-
gen nach Hirnschädigungen meist als dauerhaft erweisen (Max et al., 2002).
2.4 Ziele
Für auf eine Teilhabe an gesellschaftlichen und sozialen Prozessen ist es notwendig,
nicht nur die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen zu fördern oder die Motorik zu
trainieren, sondern auch Verhaltensstörungen mit entsprechenden Interventions-
und Präventionsstrategien zu begegnen. Das über zehn Jahre am ZKPR der Universi-
tät Bremen laufende Projekt „Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Neuropsy-
chologische Störungen im Langzeitverlauf“ wurde zunächst mit dem Schwerpunkt
auf die kognitive Langzeitentwicklung nach kindlichem Schlaganfall durchgeführt
(vgl. dazu auch die im Rahmen des Projektes entstandenen Publikationen). Dabei
hat sich immer mehr herausgestellt, dass vor allem auch emotionale und Verhal-
tensstörungen zu hoher familiärer Belastung führen können (Daseking, Grochowski
& Petermann, 2012). Oft ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, ob es sich um
schädigungsbedingte Defizite oder um reaktive, erlernte Verhaltensprobleme han-
delt. Die Verhaltensprobleme haben jedoch einerseits eine große Bedeutung für die
schulische Entwicklung der Kinder, andererseits beeinflussen sie die Wirksamkeit
von Interventionsmaßnahmen und das Familienklima (Werpup, Petermann & Da-
seking, 2011). Die aktuelle Zielstellung des Forschungsprojektes ist es, entspre-
chende Entwicklungsverläufe zu erfassen, Prognosen abzuleiten und schließlich die
betroffenen Kinder bzw. Jugendlichen und deren Familien hinsichtlich effektiver
Förder- und Therapiestrategien zu beraten und zu unterstützen. Dafür ist es erfor-
derlich, weitere Daten zu erheben, die differenziert Auskunft über mögliche emoti-
onale und Verhaltensstörungen schlaganfallerkrankter Kinder geben und die gleich-
zeitig familiäre Risikofaktoren und Ressourcen erfassen.
2.5 Methodisches Vorgehen
Im Rahmen der Studie werden Daten zur kognitiven Entwicklung und zu emotiona-
len und Verhaltensproblemen von Kindern und Jugendlichen erhoben, die einen
Schlaganfall erlitten hatten. Die Durchführung der Untersuchung beinhaltet ein aus-
Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter
134
führliches Anamnesegespräch mit den Eltern betroffener Kinder, die Durchführung
psychometrischer Testverfahren, das Ausfüllen von Fragebögen sowie eine standar-
disierte Verhaltensbeobachtung. Die störungsspezifische Testbatterie deckt mittels
der in Klammern genannten Testverfahren folgende kognitive Bereiche ab:
• allgemeine Intelligenz (WPPSI-III, WISC-IV, CPM bzw. SPM)
• Aufmerksamkeit, insbesondere kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit
(TAP)
• Gedächtnis (VLMT, DCS)
• Sprache (SET 5-10)
• Exekutivfunktionen (TLD)
• Visuelle Wahrnehmung (FEW-2, FEW-JE)
• Vorläuferfähigkeiten (BASIC-Preschool)
• Schulleistungsdiagnostik.
Parallel zur Testdurchführung erfolgte eine Verhaltensbeobachtung, die unter ande-
rem Arbeitsverhalten und Instruktionsverständnis erfassen sollte. Darüber hinaus
werden über Fragebögen (Selbst- und Fremdeinschätzung) verschiedene Aspekte
zur emotionalen und Verhaltensentwicklung erfasst.
2.6 Ergebnisse
Die ersten, grundlegenden Ergebnisse des bereits seit 2001 bestehenden Projektes
wurden 2005 in einer Dissertation veröffentlicht (Daseking, 2005). Inzwischen liegen
Daten von mehr als 200 schlaganfallerkrankten Kindern vor, für 60 Kinder und Ju-
gendliche bereits zu mehreren Messzeitpunkten.
2.7 Literatur
Daseking, M. (2005). Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Die Abhängigkeit
neuropsychologischer und psychosozialer Remissionsverläufe vom Erkrankungsal-
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Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter
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Publikationen
Daseking, M. (2005). Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Die Abhängigkeit
neuropsychologischer und psychosozialer Remissionsverläufe vom Erkrankungsal-
ter und von der Lokalisation. Dissertation. Norderstedt: BoD.
Daseking, M. (2009). Schlaganfall. In F. Petermann & M. Daseking (Hrsg.), Fallbuch
HAWIK-IV (S. 195-214). Göttingen: Hogrefe.
Daseking, M., Grochowski, K. & Petermann, F. (2012). Psychosoziale Belastungen
nach Schlaganfall im Kindes- und Jugendalter. Aktuelle Neurologie, 39, 18-24.
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Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter
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Werpup, L., Petermann, F. & Daseking, M. (2011). Schlaganfall im Kindes- und Ju-
gendalter: Klinisches Bild, Versorgungssituation und elterliche Beanspruchung.
Aktuelle Neurologie, 38, 68-74.
Therapeutische Hausaufgaben
137
3 Therapeutische Hausaufgaben
3.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Dr. Sylvia Helbig-Lang
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterin
Dipl.-Psych. Sandra Cammin
Kooperationspartner
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Bremen; Universitäten Greifs-
wald, Dresden, Münster; Humboldt Universität Berlin; Charité Berlin; Universitäts-
klinikum Marburg, Münster.
Zeitraum
01.04.2011 - 30.06.2013
Finanzierung
BMBF
3.2 Zusammenfassung
Therapeutische Hausaufgaben sind ein Grundprinzip in der Kognitiven Verhaltens-
therapie. Bislang wurde die Bedeutung der Hausaufgabenerledigung für das Thera-
pieergebnis nur selten und mit kleineren Stichproben untersucht. Auf Basis von
N=369 Patientendaten der Multicenter Studie des PanikNetzes werden die Bedeu-
tung der Hausaufgabenerledigung auf das Therapieergebnis sowie Einflussfaktoren
auf die Durchführung von Hausaufgaben untersucht.
3.3 Stand der Forschung
Kognitive Verhaltenstherapie betont als eines ihrer Grundprinzipien die Über-
Therapeutische Hausaufgaben
138
tragung der Therapieinhalte in den Alltag (z.B. Margraf & Lieb, 1995). Therapeuti-
sche Prozesse außerhalb des eigentlichen Therapiekontexts wurden bislang jedoch
nur selten systematisch in ihrer Bedeutung für den Therapieerfolg untersucht. The-
rapeutische Hausaufgaben werden dabei als die bedeutsamste Technik für den
Transfer der Therapie in den Alltag der Patienten angesehen. Dabei kann davon
ausgegangen werden, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Einsatz von
Hausaufgaben durch den Therapeuten sowie der Erledigung von Hausaufgaben
durch den Patienten und dem Therapieerfolg besteht (Kazantzis, Deane & Ronan,
2000). Diesem positiven Befund stehen jedoch eine Reihe offener Fragen gegen-
über, die eine effektive therapeutische Nutzung der Zeit zwischen den Sitzungen
hemmen. Dazu zählt unter anderem die Frage, was genau den Einsatz von Hausauf-
gaben wirksam macht. Neuere Studien lieferten Hinweise, dass der Einfluss von
Hausaufgaben nicht allein durch die reine Erledigung, sondern durch die Qualität
der Aktivitäten zwischen den Sitzungen bestimmt ist (Schmidt & Woolaway-Bickel,
2000), bzw. Hausaufgaben so gestaltet werden müssen, dass sie eine unmittelbare
Nützlichkeit im Hinblick auf die Zielsymptomatik aufweisen (Yovel & Safran, 2007).
Damit verbunden ist die Frage, inwieweit verschiedene Hausaufgabenvereinbarun-
gen tatsächlich differenziell auf die Symptomatik wirken oder ob der positive Effekt
als eine unspezifische Wirkung im Sinne der Mobilisierung von Selbstwirksamkeits-
erwartungen und Ressourcen zu verstehen ist. Ebenfalls ungeklärt ist bislang, ob
zwischen Hausaufgaben und Therapieerfolg eine Dosis-Wirkungsbeziehung anzu-
nehmen ist. Um Hausaufgaben als Mediator therapeutischer Veränderungen be-
zeichnen zu können, muss eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung nachgewiesen wer-
den (Nock, 2007). Diese Fragen müssen geklärt werden, bevor Empfehlungen für
eine therapeutische Gestaltung der Zeiträume zwischen den Sitzungen gegeben
werden können.
Ein Problem bisheriger Forschungen zu Prozessen außerhalb des Therapiekontexts
sind die häufig kleinen Stichprobenumfänge, die zu fehlender Teststärke beitragen
(Kazantzis, 2000). Darüber hinaus fehlen Follow-up-Studien, um die Langzeiteffekte
von Aktivitäten zwischen den Sitzungen zu determinieren. Einzelne Autoren be-
mängeln darüber hinaus, dass die Forschung sich zu stark auf therapeutische Ver-
einbarungen bezieht und Aktivitäten, die Patienten von sich aus unternehmen, nicht
auf ihren Beitrag für den Veränderungsprozess untersucht werden (Kazantzis &
Lampropoulos, 2002).
3.4 Ziele
Als Datenbasis dienen Behandlungsdaten der PanikNetz Multicenter Studie. Die
Datenbasis erlaubt die Untersuchung der oben angerissenen Fragestellungen unter
Aufhebung der wichtigsten methodischen Einschränkungen bisheriger Studien. Ne-
Therapeutische Hausaufgaben
139
ben einer ausreichend großen Stichprobe und der Erhebung eines 6-Monats-Follow-
ups, wurden im Rahmen der Studie auch Informationen über zusätzliche therapiere-
levante Aktivitäten der Patienten über vereinbarte Hausaufgaben hinaus gesam-
melt, die es jetzt erstmals erlauben, naturalistische Prozesse zwischen den Sitzun-
gen in ihrer Bedeutsamkeit für die therapeutischen Veränderungen zu untersuchen.
Die Ergebnisse dieser Analysen sind direkt relevant für die klinische Praxis und tra-
gen darüber hinaus zur laufenden Debatte über Wirkmechanismen in der Psycho-
therapie bei.
3.5 Methodisches Vorgehen
Aufklärung der Mechanismen therapeutischer Veränderungen
Hier soll die Beziehung zwischen Hausaufgaben-Compliance differenziert nach Qua-
lität und Quantität der Erledigung und dem Therapieergebnis zum Zeitpunkt nach
der Therapie und im Follow-up untersucht werden. Es wird geprüft, ob eine Dosis-
Wirkungsbeziehung zwischen diesen Aspekten angenommen werden kann. Ein po-
sitives Ergebnis würde hier die Bedeutung therapeutischer Hausaufgaben als Medi-
ator des Therapieerfolgs untermauern.
Aufklärung der Spezifität von Hausaufgaben
Es wird untersucht, inwieweit spezifische inhaltliche Aufgaben bzw. Aktivitäten zwi-
schen den Sitzungen spezifische Effekte auf die Symptomatik (z.B. Reduktion des
Vermeidungsverhaltens) haben oder ob davon ausgegangen werden muss, dass
Hausaufgaben eher unspezifisch wirken. Dazu wird ein Nützlichkeitsgradient von
Hausaufgaben berechnet. Dazu werden die kontinuierlich über den Therapieverlauf
gesammelten Daten zu Angstniveau und Vermeidung genutzt.
Einflussfaktoren auf die Hausaufgabenerledigung
Hausaufgaben-Erledigung durch den Patienten ist ebenfalls mit Therapieerfolg asso-
ziiert. Bislang konnten keine aussagekräftigen Prädiktoren für die Compliance nach-
gewiesen werden. Es soll untersucht werden, inwieweit insbesondere therapeutisch
beeinflussbare Variablen, wie wahrgenommene Sinnhaftigkeit von Aufgabenverein-
barungen oder Erfolgserleben in der Therapie einen Einfluss auf die Hausaufgaben-
Erledigung haben.
Datenaufbereitung und Erstellung des Analysedatensatzes
Zur Datenanalyse müssen zunächst zusätzlich gesammelte Daten über Aktivitäten
der Patienten zwischen den Sitzungen eingegeben werden. Dazu muss zunächst
Therapeutische Hausaufgaben
140
eine Datenmaske erstellt werden. Die Zusatzdaten müssen in den Gesamtdatensatz
integriert werden. Darüber hinaus müssen verschiedene Indices für Aspekte der
Hausaufgaben-Compliance sowie den Nützlichkeitsgradienten definiert und berech-
net werden. Da Hausaufgaben-Compliance kontinuierlich in jeder Therapiesitzung
erhoben wurde, bedarf es der Berücksichtigung zeitlicher Abhängigkeiten der Da-
ten.
Analysen zu Wirkmechanismen von Hausaufgaben
Der erste Auswertungsschwerpunkt bezieht sich auf die Untersuchung möglicher
Wirkmechanismen von Hausaufgaben. Hier wird zunächst mittels Strukturglei-
chungsmodellen untersucht, ob Aspekte der Hausaufgabenerledigung durch den
Patienten (Qualität vs. Quantität) differenziell auf den Therapieerfolg wirken. Die
Dosis-Wirkungsbeziehung wird mittels Probit- und Survival-Analysen getestet, die
zunächst Veränderungen in den Outcome-Maßen aller vier Therapiesitzungen mo-
dellieren. Die Häufigkeit von Expositionsübungen wird dabei als Dosis-Variable ge-
nutzt.
Analysen zur Spezifität von Hausaufgaben
Es wird ein Gradient der Hausaufgaben-Nützlichkeit verwendet, der aus der Compli-
ance in einer Therapiewoche und der Verbesserung in panikrelevanten Maßen in
dieser Woche zusammengesetzt ist (Meilenstein 1). Der Gradient wird für verschie-
dene inhaltliche Aufgaben (Expositionshausaufgaben vs. kognitive Aufgaben) ermit-
telt und verglichen. In Abhängigkeit von der Aufgabe sollten sich Unterschiede in
der Hausaufgabennützlichkeit für Parameter wie agoraphobische Vermeidung erge-
ben, die für die Spezifität von Hausaufgabeneffekten sprechen.
Analysen zur Prädiktion der Hausaufgaben-Compliance
Es werden potentielle Prädiktoren der Hausaufgaben-Compliance ausgewählt und
in regressionsanalytischen Modellen auf ihre Vorhersagekraft geprüft. Dabei sind
vor allem Variablen von Interesse, die therapeutisch beeinflussbar sind, wie wahr-
genommene Nützlichkeit der Aufgabe, Klarheit des Ziels der Aufgabe, wahrgenom-
mener Erfolg bei vorangegangenen Aufgaben bzw. Erfolgserwartung im Hinblick auf
die Gesamttherapie. Mögliche Prädiktoren werden zunächst korrelativ auf einen
Zusammenhang mit dem Therapieerfolg geprüft und dann schrittweise in Regressi-
onsgleichungen integriert.
3.6 Ergebnisse
Das Projekt befindet sich zurzeit in der Datenauswertungsphase. Die bisherigen Er-
Therapeutische Hausaufgaben
141
gebnisse deuten drauf hin, dass insbesondere die Durchführung von Expositions-
hausaufgaben für das Therapieergebnis relevant ist. Ferner liegen Hinweise vor,
dass die Qualität der Hausaufgabenerledigung von größerer Bedeutung ist als die
Quantität der Hausaufgabenerledigung.
3.7 Literatur
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Within- und Between-Session Prozesse
143
4 Within- u. Between-Session Prozesse bei Panikstörung u. Agoraphobie
4.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Dipl.-Psych. Thomas Lang
Prof. Dr. Franz Petermann
MitarbeiterInnen
Dipl.-Psych. Christian Soltau, Dipl.-Psych. Juliane Kranzpiller, Dipl.-Psych. Sandra
Cammin, Dipl.-Psych. Anne Kordt, Dipl.-Psych. Kira Geisler, Dipl. Psych. Juliane Frei-
tag
Kooperationspartner
Universität Münster (Klinische Psychologie), Universitätsklinikum Münster (Psychi-
atrie), Charité Berlin (Psychiatrische Klinik), Freie Universität Berlin (Klinische Psy-
chologie), Universität Würzburg (Klinische Psychologie und Psychophysiologie), Uni-
versitätsklinikum Würzburg (Psychiatrie), Universität Marburg (Klinische Psycholo-
gie), Universitätsklinikum Marburg (Klinik für Psychiatrie), Universität Greifswald
(Klinische Psychologie und Psychophysiologie), Universität zu Köln (Klinische Psycho-
logie), Technische Universität Dresden (Klinische Psychologie und Psychotherapie),
University of Utrecht (Department of Methods & Statistics).
Zeitraum
01.10.2009 - 30.06.2013
Finanzierung
BMBF
4.2 Zusammenfassung
Die Expositionsbehandlung ist eine der wirksamsten Methoden zur Reduktion von
Ängsten. Der Wirkmechanismus der Behandlung ist jedoch unklar. Das Forschungs-
projekt untersucht die theoretisch angenommenen Mechanismen der Emotional
Within- und Between-Session Prozesse
144
Processing Theory, indem auf die Expositions- und Behandlungsdaten des BMBF
PanikNetzes zurückgegriffen werden (N=369).
4.3 Stand der Forschung
Nach Foa und Kozak (1986) wirkt die Expositionstherapie durch die Veränderung
von Angststnetzwerken im Gedächtnis. Diese Modifikationen werden erreicht durch
(a) Angstaktivierung, (b) Reduktion der Angst in der Expositionssituation (within-
session Habituation), (c) Reduktion der Angst zwischen den Expositionssituationen
(in-between session Habituation). Daher wird das Erleben sowie die Abnahme von
Angst in Expositionssituationen als essentiell für die Behandlung der Panikstörung
mit Agoraphobie angesehen. Allerdings sind die empirischen Belege für die einzel-
nen Annahmen zurzeit nicht einheitlich (Craske et al. 2007). Direkte Vergleiche der
Habituationseffekte mit dem Behandlungsoutcome in klinischen Studien fehlen bis-
her (Craske et al., 2007). Die Bedeutung der within- und in-between session Habitu-
ation ist eng mit der Rolle des Vermeidungsverhaltens verbunden. So liegen Hinwei-
se vor, dass die Verwendung von Sicherheits- und Vermeidungsverhaltensweisen in
Expositionssituationen zu einer geringeren in-between-session Habituation führt.
Gleiches gilt für kognitive Vermeidungsstrategien (Sloan & Telch, 2002; Telch et al.,
2004). Ferner scheint subtiles Vermeidungsverhalten zu einem erhöhten Rückfallri-
siko zu führen (Deacon & Maack, 2008). Im Rahmen der ersten Phase eines Multi-
center-Therapie-Projektes wurden entsprechende Daten gesammelt, um zur Be-
antwortung dieser Fragestellungen einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Es lie-
gen Daten zur Angstaktivierung, zum Habituationsverlauf in und zwischen den Sit-
zungen sowie zum Einsatz von Vermeidungsstrategien vor. Die Datenbasis stellt
einen einzigartigen Pool da, der für jeden Patienten und jede Expositionssituation
sowohl die Selbstbeurteilung des Patienten - als auch eine Fremdbeurteilung des
Behandlers enthält. Diese Daten können mit den Outcomedaten der Therapiestudie
und mit den psychophysiologischen Daten, die im Rahmen des P5 Projektes erho-
ben wurden, in Verbindung gebracht werden.
4.4 Methodisches Vorgehen
Within- und in-between-session Habituation als notwendige Bedingungen des Therapieerfolges
Hierzu werden auch die folgenden Fragestellungen untersucht:
• Ist Angstaktivierung während der Exposition mit einem besseren Therapie-
outcome assoziiert?
Within- und Between-Session Prozesse
145
• Ist within-session Habituation während Expositionsübungen mit dem Thera-
pie-Outcome assoziiert? Ist in-between-session Habituation mit dem Out-
come assoziiert?
• Welche Beziehungen bestehen zwischen within-session und in-between-
session Habituation?
Zusammenhang zwischen Vermeidungsverhalten während Expositionsübungen, Habituationsmustern und Gesamt-Therapie-Outcome
Hierzu werden die folgenden Fragestellungen untersucht:
• Ist Vermeidungsverhalten während der Expositionssitzung mit einer geringe-
ren Angstaktivierung verbunden?
• Wie wirkt Vermeidungsverhalten (und verschieden Arten von Vermeidungs-
verhalten) auf die within- und between-session Habituation und auf den
Therapie-Outcome?
• Haben verschiedene Vermeidungsarten (z.B. kognitives vs. offenes Vermei-
dungsverhalten) unterschiedliche Auswirkungen auf den Therapie-Outcome?
Zusammenhang zwischen Habituationsmustern, Vermeidungsverhalten und Outcome im 6-Monats-Follow-up
Es wird untersucht, ob geringe Raten von in-between-session Habituation während
der therapiebegleitenden Expositionen und persistierendes Vermeidungsverhalten
Prädiktoren für Rückfälle im Follow-up-Zeitraum darstellen. Gleichzeitig werden
Veränderungen in den Vermeidungsstrategien für das Auftreten von Rückfällen be-
rücksichtigt.
Einfluss von Erwartungen der Patienten auf Behandlungsverlauf und Ergebnis
• Wie ist die Erwartungsangst vor der Situation mit der in der Situation erleb-
ten Angst assoziiert?
• Sagt die Erwartungsangst vor der Situation den Einsatz von Vermeidungs-
verhaltensweisen in der Situation voraus?
• Sind Abweichungen zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Angst-
verlauf mit einem schlechteren Therapieerfolg assoziiert?
Einfluss der Dauer und Frequenz von Exposition auf das Therapie-Ergebnis
In Abhängigkeit von der Behandlungsbedingung (begleitet/unbegleitet) wird unter-
sucht, inwieweit Häufigkeit und Dauer von selbst durchgeführten Expositionen den
Therapieerfolg begünstigen.
Das Arbeitsprogramm kann in verschiedene Meilensteine untergliedert werden: (1)
Zusammenstellung der Daten, (2) Kodierung und Dateneingaberegeln, (3) Datenein-
Within- und Between-Session Prozesse
146
gabe, (4) Kontrolle des Datensatzes, (5) Zusammenführung mit Hauptdatensatz, (6)
Entwicklung einer Analysestrategie, (7) Durchführung der Analysen, (8) Vorberei-
tung von Publikationen.
Zusammenstellung der benötigten Daten. Hier werden die Expositionsprotokolle,
die Rahmen der Therapiestudie von Patienten und Therapeuten ausgefüllt wurden,
gesichtet und zur Dateneingabe vorbereitet. Hierzu werden auch Grundtypen von
Habituationsmustern, die in graphischer Form vorliegen, gesichtet und gruppiert.
Zusätzlich wird eine Verlinkung mit den Daten des Hauptdatensatzes vorgenom-
men. Ferner werden noch nicht eingegebene Daten zum Vermeidungsverhalten der
Patienten zusammengestellt.
Entwicklung Kodierschema, Dateneingabemaske sowie Dateneingaberegeln. Nach
Bereitstellung der Daten wird ein geeignetes Kodierschema erstellt, das die Eingabe
der Patienten und Therapeutenprotokolle für alle Expositionsübungen, die im Rah-
men der Behandlung durchgeführt wurden erlaubt. Auf Grundlage des Kodiersche-
mas wird eine Dateneingabemaske erstellt sowie Regeln für die Dateneingabe erar-
beitet.
Dateneingabe. Entsprechend der Dateneingaberegeln werden die Daten in die er-
stellte Maske eingetragen und auf Konsistenz geprüft.
Zusammenführung mit dem Hauptdatensatz. Nach Abschluss und Kontrolle der
Dateneingabe werden die Daten mit dem Hauptdatensatz zusammengeführt.
Datenanalyse. Zur Datenanalyse wird ein geeignetes statistisches Modell erstellt.
Die notwendigen Recherchen und Erprobungen zum Analysemodell sind vorzuneh-
men und das Modell ist gegen andere Modelle zu testen. Das Modell ist an die je-
weiligen Fragestellungen des Projektes anzupassen. Nach Beendigung der Modell-
erstellung werden die Daten analysiert und die Analysen entsprechend dokumen-
tiert und zur Veröffentlichung vorbereitet.
Publikationsvorbereitung und Einreichung. Die Ergebnisse der Datenanalyse wer-
den zur Veröffentlichung in Artikelform und mit Bezug zum aktuellen Forschungs-
stand veröffentlicht. Dazu sind weiterführende Literaturanalysen notwendig. Die
erstellten Manuskripte werden bei entsprechenden internationalen Fachzeitschrif-
ten veröffentlicht. Die Ergebnisse werden aber auch Behandlern in geeigneter Form
(Workshops, Vorträge, Artikel in deutschsprachigen Zeitschriften) zugänglich ge-
macht.
4.5 Ergebnisse
Die Arbeitsschritte 1 bis 6 wurden abgeschlossen. Es konnte ein Analysemodell für
die Daten erstellt werden. Die Datenauswertung wird zurzeit durchgeführt, die Pub-
Within- und Between-Session Prozesse
147
likationen befinden sich in der Vorbereitung. Die Datenauswertung weist darauf
hin, dass sowohl die Expositionshäufigkeit als auch Dauer einen direkten Einfluss auf
den Therapieerfolg in der Panik- und Agoraphobiebehandlung haben. Ferner konn-
ten within- und between-Session Habituation nachgewiesen werden sowie deren
Zusammenhänge mit den Veränderungen in den Outcomemaßen.
4.6 Literatur
Craske, M.G., Kircanski, K., Zelikowsky, M., Mystkoski, J., Chowdhury, N. & Baker, A.
(2008). Optimizing inhibitory learning during exposure therapy. Behaviour
Research and Therapy, 46, 5-27.
Deacon, B. & Maack, D.J. (2008). The effects of safety behaviors on the fear of
contamination: An experimental investigation. Behaviour Research and Therapy,
46, 537-547.
Foa, E.B. & Kozak, M.J. (1986). Emotional processing of fear: Exposure to corrective
information. Psychological Bulletin, 99, 20-35.
Sloan, T. & Telch, M.J. (2002). The effects of safety-seeking behavior and guided
threat reappraisal on fear reduction during exposure: an experimental
investigation. Behaviour Research and Therapy, 40, 235-251.
Telch, M.J., Valentiner, D.P., Ilai, D., Young, P.R., Powers, M.B. & Smits, J.A.J. (2004).
Fear activation and distraction during the emotional processing of claustrophobic
fear. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 35, 219-232.
Publikationen
Lang, T., Helbig-Lang, S., Gloster, A.T., Richter, J., Hamm, A.O., Fehm, L. et al. (2012).
Effekte therapeutenbegleiteter versus patientengeleiteter Exposition bei Panik-
störung mit Agoraphobie. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychothera-
pie, 41, 114-124.
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
149
5 Effekte eines Aufmerksamkeitstrainings bei Sozialer Phobie auf verhaltensnahe Variablen
5.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Dr. Silvia Helbig-Lang
Mitarbeiterin
Dipl. Psych. Maxie von Auer
Kooperationspartner
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen
Zeitraum
01.10.2010 - 31.07.2012
Finanzierung
FNK der Universität Bremen, Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie,
Institut Bremen
5.2 Zusammenfassung
Insgesamt wurden 70 Personen mit Sozialer Phobie untersucht. Die Hälfte der Per-
sonen sollte mit Hilfe eines computerbasierten Trainings lernen, gezielt die Auf-
merksamkeit von sozialbedrohlichen Hinweisreizen wegzulenken. Die Kontrollgrup-
pe bearbeitete Aufgaben am Computer ohne Modifikation der Aufmerksamkeits-
prozesse. Neben der Symptombelastung sowie dem Diagnosestatus wurden typisch
sozialphobische Kognitionen über Fragebögen sowie verhaltensrelevante Maße in
Form von Verhaltenstests und elektronischen Tagebüchern erfasst. Es wurden zwi-
schen möglichen Subgruppen (z.B. Patienten mit vs. ohne Aufmerksamkeitsbias)
differenziert um Aussagen über die selektive Indikation des Trainings für verschie-
dene Patientengruppen ableiten zu können. Die Studie wurde als Kooperationspro-
jekt in zwei Zentren (Bremen und Münster) durchgeführt.
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
150
5.3 Stand der Forschung
Präferentielle Aufmerksamkeit für sozial bedrohliche Informationen wurde bei Per-
sonen mit Sozialer Phobie wiederholt nachgewiesen. Zwei aktuelle randomisiert-
kontrollierte Behandlungsstudien weisen auf das Potenzial von computerbasierten
Trainings zur Modifikation dieser Aufmerksamkeitsverzerrung hin (Amir, Beard, Tay-
lor, Klumpp, Elias, Burns & Chen, 2009; Schmidt, Richey, Buckner & Timpano; 2009).
Durch das Training konnte nicht nur die Zahl der Symptome reduziert werden, es
erfüllten nach dem Training auch signifikant weniger Patienten die Diagnosekrite-
rien für Soziale Phobie nach DSM-IV. Diese Effekte blieben über einen viermonati-
gen Follow-up-Zeitraum hinweg stabil.
5.4 Ziele
Übergeordnetes Ziel des vorliegenden Projekts war die Evaluation eines computer-
basierten Aufmerksamkeitstrainings bei Frauen und Männern mit Sozialer Phobie,
mit Schwerpunkt auf der Untersuchung der Verhaltensrelevanz der Effekte. Der
randomisierten, multizentrischen Doppelblind-Studie lag das Untersuchungspara-
digma von Schmidt, Richey, Buckner und Timpano (2009) sowie Amir, Beard, Taylor,
Klumpp, Elias und Burns (2009) zugrunde. Erstes Ziel der Untersuchung war dabei
die Replikation der Effekte des dort verwendeten Aufmerksamkeitstrainings (AT) in
einer deutschsprachigen klinischen Stichprobe. Zweites Ziel war die Überprüfung
der Verhaltensrelevanz der Intervention, welche im Rahmen einer Dissertation er-
folgt. Hierzu wurden neben Fragebögen standardisierte Verhaltenstests sowie ein
elektronisches Tagebuch eingesetzt. Des Weiteren sollten neben einer Kontrolle
aller Analysen auf mögliche Geschlechtseffekte explizit mehrere Fragestellungen zu
Geschlechtseffekten (Inanspruchnahmeverhalten, Symptomatik und Trainingseffek-
te) untersucht werden.
5.5 Methodisches Vorgehen
In einer randomisiert-kontrollierten Behandlungsstudie sollen die bisherigen Befun-
de an einer deutschsprachigen Stichprobe repliziert werden. Zusätzlich soll das
computerbasierte Training (Schmidt et al., 2009) hinsichtlich der Veränderungspro-
zesse, der Verhaltensrelevanz sowie der differentiellen Wirksamkeit in verschiede-
nen Subgruppen von Patienten mit Sozialer Phobie untersucht werden.
Bereits im Vorjahr des Förderzeitraums wurden sämtliche Vorbereitungsmaßnah-
men zur Durchführung der Studie umgesetzt (Erstellung eines Operationshandbu-
ches für die Studiendurchführung, Bereitstellung und Anpassung aller benötigten
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
151
Erhebungsmaterialien inklusive technischer Geräte für ambulante Assessment-
methoden, Auswahl und Training der Studienmitarbeiter), so dass im Berichtszeit-
raum die Rekrutierung der Studienteilnehmer sowie die Durchführung und Auswer-
tung der Datenerhebung erfolgen konnte.
Rekrutierung der Studienteilnehmer und Durchführung der Datenerhebung
Die Rekrutierung der Studienteilnehmer erfolgte im Zeitraum von Oktober 2010 bis
April 2011 über Zeitungsannoncen, Hinweise auf den universitären Internetseiten
sowie Informationen auf der Internetseite www.angstinfo.org. Dabei wurde ein kos-
tenloses Training zur Überwindung sozialer Ängste im Rahmen einer Studie angebo-
ten. Explizit wurden dabei Frauen und Männer mit sozialer Angst gesucht. Die Ein-
schlusskriterien umfassten: Alter zwischen 18 und 65 Jahren, DSM-IV-Diagnose ei-
ner Sozialen Phobie, Zugang zu einem Computer mit Internetanschluss sowie keine
Medikamenteneinnahme oder unveränderte Dosierung seit mindestens 12 Wo-
chen. Ausschlussgründe waren akute Suizidalität, die Diagnose einer Schizophrenie
oder Bipolaren Störung, Suchterkrankungen im letzten Jahr (mit Ausnahme von Ta-
bak), das Vorliegen organisch bedingter psychischer Störungen oder neurologischer
Erkrankungen sowie eine aktuelle Psychotherapie.
Auf die Rekrutierungsmaßnahmen meldeten sich in den beiden Studienzentren
Bremen und Münster insgesamt 365 Personen, von denen nach 201 initialen Tele-
fonscreenings 86 Personen zu den eingangsdiagnostischen Untersuchungen einge-
laden wurden. 59 von ihnen erfüllten die Einschlusskriterien und wurden in die Stu-
die aufgenommen, wobei drei Personen aufgrund von zeitlichen Problemen ihre
Einwilligung zur Teilnahme zurück zogen. Somit können die Daten von 56 Studien-
teilnehmern berichtet werden (vgl. Abb. 1).
Studienablauf. Der Studienablauf erfolgte gestuft: Nach einem Telefonscreening
inklusive Fragen zum Umgang mit dem Internet wurden die Teilnehmer zunächst
einzeln zu einem Termin zur Aufklärung über Inhalt und Ablauf der Studie eingela-
den. Dort wurden sie mündlich und schriftlich über Ziele und Ablauf der Studie auf-
geklärt und um ein schriftliches Einverständnis zur Teilnahme gebeten. Bei Vorlie-
gen der Einverständniserklärung wurde zur diagnostischen Abklärung das Struktu-
rierte Klinische Interview für DSM-IV (SKID-I; Wittchen, Wunderlich, Gruschwitz &
Zaudig, 1997) durchgeführt. Wenn die Einschlusskriterien erfüllt waren, wurden die
Teilnehmer randomisiert einer von zwei Untersuchungsbedingungen zugewiesen:
einem Aufmerksamkeitstraining oder einer Placebo-Kontroll-Bedingung.
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
152
Abbildung: 1: Patientenfluss im Gesamtprojekt.
Im Rahmen eines zweiten Termins zur Prä-Messung (T1) beantworteten die Teil-
nehmer darauffolgend online am Computer über das Programm Unipark verschie-
dene Symptomfragebögen (siehe „Erhebungsverfahren“). Darüber hinaus wurden
zu diesem Termin zwei Verhaltenstests durchgeführt. Die Prä-Messung dauerte ins-
gesamt ca. 4 Stunden. Allen Teilnehmern wurde dann ein elektronisches Tagebuch
(Ecological Momentary Assessment; EMA) ausgehändigt und sie wurden in die
Handhabung des Geräts eingeführt. Das Tagebuch wurde in den folgenden sieben
Tagen zur Informationsgewinnung bzgl. des sozialphobischen Verhaltens im Alltag
eingesetzt. Nach Beendigung dieses Erhebungszeitraumes folgte für beide Bedin-
gungen die experimentelle Intervention mit 9 Sitzungen (je 10-15 Minuten, davon 1
Sitzung zu diagnostischen Zwecken) über 4,5 Wochen hinweg, wobei sich die Teil-
nehmer eigenverantwortlich zwei Mal wöchentlich zu Hause zum Training bzw. Pla-
cebo-Training einloggten. Die korrekte Ausführung des Trainings wurde über die
Einlog-Daten online überprüft, so dass die Teilnehmer ggf. kontaktiert und an die
Durchführung des Trainings erinnert werden konnten. Die Sitzung 5 (T2) diente der
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
153
Zwischenmessung der Aufmerksamkeitsverzerrung sowie der sozialphobischen und
depressiven Symptomatik. Insgesamt wurden letztlich acht Sitzungen Aufmerksam-
keitstraining bzw. Pseudo-Training durchgeführt. Eine Woche (Post-Erhebung, T3)
sowie vier Monate (Follow-up-Termin, T4) nach der letzten Trainingssitzung füllten
die Teilnehmer die identischen Fragebögen wie bei der Prä-Erhebung am Computer
aus. Zur Überprüfung des diagnostischen Status wurden darüber hinaus die relevan-
ten Sektionen des SKIDs sowie die beiden Verhaltenstests wiederholt. Im Anschluss
an diese Termine erfolgte jeweils eine weitere siebentägige EMA-Erhebung. Beim
Follow-up-Termin wurden die Teilnehmer letztlich über ihre Gruppenzugehörigkeit
aufgeklärt. Diejenigen, die der KG angehörten, wurden gefragt, ob sie eine Teilnah-
me am AT wünschten. Bei ungenügender Symptombesserung wurde eine Weiter-
versorgung durch die teilnehmenden psychotherapeutischen Ambulanzen gewähr-
leistet.
Erhebungsverfahren
Tabelle 1 zeigt die verwendeten Erhebungsverfahren. Alle Fremdeinschätzungen
wurden von Diplompsychologinnen durchgeführt, die für die Gruppenzuweisung
verblindet waren.
Tabelle 1: Erhebungsverfahren.
Variablen
Verfahren
Mess-zeitpunkt
(T)
1 2 3 4
Demografische Variablen Demografischer Fragebogen x
Diagnose psychischer Störungen
SKID-I (dt.: Wittchen et al., 1997) x x x
Ausmaß sozialphobischer Symptomatik
Social Phobia Scale (SPS) und Social Interaction
Anxiety Inventory (SIAS; dt.: Stangier et al.,
1999), Social Phobia and Anxiety Inventory
(SPAI; dt.: Fydrich, Scheurich & Kasten, 1995)
x x x x
Depressivität Beck Depressionsinventar (dt.: Hautzinger, Bai-
ler, Worall & Keller, 1994)
x x x x
Vermeidungsverhalten Liebowitz Social Anxiety Scale (LSAS; dt.: Stan-
gier & Heidenreich, 2005)
x x x
Sicherheitsverhalten
Fragebogen zu sozialphobischem Verhalten
(SPV; dt.: Stangier, Liefke & Heidenreich, 2003)
x x x
Selbstaufmerksamkeit Fragebogen zur Dysfunktionalen und Funktiona-
len Selbstaufmerksamkeit (DFS; Hoyer, 2000)
x x x
Performanz in sozialen Situationen
Verhaltenstests (BAT; Selbst- und Fremdrating) x x x
Häufigkeit, Dauer und Art sozialer Kontakte
Ecological Momentary Assessment (EMA) - e-
lektronisches Tagebuch
x x x
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
154
Als Verhaltensprobe wurden zwei sozialphobisch relevante Situationen simuliert,
welche die Teilnehmer bewältigen sollten. Dabei handelte es sich um ein Interakti-
ons- und ein Leistungsparadigma. In Anlehnung an die Paradigmen von Fydrich,
Chambless, Perry, Bürgener und Beazley (1998) sowie Beidel, Turner, Jacob und
Cooley (1989) wurde zunächst die Aufgabe gestellt, ein Gespräch mit einer fremden
Person zu initiieren und für drei Minuten aufrecht zu erhalten. Die vorab geschulten
Interaktionspartner (verschiedene zu den drei Messzeitpunkten) und die Teilneh-
mer selbst schätzten anschließend die Angst und Performanz in der Situation ein.
Zur Simulation einer Leistungssituation wurden die Teilnehmer aufgefordert, nach
kurzer Vorbereitung von drei Minuten eine freie Rede vor Publikum zu halten. Auch
hier erfolgte eine Beurteilung der Angst und der Performanz der Teilnehmer durch
diese selbst und die Beobachter. Im Falle eines unzureichenden Informationsgehalts
der globalen Ratings sind weiterführende Analysen der Videos auf Mikroprozess-
ebene anhand der Ratingskala für Soziale Kompetenz (RSK; Fydrich et al., 1998) ge-
plant.
Für die Erfassung sozialphobischen Verhaltens im Alltag (elektronische Tagebü-
cher) wurden Handhelds der Marke Blackberry verwendet, die mit einem speziellen
Tagebuchprogramm ausgestattet wurden. Die Programmierung sah eine ereignis-
kontingente Sampling-Strategie vor, wobei nach jeder sozialen Interaktion, in der
die Angst der Person so groß gewesen ist, dass sie sich dadurch beeinträchtigt ge-
fühlt hat, ein Fragebogen zu Aspekten wie Art der Interaktion (beruflich vs. privat,
selbstinitiiert vs. fremdinitiiert), Anzahl und Art der Gesprächspartner (fremde vs.
bekannte), Inhalte der Interaktion, Dauer des Verbleibs in der Situation, Ausmaß der
Angst und Einsatz von Sicherheitsverhaltensweisen initiiert werden sollte. Zusätzlich
erfolgte zeitkontingent dreimal im Verlauf des Tages und einmal an jedem Abend
eine Erhebung, bei der eine Einschätzung des Zeitraums seit der letzten Eingabe
bzw. ein verallgemeinertes Urteil zu den erlebten sozialen Interaktionen an dem
jeweiligen Tag abgefragt wurde. Der Erhebungszeitraum betrug sieben Tage.
Intervention
Das Aufmerksamkeitstraining (AT) basierte auf der erprobten dot probe-
Methodologie (vgl. MacLeod, Koster & Fox, 2009). Ziel des AT war die Aufmerksam-
keitsabwendung der Probanden von sozial bedrohlichen Stimuli zu fördern, in die-
sem Fall von negativen Signalen in Gesichtsausdrücken. Zu diesem Zweck wurden
die Probanden aufgefordert, die Buchstaben Y und V, welche an Position eines von
zwei vorab präsentierten Gesichtern mit unterschiedlichem Ausdruck (sich ekelnd
vs. neutral) erschienen, möglichst schnell korrekt per Tastendruck zu identifizieren.
AT-Bedingung: Der Stimulus erschien in 80% der Fälle an Position des neutralen
Gesichts. Implizit lernten die Studienteilnehmer dadurch, die Aufmerksamkeit hin zu
neutralen Gesichtern zu lenken.
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
155
Placebo-Bedingung: Der Stimulus wurde gleich häufig nach dem neutralen und nach
dem sich ekelnden Gesicht präsentiert, so dass der Gesichtsausdruck keinerlei Vor-
hersagewert für die Position des Stimulus besaß
Attention Bias - Messung: Das Training wurde wie in der Placebo-Bedingung darge-
boten, jedoch waren die erscheinenden Gesichter voll randomisiert. Anhand der
Reaktionszeit-Differenz wurde das Ausmaß des AB ermittelt.
5.6 Ergebnisse
Es zeigte sich, dass das Aufmerksamkeitstraining keinerlei differenziellen Effekte in
der Trainings- und der Kontrollgruppe hervorbrachte, das heißt es erwies sich als
nicht wirksam. Die Studie stellt somit die Anwendung internetbasierter Aufmerk-
samkeitstrainings für Soziale Phobie in Frage und weist auf Lücken im bisherigen
Forschungsstand hin. Zu den Nebenfragestellungen wie der Verhaltensrelevanz der
Effekte und den Gender-Fragen liegen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Ergebnisse
vor, die entsprechenden Analysen sind jedoch in Vorbereitung und sollen zeitnah
erfolgen. Die Geschlechterverteilung in den Untersuchungsgruppen belief sich auf
57% Frauen in der Trainingsgruppe und 75% Frauen in der Kontrollgruppe. Dieser
Unterschied stellte sich als statistisch nicht signifikant heraus.
5.7 Literatur
Amir, N., Beard, C., Taylor, C.T., Klumpp, H., Elias, J. & Burns, M. (2009). Attention
training with Generalized Social Phobia: A randomized controlled trial. Journal of
Consulting and Clinical Psychology, 77, 961-973.
Beidel, D.C., Turner, S.M., Jacob, R.G. & Cooley, M.R. (1989). Assessment of Social
Phobia: Reliability of an Impromptu Speech Task. Journal of Anxiety Disorder, 3,
149-158.
Fydrich, T., Chambless, D.L., Perry, K.J., Buergener, F. & Beazley, M.B. (1998).
Behavioral assessment of social performance: a rating system for social phobia.
Behaviour Research and Therapy, 36, 995-1010.
Fydrich, T., Scheurich, A. & Kasten, E. (1995). Fragebogen zur Sozialen Angst. Deut-
sche Bearbeitung des Social Phobia and Anxiety Inventory (SPAI) von Turner und
Beidel. Heidelberg: Psychologisches Institut der Universität.
Hautzinger, M., Bailer, M., Worall, H. & Keller, F. (1994). Beck-Depressions-Inventar
(BDI). Bearbeitung der deutschen Ausgabe. Testhandbuch. Bern: Huber.
Hoyer, J. (2000). Der Fragebogen zur Dysfunktionalen und Funktionalen Selbstauf-
merksamkeit (DFS): Theoretisches Konzept und Befunde zur Reliabilität und Vali-
dität. Diagnostica, 46, 140-148.
Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie
156
Schmidt, N.B., Richey, J.A., Buckner, J.D. & Timpano, K.R. (2009). Attention training
for Generalized Social Anxiety Disorder. Journal of Abnormal Psychology, 118, 5-
14.
Stangier, U. & Heidenreich, T. (2005). Die Liebowitz Soziale Angst-Skala (LSAS). In
Collegium Internationale Psychiatriae Scalarum CIPS (Hrsg.), Internationale Ska-
len für Psychiatrie. Göttingen: Beltz.
Stangier, U., Heidenreich, T., Berardi, A., Golbs, U. & Hoyer, J. (1999). Die Erfassung
sozialer Phobie durch die Social Interaction Anxiety Scale (SIAS) und die Social
Phobia Scale (SPS). Zeitschrift für Klinische Psychologie, 28, 28-36.
Stangier, U., Liefke, S. & Heidenreich, T. (2003). Fragebogen zu sozialphobischem
Verhalten. In: J. Hoyer & J. Margraf (Hrsg.), Angstdiagnostik - Grundlagen und
Testverfahren (S. 255-258). Berlin: Springer.
Wittchen, H.-U., Wunderlich, U., Gruschwitz, S. & Zaudig, M. (1997). SKID-I. Struktu-
riertes Klinisches Interview für DSM-IV. Achse I: Psychische Störungen. Interview-
heft. Göttingen: Hogrefe.
Publikationen
Von Auer, M., Neubauer, K., Murray, E., Petermann, F., Gerlach, A. L. & Helbig-Lang,
S. (2011). Alles eine Frage der Aufmerksamkeit? Übersicht zu Effekten der com-
putergestützten Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen auf Ängstlich-
keit und Angststörungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychothe-
rapie, 59, 213-225.
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
157
6 Vorstudie zum Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
6.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. med. Edeltraut Garbe (hauptverantwortlich), Institut für Epidemiologie und
Präventionsforschung GmbH, Prof. Dr. Ulrike Petermann, Prof. Dr. Dr. Tobias Bana-
schewski, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Prof. Dr. Franz Pe-
termann
MitarbeiterInnen
Christine Kersting, Dr. Ina Schreyer-Mehlhop, Dipl.-Psych. Lars Tischler
Zeitraum
01.10.2008 - 31.03.2012
Finanzierung
BMBF
6.2 Zusammenfassung
Ziel des Projekts „Pilot Study of the German Population Based Long Term Follow-up
of ADHD (GEPOLO-ADHD)“ war die Vorbereitung einer großen Kohortenstudie, die
den Langzeitverlauf der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (AHDS)
untersucht. Im Rahmen dieser Pilotstudie wurden folgende drei Fragestellungen
behandelt:
In der Datenbankpilotkohortenstudie sollten Prädiktoren des Krankheitsverlaufs
anhand von Krankenkassenabrechnungsdaten ermittelt werden. Ein Schwerpunkt
lag auf der Auswertung der Häufigkeit von Verletzungen und der Inanspruchnahme
des Gesundheitssystems. Dabei wurden verschiedene Prädiktoren wie z.B. Ge-
schlecht, Wohnregion, Alter oder Sozialstatus der Eltern in den Analysen berück-
sichtigt. Die zweite Teilstudie untersuchte die Fragestellung, ob eine medikamentö-
se Versorgung von Kindern mit ADHS das Verletzungsrisiko beeinflusst. Die dritte
Studie (Feldstudie) prüfte die Möglichkeit, Versicherte aus der Krankenversicher-
tenprobe für die Teilnahme an einer Studie zu ADHS zu rekrutieren. Hierbei wurden
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
158
neben einer bundesweiten Stichprobe auch Versicherte aus Bremen und Mannheim
für zwei regionale Stichproben rekrutiert. Ein Ziel der Studie war es, die Güte der
ADHS-Diagnose in Abrechnungsdaten zu bestimmen. Des Weiteren wurde die Eig-
nung verschiedener Instrumente für die Telefonbefragung getestet.
6.3 Stand der Forschung
ADHS ist eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen des Kindes und Jugend-
alters weltweit und in Deutschland. Nach einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2007
wird von einer weltweiten Prävalenz von 5,29% bei den unter 18-Jährigen ausge-
gangen, mit einer erheblichen Variation zwischen den einzelnen Studien (Polanczyk,
de Lima, Horta, Biederman & Rohde, 2007). Die bisherigen Studien mit Primärdaten
beschäftigen sich hauptsächlich mit der Diagnosestellung oder Behandlung von
ADHS (Becker et al., 2006; Preuss et al., 2006). Hingegen fehlen in der aktuellen For-
schung Längsschnittstudien, die z.B. die Persistenz von ADHS in das Erwachsenenal-
ter zu untersuchen erlauben. Populationsbasierte repräsentative Studien zu ADHS
und dessen Verlauf sind bisher nicht bekannt.
Der Zusammenhang zwischen ADHS und einem erhöhtem Unfallrisiko ist in mehre-
ren Studien belegt und wurde in die Erklärung der Definition von ADHS nach der
ICD-10 aufgenommen. Merrill und Kollegen (2009) untersuchten in einer retrospek-
tiven Kohortenstudie, basierend auf Krankenversicherungsdaten, den Zusammen-
hang zwischen ADHS und einer erhöhten Unfallgefahr. Sie benutzten dazu Daten
der Jahre 1998 bis 2005 aller Versicherten im Alter von 0 bis 64 Jahren. Verletzun-
gen wurden anhand der Oberkategorien des ICD-9800 - 957.00 Diagnosen abgebil-
det. Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und Einkommen war das Risiko für
ADHS-Erkrankte um das 1,5-fache erhöht im Vergleich zu Nicht-Betroffenen. Zudem
sahen sie eine Altersabhängigkeit: Verglichen zu den ADHS Nicht-Erkrankten wurde
in der Gruppe der 0- bis 4-Jährigen sowie der 20- bis 64-jährigen Patienten mit
ADHS ein höheres Risiko, eine Verletzung zu erleiden, gefunden. ADHS zeigte die
stärkste Risikoerhöhung für intrakraniale Verletzungen, gefolgt von Verletzungen
der Blutgefäße, Spätfolgen von Verletzungen, Vergiftungen und toxischen Effekten
und inneren Verletzungen des Thorax, Abdomens und des Beckens. Ebenso war der
Schweregrad der Verletzungen positiv assoziiert mit einer ADHS-Diagnose. Schwere
Verletzungen, definiert als Verletzungen des Schädels, inklusive Frakturen und Ver-
letzungen des Rückenmarks, waren 3-mal häufiger in ADHS-betroffenen Versicher-
ten als in nicht-betroffenen Versicherten. Frühere Studien konnten insbesondere
ein Zusammenhang zwischen Verbrennungen, Verletzungen des Kopfes und Vergif-
tungen zeigen. Brehaut und Kollegen (2003) berichteten in einer populationsbasier-
ten Kohortenstudie auf Grundlage von Abrechnungsdaten, welche Kinder im Alter
von 0 bis 19 Jahren eingeschlossen hat, von einer 1,7-fach erhöhten Chance von
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
159
Kindern und Jugendlichen mit ADHS eine Verletzung zu erleiden. Vergiftungen und
toxische Wirkungen zeigten den stärksten Zusammenhang mit ADHS mit einem
Odds Ratio (OR) von 2,67, gefolgt von Verbrennungen und offenen Wunden. In ei-
ner häufig zitierten Studie aus dem Jahre 1998 des Autorenteams DiScala et al.
(1998) basierend auf Traumaregisterdaten hatten Kinder und Jugendliche im Alter
von 5 bis 14 Jahren mit ADHS ein 10-fach höheres Risiko aufgrund einer selbst her-
bei geführten Verletzung in das Krankenhaus eingeliefert zu werden als Kinder und
Jugendliche ohne ADHS. Kopfverletzungen traten signifikant häufiger (52.9% versus
41.1%) bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS auf; ebenso waren die aufgetrete-
nen Verletzungen schwerer, führten zu längeren Krankenhausaufenthalten.
6.4 Ziele
Auf Grundlage von GePaRD wird es möglich sein, mit einer ausreichend großen
Stichprobengröße das Krankheitsbild ADHS und seine Prädiktoren zu erforschen. Im
Rahmen der Pilotkohorte wird abweichend von dem ursprünglichen Langantrag
zunächst nicht der Schwerpunkt auf der Analyse des Verlaufs von ADHS liegen, son-
dern auf vorbereitenden Arbeiten, obwohl exemplarisch werden einzelne Fragestel-
lungen der zukünftigen Kohorte untersucht. Der relativ beschränkte Zeitraum (max.
vier Jahre ab Erstdiagnose) limitiert die Möglichkeiten der Aussage zum Langzeitver-
lauf von ADHS. Im Rahmen von eigenfinanzierten Arbeiten werden solche Auswer-
tungen fortgeführt. Die Genehmigung der Studie erstreckt sich auf die Jahre bis
2018. Mit Hilfe des längeren Follow-Ups werden wir die Versorgung von Kindern mit
ADHS am Übergang in der Volljährigkeit besser erfassen können.
6.5 Methodisches Vorgehen
Datenbankpilotkohortenstudie
Im Rahmen der Datenbankstudie wurden die Inanspruchnahme der Versorgung
sowie das Risiko für Hospitalisierungen aufgrund von Verletzungen und die Per-
sistenz der ADHS-Diagnose in einem Zeitraum von vier Jahren analysiert. Grundlage
der Datenbankstudie waren die Daten der am Projekt teilnehmenden Kassen, die
zum Zeitpunkt der Ziehung in GePaRD zur Verfügung standen. Die Zusammenstel-
lung der Kohorte erfolgte im Design einer 1:1 gematchten Kohortenstudie. Zunächst
wurden potentielle Studienteilnehmer identifiziert, die im Rekrutierungszeitraum
die Einschlusskriterien erfüllten. Unter diesen wurden Kinder mit inzidentem ADHS
identifiziert. Diesen wurden 1:1-gematchte Kontrollen zugewiesen (nach Ge-
schlecht, Alter (bei Rekrutierung), Wohnregion (Kreis), Krankenversicherung). Diese
gematchten Paare bildeten dann die Studienkohorte. Das Eintrittsdatum in die Ko-
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
160
horte (=Rekrutierungszeitpunkt) eines gematchten Paares wurde durch das Index-
datum des ADHS-Falles bestimmt.
Die Inanspruchnahme von ambulanter Versorgung wurde auf Basis von Quartalsab-
rechnungen je Fall und Arzt, die von stationärer Versorgung auf der Basis von Daten
zu Hospitalisierungen, untersucht. Die Rate der Hospitalisierungen bzw. ambulanter
Arztbesuche wurde jeweils mittels multivariabler Poisson Regression analysiert und
Rate Ratios (RR) der betrachteten Ereignisse mit zugehörigen 95% Konfidenzinter-
vallen (KI) bestimmt. Jegliche Hospitalisierung einer Person, deren Einweisungsda-
tum innerhalb des individuellen Follow-up lag, wurde unabhängig von den vorlie-
genden Diagnosen als Ereignis berücksichtigt. Bei der ambulanten Versorgung wur-
den die Arztbesuche je Arzt (identifiziert über eine pseudonymisierte Arzt-ID) quar-
talsweise gezählt. Anschließend wurden die Raten der Hospitalisierung und der am-
bulanten Arztbesuche bestimmt.
In den Regressionsmodellen wurden die Faktoren ADHS-Status, Geschlecht, aktuel-
les Alter, Wohnregion und Kalenderjahr sowie Wechselwirkungen des ADHS-Status
mit jeweils Geschlecht berücksichtigt. Alle zu diesen Hospitalisierungen kodierten
Haupt-und Nebendiagnosen wurden entsprechend der Injury Mortality Diagnostic
(IMD) Matrix (Fingerhut & Warner, 2006) nach Körperregion bzw. Art der Verlet-
zung kategorisiert. Mithilfe einer multivariablen Cox-Regression wurde jeweils die
Zeit vom Eintritt in die Kohorte bis zur ersten Krankenhausaufnahme mit einer Ver-
letzungsdiagnose analysiert. Im Regressionsmodell wurden die Einflussgrößen
ADHS-Status, Geschlecht, aktuelles Alter und die Wechselwirkung zwischen Ge-
schlecht und ADHS-Status betrachtet. Die Regressionsergebnisse wurden als Hazard
Ratios (HR) mit zugehörigen 95% KI angegeben.
Die Persistenz wurde als das Vorhandensein von ambulanten und stationären Diag-
nosen von ADHS bzw. ADHS-typischer Medikation operationalisiert. Dazu wurde für
jedes Kalenderjahr bestimmt, ob mindestens eine der Diagnosen F90.0, F90.1 oder
F90.9 ambulant oder stationär berichtet wurden oder ob mindestens eine Ver-
schreibung von ATX oder MPH auftrat (=1) oder nicht (=0). Anhand der Abfolge von
Jahren mit Diagnosen haben wir vier Muster definiert: durchgehende Diagnosen in
allen fünf Jahren (bezeichnet als Muster 11111), Diagnose nur im ersten Jahr und
danach keine weitere Diagnose (Muster 10000), Diagnosen in den ersten zwei Jah-
ren und danach keine weiteren Diagnosen (Muster 11000) und alle restlichen Mus-
ter (Muster „andere“). In einer multinomialen logistischen Regressionsanalyse wur-
de der Einfluss von Geschlecht, Alter bei Diagnose, Bildung des Hauptversicherten,
psychiatrischer Komorbidität und ADHS-Typ auf die jeweiligen Persistenzmuster
untersucht. Die Bestimmung der psychiatrischen Komorbidität basierte auf den Di-
agnosen der Gruppen F80-89 und F91-99 im Quartal der ADHS-Erstdiagnose und in
den 3 Quartalen davor. Die Ergebnisse der multinomialen logistischen Regression
wurden als Odds Ratios (OR) mit zugehörigen 95% KI angegeben. Die Analysen
erfolgten im Case-Crossover (CCO) und Self-Controlled Case-Series (SCCS) Design.
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
161
Case-Only Studien
Für die Case-Only Studien wurden ADHS-Fälle aus der Datenbankstudie in den Jah-
ren 2005 und 2006 ausgewählt. Zusätzlich musste bei diesen Fällen im gesamten
Follow-up zumindest eine stationäre Aufnahme mit einer Verletzungsdiagnose vor-
liegen. Im nächsten Schritt wurden zu diesen Fällen alle Verschreibungen von MPH
und ATX extrahiert. Ein Patient galt als unter Therapie an einem bestimmten Tag,
wenn die letzte Verschreibung weniger Tage als die Anzahl der verschriebenen Tab-
letten zurücklag. Damit wurde implizit angenommen, dass nur eine Tablette eine
Tagesdosis bedeutet. Im Rahmen von Sensitivitätsanalysen erfolgte neben der Aus-
wertung von allen Verletzungsdiagnosen auch eine Einschränkung auf nur die stati-
onären Aufnahmen wegen Hirnverletzungsdiagnosen (Studienpopulation 2). Wei-
terhin wurde das Altersspektrum in einer weiteren Analyse auf die 9-bis 10-jährigen
eingeschränkt, um die Gruppe homogener zu machen. Alle Analysen wurden jeweils
mit beiden Methoden (CCO und SCCS) durchgeführt.
Feldstudie
Kinder mit und ohne ADHS wurden in der Datenbank identifiziert und die von den
Krankenkassen gelieferten pseudonymisierten IDs dieser Kinder an die Krankenkas-
sen rückübermittelt. Die angebotenen Studienelemente: Telefoninterviews, das
Ausfüllen von Fragebögen und eine Speichelprobe des Kindes (nur für AOK Versi-
cherte) konnten einzeln gewählt werden.
Im Vorfeld der Studie wurde ein umfangreicher Fragebogen für das erste Telefonin-
terview (als Computer Assisted Telephone Interview (CATI)) durch das BIPS entwi-
ckelt. Die Eltern wurden im Interview gebeten, Fragen zur Familien-und Schulsitua-
tion, zum Medienkonsum, zu Schlafgewohnheiten und Fragen zur ADHS-Diagnose
und Therapie ihres Kindes zu beantworten. Zusätzlich erfragt wurde der Fremdbeur-
teilungsbogen für Eltern, Lehrer und Erzieher (FBB-ADHS) zu Symptomkriterien nach
ICD-10, der „Strengths and Difficulties Questionnaire“ (SDQ) zu emotionalem Ver-
halten, Verhaltensproblemen und Hyperaktivität und die „Wender Utah Rating Sca-
le“ (WURS-K) zur retrospektiven Erfassung kindlicher ADHS-Phänomene und zu
Symptomen des Kindesalters. Der SDQ wurde bei der Hälfte der Teilnehmer telefo-
nisch und bei einem anderen schriftlich abgefragt, um die Gleichwertigkeit beider
Befragungsmodi zu überprüfen. Zudem wurde jedem Studienteilnehmer der Child
Health Questionnaire (CHQ) zugeschickt. Die Teilnehmer-/innen der AOK Kranken-
kasse erhielten außerdem ein Speichelkit, das Oragene® DNA Selbstabgabe-Test-Kit,
zusammen mit einer detaillierten Beschreibung zur Handhabung. Das Röhrchen mit
der Speichelprobe versendeten die Eltern in einem voradressierten und frankierten
Rückumschlag direkt an das Labor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in
Mannheim zur genetischen Analyse.
Einschlusskriterien. Eingeschlossen wurden Fälle und nach Alter, Geschlecht und
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
162
Krankenkasse gematchte Kontrollen, die zum Zeitpunkt der Diagnosestellung fünf
bis neun Jahre alt waren. Die Alterseinschränkung wurde auf Wunsch der Koopera-
tionspartner, die die kinderpsychologische Untersuchung bei diesen Kindern durch-
geführt haben (ZKPR Bremen und ZI Mannheim), vorgenommen und war darin be-
gründet, dass für einige der verwendeten Instrumente die Kinder zum Zeitpunkt der
Datenerhebung nicht älter als 13 Jahre sein durften.
Datenbankstudie
In dem Rekrutierungszeitraum von 2005 bis 2007 wurden 75.300 Kinder und Ju-
gendliche in die Kohorte aufgenommen. Davon waren 75,42% (N=56.794) männlich.
Bei Studieneintritt war die Mehrheit der eingeschlossenen Versicherten sowohl bei
Mädchen als auch bei Jungen 8 Jahre alt. Die Altersverteilung war bei den Mädchen
leicht zum höheren Alter hin verschoben. Die Studienpopulation wurde aus dem
gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gezogen, dementsprechend wa-
ren die bevölkerungsstarken Bundesländer am stärksten vertreten. Insgesamt konn-
ten 254.985,63 (192.189 Jungen und 62.796,08 Mädchen) Personenjahre in die Be-
trachtung eingeschlossen werden. Die meisten Personenjahre (98.710 Personenjah-
re) entfielen auf die Gruppe der 9 -<12-jährigen, gefolgt von der Altersgruppe der
12 -<15-jährigen (62.002 Personenjahre). In der jüngsten (3 -<6) und ältesten Al-
tersgruppe (18+) gab es die wenigsten Personenjahre.
In dem Zeitraum von 2005 bis 2009 wurden insgesamt 1.643.678 ambulante Arztbe-
suche in der Kohorte identifiziert. Jungen gingen dabei mehr als doppelt so häufig
zum Arzt wie Mädchen. Betrachtet man die Arztkontakte in den einzelnen Alters-
gruppen, so zeigte sich die höchste Kontaktdichte in der Altersgruppe der 9 bis 12-
Jährigen. Während Kinder ohne ADHS 632.149 Arztkontakte zeigten, konnten für
Kinder mit ADHS 1.011.529 Arztkontakte ermittelt werden. In jeder Altersgruppe
war die Häufigkeit für die Kinder mit ADHS um 1/3 erhöht im Vergleich zu Kindern
ohne ADHS. Die Rate der Arztbesuche für die gesamte Kohorte nahm in dem Stu-
dienzeitraum von 2005 bis 2009 ab und zeigte zwischen den Bundesländern nur
geringfügige Unterschiede. Hingegen unterschied sich die Anzahl der Arztbesuche
zwischen Mädchen und Jungen in Abhängigkeit vom Alter. Während bei Mädchen
nach einer Abnahme der Arztbesuche bis zum 12. Lebensjahr die Anzahl mit stei-
gendem Alter wieder zunahm, und die Kurve eine U-Form annahm, war bei Jungen
eine kontinuierliche Abnahme der Arztbesuche zu sehen. Sowohl bei Jungen als
auch bei Mädchen wurde die Rate Ratio der Arztbesuche signifikant durch das Vor-
liegen von ADHS beeinflusst. Dieses zeigte sich für alle Altersgruppen, wobei die
jüngeren Altersgruppen der 6-< 9 und 9-<12-jährigen in einem höherem Ausmaß
beeinflusst waren als die älteren Altersgruppen der 15-<18 und über 18-jährigen
Kinder und Jugendlichen.
Insgesamt wurden 30.041 Hospitalisierungen in der Kohorte identifiziert. Kinder und
Jugendliche mit ADHS wurden fast doppelt so häufig stationär aufgenommen wie
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
163
Kinder und Jugendliche ohne ADHS (19.603 versus 10.438). Entsprechend der Ge-
schlechtsverteilung der Kohorte unterschied sich in der Gruppe der Kinder mit als
auch ohne ADHS die Anzahl der Hospitalisierungen zwischen den Geschlechtern um
den Faktor 3 (Kinder mit ADHS: 14.192 Aufnahmen bei Jungen versus 5.111 bei
Mädchen; Kinder ohne ADHS: 7.970 Aufnahmen bei Jungen versus 2.468 bei Mäd-
chen). Diese Unterschiede wurden auch beim Vergleich der Altersgruppen sichtbar.
Geringere Unterschiede zwischen Kindern mit ADHS und ohne ADHS wurden in den
mittleren Alterskategorien der 9-< 12und 12-< 15-jährigen beobachtet, während
sich in den Altersgruppen der 3-bis 6-Jährigen Unterschiede bis zu Faktor 3 zeigten.
In allen Altersgruppen zeigte sich eine deutliche Risikoerhöhung durch ADHS. Be-
sonders erhöht war das Risiko in der Altersgruppe der 3 - 6-jährigen Kinder.
Es wurden 3.479 Hospitalisierungen mit einer Verletzungsdiagnose aus der IMD
Matrix identifiziert. Sowohl bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS als auch bei
solchen ohne ADHS gab es mehr stationäre Aufnahmen bei Jungen als bei Mädchen.
Kinder und Jugendliche mit ADHS hatten generell ein höheres Risiko aufgrund einer
Verletzung stationär ins Krankenhaus aufgenommen zu werden als Kinder und Ju-
gendliche ohne ADHS. Frakturen, innere Organverletzungen, offene Wunden und
Prellungen waren dabei die häufigsten Arten der Verletzungen, die zu einer Auf-
nahme ins Krankenhaus führten. Jungen mit ADHS zeigten jeweils die höchsten Risi-
ken für die meisten Verletzungen.
Bei Mädchen und Jungen zeigten die bei Diagnose 3- bis bis 5-jährigen und 6- bis 8-
jährigen Kinder ein höheres Risiko für lange ADHS-Persistenz als Kinder, die bei der
Erstdiagnose von ADHS schon älter waren. Das geringste Risiko für eine über 5 Jahre
durchgängige ADHS-Persistenz zeigten die bei Diagnose 15-bis 17-Jährigen. Ähnlich
verhielt es sich mit dem Risiko für Lücken in der ADHS-Persistenz. Ein Risikogradient
mit steigendem Bildungsniveau der Eltern für lange oder für lückenhafte ADHS-
Persistenz war weder bei Jungen noch bei Mädchen zu beobachten. Jungen mit ei-
ner F90.1 Diagnose im Jahr nach ADHS-Erstdiagnose zeigten eine klare Tendenz zu
längeren ADHS-Persistenzen gegenüber Kindern ohne eine solche F90.1 Diagnose.
Bei Mädchen trat die gleiche Tendenz auf, war aber weniger stark ausgeprägt. Im
Vergleich zu Jungen ohne psychiatrische Komorbiditäten aus den Gruppen F80-89
und F91-99 zeigten diejenigen Jungen, die aus beiden Gruppen mindestens eine
Diagnose aufwiesen, ein erhöhtes Risiko für eine längere ADHS-Persistenz (11111)
oder andere Persistenzmuster außer 10000 und 11000). Bei Mädchen konnte dieser
Effekt nicht beobachtet werden. In einer gemeinsamen Analyse von beiden Ge-
schlechtern wiesen Mädchen gegenüber Jungen ein geringeres Risiko für eine län-
gere ADHS-Persistenz (=Persistenzmuster 11111) bzw. zeitliche Lücken (alle Per-
sistenzmuster außer 11111, 10000 und 11000) in der ADHS-Persistenz auf.
Case-Only Studie
Am stärksten vertreten waren die Altersgruppen 7 bis 11 Jahre in beiden Studien-
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
164
populationen; jeweils ein Fünftel waren Mädchen. Beide Auswertungsdesigns (CCO,
SCCS) zeigten tendenziell eine Risikoreduktion aufgrund der Medikamentenein-
nahme, in den meisten Fällen waren die Ergebnisse jedoch nicht auf dem 5%-
Signifikanzniveau signifikant. Lediglich bei den Hirnverletzungen zeigte sich ein kla-
rer protektiver Effekt im SCCS Design, während ein derartiger Medikamenteneffekt
im CCO Design nicht zu beobachten war. Interessanterweise verschwand dieser
schützende Effekt im SCCS Design in der Analyse, die auf nur 9- bis 10-jährige be-
schränkt war. Angesichts des deutlich breiteren KI in dieser Untergruppe bedeutet
dies jedoch nicht notwendigerweise, dass der protektive Effekt nicht vorhanden ist.
Zwar wurde die zusätzliche Analyse durchgeführt, um besser das typische SCCS De-
sign abzubilden, wonach alle Teilnehmer über eine in etwa gleiche Altersperiode
betrachtet werden, dieses konservative Kriterium schränkte die Studienteilnehmer-
zahl aber so erheblich an, dass eine präzise Aussage zum Risiko nicht mehr möglich
war.
Feldstudie
Insgesamt willigten 211 Personen ein, an der Studie teilzunehmen. Mit 195 Eltern
wurden Telefoninterviews durchgeführt, davon 22 mit AOK Versicherten und 173
mit TK Versicherten. Von den TK-Versicherten haben sieben Teilnehmende, die
nicht bereit waren, ein telefonisches Interview zu führen, den Fragebogen nach Zu-
sendung schriftlich ausgefüllt. In der AOK-Stichprobe lag der Rücklauf bei 13%, nach
zweimaligem Anschreiben und telefonischer Nachfassaktion. Von den 168 ange-
schriebenen Versicherten haben 22 Personen an der Studie teilgenommen. In der
TK-Stichprobe betrug der Rücklauf 16%. Von 1120 angeschriebenen Versicherten
(es war eine Nachziehung erfolgt) nahmen 180 an der Studie teil. Insgesamt nah-
men 15,7% aller angeschriebenen AOK-und TK-Versicherten an der Studie teil. Die
Bereitschaft, die selbst auszufüllenden Fragebögen zusätzlich zu dem durchgeführ-
ten Telefoninterview zurückzuschicken, war insgesamt sehr hoch, von den versen-
deten 195 Fragebögen kamen 192 zurück. Mit der kinderpsychologischen Untersu-
chung in Bremen waren 21 Versicherte der AOK Bremen/Bremerhaven und 20 Ver-
sicherte der TK Bremen einverstanden. Der kinderpsychologischen Untersuchung in
Mannheim haben 44 Versicherte der TK Mannheim zugestimmt. Insgesamt wurden
im Rahmen der Feldstudie 138 Kinder untersucht. 107 davon in oder von Mannheim
aus und 34 in Bremen. Es gab insgesamt drei unterschiedliche Untersuchungsgrup-
pen, die zuerst nach geplanter Untersuchungsdurchführung eingeteilt wurden (Va-
riante A, B und C):
• Variante A (1. Face-to-Face Interview, 2. Telefoninterview),
• Variante B (1. Telefoninterview, 2. Face-to-Face Interview) und
• Variante C (Telefoninterview)
In einem zweiten Schritt, der als Grundlage der vorliegenden statistischen Berech-
nungen dient, erfolgte eine Gruppeneinteilung nach tatsächlich durchgeführten
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
165
Untersuchungen. Die Probanden, die Face-to-Face interviewt wurden, waren in
zwei Gruppen aufgeteilt, um Effekte der Reihenfolge bei der Telefon-versus Face-to-
Face-Vorgabe des K-SADS-PL zu kontrollieren. Zusätzlich wurden Probanden aus-
schließlich am Telefon interviewt.
Aus Mannheim liegen 24 vollständige Fälle vor, bei denen sowohl das Face-to-Face-
als auch das Telefoninterview durchgeführt wurden. Zehn Telefoninterviews mit
Patienten, die zuerst Face-to-Face interviewt wurden, konnten nicht durchgeführt
werden, da die Probanden zu einem erneuten Interview nicht bereit waren. Des
Weiteren wurden 73 Patienten bundesweit telefonisch interviewt. Es lagen noch
Kontaktdaten für ca. 45 weitere Familien vor. Diese Probanden waren zum Zeit-
punkt der Kontaktaufnahme entweder nicht erreichbar oder zu einer Teilnahme
nicht mehr bereit.
Stichprobenbeschreibung Mannheim. Von den 107 teilnehmenden Kindern waren
60,7 % männlich (N = 65) und 39,3 % weiblich (N = 42). Die Kinder waren im Durch-
schnitt 11,51 (SD=1,48) Jahre als. Das jüngste Kind war 7 Jahre, das älteste Kind 15
Jahre alt.
Eingesetzte Instrumente
Als Diagnoseinstrument wurde die deutsche Forschungsversion des Kiddie-Sads-
Present and Lifetime Version (K-SADS-PL) eingesetzt (Delmo, Weiffenbach, Gabriel,
Stadler & Poustka, 2000). Das KSADS-PL stellt ein semistrukturiertes diagnostisches
Interview dar, welches zur Erfassung gegenwärtiger und zurückliegender Episoden
von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt wird. In der
testpsychologischen Untersuchung bearbeiteten die Kinder jeweils die Wechsler
Intelligence Scale for Children (WISC-IV) (Petermann & Petermann, 2011) sowie
ausgewählte Subtests der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) (Zim-
mermann & Zimm, 2009). Des Weiteren durchlief jedes Kind die Testbatterie zur
Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) von Zimmermann und Fimm (2009). Dieses compu-
tergestützte Verfahren wird zur neuropsychologischen Erhebung der Aufmerksam-
keitsleistung genutzt. Es wird die Aufmerksamkeitsteuerung (Reizunterdrückung,
Aufmerksamkeitsteilung, Reaktionswechsel) und die Aufmerksamkeitskraft (Aktivie-
rungsbereitschaft, Daueraufmerksamkeit, Vigilanz) bestimmt. In der Studie wurden
fünf (in Mannheim) bzw. sechs (in Bremen) Untertests eingesetzt, welche Reliabili-
täten über .90 (Split-Half-Reliabilität) haben.
6.6 Ergebnisse
Über alle 138 Studienteilnehmer wurde auf der Grundlage des K-SADS-PL im Face-
to-Face-Interview in 25,8% die Diagnose F90 „Hyperkinetische Störung“ (ICD-10)
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
166
vergeben. Von den Probanden die ausschließlich am Telefon interviewt wurden,
erhielten 23,3% die Diagnose F90 „Hyperkinetische Störung“ (ICD-10). Die Diagnose
F91 „Störung die Sozialverhaltens“ (ICD-10) wurde insgesamt nur drei Mal über-
haupt vergeben, so dass eine statistische Auswertung nicht sinnvoll ist. Die Ergeb-
nisse im WISC-IV liegen mit einem Mittelwert von M = 104,52 (SD = 15,74) über alle
Studienteilnehmer hinweg im durchschnittlichen Bereich. Die erreichten Ergebnisse
in der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) sind ebenfalls für alle ausge-
werteten Kennwerte durchschnittlich.
Übereinstimmung der Diagnosen nach Krankenkassendaten und Kiddie-Sads. Es
zeigt sich, dass 36,8% der positiven ADHS-Diagnosen mit den Ergebnissen des Face-
to-Face-Interviews übereinstimmen. In 63,2% der ADHS-Fälle nach Krankenkasse
ergab das K-SADS-Interview keine Diagnosestellung. Umgekehrt blieb die K-SADS-
Diagnose in 90,9% der Kontrollkinder leer. Lediglich zwei Kontrollkinder (9,1%) wur-
den im Interview als ADHS-Patienten identifiziert. In der Gruppe der Telefoninter-
views stimmte die Diagnose einer ADHS in 36,1% der Fälle überein. In 63,9% der
Fälle wurde die Diagnose der Krankenkasse durch das Interview nicht bestätigt. Von
den Kontrollkindern wurden im Telefoninterview 96,6% als unauffällig im Hinblick
auf eine ADHS-Diagnose eingeschätzt. Mittelwertsvergleiche der Ergebnisse im
WISC-IV zwischen ADHS-und Kontrollgruppe ergaben keine Unterschiede von statis-
tischer Bedeutsamkeit (alle p > 0,05). Das heißt die Leistungen der beiden Gruppen
hinsichtlich ihrer Intelligenz differieren nicht bis nur marginal.
Gruppenunterschiede in der TAP (Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung. Die
Probanden aus ADHS-und Kontrollgruppe unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihrer
Ergebnisse in den Subtests der TAP. T-Tests ergaben keine statistisch signifikanten
Differenzen (ps > 0,05). Die Gruppe der ADHS-Patienten stellt hinsichtlich ihrer
Symptomatik keine homogene Stichprobe dar. Vielmehr zeigen ADHS-Patienten je
nach Alter, komorbiden Störungen und Subtypisierung sehr unterschiedliche Leis-
tungsprofile und keine einheitlichen Defizite. Auch bei der hier untersuchten Stich-
probe ist von einem heterogenen Symptombild auszugehen, was zumindest teilwei-
se die fehlenden Leistungsunterschiede zwischen ADHS- und Kontrollgruppe erklä-
ren könnte. Des Weiteren gilt zu beachten, dass einige der Kinder zum Untersu-
chungszeitpunkt mediziert waren, was ihre Leistungen in beiden testpsychologi-
schen Untersuchungen positiv beeinflusst. Die TAP stellt zudem ebenso wie der
WISC-IV kein eindeutiges Diagnoseinstrument zur Identifizierung einer ADHS-
Problematik dar, sondern untermauert im Einzelfall die klinisch beobachtbare und
anamnestisch erfragte Symptomatik.
Die Berechnung der positiv und negativ prädiktiven Werte erfolgte auf der Grundla-
ge einer ADHS-Prävalenzschätzung von 5,3% (Polanczyk et al., 2007) für das Auftre-
ten von ADHS. Der positiv prädiktive Wert als ein Maß für die Wahrscheinlichkeit,
mit der Personen, die mittels eines bestimmten Testverfahrens als krank eingestuft
wurden, auch tatsächlich krank sind fällt mit einem Wert von P=0,1088 (Telefonin-
Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter
167
terview) bzw. P=0,0823 (Face-to-Face-Interview) gering aus. Der negativ prädiktive
Wert wird beschrieben als die Wahrscheinlichkeit, dass gesunde Personen auch
aufgrund des jeweiligen Diagnoseinstrumentes als gesund eingestuft werden. Die
Werte von P=0,9930 (Telefoninterview) bzw. P=0,9849 (Face-to-Face-Interview)
können als hoch eingestuft werden, das heißt die Wahrscheinlichkeit tatsächlich
gesunde Personen auch als solche zu erkennen ist nahezu 100%.
Genetische Tests. Dieser Studienteil sollte prüfen, inwieweit es in einem derartigen
Studienansatz möglich ist, genetisches Material der Studienteilnehmer für Studien-
zwecke zu gewinnen. Leider konnte dies nur bei der AOK Bremen getestet werden,
da beide großen Krankenkassen (DAK und TK) nicht an diesem Studienteil teilnah-
men. Es wurde außerdem geprüft, ob das von den Studienteilnehmern als Speichel-
probe gewonnene Material (mittels Oragene DNA Kits) in der Menge ausreichend
und nach dem Versand geeignet ist für genetische Analysen.
Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurden drei Studien mit unterschiedlichem
Studiendesign durchgeführt. Die Datenbankstudie zeigte eine ähnliche Inzidenz und
Prävalenz von ADHS wie frühere Studien in Deutschland, ermittelte ein höheres
Unfallrisiko bei ADHS-Kindern im Vergleich zu gemachten Kontrollkindern ohne
ADHS und zeigte, dass eine Diagnose von F90.1 sowie vorbestehende psychiatrische
Komorbidität wichtige Prädiktoren des weiteren Erkrankungsverlaufes sind, nicht
allerdings der Bildungsstand des Hauptversicherten. Die auf den Krankenkassenda-
ten durchgeführte Case-Only Studie liefert Hinweise für einen protektiven Effekt der
ADHS-Medikation, das erhöhte Unfallrisiko bei ADHS-Kindern zu reduzieren. Die
Feldstudie hatte zum Ziel, die Machbarkeit einer Rekrutierung von Studienteilneh-
mern mit und ohne ADHS über die Krankenkassendaten zu ermitteln.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Datenbankstudien viele interessante
Einzelergebnisse zum Krankheits- und Therapieverlauf von ADHS und den Effekten
der medikamentösen Therapie in diesem Forschungsvorhaben bereit gestellt haben
und sich für weitere Untersuchungen als aussichtsreich erwiesen haben. Die Daten-
bankstudie hatte mit fünf Jahren ein längeres Follow-up als im Forschungsantrag
vorgesehen. Gleichwohl ist das Follow-up immer noch gering, um den Verlauf von
ADHS in das Erwachsenenalter zu beurteilen. Hierfür ist eine eigenfinanzierte Fort-
führung der Datenbankstudie bis zum Jahr 2018 vorgesehen, die bereits von den
Krankenkassen und Behörden genehmigt ist.
6.7 Literatur
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Version 2.2. Herzogenrath: PSYTEST.
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Kraut, A.A., Langner, I., Lindemann, C., Banaschewski, T., Petermann, U.,
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incidence in Germany and comorbidities in methylphenidate users compared to
controls. BMC Psychiatry.
Projet Prima!r
169
7 Luxemburger Modell zur Prävention aggressiven Verhaltens in der Spiel- und Primarschule „Projet Prima!r“
7.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterinnen
Dipl.-Psych. Heike Natzke
Prof. Dr. Ute Koglin
Dr. Nandoli von Marées
KoordinatorInnen
Dipl.-Psych. Mireille Thill (Luxemburg)
Dr. phil. Heike Jacobsen (Luxemburg)
Zeitraum
1.09.2004 - 31.01.2007
Finanzierung
Service de Coordination de la Recherche et de l'Innovation Pédagogiques et
Technologiques (SCRIPT), Ministère de l'Education Nationale, de la Formation
Professionnelle et des Sports (MENFP), Luxembourg, Ville de Luxembourg, Service
de l‘Enseignement
7.2 Zusammenfassung
In einer komparativen Evaluationsstudie sollen unmittelbare und längerfristige Ef-
fekte eines Programms zur Prävention aggressiven Verhaltens von Vor- und Grund-
schülern in Luxemburg-City untersucht werden. Die eher bedarfsorientierte Studie
sieht die Entwicklung und Durchführung multimodaler Präventionsmaßnahmen für
Vorschüler, Erstklässler und Drittklässler vor, die systematisch aufeinander abge-
stimmt werden. Die universelle Komponente des Programms umfasst im Wesentli-
Projet Prima!r
170
chen Trainings für die gesamten Klassenverbände aller Kohorten, Schulungen und
Supervision für die Klassenlehrer, für Hort- und Heimerzieher sowie Elterntrainings.
Flankierend werden Fortbildungen und Supervisionen für Pädagogen und Behandler
bereits selektierter und in einer „classe speciale“ zusammengefasster verhal-
tensauffälliger Primarschüler angeboten. Es sollen insgesamt acht ortsansässige
Primarschulen beteiligt werden. Die Erhebung der Daten zu den Maßnahmen für die
Vorschul- und Erstklässler-Kohorte soll anhand von Befragungen der Schüler, Lehrer
und Eltern mit unterschiedlichen Methoden (Interview, Fragebogen) zu drei ver-
schiedenen Messzeitpunkten (Prätest, Posttest, Follow Up nach 12 Monaten) im
Rahmen eines Kontrollgruppendesigns erfolgen. Für die Maßnahmen der Drittkläss-
ler ist eine Machbarkeitsanalyse vorgesehen. Die Einschätzung der verhaltensauffäl-
ligen „classe speciale“-Schüler“ erfolgt in Einzelfallanalysen.
7.3 Stand der Forschung
Aggressives Verhalten stellt eine der häufigsten Formen auffälligen Sozialverhaltens
bei Kindern und Jugendlichen dar, wobei das Auftreten aggressiv geprägter Verhal-
tensstörungen (nach ICD-10: Störungen des Sozialverhaltens) mit zunehmendem
Alter steigt. Studien zum Verlauf belegen zudem, dass aggressives Verhalten als
sehr stabil bezeichnet werden muss und sich von der Kindheit bis ins Erwachsenen-
alter fortsetzen kann. Kinder mit aggressiv/oppositionellem Verhalten weisen ein
erhöhtes Risiko für ein dissoziales und delinquentes Verhalten im Jugendalter auf.
Webster-Stratton und Taylor (2001) machen darauf aufmerksam, dass die bedeut-
samsten risikoerhöhenden Faktoren für das Auftreten aggressiv-dissozialer Verhal-
tensstörungen im Jugendalter
1. ein frühes Auftreten der Symptomatik,
2. Beziehungen zu massiv auffälligen Gleichaltrigen,
3. überstrenges und inkonsistentes Erziehungsverhalten der Eltern sowie man-
gelnde elterliche Aufsicht kindlicher Aktivitäten,
4. Schulversagen sowie mangelnde Einbindung der Schüler in die Schule sind.
Als Auslöser für aggressives Verhalten aus mikroanalytischer Perspektive werden
zudem kognitive und emotionale Faktoren diskutiert. In einer Reihe von Studien
konnte nachgewiesen werden, dass dysfunktionale Wahrnehmungs-, Interpretati-
ons- und Attributionsprozesse bei der kognitiven Verarbeitung sozialer Situationen
die Auftretensrate aggressiver Handlungen erhöhen können (Crick & Dodge, 1994;
Dodge & Schwartz, 1997). Lemerise und Arsenio (2000) betonen die bedeutsame
Rolle von Emotionen bei der Strukturierung von gedanklichen Prozessen. Da Emoti-
onen als verstärkende oder bestrafende Handlungskonsequenzen wirken, haben sie
zusätzlich einen beträchtlichen Einfluss auf Handlungsmotivation und -auswahl. Der
Einfluss emotionaler Faktoren auf aggressives Verhalten wird durch Befunde ge-
Projet Prima!r
171
stützt, die bei Vorschulkindern mit externalisierenden Verhaltensausfälligkeiten
häufiger Defizite in emotionalen Kompetenzen nachweisen als bei unauffälligen
Kindern (vgl. im Überblick Petermann & Wiedebusch, 2008). Im Rahmen der Prä-
ventionsforschung zu aggressiv-dissozialen Verhaltensstörungen werden möglichst
frühzeitig einsetzende Maßnahmen gefordert (z.B. Tremblay, LeMarquand & Vitaro,
1999; Webster-Stratton & Taylor, 2001). In unterschiedlichen Studien wird darauf
hingewiesen, dass gewalttätige Jugendliche mit einer Wahrscheinlichkeit von nahe-
zu 50% bereits im Alter von sechs Jahren und jünger identifiziert werden können
(Loeber et al., 1993; Tremblay et al. 1999).
Die Durchführung von Präventionsmaßnahmen erweist sich insbesondere kurz vor
oder kurz nach Entwicklungsübergängen (z.B. Kindergarten, Einschulung) als sinn-
voll, weil die Kinder und ihre Familien während dieser Phasen erhöhter Anforderun-
gen vermehrt Stressbelastungen ausgesetzt sind und damit einem höheren Stö-
rungsrisiko unterliegen. Insbesondere die Schuleingangsphase konnte als günstiger
Zeitpunkt identifiziert werden, um den weiteren Entwicklungsverlauf eines Kindes
frühzeitig positiv zu beeinflussen (vgl. Reid, 1993). Entwicklungspsychopathologi-
sche Befunde legen nahe, gezielte Interventionen bereits im Kindergarten durchzu-
führen, um ungünstigen Entwicklungen so früh wie möglich entgegen zu wirken
(Webster-Stratton & Taylor, 2001).
Es liegen eine Anzahl von schulischen Trainingsprogrammen vor, die sich entweder
auf die Veränderung von Kontextfaktoren (z.B. das Lehrerverhalten) oder von per-
sonengebundenen Faktoren (z.B. die sozialen Fertigkeiten des Kindes) stützen, um
der Entwicklung von Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten und des Sozial-
verhaltens vorzubeugen. Wirksame Programme mit systematisch aufeinander abge-
stimmten Modulen für Vorschüler, Schulanfänger und Grundschüler, wie etwa
Drittklässlern, die kontextuelle und personzentrierte Ansätze vereinigen, um zu sta-
bilen Erfolgen zu kommen, sind im deutschen Sprachraum nur spärlich vertreten.
Die langfristige Wirksamkeit singulärer Präventionsprogramme, die entweder aus-
schließlich universell oder selektiv/indiziert ausgerichtet sind, ist begrenzt (z.B.
Tremblay et al., 1999). Metaanalytische Befunde sprechen daher für Mehrebenen-
Programme, die universelle Fördermaßnahmen für alle Kinder mit selektiven Inter-
ventionen für Risikokinder kombinieren und zudem unterschiedliche Erfahrungsbe-
reiche (z.B. die Schule, das Elternhaus und Peer-Groups) mit einbinden (Conduct
Problems Prevention Research Group [CPPRG], 1999a, b; Horne, 2004; Tremblay et
al., 1999).
Nach Angaben Luxemburger Experten ist seit Beginn des Jahres 2004 eine signifi-
kante Zunahme aggressiven Verhaltens bei Kindern im Primarschulalter in Luxem-
burg-City zu beobachten. Die steigende Häufigkeit aggressiver Handlungen zeige
sich besonders in den Schulen, sei aber auch in Luxemburger Kinderhorten, die von
ca. 40% aller Schüler in Luxemburg-City frequentiert werden, zu verzeichnen. Die
generelle Tendenz habe sich demnach besonders in einem mittelständischen Stadt-
Projet Prima!r
172
teil verdichtet, in dem ein Kinderheim sowie ein Internat angesiedelt sind. In dem
Kinderheim leben vor allem Kinder mit problematischem familiärem Hintergrund.
Das Internat beherbergt unter anderem Flüchtlinge aus Kriegsgebieten.
7.4 Ziele
Im Abgleich mit dem aktuellen Forschungsstand zur Prävention aggressiven Verhal-
tens bei Vor- und Grundschülern soll ein bedarfsgerechtes Präventionsvorhaben
gestaltet werden, das unauffällige und bereits verhaltensauffällige Kinder des Vor-
schul- und Grundschulbereichs in unterschiedlichen Lebensumfeldern (Vorschule,
Primarschule, Familie/familienanaloges Bezugsfeld) mithilfe kindzentrierter und
kontextorientierter Präventionsmaßnahmen erreicht, um das Auftreten aggressiven
Schülerverhaltens kurz-, mittel- und langfristig abzubauen. Die Schüler der in Lu-
xemburg obligatorischen Vorschul- (Kindergarten), der 1. und der 3. Klassen sollen
durch universelle und altersangemessene Mediatorentrainings zur gezielten Förde-
rung emotionaler und sozialer Kompetenzen angeleitet werden. Unter Berücksichti-
gung von bereits evaluierten effektiven Präventionsprogrammen des Zentrums für
Klinische Psychologie und Rehabilitation, wie etwa des Verhaltenstrainings für
Schulanfänger (Petermann, Natzke, Gerken & Walter, 2013), sollen aufeinander
abgestimmte Maßnahmen gestaltet bzw. weiterentwickelt werden.
7.5 Methodisches Vorgehen
Als Studiendesign ist ein Vergleich von Interventions- und Kontrollgruppen zu drei
Messzeitpunkten vorgesehen: Während die Interventionsgruppen mit den oben
genannten Präventionsmaßnahmen erhalten, durchlaufen die Kontrollgruppen das
schulische Curriculum ohne zusätzliche Interventionen. Die zur Wirksamkeitsüber-
prüfung notwendigen Datenerhebungen sollen direkt vor Beginn der Präventions-
maßnahmen (Prätest), direkt nach Abschluss der Maßnahmen (Posttest) und nach
einem Zeitraum von einem Jahr. Aus organisatorischen Gründen können die Maß-
nahmen für die Schüler der 3. Klasse erst im Frühjahr 2006 beginnen. Die Überprü-
fung der Maßnahmen für die 3. Klassen erfolgt im Rahmen einer Machbarkeitsana-
lyse, in der die Klassenlehrer insbesondere das Training für die Schüler hinsichtlich
seiner Akzeptanz und Realisierbarkeit einschätzen.
Rekrutierung und Schulung der Interviewer. Um eine professionelle Befragung der
Kinder zu drei Messzeitpunkten in verschiedenen Sprachen zu gewährleisten, wur-
den Interviewer/-innen rekrutiert. Diese Aufgabe wurde weitestgehend vom MENFP
in Luxemburg übernommen, da es sich bei den Interviewer um Personen mit
Sprachkenntnissen in Luxemburgisch, Französisch und Portugiesisch handeln muss-
Projet Prima!r
173
te. Bei den Interviewern handelte es sich um Psychologen, Studenten der Psycholo-
gie im Hauptstudium sowie um eine portugiesische Mitarbeiterin des MENFP. In der
Follow up Befragung wurden ferner drei portugiesische und in Luxemburg lebende
Berufsschüler/-innen an der Befragung beteiligt. Die videogestützte Interviewer-
schulung wurde von Mitarbeitern des ZKPR entwickelt und durchgeführt.
Durchführung von Pretest, Posttest und Follow Up. Die Befragungen des Pretests
wurden im Januar, Februar und März 2005, die des Posttests im Juli und August
2005 und die des Follow Up ab Ende Juni und im Juli 2006 absolviert. Die Interviews
mit den Kindern wurden für den Pretest im Zeitraum von Februar bis März 2005
(Nacherhebung in einem Stadtteil) durchgeführt. Die Kinderinterviews für den Post-
test fanden im Zeitraum von Juli bis August 2005 statt. Die Kinderbefragungen des
Follow Up erfolgten Ende Juni bis Juli 2006.
Fortbildungen, Kurse und Supervisionen. Der Kinderkurs für die Spielschüler wurde
von Frau Prof. U. Koglin und Prof. F. Petermann neu entwickelt. Den Rahmen des
Kinderkurses für die ersten Klassen bildete das bereits publizierte „Verhaltenstrai-
ning für Schulanfänger“ (Petermann et al., 2006). Der Kinderkurs für die dritte Klas-
se sowie die Fortbildungen für die Lehrer und Erzieher wurden von Mitarbeitern des
ZKPR neu entwickelt und fertiggestellt. Die viertägige Fortbildung der neun Lehrer
der Interventionsgruppe erfolgte im Februar 2005. Die Fortbildungen für die zwei
Lehrer der dritten Klassen fanden im Januar 2006 im Centre des Langues (SCRIPT)
statt. An den eintätigen Fortbildungen im Februar 2005 sowie Januar 2006 im Cent-
re des Langues (SCRIPT) nahmen Leiter, Vertreter und Mitarbeiter der verschiede-
nen Foyers der Stadt Luxemburg teil. Die Kinderkurse begleitende Supervisionen für
die Lehrer der Interventionsgruppe im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie
fanden im Centre des Langues (SCRIPT) statt. Die Durchführung der Kinderkurse im
Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie (Vorschule; erste Klassen) erfolgte
zwischen März und Juli 2006. Die Entwicklung und Durchführung der Kurse erfolgte
durch das ZKPR in deutscher, französischer und portugiesischer Sprache.
Wissenschaftliche Begleitstudie. Die Überprüfung der Wirksamkeit erfolgte als ex-
terne Evaluation mittels eines kontrollierten prospektiven 2x3 Designs, das die Ent-
wicklung einer Interventions- und Kontrollgruppe zu je drei Messzeitpunkten kon-
trastierte. Die Interventionsgruppe setzte sich aus den Kindern, die an einem schul-
basierten Kinderkurs teilnahmen, zusammen. Die Kontrollgruppe bildeten ver-
gleichbare Luxemburger Kinder, die keine Projet Prima!r-Angebote erhielten. Zur
besseren Verständlichkeit werden sie im Folgenden als „Kursgruppe“ und „Ver-
gleichsgruppe“ bezeichnet. Die Veränderungsmessungen erfolgten anhand von Be-
fragungen der Lehrer, der Eltern und der Kinder mit Hilfe von Fragebögen. Die Kin-
der wurden einzeln durch geschulte Interviewer befragt. Die Befragungen der Kin-
der erfolgten nach Vorankündigung und mit schriftlichem Einverständnis der Eltern
in den jeweiligen Schulen während der Unterrichtszeit. Die Befragung eines Kindes
dauerte maximal 30 Minuten. Die Befragungen wurden direkt vor den Interventio-
Projet Prima!r
174
nen (MZP 1), direkt nach den Interventionen (MZP 2) sowie 12 Monate nach den
Interventionen durchgeführt (MZP 3).
Interventionen. Der schulbasierte Kurs für Spielschüler ist ein kompetenzorientier-
tes Programm zur Prävention aggressiven Verhaltens und Förderung von Kindern
zwischen vier und sechs Jahren, das eigens für das Projet Prima!r vom ZKPR entwi-
ckelt wurde. Es besteht aus 25 Einheiten, die durchschnittlich zweimal pro Woche in
der Spielschule von den Klassenlehrern durchgeführt wurden. Das bereits publizier-
te Präventionsprogramm (Petermann et al., 2013) wurde mit den gesamten Klas-
senverbänden vom Klassenlehrer ab Frühjahr 2005 durchgeführt. Das Training be-
steht aus 26 Sitzungen mit einer Frequenz von zwei Sitzungen pro Woche. Zur Stär-
kung der Erziehungskompetenzen der Eltern wurden parallel zu den Kinderkursen
Elternkurse in den Schulen angeboten. Die standardisierten und vom ZKPR entwi-
ckelten Kurse umfassten vier Sitzungen à 90 Minuten und wurden nach Bedarf in
deutscher, französischer und portugiesischer Sprache zum Teil mit Kinderbetreuung
abgehalten.
Datenerhebung. Die Befragung der Eltern, Lehrer und Erzieher zum Verhalten der
Kinder erfolgte mit einer Zusammenstellung aus anerkannten Messinstrumenten.
Die Befragung der Schüler erfolgte aufgrund des Alters der Kinder und deren damit
verbundenen eingeschränkten Fertigkeiten im Lesen- und Schreiben mittels eines
Interviews. Einen Überblick über die verwendeten Befragungsinstrumente gibt Ta-
belle 1.
Tabelle 1: Befragungsinstrumente.
Erhebungsinstrument
Modifizierte Version des Tests zur komparativen Sprachentwicklungs- und Förder-
diagnostik (TKS, Krampen et al., 1999)
Coloured Progressive Matrices (CPM, Raven, Bulheller & Häcker, 2002)
Kinderinterview für soziale Situationen (KISS, Petermann, Koglin, Natzke & von
Marées, 2004)
10 Items zu negativen und positiven Erziehungspraktiken; angelehnt an den APQ
Fragebogen zu Stärken und Schwächen (Strengths and Difficulties Questionnaire,
SDQ, Goodman, 1997)
FEEK-Skala (Koglin, Brüggemann & Petermann, 2004)
Skala zu aggressivem Verhalten (SAV; Koglin & Petermann, 2004)
Social Competence Scale (SCS; CPPRG, 2003)
Antisocial Process Screening Device (APSD, Frick & Hare, 2001)
Alabama Parenting Questionnaire (APQ; Shelton, Frick & Wootton)
7.6 Ergebnisse
Projet Prima!r
175
Insgesamt nahmen 17 Klassen aus dem Stadtgebiet Luxemburg an dem Projekt teil.
Insgesamt wurden 183 Familien mit Ihren Kindern für das Projet gewonnen. Zum
ersten Untersuchungszeitpunkt lagen aus diesen Familien 172 Angaben von Müt-
tern vor und 124 Angaben von Vätern vor. Für alle teilnehmenden Kinder (N = 183)
lagen Fragebögen der Lehrer vor. Zum zweiten Messzeitpunkt sank die Teilnahme-
quote bei den Eltern erheblich ab. Hier lagen 119 Fragebögen von Müttern und 102
Fragebögen von Vätern vor. Von den Lehrern lagen 183 Fragebögen vor. Zum drit-
ten Messzeitpunkt gingen noch 110 Fragebögen von Müttern, 82 von Vätern und
165 der Lehrer ein. Der Ausfall entstand überwiegend durch Umzug der Eltern oder
eine schlechte Erreichbarkeit der Eltern durch das Bremer Forscherteam. Die Drop-
out-Quote bei den Eltern beträgt damit vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt
30,81 bzw. 17,74% und vom zweiten zum dritten Messzeitpunkt 7,56 bzw. 19,61%
für die Mütter und Väter. Die absolute Mehrheit der Kinder lebte zum ersten Mess-
zeitpunkt bei den leiblichen Eltern. Ca. 12% der Kinder lebte bei geschiedenen oder
getrennt lebenden, 6% bei ledigen Eltern. Nahezu 50% der Kinder hatte eine portu-
giesische, nur ein Viertel der Kinder besaß die luxemburgische Staatsbürgerschaft.
Am Bildungsniveau der Eltern wird deutlich, dass es sich bei der Stichprobe nicht um
einen repräsentativen Ausschnitt der Bevölkerung handelt. Mehr als 50% aller El-
tern konnte einen Bildungsabschluss im Sinne eines Abiturs oder eines Hochschul-
abschlusses vorweisen.
Entwicklungsbeschreibende Ergebnisse. Der SDQ ermöglicht eine Einteilung der
Kinder nach dem Ausmaß der berichteten Probleme in die Kategorien „unauffällig“,
„grenzwertig“ und „auffällig“ (Cut-off-Werte). Im Sinne eines Screenings können so
Kinder identifiziert werden, die ein besonderes Risiko für klinisch bedeutsame Ver-
haltensprobleme aufweisen und damit über den „Cut-off-Werten liegen. Die Mütter
schätzen die prosozialen Fertigkeiten ihrer Kinder gut ein. Lediglich 3,5% bzw. 5,5%
der Mütter berichten davon, dass ihre Kinder Schwierigkeiten haben, auf andere
Kinder helfend zuzugehen. Die Mütter in dieser Stichprobe berichten damit von
deutlich weniger Kindern mit Defiziten prosozialer Fertigkeiten im Vergleich zu den
Normierungsstudien, nach denen jeweils ca. 10% mit den erreichten Werten in den
Kategorien „grenzwertig“ bzw. „auffällig“ liegen. Umso deutlicher berichten die
Mütter jedoch von externalisierenden Verhaltensproblemen (wie häufige Wutanfäl-
le und trotziges Verhalten) oder und Problemen mit Gleichaltrigen. In diesen Berei-
chen haben nach den mütterlichen Angaben rund ein Drittel der Kinder deutliche
Schwierigkeiten. Dabei berichten die Mütter besonders über die Jungen vermehrt
aggressives Verhalten, motorische Unruhe und Unaufmerksamkeit (p <. 05). Bei den
Defiziten im prosozialen Verhalten, emotionalen Problemen oder Problemen mit
Gleichaltrigen gibt es hingegen keinen signifikanten Unterschied zwischen Jungen
und Mädchen. Entsprechend erreichen auch mehr Jungen als Mädchen mit dem
Gesamtproblemwert ein Ergebnis, das über den Grenzwerten liegt.
Die Lehrereinschätzungen zu den Verhaltensstärken und -schwächen zeigen, dass
die Lehrer die Kinder insgesamt weniger verhaltensschwierig einschätzen als die
Projet Prima!r
176
Mütter. In Übereinstimmung mit den Müttern berichten die Lehrer am häufigsten
über externalisierende Verhaltensprobleme der Kinder. Im Unterschied zu den Müt-
tern, die am zweithäufigsten besonders Probleme mit Gleichaltrigen angaben, ste-
hen für die Lehrer Probleme durch unaufmerksames und hyperaktives Verhalten an
zweiter Stelle. Danach berichten Lehrer von Defiziten im prosozialen Verhalten,
während Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen am seltensten angeben werden.
Beim Vergleich der Vorschulkinder mit den Erstklässlern zeigen sich typische Alters-
effekte. Das Verhalten der älteren Kinder wird signifikant prosozialer beurteilt (t= -
2.61, p<.01). Dazu weisen sie deutlich mehr emotionale Probleme auf (t= -2.53,
p<.05). Externalisierende Verhaltensprobleme treten bei den Vorschülern deskriptiv
häufiger auf; dieser Unterschied ist jedoch nicht signifikant. Die häufigeren Proble-
me der Vorschulkinder im Umgang mit Gleichaltrigen erweisen sich als tendenziell
signifikant (t= 1.73, p<.10).
Die Auswertungen zeigen, dass die ermittelten IQ-Werte der Kinder deutlich über
den erwarteten Mittelwert von 100 liegen. Die Kinder erreichen einen durchschnitt-
lichen Wert von 114 IQ-Punkten mit einer Standardabweichung von SD = 18. Jungen
und Mädchen unterscheiden sich nicht signifikant in den erreichten IQ-Werten (t =
0,002; p >.05). Es kann jedoch ein negativer Zusammenhang mit dem Alter der Kin-
der festgestellt werden (r = -.16; p < .05). Demnach erreichen ältere Kinder einen
geringeren IQ im Vergleich zu den jüngeren Kindern.
Kinderinterview zu sozialen Situationen (KISS). Das Interview ermöglicht die Erfas-
sung emotionaler und sozial-kognitiver Kompetenzen der Kinder, die im Allgemei-
nen mit der sozialen Entwicklung der Kinder im Zusammenhang stehen. Die Kinder
können die Emotion Trauer am häufigsten korrekt benennen (74.9 %), gefolgt von
Wut (51.4 %), Freude (41.7 %) und zuletzt Angst (29.1 %), die nur noch von einem
Drittel der Kinder richtig benannt werden kann. Für die Emotion Wut kennen die
Kinder am häufigsten richtige Begründungen (93.1%). Darauf folgen die Emotionen
Freude (87.4%), Trauer (86.2 %) und Angst, für die die Kinder prozentual am seltens-
ten die richtige Ursache angeben können (83.3 %). Insgesamt wird deutlich, dass
mehr Kinder in der Lage sind, die richtigen Ursachen für die Emotionen zu nennen
anstatt die richtigen Emotionswörter anzugeben.
Sozialverhalten der Kinder vor und nach dem Kurs (MZP1 zu MZP2). Es zeigt sich
eine signifikante Reduktion des Problemverhaltens. Das prosoziale Verhalten der
Kinder hat in beiden Gruppen über den Kurszeitraum tendenziell abgenommen. Ein
Kurseffekt kann hier nicht beobachtet werden und auch nicht für die Skala externa-
lisierende Verhaltensprobleme. Emotionale Probleme der Kinder haben sich in der
Kursgruppe hingegen signifikant reduziert. Das gleiche trifft auf Probleme durch
hyperaktives Verhalten zu. Sehr deutlich haben sich Probleme mit Gleichaltrigen
verringert, das heißt, bei den Kindern der Kursgruppe wird nach dem Kurs seltener
gehänselt oder schikaniert und die Kinder spielen besser miteinander. Den signifi-
kanten Verbesserungen auf den Einzelskalen entspricht der Effekt des Gesamtprob-
Projet Prima!r
177
lemwertes: es liegt ein deutlicher Abbau des Problemverhaltens in der Kursgruppe
vor. Für die Skala prosozial-kommunikatives Verhalten der Social Competence Scale
zeigt sich ein signifikanter Zeiteffekt (F (df = 1,88) = 10,80, p < .001), aber keine signifi-
kanten Effekte für die Gruppe, oder die Interaktion zwischen den Faktoren Gruppe
und Zeit. Die Emotionsregulationsstrategien haben sich während der Zeit in beiden
Gruppen verbessert (F (df = 1,88) = 13,42, p < .001) und der Faktor Gruppe ist signifi-
kant (F (df = 1,88) = 4,03, p < .05). Zudem liegt eine ordinale Interaktion der Faktoren
Gruppe und Zeit vor, das bedeutet, die Kinder der Kursgruppe weisen über die Zeit
einen stärkeren Anstieg der Emotionsregulationsstrategien auf (F (df = 1,88) = 5,79, p <
.05). Werden die Ausgangswerte der Kinder bei der Auswertung berücksichtigt,
zeigt sich, dass besonders die Kinder mit Problemwerten über dem Cut-Off von dem
Kurs profitierten. Die Kinder der Kursgruppe, die zum ersten Messzeitpunkt auffälli-
ge Werte im SDQ-Gesamtwert erreichten (M = 17, 90, SD = 6,07), werden zum zwei-
ten Messzeitpunkt als deutlich weniger auffällig beurteilt (M = 13, 45; SD = 6,96; d =
0.68). Die Werte sinken aus dem Bereich „klinisch auffällig“ zurück in den Bereich
„grenzwertig“. Die Werte der Vergleichsgruppe steigen im Durchschnitt sogar noch
leicht an von M1 = 17.00 (SD = 2,00) auf M2 = 18.00 (SD = 3,10) (vgl. Abb. 1).
Abbildung 1: Gesamtproblemwert in der Kurs- und der Vergleichsgruppe zu MZP1
und MZP2 nach Ausgangswert ( < Cut-Off bzw. über dem Cut-Off).
Die schulischen Fähigkeiten der Kinder in den beiden Gruppen unterscheiden sich
ebenfalls. Es lässt sich ein signifikanter Interaktionseffekt zeigen (F (df = 1,88) = 4,59, p
< .05), aber keine Effekte der Faktoren Gruppe. Die positiven Effekte der Einzelska-
len zeigen sich auch in einem signifikanten Interaktionseffekt des Gesamtwertes
sozialer Kompetenzen des SCS (F (df = 1,88) = 4,10, p < .05). Der Faktor Gruppe zeigt
keine Unterschiede. Für trotzig-aggressives Verhalten nach Einschätzung der Lehrer
zeigen sich vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt keine signifikanten Veränderun-
gen. Auf der Skala „Emotionale Kompetenz“ bilden sich hingegen für den Kurs posi-
0
4
8
12
16
20
MZP 1 MZP2
K-unauffällig
K- auffällig
V- unauffällig
V - auffällig
K = Kursgruppe; V = Vergleichsgruppe
Projet Prima!r
178
tive Effekte ab: Gruppe: F (df = 1,88) = 2,67, p = ns; Zeit: F (df = 1,88) = 65,73, p <.001; In-
teraktion: F (df = 1,88) = 6,80, p < .01). Zusammenfassend zeigt der Vergleich der Ver-
haltenseinschätzungen der Lehrer vor und nach dem Training eine Reduktion prob-
lematischen Verhaltens und einen Anstieg sozialer Kompetenzen bei den Kindern
der Kursgruppe. Die Verhaltensprobleme gingen in den Bereichen emotionale Prob-
leme, Hyperaktivität und Probleme mit Gleichaltrigen zurück.
Ergebnisse aus dem Kinderinterview. Die erste Hälfte des Kurses zielt besonders
darauf ab, emotionale Kompetenzen der Kinder zu fördern. Daher ist zu erwarten,
dass die Kinder im Anschluss an dem Kurs die Emotionen im Kinderinterview auch
besser erkennen und benennen können. Dazu wurde die Mittelwerte der KISS-
Einzelangaben (Block 1: Emotionen Erkennen und Benennen) in der Kurs- und in der
Vergleichsgruppe vor und nach dem Kurs verglichen. Die Kurskinder profitieren sehr
deutlich und können signifikant ihr Emotionswissen durch den Kurs verbessern. Ein
Vergleich des Sozialverhaltens der Kinder zum ersten und zweiten Messzeitpunkt
mit denen der Kinder, deren Daten vollständig vorhanden sind zeigt, dass diese sich
auf der SDQ-Gesamtskala nicht signifikant unterscheiden. Für die Skala „Probleme
im Umgang mit Gleichaltrigen“ verlaufen die Werte in der Kursgruppe ebenfalls v-
förmig, während sie in der Vergleichsgruppe kontinuierlich ansteigen. Zum letzten
Messzeitpunkt werden in beiden Gruppen durchschnittlich gleich viele Probleme
mit anderen Kindern berichtet. Der signifikante Interaktionseffekt geht besonders
damit einher, dass die Kinder in der Kursgruppe zum ersten Messzeitpunkt auch in
diesem Bereich ein höheres Ausgangsniveau hatten. Nach dem Kurs wurden die
Probleme von den Lehrern deutlich niedriger eingeschätzt. Für die Skala „Hyperakti-
vität“, für die im Prä-Post-Test-Vergleich ein signifikanter Kurseffekt abgebildet
werden konnte, liegt dieser ein Jahr nach dem Kursende nicht mehr vor. Deutlich ist
jedoch, dass die Kinder der Vergleichsgruppe aus der Sicht der Lehrer über die Zeit
konstant mehr Probleme aufweisen als die der Kursgruppe. Die emotionalen Kom-
petenzen (FEEK) der Kinder steigen in beiden Gruppen über den Beobachtungszeit-
raum von eineinhalb Jahren an. Die Kinder der Kursgruppe liegen dabei immer über
dem Niveau der Vergleichsgruppe. Das aggressive Verhalten entwickelt sich in bei-
den Gruppen gegenläufig. Während es in der Vergleichsgruppe zunimmt, sinkt es in
der Kursgruppe. Insgesamt zeigen sich damit auch ein Jahr nach dem Kursende eini-
ge Ergebnisse, die die Wirksamkeit des Trainings bestätigen. Die Kinder weisen we-
niger emotionale Probleme auf und die Lehrer berichten über deutlich weniger Kon-
flikte mit Gleichaltrigen. Insgesamt nimmt die Problembelastung der Kinder ab. Das
aggressive Verhalten der Kinder reduziert sich ebenfalls, wobei dieser Trend erst
über die drei Messzeitpunkte sichtbar wird. In Bezug auf positives Sozialverhalten
und sozial-emotionale Kompetenzen nach Einschätzung der Lehrer legen die Ergeb-
nisse nahe, dass der Kurs zu einer Beschleunigung in diesen Entwicklungsbereichen
geführt hatte, die Kinder der Vergleichsgruppe nach dem Ende des Kurses jedoch
wieder aufholen konnten. Dieses Ergebnismuster legt nahe, dass entweder in re-
gelmäßigen Abständen Auffrischungstermine stattfinden sollten oder aber den Kin-
Projet Prima!r
179
dern weitere regelmäßige Angebote gemacht werden sollten.
Effekte der Kinderkurse in der ersten Klasse. In der Skala prosoziales Verhalten der
SCS zeigt sich bei einem Vergleich der Mittelwerte, dass beide Gruppen zum zwei-
ten Messzeitpunkt zunächst ihr Niveau halten. Nach einem Jahr werden jedoch sig-
nifikante Unterschiede zwischen den Gruppen sichtbar. Während für die Kursgrup-
pe eine Zunahme sozialer Kompetenzen angegeben wird, sinken die Mittelwerte
der Vergleichsgruppe leicht ab. Hier ist ein signifikanter Haupteffekt Gruppe sowie
ein signifikanter Interaktionseffekt zu beobachten. (Gruppe: F (df = 1,70) = 4.84, p < .05;
Zeit: F (df = 1,70) = .059, p = ns; Interaktion: F (df = 1,70= .015, p < .05). Die Lehrer schätz-
ten die prosozialen Verhaltensweisen der Kinder der Kursgruppe demnach bereits
vor Beginn der Maßnahmen des Projet Prima!r statistisch bedeutsam höher ein als
die der Vergleichsgruppe. Im SDQ zeigen die Gruppen im Prinzip eine ähnliche Ten-
denz. Die Kursgruppe wurde bereits vor Beginn der Studie deutlich sozial kompeten-
ter eingeschätzt als die Vergleichsgruppe. Es ergibt sich mit dem Messinstrument
SDQ jedoch kein signifikanter Interaktionseffekt. Beide Gruppen stabilisieren sich im
Prinzip auf ihrem Anfangsniveau. Der Vergleich der Mittelwerte beider Gruppen
über alle drei Messzeitpunkte verdeutlicht erwartungsgemäß, dass es sowohl in der
Kurs- als auch in der Vergleichsgruppe mit zunehmendem Alter zu einer deutlich
signifikanten Ausweitung ihrer sozial-kognitiven Kompetenzen kommt. Der Zuge-
winn an sozial-kognitiven Kompetenzen fällt jedoch für die Kursgruppe signifikant
höher aus als für die Vergleichsgruppe. Wenngleich der Mittelwert der Kursgruppe
bis zum dritten Messzeitpunkt nicht stabil gehalten werden kann, so bleibt der In-
teraktionseffekt dennoch signifikant.
Die Fähigkeit zur Regulation von Gefühlen wurde mit der Skala Emotionsregulation
der Social Competence Scale (SCS) gemessen. Ähnlich wie auf dem Gebiet sozialer
Kompetenzen wird die Kursgruppe bereits vor Kursbeginn als erheblich kompeten-
ter eingeschätzt als die Vergleichsgruppe. Während die Mittelwerte der Kursgruppe
zum zweiten und vor allem dritten Messzeitpunkt signifikant ansteigen, bleiben sie
bei der Vergleichsgruppe auf der Ausgangsniveau. Zusätzlich zum SCS wurde die
Entwicklung der emotionalen Kompetenzen bei den Kindern der Stichprobe mit ei-
ner FEEK-Skala gemessen. Dabei zeigen sich gravierende Unterschiede zwischen den
Gruppen bereits vor Beginn der Intervention des Projet Prima!r. Die Kinder der
Kursgruppe werden wieder erheblich kompetenter eingeschätzt als die Schüler/-
inner der Vergleichsgruppe. Emotionale Probleme wurden in der vorliegenden Stu-
die mit der Skala „Emotionale Probleme“ des Fragebogens zu Stärken und Schwä-
chen (Strengths and Difficulties Questionnaire SDQ) eingeschätzt. Beide Gruppen
hatten vor Beginn der Interventionen ein ähnliches Ausgangsniveau. Während die
Vergleichsgruppe sich über die Messzeitpunkte auf ihrem Ausgangsniveau stabili-
siert, kommt es bei der Kursgruppe zu einem leichten Rückgang emotionaler Prob-
leme, der jedoch knapp die statistische Bedeutsamkeit verfehlt.
Da der Abbau externalisierender Verhaltensprobleme in der Schule eines der Kern-
Projet Prima!r
180
ziele darstellte, wurde der Bereich aggressives Verhalten zusätzlich mit der Skala
Aggressiven Verhaltens (SAV, Koglin & Petermann, 2004) erfasst. Beide Gruppen
sind vor Beginn der Interventionen im Hinblick auf das Ausmaß trotzig aggressiven
Verhaltens auf einem ähnlichen Niveau anzusiedeln, wobei sich auch im SAV andeu-
tet, dass die Lehrer die Kursgruppe hier etwas problembelasteter einschätzen, als
die Vergleichsgruppe. Während es bei der Kursgruppe zum dritten Messzeitpunkt zu
einem deutlichen Rückgang aggressiven Verhaltens kommt, nimmt das aggressive
Verhalten der Kinder der Vergleichsgruppe im Mittelwert deutlich zu. Der Trend im
Hinblick auf den Abbau aggressiven Verhaltens bei der Kursgruppe bestätigt sich im
SAV; der Interaktionseffekt wird hier hochsignifikant.
Es wurde versucht, Verhaltensmerkmale bei Kindern herauszufiltern, die bei einem
weiteren ungünstigen Entwicklungsverlauf das Risiko für das spätere Auftreten dis-
sozialen Verhaltens erhöhen. Bislang wurden drei kritische Verhaltensmerkmale
identifiziert: gefühlloses Verhalten, selbstbezogenes Verhalten sowie Impulsivität.
Im Bereich des gefühllosen Verhaltens kommt es in beiden Gruppen über alle drei
Messzeitpunkte zu einem hochsignifikanten Rückgang gefühllosen Verhaltens. Wäh-
rend es in der Vergleichsgruppe zum dritten Messzeitpunkt jedoch zu einem erneu-
ten Zuwachs an Problemverhalten kommt, nimmt der Mittelwert der Kursgruppe
weiter kontinuierlich ab. Es kommt daher zu einem signifikanten Interaktionseffekt,
der positive Wirkungen des Kinderkurses nahe legt. Im Bereich selbstbezogenen
Verhaltens kommt es zu keinen signifikanten Effekten im Hinblick auf die Faktoren
Gruppe, Zeit oder Zeit x Gruppe. In der Tendenz kommt es zum dritten Messzeit-
punkt in der Kursgruppe zwar zu einem leichten Rückgang des Mittelwerts, der un-
ter das Niveau des ersten Messzeitpunkts absinkt, während bei der Vergleichsgrup-
pe ein Mittelwertsanstieg zu beobachten ist. Beide Gruppen unterscheiden sich
jedoch nicht signifikant. Im Bereich impulsiven Verhaltens kommt es bei der Kurs-
gruppe im Kontrast zur Vergleichsgruppe zu einem deutlich signifikanten Rückgang
des Gruppenmittelwerts, während das ungünstige Verhalten in der Vergleichsgrup-
pe leicht zunimmt.
Auswertungen zum Elternkurs. In der vorliegenden Stichprobe variieren die Korre-
lationen zwischen dem Erziehungsverhalten der Mütter und den Verhaltensproble-
men der Kinder zwischen r = -.13 und r = -.31. Getrennt nach dem Geschlecht ist
ersichtlich, dass die Richtung der Beziehung bei Jungen und Mädchen ähnlich ist,
das Erziehungsverhalten für die Mädchen jedoch bedeutsamer ist. Besonders ein
geringes Engagement der Mutter, inkonsistente Disziplin und wenig verantwor-
tungsbewusstes Erziehungsverhalten geht bei den Mädchen mit vermehrten Verhal-
tensproblemen einher. Wird das Erziehungsverhalten im Zusammenhang mit proso-
zialem Verhalten betrachtet, finden sich etwas weniger signifikante, aber ähnlich
starke Beziehungen. Jedoch scheint das Erziehungsverhalten für den Erwerb proso-
zialen Verhaltens bei den Jungen bedeutsamer zu sein, als bei den Mädchen. Bei
beiden Geschlechtern gehen hohe Werte auf der Skala „Involvement“ mit prosozia-
lem Verhalten einher. Bei den Jungen spielt darüber hinaus noch das verantwor-
Projet Prima!r
181
tungsbewusste Erziehungsverhalten eine Rolle. Bei vier von fünf APQ-Skalen zeigen
sich keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Lediglich in
Bezug auf die Skala „Geringes Monitoring“ zeigt sich, dass die Eltern der Treat-
mentgruppe angaben, besser über die Aktivitäten ihres Kindes Bescheid zu wissen.
Für die Skala Involvement zeigt sich lediglich ein signifikanter Gruppeneffekt. Dieses
Ergebnismuster wiederholt sich für die Skala Positives Erziehungsverhalte und für
die Skala Verantwortungsbewusstes Erziehungsverhalten. Für die Skala „Geringes
Monitoring“ ist zu beobachten, dass die Eltern, die nur unregelmäßig an dem El-
ternkurs teilgenommen haben, nach dem Kurs höhere Werte aufweisen als zu Be-
ginn des Kurses. Die Werte in den anderen beiden Gruppen verändern sich hinge-
gen nicht.
Ergebnisse der Selbsteinschätzungen der Lehrer. Die teilnehmenden Lehrer waren
zum ersten Messzeitpunkt im Durchschnitt 38 Jahre alt (SD = 8,98; Min = 24 Jahre;
Max = 54) und arbeiteten durchschnittlich bereits 14 Jahre (SD= 9.99) in ihrem Be-
ruf. Die meisten gaben an, mit ihrer beruflichen Situation eher oder sehr zufrieden
zu sein (82,4%) und nur 17,6% berichteten, eher oder sehr unzufrieden damit zu
sein. Dennoch berichteten die meisten Lehrer, dass sie sich auch in ihrer Freizeit mit
schulischen Problemen beschäftigten. 53% der Lehrer gaben an, dass dies manch-
mal vorkomme und rund 30%, dass dies oft oder immer zutreffe.
7.7 Literatur
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Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen
185
8 Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen
8.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
PD Dr. Peter Büttner
Prof. Dr. Ulrike Petermann
Mitarbeiter
Dr. Stefan Rücker
Kooperationspartner
Projekt PETRA, Schlüchtern
Zeitraum
01.10.2007 - 31.01.2010
Finanzierung
Projekt PETRA und Planungsgruppe PETRA, Schlüchtern
8.2 Zusammenfassung
Bei Kindern und Jugendlichen in teilstationären Erziehungshilfen wurden Ressour-
cen, Symptome und die elterliche Erziehungskompetenz erhoben. 36 Monate nach
Abschluss der Jugendhilfe-Maßnahme zeigten sich eine verminderte Symptombe-
lastung und eine Verbesserung der Ressourcen und Erziehungskompetenz. In der
Katamnese berichten die Eltern zwar familiäre Belastungen, die Kinder und Jugend-
lichen erreichen in Screening-Verfahren zur Erfassung von Verhaltens- und emotio-
nalen Problemen jedoch unauffällige Werte. Dies verweist auf eine hohe Effektivität
sowie Effektstabilität der Erziehungshilfen.
Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen
186
8.3 Stand der Forschung
Die empirische Forschung steht in der deutschen Jugendhilfe noch am Anfang (vgl.
auch Harnach-Beck, 2000). Nur wenige Studien haben bislang Fragen zu Wirkungen
und Effekten erzieherischer Hilfen aufgegriffen. Dabei handelt es sich überwiegend
um kasuistische Einzelfallbetrachtungen oder qualitative Studien mit geringen
Stichprobengrößen und Schwächen im Bereich der Reliabilität und Validität (siehe
hierzu Gabriel, Keller & Studer, 2007). Das aus methodischer und inhaltlicher Sicht
anspruchsvollste Forschungsprojekt stellt die Jugendhilfe-Effekte-Studie (Schmidt et
al., 2002) dar. In einem prospektiven Längsschnittdesign wurden über einen Zeit-
raum von fünf Jahren 233 Hilfeverläufe in fünf unterschiedlichen Hilfearten unter-
sucht. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei Kindern und Jugendlichen Sym-
ptome um 37% reduziert, und Kompetenzen um 29% gesteigert werden konnten.
Belastungen im Umfeld der Kinder und Jugendlichen reduzierten sich im Hilfeverlauf
um 24%. Ein Jahr nach dem Hilfeende nahmen lediglich die im Umfeld der Kinder
und Jugendlichen wirkenden Belastungen wieder zu. Im Gegensatz dazu reduzierten
sich die Auffälligkeiten der Kinder und Jugendlichen selbst nach Abschluss der Maß-
nahme weiter. Auch das Funktionsniveau stieg nach dem Hilfeende nochmals an.
8.4 Ziele
In diesem Forschungsprojekt wird die empirische Absicherung der pädagogisch-
therapeutischen Konzepte aus der Fachpraxis angestrebt. Konkret sollen die For-
schungsergebnisse dazu beitragen, emotionale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten
sowie Lern- und Leistungsprobleme im Kontext schulischer Anforderungen effektiv
abzubauen. Eltern werden in der Entwicklung eines konsistenten Erziehungsstils
intensiv unterstützt.
8.5 Methodisches Vorgehen
Zur Erfassung der Wirksamkeit teilstationärer Erziehungshilfen wird in der beteilig-
ten Jugendhilfe-Einrichtung eine Vollerhebung durchgeführt. In einem Prä-Post-
Follow-up-Eingruppendesign werden Fall-Akten zur Datengewinnung herangezogen.
Die Akten werden von der Jugendhilfe-Einrichtung geführt und enthalten Angaben
von Fachkräften, vom Jugendamt und von niedergelassenen Kinderärzten und Kin-
derkliniken/sozialpädiatrischen Zentren. Am Hilfebeginn und -ende erfolgen die
Auswertungen zunächst mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2008). Im An-
schluss wird das studienrelevante Material systematisch und theoriegeleitet katego-
risiert. Bei diesem Schritt werden die inhaltsanalytisch gewonnenen qualitativen
Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen
187
Informationen den Achsen I, II und V, Multiaxiales Klassifikationsschema (ICD-10;
Remschmidt, Schmidt & Poustka, 2006) zugeordnet. Die Achsen erlauben eine qua-
litative Abstufung der Merkmalsausprägungen von 0 bis 2, wobei ein höherer Wert
eine höhere Ausprägung des betreffenden Merkmals bedeutet. Die auf diesem We-
ge quantifizierten Daten werden anschließend mittels multivariater Verfahren ana-
lysiert und mit Fragebogen-Ergebnisse verknüpft. Diese werden drei Jahre nach Ab-
schluss der Maßnahme den Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern vorgelegt. Die
Bögen erfassen Lebensqualität (Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kin-
dern und Jugendlichen, ILK; Mattejat & Remschmidt, 2006), Stärken und Schwächen
im Sozialverhalten (Strengths and Difficulties Questionnaire, SDQ; Goodman, 1997),
Erziehungskompetenz (Deutsche erweiterte Version des Alabama Parenting Questi-
onnaire für Grundschulkinder, DEAPQ-EL-GS; Reichle & Franiek, 2009), familiäre
Belastungen (Family Adversity Index, FAI; Rutter, 1977) sowie Probleme im Umgang
mit Alkohol und Drogen (CRAFFT; Knight, Sherritt, Shrier, Harris & Chang, 2002).
8.6 Ergebnisse
Die Analysen weisen auf eine generelle Wirksamkeit teilstationärer Jugendhilfe-
Maßnahmen in der beteiligten Einrichtung. Im Prä-Post-Vergleich kommt es zu sig-
nifikanten Belastungsabnahmen im Bereich expansiver Verhaltensprobleme. Lern-
und Leistungsprobleme sowie ein Mangel an Ressourcen vermindern sich ebenfalls
signifikant. Die Erziehungskompetenz der Eltern lässt sich im Hilfeverlauf deutlich
steigern. Die Hilfen wirken jedoch nicht auf alle Familien gleich. Ein Gruppenver-
gleich zeigt, dass Einelternfamilien im Vergleich zu traditionellen Familien die Maß-
nahmen mit einem geringeren Erfolg beenden. Dies trifft insbesondere auf die
Symptomreduktion sowie auf Erziehungskompetenz zu. Kompetenzzuwächse der
Kinder und Jugendlichen unterscheiden sich am Hilfeende jedoch nicht signifikant,
hier bleibt die Familienform ohne Einfluss. Langfristig (in der 36-Monats-
Katamnese) weisen die ehemals betreuten Kinder und Jugendlichen in Screening-
Verfahren unauffällige Werte für verhaltensbezogene und emotionale Probleme
auf. Ein Großteil konnte einen Schulabschluss erreichen und sich in den Arbeits-
markt integrieren. Der Konsum von Alkohol unterscheidet sich drei Jahre nach Ab-
schluss der Maßnahme nicht von dem in der Allgemeinbevölkerung. Eltern berich-
ten jedoch in rund 50% der Fälle starke familiäre Belastungen.
Aufgrund ethischer und rechtlicher Grenzen können im Feld der Jugendhilfe kon-
trollierte Studien kaum durchgeführt werden. Auch im vorliegenden Forschungspro-
jekt war der Einbezug einer Kontrollgruppe nicht möglich. Die positiven Entwicklun-
gen bei den Kindern, Jugendlichen und Eltern können daher zumindest aus metho-
dischen Gründen nicht auf die Maßnahmen zurückgeführt werden. Derart günstige
Ergebnisse jedoch konnten in einer Hochrisiko-Gruppe, wie der hier vorliegenden
Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen
188
Stichprobe, nicht ohne systematischen Einfluss erwartet werden. Es wird vermutet,
dass die pädagogisch-therapeutische Jugendhilfe-Maßnahme in diesem Zusammen-
hang eine wichtige Funktion einnimmt.
8.7 Literatur
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Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen
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JobFit-Training
191
9 JobFit-Training
9.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Ulrike Petermann
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiter
Dipl.-Psych. Jan Schultheiß
Dipl.-Psych. Philipp Heffter
Kooperationspartner
Sekundarschulen aus Bremen und der näheren Umgebung
Zeitraum
01.01 2008 - 31.08.2013
Finanzierung
Drittmittel von verschiedenen Stiftungen (u.a. Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart)
9.2 Zusammenfassung
Das JobFit-Training für Jugendliche ist ein schulbasiertes Präventionsprogramm zur
Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen, das aus dem „Training mit Ju-
gendlichen“ von Petermann und Petermann (2010) hervorgegangen und in der ak-
tuellen Auflage dieses Buches auch erstmals veröffentlicht worden ist. Es richtet
sich an Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse, die kurz vor dem Eintritt ins
Berufsleben oder vor den ersten Betriebspraktika stehen und dient dem Aufbau von
Arbeits- und Sozialverhalten. Das aktuelle Projekt verbreitet das Training in seiner
Anwendung und evaluiert parallel dazu seine Wirksamkeit. Ebenso sollen die Über-
arbeitung und Weiterentwicklung des Trainings mit den gewonnenen Erfahrungen
ermöglicht werden. Das Projekt ist mit der Vorbereitung der Pilotstudie 2012 ge-
startet und läuft bis Ende des Schuljahres 2012/2013.
JobFit-Training
192
9.3 Stand der Forschung
Das Jugendalter gilt als kritischer Entwicklungsabschnitt der Identitätsfindung, in
dem sich viele Probleme kumulieren (vgl. z.B. Fuhrer, 2008; Hackauf & Ohlbrecht,
2010). Der in diesem Lebensabschnitt bevorstehende Übergang von der Schule ins
Berufsleben zählt zu den Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (Hurrelmann,
2007). Viele Jugendliche sind jedoch durch die Schule auf die Realität der Ausbil-
dungs- und Arbeitswelt nur unzureichend vorbereitet, weswegen sie trotz ausrei-
chender offizieller Qualifikationen noch nicht als „ausbildungsfähig“ bezeichnet
werden können. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von Präventi-
onsmaßnahmen (vgl. Heinrichs, Döpfner & Petermann, 2008) ist es daher sinnvoll,
Jugendlichen in diesem wichtigen Entwicklungsübergang zu unterstützen. Eine hohe
Erreichbarkeit ist für die erfolgreiche Umsetzung eines Präventionsprogramms ent-
scheidend (Petermann & Petermann, 2011), weshalb ein schulbasiertes Präventi-
onsprogramm aufgrund der Schulpflicht in Deutschland besonders viele Jugendliche
erreichen kann. Obwohl für das Kindesalter eine Vielzahl von manualisierten Prä-
ventionsprogrammen existieren, ist die Versorgungslage für das Jugendalter diesbe-
züglich immer noch unzureichend (vgl. Petermann, 2007). Insbesondere im Bereich
der Berufsvorbereitung finden sich keine evidenzbasierten manualisierten Präventi-
onsprogramme, obwohl eine manualisierte Vorgehensweise und vorgegebene Ma-
terialien die Wirksamkeit von Programm erhöhen (Forman & Barakat, 2011). Vor
diesem Hintergrund wurde seit 2005 das „Training mit Jugendlichen“ auf das Schul-
setting adaptiert (vgl. Roos, 2006; Roos & Petermann, 2005). Im Laufe verschiede-
ner Projekte entstand hieraus das JobFit-Training, das bereits während seiner Ent-
wicklung in Vorläuferversionen ersten Wirksamkeitsstudien unterzogen wurde
(Koglin, Petermann, Heffter & Petermann, 2010; Petermann, Koglin, Petermann &
Heffter, 2010). Im laufenden Projekt soll das Training nun an größeren Stichproben
auf seine Wirksamkeit hin überprüft und in diesem Rahmen optimiert werden.
9.4 Ziele
Ziel des JobFit-Trainings ist die Förderung von Arbeits- und Sozialverhalten im Schul-
setting. In dem Projekt wird einer großen Zahl von Schülern die Teilnahme am Job-
Fit-Training ermöglicht. Parallel wird das Training mit den Schülern, deren Eltern ihr
Einverständnis hierfür gegeben haben, evaluiert, um es auf seine Wirksamkeit hin
zu überprüfen. Die gewonnenen Daten werden auf verschiedene Fragestellungen
(Wirksamkeit bei Migrationshintergrund, geschlechtsspezifische Wirksamkeit, lang-
fristige Wirksamkeit, Zusammenhang zwischen sozialen Kompetenzen und Verhal-
tensauffälligkeiten etc.) hin analysiert. Die in der großflächigen Anwendung des
Trainings gewonnenen Erfahrungen sollen dazu dienen, das Training zu revidieren
und für die Praxis zu optimieren.
JobFit-Training
193
9.5 Methodisches Vorgehen
Eine Pilotstudie zu dem JobFit-Training fand von Dezember 2010 bis Juni 2011 in
sechs Klassen einer Bremer Oberschule statt. Nach erfolgreichem Abschluss der
Pilotstudie wurden studentische Hilfskräfte (Masterstudenten des Faches „Klinische
Psychologie“ oder Bachelorstudenten der Psychologie, die kurz vor ihrem Abschluss
standen) für die weiteren Studien rekrutiert. Im Anschluss wurde mit Hilfe von Pres-
semitteilungen und persönlichen Kontakten sowie mit Hilfe der Bildungsbehörde für
das Projekt geworben, sodass im ersten Schulhalbjahr 2011/2012 insgesamt 18
Klassen am JobFit-Training teilnehmen konnten. Im zweiten Schulhalbjahr
2011/2012 nahmen 15 Klassen an dem Training teil. Im ersten Schulhalbjahr
2012/2013 konnte diese Zahl auf 25 Klassen steigen. Auch für das zweite Schulhalb-
jahr liegen bereits zahlreiche Anmeldungen interessierter Schulen bzw. Klassen vor.
Voraussichtlich werden bis Abschluss des Projektes fast 1000 Schüler an dem Pro-
gramm teilnehmen können.
Durchführung des Trainings
Das JobFit-Training (Petermann & Petermann, 2010) erstreckt sich über zehn Einhei-
ten, die wöchentlich jeweils in einer Unterrichtsdoppelstunde durchgeführt werden.
Die Durchführung erfolgt im Tandem durch einen Lehrer der Schule, der die Klasse
bereits kennt, und eine studentische Hilfskraft, die vom Zentrum für Klinische Psy-
chologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen gestellt wird. Die Hilfs-
kräfte erhalten eine intensive zweitägige Schulung, in der sie auf den Einsatz des
Trainings in der Unterrichtssituation vorbereitet werden. Um die reibungslose Zu-
sammenarbeit zwischen studentischen Trainern und den Lehrkräften der Schulen zu
gewährleisten, erhalten die Lehrer ebenfalls eine eintägige Schulung, in der sie mit
den Inhalten des Trainings vertraut gemacht werden und in der alle teilnehmenden
Lehrer ein Exemplar des Trainingsmanuals zur Verfügung gestellt bekommen. Für
die Trainer besteht ein permanentes Supervisionsangebot, darüber hinaus finden
zur Qualitätssicherung auch Hospitationen im Unterricht durch Mitarbeiter des
ZKPR statt.
Evaluation des Trainings
Zur Evaluation des Trainings wird ein Eigenwarte-Kontrollgruppendesign verwendet.
Die Schülerinnen und Schüler erhalten zwei bis drei Monate vor Trainingsbeginn
sowie direkt vor Trainingsbeginn Fragebogenmappen, womit also zwei Prämessun-
gen vorliegen. Nach Trainingsende sowie sechs Monate nach Trainingsabschluss
erhalten die Schülerinnen und Schüler erneut Fragebogenmappen. Die Ergebnisse
zwischen den beiden Prämessungen werden mit den Ergebnissen zwischen den
Prämessungen und den Postmessungen verglichen.
Für die Befragung der Schüler und die wissenschaftliche Verwendung des Datenma-
JobFit-Training
194
terials wurde das Einverständnis der Eltern eingeholt. Die Befragungen erfolgen vor
Ort in schriftlicher Form im Klassenverband und werden von Projektmitarbeitern
durchgeführt. Die Fragebogenmappen beinhalten die Schülereinschätzliste für Sozi-
al- und Lernverhalten (SSL; Behrends & Föhrigen, 2010), das Screening für Psychi-
sche Störungen im Jugendalter (SPS-J; Hampel & Petermann, 2005) sowie den
Strengths and Difficulties Questionnaire in der deutschen Version (SDQ; Goodman,
1997). Darüber hinaus wurden von den Schülern Alter, Geschlecht, Schulform und
Klasse sowie soziodemographische Angaben erfragt.
9.6 Ergebnisse
Da die Studien zum JobFit-Training noch nicht abgeschlossen sind und damit auch
noch nicht umfassend ausgewertet werden konnten, liegen bisher nur Ergebnisse
der Pilotstudie und Teilergebnisse des ersten Schulhalbjahres 2011/2012 vor. In der
Pilotstudie ließen sich signifikante Verbesserungen durch das Training in verschie-
denen Bereichen des Sozialverhaltens nachweisen (Schultheiß, Petermann & Pe-
termann, 2012). Die Analysen der Daten des ersten Schulhalbjahres 2011/2012 füh-
ren zu denselben Ergebnissen (Laakmann, 2012). Eine qualitative Auswertung der
anonymen schriftlichen Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler sowie der
Lehrer zeigte eine große Akzeptanz des Trainings im Anwendungsalltag.
9.7 Literatur
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Roos, S. & Petermann, U. (2005). Zur Wirksamkeit des „Trainings mit Jugendlichen“
im schulischen Kontext. Zeitschrift für Psychologie, Psychiatrie und Psychothera-
pie, 53, 262-282.
Schultheiß, J., Petermann, F. & Petermann, U. (2012). Zur Wirksamkeit des JobFit-
Trainings für Jugendliche. Zeitschrift für Psychologie, Psychiatrie und Psychothe-
rapie, 60, 145-151.
Publikationen
Koglin, U., Petermann, F., Heffter, P. & Petermann, U. (2010). Längerfristige Effekte
des JobFit-Trainings für Jugendliche. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und
Psychotherapie, 58, 235-241.
Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Training mit Jugendlichen (9., überarb. u.
erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe
Schultheiß, J., Petermann, F. & Petermann, U. (2012). Zur Wirksamkeit des JobFit-
Trainings für Jugendliche. Zeitschrift für Psychologie, Psychiatrie und Psychothe-
rapie, 60, 145-151.
Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder
197
10 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder zwischen 18 und 48 Monaten (BilKi)
10.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Prof. Dr. Ulrike Petermann
Prof. Dr. Ute Koglin
Mitarbeiterinnen
Dr. Johanna Helmsen
Dipl.-Päd. Gerlinde Knisel-Scheuring
Zeitraum
01.09.2006 - 31.01.2008
Finanzierung
Jugendamt, Stadt Mannheim, Roche Diagnostics
10.2 Zusammenfassung
Das Projekt Bildung junger Kinder im Alter von 18 bis 48 Monaten („BilKi“) ist ein
Kooperationsprojekt der Stadt Mannheim, Roche Diagnostics und dem Zentrum für
Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen. An dem
Projekt nahmen zwölf Kindertageseinrichtungen aus dem Norden der Stadt Mann-
heim teil und eine durch Elterninitiative getragene Kinderkrippe. Es zielte darauf ab,
die Bildungs- und Erziehungskompetenzen von pädagogischen Fachkräften junger
Kinder zu verbessern, denn eine hohe Bildungs- und Erziehungskompetenz ist die
Grundlage für eine umfassende und ganzheitliche Bildung der Kinder.
10.3 Stand der Forschung
Der Früherkennung von Verhaltens- und Entwicklungsaufgaben muss in der Früh-
pädagogik einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Nur dadurch ist gewährleistet,
Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder
198
dass Kinder gezielte Unterstützung bekommen und längerfristige negative Entwick-
lungsverläufe verhindert werden. Der negative Effekt früher Verhaltens- und Ent-
wicklungsauffälligkeiten ist besonders nachhaltig, da die Entwicklungsbereiche mit-
einander vernetzt sind und sie kaskadenartig die Entwicklung in anderen Bereichen
hemmen können oder ebenfalls in eine negative Richtung drängen können.
Verschiedene epidemiologische Studien zeigen auf, dass Erlebens- und Verhal-
tensauffälligkeiten sowie Entwicklungsstörungen zu den häufigsten Gesundheitsge-
fährdungen der Kindheit zählen (Tröster & Reineke, 2007). Die Verhaltensauffällig-
keiten, die im Vorschulalter am häufigsten vorliegen, sind Auffälligkeiten im aggres-
siv-oppositionellen Bereich, Aufmerksamkeitsprobleme und emotionale Auffällig-
keiten. Aus längsschnittlichen Studien ist zudem bekannt, dass besonders früh auf-
tretende Verhaltensprobleme einen ungünstigen Verlauf zeigen (Broidy et al., 2003;
Kokko & Pulkkinen, 2005). Im Unterschied zu Verhaltensauffälligkeiten liegen weni-
ge Studien zur Prävalenz von Entwicklungsauffälligkeiten im Vorschulalter vor
(Skovgaard et al. 2007). Die meisten Angaben und auch die höchsten Prävalenzraten
finden sich in Bezug auf die Sprachentwicklung (Tröster & Reineke, 2007; Sachse,
2005). Aber auch motorische Entwicklungsstörungen, Auffälligkeiten in der kogniti-
ven Entwicklung sowie im Sozialverhalten wurden im Vorschulalter häufig festge-
stellt (Karch, 2002; Tröster & Reineke, 2007; von Suchodoletz, 2005). Um die Kinder
frühzeitig fördern zu können und Chancengleichheit anzustreben, ist es wichtig die
Kinder, die von frühen Auffälligkeiten betroffen sind, zuverlässig zu identifizieren,
sie gezielt zu unterstützen und ihnen ggf. Hilfe durch andere Fachkräfte zuzuführen.
10.4 Ziele
Das Projekt „Bildung- und Entwicklungsförderung junger Kinder zwischen 18 und 48
Monaten (BilKi)“ zielte darauf ab, die Bildungs- und Erziehungskompetenzen von
pädagogischen Fachkräften junger Kinder zu verbessern. Damit wurde ein wichtiger
Schwerpunkt des Projekts auf die Professionalisierung des Fachpersonals gelegt, die
als „zentrale(s) Instrumente der Qualitätssicherung im System der Tageseinrichtun-
gen für Kinder“ bezeichnet werden kann (BMfFSFJ, 2003). Neben der Qualifizierung
der MitarbeiterInnen in Kindertageseinrichtungen sollten durch das Projekt eben-
falls die Entwicklungs- und Lernbedingungen der Kinder in den Einrichtungen erfasst
werden.
Der zweite Schwerpunkt des Projektes wurde auf die Bedeutung sozial-emotionaler
Kompetenzen der Kinder gelegt. Eine Förderung in diesen Bereichen schafft erst die
Basis dafür, Kinder in spezifischen Entwicklungsbereichen (wie Sprache, Motorik)
optimal fördern zu können. Durch diesen Schwerpunkt hebt sich dieses Projekt
deutlich von anderen Initiativen ab, die nicht primär die sogenannten soft-skills in
den Mittelpunkt der Förderung stellen.
Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder
199
Eine dritte Säule in dem Projekt bildeten Fortbildungen zum Thema Erziehungs- und
Beziehungsqualität. Nach dem aktuellen Bildungsverständnis kommt den Interakti-
onen der Kinder mit ihrer Umwelt eine entscheidende Rolle zu. Nur durch diese
Wechselwirkungen kommt es zum Lernen und Wissensaufbau und damit zur weite-
ren Entwicklung. Im Rahmen des Projektes wurde daher ein Instrument zur Erfas-
sung der Beziehungs- und Erziehungsqualität pädagogischer Fachkräfte entwickelt
und es wurde ein Fortbildungsmodul zur Förderung der Erziehungs- und Bezie-
hungsqualität pädagogischer Fachkräfte junger Kinder entwickelt und eingesetzt.
Neben der Identifikation von Kindern mit erhöhten Entwicklungsrisiken, bietet das
System zur Entwicklungsdokumentation (Petermann, Petermann & Koglin, 2012)
auch eine Basis für die Professionalisierung der Elternarbeit. Im Rahmen einer
Dienstleistung, aber auch im Rahmen einer gemeinsamen Erziehung eines Kindes,
müssen die pädagogischen Fachkräfte Eltern unterstützen und auch anleiten kön-
nen. Die Daten aus der Entwicklungsdokumentation können dazu genutzt werden,
den Eltern einen systematischen Überblick über die Entwicklung ihres Kindes zu
geben. Zudem können die Eltern angeregt werden, Aufgaben aus der Entwicklungs-
dokumentation zu Hause mit ihren Kindern zu üben. Durch die Einführung der Ent-
wicklungsdokumentation wird die pädagogische Kompetenz der Fachkräfte gegen-
über den Eltern gestärkt. Des Weiteren kann das System zur Entwicklungsdokumen-
tation für die Planung, Konzept- und Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen
verwendet werden. Die damit gewonnenen Informationen geben Auskunft darüber,
welchen besonderen Bedarf die Kinder in der Einrichtung haben. Zudem kann die
Zielerreichung damit überprüft werden.
10.5 Methodisches Vorgehen
Es nahmen insgesamt 36 Erzieherinnen und 336 Kinder an dem Projekt teil. Die
Fachkräfte erhielten eine Aufwandsentschädigung für ihre Teilnahme an den Fort-
bildungen, die Bearbeitung der Fragebögen und die Durchführung der Entwick-
lungsdokumentation. Die Eltern wurden von der pädagogischen Fachkraft ihres Kin-
des über das Projekt informiert und um Einverständnis zur Teilnahme gebeten. Nur
jene Kinder wurden in das Projekt aufgenommen, deren Eltern zuvor die Einver-
ständniserklärung unterzeichnet hatten.
Die pädagogischen Fachkräfte erhielten Fortbildungen zur Durchführung der Ent-
wicklungsdokumentation und zur Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung
von Kindern. Zudem wurden Fortbildungen zum Thema „Erziehungs- und Bezie-
hungsqualität“ durchgeführt. Dazu wurden die Einrichtungen zu Beginn des Projekts
in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Intensivgruppe, die diese zusätzliche Schulung er-
hielt und eine weitere Gruppe, die nur an den zwei ersten Fortbildungen teilnahm.
Es wurde entsprechend ein quasi-experimentelles Design verwendet, das heißt, die
Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder
200
Hälfte der Einrichtungen wurde der Intensivgruppe zugeordnet, die diese Fortbil-
dungen erhielt. Es wurden drei Supervisionstermine im Verlauf des Projekts ange-
boten, an denen die Projektleitung in Mannheim mit den pädagogischen Fachkräf-
ten der Intensivgruppe die Fortbildungsinhalte aufgriff, die Übungen vertiefte und
Aufgaben für die Fachkräfte vergab. Zu den Inhalten der Fortbildungen liegt eine
Dokumentation vor.
Vor und nach Abschluss der Fortbildungen wurden die pädagogischen Fachkräfte
mit einem standardisierten Beobachtungsverfahren in Bezug auf die Erziehungs-
und Beziehungsqualität beurteilt, so dass ein Verlauf über zwei Messzeitpunkte ab-
bildbar ist. Damit sollte überprüft werden, ob die Inhalte der Fortbildungen auch
tatsächlich zu einer verbesserten Erziehungs- und Beziehungsqualität führen.
Des Weiteren wurden alle Einrichtungen hinsichtlich qualitativer Merkmale beur-
teilt. Zu zwei Zeitpunkten machten die Fachkräfte Angaben zur pädagogischen Ar-
beit, zur Selbstwirksamkeit, zum Erziehungsverhalten und zu Verhaltensauffälligkei-
ten der Kinder. Zur Feststellung der pädagogisch-psychologischen Qualität wurde
auf Informationen von verschiedenen Informanten und zu verschiedenen Bereichen
zurückgegriffen. Dies ist damit begründet, dass die Qualitätsbeurteilung aus Sicht
der Projektleitungen nicht ausschließlich über eine externe Begutachtung anhand
eines Kriterienkatalogs beurteilt werden kann. Insgesamt wurden die Daten durch
folgende Informanten erhoben:
• Externe Beurteilungen durch Mitarbeiter des ZKPR,
• Entwicklungsbeurteilung der Kinder durch die pädagogischen Fachkräfte,
• Selbstbeurteilungsbögen für pädagogische Fachkräfte,
• Fragebogen für Eltern und
• Hintergrundinformationen durch das Stadtjugendamt Mannheim.
10.6 Ergebnisse
Mit dem Projekt konnten neue Inhalte und Methoden für Bildung und Erziehung
junger Kinder entwickelt werden. Dazu wurde besonderer Wert auf eine wissen-
schaftlich orientierte und systematische Erfassung der Entwicklung der Kinder ge-
legt. Des Weiteren standen die Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung der
Kinder und die Verbesserung der Erziehungs- und Beziehungsqualität der pädagogi-
schen Fachkräfte im Mittelpunkt. Ohne die bisher geleistete Arbeit der pädagogi-
schen Fachkräfte grundsätzlich in Frage zu stellen, kann geschlussfolgert werden,
dass die erzielten Ergebnisse deutlich aufzeigen, dass zur Erreichung einer durchge-
hend hohen Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Einrichtungen noch Handlungs-
bedarf besteht. Es wurde deutlich, dass der Bildungshintergrund und der Migrati-
onshintergrund der Kinder sich im Entwicklungsergebnis widerspiegeln. Der Rück-
Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder
201
stand der Kinder mit Migrationshintergrund zu Kindern aus bildungsnahen Familien
wird im Verlauf der Entwicklung eher größer als geringer. Umso ermutigender ist es,
dass die pädagogischen Fachkräfte mit einer hohen Erziehungs- und Beziehungsqua-
lität zu einer positiven kindlichen Entwicklung beitragen können. Die pädagogischen
Fachkräfte bieten damit besonders den benachteiligten Kindern eine Chance, die
zukünftig noch stärker genutzt werden sollte. Die pädagogische Fachkraft und ihr
Team haben sich in dem Projekt als Ressource für eine hohe Qualität der Bildungs-
und Erziehungsarbeit erwiesen. Professionalität, Teamgeist und fachlicher Aus-
tausch, ein gutes Arbeitsklima, berufliche Zufriedenheit und persönliche Selbstwirk-
samkeit der Fachkräfte sind Kriterien der pädagogischen Qualität in den Einrichtun-
gen, die gefördert werden müssen.
10.7 Literatur
Broidy, L.M., Nagin, D.S., Tremblay, R.E., Bates, J.E., Brame, B., Dodge, K.A. et al.
(2003). Developmental trajectories of childhood disruptive behaviors and
adolescent delinquency: A six-site, cross-national study. Developmental Psycho-
logy, 39, 222-245.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2003). Perspektiven
zur Weiterentwicklung des Systems der Tageseinrichtungen für Kinder in Deutsch-
land. Zusammenfassung und Empfehlungen. Berlin: Bundesministerium für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend.
Karch, D. (2002). Aktuelle Konzepte zur motorischen Entwicklung und motorischen
Kontrolle. In F. Aksu (Hrsg.), Aktuelle Neuropädiatrie. Nürnberg: Novartis Pharma
Verlag.
Kokko, K. & Pulkkinen, L. (2005). Stability of aggressive behavior from childhood to
middle age in woman and man. Aggressive Behavior, 31, 485-497.
Petermann, U., Petermann, F. & Koglin, U. (2009). EBD 3-48 - Entwicklungsbeobach-
tung und -dokumentation EBD 3 - 48 Monate. (3., überarb. Aufl.). Berlin: Cornel-
son Scriptor.
Sachse, S. (2005). Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen. In W. von Su-
chodoletz (Hrsg.), Früherkennung von Entwicklungsstörungen. Göttingen: Hogre-
fe.
Skovgaard, A.M., Houmann, T., Christiansen, E., Landorph, S., Jorgensen, T., Olsen,
E.M. et al. (2007). The prevalence of mental health problems in children 1½ years
of age - the Copenhagen Child Cohort 2000. Journal of Child Psychology and
Psychiatry, 48, 62-70.
Tröster, H. & Reineke, D. (2007). Prävalenz von Verhaltens- und Entwicklungsauffäl-
ligkeiten im Kindergartenalter. Kindheit und Entwicklung, 16, 171-179.
Von Suchodoletz, W. (2005). Frühe Identifikation motorischer Entwicklungsstörun-
gen. In W. von Suchodoletz (Hrsg.), Früherkennung von Entwicklungsstörungen.
Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder
202
Göttingen: Hogrefe.
Publikationen
Koglin, U., Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Entwicklungsbeobachtung und -
dokumentation EBD 48-72 Monate. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor.
Koglin, U., Petermann, F., Helmsen, J. & Petermann, U. (2008). Entwicklungsbeo-
bachtung und -dokumentation in Krippen und Kindergärten. Kindheit und Ent-
wicklung, 17, 152-160.
Petermann, U., Petermann, F. & Koglin, U. (2012). Entwicklungsbeobachtung und -
dokumentation EBD 3-48 Monat (3., überarb. Auflage). Berlin: Cornelsen Verlag
Scriptor.
Schreyer-Mehlhop, I., Petermann, F., Petermann, U. & Koglin, U. (2012). Entwick-
lungsbeobachtung und -dokumentation mit der EBD 3-48 und der EBD 48-72.
Frühe Bildung, 1, 1-7.
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
203
11 Entwicklung und Evaluation einer Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
11.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Stefan Görres, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität
Bremen
Prof. Dr. Franz Petermann
MitarbeiterInnen
Dr. Ulrike de Vries
Prof. Dr. Karl Reif
Kooperationspartner
Bremer Krebsgesellschaft, Altmark-Klinikum, Salzwedel, Bayerische Krebsgesell-
schaft, Beratungsstelle Hof, Brandenburgische Krebsgesellschaft, Charité Universi-
tätsmedizin, Elbeklinikum Stade-Buxtehude, Klinik für Tumorbiologie, Freiburg, Kli-
nikum Brandenburg/Havel, Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Klinikum
Hanau GmbH, Ludmillenstift, Meppen, Ostalbklinikum, Aalen, Praxis Phoenix, Neu-
stadt a. Rbge., Universitätsklinikum Greifswald
Zeitraum
01.04.2007 - 31.12.2010
Finanzierung
BMBF
11.2 Zusammenfassung
Objective: To evaluate the patient education program FIBS (Fatigue individuell
bewältigen - ein Selbstmanagementprogramm für Krebspatienten) that aims at
reducing perceived fatigue in cancer survivors. Methods: In ten German centres,
261 patients with cancer-related fatigue were randomly assigned to a patient
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
204
education program consisting of 6 sessions à 90 minutes or standard care. The
primary outcome measure was cancer-related fatigue (CRF). Secondary outcomes
included quality of life, general self-efficacy, physical activity, self-efficacy for
physical activity, anxiety, depression, and fatigue knowledge. Satisfaction with the
program was evaluated directly after the intervention. Data were analyzed using
analysis of variance (ANOVA) with repeated measures. Results: Patients in the
education group showed statistically significant reduction in cancer-related fatigue
(F=76.510, p<0.001, η2=0.248). Secondary outcomes also showed statistically
significant improvements in all measures including quality of life (F=29.607,
p<0.001, η2=0.113), general self-efficacy (F=27.680, p<0.001, η2=0.107), exercise
self-efficacy (F=49.230, p<0.001, η2=0.175), physical activity (F=8.036, p<0.001,
η2=0.033), anxiety (F=33.194, p<0.001, η2=0.125), depression (F=24.604, p<0.001,
η2=0.096), and fatigue knowledge (F=55.157, p<0.001, η2=0.192). Satisfaction with
the program was generally high (mean=9.68 of 12 possible points, SD=1.66).
Conclusion: The FIBS program was effective in reducing perceived fatigue, anxiety,
and depression as well as improving quality of life, self-efficacy, physical activity,
and fatigue knowledge. Patients were highly satisfied with the program. Practice
Implications: The FIBS program can be applied effectively in cancer survivors.
11.3 Stand der Forschung
Cancer-related fatigue (CRF) is defined as a distressing persistent sense of tiredness
or exhaustion related to cancer that is not proportional to recent activity and
interferes with usual functioning (National Comprehensive Cancer Network, 2011).
CRF is seen as a multidimensional symptom as it encompasses physical, mental and
emotional aspects (Glaus, Crow & Hammond, 1996). CRF is highly prevalent across
the cancer continuum from diagnosis and treatment through survivorship and end
of life. The prevalence of cancer-related fatigue ranged from 4% to 91%, depending
on the population studied and the methods of assessment (Lawrence, Kupelnick,
Miller, Devine & Lau, 2004). Advances in diagnosis and treatment of malignancies
have resulted in a growth of the number of cancer survivors. Thus, clinicians are
being faced with a growing number of patients with CRF, even years after
treatment. There is a wide range of treatment options for CRF which can be
classified into pharmacologic and nonpharmacologic interventions. Drug therapy for
CRF is not well established yet. Hemopoietic growth factors have been suggested to
treat CRF but can no longer be recommended due to safety issues (Minton,
Richardson, Sharpe, Hotopf & Stone, 2010). There is evidence for the use of
psychostimulants to treat CRF (Minton, Richardson, Sharpe, Hotopf & Stone, 2011).
However, large scale trials to confirm these results are required. Nonpharmacologic
interventions focus on exercise and psychosocial interventions. In a meta-analysis,
these interventions achieved an overall effect size of -0.341 (p<0.001) (Kangas,
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
205
Bovbjerg & Montgomery, 2008), with negative indices indicating less fatigue post-
intervention. Exercise has been studied extensively, yielding an effect size in
survivors of 0.31 (Brown et al., 2011). Psychosocial interventions may comprise
psychoeducation, psychotherapy or social support; in a meta-analysis the pooled
effect size was -0.313 (Kangas et al., 2008), whereas single trials resulted in effect
sizes from 0.17 to 1.07 (Goedendorp, Gielissen, Verhagen & Bleijenberg, 2009).
11.4 Ziele
Psychoeducation is common in psychosocial interventions and is recommended as a
key strategy in CRF management (National Comprehensive Cancer Network , 2011).
However, the efficacy of psychoeducational interventions in cancer survivors has
not been established. Therefore, a patient education program was developed by
multidisciplinary collaboration using formative evaluation methods. The program is
named FIBS, “Fatigue individuell bewältigen - ein Selbstmanagementprogramm für
Krebspatienten” (Coping with fatigue individually - a self-management program for
cancer patients). In this study, the aim was to determine whether FIBS could
improve the patients’ CRF management.
11.5 Methodisches Vorgehen
A multi-centre randomised two-group waiting-list controlled intervention trial was
carried out. Our main hypothesis was: Participation in the patient education
program significantly changes the level of CRF in disease-free cancer survivors with
a follow-up period of 6 months. The study was approved by the Ethics Committee of
the University of Bremen. Participants: Patients were eligible if they were 18 years
or older and diagnosed with malignant tumors. They had to be in a stable condition
(ECOG Performance Status 0-2 (Oken et al., 1982) at any time point following active
treatment and remission of acute toxic side effects. The patients’ CRF level had to
be rated as moderate (4-6) or severe (7-10) on a scale from 0-10 (National
Comprehensive Cancer Network, 2011). Patients were excluded if their life
expectancy was less than 12 months, if they had brain tumours or brain metastases,
cognitive disorders or psychiatric conditions. Patients with depression were not
excluded. Crucial inclusion factors were a sufficient level of functioning and
motivation to be able to participate in a multi-part seminar. Patients were recruited
by their physicians who checked the inclusion and exclusion criteria from July 2008
to March 2010 in 10 German centres covering urban and rural areas. All participants
received personal and written information about the study and gave written
informed consent. Procedures: Computer-generated randomization lists were used
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
206
for concealed allocation by central telephone calls. Data collection was scheduled at
baseline (t0), post-treatment (t1) and at a follow-up of 6 months (t2). Baseline
measures (t0) were obtained prior to randomization. Although the data entry and
analysis was performed by blinded researchers, patients and tutors could not be
blinded to treatment allocation for practical reasons. Intervention: The intervention
was a structured patient education program consisting of six weekly sessions à 90
minutes designed for groups of 8 cancer survivors. The topics and methods of each
session are presented in table 1.
Table 1: Topics and methods of FIBS sessions (each 90 min.).
Session Title of session
Topics Methods
1 Dimensions
of fatigue
Differentiate between the physical,
cognitive and emotional dimensions of
fatigue.
SL, MG
2 Etiology and
treatment of
fatigue
Information about etiology of fatigue,
treatment options, subjective theories of
disease. Establish an exercise program.
SL, MG,
HE
3 Time and
energy
management
Review of daily routines, structure activities
according to energy levels, utilizing a
patient diary.
SL, MG,
IT, BT,
HE
4 Healthy sleep
and
enjoyment
Information about rules of sleep hygiene,
establish healthy sleep-wake rhythms.
Training of positive self-reinforcement
techniques.
SL,MG,
IT, BT,
HE
5 Coping with
emotions
Learn strategies to overcome depressive
periods. Negative experiences in everyday
life are reviewed and strategies to activate
positive emotions are trained.
SL,MG,
IT, BT,
HE
6 Implementin
g new
strategies
Patients discuss the use of resources to
overcome barriers that may occur when
implementing new strategies into everyday
life.
SL, MG
SL=Short lectures, MG=moderated group discussions, I=individual tasks, BT=behavioral
training, HE= home exercises.
FIBS aims at impacting on health-related self-efficacy as it is known that knowledge
by itself hasn't proved to achieve behaviour modifications. This was realized by
implementing a training of problem solving, including goal setting and evaluation,
and other cognitive techniques into the program. We utilized behaviour therapy-
oriented strategies and techniques and designed the program to be effective in the
cognitive, emotional, and behavioural aspect. The structure of the sessions was
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
207
scheduled so that short periods of lecture activity by the trainer and longer periods
of controlled participant activity alternated. In that way all patients could express
their thoughts and feelings on any topic and the individual needs of patients could
be taken into account. Also, the subject matter could be easier kept in mind as it
was worked out by the patients themselves.
Between sessions, the patients were encouraged to keep a diary, perform exercises
and implement lifestyle changes. Two additional meetings after 3 and 6 months
were offered to patients to share their experiences in daily life. The program was
administered by nurses and psychologists but can also be carried out by other
health care professionals. The manual is published in German (de Vries, Reif,
Petermann & Görres, 2011). Patients in the intervention group (IG) were highly
satisfied with the program (Reif, de Vries, Petermann & Görres, 2010). The trainers
were mostly nurses, but also psychologists worked as trainers. All trainers attended
a specialized train-the-trainer workshop held by the authors to ensure that the
program is conducted in each centre in the same way. Patients in the control group
(CG) were put on a waiting-list. They participated in the program after the IG had
completed their follow-up. All patients received standard information on fatigue as
a lecture. For all patients medical care, e. g. routine follow-up, continued as usual
and no additional intervention was provided.
Outcome measures. CRF was measured by the Fatigue Assessment Questionnaire
(FAQ). The scale consists of 20 items: 11 items represent physical, 5 items affective
and 3 cognitive fatigue; one item is about insomnia. In addition, there are three
visual analogue scales about fatigue intensity and burden. Cronbach’s alpha of the
total scale was 0.90, physical subscale 0.95, affective subscale 0.83 and cognitive
subscale 0.86 (Glaus & Müller, 2001). Quality of life was measured with the EORTC
QLQ-C30 questionnaire. It is a 30-item questionnaire that reflects the
multidimensionality of the construct. It includes 5 functional scales, 3 symptom
scales and a global health status scale. 6 single item side effects scales are added.
The questionnaire showed satisfactory psychometric properties and was found to
be useful for detecting changes over time (Aaronson et al., 1993). The reliability
coefficients for the multi-item scales in a German population ranged from 0.65-0.89
(Schwarz & Hinz, 2001). For this study, the questionnaire was adapted to the
survivor’s conditions and thus reduced to 21 items, omitting acute disease specific
items like dyspnea and nausea/vomiting. General self-efficacy was assessed by
using the General Self-Efficacy Scale (Schwarzer & Jerusalem, 1995). It is a 10-item
questionnaire designed to assess optimistic self-belief that one can perform on
novel or difficult tasks or cope with adversity in various domains of functioning. The
scale has proved reliable and valid. Cronbach’s alpha ranged from 0.76 to 0.90.
Criterion-related validity is documented in numerous correlation studies (Scholz,
Gutiérrez-Doña, Sud & Schwarzer, 2002). Exercise self-efficacy was measured with
the Physical Exercise Self-Efficacy Scale. This 20-item instrument was developed to
assess efficacy beliefs in initiating and maintaining a regular program of physical
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
208
exercise even under unfavorable circumstances. Cronbach’s alpha was 0.89 (Fuchs
& Schwarzer, 1994). The instrument was positively correlated with generalized self-
efficacy. Further evidence of validity is provided by the correlation between the
scale and the intention towards physical exercise (Fuchs & Schwarzer, 1994). Physical activity was measured by the Freiburg Questionnaire on Physical Activity
(FFKA) (Frey, Berg, Grathwohl & Keul, 1999). Originally, the questionnaire consisted
of 12 items. In consultation with the authors those 4 items which measure the
quality of sleep were omitted. An estimate of energy expenditure was derived by
multiplying hours of reported activity by the average intensity expressed in
metabolic equivalent values for activities (MET) (Ainsworth et al., 2000). The scale
has satisfactory psychometric properties and allows a calculation of weighted MET
hours per week. The test-retest-reliability of subscales ranged between 0.751 and
0.998. Maximum oxygen uptake correlated with sport activities, thus showing a
good validity (Frey et al., 1999). Anxiety and depression were measured by the
German version of the Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D) (Hinz &
Schwarz, 2002), consisting of 7 items on both subscales. Cronbach’s alpha varied
from 0.67 to 0.90 (Bjelland, Dahl, Haug & Neckelmann, 2002). The sensitivity and
specificity was approximately 0.80. Correlations between HADS and other
commonly used questionnaires ranged from 0.49 to 0.83 (Bjelland et al., 2002; Hinz
& Schwarz, 2002). Since there were no scales for measuring CRF knowledge the
Fatigue Knowledge Test (F-WT) was developed. The concepts were drawn from
clinical recommendations with emphasis on self-care. The items are based on a
systematic review (de Vries, Reif, Stuhldreher, Petermann & Görres, 2009). The F-
WT is a 34-item instrument with true/false questions containing 9 items about
etiology and signs of CRF, 6 items about treatment, 3 items about exercise, 6 items
about exercise motivation, 5 items about scheduling daily activities and 5 items
about improvement of the sleep-wake rhythm. Cronbach’s alpha calculated from
our study was 0.82. A questionnaire to measure the patients' satisfaction was
developed, the “Fatigue education satisfaction scale’’, based on a scale for asthma
education. The original scale contained 28 items. Cronbach’s alpha for the total
scale was 0.92 and ranged from 0.47 to 0.91 for subscales (de Vries, Mühlig,
Waldmann & Petermann, 2008). This questionnaire was modified for use in FIBS.
Statistical analysis. The sample size estimation was based on the FAQ. To detect a
clinically relevant difference of 4 points in the mean with 80% power and a two-
sided 0.05 significance, 120 patients were needed in each group. Data for the
sample size estimation was determined by research (Geinitz et al., 2004). We
anticipated an attrition of 20%, giving a total n of 150 per group or n of 120 per
group being analysed at t2. We used a group-by-time two-way analysis of variance
(ANOVA) statistics with time as the repeated factor. Group-by-time effects on
changes in patients’ outcomes and partial eta-squared (η2) values were calculated.
The primary outcome measure was CRF, all other outcomes were secondary. We
considered results to be statistically significant if the two-sided p-values were less
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
209
than 0.05. All patients who completed the questionnaires were included in the
analyses regardless of their participation in the sessions (intention-to-treat
analysis). No interim analyses for efficacy or futility were carried out, no stopping
rules applied. All statistical analyses were carried out using SPSS for Windows
Release 18.
11.6 Ergebnisse
327 patients were assessed for eligibility; 261 were randomized, 129 allocated to
the IG and 132 to the CG. 120 patients attended the program. All of these and 114
patients in the CG were analyzed at follow-up. 27 patients couldn’t be analyzed as
there were no data available. No patient discontinued the intervention, but some
didn’t attend all modules for different reasons (e.g. illness or scheduling conflicts).
The mean participation rate was 4.3 modules (n = 104). Table 2 displays the
baseline characteristics of the patients. There were no significant differences
between groups on any of the demographic/clinical variables at baseline. All
characteristics were similar between groups. The patients were predominantly
women caused by numerous participation of certified Breast Units at hospitals. This
also explains the high prevalence of breast cancer patients. However, in total
patients with 29 tumor entities participated in the study. The most prevalent
comorbidity was depression. Most patients had already taken measures against CRF
like information or sports.
Primary outcome measure. The study population was highly fatigued at baseline,
scoring 42.42 (SD = 9.17) in the IG and 41.68 (10.13) in the CG on the FAQ scale
ranging from 0-60. Likewise, the mean visual analogue subscale values 8.03 (1.57) in
the IG and 8.09 (1.34) in the CG on a scale of 0-9 indicate severe subjective CRF
burden. The values of the fatigue subscale of the QLQ-C30 confirm these results;
they show a fatigue burden of 75.37 (19.39) in the IG and 73.29 (22.01) in the CG on
a scale of 0-100.
In the IG, CRF was reduced to 22.85 (15.73) at t2. The CG showed almost no change
in CRF levels over time. In the repeated measures ANOVA, this difference was
statistically significant for the group by time interaction (F = 76.51, p<0.001). The
partial η2 of 0.248 indicates a large effect. All subscales of the FAQ achieved
statistically significant effects with partial η2 ranging from 0.09 (the smallest effect
in insomnia) to 0.238 (the largest effect in physical fatigue) (figure 1).
Secondary outcome measures. The changes in the quality of life questionnaire
QLQ-C30 indicate a significant improvement in the global health status in the IG
compared to the CG. All functional and symptom scale values as well as single items
values increased significantly. The largest effect could be seen in the fatigue
subscale: the IG showed a reduction from 75.37 (19.39) to 40.74 (30.60) while the
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
210
values in the CG remained about the same (F = 57.837, partial η2 = 0.2, p < 0.001).
This finding confirms the results of the FAQ.
Self-efficacy was improved significantly by the intervention, in the general scale as
well as in the physical exercise scale. However, physical exercise self-efficacy
declined in the CG over time, in the total scale as well as in all subscales. A similar
effect was found in the changes in physical activity. Total activity improved in the IG
but declined in the CG. The group difference indicated a small effect (F = 8.036,
partial η2 = 0.033, p < 0.001). All subscales of the FFKA showed significant
improvements. The largest effect could be seen in leisure activities, whereas sports
showed the smallest effect. The decline in self-efficacy and physical activity in the
CG might be explained by a lack of expectations that may have occurred in the CG
while waiting for the intervention.
Table 2: Demographic and clinical characteristics of patients in intervention group
(IG) and wait-list control group (CG). All data in „n (%)“ unless otherwise stated.
IG n=120 CG n=114
Sex Female 97 (80.8%) 90 (78.9%)
Age Mean (SD) 57.78 (10.32) 57.52 (11.90)
Unmarried 10 (8.3%) 11 (9.6%)
Married 86 (71.7%) 71 (62.3%)
Divorced / separated 14 (11.7%) 23 (20.2%)
Marital status
Widowed 10 (8.3%) 9 (7.9%)
Secondary school 71 (59.2%) 61 (53.5%)
Polytechnic secondary school 9 (7.5%) 10 (8.8%)
Adv. technical college certificate 14 (11.7%) 14 (12.3%)
Education (school leaving certificate)
A-level-exam 24 (20.0%) 29 (25.4%)
Breast cancer
76 (63.3%)
Breast cancer
61 (53.5%)
Colon cancer
8 (6.7%)
Leukemia
6 (5.3%)
Most prevalent initial diagnoses
Prostate can-
cer
5 (4.2%)
Lymphoma
6 (5.3%)
Depression 34 (28.3%) 33 (28.9%)
Hypertension 12 (10.0%) 30 (26.3%)
Most prevalent comorbidities
Diabetes 8 (6.7%) 4 (3.5%)
< 6 Months 8 (6.7%) 4 (3.5%)
> 6 Months 112 (93.3%) 107 (93.9%)
Duration of fatigue
Other 2 (1.7%) 4 (3.5%)
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
211
Figure 1: Primary outcome cancer-related fatigue: change in FAQ total score.
Anxiety and depression could be reduced significantly in the IG while these
parameters decreased in the CG. (table 3).
Table 3: Changes in Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) (range 0 - 21).
Pre-interven-tion
Post-inter-vention
Follow-up
group x time Partial eta-squared
Group Mean (SD)
Mean (SD)
Mean (SD)
F p group x time
IG 9.16
(3.92)
6.73
(4.40)
5.32
(4.39) Anxiety
CG 9.51
(3.98)
9.47
(3.94)
9.81
(4.43)
33.194 <0.001 0.125
IG 8.32
(3.85)
6.09
(4.72)
5.04
(4.71) Depressi-on
CG 8.71
(3.58)
8.77
(3.88)
8.86
(4.01)
24.604 <0.001 0.096
Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue
212
The total score of the Fatigue Knowledge Test showed an improvement in the IG
from t0 to t1 and remained roughly on this position until t2, whereas the knowledge
gain in the CG remained minimal, indicating a significant difference.
Conclusion
This trial introduces an education program for fatigued cancer patients following
therapy completion. In the evaluation, the newly developed program FIBS proved
superior to standard information and care for patients on a wait-list. At baseline,
participating patients were suffering from severe symptom burden, and the
majority of patients had already made multiple attempts to combat fatigue.
Our study adds a patient education program for cancer survivors. The efficacy of the
program can be explained by multiple factors.
• FIBS was designed to reduce CRF in cancer patients. In studies identified by a
Cochrane review (Goedendorp et al., 2009), specific interventions for CRF
had a higher probability of being effective compared to interventions not
specific for CRF.
• FIBS was composed of CRF specific strategies that were assumed effective as
mentioned in the NCCN guideline (National Comprehensive Cancer Network,
2011) and in recommendations from the Oncology Nursing Society (Mitchell
et al., 2007).
• Advice on social support and support from other patients can be a helpful
component of effective interventions for CRF (Fors et al., 2010) and was
therefore included in the FIBS program. The sessions were designed so that
patients could learn from each other.
• As depression is a major factor frequently associated with CRF (Jacobsen,
Donovan & Weitzner, 2003), advice on strategies to overcome depressive
periods may have helped to ameliorate depressive symptoms as well as
affective fatigue.
Our education program designed for cancer survivors after treatment had a positive
impact on perceived fatigue and other secondary variables. The effect could be
maintained 6 months following participation.
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10.
Teil III: Rehabilitation
217
Teil III: Rehabilitation
In den folgenden Kapiteln werden zehn Projekte vorgestellt, die im Wesentlichen
von der Deutschen Rentenversicherung finanziert werden. Hier waren unsere Part-
ner u.a. die DRV Bund, DRV Oldenburg-Bremen, DRV Braunschweig-Hannover und
DRV Nord für den Bereich Kinderrehabilitation und Rehabilitation von Erwachsenen.
Besondere Bedeutung erlangte seit 2005 die psychosomatische Rehabilitation, die
eine wichtige Verbindung zum Fach „Klinische Psychologie“ repräsentiert. Die psy-
chosomatische Rehabilitation stellt ein aus sozialmedizinischer und gesundheits-
ökonomischer Sicht bedeutendes Behandlungsverfahren dar. Sie bildet den dritt-
größten Anteil an allen Rehabilitationsverfahren. Wie bei anderen Indikationsberei-
chen zielt auch die psychosomatische Rehabilitation auf die Besserung bzw. Wie-
derherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie auf die Wiederherstellung der Leistungs-,
Funktions- und Beziehungsfähigkeit im Alltag und im Berufsleben. Nur stehen hier
die psychischen Probleme als Ursache der Einschränkungen einer Teilhabe an Akti-
vitäten und sozialer Integration ganz im Mittelpunkt. Bei den Behandlungsverfahren
kommt der psychotherapeutischen Behandlung ein zentraler Stellenwert zu.
Die Zuweisung zur psychosomatischen Rehabilitation zwingt den Patienten, sich mit
seinen Gesundheitszielen, mit seinen Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit,
mit organisatorischen Fragen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden stationä-
ren Aufenthalt und eventuell auch mit bestehenden motivationalen Barrieren aus-
einanderzusetzen. Bisher liegen keine systematischen Studien vor, die diese Situati-
on der Patienten in der prästationären Phase genauer untersuchen. Maßnahmen
zur prästationären Einzel- oder Gruppenberatung werden nur von einem kleinen
Teil der psychosomatischen Rehabilitationskliniken angeboten. Um so wichtiger ist
daher die Entwicklung und Evaluation von manualgestützter Vorbereitung der Pati-
enten auf die psychosomatische Rehabilitation, die in einigen der folgenden Projek-
te realisiert wurde.
Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz
219
1 Depression als Prädiktor für den Misserfolg der Rehabilitation von chronischem Rückenschmerz
1.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Petra Hampel, Stiftungsprofessur Rehabilitationspsychologie
Mitarbeiterinnen
Dipl.-Psych. Beate Mohr
Dipl.-Psych. Monika Thomsen
Dipl.-Psych. Lisa Tlach
Kooperationspartner
Dr. Gräf, Montanus-Klinik, Bad Schwalbach
Dr. Krohn-Grimberghe, Rheumaklinik Bad Wildungen
Zeitraum
01.01.2005 - 30.06.2009
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen und Universität Bremen
1.2 Zusammenfassung
Hintergrund und Fragestellung. Bei der Chronifizierung von Rückenschmerzen ha-
ben sich psychosoziale Beeinträchtigungen, insbesondere depressive Symptome, als
wesentliche Risikofaktoren im Chronifizierungsprozess erwiesen. Demzufolge wei-
sen Patienten mit komorbider Depressivität einen erhöhten Bedarf an psychologi-
schen Interventionen auf. Das Projekt untergliederte sich in zwei Phasen: In der
ersten Phase sollte der Einfluss der Depressivität und des Geschlechts auf den Re-
habilitationserfolg bestimmt werden. In Phase 2 sollte die langfristige Effektivität
einer stationären orthopädischen Rehabilitation in Abhängigkeit von der experi-
mentellen Bedingung und vom Geschlecht auf psychosoziale Kennwerte untersucht
werden. Es wurde der Frage nachgegangen, ob Patienten mit erhöhter Depressivität
Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz
220
langfristig von einer störungsspezifischen kognitiv-behavioralen Intervention profi-
tieren. Methode. In der ersten Phase wurden 116 Patienten mit chronischen Rü-
ckenschmerzen vor, direkt nach, 3 und 6 Monate nach der Rehabilitation unter-
sucht, die neben der Standardrehabilitation ein vierstündiges Schmerzbewältigungs-
training enthielt. In der zweiten Phase wurden 153 Patienten mit chronisch unspezi-
fischen Rückenschmerzen zu Rehabilitationsbeginn, Rehabilitationsende, nach
sechs, 12 und 24 Monaten untersucht. Veränderungen unmittelbar nach der Reha-
bilitation wurden als kurzfristige, nach sechs Monaten als mittelfristige und nach 12
und 24 Monaten als langfristige Rehabilitationseffekte betrachtet. Ergebnisse. In
Phase 1 ergab sich, dass kurzfristig alle Rehabilitandinnen und Rehabilitanden von
der Rehabilitation profitierten. In Phase 2 zeigten sich ebenfalls alle Rehabilitandin-
nen und Rehabilitanden unmittelbar nach der Rehabilitation signifikant verbessert.
Mittel- und langfristig konnten jedoch nur die Patienten mit mittlerer und hoher
Depressivität in der Depressivität und Angst profitieren, die zusätzlich zum
Schmerzbewältigungstraining ein kognitiv-behaviorales Depressionsbewältigungs-
training erhielten. Schlussfolgerung. Die varianzanalytischen Befunde für Phase 1
legen nahe, dass die Standardmaßnahme eine kurzfristige Wirksamkeit aufweist. Im
Langzeitverlauf konnten in Phase 2 günstige Effekte der kombinierten Rehabilitati-
onsmaßnahme mit einem kognitiv-behaviorales Depressionsbewältigungstraining
für die Patienten mit mittlerer und hoher Depressivität in psychologischen Parame-
tern nachgewiesen werden. Es kann demnach angenommen werden, dass das Trai-
ning zur Depressionsbewältigung dem zusätzlichen psychologischen Behandlungs-
bedarf von Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen mit komorbi-
der Depressivität gerecht wird, langfristig den Rehabilitationserfolg verbessert und
somit einer weiteren Chronifizierung entgegenwirkt.
1.3 Stand der Forschung
Rückenschmerzen verursachen Gesamtausgaben von 49 Milliarden Euro jährlich,
was etwa 2.2% des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland entspricht (Wenig,
Schmidt, Kohlmann & Schweikert, 2009). Hierbei setzen sich die Gesamtkosten je-
weils zur Hälfte aus den direkten Behandlungskosten und den indirekten Kosten
aufgrund von Frühberentungen und Arbeitsunfähigkeitstagen zusammen. Kohl-
mann (2003) nimmt an, dass es bei 5 bis 8% der Betroffenen zu einem chronischen
Verlauf kommt. Hierbei haben sich insbesondere emotionale Beeinträchtigungen,
wie Distress, Angst und insbesondere Depressivität, als bedeutsame Risikofaktoren
für eine Chronifizierung erwiesen (z.B. Hasenbring & Pfingsten, 2007; Linton, 2000).
Bereits 2000 zog Härter aus den erhöhten Prävalenzen für komorbide Depression
bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen das Fazit, dass sowohl eine früh-
zeitige Diagnostik als auch eine spezifische Behandlung von komorbiden psychi-
schen Störungen bei der Rehabilitation von chronisch unspezifischen Rücken-
Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz
221
schmerzen angezeigt ist. Allerdings wurden komorbide psychische Störungen in der
orthopädischen Rehabilitation von chronischen Rückenschmerzen bislang nicht aus-
reichend diagnostiziert und behandelt (Irle, Worringen, Korsukéwitz, Klosterhuis &
Grünbeck, 2002; Reuter, Woll, Stadelmann, Bengel & Härter, 2002). So lagen noch
keine störungsspezifischen Behandlungsmaßnahmen vor.
1.4 Ziele
Die erste Phase verfolgte zwei Ziele: 1) Es sollte der Einfluss der Depressivität und
des Geschlechts auf den Rehabilitationserfolg bestimmt werden. 2) Die Prädiktoren
des Rehabilitationsmisserfolges, wie z.B. Alter, Geschlecht oder Depressionsstatus,
sollten an einer repräsentativen Stichprobe für Patienten mit chronischen Rücken-
schmerzen prospektiv ermittelt werden. In Phase 2 wurde das Ziel verfolgt, zusätz-
lich zu den 1-Jahresverläufen noch die nachhaltigen Rehabilitationseffekte zwei Jah-
re nach der Rehabilitation zu beleuchten. So wurden die Effekte einer stationären
orthopädischen Rehabilitation in Abhängigkeit von der experimentellen Bedingung
und vom Geschlecht auf schmerzbezogene und psychologische Kennwerte unter-
sucht.
1.5 Methodisches Vorgehen
In Phase 1 wurde von Januar 2005 bis Mai 2005 die Studie geplant und vorbereitet
sowie die Kooperationen aufgebaut. Juni 2005 wurde das Klinikpersonal geschult.
Die Datenerhebung erstreckte sich von Juli 2005 (prä) bis September 2006 (6-
Monatskatamnese). Die Datenaufbereitung und -publikation erfolgten von Oktober
2006 bis Januar 2007. In Phase 2 fand von Mai 2008 bis Februar 2009 die Datener-
hebung statt. Die Daten wurden bis April 2009 aufbereitet und bis Juni 2009 wurden
der Abschlussbericht und weitere Publikationen erstellt.
In der ersten Phase wurden N=116 Patienten der orthopädischen Rehabilitationskli-
niken Rheumaklinik Bad Wildungen und Montanus-Klinik in Bad Schwalbach mit
chronischen Rückenschmerzen im Verlauf der stationären orthopädischen Rehabili-
tation untersucht. Es wurde insbesondere der Einfluss des Geschlechts und des De-
pressionsgrades auf medizinische, psychosoziale und sozialmedizinische Kennwerte
zu Rehabilitationsbeginn, Rehabilitationsende, 3 und 6 Monate nach der Rehabilita-
tion mit einem Schmerzbewältigungstraining analysiert.
In der zweiten Phase wurde an einer konsekutiven Stichprobe von N=153 Patienten
mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen (84 Männer, 69 Frauen; Alter:
M=50.5 J.; SD=6.1; ICD-10 Diagnose: M54.4, M54.5) aus den beiden stationären
orthopädischen Rehabilitationskliniken der Einfluss der experimentellen Bedingung
Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz
222
und des Geschlechts auf psychologische und schmerzbezogene Kennwerte zu Reha-
bilitationsbeginn, Rehabilitationsende, nach sechs, 12 und 24 Monaten untersucht.
Ein Standardrehabilitationsprogramm mit einem vierstündigen Schmerzbewälti-
gungstraining wurde mit Patienten mit niedriger Depressivität (KG) und mit Patien-
ten mit mittlerer und hoher Depressivität (KGdepr) durchgeführt. Eine dritte Gruppe
von Patienten mit mittlerer und hoher Depressivität erhielt zusätzlich ein fünfstün-
diges kognitiv-behaviorales Modul zur Depressionsbewältigung (IGdepr).
1.6 Ergebnisse
Insgesamt zeigten die varianzanalytischen Befunde für Phase 1, dass kurzfristig alle
Rehabilitanden von der Rehabilitation profitierten. Mittelfristig konnte jedoch ein
Rehabilitationserfolg eher nur für die Frauen festgestellt werden. In den Schmerz-
bewältigungsstrategien konnten lediglich niedrig, jedoch nicht mittel und hoch de-
pressive Rehabilitanden profitieren. Insbesondere hoch depressive Männer erreich-
ten wieder die Ausgangswerte zur 6-Monatskatamnese und wiesen sogar den Trend
zu mittelfristigen Verschlechterungen auf. Die Verteilungen zu Rehabilitationsbe-
ginn und zur 6-Monatskatamnese über alle Rehabilitanden verdeutlichen, dass mit-
telfristig eher keine Veränderungen zu beobachten waren. Negative Trends konnten
mehr abgefangen werden. Mittlere Effektstärken für mittelfristige Verbesserungen
ergaben sich für die Schmerzintensitäten und die schmerzbedingte Funktionsbeein-
trächtigung. Eine erhöhte Depressivität erwies sich mit einer geringeren schmerzbe-
zogenen Handlungsplanung und niedrigeren körperlichen Lebensqualität als Prädik-
tor für eine niedrigere Funktionskapazität zur 6-Monatskatamnese. Der Erwerbsver-
lauf war eher stabil, wies jedoch auch deutlich negative Trends auf. Die Erwerbstä-
tigkeit zur 6-Monatskatamnese konnte durch eine Arbeitsunfähigkeit mehr als 14
Tage in den letzten 3 Monaten vorhergesagt werden.
In Phase 2 profitierten insgesamt ebenfalls alle Studienteilnehmer kurzfristig von
der Rehabilitation. In den schmerzbezogenen Kennwerten bildete sich dieser Effekt
jedoch mittel- oder langfristig zurück. Demgegenüber zeigten sich im psychischen
Befinden Rehabilitationseffekte in Abhängigkeit der experimentellen Bedingung: Die
KGdepr zeigte in der Depressivität einen kurzfristigen Rehabilitationserfolg, während
bei den Patienten der IGdepr noch 24 Monate nach Rehabilitationsende reduzierte
Depressivitätswerte zu beobachten waren. In der Angst profitierten Patienten in der
KGdepr und der IGdepr auch noch 12 Monate nach der Rehabilitation, wobei eine Sta-
bilität dieses Effektes über zwei Jahre lediglich in der IGdepr erzielt werden konnte. In
der psychischen Lebensqualität konnte in der KGdepr nach der Rehabilitation eine
kurzfristige Verbesserung beobachtet werden. Die Patienten der Interventionsgrup-
pe (IGdepr) zeigten auch noch sechs Monate nach der Maßnahme eine bedeutsam
gesteigerte psychische Lebensqualität (ES=.78), eine reduzierte schmerzbedingte
Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz
223
Hilflosigkeit und Depression (ES=.53) sowie verminderte schmerzbedingte Angst
(ES=.56). Diese Effekte waren jedoch nicht langfristig stabil.
Allerdings sollten die bei allen Patienten lediglich kurzfristigen Rehabilitationseffek-
te auf körperlicher Ebene über Nachsorgemaßnahmen stabilisiert werden. Zudem
ist zu erwarten, dass die günstigen Rehabilitationseffekte des neuen Depressions-
bewältigungstrainings auf die psychische Lebensqualität und die schmerzbezogene
psychische Beeinträchtigung durch Nachsorgemaßnahmen ausgebaut werden könn-
ten.
1.7 Literatur
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Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz
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Implementation von Patientenschulung
225
2 Evaluation der modellhaften Einführung von Patientenschulungsprogrammen für die pneumologische Rehabilitation
2.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Dr. Inge Ehlebracht-König, Rehazentrum Bad Eilsen
Priv. Doz. Dr. Christian Krauth, Medizinische Hochschule Hannover
Mitarbeiterinnen
Dr. Ulrike de Vries
Dr. Iris Brandes
Kooperationspartner
Teutoburger-Wald-Klinik, Bad Rothenfelde
Nordseeklinik Borkum, Borkum
Klinik Norddeich, Norden-Norddeich
Zeitraum
01.02.2005 - 31.07.2007
Finanzierung
BMBF
2.2 Zusammenfassung
Patientenschulung bei Asthma bronchiale stellt einen wichtigen Therapiebaustein
im Rahmen stationärer pneumologischer Rehabilitation dar. Der flächendeckende
Einsatz in pneumologischen Rehabilitationskliniken gilt bislang als unbefriedigend.
Der Prozess der Einführung eines evaluierten Asthma-Schulungsprogramms in Reha-
Kliniken wird analysiert. Untersucht wurde der Implementierungsprozess sowie die
routinemäßige Durchführung des Programms hinsichtlich des zeitlichen und sonsti-
gen Aufwandes sowie möglicher Schwierigkeiten und Hindernisse in drei Kliniken.
Implementation von Patientenschulung
226
Aus gesundheitsökonomischer Sicht wurden die wahrgenommenen strukturellen,
organisatorischen und externen Rahmenbedingungen sowie die daraus entstande-
nen Hemmnisse und Hürden bei der Implementierung in ihren Auswirkungen auf
die Kosten analysiert. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Patienten mit der Imp-
lementierung wurde ebenfalls berücksichtigt, auch wenn diese nicht monetär be-
wertet wurde.
Die Erfassung des Implementierungsprozesses erfolgte mittels qualitativer Metho-
den wie strukturierter Interviews und Dokumentationsbögen. Die gesundheitsöko-
nomische Evaluation bezog sich auf die Kosten aus dem Zeitaufwand. Die Einfüh-
rung des Schulungsprogramms wurde in den beteiligten Kliniken vorwiegend durch
eine nicht ausreichende Personaldecke (zu wenig Ärzte, Psychologen zur Bildung
eines Schulungsteams) und Anlaufschwierigkeiten in der Therapieplangestaltung,
z.B. Umplanung freier Zeitschienen für die Schulung, erschwert. Die Akzeptanz bei
den Mitarbeitern und Patienten kann jedoch mit gut bis sehr gut bewertet werden.
Insgesamt verursachte das Schulungsprogramm Kosten in Höhe von 97 € pro Pati-
ent, wobei die Kosten der Probephase mit 60 € höher ausfielen als die der Routine-
phase (37 € pro Patient).
2.3 Stand der Forschung
Patientenschulungen sind zentrale Elemente der medizinischen Rehabilitation. Ziel
dieser Maßnahmen ist es, den Patienten darin zu unterstützen, mit den täglichen
Anforderungen seiner Erkrankung umgehen zu lernen. Durch gezielte Förderung des
Krankheitsverständnisses, des Selbstmanagements und des Empowerments soll
Patientenschulung langfristig die Lebensqualität der Patienten erhalten oder ver-
bessern und den Therapieerfolg sichern. Unter Patientenschulung wird nach mo-
derner Definition eine Maßnahme verstanden, „die Patienten darin unterstützen
soll, ihr Verhalten so zu verändern, dass Einschränkungen minimiert oder besser
bewältigbar werden“ (Faller et al., 2005, S. 278; Übersicht zur Definition von Patien-
tenschulung anhand von Zielen, Methoden und Komponenten vgl. Deutsche Ren-
tenversicherung Bund [DRV Bund], 2007; Faller et al., 2005; Petermann, 1997;
Ströbl et al., 2007). Auf Basis der wachsenden empirischen Evidenz zur Effektivität
von Asthmaschulungen wurden mittlerweile standardisierte Programme sowie
Empfehlungen zur Qualitätssicherung der Schulungsangebote in der stationären
medizinischen Rehabilitation entwickelt.
Nach Empfehlungen führender Fachgesellschaften und Konsensusgruppen kann
Patientenschulung nur dann effizient realisiert werden, wenn sie sich auf standardi-
sierte und wissenschaftlich geprüfte Programme stützt (Mühlig, 2001), wobei die
Standardisierung eine dauerhafte Qualitätssicherung gewährleistet. Das Vorliegen
eines standardisierten Curriculums/Manuals als Grundlage für die Patientenschu-
Implementation von Patientenschulung
227
lung hat folgende Vorteile:
• es kann sichergestellt werden, dass das Programm in systematischer Weise
vermittelt wird (z.B. Material, Methodik, Didaktik),
• von den Schulenden in homogener Weise umgesetzt wird und damit repro-
duzierbar ist,
• mit zumutbarem Aufwand in anderen Kliniken implementiert werden kann
(Praktikabilität und Anwendungsökonomie),
• klinikintern auf seine Qualität überprüft und klinikübergreifend wissen-
schaftlich evaluiert werden kann (Überprüfbarkeit)
Der Aufbau und die Inhalte des Schulungsprogramms sollten folgenden Mindestan-
forderungen genügen:
• curricularer Aufbau
• Vorliegen von Manual und Arbeitsmaterialien
• interdisziplinär/multiprofessionell
• Einbezug mehrerer Ebenen (Kognition, Emotion, Motivation, Verhalten)
• unterschiedliche Vermittlungsmethoden: u.a. frontale und aktivierende Me-
thoden
• aktivierende Methoden in jeder Einheit
• Elemente, die den Alltagstransfer fördern
Darüber hinaus kommt dem Manual im Rahmen der Qualitätssicherung eine zentra-
le Rolle zu. Qualitätssicherung bezeichnet das Bemühen, die Versorgungsrealität im
Hinblick auf definierte Qualitätsanforderungen zu verbessern. Die Qualitätsanforde-
rungen können aus dem Manual abgeleitet werden, deren Einhaltung auch im Rou-
tinebetrieb überprüft werden sollte. Zu Qualität und Qualitätssicherung in der Pati-
entenschulung siehe Vogel (2007) und BfA (2005). Letztlich fordern die Kostenträger
zunehmend die Durchführung standardisierter Schulungen, die u.a. durch ein Ma-
nual hinterlegt sein müssen (DRV Bund, 2007).
In der Praxis sind jedoch sind strukturelle Versorgungsdefizite im Bereich Patienten-
schulung festzustellen (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesund-
heitswesen, 2000/2001). Nach einer Untersuchung von Petro (1997) wurden in we-
niger als 20% der befragten pneumologischen Einrichtungen evaluierte Schulungs-
programme eingesetzt, während die überwiegende Mehrheit der Schuler Materia-
lien der Pharmaindustrie oder selbst entwickelte Schulungen benutzte, deren Effek-
tivität wissenschaftlich nicht belegt ist. 90,8% der befragten Klinken gaben in einer
Studie von Mühlig et al. (2002) an, sich bezüglich der Schulungsdurchführung an
Expertenempfehlungen zu orientieren, bei genauerer Betrachtung bestanden je-
doch deutliche Defizite bei der Umsetzung dieser Qualitätsstandards. Evaluierte
Schulungsprogramme wurden in 50% der befragten Kliniken eingesetzt, während
die andere Hälfte der Einrichtungen wissenschaftlich nicht geprüfte Schulungen
durchführte (insbesondere Eigenentwicklungen); lediglich in 19% der Fälle wurden
Implementation von Patientenschulung
228
Schulungen entsprechend der jeweiligen Programminstruktionen praktiziert
(Treatment-Integrität).
2.4 Ziele
Vor dem Hintergrund der notwendigen flächendeckenden Umsetzung strukturierter
und in ihrer Effektivität geprüfter Patientenschulungsmaßnahmen in Rehabilitati-
onskliniken hatte das vorliegende Projekt das Ziel, den Prozess der Einführung eines
evaluierten Asthma-Schulungsprogramms in Reha-Kliniken exemplarisch zu doku-
mentieren. Dazu sollten drei pneumologischen Rehabilitationskliniken ausgewählt
werden, in denen Asthma-Patientenschulung bislang nicht oder anhand nicht-
evaluierter, selbstentwickelter Schulungsmaterialien durchgeführt wurde. Anhand
von Strukturanalysen vor und am Ende der Implementierung wurden die Bedingun-
gen ermittelt, die für eine Einführung des Schulungsprogramms maßgebend sind.
Hierunter fallen das bisherige psychoedukative Angebot der Klinik, die personelle
Ausstattung und organisatorische Abläufe. Mit Unterstützung eines Leitfadens zur
Implementierung des Schulungsprogramms sollten die Schulungsdurchläufe reali-
siert werden. Dieser Prozess wurde kontinuierlich begleitet und der durch die Imp-
lementierung verursachte Aufwand mittels strukturierter Interviews dokumentiert.
Als Ergebnis wird eine Dokumentation des Prozesses der Implementierung und dar-
aus ableitend Leitfäden für die Einführung von Patientenschulungsprogrammen in
Kliniken bereitgestellt. Langfristig wird erwartet, dass durch die Ergebnisse die Ein-
führung standardisierter Schulungsprogramme in der stationären Versorgung von
Asthmapatienten begünstigt wird.
2.5 Methodisches Vorgehen
Als Kooperationspartner wurden drei pneumologischen Rehabilitationskliniken ge-
wählt, in denen Asthma-Patientenschulung bislang nicht oder anhand nicht-eva-
luierter, selbstentwickelter Schulungsmaterialien durchgeführt wurde. Anhand von
Strukturanalysen vor und am Ende der Implementierung wurden die Bedingungen
ermittelt, die für eine Einführung des Schulungsprogramms maßgebend sind. Hier-
unter fallen das bisherige psychoedukative Angebot der Klinik, die personelle Aus-
stattung und organisatorische Abläufe. In den Kliniken sollten feste Schulungsteams
gebildet werden, die an einem Trainer-Seminar teilnehmen, um eine möglichst ein-
heitliche Umsetzung der Schulung zu gewährleisten. Mit zusätzlicher Unterstützung
eines Leitfadens zur Implementierung des Schulungsprogramms sollten die Schu-
lungsdurchläufe dann realisiert werden. Dieser Prozess wurde kontinuierlich beglei-
tet und der durch die Implementierung verursachte Aufwand mittels strukturierter
Implementation von Patientenschulung
229
Interviews dokumentiert. Nach Eingang in die Routineversorgung des Schulungs-
programms wurden die an der Schulung teilnehmenden Patienten zur Akzeptanz
und Zufriedenheit mit dem Schulungsprogramm befragt. Die Erfassung des Imple-
mentierungsprozesses erfolgte mittels Fragebögen, strukturierter Interviews und
Dokumentationsbögen. Die Erhebungen fanden im Anschluss an eine dreimonatige
Probephase und nach Abschluss einer 12-monatigen Routinephase statt.
Die konzeptuelle Grundlage der zu implementierenden Asthmaschulung (Training
für Erwachsene mit Asthma bronchiale - TEA) bildet das in Deutschland breit etab-
lierte stationäre Schulungsprogramm Bad Reichenhaller Modell (Schultz,
Schwiersch, Petro, Mühlig & Petermann, 2000). Die zu vermittelnden Inhalte des
zwischenzeitlich bereits mehrfach modifizierten und evaluierten Schulungspro-
gramms (de Vries, 2004; de Vries, Mühlig, Bergmann, Petermann, 2005; Mellert et
al., 2003) entsprechen den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumo-
logie und der Deutschen Atemwegsliga. Mit einem Stundenumfang von 4 x 90 Mi-
nuten (in einer Klinik modifiziert auf 6 x 60 min.) bei einer Gruppengröße von zehn
bis 15 Personen werden die zu vermittelnden Schulungsinhalte mit Hilfe von Over-
headfolien und Demonstrationsmaterial im erarbeitenden Gespräch mit den Patien-
ten unter Einbeziehung von Verhaltensübungen vermittelt (Tab. 1).
Tabelle 1: Inhalte des Schulungsprogramms TEA (jeweils 4 x 90 bzw. 6 x 60 min.).
Modul Themen
1 Einleitung, Stundenplan; warum Patientenschulung; Grundlagen Anato-
mie der Atmungsorgane, Krankheitslehre: Asthma bronchiale
2 Medikamente: Wirkstoffgruppen, Wirkungsweise, Einnahmeformen
3 Selbstkontrolle und Selbstmanagement: Peak-Flow-Meter, Asthmatage-
buch, Ampelschema, Infekte, Atemnotanfall,
4 Inhalative Medikamente: Applikationssysteme, nicht-medikamentöse
Maßnahmen, Leben mit der Erkrankung
Um ein standardisiertes und klinikübergreifend einheitliches Vorgehen während der
Schulungsdurchführung zu erreichen, wurden pro Klinik aus den schulenden Mitar-
beitern Schulungsteams gebildet (mindestens ein vollständiges Team, idealerweise
zur Vertretung bei Krankheit/Urlaub ein zweites Team, jeweils mindestens ein Arzt
und ein Psychologe).
2.6 Ergebnisse
Nach Festlegung der drei zu beteiligenden Kliniken fanden im Frühjahr 2005 Ar-
beitstreffen mit den Vertretern der drei Projektbereiche (Pneumologie, Rheumato-
logie und Gesundheitsökonomie) statt. Hierbei wurde das inhaltliche und strukturel-
Implementation von Patientenschulung
230
le Vorgehen geplant und Arbeitsroutinen entwickelt (z.B. Planung der Klinikbesuche,
Erhebung der Strukturanalyse). Nach den ersten Gesprächen mit den Kliniken
zeichnete sich ein grundlegender Unterschied zwischen den pneumologischen und
den rheumatologischen Kliniken ab, der sich im Verlauf der Projektdurchführung als
bedeutsam herausstellen sollte: Alle pneumologischen Kliniken verfügten über Er-
fahrungen mit (wie auch immer gestalteten) Asthmaschulungen. Häufig gab es in
den Kliniken Mitarbeiter, die bereits Asthmaschulungen in anderen Kliniken durch-
führten. Grundsätzlich konnte jedoch, aufgrund der vorgefundenen Heterogenität
der Schulungsqualität, davon ausgegangen werden, dass das zu implementierende
Schulungsprogramm für alle Kliniken eine strukturell wie inhaltliche Verbesserung
ihrer Schulungstätigkeit darstellen würde.
Parallel zu den Informationsveranstaltungen in den Kliniken wurde eine Erhebung
des Ist-Zustandes durchgeführt (Strukturanalyse), in der folgende Parameter erfragt
wurden:
• Personal: In welcher Anzahl sind die für die Durchführung der Schulung zu
beteiligenden Berufsgruppen vorhanden?
• Personal: Welche Vorerfahrungen mit Schulungsprogrammen bzw. geschlos-
senen Gruppen haben die Mitarbeiter? Sind Trainerqualifikationen erwor-
ben worden?
• Behandlungsangebote: Welche psychoedukativen Behandlungsangebote
(z.B. Vorträge, Informationsveranstaltungen, nicht standardisierte Schulun-
gen, Einzelgespräche) werden bereits routinemäßig vorgehalten?
• Patientenstruktur: Wie viele Patienten mit der Diagnose Asthma werden im
Durchschnitt aufgenommen? Wie ist der Anreiserhythmus und welche Mög-
lichkeiten der blockweisen Einbestellung sind gegeben?
• Räume und Ausstattung: Sind geeignete Räumlichkeiten und eine angemes-
sene technische Ausstattung für die Durchführung von Schulungen vorhan-
den?
• Terminierung: Besteht die Möglichkeit, die Schulungsprogramme in die be-
stehende Therapieplanung zu integrieren?
• Zeitaufwand: Wie groß ist der Zeitaufwand für die Erstellung und Verände-
rung der Personal-, Raum- und Therapiepläne?
In die Erhebung der Daten zur Strukturanalyse wurden auch die Mitarbeiter der
Verwaltung einbezogen. Die Strukturanalyse in den Kliniken ergab ein heterogenes
Bild hinsichtlich personeller, organisatorischer und struktureller Faktoren. Es wur-
den folgende fünf Problembereiche ermittelt:
Raum- und Zeitplanung. Probleme mit der Bereitstellung freier Zeitschienen,
Schwierigkeiten mit Raumplanung (Bereitstellung geeigneter Seminarräume). Anzahl (zugewiesener) Patienten. Es reisen zu wenige Patienten an, um ein konti-
nuierliches aber indikationsspezifisches Gruppenangebot realisieren zu können.
Implementation von Patientenschulung
231
Interne Absprachen / Teambesprechungen. Bislang finden zwar Mitarbeiterbespre-
chungen statt, schulungsspezifische Besprechungen jedoch nicht.
Realisierung indikationsbezogener Schulung. Die getrennte Asthma- und COPD-
Schulung ist problematisch, da für die COPD-Patienten kein Extra-Schulungsangebot
vorhanden ist.
Nicht ausreichende Personaldecke. Insbesondere fehlen Psychologen aufgrund von
Kündigungen und ausbleibender Neubesetzung der Stellen.
Modifizierung des Schulungsprogramms. Um die Treatment-Integrität des neuen
Schulungsprogramms nicht zu gefährden, wurde angestrebt, dass sämtliche durch
das Curriculum festgelegte Schulungsinhalte wie vorgegeben vermittelt werden
sollten. Von dieser Absicht musste jedoch nach Durchführung der krankheitsspezifi-
schen Train-the-Trainer-Seminare abgewichen werden. Sofern Änderungen am
Schulungsprogramm eher struktureller Art waren, wurden sie weitgehend realisiert
(hier: Änderung von 4 x 90min. auf 6 x 60min.). Bei inhaltlichen Änderungen des
Schulungsprogramms galt es, mit den Schulern eine weitgehende Abstimmung zu
vereinbaren. Ein völliges „Verbot“ jeglicher Änderungen war nicht einzuhalten und
hätte u.U. zur völligen Ablehnung des Programms geführt.
Die vorgeschlagenen Änderungen des Schulungsprogramms umfassten:
• die Aufteilung der Schulungsfolien unter Beibehaltung der Inhalte: statt 4
x 90 werden 6 x 60 Minuten geschult,
• einige Termini: Statt „Termin“ wird „Stunde“ bevorzugt, der Begriff
„Controller“ (für das Kortison) wird durch „Schützer“ ersetzt (Passung
mit dem Sprachgebrauch der Klinik),
• zusätzliche Inhalte: zum Bereich Sport soll eine neue Folie eingeführt
werden (Beschreibung Trainingspuls) sowie
• den Austausch von Folien zur Pathophysiologie (ca. 8 Folien) durch eige-
ne Materialien.
Evaluation der Routinephase. Zum Ende der Routinephase, in der sichergestellt
werden konnte, dass die Schulung regelmäßig mit ausreichender Gruppengröße
durchgeführt wurde, wurde eine schriftliche Befragung der Patienten zur Akzeptanz
des Seminars sowie eine Befragung der Fachtrainer durchgeführt, um mögliche Bar-
rieren und Vorbehalte gegenüber dem Schulungsangebot identifizieren zu können.
Neben einigen wenigen soziodemographischen und medizinischen Daten (Arztfra-
gebogen) wurden die Bewertung der einzelnen Seminarmodule sowie die Gesamt-
bewertung der Schulung bei den Schulungsteilnehmern erhoben. Die Akzeptanzbe-
fragung umfasste insgesamt 85 Patienten aus den drei Kliniken. Zusätzlich zu den
medizinischen Daten wurden weitere schulungsrelevante Aspekte von den behan-
delnden Ärzten erfragt. Die Motivation zur Teilnahme an der Schulung („Wie sehr ist
der Patient Ihrer Meinung nach zur Patientenschulung motiviert?“) konnte auf einer
Skala von 1 (gar nicht) bis 5 (außerordentlich) beurteilt werden. 5,9% der Patienten
wurden demnach als kaum, 3,5% als außerordentlich motiviert klassifiziert. Der
Implementation von Patientenschulung
232
größte Teil der Patienten war mittelmäßig (48,2%) bis ziemlich (41,2%) motiviert.
Eine ablehnende Haltung gegenüber der Teilnahme an der Schulung wurde für
92,9% der Patienten verneint. Die Patienten wurden anschließend über ihre Einstel-
lung gegenüber der bevorstehenden Schulungsteilnahme befragt bzw. darüber, in
welchem Ausmaß sie vorinformiert wurden. Die Vorbereitung auf die Schulung ist
als sehr wichtig einzustufen, da viele Patienten wenige bis keine Erfahrungen mit
Gruppenschulungen haben und u. U. mit falschen Erwartungen oder Vorbehalten /
Ängsten in die Schulung gehen. Diese Situation kann einen Schulungserfolg beein-
trächtigen. Mehr als die Hälfte der Patienten gab an, dass noch mehr Information
über die Schulung notwendig gewesen wäre. Die Patienten in den drei Kliniken
wurden im Rahmen des Anamnese- bzw. Aufnahmegesprächs über die Schulung
informiert. Fraglich ist, ob die häufig sehr geringe Zeit, die dafür zur Verfügung
steht, ausreicht, um den Patienten angemessen auf die Schulung vorzubereiten.
Daher ist in jedem Fall die Möglichkeit eines spezifischen Vorgespräches, wie in un-
serem Schulungsmodell empfohlen, in Erwägung zu ziehen.
Akzeptanzbefragung der Trainer. Bis zum Ende der Routinephase konnte Klinik A
insgesamt neun, Klinik B und C jeweils sieben Schulungszyklen vollständig durchfüh-
ren. Geschult wurden insgesamt 191 Patienten (Klinik A 75, B 71 und C 48). Die
durchschnittliche Teilnehmerzahl pro Schulung betrug in Klinik A 8, in Klinik B 10
und in Klinik C 8 Patienten. Die minimale und maximale Teilnehmerzahl umfasste in
Klinik A 5 bis 11, in Klinik B 9 bis 12 und in Klinik C 2 bis 10 Patienten. Die Fachtrai-
ner wurden zum Ende des jeweiligen Schulungsmoduls um eine Beurteilung der
Stunde gebeten. Dabei wurden Angaben zu folgenden Aspekten gemacht:
Einhaltung der Modullänge: In Klinik A, in der die Modullänge auf 60 Minuten fest-
gelegt wurde, (in Klinik B und C auf 90 Min.), konnte dies in 72% der Kursstunden
eingehalten werden. 26% der Kurse dauerten weniger als 60, 2% mehr als 90 Minu-
ten. In Klinik B dauerten 4% weniger als 60 Min., 21% genau 60 Min., 11% länger als
90 Min. In 64% der Stunden dauerte das Modul wie vorgesehen 90 Minuten. In Kli-
nik C war die Modulzeit auffällig kurz. Statt der vorgesehenen 90 Minuten wurden
92% der Kurse in weniger (meist 45) Minuten abgehalten. Entsprechend gaben die
Trainer dieser Klinik an, dass die Zeit für die Vermittlung der Inhalte pro Modul nicht
ausreicht. Die Patienten dieser Klinik zeigten sich mehrheitlich unzufrieden mit dem
Zeitbudget, das zur Verfügung stand („Schuler wirkt gehetzt“, „es war zu wenig Zeit“
etc.).
Die Gründe für eine vorzeitige Beendigung der Stunde waren vorwiegend organisa-
torische, etwa dass Patienten früher zu einem nächsten Termin aufbrechen muss-
ten. Für die systematische Unterschreitung der Modulzeit in Klinik C wurden, wie
auch in der abschließenden Strukturanalyse deutlich wurde, als Begründung noch
bestehende Probleme mit der Therapieplanung angegeben. Insgesamt konnten 60%
der Schulungsstunden ohne organisatorische Probleme abgehalten werden. In den
Fällen mit Problemen betraf dies größtenteils Raumprobleme, das heißt der ge-
Implementation von Patientenschulung
233
buchte Seminarraum war wider Erwarten nicht frei. Alle Trainer konnten in dieser
Situation auf einen anderen Raum ausweichen, wobei es zwar kurze zeitliche Verzö-
gerungen der Schulung gab, die Schulung jedoch nicht ausfallen musste. In fünf Kur-
sen standen die benötigten Medien (Overheadprojektor) nicht zur Verfügung bzw.
waren defekt. In mehreren Fällen ist der zuständige Trainer durch Krankheit ausge-
fallen. Hierfür konnten die Kliniken jedoch in jedem Fall eine Vertretungsregelung
finden. In 19 Kursstunden kamen Patienten zu spät oder gingen vorzeitig.
Die Trainer beurteilten die Seminarstunden wie folgt: Insgesamt wurde jede Gruppe
als besonders aufgeschlossen und interessiert beurteilt. Nur vereinzelt gab es Grup-
penkonstellationen, in denen einige Teilnehmer extrem still (nicht uninteressiert)
oder sehr dominant waren. Beide Situationen wurden von den Trainern nicht als
nachteilig für die Gruppenarbeit bewertet. Es gelang relativ gut, sich auf diese Pati-
enten einzustellen und sie jeweils angemessen in den Gruppenprozess einzubinden.
Bei der Lösung insbesondere von schwierigen Problemen mit der Teilnehmergruppe
konnten die Trainer auf die Inhalte des Trainer-Seminares zurückgreifen. Die meis-
ten Trainer gaben an, dass das Trainer-Seminar ihnen sehr geholfen habe, auch mit
„schwierigen“ Patienten bzw. Gruppenkonstellationen umgehen zu können. Die
Trainer zeigten sich insgesamt überwiegend zufrieden mit der Information, die sie
vor der Schulung über die Patienten erhielten. Die Trainer konnten sich in den
Teambesprechungen vor der Schulung bereits über die Patienten informieren. In
13% der Fälle war diese Information für die Trainer offenbar jedoch nicht ausrei-
chend.
Akzeptanzbefragung der Patienten: Modulebene. Die Schulungsteilnehmer wurden
zum Ende jeder Sitzung und nach Abschluss der gesamten Schulung schriftlich um
eine Beurteilung des Seminars gebeten. Auf einer Skala von 1 (=beste Bewertung)
bis 6 (=schlechteste Bewertung) gaben die Patienten für jedes Modul ihre Bewer-
tung bzgl. der Wichtigkeit des behandelten Themas, der Verständlichkeit der Dar-
stellung, der Nützlichkeit für die eigene Situation, des Gruppengefühls und der Vor-
informiertheit ab.
Die Wichtigkeit aller Module wurde insgesamt als sehr hoch eingeschätzt. Insbe-
sondere das Modul 6 (Nicht-medikamentöse Maßnahmen, Leben mit der Erkran-
kung) erscheint den Teilnehmern als sehr wichtig. Die Schulungsthemen und die
Darstellung waren für den größten Teil der Patienten verständlich. Insgesamt be-
werteten die Teilnehmer die Nützlichkeit des behandelten Schulungsthemas als
hilfreich für ihre persönliche Situation. Besonders profitierten die Patienten auch
hier von Modul 6. Die Teilnehmer fühlten sich offenbar in der Gruppe sehr wohl.
Das Gruppengefühl verbesserte sich sogar mit zunehmender Schulungsdauer. In
den Fällen, in denen weniger Wohlbefinden dokumentiert wurde, haben die betref-
fenden Patienten dies in der abschließenden Bewertung begründet (persönliche
Probleme in Gruppen, soziale Ängstlichkeit). Obwohl die meisten Teilnehmer die
Schulungsthemen als wichtig und nützlich für ihre eigene Situation bewerteten,
Implementation von Patientenschulung
234
wurden die Informationen nicht als völlig neu bewertet.
Die Teilnehmer wurden weiterhin nach jedem Modul gefragt, welche Aspekte an
der Schulung besonders gefallen oder nicht gefallen hatten. Besonders positiv be-
wertet wurden: die Präsentation der Inhalte, z.B. „Alles sehr gut verständlich er-
klärt, keine Fremdworte, kein Arztlatein, sehr anschauliche Beispiele aus dem Le-
ben, Dr. X hat alles ruhig und langsam erklärt, die Bilder waren sehr anschaulich,
habe endlich verstanden, was Asthma ist“). Weiterhin wurde die Gruppenatmo-
sphäre (Gruppendynamik) positiv eingeschätzt, z.B. „Gut war die feste Gruppe, wir
konnten uns auch außerhalb der Schulung austauschen, konnte schnell Vertrauen
aufbauen, die anderen Patienten haben mir gute Tipps gegeben, jede einzelne Per-
son durfte seine Probleme erzählen, auf jeden wurde eingegangen, alle haben zu-
gehört“). Ebenso wurde der Informationszuwachs als positiv hervorgehoben, z.B.
„Kortison ist gar nicht so schlimm, wie ich dachte, ich achte jetzt mehr auf mich,
weil ich verstanden habe, wie wichtig das ist, ich habe sehr viel Neues erfahren, das
praktische Üben hat mir viel gebracht, so hat mir das noch keiner erklärt“).
Die Teilnehmer, die sich negativ über die Schulung äußerten, brachten vorwiegend
organisatorische Probleme vor, etwa den Termindruck in Einzelfällen, in denen der
Arzt zu einem Notfall gerufen und früher gehen musste, Sitzgelegenheiten zu unbe-
quem, Raum zu klein, schlecht belüftet, Lichtverhältnisse schlecht (Projektionsfläche
zu hell), die Terminwahl (Schulung direkt vor dem Mittagessen, dadurch Stress).
Akzeptanzbefragung - Teilnehmer: Gesamtbewertung. Die Schulungsteilnehmer
gaben eine Gesamtbewertung des Seminars zum Abschluss. Dabei sollten die räum-
lichen, organisatorischen und inhaltlichen Aspekte bewertet werden. Die Teilneh-
mer waren überwiegend zufrieden mit der Gruppengröße, die in den Kliniken ge-
mäß den Empfehlungen (8-12 Teilnehmer) eingehalten werden konnte (95% „Grup-
pengröße genau richtig“). Die Teilnehmer zeigten sich mit der Auswahl des Schu-
lungsraumes überwiegend zufrieden. Die Länge der einzelnen Kursstunden wurde
größtenteils als „genau richtig“ (84,7%) beurteilt. Darüber hinaus wurden sie eher
als „zu lang“ als „zu kurz“ beschrieben. Die Patienten, die die Sitzungen als zu kurz
beurteilten (6,0%), gaben an, dass sie sich gerne noch mehr Zeit gewünscht hätten,
um Fragen stellen zu können. Auf einer Skala von 1 (sehr verständlich) bis 6 (unver-
ständlich) gaben die Teilnehmer ihre Einschätzung darüber ab, wie verständlich die
erhaltene Information insgesamt aufbereitet war. Für mehr als 90% der Teilnehmer
war die Informationsvermittlung ausreichend verständlich (1: 54,7%, 2: 36,0%, 3:
8%). Diese Beurteilung zeichnete sich bereits nach jedem Modul ab. Besonders her-
vorgehoben wurden die verständliche Sprache der Trainer und das anschauliche
Folienmaterial. Darüber hinaus äußerten die Patienten, dass besonders die Mög-
lichkeit, Fragen zu stellen und der Austausch unter den Patienten, sie unterstützt
hätte.
Die Informationsaufnahme konnte durch ausreichende Fragemöglichkeiten geför-
dert werden. Hier gaben 95,7% der Patienten für sie ausreichende Fragemöglichkei-
Implementation von Patientenschulung
235
ten gehabt zu haben. Besonders positiv wurde insgesamt die Unterstützung und der
Austausch innerhalb der Gruppen beurteilt („Erfahrungsaustausch sehr hilfreich (1)
42,3%, (2) 29,5%, (3) 16,1%). Der größte Teil der Patientenkommentare bezieht sich
auf diesen Aspekt. Die Durchführung der Schulung in einer festen Gruppe hatte bei
den meisten Patienten eine große Bedeutung, da die Gruppe als Referenzpunkt
auch außerhalb der Schulung wahrgenommen wurde. Dabei war der Austausch mit
anderen Patienten in gleicher Situation (etwa gleicher Krankheitsschweregrad, ähn-
liche Medikamente) ebenso gewinnbringend wie das Erleben von Mitpatienten, die
erheblich schwerer erkrankt waren oder eine längere Krankheitsdauer aufwiesen.
Ein Teil der Patienten äußerte hierzu, dass der Austausch mit diesen Mitpatienten
besonders im Hinblick auf den Abbau von Prognoseängsten günstig war. Insgesamt
würde der größte Teil der Teilnehmer die Schulung weiterempfehlen (97,9%). Am
häufigsten wurde in diesem Zusammenhang beklagt, dass das Angebot an Asthma-
schulungen zu „unbekannt“ sei. Einige Patienten äußerten dass „viel mehr“ („alle“)
Patienten mit Asthma eine derartige Schulung erhalten müssten.
Zeitaufwand und Kosten. Der Zeitaufwand für die Implementierung des Schulungs-
programms bzw. für die Probe- und Routinephase (je 3 bzw. 12 Monate) wurde ins-
gesamt sowie aufgeschlüsselt nach den Faktoren: Zeit für Teambesprechungen
(Trainer), Anpassung der Therapieplanung (Verwaltung), Vorbereitung der Kurse
(Materialien bereitstellen, Schulungsraum vorbereiten, Schulungsthemen durchge-
hen) sowie für die externe Beratung/Betreuung der Trainer durch das Projektteam
erhoben (Tab. 2).
Tabelle 2: Durchschnittlicher Zeitaufwand der Probephase (3 Monate) und der Rou-
tinephase (12 Monate).
Probephase (3 Monate) Routinephase (12 Monate)
Gesamt Pro Kurs Pro
Pat. Gesamt Pro
Kurs Pro Pat.
Anzahl Kurse 5,0 20,3
Anzahl Patienten 41 167,3 8,3
Therapieplan 16,0 Std. 192 Min. 23 Min. 55,8 Std. 165
Min.
20
Min.
Absprachen 31,3 Std. 376 Min. 46 Min. 24,4 Std. 72 Min. 9 Min.
Kursvorbereitung 11,5 Std. 138 Min. 17 Min. 24,3 Std. 72 Min. 9 Min.
Schulung 30,0 Std. 360 Min. 44 Min. 122,0 Std. 360
Min.
44
Min.
Betreuung Schuler 0,5 Std. 6 Min. 0,7 Min. - - -
Summe 89,3 Std. 17,9 Std. 2,2 Std. 226,5 Std. 11,1 Std.
1,4 Std.
Implementation von Patientenschulung
236
Die Implementierung des Schulungsprogramms nahm insgesamt durchschnittlich
59,3 Personenstunden in Anspruch. Diese setzten sich zusammen aus 31,3 Stunden
für Besprechungen und Absprachen, 13,0 Stunden für die Anpassung der Therapie-
planung, 11,5 Stunden für die Vorbereitung der Kurse und 0,5 Stunden für die ex-
terne Betreuung der Schuler durch das Projektteam. In der dreimonatigen Probe-
phase wurden im Durchschnitt fünf Schulungszyklen durchgeführt. Hierfür ergab
sich ein Zeitaufwand von insgesamt 30,0 Stunden pro Klinik. Bezogen auf einen Kurs
betrug der Zeitaufwand durchschnittlich 17,9 Personenstunden. In der 12-
monatigen Routinephase wurden durchschnittlich 20,3 Schulungszyklen durchge-
führt. Hier ergab sich ein Zeitaufwand von insgesamt 122 Stunden.
Sachkosten fielen in den Kliniken nicht an, da Folien und weitere Unterlagen für die
Schulungsseminare im Rahmen der Studie zur Verfügung gestellt wurden. Anschaf-
fungen speziell für die Schulung sind nicht getätigt worden. Bei der Berechnung der
Kosten wurde die Nutzung der Räume und Ausstattung im Rahmen der Schulung
über den Gemeinkostenzuschlag in Höhe von 30% angesetzt. Die Ermittlung der
Personalkosten basiert auf dem Ansatz des Bruttomonatsverdienstes nach TVöD
(2007) je Berufsgruppe. Damit ergeben sich im Durchschnitt der drei Kliniken Ge-
samtkosten von 492 € für die Probe- und 307 € für die Routinephase. Nicht mitbe-
rechnet sind die Kosten für die Teilnahme an den Train-the-Trainer-Seminaren. Kos-
teneinsparpotenziale konnten nicht ermittelt werden. Zwar wurden Zeiten für Ein-
zelgespräche im Rahmen psychologischer Betreuung oder Visiten in die Schulungs-
gruppen verlegt, jedoch entstand daraus keine nennenswerte Zeitersparnis. Aller-
dings fand in den beibehaltenen Einzelgesprächen oftmals eine - als sehr angenehm
empfundene - Vertiefung der Inhalte statt, da die Patienten bereits durch die Schu-
lung über mehr Informationen verfügten. Durch die Implementierung der Schulung
konnten bisherige edukative Angebote in den Kliniken (vorwiegend Vorträge) einge-
stellt werden. In den Fällen, in denen diese Angebote gleichermaßen von Patienten
mit anderen Indikationen genutzt wurden (etwa eine gemeinsame „Sprayunterwei-
sung“ für Asthma- und COPD-Patienten), wurden diese Angebote beibehalten. So-
mit hat das Schulungsprogramm das Angebot der Klinik eher ergänzt als ersetzt.
2.7 Literatur
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Brandes, I., Bönisch, A., de Vries, U., Krauth, C., Ehlebracht-König, I. & Petermann, F.
(2007). Evaluation der modellhaften Einführung von Patientenschulungspro-
Implementation von Patientenschulung
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grammen in die pneumologische Rehabilitation. DRV-Schriften, 72, 41-43.
de Vries, U., Brandes, I., Krauth, C. & Petermann, F. (2008). Patientenschulungspro-
gramme in der pneumologischen Rehabilitation: Ergebnisse einer Implementati-
onsstudie. Das Gesundheitswesen, 70, 572-581.
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
239
3 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
3.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterinnen
Dipl. Psych. Meike Holtz
Dr. Meike Lange
Kooperationspartner
Dr. Bernhard Krohn-Grimberghe, Rheumaklinik Bad Wildungen
Zeitraum
01.06.2007 - 30.06.2010
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen
3.2 Zusammenfassung
Das Fibromyalgiesyndrom stellt eine große Herausforderung für die medizinische
Rehabilitation dar. Durch den meist chronischen Verlauf ist die Lebensqualität der
Patienten stark eingeschränkt und das Gesundheitssystem belastet. Um die verhal-
tensmedizinische Betreuung der Patienten zu verbessern, wurde eine Patienten-
schulung entwickelt, die Module zur Schmerz- und Stressbewältigung sowie Verhal-
tensübungen zu einem günstigen Lebensstil beinhaltet. Ziel der Studie war die Prü-
fung der Wirksamkeit der verhaltensmedizinischen Betreuung der Fibromyalgie-
syndrom-Patienten. Es wurde davon ausgegangen, dass die neu entwickelte Patien-
tenschulung der Behandlung vor Optimierung in ihrer Effektivität überlegen ist. Da-
zu wurden die Daten von drei Gruppen (stationäre Patienten vor Optimierung, sta-
tionäre Patienten nach Optimierung und unbehandelte ambulante Patienten) mit-
einander verglichen.
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
240
3.3 Stand der Forschung
Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist durch langanhaltende, wiederkehrende Muskel-
schmerzen gekennzeichnet, die sich häufig zunächst monolokulär entwickeln und
erst im Laufe eines längeren Zeitraums in eine generalisierte Schmerzerkrankung
übergehen. Zusätzlich entstehen unterschiedliche vegetative und funktionelle Be-
gleiterscheinungen wie Schlafstörungen, Depressivität, vermehrte Erschöpfung oder
funktionelle Organbeschwerden. Die Erkrankung betrifft vorwiegend Frauen (Ver-
hältnis 9:1) ab dem 35. Lebensjahr.
Beim FMS lässt sich eine erhöhte Komorbidität mit psychischen Beeinträchtigungen
wie Angst und Depression nachweisen. Je nach Art der Diagnose zeigen 20 bis 80%
der Fibromyalgiesyndrom-Patienten depressive Symptome und 13 bis 63,8% Ängst-
lichkeit (Fietta, Fietta & Manganelli, 2007). Eine komorbide Depression beim Fibro-
myalgiesyndrom geht mit einer erhöhten Belastung der Patienten einher. Insbeson-
dere zeigen depressive Fibromyalgiesyndrom-Patienten ein deutlich schlechteres
körperliches Funktionsniveau (Korszun et al., 2002; Okifuji, Turk & Sherman, 2000).
Zudem wirken sich depressive Symptome negativ auf die kognitive Bewertung von
Symptomen aus und es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Depressions-
ausprägung und dem Grad der Katastrophisierung (Graceley et al., 2004). Zusätzlich
erschwert eine komorbide Depression die Krankheitsbewältigung. So setzten de-
pressive Fibromyalgiesyndrom-Patienten eher passive Copingstrategien ein (z.B.
Einnahme von Schmerzmedikamenten, Herabsetzung des Funktionsniveaus) (Nicas-
sio, Radojevic, Schoenfeld-Schmith & Dwyer, 1995) und sind weniger motiviert an
einer Rehabilitation aktiv teilzunehmen (Lange, Krohn-Grimberghe & Petermann,
2009; Rau, Ehlebracht-König & Petermann, 2008). Der ungünstige Einfluss von De-
pression auf das Fibromyalgiesyndrom spiegelt sich im Rehabilitationsverlauf wider.
Studien belegen, dass die Symptome des Fibromyalgiesyndroms bei einer zusätzli-
chen Depression bedeutsam weniger reduziert werden konnten als bei Patienten
ohne depressive Symptome (Finset, Wigers & Götestam, 2004; Lange et al., 2009).
Zur Behandlung des Fibromyalgiesyndroms existiert lediglich eine symptomorien-
tierte, keine kausale Therapie, die von den Patienten eine besondere Anforderung
abverlangt, eine solche Erkrankung zu bewältigen. In Hinblick auf verhaltensmedizi-
nische Interventionen konnte ein hoher Evidenzgrad belegt werden. Durch eine
verhaltenspsychologisch begründete Patientenschulung werden eine Steigerung der
Selbstwirksamkeitserwartung, Schlafqualität, Lebensqualität sowie eine Reduzie-
rung des Erschöpfungszustandes erreicht (Goldenberg, Burckhardt & Crofford,
2004). Die interdisziplinären Leitlinien empfehlen zur Langzeitbetreuung eine psy-
chosomatische Grundversorgung. Hierbei hat sich eine multimodale Therapie aus
Patientenschulung, Verhaltenstherapie, aerobem Ausdauertraining und ggf. Medi-
kamenteneinnahme sowie eine Therapie der körperlichen und psychischen Komor-
bidität bewährt (Themenheft, 2008). Im Rahmen einer Metaanalyse zur Effektivität
von multimodalen Behandlungen beim Fibromyalgiesyndrom wurden neun rando-
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
241
misierte kontrollierte Studien analysiert. Es zeigte sich eine Verbesserung der
Schlüsselsymptome, somit wurde eine Schmerzreduktion mit einer standardisierten
mittleren Differenz (SMD) von -0,37 erreicht. Depressive Symptome verringerten
sich (SMD -0,67), die Selbstwirksamkeit und die körperliche Fitness verzeichneten
eine Erhöhung (SMD 0,54 bzw. 0,30) (Häuser, Bernardy, Arnold, Offenbächer &
Schiltenwolf, 2009). Mit einer Schulung, die Gruppendiskussionen zu den Themen
Schmerzbewältigung, Stress- und Aktivitätsmanagement umfasste, konnten positive
Effekte im Bereich der Lebensqualität und der Selbstwirksamkeitsüberzeugung er-
reicht werden (Burckhardt, Mannerkopi, Hedenberg & Bjelle, 1994). Ebenso konn-
ten in einer 1-Jahres-Katamnese positive Ergebnisse in Bezug auf die Hoffnungslo-
sigkeit nachgewiesen werden (Oliver, Cronan, Walen & Tomita, 2001). Indessen
zeigten zwei weitere Studien zur Wirksamkeit der Patientenschulung als alleinige
Maßnahme keine positiven Effekte (King, Wessel, Bhambhani, Sholter & Masksy-
mowych, 2002; Soares & Grossi, 2002). Jedoch wurde der Effekt einer Patienten-
schulung als Bestandteil eines multimodalen Therapiekonzeptes in vielen Studien
belegt (Fürst, 2007; Themenheft, 2008).
3.4 Ziele
Ziel des Projektes ist die Optimierung und Standardisierung der verhaltensmedizini-
schen Betreuung und Schulung von Fibromyalgiesyndrom-Patienten. Bislang nah-
men die Patienten an einer psychoedukativen Schulung über vier Sitzungen à 45
Minuten teil. Das Projekt gliederte sich in drei Phasen: Zunächst wurde der aktuelle
Stand der verhaltensmedizinischen Behandlung dokumentiert und anschließend
erfolgte eine Optimierung. In diesem Zusammenhang wurde vor dem Hintergrund
des aktuellen, evidenzbasierten Forschungsstands eine standardisierte Patienten-
schulung entwickelt. Die anschließende Evaluationsphase soll die Wirksamkeit der
neuen verhaltensmedizinischen Intervention belegen. Es sollte bei dieser Studie der
Frage nachgegangen werden, ob eine standardisierte Patientenschulung die Krank-
heitsbewältigung von Fibromyalgiesyndrom-Patienten positiv beeinflussen kann. Es
wurde erwartet, dass der psychische und physische Gesundheitszustand mit den
einhergehenden Beeinträchtigungen der Fibromyalgiesyndrom-Patienten durch die
multimodale Rehabilitation mit integrierter manualisierter Patientenschulung be-
deutsam verbessert werden kann. Dazu wurden die Daten von drei Patientengrup-
pen miteinander verglichen. Kontrollgruppe 1 (KG I): Patienten der stationären Re-
habilitation, die vor der Optimierung an einer Schulung teilnehmen. Kontrollgruppe
2 (KG II): ambulante Fibromyalgiesyndrom-Patienten, die aus Arztpraxen und
Selbsthilfegruppen in und um Bremen sowie Göttingen rekrutiert wurden. Interven-
tionsgruppe (IG): Patienten der stationären Rehabilitation, die nach der Optimie-
rung ihre stationäre Rehabilitation durchführen.
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
242
3.5 Methodisches Vorgehen
Um die Behandlung von Fibromyalgiesyndrom-Patienten zu verbessern, entwickelte
das Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZPKR) der Universität
Bremen in Kooperation mit der Rheumaklinik Bad Wildungen eine Patientenschu-
lung. Diese enthält verhaltenstherapeutische, psychoedukative und trainierende
Anteile. Sie unterscheidet sich von bisherigen Patientenschulungen in ihrer Anwen-
dung von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methoden wie Schmerz- und Stress-
management, kognitiver Umstrukturierung und eines Genusstrainings zur Wahr-
nehmungsumlenkung bei Schmerzzuständen (vgl. Brückle et al., 2005). Die Patien-
tenschulung verfolgt als übergeordnetes Ziel eine Verbesserung des Selbstmanage-
ments im alltäglichen Umgang mit der Erkrankung. Im Einzelnen beinhaltete die
Schulung:
• edukative Elemente zum Krankheitsbild und Behandlungsmöglichkeiten und
Schmerzphysiologie,
• kognitive verhaltenstherapeutische Strategien wie Schmerz- und Stressma-
nagement zur Beeinflussung einer günstigen Krankheitsbewältigung. Ebenso
sollten die Patienten auslösende und aufrechterhaltende Faktoren erken-
nen, die individuell mit einem Schmerztagebuch evaluiert werden sowie
• kognitive Umstrukturierung mittels ABC-Technik nach Beck und Ellis.
Die Schulung ist ein fester Bestandteil der multimodalen stationären Rehabilitation
und wird in geschlossenen Kleingruppen von 10 bis 12 Fibromyalgiesyndrom-
Patienten durchgeführt. Die sechs aufeinander aufbauenden Module umfassen je-
weils 90 Minuten, im Anschluss an jede Sitzung erhalten die Patienten eine kurze
schriftliche Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte.
Die Rekrutierung der Patienten der KG I und der IG erfolgte während einer stationä-
ren medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Zusätzlich wurde eine externe Patien-
tengruppe als KG II über Informationsveranstaltungen zum Thema Fibromyalgie-
syndrom geworben. Die geplante Stichprobengröße aller Gruppen betrug 80 Patien-
ten zum Katamnesezeitpunkt. Die Datenerhebung erfolgt zu drei Messzeitpunkten
(Prä-Post und 6-Monatskatamnese).
Alle Patienten der stationären Rehabilitation (KG I & IG) erhielten eine komplexe
antirheumatische Therapie: medikamentöse Behandlung, Bewegungstherapie (phy-
siotherapeutische Einzel- und Gruppenbehandlung), Entspannungstraining (pro-
gressive Muskelentspannung nach Jacobson in der Gruppe: 5-mal 50 min.) sowie
physikalische Anwendungen (Massage, Wärme- und Kälteanwendungen). Die Pati-
enten der KG I nahmen zusätzlich an einer psychoedukativen Schulung zum Fibro-
myalgiesyndrom teil. Die IG erhielt eine psychologische Schmerzbewältigung in
Form einer Patientenschulung.
Die bisherige Schulung der Fibromyalgiesyndrom-Patienten erfolgte an fünf Termi-
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
243
nen à 45 Minuten, in geschlossenen Gruppen von 3 bis 12 Patienten. Inhaltlich wur-
de zunächst ein Überblick über die Geschichte der Erkrankung und eine Definition
gegeben. Anschließend wurde auf die häufig komorbid auftretende Depression ein-
gegangen. Dabei stand die Abgrenzung der Symptomatik des Fibromyalgiesyndroms
und der Depression sowie eine Vermittlung des Sinn und Zwecks der Verordnung
von Antidepressiva aus schmerztherapeutischer Sicht im Vordergrund. In den fol-
genden Stunden erfolgten Diskussionen zum Symptommuster, Leitsymptome und
funktionale Symptome. Zudem wurden gängige Theorien zur Entstehung des Fibro-
myalgiesyndroms und das Schmerzgedächtnis besprochen. In weiteren Diskussio-
nen wurde der sekundäre Krankheitsgewinn bearbeitet und die Patienten über am-
bulante und stationäre Behandlungsansätze aufgeklärt.
Zur optimierten Patientenschulung wurde der Klinik ein Schulungsmanual beste-
hend aus Schulungsfolien bzw. Powerpoint-Präsentation, Arbeitsblättern, Handouts,
Schmerztagebüchern, Hintergrundinformationen und Hinweisen zur didaktischen
Gestaltung der Schulungssitzungen zur Verfügung gestellt. Die optimierte Patien-
tenschulung setzte sich aus 6 Modulen à 90 Minuten zusammen. Die Schulung wur-
de ebenfalls in geschlossenen Gruppen von fünf bis zwölf Fibromyalgiesyndrom-
Patienten durchgeführt. Zur didaktischen Vermittlung wurden die Inhalte mit Hilfe
einer Präsentation dargestellt. Diese wurden an Alltagsbeispielen vertieft und über
praktische Übungen bearbeitet. In Gesprächen erhielten die Patienten die Möglich-
keit, Rückfragen zu stellen und von ihren persönlichen Erfahrungen zu berichten.
Die wichtigsten Informationen wurden als Handout nach jeder Sitzung zur Verfü-
gung gestellt. Zudem wurden die Patienten angeleitet, ein Schmerztagebuch zu füh-
ren, um auslösende Faktoren der Schmerzen identifizieren zu können. Zu Beginn
stand die Wissensvermittlung zum Krankheitsbild des Fibromyalgiesyndroms im
Vordergrund. Den Patienten wurden Informationen zum Krankheitsbild und Be-
handlungsmöglichkeiten vermittelt. Um Einflussmöglichkeiten auf die Schmerz-
wahrnehmung über körperliche und psychische Ebene zu erklären, wurde der
Schmerzkreis eingeführt. Darauf aufbauend wurde der Zusammenhang von Stress
und Schmerzen genauer betrachtet. Dabei wurde auf die Wechselwirkung der
Stressreaktionen auf den Ebenen Verhalten, körperliche Reaktion, Gefühl und Ge-
danken eingegangen. Im weiteren Verlauf wurde der Zusammenhang zwischen dys-
funktionalen Gedanken und der Schmerzwahrnehmung bearbeitet. Dabei stand die
kognitive Umstrukturierung im Mittelpunkt. Den Abschluss der Patientenschulung
bildete ein Genusstraining zur Wahrnehmungsumlenkung bei Schmerzzuständen.
Dabei wurde zunächst der Unterschied zwischen erholsamen und belastenden Akti-
vitäten besprochen. Anschließend wurde das „Genießen“ unter Anleitung von Ge-
nussregeln (z.B. Nimm dir Zeit zum Genießen!) mit allen Sinnen praktisch erprobt.
Die schriftliche Befragung der Patienten erfolgte zu drei Messzeitpunkten: T1: bei
Reha-Beginn (nach Aufnahme in der Klinik), T2: bei Reha-Ende (vor Abreise aus der
Klinik) sowie T3: postalische Nachbefragung 6 Monate nach Reha-Ende.
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
244
Alle Patienten der Indikationsgruppe Fibromyalgiesyndrom der Rheumaklinik Bad
Wildungen wurden zu Beginn ihrer stationären Behandlung über die Studie aufge-
klärt und konnten auf freiwilliger Basis den Fragebogen ausfüllen. Unabhängig da-
von, ob die Patienten an der Studie teilnahmen oder nicht erhielten die Patienten
die o.g. Maßnahmen. Alle rekrutierten Patienten der Studie, bei denen zu T1 und T2
Fragebögen vorlagen, wurden in die postalische Nachbefragung einbezogen. Die
Fragebögen, inklusive frankiertem Rückumschlag, wurden mit einem persönlichen
Anschreiben ca. 5 bis 7 Tage vor dem Stichtag über die Klinik verschickt. Um die
Rücklaufquote zu erhöhen, konnten die Teilnehmer durch die Rücksendung des
ausgefüllten T3-Fragebogens eine Zusammenfassung der Studienergebnisse anfor-
dern.
Die Patienten der KG II wurden während einer Informationsveranstaltung rekrutiert.
Einige Tage nach der Veranstaltung wurde den Patienten postalisch der erste Fra-
gebogen mit einem frankierten Rückumschlag und persönlichem Anschreiben zuge-
sandt. Um sicherzustellen, dass die Patienten der KG II an dem Fibromyalgie-
syndrom erkrankt waren, wurden sie gebeten, eine Bescheinigung ihres Arztes über
ihre Diagnose dem Fragebogen beizufügen. Ein entsprechender Vordruck wurde
den Patienten zugeschickt. Alternativ wurden auch ärztliche Gutachten aus denen
eindeutig die Diagnose Fibromyalgiesyndrom hervorging, für den entsprechenden
Patienten angenommen. Ging der Fragebogen bzw. die Bescheinigung nicht inner-
halb von drei Wochen nach Versand ein, wurden die Patienten telefonisch kontak-
tiert, um sie zur weiteren Teilnahme an der Studie zu motivieren.
Erhebungsinstrumente. Neben soziodemographischen Daten wurden die Schlüssel-
symptome des Fibromyalgiesyndrom wie Schmerzen, Ängstlichkeit und Depressivi-
tät erfasst. Zudem interessierten die körperliche Funktionsfähigkeit und erlebte
Beeinträchtigungen. Da die Motivation und die Schmerzverarbeitung für den lang-
fristigen Reha-Erfolg entscheidend sind, gingen diese Parameter ebenfalls in die
Datenerhebung ein.
Zur Erfassung dieses Merkmalsbereichs wurde auf einzelne Fragen aus dem Deut-
schen Schmerzfragebogen (DSF) der Deutschen Gesellschaft zum Studium des
Schmerzes (DGSS) (Nagel, Gerbershagen, Lindena & Pfingsten, 2002) zurückgegrif-
fen. Die Patienten sollten ihre durchschnittliche, größte, geringste und momentane
Schmerzstärke auf einer elfstufigen Skala der letzten vier Wochen angeben. Zudem
wurde die erträglichste Schmerzstärke abgefragt. Der Pain Disability Index (PDI;
Dillmann, Nilges, Saile & Gerbershagen, 1994) misst die subjektiv erlebte Beein-
trächtigung durch Schmerzen in sieben Bereichen der Alltagsaktivitäten. Der ASES-D
geht auf ein Instrument zurück, das im Original von Lorig et al. (1989) zur Erfassung
der Selbstwirksamkeit bei Patienten mit Arthritis entwickelt wurde. In dieser Origi-
nalversion besteht das Instrument aus drei Subskalen: „Selbstwirksamkeit
Schmerz“, „Selbstwirksamkeit Funktion“, „Selbstwirksamkeit andere Symptome“.
Die motivationale Bereitschaft wurde mit dem Freiburger Fragebogen – Stadien der
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
245
Bewältigung chronischer Schmerzen (FF-STABS; Maurischat, Härter & Bengel, 2006)
erhoben. Der Fragebogen zur Erfassung der Schmerzverarbeitung (FESV; Geissner,
1990) wurde eingesetzt um das gesamte Schmerzgeschehen, die Form der
Schmerzbewältigung und die schmerzbedingten psychischen Belastungen zu erfas-
sen. Der Fragebogen umfasst 9 Subskalen. Zur Untersuchung der Schmerzangst
wurden zwei Skalen der Pain Anxiety Symptom Scale (PASS-D; Quint, 2007) ausge-
wählt: die „schmerzbezogene Angst auf der kognitiven Ebene“ und „Vermeidungs-
verhalten“. Diese umfassen 13 Items mit einer siebenstufigen Antwortskalierung.
Die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D; Hermann-Lingen, Buss &
Snaith, 2005) wurde unter anderem zur Erfassung von psychischen Beeinträchti-
gungen bei Patienten mit funktionell bedingten körperlichen Beschwerden entwi-
ckelt. Mit der Kurzform des IRES-Patientenfragebogens (IRES-24; Wirtz et al., 2005)
kann die Indikation des Rehabilitationsstatus erhoben werden. Zur Beurteilung des
Wissensstands über das Fibromyalgiesyndrom wurden den Patienten sieben Aussa-
gen über Ursachen, Begleitsymptome und Behandlung präsentiert, die sie mit „rich-
tig“ oder „falsch“ beurteilen sollten. Zum Ende der Rehabilitation wurden den Pati-
enten Fragen zur Beurteilung der Patientenschulung vorgelegt.
3.6 Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung. Eine detaillierte Beschreibung kann Tabelle 1 entnom-
men werden.
Schmerzdaten. In den schmerzbezogenen Kennwerten zeigen sich zum ersten
Messzeitpunkt zwischen den Gruppen bedeutsame Unterschiede. Dabei differieren
die Ausprägungen signifikant zu den Ausprägungen jeder Gruppe. Die „durchschnitt-
liche Schmerzstärke“ ist bei der KG I am geringsten ausgeprägt, gefolgt von der KG
II. Die Patienten der IG geben bei der größten Schmerzstärke die stärkste Ausprä-
gung an. Bei der Frage nach ihren geringsten Schmerzen geben diese Patienten die
geringste Ausprägung an. Folglich variieren die Schmerzen der IG am deutlichsten. Auf der Skala „momentane Schmerzstärke“ und „erträglichsten Schmerzstärke“
konnten keine Unterschiede zwischen den Gruppen ausgemacht werden. Die Pati-
enten der KG II gaben die längste bestehende Schmerzdauer (18,55 Jahre) an. Die
Werte der KG I und IG unterschieden sich nicht bedeutsam von einander (KG
I=11,18 Jahre; IG=9,88 Jahre). Auch in der Schmerzhäufigkeit zeigte sich kein be-
deutsamer Unterschied zwischen den Gruppen. Die Motivationslage der KG II und
IG unterschieden sich zum ersten Messzeitpunkt.
In der Schmerzverarbeitung gab die KG II höhere Mittelwerte auf den Skalen „Kog-
nitive Umstrukturierung“, „Kompetenzerleben“ und „Ruhe- und Entspannungstech-
niken“ an als die Patienten der IG. Die schmerzbezogenen Ausgangswerte der drei
Stichproben unterscheiden sich hinsichtlich ihrer durchschnittlichen, größten, ge-
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
246
ringsten Schmerzstärke sowie in ihrer Schmerzdauer. Die IG zeigt zum Zeitpunkt des
Reha-Beginns die größte durchschnittliche Schmerzstärke auf. Auffallend ist, dass
die KG II die längste Schmerzdauer von mehr als 18 Jahren aufweist, allerdings sind
diese Patienten bedeutsam älter als die Patienten der KG I und der IG. Dementspre-
chend zeigten sich in der KG II auch mehr verwitwete Patienten und mehr die eine
Altersrente bezogen, weniger Patienten waren erwerbstätig.
Tabelle 1: Stichprobenbeschreibung.
Gesamt n= 414
KG I n=160
KG II n=59
IG n=195
T/Chi
Geschlecht weiblich % 93.5 % 94.4% 94.9 % 92.3 % 4.57
Alter M
(SD)
51.44
(7.94)
49.74
(7.20)
57.89
(9.48)
50.9
(7.15) 21.07**
ledig 9.4 % 10 % 6.8 % 9.7 %
verheiratet 63.8 % 57.5% 67.8 % 67.7 %
geschieden/-
getrennt lebend
22.2 % 29.4 % 15.3 % 18.5 % Familien-stand
verwitwet 3.4 % 1.9 % 10.2 % 2.6 %
17.71*
keinen 1.2 % 1.9 % 0 % 1.0
Hauptschule 41.1 % 43.1 % 44.1 % 38.5 %
Realschule 37.0 % 35.6 % 42.4 % 36.4 %
höhere Schule 9.7% 17.6 % 6.8 % 9.0 %
Schulab-schluss
anderer 8.5 % 0.6 % 5.1 % 11.1 %
6.52
Anmerkungen: M=Mittelwert; SD=Standardabweichung; T/Chi=statistische Prüfgröße;
*p<0.05; **p<0.001
Die Motivation zur Bewältigung chronischer Schmerzen zeigte, dass die Patienten
der KG II eher bereit sind, ihr Verhalten in Richtung Schmerzbewältigung zu verän-
dern als die Patienten der IG. Ebenso setzt die KG II kognitive und behaviorale
Schmerzverarbeitungstechniken eher ein als die Patienten der IG.
Durchschnittliche Schmerzstärke (DSF). Die durchschnittliche Schmerzstärke der IG
konnte im Vergleich zur KG II bedeutsam gesenkt werden (F=15,793; p< 0,001;
π2=0,1179) diese Effekt war zum Katamnesezeitpunkt weiterhin nachweisbar. Beim
Vergleich der durchschnittlichen Schmerzstärke der IG und der KG I zeigte sich, dass
die Patienten der KG I schon mit einer geringeren Schmerzstärke in die Rehabilitati-
on aufgenommen wurden. Zum Reha-Ende lag ihre Schmerzintensität deutlich unter
der Schmerzstärke der IG, obwohl diese Patienten ebenfalls ihre Schmerzen signifi-
kant verringerten. Zum Katamnesezeitpunkt stiegen die Schmerzen der KG I über
die Schmerzstärke der IG an. Sodass die optimierte Patientenschulung in der lang-
fristigen Effektivität der Rehabilitation vor Optimierung deutlich überlegen war.
Selbstwirksamkeit (ASES-D). Die krankheitsbezogene Selbstwirksamkeit der IG
konnte innerhalb der Rehabilitation im Vergleich zur KG II bedeutsam verbessert
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
247
werden (F=3,693; p=0,026; π2=0,023). Zur Katamnese konnte dieser Effekt jedoch
nicht weiter gesteigert werden. Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe (F
2,967; p=0,054; π2=0,037) wurde nicht festgestellt. Für die IG und KG I erbrachte
die Varianzanalyse zur Selbstwirksamkeit einen signifikanten Effekt der Zeit (F=
5,726; p=0,004; π2=0,048) mit einer kleinen Effektstärke nach Bortz und Döring
(1995) bzw. Cohen (1988). Eine Interaktion zwischen der Zeit und Gruppe (F=1,438;
p=0,220; π2=0,012) konnte nicht festgestellt werden. Somit lässt sich feststellen,
dass durch die Rehabilitation die krankheitsbezogene Selbstwirksamkeit der Patien-
ten (KG I, IG) signifikant gesteigert werden konnte und dieser Effekt auch langfristig
festzustellen ist.
Motivation zur Bewältigung chronischer Schmerzen (FF-STABS). Beim Vergleich der
IG und KG II zeigte sich auf der multivariaten Ebene ein signifikanter Haupteffekt
der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=10,223, p<0,001; π2=0,350). Außerdem
konnte ein bedeutsamer Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe mit einer ho-
hen Effektstärke (F=5,818; p<0,001; π2=0,234) festgestellt werden. Auf der univaria-
ten Ebene zeigte sich auf der Skala „Sorglosigkeit“ eine bedeutsame Senkung der
Mittelwerte in der IG, der sich kurz- und langfristig nachweisen ließ. Ebenso fielen
die Mittelwerte der Skala „Vorbereitung“ in der IG zwischen dem zweiten und drit-
ten Messzeitpunkt bedeutsam ab. Auf der Skala „Handlung“ konnten die Mittelwer-
te der IG durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert werden. Dieser Effekt war
auch zur 6-Monatskatamnese nachweisbar. Auf der Skala „Aufrechterhaltung“ zeig-
te sich kurz- und langfristig in der IG ein bedeutsamer Anstieg der Mittelwerte. Beim
Vergleich der IG mit der KG I zeigte sich auf der multivariaten Ebene ein signifikan-
ter Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=39,331; p<0,001;
π2=0,632). Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt
werden (F=0,771; p=0,628; π2=0,033). Auf der univariaten Ebene ergab sich durch
die Rehabilitation eine signifikante Senkung der Mittelwerte auf der Skala „Sorglo-
sigkeit“ für beide Gruppen. In der KG I stiegen im Vergleich zur IG diese Mittelwerte
zum Katamnesezeitpunkt wieder bedeutsam an. Auf der Skala „Vorbereitung“ zeig-
ten beide Gruppen einen ähnlichen Verlauf. So sanken die Mittelwerte zwischen
dem zweiten und dritten Messzeitpunkt bedeutsam ab. Gleiche Verläufe der beiden
Gruppen ergaben sich auch auf den Skalen „Handlung“ und „Aufrechterhaltung“.
Die Mittelwerte konnten kurz- und langfristig bedeutsam gesteigert werden. Zu-
sammenfassend lässt sich feststellen, dass die Motivation zur Bewältigung chroni-
scher Schmerzen durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert werden konnte. Die
optimierte Patientenschulung (IG) zeigte im Vergleich zur Patientenschulung vor
Optimierung (KG I) einen langfristigen Effekt auf der Skala „Sorglosigkeit“. Die Aus-
prägung der Absichtslosigkeit, das Verhalten zu verändern, stieg bei der KG I im
Vergleich zur IG zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt wieder bedeut-
sam an.
Schmerzverarbeitung (FESV). Auf der multivariaten Ebene zeigte die Varianzanalyse
der IG und KG II einen Haupteffekt der Zeit (F=2,546; p=0,001; π2=0,249) und einen
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
248
Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe (F=2,119; p=0,008; π2=0,217). Auf der
univariaten Ebene konnten im Bereich der kognitiven Schmerzverarbeitung die Mit-
telwerte der IG, im Vergleich zur KG II, auf den Skalen „Handlungsplanungskompe-
tenz“, „Kognitive Umstrukturierung“ und „Kompetenzerleben“ kurz- und langfristig
bedeutsam gesteigert werden. Im Bereich der behavioralen Schmerzverarbeitung
konnten die Mittelwerte der IG, im Vergleich zur KG II, auf der Skala „Mentale Ab-
lenkung“ durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert werden. Zum Katamnese-
zeitpunkt fielen die Mittelwerte wieder signifikant ab, wobei sie jedoch über der
Ausgangslage blieben. Auf der Skala „Ruhe- und Entspannungstechniken“ nahmen
die Mittelwerte der IG, im Vergleich zur KG II, kurz- und langfristig bedeutsam zu.
Die psychische Belastung konnte auf den Skalen „Hilflosigkeit und Depression“,
„schmerzbedingte Angst“ und „schmerzbedingter Ärger“, bei der IG im Vergleich zur
KG II, kurz- und langfristig bedeutsam gesenkt werden. Die Befunde der Varianzana-
lyse ergaben auf der multivariaten Ebene für die IG und KG I einen Haupteffekt der
Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=5,602; p<0,001; π2=0,385). Ein Interaktionsef-
fekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt werden (F=0,531; p=0,940;
π2=0,056). Auf der univariaten Ebene konnten die Mittelwerte der kognitiven Schmerzverarbeitung (Handlungsplanungskompetenz, Kognitive Umstrukturierung,
Kompetenzerleben) beider Gruppen durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert
werden. Jedoch zeigten sich in der KG I die Effekte nur kurzfristig, im Vergleich zur
IG, die auch zur Katamnese eine deutliche Steigerung ihrer kognitiven Schmerzver-
arbeitung aufwies. Im Bereich der behavioralen Schmerzverarbeitung ergab sich auf
den Skalen „Mentale Ablenkung“ in beiden Gruppen eine kurzfristige Steigerung der
Mittelwerte. Die Mittelwerte der Skala „Ruhe- und Entspannungstechniken“ konn-
ten in beiden Gruppen kurz- und langfristig signifikant verbessert werden. Die
schmerzbedingten psychischen Beeinträchtigungen zeigten auf der Skala „Hilflosig-
keit und Depression“ in beiden Gruppen kurz- und langfristig eine bedeutsame Bes-
serung. Die schmerzbezogene Angst konnte in der KG I kurzfristig gemindert wer-
den. In der IG zeigte sich dieser Effekt sowohl nach der Rehabilitation als auch zur 6-
Monatskatamnese. Die Mittelwerte der Skala „schmerzbezogener Ärger“ konnten in
der KG I im Vergleich zur IG nicht verbessert werden. Durch die Rehabilitation konn-
te die Schmerzverarbeitung der Patienten verbessert werden. Die Patientenschu-
lung nach Optimierung (IG) zeigte im Vergleich zur Schulung vor Optimierung (KG I)
langfristige Effekte im Bereich der „Kognitiven Umstrukturierung“ und „Kompetenz-
erleben“.
Subjektive Beeinträchtigung durch die Schmerzen (PDI). Die Befunde der Varianz-
analyse der IG und KG II ergaben einen signifikanten Effekt der Zeit mit einer kleinen
Effektstärke (F=3,955; p=0,021; π2=0,049) sowie einen Interaktionseffekt zwischen
Zeit und Gruppe mit einer mittleren Effektstärke (F=4,915; p=0,009; π2=0,060). Die
Beeinträchtigung durch die Schmerzen konnte in der IG, im Vergleich zur KG II, kurz-
und langfristig bedeutsam gesenkt werden. Die Varianzanalyse der IG und KG I zeig-
te einen bedeutsamen Effekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=16,880;
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
249
p<0,001; π2=0,150). Eine Interaktion zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festge-
stellt werden (F=1,217; p=0,298; π2=0,013). Beide Gruppen gaben zum zweiten
Messzeitpunkt deutlich geringer Mittelwerte der Beeinträchtigung an. Dieser Effekt
konnte in der KG I, im Vergleich zur IG, nicht langfristig beibehalten werden.
Angst und Depressivität (HADS-D). Die Befunde der Varianzanalyse der IG und KG II
zeigten auf der multivariaten Ebene eine Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Ef-
fektstärke (F=1,065; p<0,001; π2=0,168) und einen Interaktionseffekt zwischen Zeit
und Gruppe mit einer hohen Effektstärke (F=6,597; p<0,001; π2=0,141). Auf der
univariaten Ebene ergab sich für die IG, im Vergleich zur KG II, eine kurz- und lang-
fristige Besserung der Ängstlichkeit und Depressivität. Die Varianzanalyse der IG
und KG I zeigten einen Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=21,577;
p<0,001; π2=0,311). Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht
festgestellt werden (F=0,606; p=0,659; π2= 0,013). Auf der univariaten Ebene zeigte
sich für beide Gruppen eine kurz- und langfristige Besserung auf den Skalen „Angst“
und „Depression“. Somit kann festgestellt werden, dass die Rehabilitation, sowohl
vor als auch nach der Optimierung der Patientenschulung, die psychische Beein-
trächtigung der Fibromyalgiesyndrom-Patienten bedeutsam senkt.
Reha-Status (IRES-24). Die multivariate Varianzanalyse der IG und KG II zeigte einen
Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=6,013; p<0,001; π2=0,247) und
einen Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe ebenfalls mit einer hohen Effekt-
stärke (F=4,904; p<0,001; π2=0,211). Die IG konnte im Vergleich zur KG II die Mit-
telwerte von allem vier Skalen und der Gesamtbewertung des Reha-Status des IRES-
24 langfristig verbessern. Die Werte der Skalen „somatische Gesundheit“, „Funkti-
onsfähigkeit im Alltag“ und „psychisches Befinden“ fielen zwischen dem zweiten
und dritten Messzeitpunkt bedeutsam ab, wobei die Ausgangslage nicht erreicht
wurde. Bei der varianzanalytischen Untersuchung der IG und der KG I konnte auf
der multivariaten Ebene ein Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=
21,162; p< 0,001; π2= 0,482) festgestellt werden. Ein Interaktionseffekt zwischen
Zeit und Gruppe konnte nicht bestätig werden. Die Befunde der univariaten Vari-
anzanalyse ergaben bei der IG kurz- und langfristige Verbesserungen aller Skalen
des IRES-24. Die KG I konnte die Mittelwerte auf den Skalen „psychisches Befinden“,
„Schmerzen“ und „Reha-Status“ verbessern, auf den Skalen „somatische Gesund-
heit“ und „Funktionsfähigkeit im Alltag“ hielt die Verbesserung bei dieser Patien-
tengruppe nur bis zum Reha-Ende.
Schmerzangst (PASS-D). Die Varianzanalyse der IG und KG II ergab auf multivariater
Ebene einen Haupteffekt der Zeit mit einer kleinen Effektstärke (F=4,406; p=0,002;
π2=0,101) und einen Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe mit einer kleinen
Effektstärke (F=2,516; p=0,044; π2=0,060). Auf der univariaten Ebene ergaben sich
für die IG eine signifikante kurz- und langfristige Minderung der kognitiven Angst
und des Vermeidungsverhaltens im Vergleich zur KG II. Die Varianzanalyse der IG
und KG I zeigte auf der multivariaten Ebene einen Haupteffekt der Zeit mit einer
Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom
250
mittleren Effektstärke (F=7,629; p<0,001; π2=0,135). Ein Interaktionseffekt zwi-
schen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt werden. Die Befunde der univaria-
ten Varianzanalyse zeigten auf der Skala „kognitive Angst“ für beide Gruppen eine
langfristige bedeutsame Verminderung der Mittelwerte. Auf der Skala „Vermei-
dungsverhalten“ verzeichnete nur die IG eine bedeutsame Reduzierung der Mittel-
werte.
Wissenstand. Bei der univariaten Varianzanalyse der IG und KG II ergab sich kein
signifikanter Unterschied mit der Zeit (F=1,578; p=0,214; π2=0,047) und kein signifi-
kanter Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe (F=2,000; p=0,144; π2=0,059). Beim Vergleich der IG mit der KG I ergaben sich ähnliche Ergebnisse, bei der Analyse
der Zeit (F=1,432; p=0,244; π2= 0,028) und Zeit*Gruppe (F=0,662; p=0,518;
π2=0,013) konnte keine bedeutsamen Unterschiede festgestellt werden.
Patienteneinschätzung der Schulung. Bei der Beurteilung der verschiedenen The-
men der Patientenschulung bewerteten die Patienten der KG I und IG alle abgefrag-
ten Bereiche als wichtig bis sehr wichtig (Mittelwert: 3,45). Ein bedeutsamer Unter-
schied zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich der Bewertung zeigte sich im Be-
reich der Krankheitslehre und der Krankheitsbewältigung. Beide Themen erachteten
die Patienten der KG I wichtiger als die IG. Die Schulung und ihre Rahmenbedingun-
gen wurden von beiden Gruppen insgesamt als gut bewertet. Jedoch bewerteten
die IG den Schulungsumfang, die Auswahl der Themen, das Schulungsmaterial, die
Verständlichkeit, die Möglichkeit Fragen zu stellen und das schriftliche Unterrichts-
material bedeutsam besser als die KG I. Lediglich die Gruppengröße schätzten die
Patienten der KG I besser ein als die IG. Der persönliche Gewinn durch die Schulung
wurde von beiden Gruppen als gut eingeschätzt. Die Patienten gaben an, „einiges“
bis „viel“ über ihre Erkrankung und Behandlungsmöglichkeiten gelernt zu haben.
Unterschiede zwischen den Gruppen konnten nicht festgestellt werden. Insgesamt
hat den Patienten die Schulung „gut“ bis „sehr gut“ gefallen und sie schätzen den
persönlichen Gewinn als groß bzw. sehr groß ein.
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Internetbasierte Erhebung von Patientendaten
253
4 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten
4.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
PD Dr. Axel Kobelt
Mitarbeiter
Dr. Norbert Karpinski
Kooperationspartner
Verein zur Förderung der Rehabilitation in Niedersachsen und Bremen e. V. (VFRNB)
Zeitraum
01.01.2007 - 31.12.2008
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover
4.2 Zusammenfassung
Im Rahmen dieses Pilotprojekts zur Optimierung der medizinischen Rehabilitation
durch eine standardmäßig durchgeführte Diagnostik und Verlaufskontrolle wurde
ein System zur internetbasierten Diagnostik und Verlaufskontrolle von ambulant
durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen entwickelt und erprobt. Zusätzlich
wurde die PC-Erfahrung von 189 Reha-Patienten aus sechs ambulanten Reha-
Kliniken erfragt und ihre Akzeptanz eines internetbasierten Assessments unter-
sucht.
4.3 Stand der Forschung
Seit der Einführung des Internets im Jahr 1994 führten die Vorteile dieses Medium
zu einer schnell ansteigenden Nutzung in der Markt- und der Sozialforschung (Fi-
Internetbasierte Erhebung von Patientendaten
254
scher, 2005). Aber auch bei der psychosozialen Versorgung werden immer häufiger
die mit dem Internet verbundenen Möglichkeiten genutzt (Barak, Hen, Boniel-
Nissim & Shapira, 2008). Im Mittelpunkt des Interesses einer internetbasierten For-
schung steht vor allem die schriftliche Befragung (reaktive Datenerhebung) bzw. die
nicht-reaktive Beobachtung von möglichst großen Populationen bzw. spezifischen
Zielgruppen (Batinic, 1997). Untersuchungen zum Einsatz des Internets bei Diagnos-
tik und Verlaufskontrolle im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen, bei der die
Patienten die entsprechenden diagnostischen Assessments über das Internet be-
antworten, lagen bis zu dieser Pilotstudie nicht vor.
Auf der Patientenseite sind zusätzlich zwei Aspekte der Umsetzbarkeit internetba-
sierter Assessments zu berücksichtigen:
• Die Akzeptanz der elektronischen Bearbeitung (Liebert, Archer & Munson,
2006) und
• die grundsätzliche Verfügbarkeit von privaten/dienstlichen Computern, In-
ternetzugang und die damit verbundene Vorerfahrung mit diesen Medien
(Ebert et al., 2009; Gerhards & Mende, 2008).
Es muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass die Altersgruppe der über 60-
Jährigen zu 73,6% das Internet verweigert und die meisten „Nichtnutzer“ (53,3%)
des Internets einen Volks- oder Hauptschulabschluss aufweisen (Gerhards & Men-
de, 2008).
4.4 Ziele
Das Projekt verfolgte das Ziel, einen Beitrag zur Optimierung der Rehabilitation
durch eine verbesserte Diagnostik zu leisten. Diese Zielsetzung soll durch folgende
Punkte erreicht werden:
• direkte internetbasierte Erhebung der Fragebogendaten,
• zeitnahe Rückmeldung individueller Testergebnisse zum Reha-Beginn an die
Klinik und
• zeitnahe Rückmeldung der individuellen Veränderung der Testwerte zum
Reha-Ende.
Dabei sollte gleichzeitig die Akzeptanz der Patienten für ein solches Verfahren ü-
berprüft werden.
4.5 Methodisches Vorgehen
Während eine internetbasierte Datenerhebung zum jetzigen Stand der Technologie
Internetbasierte Erhebung von Patientendaten
255
keine besonders große Anforderung darstellt, da hier auf bestehende Technologie
zurückgegriffen werden kann, beinhaltet die Zielsetzung einer möglichst zeitnahen
Rückmeldung von Testergebnissen und Veränderungswerten eine logistische und
technische Herausforderung. Dies ist vor allem durch die in der Diagnostik einge-
setzten Verfahren begründet, da die Komplexität der notwendigen Berechnungs-
schritte zur Skalenbildung bei einigen diagnostischen Verfahren den Funktionsum-
fang von Datenbanken übersteigt. Insofern benötigt die Umsetzung der gestellten
Ziele des Projektes, neben Modulen zur Datenerhebung/-Rückmeldung und einer
Datenbank, ein „Interpreter-Modul“ das die notwendigen Berechnungsschritte zu
Skalenbildung und Interpretation der Veränderungswerte vornimmt (vgl. Abb. 1).
Abbildung 1: Schematische Darstellung der notwendigen Module zur internetba-
sierten Datenerfassung und Ergebnis-Rückmeldung.
Der kontinuierliche zeitliche Fluss von Patientendaten muss beim Ausgabemodul
berücksichtigt werden. Das Projekt erfordert eine dynamische und interaktive Ges-
taltung des Ausgabemoduls, bei dem gezielt die Informationen zu einem bestimm-
ten Patienten abrufbar sind.
Die Projektrealisation und Organisation erfolgte arbeitsteilig durch die DRV (A. Ko-
belt, Akquise von teilnehmenden Kliniken, Erstellung der Internet-Fragebögen mit
„egrade“) und dem ZKPR (Erstellung der Datenbanken, Erstellung der SPSS-Syntax
zur Auswertung und Portierung in die Datenbanken und EXCEL-Dateien, Konzeption
und Erstellung der Datenbanken und der EXCEL-Datei zur Rückmeldung, fortlaufen-
der Versand der Rückmeldungen an die Kliniken).
4.6 Ergebnisse
Zur Analyse der Akzeptanz des gewählten Vorgehens liegen die Bewertungen der
Zufriedenheit mit der internetbasierten Fragebogenerhebung von 189 Patienten (75
weiblich) vor. Das Alter der Patienten umfasst einen Bereich von 18 bis 64 Jahre. Im
Eingabe-
Modul
Interpreter-
Modul
Datenbank
Ausgabe-
Modul
Interpreter-
Modul
Internetbasierte Erhebung von Patientendaten
256
Mittel sind die Patienten 44,66 (Std. Abw. = 10,26) Jahre alt. Der am häufigsten an-
gegebene Schulabschluss ist die Mittlere Reife (n=89), als zweithäufigster Schulab-
schluss wird Hauptschule (n=65) genannt. Abitur bzw. Hochschulreife haben 17 und
Fachhochschulreife 16 der befragten Patienten angegeben. Nur zwei der befragten
Patienten haben keinen Schulabschluss angegeben.
Umsetzungs- und Durchführungsprobleme bei der Implementation in den Klini-ken. Die praktische Umsetzung und Durchführung der Projekt-Zielsetzung wurde im
Projektverlauf durch Probleme auf unterschiedlichsten Ebenen beeinträchtigt, die
bei der Planung kaum oder nur bedingt vorausgesehen werden konnten. Grundsätz-
lich können hier folgende Ebenen unterschieden werden:
• Organisation, Anpassung und Bereitstellung der nötigen technischen und
verwaltungstechnischen Strukturen bei den kooperierenden Reha-Zentren,
• Funktionsumfang und Handhabbarkeit der eingesetzten Software,
• nichtvorhersehbare Fehler durch die Vorbereitung und Nutzung der Soft-
wareumgebung seitens der Reha-Zentren und der Patienten sowie
• Erwartungen und Anforderungen von Seiten der Kooperationspartner
Ergebnisse zur Einschätzung der internetbasierten Fragebogenerhebung. Beim
Bereich „Akzeptanz der internetbasierten Fragebogenerhebung“ überwiegen die
positiven Nennungen. Die Ergebnisse der chi-Quadrat-Testung belegen in allen Be-
reichen überzufällige Nennungen der zustimmenden Antwortkategorien („trifft eher
zu“ und trifft genau zu“), während die ablehnenden Antwortkategorien unter den
erwarteten Häufigkeiten liegen. Die chi-Quadrat-Werte der Häufigkeitsanalysen der
Antwortkategorien der bewerteten Fragen liegen für alle Fragen in einem Bereich
von 139,74 bis 324,12 und sind alle statistisch signifikant.
Die Analyse der Bereiche „Verständlichkeit“ und „Akzeptanz“ anhand der durchge-
führten Varianzanalysen ergeben sich keine statistischen Unterschiede zwischen
dem Grad der Schulbildung, dem Geschlecht und dem Alter der Patienten. Für den
Bereich „Verständlichkeit“ ergibt bei der Schulbildung ein F-Wert von 1,60 (p=0,19),
beim Alter ist der F-Wert = 1,38 (p=0,25) und es liegt kein Geschlechtseffekt vor. Für
den Bereich „Akzeptanz“ ergibt sich für die Schulbildung ein F-Wert von 0,37
(p=0,78). Es liegt kein Alters- und Geschlechtseffekt vor.
Zusammenfassend kann anhand dieser Ergebnisse gefolgert werden, dass eine in-
ternetbasierte Patientenbefragung erfolgreich durchgeführt werden kann und von
den Patienten positiv aufgenommen wird. Dabei ist festzuhalten, dass die meisten
Patienten die internetbasierte Erhebung einem herkömmlichen Papierfragebogen
vorziehen.
Literatur
Barak, A., Hen, L., Boniel-Nissim, M. & Shapira, N. (2008). A comprehensive review
Internetbasierte Erhebung von Patientendaten
257
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Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 20, 316-321.
Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation
259
5 Jugendliche mit chronischer Grunderkrankung in der stationären Rehabilitation
5.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Dr. Rainer Stachow
Dipl. Päd. Uwe Tiedjen
Mitarbeiterinnen
Dr. Christiane Baldus, Dr. Stephanie Ender, Dipl.-Päd. Pia Dewald, Dipl.-Päd. Birthe
Hinrichsen, Dipl.-Psych. Bernadette Rietzler, Dipl.-Psych. Laura Wintjen,
Kooperationspartner
Fachklinik Sylt für Kinder und Jugendliche, Westerland; Rehaforschung Fachklinik
Sylt e.V.
Zeitraum
01.01.2005 - 31.12.2011
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Nord, Verein zur Förderung der Rehaforschung Fach-
klinik Sylt e.V.
5.2 Zusammenfassung
Zwischen der Fachklinik für Kinder und Jugendliche Sylt (Westerland) und dem Zent-
rum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen be-
stand von 2005 bis 2011 eine Forschungskooperation im Rahmen des gemeinsamen
„Jugendprojekts“. Ausgehend von empirischen Arbeiten, die zeigen konnten, dass
stationäre Rehabilitationsmaßnahmen bei chronisch kranken Jugendlichen (z.B. mit
Asthma, Neurodermitis, Psoriasis, Adipositas und Diabetes) weniger starke und we-
niger langfristige Effekte zeigen, setzt sich das Projekt zur Aufgabe (1) mehr über die
Realität der betroffenen Jugendlichen in ihrem Alltag zu Hause und in der Rehabili-
Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation
260
tation in Erfahrung zu bringen und (2) diese Ergebnisse zu nutzen, um Ansatzpunkte
dafür zu finden, die Konzepte für stationäre Rehabilitationsmaßnahmen in Zukunft
für Jugendliche zu verbessern. Die aus der querschnittlichen Erhebung (Vorstudie:
2005 bis 2007) resultierenden Ergebnisse werden dem zweiten Teil des Projektes
(Hauptstudie: 2007 bis 2010; kostenneutrale Verlängerung bis 2011) zugrunde ge-
legt, um sowohl die Rahmenbedingungen der Rehabilitation als auch inhaltliche
Aspekte besser an die Bedürfnisse der Jugendlichen anzupassen und die Effekte
dieser Anpassung zu untersuchen (Kontrollgruppendesign). Die Studie konnte auf-
zeigen, dass die Jugendlichen, die die neu entwickelte jugendspezifische Reha-
Maßnahme erhalten haben, wesentlich zufriedener mit der stationären Rehabilita-
tion waren, was sich auch in der Verbesserung einiger Parameter widerspiegelte.
5.3 Stand der Forschung
Ausgangspunkt für das Projekt war die Erkenntnis, dass Jugendliche in Deutschland
gesundheitlich schlechter versorgt sind als andere Altersgruppen (Hurrelmann, Klo-
cke, Melzer & Ravens-Sieberer, 2003), als Zielgruppe konzeptueller und empirischer
Arbeit des Rehabilitationswesens jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Zudem
zeigen Studienergebnisse die mangelnde Akzeptanz von Interventionen und eine
geringere langfristige Wirksamkeit von Interventionseffekten im Jugendalter (Pe-
termann, 2003). Zur Reha-Zufriedenheit, die sich in den letzten Jahren als wesentli-
cher Bestandteil in der Qualitätssicherung stationärer Rehabilitation etabliert hat,
wurden chronisch kranke Jugendliche nur selten befragt; viel zu oft wurden solche
Anfragen an die Eltern gerichtet. Dabei sind es die Jugendlichen, die von nun an den
Umgang mit ihrer Erkrankung selbstverantwortlich gestalten sollen. Insbesondere
wenn bei der Therapie von Patienten auf Einstellungs- und Verhaltensänderungen
hingewirkt werden soll, zeigt sich, dass zufriedenere Patienten eher zur Mitwirkung
an ihrer Behandlung bereit sind und die Anweisungen der Ärzte und des medizini-
schen Personals genauer beachten. Diese Erkenntnisse führen dazu, dass die Be-
deutung der Zufriedenheit als Outcome-Parameter teilweise genauso hoch angese-
hen wird wie die der Effektivität oder die Effizienz einer Behandlung (Bührlen, Mai-
er-Riehle & Jäckel, 2000).
5.4 Ziele
Das Ziel des Projektes war die Entwicklung, Implementierung und Evaluation eines
auf Jugendliche zugeschnittenen Reha-Konzeptes. Als Hypothese wurde angenom-
men, dass Jugendliche, die nach dem neuen Rehabilitationskonzept behandelt wur-
den, nach der Rehabilitation zum einen zufriedener und zum anderen einen ver-
Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation
261
gleichsweise stärkeren und länger anhaltenden Anstieg in ihrer Selbstwirksamkeit,
sozialen Kompetenz, Selbstvertrauen und Lebensqualität aufweisen als Jugendliche,
die mit dem bisherigen Konzept behandelt wurden. Stellt sich dieser Vorteil des
Rehabilitationskonzepts ein, so können die im Projekt geleisteten konzeptuellen
Maßnahmen (Klinikleitbild, -organisation, Mitarbeiterschulung, soziales Kompetenz-
training) auf andere Rehabilitationskliniken übertragen werden und damit einen
nachhaltigen Beitrag zur Rehabilitation von chronisch kranken Jugendlichen leisten.
5.5 Methodisches Vorgehen
Vorstudie. 179 chronisch erkrankte Jugendliche und ein Großteil des Klinikpersonals
nahmen an der Befragung in der Vorstudie teil. Außerdem wurden 126 Fragebögen
an Berufskammern und -verbände, Berufsschulen, Berufsberater und mittelständi-
sche Unternehmen in Hamburg und Schleswig-Holstein verschickt, von denen je-
doch nur 25 zurückgeschickt wurden. Die erhobenen Daten enthielten Hinweise auf
die Reha-Zufriedenheit, psychische Befindlichkeit und Compliance der Jugendlichen
sowie auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den Klinikstrukturen und dem Kli-
nikalltag. Hieraus wurden Verbesserungsvorschläge gewonnen, die die Grundlage
für geplante Veränderungen des Klinikkonzeptes waren.
Hauptstudie. Aus den Ergebnissen der Vorstudie wurde ein altersentsprechendes
Reha-Konzept für Jugendliche entwickelt, dessen Wirksamkeit anhand eines Kon-
trollgruppendesign überprüft wurde. Dem neuen Reha-Konzept wurde zunächst ein
Leitbild zugrunde gelegt, das die konsequente Umsetzung von interdisziplinärer
Kooperation, Ressourcenorientierung, Salutogenese und Empowerment anstrebt.
Es folgten strukturelle und bauliche Maßnahmen in der Klinik, die bspw. zu einer
verbesserten Unterbringung für die Jugendlichen und verkleinerten und homogene-
ren Gruppen führten. Außerdem wurden die Klinikregeln an das Alter der Jugendli-
chen angepasst und die Interventionen in Pflicht-, Wahlpflichtmaßnahme und Frei-
willigenangebot eingeteilt. Der neue Maßnahmenkatalog umfasste folgende Inter-
ventionen: Patientenschulung für die Hauptdiagnose auf neun Einheiten erhöht,
Schulung für die Nebendiagnose (3 bis 4 Einheiten), neu entwickeltes soziales Kom-
petenztraining (JuKo-Treff), Entspannungstraining als Regelangebot, strukturierte
pädagogische Angebote mit therapeutischer Ausrichtung, Einrichtung von Sport-
AG’s, Berufsfindung und Raucherentwöhnung. Für alle Mitarbeiter wurde eine spe-
zielle Fortbildung „Wir und Jugendliche“ mit vier Modulen und 12 Unterrichtsstun-
den entwickelt und durchgeführt.
Die Wirksamkeit dieser Konzeptänderung wurde in einer prospektiven, kontrollier-
ten, nicht randomisierten Studie evaluiert. Eingeschlossen wurden Jugendliche ab
dem 14. Lebensjahr mit Atemwegserkrankungen, Hauterkrankungen, Adipositas
oder Diabetes mellitus. Es wurden Datenerhebungen zu Beginn, am Ende und ein
Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation
262
Jahr nach der Rehabilitation durchgeführt. Die Kontrollgruppe umfasste 146 Jugend-
liche des Reha-Jahrgangs 2007, die Experimentalgruppe umfasste 166 Jugendliche
des Reha-Jahrgangs 2008. Die Untersuchung bezog sich auf Parameter der Reha-
Zufriedenheit, des Selbstwertes, der Selbstwirksamkeit, der Lebensqualität, des
Krankheitsmanagements sowie klinische Parameter.
5.6 Ergebnisse
Die neuen Klinikstrukturen und räumlichen Ausstattungen wurden von den Jugend-
lichen der Experimentalgruppe signifikant besser beurteilt. Ebenso war die Zufrie-
denheit der Rehabilitanden der Experimentalgruppe in Bezug auf die Berufsorientie-
rung signifikant (< 0,001) besser. Sie fühlten sich besser vorbereitet auf die anste-
hende Berufswahl. Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht in ihrer Zufrieden-
heit bei den therapeutischen Angebote und dem Verhalten der Mitarbeiter bzw.
Therapeuten. In Bezug auf die untersuchten Hauptvariablen (Selbstwert, soziale
Selbstwirksamkeit, gesundheits- und krankheitsbezogene Lebensqualität, Krank-
heitsmanagement) ergaben sich teilweise Verbesserungen der Effekte zugunsten
der Experimentalgruppe. Bei den Untersuchungen der Skalen des KINDL-R zeigte
sich die Experimentalgruppe signifikant verbessert auf der Skala Körper und Psyche.
Beim Krankheitsmanagement - gemessen vom Beginn bis zum Ende der Rehabilita-
tion - ergaben sich signifikante Verbesserungen bei Patienten mit Adipositas und
Neurodermitis.
Eine altersentsprechende Anpassung des Rehabilitationsprozesses an die Bedürfnis-
se von Jugendlichen ist aufwendig, aber notwendig. Gerade in Zeiten steigender
Prävalenz von chronischen Erkrankungen müssen effektive Konzepte für das Ju-
gendalter entwickelt und evaluiert werden, da die im Jugendalter gemachten Ler-
nerfahrungen im Umgang mit der Erkrankung das Gesundheitsverhalten im Erwach-
senenalter prägen. Das Projekt konnte aufzeigen, dass Jugendliche mit einem auf
sie zugeschnittenen und interdisziplinären Konzept besser erreicht werden können
Die Messung von Verbesserungseffekten durch eine solche Konzeptumstellung ges-
taltet sich allerdings schwierig; auch dies hat das Projekt gezeigt.
5.7 Literatur
Bührlen, B., Maier-Riehle, B. & Jäckel, W.H. (2000). Verfahren der Qualitätsprüfung.
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Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation
263
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Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation
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gie. 26. bis 30. September 2010 in Bremen. Abstracts (S. 154). Lengerich: Papst
Science Publishers.
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
265
6 Modularisiertes Elterntraining für Eltern entwicklungsauffälliger Kinder in der stationären Rehabilitation
6.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. F. Petermann, Prof. Dr. U. Petermann
Dr. H. Mayer, Dr. S. Springer (Klinik Hochried)
Mitarbeiterinnen
Dr. Julia Jaščenoka
Dipl.-Psych. Julia-Katharina Rißling
Dr. Macha Hecking (Klinik Hochried)
Kooperationspartner
Klinik Hochried (Murnau)
Zeitraum
01.05.2009 - 31.08.2012
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Bund
6.2 Zusammenfassung
Im Rahmen des Projektes wurde in Kooperation mit der Klinik Hochried (Murnau)
ein modularisiertes Elterntraining (ETEK) für Eltern entwicklungsauffälliger Kinder in
der stationären Rehabilitation entwickelt. Untersuchungen zum kurz- und langfristi-
gen Erfolg des Elterntrainings zeigen, dass das ETEK den Rehabilitationserfolg bei
Eltern entwicklungsretardierter Kinder sowie den Kindern deutlich verbessert.
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
266
6.3 Stand der Forschung
Eltern entwicklungsauffälliger Kinder sind aufgrund des höheren Betreuungs- und
Förderbedarfs häufig stark belastet (Cina & Bodenmann, 2009; Gerdes et al., 2007;
Schauning et al., 2004). Elterliche Kompetenzdefizite wirken sich einschränkend auf
die erzieherische Praxis und das Förderklima im familiären Umfeld aus. Hierdurch
können Entwicklungsfortschritte der Kinder behindert und deren soziale Benachtei-
ligung verstärkt werden (Petermann, Petermann & Franz, 2010). Dieses ungünstige
Wirkungsgefüge kann durch gezielte Herbeiführung und Stärkung elterlicher Kom-
petenzen durchbrochen werden. Dabei sollten Eltern als Co-Therapeuten geschult
und in die Lage versetzt werden, ihre Ressourcen als Erziehende zu erkennen und
langfristig einzusetzen. Elterntrainings gelten hier als besonders geeignete Metho-
de, um einer dauerhaften Manifestation der kindlichen Probleme zu begegnen (vgl.
Briesmeister & Schaefer, 2007).
Der aktuelle Forschungsstand lässt darauf schließen, dass Eltern entwicklungsverzö-
gerter Kinder ein speziell auf ihrer Bedürfnisse zugeschnittenes Programm benöti-
gen, welches die Besonderheiten der verschiedenen Störungsbilder thematisiert
und den Eltern einen sensiblen Umgang mit ihrem beeinträchtigten Kind vermitteln.
Aufgrund der häufigen Kombination von Defiziten in den Bereichen Sprache, Moto-
rik, Kognition und sozial-emotionale Entwicklung erscheint eine Schulung der Eltern
in allen vier Bereichen als sinnvoll (Kastner et al., 2011).
6.4 Ziele
Ziel des Projektes ist eine Optimierung und Standardisierung der elterlichen Betreu-
ung entwicklungsretardierter Vorschulkinder während der stationären Rehabilitati-
on. Hierfür wurden im Rahmen des Projekts standardisierte Förder- und Therapie-
module für die elternbezogene Förderung von entwicklungsauffälligen Vorschulkin-
dern erarbeitet und evaluiert. Durch das überarbeitete Elterntraining ETEK sollten
die dazu Eltern befähigt werden, Therapiemaßnahmen mit dem Kind nach Ab-
schluss der Reha-Maßnahme zu Hause eigenständig durchzuführen.
6.5 Methodisches Vorgehen
Die in Fragestellungen der Studie wurden mittels eines kontrollierten, prospektiven
Designs untersucht. Die Rekrutierung der Probanden der Kontroll- und Interventi-
onsgruppe erfolgte zu Beginn der stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Kli-
nik Hochried. Die geplante Stichprobengröße beider Gruppen betrug jeweils 80 bis
100 Patienten. Die Datenerhebungen erfolgten zu drei Messzeitpunkten (Prä- und
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
267
Posterhebung sowie 1-Jahreskatamnese), wobei die Evaluation des neuen Eltern-
schulungskonzeptes längsschnittlich anhand der Verlaufskontrolle der elterlichen
Erziehungskompetenz, des elterlichen Stresserlebens und der elterlichen Selbst-
wirksamkeit sowie anhand kindlicher Entwicklungs- und Verhaltensmerkmale er-
folgt. Es ist somit die multivariate Hypothese einer differenziellen Veränderung el-
tern- und kindbezogener Merkmale zugunsten der Interventionsgruppe zu prüfen.
Dies schließt als Einzelvergleiche insbesondere die Überprüfung der Prä-Test-
Äquivalenz sowie die Überprüfung der Post-Test-Differenzen zu T2 und T3 ein.
Kindzentrierte Interventionsmaßnahmen. Die Kinder werden aufgrund ihrer Vordi-
agnosen, ihres Alter sowie des berichteten Entwicklungsstandes bereits vor Beginn
der stationären Rehabilitationsmaßnahme einer therapeutischen Gruppe zugewie-
sen. Dieser so genannte „Indikationsorientierte Therapie Stützpunkt“ (IST) ermög-
licht aufgrund seiner Zeitintensität und Homogenität eine intensive Entwicklungs-
förderung, die sich an den individuellen Förderbedürfnissen eines Kindes orientiert.
Ein ITS setzt sich aus acht bis zehn Kindern zusammen und wird während der ge-
samten Dauer der Rehabilitationsmaßnahme von einer therapeutischen oder päda-
gogischen Fachkraft betreut. Dieser Stützpunktleiter bildet die Schnittstelle im in-
terdisziplinär arbeitenden Team aus Ärzten, Therapeuten, Pädagogen, Psychologen
sowie den Begleitpersonen. Der Informationsaustausch erfolgt über Einzelgesprä-
che und bereichsinterne sowie fachübergreifende Teamsitzungen. Der Gruppenthe-
rapieplan sieht für jedes Kind pro Woche 19 Therapieeinheiten zu je 45 Minuten vor
und bietet eine gezielte therapeutische Intervention in den Bereichen Kognition,
Sprache, Wahrnehmung, Motorik sowie sozial-emotionale Entwicklung an. Den ins-
gesamt fünf Förderbereichen sind jeweils fachspezifische Therapiekonzepte zuge-
ordnet. Es liegt eine vorgegebene Grundstruktur zugrunde, welche eine einheitliche
Durchführung ermöglicht. Die Therapieeinheiten sind in einem Wochen-Stunden-
plan, der über die Dauer der Rehabilitation konstant bleibt, festgelegt.
Das optimierte Elterntraining entwicklungsfördernder Kompetenzen (ETEK)
Die Schulung wird in Gruppen von acht bis zehn Eltern durchgeführt und pro Reha-
bilitationsmaßnahme an zwei bis vier Gruppen evaluiert. Die Vermittlung der Trai-
ningsinhalte erfolgt mittels unterschiedlicher Methoden. Powerpoint-Vorträge die-
nen zur Vermittlung der Basisinformationen, die anschließend mithilfe von Grup-
pendiskussionen, Rollenspielen und Kleingruppenarbeiten vertieft bearbeitet wer-
den. Insbesondere Videobeispiele, Arbeitsblätter und Wochenaufgaben helfen den
Eltern dabei, das Gelernte in ihrem Alltag zu generalisieren. Das ETEK besteht aus
den drei Modulen Erziehung, Förderung und Praxis, deren inhaltliche Gestaltung
sich teilweise an den Analysen zur Identifizierung wirksamer Elemente in Elterntrai-
nings von Kaminski et al. (2008) sowie Scheithauer et al. (2003) orientiert. Innerhalb
des Moduls Erziehung werden grundlegende Aspekte einer entwicklungsfördernden
Erziehung thematisiert; dazu zählen die Gestaltung einer positiven Eltern-Kind-
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
268
Beziehung, das Erlernen effektiver Verstärkungs- und Bestrafungsstrategien (z.B.
beschreibendes Loben bzw. das Aussprechen natürlicher negativer Folgen) sowie
wirkungsvolles Auffordern. Im Modul Förderung erhalten die Eltern umfangreiche
Informationen darüber, wie sie die motorische, sprachliche, kognitive und sozial-
emotionale Entwicklung ihrer Kinder im häuslichen Alltag einfach und effizient un-
terstützen können. Verschiedene Aufgaben und Spiele werden dabei unter Anlei-
tung der Trainer in Kleingruppen eingeübt. Des Weiteren werden zu Beginn jeder
Einheit Kenntnisse über die normative Entwicklung vermittelt, um den Eltern gezielt
aufzuzeigen, an welchen Stellen ihr eigenes Kind eine gezielte Unterstützung benö-
tigt. Im Modul Praxis werden die Inhalte der Module Erziehung und Förderung ei-
ner Trainingswoche miteinander verknüpft. Eltern und Kinder nehmen im Gegen-
satz zu den anderen Trainingssitzungen gemeinsam an diesen Einheiten teil. Die
Eltern erhalten die Aufgabe, die Förderspiele aus dem Modul Förderung unter Be-
rücksichtigung der jeweils erlernten Erziehungsstrategie mit ihren Kindern zu erpro-
ben. Jedes Eltern-Kind-Paar spielt dabei für sich und erhält gezielte Unterstützung
bzw. konstruktives Feedback durch einen Trainer.
In den ersten vier Wochen der stationären Rehabilitation wird aus jedem Modul
eine Trainingseinheit mit den Eltern erarbeitet. Das Modul Erziehung besteht aus
fünf Trainingseinheiten à 75 Minuten. Die Module Praxis und Förderung umfassen
jeweils vier Trainingseinheiten à 45 Minuten. In jeder Trainingswoche findet jeweils
eine Trainingseinheit aus den Modulen Erziehung, Förderung und Praxis statt, wobei
das Training am dritten Tag nach Beginn der Rehabilitationsmaßnahme mit der ers-
ten Trainingseinheit des Moduls Erziehung startet. Die theoretische Fundierung des
Konzeptes beruht auf dem Modell der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung
von Dodge (Dodge, Lochman, Harnish & Bates, 1997). Danach beginnt jegliches Ver-
halten (so auch Erziehungsverhalten) zunächst mit der Wahrnehmung und Bewer-
tung einer Situation und der darin agierenden Personen sowie der Suche nach ge-
eigneten Handlungsalternativen. Führt das anschließend gezeigte Verhalten nicht
zum gewünschten Ziel, überdenkt eine Person ihr Verhalten und erprobt modifizier-
te Handlungsstrategien. Das vorliegende Trainingsprogramm greift Dodges Modell
auf und überführt diese Systematik auf alle drei Module. Jede Trainingswoche be-
ginnt mit einer thematisch zugeschnitten Selbsterfahrungsaufgabe, um die Beo-
bachtungs- und Wahrnehmungskompetenzen für das eigene, aber auch das kindli-
che Verhalten zu schulen. So erkennen Eltern nicht nur die wechselseitige Abhän-
gigkeit von Verhalten, sondern lernen zusätzlich, im Alltag konkrete Situationen
wahrzunehmen, in denen bestimmte Erziehungs- oder Förderstrategien anwendbar
sind. In einem nächsten Schritt erlernen die Eltern konkrete Erziehungs- und För-
derstrategien, mit denen sie angemessen auf das kindliche Verhalten reagieren. In
der abschließenden Praxiseinheit erproben die Eltern die neu erlernten Techniken
konkret mit ihrem Kind und werden dabei von den Trainern angeleitet, die Reaktio-
nen ihres Kindes zu beobachten und gegebenenfalls ihr Erziehungs- oder Förderver-
halten zu modifizieren. Zusätzliche Wochenaufgaben helfen den Eltern dabei, die
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
269
neu erlernten Kompetenzen auf den Alltag zu übertragen.
Erhebungsinstrumente. Zur Erfassung der Zielvariablen wurden die in Tabelle 1 auf-
geführten Instrumente eingesetzt. Weiterhin wurden Informationen zum Entwick-
lungsstand des Kindes- sowie kindlichen Verhaltensauffälligkeiten bzw. prosozialem
Verhalten über die Eltern erfasst. Alle Kinder wurden zusätzlich mit einem standar-
disierten Entwicklungs- und Intelligenztest untersucht.
Tabelle 1: Eingesetzte Erhebungsinstrumente pro Messzeitpunkt.
Messzeitpunkt Merkmalsbereich Instrument
T1 T2 T3
Soziodemographische
Grunddaten Anamnesebogen (ZKPR) X X
Erziehungsverhalten Alabama Parenting Questionnaire
(APQ, Lösel et al., 2003) X X X
Selbstwirksamkeit Parenting Sense of Competence (PSOC,
Lösel et al., 2003) X X X
Stresserleben Eltern-Belastungs-Inventar (EBI, Trös-
ter, 2011) X X X
Kindlicher Entwick-
lungsstand ET 6-6 (Macha & Petermann, 2008) X X
Kognitiver Entwick-
lungsstand des Kindes
Wechsler Preschool and Primary Scale
(WPPSI-III, Petermann, 2011) X
Verhaltensauffällig-
keiten und prosoziales
Verhalten des Kindes
Strengths and Difficulties Questionnaire
(SDQ, Goodman, 1997) X X X
Bewertung der Eltern-
schulung Feedback-Bogen (Klinik Hochried) X
6.6 Ergebnisse
Die Implementierung des ETEK sowie die Rekrutierung der Evaluationsstichprobe
fanden im Zeitraum von Mai 2010 bis Mai 2011 in der Rehabilitationsklinik Hochried
(Murnau) statt. Es wurden solche Kinder in die Untersuchungsgruppe aufgenom-
men, die aufgrund verschiedener Entwicklungsretardierungen stationär in der Klinik
behandelt wurden. Die 12 Mädchen und 40 Jungen waren durchschnittlich 66.20
Monate alt (SD=6.88).
Bei allen untersuchten Studienteilnehmern (N=52) konnten umschriebene oder all-
gemeine Entwicklungsauffälligkeiten festgestellt werden. Insgesamt 29 Kinder wie-
sen primär umschriebene Entwicklungsstörungen auf, wobei bei neun Kindern eine
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
270
Sprachentwicklungsstörung (F80 nach ICD-10), bei einem Kind eine umschriebene
motorische Entwicklungsstörungen (F82) und bei 19 Kindern eine primäre kombi-
nierte Entwicklungsstörung (F83) diagnostiziert wurde. Alle Entwicklungsauffällig-
keiten ließen sich auch anhand der Entwicklungsdimensionen des Entwicklungstests
für Kinder von sechs Monaten bis sechs Jahren (ET 6-6; Petermann, Stein & Macha,
2008) abbilden. 14 Kinder wiesen komorbide Verhaltensstörungen auf (Hyperkineti-
sche Störungen (F90): n=8, Störung des Sozialverhaltens (F91): n=1, kombinierte
Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92): n=1, emotionale Störun-
gen des Kindesalters (F93): n=4, elektiver Mutismus (F94.0): n=1. 18 Patienten zeig-
ten zusätzliche körperliche Erkrankungen, z.B. Asthma bronchiale. Zwei Kinder zeig-
ten neben einer primären Adipositas (E66.9) auch kombinierte Entwicklungsstörun-
gen (F83). 13 Patienten wiesen neben einer primären kombinierten Entwicklungs-
störung (F83) zusätzlich mehr als drei komorbide Erkrankungen oder Verhaltensstö-
rungen unterschiedlichster Art auf. Dazu zählen beispielsweise chronische Bronchi-
tis (J42), endokrine Störungen (E34), Immundefekte mit Antikörpermangel (D80)
Hyperkinetische Störungen (F90) oder Störungen des Sozialverhaltens (F91).
Der kognitive Entwicklungsstand aller Patienten wurde mittels des Intelligenztestes
WPPSI-III (Petermann, 2011) untersucht. Der durchschnittliche Gesamt-IQ betrug
86.94 (SD=11.57; Min=71; Max=119). Der Vergleich der Interventions- und Kontroll-
gruppe bezüglich aller kindbezogenen Entwicklungs- und Verhaltensmerkmale
bringt nach Adjustierung des Alpha-Niveaus lediglich in der kognitiven Entwick-
lungsdimension Kategorisieren einen signifikanten Leistungsunterschied hervor; die
Interventionsgruppe weist mit einem durchschnittlichen z-Wert von M=-.12
(SD=.98) einen höheren Entwicklungsstand auf als die Kinder der Kontrollgruppe
(M=-.71; SD=1.77).
Der Vergleich der Fragebogenkennwerte des Alabama Parenting Questionnaire
(APQ) zu Beginn und zum Ende der Rehabilitation lässt bei mittlerer Effektstärke
eine signifikante Verbesserung der elterlichen Erziehungskompetenzen erkennen.
Zudem ist eine signifikante Zunahme der elterlichen Selbstwirksamkeit zu verzeich-
nen. Die größte Stressbelastung wiesen die Eltern der Interventionsgruppe in den
Bereichen Hyperaktivität (M=3.23, SD=.718), Anforderungen (M=2.61, SD=.915) und
Einschränkungen auf (M=2.60, SD=.908). Kurzfristige Rehabilitationserfolge können
insbesondere für die Skalen Gesundheit, Soziale Unterstützung, Depression, Isolati-
on, Stimmung des Kindes, Kompetenzzweifel, Anforderungen, Akzeptanz und Ein-
schränkungen verzeichnet werden. Die deutlichste Abweichung zur Altersgruppen-
norm zeigt sich in der Entwicklungsdimension Handmotorik (M=-2.34; SD=2.32); die
Kinder wiesen gravierende Defizite in dieser Entwicklungsdimension auf. Die Test-
leistungen in den Entwicklungsdimensionen Körpermotorik, Handlungsstrategien
und Expressive Sprache fielen in den Risikobereich (mehr als eine und weniger als
zwei Standardabweichungen unterhalb des Altersgruppenmittels).
Der Vergleich der durchschnittlichen Testleistungen zu T1 und T2 zeigt, dass sich die
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
271
Leistungen der Kinder in sechs Entwicklungsdimensionen signifikant verbesserten.
Der größte Effekt zeigt sich dabei für die Entwicklungsdimension Kategorisieren. In
den Entwicklungsdimensionen Expressive Sprache, Sozialentwicklung und Emotio-
nale Entwicklung wurden ebenfalls Leistungsverbesserungen erzielt; diese erweisen
sich jedoch nur auf dem .05-Niveau als signifikant (Expressive Sprache: p=.048,
d=.20; Emotionale Entwicklung =.043d=.40). Ähnlich wie bei der Kontrollgruppe
zeigten sich auch bei der Interventionsgruppe zu T1 die größten Schwierigkeiten im
Bereich Hyperaktivität (M=.995; SD=.543). Positive Rehabilitationserfolge können
für die SDQ-Skalen Emotionale Probleme, Hyperaktivität, Probleme im Umgang mit
Gleichaltrigen sowie Prosoziales Verhalten beobachtet werden.
Die Fragebogenkennwerte der Eltern verbesserten sich zu T2 in der Tendenz in allen
Skalen des Eltern-Belastungs-Inventars (EBI); auf dem .05-Niveau ist eine signifikan-
te Stressreduktion für die Skalen Hyperaktivität, Gesundheit, Soziale Unterstützung,
Depression, Stimmung des Kindes, Kompetenzzweifel, Anforderungen und Ein-
schränkungen nachweisbar. Weiterhin kann ein positiver Rehabilitationseffekt auf
die Skala Selbstwirksamkeit des Parenting Sense of Competence (PSOC) festgestellt
werden. In den Skalen des Alabama Parenting Questionnaires (APQ) ist auf dem .05-
Niveaus jedoch nur für die Skala Inkonsistente Erziehung eine positive Tendenz er-
kennbar (p=.019), während für die Skalen Elterliches Engagement und Positive Er-
ziehung keine Veränderungen zu beobachten sind.
Die Testleistungen der Kontrollgruppe in den Skalen Handmotorik und Expressive
Sprache weichend gravierend von der Altersgruppennorm ab (zwei oder mehr Stan-
dardabweichungen unterhalb des Altersgruppenmittels). In den Skalen Körpermo-
torik, Handlungsstrategien und Körperbewusstsein werden Werte erzielt, die dem
Risikobereich zuzuordnen sind (mehr als eine und weniger als zwei Standardabwei-
chungen unterhalb des Altersgruppenmittels). Der Vergleich der ET6-6-Resultate zu
Beginn und zum unmittelbaren Ende des stationären Rehabilitationsaufenthaltes
lässt erkennen, dass sich die Leistungen der Kinder mit Ausnahme der Entwick-
lungsdimension Sozialentwicklung verbessern. Die deutlichsten Steigerungen erziel-
ten die Kinder in den Dimensionen Handlungsstrategien (d=.60) und Körperbe-
wusstsein (d=.65).
Bei der Aufnahme in die stationäre Rehabilitation zeigen die Kinder der Kontroll-
gruppe ihre größten Auffälligkeiten im Bereich der Hyperaktivität (M=1.04;
SD=.569). Die geringsten Werte werden in der Skala Probleme im Umgang mit
Gleichaltrigen erzielt (M=.446; SD=.473). T-Testvergleiche der durchschnittlich er-
zielten Werte in den vier Problemskalen wie auch in der Skala zum Prosozialen Ver-
halten zu Beginn und Ende der Rehabilitation fallen nach Alpha-Adjustierung für
keinen der überprüften Bereiche signifikant aus. Auf dem .05-Niveau kann eine sig-
nifikante Abnahme der Hyperaktivität verzeichnet werden (M=.927; SD= .547).
Es zeigt sich kurzfristig eine deutlichere Verbesserung der Erziehungskompetenzen
zugunsten des optimierten Schulungskonzeptes (Gruppe IG). Für alle drei Skalen des
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
272
Alabama Parenting Questionnaire (Elterliches Engagement, Positive Erziehung, In-
konsistente Erziehung) konnten größere Effekte als für die Kontrollgruppe nachge-
wiesen werden. Beide Interventionskonzepte wirken sich gleichermaßen positiv auf
die erlebte Selbstwirksamkeit (Parenting Sense of Competence) aus. Eine Reduktion
des Stresserlebens zeigte sich gleichermaßen für beide Interventionsgruppen; hier
differieren die Effektgrößen für beide Interventionsmaßnahmen nur geringfügig
voneinander. In der kindlichen Entwicklung zeigen die Kinder der Interventions-
gruppe eine deutlichere Leistungssteigerung in der Entwicklungsdimension Katego-
risieren. Für die Entwicklungsbereiche Expressive Sprache und Emotionale Entwick-
lung kann ein größerer Leistungszuwachs in der Kontrollgruppe beobachtet werden.
In der Eltern-Kind-Interaktion wurde für keine der beiden Maßnahmen ein deutli-
cher Rehabilitationseffekt nachgewiesen. Eine Reduktion der kindlichen Verhal-
tensauffälligkeiten (SDQ) zeigte sich insbesondere für das neue Interventionskon-
zept (Gruppe IG).
Nach Abschluss der Rehabilitation nahmen je 34 Eltern der Kontrollgruppe und 40
Eltern der Interventionsgruppe an der postalischen Ein-Jahres-Katamnese teil. Um
eine bessere Vergleichbarkeit der Stichproben herzustellen, wurden aus dem Da-
tenpool der Interventionsgruppe wiederum 34 Kinder ausgesucht, die in den
Merkmalen Geschlecht, Alter und Diagnose bestmöglich mit der Kontrollgruppe
übereinstimmten. Die Kinder der Kontrollgruppe waren zum Zeitpunkt der Ein-
Jahres-Katamnese 78.94 Monate alt (SD=6.81) (8 Mädchen, 26 Jungen), die Kinder
der Interventionsgruppe 78.27 Monate (SD=7.37) (9 Mädchen, 25 Jungen).
Der Vergleich der Werte im Alabama Parenting Questionnaire (APQ) zu Beginn der
Reha-Maßnahme und zur Ein-Jahres-Katamnese zeigt, dass die Eltern der Interven-
tionsgruppe langfristig ihre Erziehungskompetenzen in den Bereichen Positive Er-
ziehung (p= .17) und Inkonsistente Erziehung (p= .025) steigern konnten. Es ist je-
doch augenfällig, dass dieser Kompetenzzuwachs für keine der berichteten Skalen
statistisch bedeutsam ist. Im Bereich Elterliches Engagement (p= .930) zeigt sich
keine Veränderung der Ergebnisse zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese.
Die Ergebnisse des Parenting Sense of Competence (PSOC) zeigen für die Interven-
tionsgruppe eine Steigerung der Selbstwirksamkeit. Dieses Ergebnis ist jedoch eben-
falls nicht signifikant (p= .628). Bei der Betrachtung der Ergebnisse im Eltern-
Belastungs-Inventar (EBI) kann beim Vergleich der Werte zu Beginn der Reha-
Maßnahme und zur Ein-Jahres-Katamnese auf deskriptiver Ebene auf allen entspre-
chenden Skalen eine Reduktion des Stresslevels verzeichnet werden. Signifikante
Ergebnisse zeigen sich hierbei für die Skalen Hyperaktivität (p=.039), Gesundheit (p=
.004), Aufforderungen (p=.016) sowie Akzeptanz (p=.047) und Einschränkungen
(p=.019).
Die Betrachtung der kindbezogenen Rehabilitationserfolge bezieht sich auf die Er-
gebnisse im SDQ. Hier zeigt sich für die Interventionsgruppe ein signifikanter Rück-
gang der kindlichen Verhaltensprobleme zur Ein-Jahres-Katamnese in den Skalen
Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation
273
Emotionale Probleme (p=.014) und Hyperaktivität (p=.002). In den Skalen Probleme
mit Gleichaltrigen und Verhaltensprobleme ist auf deskriptiver Ebene ebenfalls ein
Rückgang der Werte zur Ein-Jahres-Katamnese zu beobachten. In der Skala Proso-
ziales Verhalten (p=.006) ist ein signifikanter Anstieg festzustellen.
Zur Ein-Jahres-Katamnese weist die Kontrollgruppe im APQ eine Verbesserung der
Erziehungskompetenz in den Skalen Elterliches Engagement (p= .194) und Inkonsis-
tente Erziehung (p= .161) auf. In der Skala Positive Erziehung (p= .105) zeigt sich
hingegen ein gegenteiliger Effekt: Hier zeigt sich eine Verschlechterung der Ergeb-
nisse zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese. Es ist jedoch anzumerken, dass kei-
ner dieser Effekte statistisch signifikant ist. Im Parenting Sense of Competence
(PSOC) ist zur Ein-Jahres-Katamnese eine Steigerung der Selbstwirksamkeit (p=.003)
zu beobachten. Die Ergebnisse des Eltern-Belastungs-Inventars (EBI) zeigen für alle
Bereiche eine Reduktion der elterlichen Stressbelastung zur Ein-Jahres-Katamnese.
In der Kontrollgruppe ist zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese ein statistisch
bedeutsamer Effekt für den Bereich Hyperaktivität (p=.016) beobachtbar. In der
Skala Emotionale Probleme lässt sich rein deskriptiv ein leichter Rückgang des Prob-
lemverhaltens festhalten; in der Skala Prosoziales Verhalten kann ein leichter An-
stieg beobachtet werden. Diese Ergebnisse sind jedoch nicht signifikant. In den Ska-
len Verhaltensprobleme und Probleme mit Gleichaltrigen weisen die Kinder der
Kontrollgruppe zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese durchschnittlich sogar eine
leichte Zunahme des Problemverhaltens auf. Diese Ergebnisse sind jedoch ebenfalls
nicht signifikant.
6.7 Literatur
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Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation
275
7 Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation
7.1 Allgemeine Angaben
Leitung
PD Dr. Axel Kobelt
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterin
Dipl. Psych. Franziska Walter
Zeitraum
01.01.2012 - 31.12.2014
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover
7.2 Zusammenfassung
Bei der Begutachtung von psychischen Störungen - beispielsweise bei Anträgen für
die Berentung auf Grund einer vollen Erwerbsminderung - kann es durch unter-
schiedliche Fehlerquellen zu Verzerrungen des wirklichen Beschwerdenbildes kom-
men (Dohrenbusch, Henningsen & Merten, 2011). Patienten können möglicherwei-
se Symptome übertreiben bzw. ausweiten, um gewisse Ziele zu erreichen (z.B. eine
frühzeitige Berentung). Symptomskalen, Persönlichkeitsfragebögen und Leistungs-
tests sind sehr transparent, somit ist die Zielrichtung der Verfahren auch für Laien
leicht durchschaubar und für Verzerrungen anfällig. Aus einer falschen Beurteilung
der Leistungsfähigkeit können erhebliche volkswirtschaftliche Kosten resultieren
(Schneider, 2007). Daher sind Beschwerdenvalidierungstests (BVT) in der sozialme-
dizinischen Begutachtung ein immer mehr gefordertes Standardverfahren. Es ist das
Anliegen dieses Projekts einen BVT zu entwickeln, der für psychische Erkrankungen
(z.B. Depression) sowie für die Patienten der Rehabilitation geeignet ist. Die Validie-
rung des Verfahrens stellt eine methodische Schwierigkeit dar (Kool, Meichtry,
Schaffert & Rüesch, 2008), da Simulation und Aggravation naturgemäß nicht direkt
erfragt werden können. Außerdem liegt für die indirekte Erfassung kein Goldstan-
Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation
276
dard vor. Aus diesem Grund wurde sich im Rahmen des Projekts für eine Analogstu-
die entschieden, die sich an bewährte Studien zur Entwicklung der BVT von Blaske-
witz und Merten (2006) sowie Tydecks, Merten und Gubbay (2006) anlehnt.
7.3 Stand der Forschung
Eine Forderung nach geeigneten Messmethoden zur Erfassung der Beschwerdenva-
lidität ist nachvollziehbar, wenn Untersuchungen über die Prävalenz von negativen
Antwortverzerrungen hinzu gezogen werden. Bisherige Ergebnisse vergleichbarer
Studien lassen auf einen beträchtlichen Anteil von Simulation und Aggravationen im
Begutachtungskontext schließen. In US-amerikanischen Studien (Mittenberg, Pat-
ton, Canyock & Condit, 2002) werden Simulationsraten von 8 bis 30% berichtet.
Diese Zahlen schwanken je nach Kontext der Begutachtung (30% bei Arbeitsunfä-
higkeit, 29% bei Körperverletzungen, 19% in der forensischen Abklärung, 8% bei
körperlichen Beschwerden). In ersten Studien in Deutschland fanden Merten, Frie-
del und Stevens (2006) bei 44,3% von 235 Begutachtenden einen Verdacht auf un-
zureichende Kooperativität. Auf Grund dieser Prävalenzen gibt es immer stärkere
Forderungen nach geeigneten standardisierten Methoden, die die Beschwerden-
schilderungen valide erfassen. Dabei nimmt der Störungsbereich der kognitiven
Beeinträchtigungen eine besondere Stellung ein. Nach Merten, Stevens und Blaske-
witz (2007) gehören kognitive Beeinträchtigungen bei vielen neurologischen Erkran-
kungen, psychischen Störungen sowie bei somatischen Krankheiten zum Beschwer-
denbild dazu. Sie treten demzufolge häufig auf und können Ursache verschiedener
Störungen sein. Jedoch wird der Einsatz von neuropsychologischen Instrumentarien
für die Erkennung von psychosomatischen Symptomen kontrovers diskutiert (Noe-
ker & Petermann, 2011), da diese Tests beispielsweise nicht die invalide Symptom-
darstellung, sondern die Leistungsmotivation prüfen. Weiterhin wird durch Schmidt
und Kollegen (2011) angeführt, dass die einfache Übertragung von neuropsycholo-
gischen BVT auf die Begutachtung psychischer Erkrankungen nicht ohne Weiteres
möglich ist, da in diesem Kontext nicht zwangsläufig angenommen werden kann,
dass es einen Zusammenhang zwischen guter Leistungsbereitschaft und authenti-
schem Verhalten gibt. Außerdem sind Patienten, die keine kognitiven Einschrän-
kungen wahrnehmen, oft wenig zugänglich für die Erfassung dieser Leistung. Für
den Bereich der kognitiven Störungen wurden im Kontrast zu anderen Symptombe-
reichen (z.B. Angstsymptome, depressive Symptome) Methoden entwickelt, die
einen besseren Nachweis über bewusste Antwortmanipulationen geben können.
Auf Grund der verschiedenen Untersuchungen über die Prävalenzen von negativen
Antwortzerrungen ist anzunehmen, dass eine gewisse Zahl von Patienten im Rah-
men der Begutachtung für Frühberentung Beschwerden und Symptome simuliert
bzw. aggraviert.
Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation
277
7.4 Ziele
Das Ziel des Projektes ist es, einen BVT zu entwickeln und zu validieren, der für psy-
chische Erkrankungen (z.B. Depressionen) geeignet ist. Dieser Test soll die Begut-
achtung der Berentung auf Grund einer vollen Erwerbsminderung weiterhin opti-
mieren und den Ärzten als zusätzliche Unterstützung - als Screening - zu Verfügung
stehen.
7.5 Methodisches Vorgehen
Der Fragebogen wurde anhand einer externalen Testkonstruktion entwickelt, da
dieses Verfahren zwischen den beiden Gruppen - psychisch krank vs. simulierend -
differenzieren soll. Die Itemgenerierung erfolgt auf Grundlage verschiedener Stra-
tegien. Zum Einen wurde mit Hilfe der Critical Incident Technique (CIT) (Flanagan,
1954) Urteile von Experten eingeholt, indem sie zu ihren Erfahrungen mit Simulan-
ten befragt wurden. Zum Anderen wurden schon vorhandene Selbst- und Fremdbe-
urteilungsverfahren, wie beispielsweise der SFSS (Cima et al., 2003) oder MMPI (Ha-
thaway & McKinley, 1983), als Vorlage für den neu zu konstruierenden Fragenbogen
genutzt. Das Verfahren wird entwickelt, um Patienten mit und ohne negative Ant-
worttendenzen voneinander zu unterscheiden, daher wird keine Normierung vor-
genommen, sondern ein Cut-Off Wert bestimmt.
Die Validierungsstichprobe wird aus drei Gruppen bestehen, die sich aus instruier-
ten Simulanten, psychisch Gesunden und psychisch Erkrankten zusammensetzt. Um
eine gute Kriteriumsvalidität anzustreben, wurde sich bei der Validierung des neu zu
konstruierenden Verfahrens für eine Analogstudie entschieden. Sie stellt nur eine
mögliche Methode dar, ist zudem in der Beschwerdenvalidierung vermutlich die am
häufigsten verwendete (Rogers, 1997). Der Versuchsplan lehnt sich an Studien von
Blaskewitz und Merten (2006) sowie Tydecks, Merten und Gubbay (2006) an. Der
Gruppe der instruierten Simulanten wird ein Szenario eines Patienten geschildert,
der eine psychische Erkrankung in einer sozialmedizinischen Begutachtung vor-
täuscht, um eine Berentung auf Grund einer vollen Erwerbsminderung zu erlangen.
Daran anschließend wird die Gruppe der instruierten Simulanten anhand eines Fra-
gebogens zum Szenario befragt. Darüber hinaus erhält diese Gruppe am Ende der
Testung einen Fragenbogen zur Rollenerfüllung. Die Gruppe der Nicht-Simulanten
wird ausschließlich dazu aufgefordert die Fragebögen wahrheitsgemäß auszufüllen.
Vor der eigentlichen Testung, also dem Bearbeiten des neuen Verfahrens sowie des
HEALTH 49 (Rabung, 2009), sollten alle Probanden das Beck Depressionsinventar
(BDI-II) (Kühner, Bürger, Keller & Hautzinger, 2007) und das Sreening für Somato-
forme Störungen (SOMS) (Rief & Hiller, 2008) ausfüllen. Hierfür erhalten die Betrof-
fenen die Instruktion, Fragebögen zu ihrem derzeitigen Lebensgefühl zu bearbeiten.
Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation
278
Diese Verfahren werden eingesetzt, um zu kontrollieren, ob in den jeweiligen Grup-
pen diese klar definierten Störungen vorliegen. Tabelle 1 ist der Studienablauf zu
entnehmen.
Tabelle 1: Eingesetzte Methoden in der Validierungsstudie.
Methode
Instruierte Simulanten
Psychisch Gesunde
Psychisch Erkrankte
Vor Testung BDI-II, SOMS (randomisiert dargeboten), soziodemografischer
Fragebogen
Schilderung des Szenarios
Fragebogen zur Abklärung des
Verständnisses des Szenarios
Testung
neu entwickelter BVT und HEALTH-49 (randomisiert dargeboten)
Nach Testung Fragebogen zur Rollenerfüllung
7.6 Ergebnisse
Das Projekt ist zum jetzigen Zeitpunkt in der Phase der Expertenbefragung. Ergeb-
nisse liegen bisher noch nicht vor.
7.7 Literatur
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Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
281
8 Evaluation einer kulturoffenen prästationären Informationsveranstaltung vor psychosomatischer Rehabilitation
8.1 Allgemeine Angaben
Leitung
PD Dr. Axel Kobelt
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterin
Dipl. Psych. Julia Göbber
Zeitraum
01.09.2009 - 31.08.2012
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover
8.2 Zusammenfassung
In dem Projekt sollte geprüft werden, wie die Teilnahme an einer prästationären
Informationsveranstaltung den Informationsstand, das Gesundheitswissen und die
berufsbezogene Therapiemotivationen der Teilnehmer beeinflusst. Es wurden zu
zwei Zeitpunkten demographische Angaben, die berufsbezogene Therapiemotivati-
on sowie der subjektive Informationsstand und das Gesundheitswissen erhoben.
Ergebnisse: Der subjektive Informationsstand und das Gesundheitswissen verbes-
serten sich signifikant starker bei den Patienten der Interventionsgruppe. Die Teil-
nahme hatte keinen Effekt auf die berufsbezogene Therapiemotivation. Es zeigten
sich keine Unterschiede im Effekt zwischen Migranten und Deutschen. Prästationä-
re Informationsveranstaltungen verbessern den subjektiven Informationsstand und
das Gesundheitswissen sowohl bei Deutschen, als auch bei Migranten.
Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
282
8.3 Stand der Forschung
Patienten, die vor dem Antritt einer psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung
stehen, sind oftmals nur unzureichend über den Inhalt dieser Behandlung und auch
über die ergänzenden Unterstützungsmöglichkeiten informiert. Nicht nur die Ange-
bote des gegliederten Sozialsystems und die Behandlungsinhalte, sondern auch die
eigenen Verantwortungsbereiche und die primären Ziele der Rehabilitationsbe-
handlung (Erhalt der Erwerbsfähigkeit) sind in vielen Fällen nur unzureichend be-
kannt (Best et al., 2009; Bischoff, Gönner, Erhardt & Limbacher, 2005). Eine gute
Informiertheit ist jedoch zentral für die Gesundheitskompetenz (bzw. health litera-
cy). Gesundheitskompetenz beschreibt die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die
sich positiv auf die Gesundheit auswirken (Hartung, 2011). Dabei sind die Bereiche
der persönlichen Gesundheit, der Systemorientierung, das Konsumverhalten, die
Gesundheitspolitik und die Arbeitswelt eingeschlossen (Kickbusch, 2006). Die Ge-
sundheitskompetenz steht mit gesundheitsrelevanten Outcomes in Zusammenhang
und eine geringere Gesundheitskompetenz scheint außerdem mit einer geringeren
Adhärenz zur Therapie und mit schlechteren Zugängen zu den Dienstleistungen des
Gesundheitssystems in Verbindung zu stehen (Howard, Gazmarian & Parker, 2005;
Sudore et al., 2006; Wagner, Steptoe, Wolf & Wardle, 2007).
Empirische Ergebnisse haben einen Zusammenhang gezeigt zwischen einem gerin-
gen Gesundheitswissen und einem niedrigen Gesundheitszustand sowie einem
schlechteren Wissen über Krankheitsprävention und -behandlung (Gazmararian et
al., 1999; Rudd, Moeykens & Colton, 2000). Zudem zeigt sich, dass eine geringere
Gesundheitskompetenz zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem führt (Weiss
& Palmer, 2004). Die vorhandenen Gesundheitskompetenzen wirken über die Ge-
sundheits- und Krankheitsversorgung auf die Gesundheit (Hartung, 2011). Nach
Ishikava und Yano (2008) hängt die Teilhabe im Behandlungsprozess und als Ergeb-
nis die Gesundheit des Patienten dabei von drei Faktoren ab: dem zur Verfügung
stehenden Wissen/dem Verständnis der Zusammenhange um Gesundheit, der
Selbstwirksamkeitsüberzeugung und den Informationsquellen. Als vulnerable Grup-
pen in Bezug auf die Gesundheitskompetenz gelten neben Menschen mit geringem
Einkommen auch Migranten (Kreps & Sparks, 2008; Walter, Salman, Krauth &
Machleidt, 2007). Migranten haben größere Schwierigkeiten, Zugang zu relevanten
Gesundheitsinformationen zu bekommen und sind häufiger fehlinformiert (Medici-
ne, 2002). Eine gute Informiertheit über Unterstützungsangebote ist für die Selbst-
bestimmung und Selbstgestaltung von Gesundheit jedoch zentral (Walter et al.,
2007). Hierbei ist die geringe Gesundheitskompetenz von Migranten nicht vorrangig
durch ihren kulturellen Hintergrund begründet, sondern resultiert aus einer Vielzahl
von Risikofaktoren. Migranten in der Bundesrepublik weisen tendenziell einen nied-
rigeren sozioökonomischen Status und damit eine erhöhte Anzahl von Risikofakto-
ren auf. In der psychosomatischen Rehabilitation zeigen sich bei Patienten mit Mig-
rationshintergrund schlechtere Behandlungs- und Wiedereingliederungserfolge
Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
283
(Göbber, Pfeiffer, Winkler, Kobelt & Petermann, 2010; Kobelt, Göbber & Peter-
mann, 2011; Koch & Petermann, 2011; Nickel et al., 2006).
Informations- und Vorbereitungsgruppen
Patienten kommen zum Teil ohne konkrete Erwartungen in die Rehabilitation; zu-
dem bestehen zwischen den Zielvorstellungen der Behandler und der Patienten oft
große Diskrepanzen (Meyer, Pohontsch & Raspe, 2009). Coulter und Ellins (2007)
berichten, dass informationsvermittelnde Interventionen sich positiv auf Patien-
tenwissen, den Nutzen von Gesundheitsdienstleistungen und das Gesundheitsver-
halten sowie den Gesundheitsstatus auswirken. Informations- und Vorbereitungs-
gruppen setzen am Übergang aus der häuslichen Umgebung in die stationäre psy-
chosomatische Rehabilitation an (Kobelt, Winkler & Petermann, 2011; Lange & Pe-
termann, 2010). Dieser Übergang stellt zumindest für eine Teilgruppe von Patienten
eine Barriere dar und ist bei diesen Personen durch ungünstige Einstellungen und
Erwartungen sowie durch Ängste und Motivationsdefizite geprägt. Prästationäre
Maßnahmen, beispielsweise in Gruppen, führen zu einer vergleichsweise besseren
Informiertheit der Patienten über die Rehabilitationsmaßnahme und einem ver-
gleichsweise besseren Befinden (Bischoff et al., 2005).
Es liegen bereits verschiedene Interventionen vor, mit denen Patienten auf eine
stationäre Rehabilitationsmaßnahme vorbereitet werden können, die ambulante
Rehabilitationsvorbereitung in Form von Gruppen ist bisher jedoch kaum verbreitet
und auch die Wirksamkeit strukturierter prästationärer Vorbereitungsveranstaltun-
gen ist bisher kaum systematisch evaluiert (Petermann & Koch, 2009). Kobelt et al.
(2006) untersuchten die Gründe, warum Patienten ein bewilligtes medizinisches
Heilverfahren nicht antreten. Sie weisen in dieser Untersuchung auf die Notwendig-
keit hin, Unsicherheiten der Versicherten möglichst schon im Vorfeld, beispielswei-
se durch Informationsveranstaltungen zu begegnen. Eine Informations- und Vorbe-
reitungsgruppe bietet die Möglichkeit, die Gesundheitskompetenz der Patienten
gezielt zu erhöhen. Dazu gehört auch, die Grenzen des Verantwortungsbereiches
der Rentenversicherungsträger zu erläutern und Unterschiede zwischen der Akut-
versorgung und der Leistungen durch die Rentenversicherungsträger darzustellen.
Patienten sollen so zu kompetenten Partnern und Experten werden, die Verantwor-
tung für ihr Gesundheitsverhalten übernehmen, was auch den Empfehlungen von
Dirmaier und Härter (2011) nach einer Stärkung der Selbstbeteiligung in der Rehabi-
litation entspricht. Patienteninformationen und Schulungsprogramme sollten die
Themen „berufsbezogene Interventionen“, „Nachsorge“ und „Ziele“ beinhalten.
Hierbei ist es wichtig, auch die Zielgruppen zu erreichen, die sich durch eine geringe
Gesundheitskompetenz charakterisieren lassen. Hierzu zählen Patienten mit Migra-
tionshintergrund. Um diese vulnerable Personengruppe zu erreichen und sie mit
den nötigen Informationen zu versorgen, sind kultursensible Angebote notwendig
(Kreps & Sparks, 2008; Kreuter & McClure, 2004). Ein Weg zum Abbau von Kommu-
Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
284
nikationsbarrieren ist die Informationsvermittlung in der Muttersprache (Walter et
al., 2007). Neben der sprachlichen Verständigung ist ein niedrigschwelliger Zugang
notwendig (Gardemann, 2001). Niedrigschwellige und kultursensible Angebote für
den Bereich der psychischen Erkrankungen werden auch in den „12 Sonnenberger
Leitlinien“ gefordert (Macheleidt, 2002).
8.4 Ziele
In der vorliegenden Untersuchung wurde ein Angebot entwickelt und evaluiert,
welches dem dargestellten Bedarf der Kultursensibilität und der sozialmedizinischen
Informationsvermittlung nachkommt. Die Wirksamkeit bei Patienten mit und ohne
Migrationshintergrund wurde anhand der folgenden Fragestellungen untersucht.
8.5 Methodisches Vorgehen
Inhaltliche Darstellung der prästationären Informationsveranstaltung
In der prästationären Informationsveranstaltung werden den Patienten in einem
45-minütigen Vortrag und anhand eines kurzen Filmes Grundlagen zu folgenden
Themen vermittelt:
• Einführung in die Begrifflichkeit und das Konzept „Psychosomatik“,
• Bedeutung von Arbeit,
• Ziele und Inhalte der Rehabilitationsbehandlung (Reha vor Rente, Erhalt und
Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, Forderung der Teilhabe, Mitwir-
kungspflicht),
• „Das therapeutische Team“,
• Abgrenzung zur Krankenbehandlung,
• Unterstützungsmöglichkeiten nach dem Reha-Aufenthalt (Telefonische
Nachsorge, Psychosomatisches Fallmanagement, Ambulante Psychosomati-
sche Nachsorge, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Kobelt, Grosch &
Lamprecht, 2002),
• Organisatorisches (Zuzahlungen, Übergangsgeld und Krankengeldzeiten und
• Begutachtung des Leistungsvermögens, Stufenweise Wiedereingliederung)
Der Vortrag wird durch eine PowerPoint-Präsentation unterstützt. Die Folien wer-
den den Patienten vor Beginn der Veranstaltung als Ausdruck zur Verfügung ge-
stellt. Während und nach dem Vortrag haben die Patienten die Möglichkeit, Fragen
zu stellen. Die Gruppengröße ist flexibel, die Patienten können Angehöri-
ge/Vertraute zu der Veranstaltung mitbringen. Hierin liegt ein kultursensibler As-
Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
285
pekt der Veranstaltung. Bei Personen aus familienorientierten Kulturen, wie es bei
den Haupteinwanderungsländern Deutschlands der Fall ist, ist das soziale System,
die (Groß-)Familie von zentraler Bedeutung, vor allem im Krankheitsfall. In ihr findet
der Betroffene mit übermäßiger Versorgung, der Begleitung zum Arzt und der stän-
digen Anwesenheit von Familienangehörigen, um Mitgefühl und Solidarität zu be-
kunden. Ein wie in der individualistisch denkenden deutschen Kultur üblicher wei-
testgehender Ausschluss der Familie birgt stets die Gefahr einer mangelnden Akzep-
tanz der Angebote. Weiter wurde die Präsentation, wie die Einladung und die Eva-
luationsfragebögen von einem Übersetzungsbüro ins Türkische übertragen. Da-
durch werden auch die Patienten einbezogen, die über geringe Deutschkenntnisse
verfügen. Es bietet den Patienten zudem die Möglichkeit, die wichtigsten Informati-
onen noch einmal zu Hause nachzuvollziehen und verdeutlicht die Akzeptanz und
Wertschätzung des kulturellen Hintergrundes der Patienten mit Migrationshin-
tergrund. Die Kombination aus einer deutschsprachigen Informationsveranstaltung
und muttersprachlichen Informationsmaterialien fördert die kultursensible Integra-
tion.
Abgrenzung zu anderen Angeboten
Zur Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation liegen bereits Angebote
anderer Autoren vor. Hier sind z.B. das Bad Dürkheimer Prä-Post-Projekt (Bischoff
et al., 2005) oder die patientenorientierte Vorbereitung auf psychosomatische Re-
habilitation von Lange und Kollegen (2010) zu nennen. Das vorliegende Angebot
grenzt sich von diesen Angeboten durch die klare sozialmedizinische Fokussierung
mit dem Ziel der Wissens- und Informationsvermittlung ab. In Abgrenzung zu den
bestehenden Angeboten werden keine inhaltlich-therapeutischen Themen behan-
delt. Das Angebot „Berufliche Zukunft“ des Rehazentrums Bad Eilsen hat ebenso
wie das vorliegende Konzept eine sozialmedizinische Ausrichtung (Bönisch, Dorn &
Ehlebracht-König, 2012). Es besteht jedoch aus mehreren Modulen und stellt eine
Intervention während der Rehabilitationsbehandlung dar. Gerade in der Abgren-
zung von Reha- und Akutbehandlung ist es jedoch wichtig, die Patienten schon vor
Antritt der Behandlung über sozialmedizinische Inhalte aufzuklären. In keinem der
uns bekannten Angebote werden Migranten, auch mit geringen Deutschkenntnis-
sen, welche einen besonders hohen sozialmedizinischen Informationsbedarf haben,
berücksichtigt.
Datenerhebung
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Vollerhebung bei Versicherten
der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, deren Antrag auf psy-
chosomatische Rehabilitation bewilligt wurde.
Erfassung des Migrationshintergrundes. Zur Gruppe der Patienten mit Migrations-
hintergrund wurden gemäß der Definition von Schenk et al. (2006) Personen ge-
Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
286
zählt, die in einem anderen Land geboren wurden, eine nicht-deutsche Staatsange-
hörigkeit haben, von denen Eltern oder Großeltern nicht in Deutschland geboren
wurden oder Deutsch nicht als Muttersprache erlernten.
Konstruktion eines Schichtindex. Zur Bestimmung der sozioökonomischen Situation
der Patienten wurde ein vertikaler Schichtindex anhand der Merkmale Schulbildung,
Berufsstatus und Einkommen konstruiert (Deck, 2008). Mittels dieser Einteilung
lässt sich ein Schichtindex von drei (ungünstigste Soziallage) bis neun (günstigste
Soziallage) errechnen. Personen, die unter fünf Punkte erhalten, werden der Grup-
pe A (Unterschicht), Personen, die fünf oder sechs Punkte erreichen, der Gruppe B
(Mittelschicht) und Personen, die mehr als sechs Punkte erreichen, der Gruppe C
zugeordnet (Oberschicht) (Kobelt, Lieverscheidt, Grosch & Petermann, 2010; Kobelt,
Winkler, Göbber, Pfeiffer & Petermann, 2010).
Subjektive Prognose der Erwerbstätigkeit (SPE). Die vierstufige SPE-Skala umfasst
drei Items, die eine Erfassung der subjektiven Prognose der Erwerbstätigkeit erlau-
ben. Mittag und Raspe (2003) haben einen Grenzwert für die subjektive Prognose
der Erwerbstätigkeit vorgeschlagen, anhand dessen die Gruppe der negativen und
der positiven subjektiven Prognose der Erwerbstätigkeit gebildet werden können.
Für Rehabilitanden mit einer negativen Prognose gilt, dass das Risiko, aus dem Er-
werbsleben in den nächsten fünf Jahren auszuscheiden, ohne eine individuelle, auf
ihre arbeitsplatzbezogenen Probleme zugeschnittene Betreuung, signifikant erhöht
ist.
Subjektiver Informationsstand. Der subjektive Informationsstand über die Möglich-
keiten der psychosomatischen Rehabilitation und die Angebote der DRV wurde
durch die Fragen „Ich weiß, was mich in einer psychosomatischen Rehabilitations-
behandlung mehr oder weniger erwartet.“ und „Ich fühle mich gut informiert in
Bezug auf Unterstützungsmöglichkeiten der Deutschen Rentenversicherung.“ er-
fasst. Die Patienten sollten hier jeweils auf einer vierstufigen Skala angeben, wie
sehr sie der Aussage zustimmen. Zur Abbildung des subjektiven Wissenszuwachses
wurde die Differenz des Prä-und Postwertes gebildet (Post minus Prä). Es konnten
Werte zwischen -3 (maximale Wissensreduktion) und 3 (maximaler Wissenszu-
wachs) erreicht werden.
Gesundheitswissen. Das Gesundheitswissen wurde mit Hilfe von 20 Items erhoben.
Bei den Items handelte es sich um Aussagen zum Themenbereich der psychosoma-
tischen Rehabilitation und den Unterstützungsmöglichkeiten der DRV. Die Patienten
sollten jeweils ankreuzen, ob die Aussage korrekt oder falsch ist. Zur Erfassung des
Wissenszuwachses wurde für jedes Itempaar (prä-post) eine neue Variable „Diffe-
renz Rehawissen prä-post“ gebildet. Die Einzelwerte dieser 20 neu gebildeten Vari-
ablen wurden summiert.
Fragebogen zur berufsbezogenen Therapiemotivation (FBTM). Mit dem FBTM
(Zwerenz, Knickenberg, Schattenburg & Beutel, 2005) liegt ein valides und reliables
Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
287
Verfahren vor, das die berufsbezogene Behandlungsmotivation im Kontext der psy-
chosomatischen Rehabilitation erfasst. Der Fragebogen zur berufsbezogenen The-
rapiemotivation besteht aus 24 Items. Es lässt sich ein sowohl in Gesamtscore, als
auch vier Unterskalen berechnen. In der vorliegenden Untersuchung wurde der Ge-
samtscore verwendet.
8.6 Ergebnisse
In der Kontrollgruppe musste nur eine von 86 Personen von der weiteren Analyse
ausgeschlossen werden, hier wurde auf eine Analyse verzichtet. Zwischen der Inter-
ventions- und der Kontrollgruppe zeigten sich keine Unterschiede für das Alter, die
Geschlechterverteilung, den Familienstand, den Ausbildungsstand und die subjekti-
ve Prognose der Erwerbstätigkeit. Allerdings fand sich in der Interventionsgruppe
ein höherer Anteil von Personen mit Migrationshintergrund. Aufgrund der geringen
Zahl von Patienten mit Migrationshintergrund in der Kontrollgruppe wurde nur für
die Interventionsgruppe eine gesonderte Auswertung von Deutschen und Migran-
ten vorgenommen. Es zeigten sich Unterschiede in der Schichtzugehörigkeit zwi-
schen Interventions- und Kontrollgruppe. In der Interventionsgruppe war die Unter-
schicht weniger stark und die Mittelschicht stärker vertreten als in der Kontroll-
gruppe.
90,4% (Rehabilitationsbehandlung) bzw. 94,4% (Unterstützungsangebote DRV) der
Patienten gaben an, nach der Teilnahme an einer prästationären Informationsbe-
handlung besser informiert zu sein. Es zeigt sich für den subjektiven Informations-
stand und das Gesundheitswissen ein signifikant größerer Wissenszuwachs bei der
Interventionsgruppe. Für den Gesamtscore des FBTM lasst sich weder ein Effekt des
Messzeitpunkts, noch ein Interaktionseffekt der Zeit mit Versuchsgruppe nachwei-
sen. Zwischen Migranten und Deutschen, die an der Informationsveranstaltung teil-
genommen haben, zeigen sich keine Unterschiede in der Veränderung des subjekti-
ven Informationsstandes und des Gesundheitswissens sowie der berufsbezogenen
Therapiemotivation gemessen mit dem FBTM.
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Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation
291
9 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation
9.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiterinnen
Dipl. Psych Maike Holtz
Dr. Meike Lange
Dr. Ulrike de Vries
Kooperationspartner
Rheumaklinik Bad Wildungen
Zeitraum
01.10.2010 - 31.03.2013
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen
9.2 Zusammenfassung
Die Effektivität medizinischer Rehabilitation wird durch eine Vielzahl von Faktoren
beeinflusst. Dabei spielen nicht nur der Umfang und die Qualität der medizinischen
Leistungen eine Rolle, sondern auch die Patientenzufriedenheit sowie die Beziehung
zwischen dem Arzt und Patienten. In der vorliegenden Studie soll die Wichtigkeit
unterschiedlicher Wirkfaktoren der Rehabilitation von Patienten eingeschätzt wer-
den. Anhand strukturierter Interviews mit n=48 Patienten einer orthopädisch-
rheumatologischen Rehabilitationsklinik wurden Wirkfaktoren der Rehabilitation
erfragt. Ausgehend von diesen Ergebnissen wurde im zweiten Schritt ein Fragebo-
gen entwickelt, mit dem die Wichtigkeit von 58 Wirkfaktoren bei n=77 Patienten
erhoben wurde. Der zwischenmenschliche Umgang gefolgt von den gesundheitli-
chen Veränderungen wurden von den Patienten als wichtigste Wirkfaktoren in der
Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation
292
medizinischen Rehabilitation eingeschätzt. Dabei war insbesondere „ausreichend
Zeit für ärztliche Untersuchungen und Gespräche“ sowie die „Kompetenz des Kli-
nikpersonals“ bedeutsam. Neben dem Leistungsangebot der Rehabilitation spielen
auch allgemeine Aspekte aus Sicht der Patienten eine wichtige Rolle bei der Bewer-
tung der Rehabilitation.
9.3 Stand der Forschung
In Westeuropa leiden etwa 70 Millionen Menschen unter Schmerzen. In Deutsch-
land wird die Zahl der chronischen Schmerzerkrankungen auf fünf bis acht Millionen
geschätzt (Niesert & Zens, 2005). So zeigte eine Erhebung des Robert-Koch-Instituts,
dass nur 12% der Männer und 6% der Frauen innerhalb eines Jahres keine Schmer-
zen hatten (Diemer & Burchert, 2002). Chronische unspezifische Rückenschmerzen
sind auf keine eindeutige somatische Ursache wie Tumore oder entzündliche-
rheumatische Erkrankungen zurückzuführen. Die Schmerzen persistieren über einen
Zeitraum von drei bis sechs Monaten (Kröner-Herwig, 2000). Neuhaus et al. (2005)
kamen in ihrer Studie zur Prävalenz Rückenschmerzen auf eine 12-Monates-
Prävalenz von 19%, wobei davon auszugehen ist, dass 85% der Rückenschmerzen
unspezifisch sind (Kohlmann, 2003).
Für die Behandlung von Rückenschmerzen wurden im Jahr 2005 insgesamt 2,2% des
Bruttosozialprodukts in Deutschland ausgegeben (Wenig, Schmidt & Kohlmann,
2009). Zudem belegen empirische Studien, dass sich Rückenschmerzen in den west-
lichen Industrienationen zu einem erstrangigen Gesundheitsproblem entwickelt
haben (Schmidt et al., 2005). Bei 5 bis 8% der Patienten mit akuten Rückenschmer-
zen entwickelt sich ein chronischer Verlauf (Kohlmann, 2003). Nach den Kriterien
der IASP (International Association for the Study of Pain) gilt ein Schmerz als chro-
nisch, wenn dieser länger als sechs Monate besteht. Während akute Schmerzen
über alle Phasen des Erwachsenenalters hinweg vergleichbar häufig auftreten, tre-
ten bis zum 70. Lebensjahr vor allem chronische Schmerzen häufiger auf. Dies be-
trifft insbesondere Gelenk- und Kreuzschmerzen sowie Nacken- und Schulter-
schmerzen. Hierbei sind meist mehrere Schmerzregionen gleichzeitig betroffen. Die
Hauptschmerzlokalisation stellt in epidemiologischen Studien und bei Studien zur
Inanspruchnahme des Gesundheitssystems das muskuloskelettale System dar. Ne-
ben Gelenkschmerzen und Schmerzen in den Extremitäten treten vor allem Rücken-
schmerzen auf. In den meisten Studien sind Frauen häufiger von Schmerzen betrof-
fen als Männer, eine Ausnahme bilden Rückenschmerzen (Nickel & Raspe, 2001).
Guzman et al. (2001) zeigten in einer Übersichtsarbeit über randomisierte kontrol-
lierte Studien, dass die Wirksamkeit in Form von Schmerzlinderung und Wiederher-
stellung der körperlichen Leistungsfähigkeit nur für multimodale Therapieprogram-
me mit einem zeitlichen Aufwand von über 100 Therapiestunden nachgewiesen
Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation
293
werden kann. Somit ist die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen in der Behandlung
von unspezifischen Rückenschmerzen bisher kaum nachgewiesen (Raspe, 2008).
Um die Wirksamkeit von stationärer medizinischer Rehabilitation in Deutschland bei
chronischen Rückenschmerzen zu untersuchen, führten Hüppe und Raspe (2005)
eine systematische Literaturrecherche durch. Dabei wurden 16 Studien in Bezug auf
die körperliche Funktionsfähigkeit, Katastrophisieren, Vitalität, Depressivität und
Schmerzen chronischer Schmerzpatienten analysiert. Zusammenfassend konnten
kleine (z.B. körperliche Funktionsfähigkeit) bis große Effekte (z.B. Vitalität) erzielt
werden. Jedoch zeigen die beobachteten längerfristigen Effekte eine unbefriedi-
gende Nachhaltigkeit der Rehabilitation. Bahrke et al. (2006) untersuchten den Re-
habilitationserfolg von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, bei denen die
Intervention an die suppressive Schmerzverarbeitung angepasst wurde. Die Be-
handlung umfasste einen dreiwöchigen multimodalen Rehabilitationsaufenthalt mit
somatischen und psychosozialen Anteilen. Der Erfolg der stationären Rehabilitation
erwies sich mit einer mittleren Effektstärke als gering. Die multimodale Behandlung
unter Berücksichtigung der psychosozialen Faktoren zeigt im Vergleich zur Stan-
dardbehandlung einen stärkeren Rückgang der Symptome und funktionelle Aspekte
verbessern sich deutlich.
Im Bestreben um ein optimales Qualitätsmanagement der medizinischen Rehabili-
tation ist das Gesundheits- und Krankheitsverhalten der Patienten maßgeblich
durch die subjektive Überzeugung bestimmt. Subjektive Vorstellung über eine The-
rapiemaßnahme und ihre Wirkungen wirken sich auf die Krankheitsverarbeitung
und Compliance der Patienten aus (Horne & Weinman, 1999) und somit auch auf
den Rehabilitationserfolg (Deck, Kohlmann & Raspe, 1998). Qualitätskonzepte und
versorgungsbezogene Erwartungen unterscheiden sich zwischen behandelnden
Ärzten und Patienten (Geraedts et al., 2007; Kaya et al., 2003). In diesem Zusam-
menhang untersuchten Grande und Romppel (2008) die subjektiven Qualitätsvor-
stellungen von Patienten, Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern. Dabei zeigte sich,
dass die „Kompetenz des Personals“ und die „Psychosoziale Ergebnisqualität“ von
allen drei Gruppen als bedeutsam für den Reha-Verlauf eingeschätzt wurden. Eben-
so wurden das Engagement und die Motivation des Personals sowie der Erfolg bei
der Wiederherstellung der allgemeinen Leistungsfähigkeit im Alltag des Patienten
als wichtig beurteilt.
Um mögliche Gründe zu identifizieren, die einen Behandlungserfolg bei chronischen
Rückenschmerzen vorhersagen können, führten Meyer et al. (2009) eine Analyse
zum Wirksamkeitsproblem in der stationären Rehabilitation durch. Dabei wurden
die Datensätze von 27.759 Patienten aus den Jahren 2003 und 2004 untersucht. Es
zeigte sich, dass lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und das Rentenbegehren sich un-
günstig auf den Reha-Verlauf auswirkten. Ebenso spielten auf Seiten der Patien-
tenmerkmale der Schulabschluss sowie das Alter eine Rolle. Der Umfang des Leis-
tungsangebotes stand nur im geringen Zusammenhang mit einer erfolgreichen Be-
Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation
294
handlung. Insbesondere konnte kein Hinweis darauf gefunden werden, dass das
Ausmaß der Leistungen mit den Vorgaben der Prozessleitlinien für die Rehabilitati-
on von Menschen mit chronischen Rückenschmerzen überstimmt, im Zusammen-
hang mit der Erfolgsbewertung der Patienten steht. Ein kleiner Effekt konnte für das
Ausmaß bewegungstherapeutischer Maßnahmen festgestellt werden. Vielmehr
wirkten sich die Beziehung zwischen Arzt/Therapeut und Patienten, das Ausmaß an
Zuwendung des Personals an die Patienten sowie strukturelle Rahmenbedingungen
des Rehabilitationsprozesses auf den Rehabilitationsverlauf aus. Die Bedeutung
dieser Faktoren für die Erfolgsbewertung der Rehabilitation ist noch ungeklärt.
9.4 Ziele
Das beantragte Forschungsprojekt hat zum Ziel, den Einfluss von allgemeinen Wirk-
faktoren auf den Rehabilitationserfolg zu untersuchen. Zudem sollen die Auswir-
kungen der Arzt/Therapeut-Patienten-Beziehung und die Patientenzufriedenheit
hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Rehabilitationsprozess analysiert werden.
Es soll den folgenden Fragestellungen nachgegangen werden:
• Welche Parameter schätzen Patienten der stationären Rehabilitation für ih-
ren Reha-Erfolg als wichtig ein?
• Beeinflussen diese Parameter den objektiven Reha-Erfolg?
• Wirkt sich die Patientenzufriedenheit auf den Rehabilitationsverlauf aus?
• Welchen Einfluss hat die Arzt/Therapeut-Patienten-Beziehung auf den ob-
jektiven Reha-Erfolg der Patienten?
9.5 Methodisches Vorgehen
In einer Bedarfs- und Wirksamkeitsanalyse mit einer 6-monatigen Katamneseerhe-
bung soll der Einfluss von zuvor identifizierten Wirkfaktoren, die Patientenzufrie-
denheit sowie die Arzt/Therapeut-Patienten-Beziehung bei Patienten mit unspezifi-
schen Rückenschmerzen im Rahmen stationärer Rehabilitation untersucht werden.
Die Studie gliedert sich in eine 6-monatige Vor- und eine 24-monatige Hauptstudie.
In der Vorstudie sollen anhand qualitativer Verfahren allgemeine Wirkfaktoren i-
dentifiziert werden. Die Patienten schätzen Parameter hinsichtlich ihrer subjektiven
Wichtigkeit ein. Hierzu zählen beispielsweise die Wichtigkeit von Unterstützung bei
beruflichen Problemen, - bei der Bewältigung von komorbiden psychosozialen Be-
lastungen, Kompetenz des Personals, psychosoziale Ergebnisqualität, Engagement
und Motivation des Personals, Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit, Essen in
der Klinik usw. (vgl. Grande & Romppel, 2008). Zudem werden weitere Wirkfaktoren
Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation
295
in Form von offenen Fragestellungen erhoben, die von den Patienten als bedeutsam
für ihre Genese eingeschätzt werden. Für die Hauptstudie werden die wichtigsten
Wirkfaktoren (nach Häufigkeit der Nennungen und eingeschätzter Wichtigkeitsgrad)
identifiziert.
In der Hauptstudie werden die Parameter Patientenzufriedenheit, Patienten-
Arzt/Therapeut-Beziehung (Vertrauen in den Arzt (VIA) von Glattacker, Gülich, Farin
& Jäckel, 2007), identifizierte allgemeinen Wirkfaktoren (Vorstudie), medizinischer
Erfolg, Entlassungsform, Nachsorge sowie KTL (entnommen aus den Klinikdaten)
erhoben. Die Katamnese-Erhebung erfolgt 6 Monate nach Reha-Ende. Eingeschlos-
sen werden alle Patienten in der stationären Rehabilitation mit der Diagnose Un-
spezifische Rückenschmerzen (M54 ICD-10) ab dem 18. Lebensjahr mit ausreichen-
den deutschen Sprachkenntnissen. Als Stichprobenumfänge sind N=60 (für die Vor-
studie) und N=120 (für die Hauptstudie) vorgesehen. Die Datenerhebung findet
konsekutiv in der Rheumaklinik Bad Wildungen statt. Alle in der Klinik aufgenom-
menen Patienten, die die definierten Einschlusskriterien erfüllen, werden bis zum
Erreichen der angestrebten Stichprobengröße in die Studie aufgenommen.
Die Erhebung der Daten erfolgt anhand standardisierter Fragebögen sowie selbst-
entwickelter Items zu den allgemeinen Wirkfaktoren und offenen Antwortmöglich-
keiten. Die Ermittlung der gesundheitsökonomischen Parameter erfolgt über Frage-
bögen bzw. Abfrage der AU-Daten über die Krankenkassen.
9.6 Ergebnisse
Das Projekt befindet sich derzeit in der Datenauswertung.
9.7 Literatur
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Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
299
10 Entwicklung eines Programms zur manualgestützen Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
10.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
MitarbeiterInnen
Dipl. Psych. Maren Prinz
Dr. Meike Lange
Dr. Norbert Karpinski
Zeitraum
01.04.2008 - 30.04.2012
Kooperationspartner
Marbachtalklinik Bad Kissingen
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen
10.2 Zusammenfassung
Im Rahmen des Projektes wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Rentenver-
sicherung Oldenburg-Bremen und der Marbachtalklinik Bad Kissingen eine standar-
disierte (manualisierte) Vorbereitung auf die stationäre psychosomatische Rehabili-
tation entwickelt, erprobt und evaluiert. Die Überprüfung der Effekte unterschiedli-
cher Formen der Reha-Vorbereitung erfolgte im Rahmen eines kontrollierten, pro-
spektiven Designs mit vier Messzeitpunkten und drei Untersuchungsgruppen. Auf
der Basis von uni- und multivariat durchgeführten Varianzanalysen konnte der Vor-
teil der manualisierten Vorbereitung gegenüber einem Einzelgespräch nicht eindeu-
tig festgestellt werden.
Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
300
10.3 Stand der Forschung
Um die Wirksamkeit der psychosomatischen Rehabilitation zu steigern, werden
immer häufiger Aspekte der langfristigen Betreuung diskutiert. Deck, Hüppe und
Arlt (2009) zeigte, dass eine langfristige Begleitung von den Patienten gut ange-
nommen wird und erste Erfolge erkennbar sind. Auch Vorbereitungsmaßnahmen
werden zur Effektivitätssteigerung der stationären Rehabilitation aktuell mehr be-
achtet. In diesem Zusammenhang untersuchten Bischoff, Gönner, Ehrhardt und
Limbacher (2005) den gezielten Einfluss von Vorbereitungsmaßnahmen. Die Patien-
ten nahmen an Informationsveranstaltungen und mindestens einem Einzelbera-
tungsgespräch mit dem Bezugstherapeuten teil. Die Informationsabende wurden
von den Patienten positiv bewertet (nach der Schulnoten-Skala: M=2,19) und sie
erleichterten aus Sicht der Patienten den Einstieg in eine stationäre Rehabilitation.
Zudem wurden die körperliche Anspannung und das Allgemeinbefinden günstig
beeinflusst. Allerdings wirkten sich die Maßnahmen weder positiv auf die Thera-
piemotivation noch auf die Einstellung gegenüber den Beschwerden aus. Um die
psychosomatische Rehabilitation optimal an die Patienten anzupassen, schlagen
Bückers et al. (2001) eine prästationäre Diagnostik der Therapiemotivation vor. In
anderen Studien wurde ebenfalls die prästationäre Diagnostik, in Form einer Voliti-
onsdiagnostik, als wichtige Komponente für die individuelle Therapieplanung von
psychosomatischen Patienten empfohlen (Kuhl, 2001).
10.4 Ziele
Im Rahmen des Projektes soll die bisherige Vorbereitung auf die psychosomatische
Rehabilitation durch Einführung eines standardisierten und manualgestützten Pro-
gramms optimiert werden. Die Implementation und die Effekte der optimierten
Vorbereitungsmaßnahme sollen anhand rehaspezifischer Effekte evaluiert werden.
10.5 Methodisches Vorgehen
Die vorliegende Studie wurde im Rahmen eines Projekts „Zugang zur stationären
psychosomatischen Rehabilitation“ der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Ol-
denburg-Bremen durchgeführt. Bei diesem Projekt sollte die Wirksamkeit von zwei
Vorbereitungsmaßnahmen miteinander vergleichen werden. Die Studie stellte drei
Gruppen gegenüber. Die erste Gruppe bestand aus unvorbereiteten Patienten
(=Kontrollgruppe). Diese Patienten gingen ohne vorherige Vorbereitungsmaßnah-
me, so wie es bislang bei den meisten Rehabilitationskliniken üblich ist, in den stati-
onären Aufenthalt. Eine zweite Patientengruppe nahm zur Vorbereitung an einem
Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
301
Einzelberatungsgespräch teil. Diese Art der prästationären Maßnahme wurde bis-
lang den Patienten der DRV Oldenburg-Bremen angeboten. Die dritte Gruppe be-
stand aus Patienten, die an einer neuentwickelten manualisierten Gruppenvorberei-
tung teilnehmen. Um den „Vorbereitungsbedarf“ von psychosomatischen Patienten
zu analysieren, wurde ein Fragebogen zur Vorbereitung auf die psychosomatische
Rehabilitation entwickelt, der zur prästationären Diagnostik eingesetzt werden soll.
Dieser Fragebogen wurde konzipiert, um den Informationsstand, die Motivation,
Stigmatisierungsängste und Befürchtungen der Patienten im Vorfeld einer stationä-
ren psychosomatischen Rehabilitation einschätzen zu können (vgl. Bischoff et al.,
2005). Auf diese Weise sollen wichtige Aspekte einer prästationären Maßnahme
erfasst werden.
Zudem sollte die Patientenzufriedenheit und die Effekte einer prästationären Ein-
zelberatung auf die Einstellung zur psychosomatischen Rehabilitation überprüft
werden. Im weiteren Verlauf sollte der „Vorbereitungsbedarf“ von Patienten, die
unmittelbar vor einer stationären psychosomatischen Rehabilitation stehen, unter-
sucht werden. Es wurden folgenden Fragestellungen überprüft:
• Können mit dem Fragebogen zur Vorbereitung auf die psychosomatische
Rehabilitation klinisch relevante Facetten des krankheitsbezogenen Wissens
und Einstellungen der Patienten zur psychosomatischen Rehabilitation ab-
gebildet werden?
• Wie zufrieden sind Patienten mit einem Einzelberatungsgespräch zur Vorbe-
reitung auf die stationäre psychosomatische Rehabilitation?
• Geben Patienten mit einer Vorbereitungsmaßnahme eine günstigere Einstel-
lung zur psychosomatischen Rehabilitation an als Patienten ohne Vorberei-
tungsmaßnahme?
• Lassen sich mit dem Fragebogen zur Vorbereitung auf die psychosomatische
Rehabilitation Aspekte abbilden, die den Bedarf der Patienten in Bezug auf
prästationäre Maßnahmen widerspiegeln?
Behandlung in der psychosomatischen Rehabilitation
Die Patienten blieben durchschnittlich sechs Wochen in der Reha-Einrichtung und
nahmen an den folgenden Behandlungsmaßnahmen teil:
• Gruppentherapie 3-mal wöchentlich à 60min
• Einzelpsychotherapie 1-mal wöchentlich à 60min
• Patientenschulung je nach Störungsbild 2-3-mal wöchentlich à 60 min
• Physiotherapie 3-mal wöchentlich à 60min
• Entspannungstraining in der Gruppe (Progressive Muskelentspannung nach
Jacobson oder Autogenes Training) 2-mal wöchentlich à 60min
• Frühbewegung 5-mal wöchentlich à 30min
• Sporttherapie je nach Störungsbild 3-mal wöchentlich à 60-90min
Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
302
• Lernkurs Nordic Walking 1-mal wöchentlich à 90min.
Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation: Einzelberatung
Die Patienten der IGI nahmen an einem aufklärenden und motivationsfördernden
Einzelberatungsgespräch teil, das der Sozialpädagoge der DRV Oldenburg-Bremen
führte. Das Gespräch fand in Absprache mit den Patienten entweder im häuslichen
Umfeld der Patienten, in den Räumen der DRV oder telefonisch statt. Das Bera-
tungsgespräche wurde patientenbezogen geführt und knüpfte am Vorwissen, an
der Lebens- und Motivationslage der Patienten an; dabei wurden Prinzipien der
motivierenden Gesprächsführung herangezogen (Rau & Petermann, 2008). Es wur-
de über die Möglichkeit der psychosomatischen Rehabilitation informiert, organisa-
torische und finanzielle Fragen wurden geklärt und Hilfen im Umgang mit Stigmati-
sierungsängsten angeboten.
Vorbereitung auf die psychosomatischen Rehabilitation (MaReVo)
Die Patienten der IGII nahmen an einer manualisierten Gruppenvorbereitung (Ma-
ReVo) teil. Innerhalb einer Gruppensitzung von 120 Minuten wurden die Patienten
auf den stationären Aufenthalt vorbereiten. Das Ziel dieser prästationären Maß-
nahme war es das Wissen über die psychosomatische Rehabilitation, das Vertrauen
der Patienten in die Maßnahmen und die Motivation an den Maßnahmen teilzu-
nehmen zu fördern. Die Gruppenvorbereitung umfasst fünf Module, die mit Hilfe
einer Präsentation und motivationaler Gesprächsführung den Patienten vermittelt
wurden. Im ersten Modul „Rund um die Rehabilitation“ wurden Informationen zur
Organisation und finanzielle Fragen geklärt. Das zweite Modul „Die Rehabilitation“
klärt über die unterschiedlichen Interventionen einer psychosomatischen Rehabili-
tation auf und vermittelt den Aufbau eines psychosomatischen Krankheitsmodells.
Eine Hinführung zu ersten Therapiezielen erfolgt im dritten Modul „Was bringt mir
die psychosomatisch Rehabilitation“. Im vierten Modul „Welche positiven Erwar-
tungen, welche Befürchtungen habe ich?“ soll eine realistische Erwartungseinschät-
zung der Patienten aufgebaut werden. Im letzten Modul „Was kann nach der Reha-
bilitation kommen?“ werden Informationen zur Nachsorge wie IRENA, Psychothera-
pie, Selbsthilfegruppen etc. besprochen.
Erhebungsinstrumente
Die Datenerhebung erfolgte zu Reha-Beginn (T1), Reha-Ende (T2) und (postalisch)
zwölf Monate nach Reha-Ende (T3). Die soziodemografischen Daten wurden dem
Anamnesebogen der Klinik entnommen. Die Erfassung der Schwere depressiver
Beschwerden erfolgte anhand des Beck Depressionsinventars-II (Hautzinger, Kühner
& Keller, 2006). In 21 Gruppen von Aussagen, die typische Depressionssymptome
beschreiben, wählt der Patient aus vier Antwortmöglichkeiten (0=nicht vorhanden,
Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
303
1=leichte Ausprägung, 2=mäßige Ausprägung, 3=starke Ausprägung; bezogen auf
die letzten zwei Wochen). Der Summenwert drückt die Schwere der gegenwärtigen
depressiven Symptomatik aus. Werte unter 13 Punkten gelten im BDI-II als keine
bzw. minimale depressive Symptome. Werte zwischen 14 und 19 Punkten weisen
auf eine milde Ausprägung depressiver Symptome hin, Werte zwischen 20 und 28
Punkten auf eine moderate Ausprägung. Punktwerte zwischen 29 und 63 gelten als
Hinweis auf eine schwere depressive Symptomatik.
Zur Erfassung der psychischen Beeinträchtigung wurde das Brief Symptom Invento-
ry (BSI, Kurzform der SCL-90-R, s. Prinz et al., 2008) eingesetzt. Dieser Fragebogen
erfasst mit neun Skalen („Somatisierung“, „Zwanghaftigkeit“, „Unsicherheit im Sozi-
alkontakt“, „Depressivität“, „Ängstlichkeit“, „Aggressivität/Feindseligkeit“, „Phobi-
sche Angst“, „Paranoides Denken“ und „Psychotizismus“) das Ausmaß der Beein-
trächtigungen in unterschiedlichen Bereichen. Zudem kann der Global Severity In-
dex zur Einschätzung der grundsätzlichen psychischen Belastung herangezogen
werden.
Die psychosoziale Gesundheit wurde mit den Hamburger Modulen zur Erfassung
allgemeiner Aspekte psychosozialer Gesundheit für die therapeutische Praxis
(HEALTH-49, Rabung et al., 2009) erhoben. Die HEALTH-49 erfasst mit 49 Items auf
neun Skalen „Somatoforme Beschwerden“, „Depressivität“, „Phobische Angst“,
„Psychisches Wohlbefinden“, „Interaktionelle Schwierigkeiten“, „Selbstwirksam-
keit“, „Aktivität und Partizipation“, „Soziale Unterstützung“ und „Soziale Belastung“,
wobei höhere Werte für eine bessere psychosoziale Gesundheit sprechen.
Der Fragebogen zur Erfassung der prästationären Patienten-Einstellung (10 Items)
(Karpinski et al., 2009) enthält die Skalen Wissen über die Reha-Maßnahme, Reha-
Motivation und Vertrauen in die Rehabilitation.
10.6 Ergebnisse
Zu T1 lagen die Daten von insgesamt 440 Patienten zwischen 19 und 62 Jahren
(M=44,3; SD=8,9) vor. Der Anteil der männlichen Patienten lag mit 54,4% etwas
über dem der Frauen. Zu allen Messzeitpunkten liegen die Daten von 69 Patienten
im Alter von 24 bis 60 Jahren vor (M=44,45; SD=8,1). Davon sind 46,4% männlich.
Wissen über die Reha-Maßnahme. Bei allen Gruppen nimmt das Wissen zum Be-
ginn der Reha im Vergleich zur Vorerhebung (T0) signifikant zu (F=3,197; p= .042).
Der Mittelwert der IGI liegt bei Beginn der Reha signifikant über dem der KG. Die
IGII (manualisierte Vorbereitung) unterscheidet sich nicht signifikant von der IGI und
der KG.
Reha-Motivation. Die Gruppenfaktor dieses Modells wird mit F=4,123(p= .017) sig-
nifikant. Dabei liegt der Mittelwert der IGI vor Beginn der Rehabilitation signifikant
Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
304
unter dem der KG (p= .005) und zum Beginn der Rehabilitation signifikant über dem
der KG (p= .008). IGI und IGII unterscheiden sich nicht signifikant.
Vertrauen in die Rehabilitation. Das Vertrauen steigt bei allen Gruppen zu Rehabili-
tationsbeginn signifikant an (F=24,873; p= .000). Ein Gruppeneffekt kann mit
F=2,970 (p= .052) nicht bestätigt werden.
Depressive Belastung (BDI-II). Die depressive Belastung nimmt bei allen Gruppen
über den gesamten Erhebungszeitraum signifikant ab (F=97,720; p= .000). Ein Grup-
peneffekt kann mit F=2,970 (p= .052) nicht signifikant bestätigt werden.
Gesamtwert der psychischen Beeinträchtigung (BSI). Der Gesamtwert der psychi-
schen Belastungen nimmt über alle drei Messzeitpunkte signifikant ab (F=86,662; p=
.000). Ein Unterschied zwischen den Interventionsgruppen kann aber nicht bestätigt
werden (F=516; p= .724).
Psychosoziale Gesundheit (HEALTH-49). Auf multivariater Ebene (alle Subskalen)
ergibt sich ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Vorbehandlung (F=5,35;
p<0.01). Die univariaten Befunde dieses Modells ergeben Unterschiede bei den Ska-
len „Selbstwirksamkeit“ (F=3,47; p= .01) und „Soziale Unterstützung“ (F=3,66; p=
.01). Danach verbessern sich Patienten mit einer ambulanten psychotherapeuti-
schen Vorbehandlung deutlich stärker als jene Patienten ohne Vorbehandlung.
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Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation
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Rabung, S., Harfst, T., Kawski, S., Koch, U., Wittchen, H.U. & Schulz, H. (2009). Psy-
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Teil IV: Einrichtungen, Studiengänge und Qualifikationsarbeiten
307
Teil IV: Einrichtungen, Studiengänge und Qualifikationsarbeiten
In den folgenden Kapiteln werden
• die Einrichtungen im Verantwortungsbereich des ZKPR,
• der Masterstudiengang „Klinische Psychologie“
• die Doktorandenkollegs „Klinische Kinderpsychologie“ und „Klinische Psy-
chologie“
• der Norddeutsche Verbund für Kinderverhaltenstherapie
• die Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen und
• abgeschlossene Promotionen und Habilitationen
vorgestellt.
Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
309
1 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
1.1 Einrichtungen
Psychologische Kinderambulanz am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR), Universität Bremen
Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR), Universität Bremen
Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie (NOKI) - Ausbildungsstätte zur Erlangung der Approbation zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Universität Bremen
Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche am NOKI, Universität Bremen
1.1.1 Organisation
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Prof. Dr. Ulrike Petermann
MitarbeiterInnen
Dr. Stephanie Ender, Dipl.-Psych. Christin Fischer, Dipl.-Psych. Christina Hillebrandt-
Wegener, Dipl.-Psych. Katja Hustedt, Dr. Claus Jacobs, Dr. Anja Lepach, Dipl.-Psych.
Lydia T. Linnemann, Dipl.-Psych. Lyuba Kharchenko, Dipl.-Psych. Wiebke Schlagheck,
Dr. Sören Schmidt, Dipl.-Psych. Lars Tischler, Dipl.-Psych. Laura Wintjen, Dr. Jan Wit-
thöft
Kooperationspartner
Prof. Dr. Wolf-Dieter Gerber (Institut für Medizinische Psychologie und Medizini-
sche Soziologie, Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel), Dr. Gabriele
Gerber-von Müller (Ambulanz für Verhaltensprävention in Familien [ViFa] Universi-
tätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel), Prof. Dr. Michael Siniatchkin (Zent-
Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
310
rum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt am Main), Prof.
Dr. Reiner Hanewinkel (Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, Institut für
Therapieforschung [IFT-Nord], Kiel), Vorwerker Fachklinik (Diakonie) für Kinder und
Jugendpsychiatrie, Lübeck, Gesundheit Nord Klinikum Bremen-Ost gGmbH, Klinik
für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Bremen, MediClin Müritz-
Klinikum GmbH, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psy-
chosomatik, Röbel (Müritz), Universitätsklinikum Rostock (Anstalt öffentlichen
Rechts), Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im
Kindes- und Jugendalter, Rostock, Evangelisch-Lutherische Diakonissenanstalt zu
Flensburg, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Flensburg, Klinik für Neuro-
pädiatrie am Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel, Reinhard-Nieter
Krankenhaus Städtische Kliniken gGmbH, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie, Wilhelmshaven, Regio Kliniken GmbH - Klinikum Elmshorn,
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Elmshorn, Kinder-
krankenhaus Auf der Bult Akademisches Lehrkrankenhaus, Hannover, Klinik für Kin-
der- und Jugendpsychiatrie Wichernstift gGmbH, Ganderkesee, Kinder- und Jugend-
psychiatrie, Tagesklinik und Institutsambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und -psychotherapie, Bremerhaven, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -
psychotherapie der Asklepsios Klinik Hamburg-Harburg, Fachabteilung für Kinder-
und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in der Klinikum Region Hannover Wuns-
torf GmbH, Wunstorf, Psychiatrische Klinik Lüneburg gemeinnützige GmbH - Klinik
für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Marienkrankenhaus Papen-
burg-Aschendorf GmbH
Zeitraum
Psychologische Kinderambulanz seit 1991 fortlaufend
Psychotherapeutische Ambulanz seit 2008 fortlaufend
NOKI seit 2011 fortlaufend
Psychotherapeutische Ambulanz des NOKI seit 2012 fortlaufend
1.2 Wissenschaftlicher Hintergrund
Fast 60 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden bis zum 21. Lebensjahr an psy-
chischen Problemen. Deutschlandweit leiden 21,9 Prozent unter behandlungsbe-
dürftigen emotionalen- und Verhaltensstörungen (10 Prozent Ängste, 7,6 Prozent
Störungen des Sozialverhaltens, 5,4 Prozent Depressionen). Etwa 3 bis 4 Prozent der
Kinder und Jugendlichen sind von einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-
störung (ADHS) betroffen und fast jedes dritte Kind in Deutschland leidet an wie-
derkehrenden Kopfschmerzen oder Störungen der Atemwege und Hauterkrankun-
gen. Drastisch gestiegen sind zudem Internetsucht und Fettleibigkeit (Adipositas),
Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
311
wobei letztere mit einem hohen Diabetesrisiko einhergeht. Im Rahmen der verhal-
tenstherapeutischen Versorgung ist das Angebot für betroffene Familien jedoch
seit Jahrzehnten unzureichend und steht in einem krassen Gegensatz zum Behand-
lungsbedarf. Monatelange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz für Kinder
und Jugendliche sind für viele verzweifelte Eltern und Kinder häufig Alltagsrealität
und gesundheitspolitisch höchstproblematisch. Neben der ambulanten Versorgung,
sind dabei auch Universitäten mit entsprechender besonders Expertise gefordert,
was am ZKPR zu der Etablierung verschiedener Versorgungs- und Ausbildungsein-
richtungen führte, die im Folgenden ausführlicher beschrieben werden.
1.3 Psychologische Kinderambulanz
Bereits 1991 wurde mit der Etablierung einer verhaltenstherapeutischen Ambulanz
am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen ein
wichtiger Schritt zu einer umfassenden Versorgung psychischer Erkrankungen bei
Kindern und Jugendlichen unternommen. Neben dem Fokus auf internalisierende
und externalisierende Störung bietet diese Einrichtung ein breites Versorgungs-
spektrum, welches neuropsychologische und lerntherapeutische Leistungen glei-
chermaßen umfasst. Im Einzelnen handelt es sich dabei um
• ausführliche psychometrische (auch computergestützte) Diagnostik,
• Entwicklungsdiagnostik,
• Diagnostik und Beratung bei Hochbegabung,
• Gruppentherapie für aggressive, sozial unsichere und/ oder aufmerksam-
keitsgestörte Kinder,
• neuropsychologisch, verhaltenstherapeutisch und lerntherapeutisch fundier-
te Therapie von Lese-Rechtschreibstörung und Rechenstörung,
• neuropsychologische Therapien von Patienten mit Zustand nach Schädel-
Hirn-Verletzungen (auch Erwachsene),
• Elternberatung und Elterntrainings sowie
• Begutachtungen bei verschiedenen Fragestellungen (etwa §35a SGBVIII).
Die langjährigen diagnostischen und therapeutischen Erfahrungen der Mitarbeiter
führten zur Entwicklung und Publikation verschiedener Testdiagnostika (z.B. BASIC-
MLT, Lepach & Petermann, 2008; RZD-2-6, Jacobs & Petermann, 2005) und Thera-
pieprogramme (z.B. Training für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen - ATTENTIO-
NER, Jacobs & Petermann, 2008; Training für Kinder mit Gedächtnisstörungen -
REMINDER, Lepach & Petermann, 2010; Training für Kinder mit räumlich-
konstruktiven Störungen - DIMENSIONER, Muth-Seidel & Petermann, 2008).
Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
312
1.4 Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche
Im Jahre 2008 folgte die Ermächtigung der Psychotherapeutischen Ambulanz für
Kinder und Jugendliche, die nach § 117 SGB V als Hochschulambulanz für Forschung
und Lehre. Als Teil der kassenärztlichen Versorgungeinrichtungen im Lande Bremen
nahm die Ambulanz unmittelbar und in einem hohen Umfang psychisch kranke Kin-
der und Jugendliche auf und konnte eine Versorgung im Rahmen entsprechender
Forschungsprojekte gewährleisten. Besondere Behandlungsschwerpunkte liegen in
der
• Abklärung von Behandlungsbedürftigkeit, Diagnose und Aufklärung über Be-
handlungsmöglichkeiten,
• ergänzende Schuleingangsuntersuchung bei Vorschulkindern mit Verdacht
auf emotionale und psychosoziale Beeinträchtigungen,
• Behandlung im Rahmen spezieller Studienprogramme. Im Berichtszeitraum
Behandlungsstudien zu emotionalen Störungen im Kindesalter mit Tren-
nungsangst bzw. sozialer Ängstlichkeit, zur Störung des Sozialverhaltens und
zur einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung,
• Behandlung im Rahmen von Effectiveness-Studien. Behandlung von psychi-
schen Störungen mit Prä-, Verlaufs- und Postdiagnostik sowie katamnesti-
sche Untersuchungen sowie
eEpidemiologischen Untersuchungen zu Auftretenshäufigkeit und Auftre-
tensbedingungen psychischer Störungen.
Durch Forschungsprojekte werden kontinuierlich Nachweise zur Wirksamkeit der
entsprechenden Maßnahmen erbracht und entsprechend publiziert. Dies hat zur
Folge, dass seit der Gründung der Einrichtung die Nachfrage zur Teilnahme an den
Therapieprogrammen im gesamten norddeutschen Raum kontinuierlich zunimmt.
Ein weiteres Merkmal dieser Einrichtung ist die enge Verzahnung der praktischen
Arbeit mit den Ausbildungsinhalten in den psychologischen Studiengängen der Uni-
versität Bremen (Diplom, Bachelor und Master). So besteht für Studenten innerhalb
entsprechender Studienprojekte, die Möglichkeit zur stillen Beobachtung von Dia-
gnostik- und Therapiesitzungen über Einwegscheiben.
1.5 Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie
Im Rahmen einer engen Kooperation mit dem Institut für Medizinische Psychologie
und Medizinische Soziologie (IMPS) der Universität Kiel wurde ein Ausbildungsgang
zur Erlangung der Approbation in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie etabliert.
Dies führte zur Gründung des Norddeutschen Verbunds für Kinderverhaltensthera-
pie (NOKI), welcher im März 2011 als staatlich anerkanntes Ausbildungsinstitut nach
§ 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsycho-
Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
313
therapeuten (KJPsychTh-AprV) durch die Senatorische Behörde für Soziales, Kinder,
Jugend und Frauen zugelassen wurde. Die Umsetzung der Ausbildung wird zu glei-
chen Anteilen in Bremen und Kiel realisiert und ist strukturell und inhaltlich den
Vorgaben der KJPsychTh-AprV vom 18. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3761), zuletzt
geändert durch Artikel 34b des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2515),
unterlegen (s. Tab. 1). Die strukturelle und organisatorische Verwaltung des NOKI
erfolgt ausschließlich durch die Universität Bremen.
Tabelle 1: Struktur eine KJP-Ausbildung entsprechend der Vorgaben der KJPsychTh-
AprV.
Praktische Tätigkeit
Theoretische Ausbildung
Praktische Ausbildung
Selbsterfah-rung
Supervision
Freie Spitze
1200 Stunden
in kinder- und
jugendpsy-
chiatrischer
psychothera-
peutischer
klinischer Ein-
richtung
600 Stunden in
einer von ei-
nem Sozialver-
sicherungsträ-
ger anerkann-
ten Einrich-
tung, die der
psychothera-
peutischen
oder psycho-
somatischen
Versorgung
von Kindern
und Jugendli-
chen dient.
600 Stunden
Unterricht
innerhalb der
ersten drei
Ausbildungs-
jahre
200 Stunden Grundlagen-
unterricht (Vor-
curriculum)
600 Stunden psychothera-
peutische
Behandlung
40 Stunden therapeuten-
zentrierte Selbsterfahr-
ung in der
Gruppe 80 Stunden patienten-
zentrierte
Selbsterfahr-
ung in der
Gruppe
100 Stunden Supervision
in der Gruppe
50 Stunden Einzelsuper-
vision
z.B. Arbeitsgruppe
(345-500 Std),
Fortbildungen in
Kliniken, Weiter-
bildung, Kon-
gresse, Literatur-
studium (200
Std), Überhänge
aus der Prakti-
schen Tätigkeit,
Prüfungsfall-
vorbereitung (80
Std).
∑∑∑∑ 1.800 Std ∑∑∑∑ 600 Std ∑∑∑∑ 600 Std ∑∑∑∑ 120 Std ∑∑∑∑ 150 Std ∑∑∑∑ 930 Std
Gesamtumfang der Ausbildung: 4.200 Stunden
Die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten besteht aus einer
praktischen Tätigkeit, einer theoretischen Ausbildung, einer praktischen Ausbildung
mit Krankenbehandlung unter Supervision sowie einer Selbsterfahrung, die die Aus-
bildungsteilnehmer zur Reflexion eigenen therapeutischen Handelns befähigt. Hinzu
kommen weitere 930 Stunden, die als „Freie Spitze“ angerechnet werden und die in
der Ausbildung geforderten theoretischen und praktischen Anteile inhaltlich ergän-
zen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Vor- und Nachbereitung der Seminare
Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
314
beziehungsweise der Vertiefung von konkreten Themen in Arbeitsgruppen. Pädago-
gInnen (Diplom oder Master) und SozialpädagogInnen (Diplom und Master) sowie
diejenigen Berufsgruppen, die entsprechend der Hinweise zu § 5 Abs. II Nr. 2
(KJPsychTh-AprV) zulassungsberechtigt sind absolvieren ein einführendes Spezial-
curriculum zur Erarbeitung psychologischer Grundlagen in Entwicklungspsychologie,
Lernpsychologie, Kognitionspsychologie und Psychobiologie, das der kinder- und
jugendlichenpsychotherapeutischen Ausbildung vorgeschaltet wird. Damit sollen
die durch das Psychologiestudium abgedeckten psychologischen Grundlagen er-
gänzt werden.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nehmen knapp 60 Personen an der Ausbildung zum
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Teil. Diese verteilen sich auf drei Aus-
bildungskohorten. Die Vermittlung der theoretischen Ausbildungsanteile erfolgt
durch insgesamt 22 Dozenten. Diese wurden auf der Basis ihrer fachlichen Expertise
für einen bestimmten Themenkomplex ausgewählt und qualifizieren sich in der Re-
gel zudem durch die Approbation zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
sowie entsprechende Forschungs- und Praxisaktivitäten.
1.6 Literatur
Jacobs, C. & Petermann, F. (2005). RZD 2-6 - Rechenfertigkeiten- und Zahlenverar-
beitung Diagnostikum für die 2. bis 6. Klasse. Göttingen: Hogrefe.
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gen. Das neuropsychologische Gruppentraining ATTENTIONER (3., überarb. Aufl.).
Göttingen: Hogrefe.
Lepach, A.C. & Petermann, F. (2008). BASIC-MLT - Battery for Assessment in Children
- Merk- und Lernfähigkeitstest für 6- bis 16-Jährige. Bern: Huber.
Lepach, A.C. & Petermann, F. (2010). Training für Kinder mit Gedächtnisstörungen.
Das neuropsychologische Einzeltraining REMINDER (2., überarb. Aufl.). Göttin-
gen: Hogrefe.
Muth-Seidel, D. & Petermann, F. (2008). Training für Kinder mit räumlich-konstruk-
tiven Störungen Das neuropsychologische Einzeltraining DIMENSIONER II. Göttin-
gen: Hogrefe.
Publikationen
Gerber-von Müller, G., Petermann, U., Petermann, F., Niederberger, U., Stephani,
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Gerber, W.-D., Gerber-von Müller, G., Andrasik, F., Niederberger, U., Siniatchkin, M.,
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neuropsychological functioning in children and adolescents with ADHD: An
Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter
315
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Möller, C. & Petermann, U. (2011). Kurz- und langfristige Effekte des Trainings mit
sozial unsicheren Kindern. Verhaltenstherapie, 21, 15-22.
Ortbandt, C. & Petermann, U. (2009). Effekte des Trainings mit sozial unsicheren
Kindern. Kindheit und Entwicklung, 18, 21-29.
Petermann, U. Nitkowski, D., Polchow, D., Pätel, J., Roos, S., Kanz, F.-J. et al. Lang-
fristige Effekte des Trainings mit aggressiven Kindern. Kindheit und Entwicklung,
16, 143-151.
Petermann, U., Petermann, F., Büttner, P., Krause-Leipoldt, K. & Nitkowski, D.
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hilfe: Das Training mit aggressiven Kindern. Verhaltenstherapie, 18, 101-108.
Toussaint, A., Petermann, F., Schmidt, S., Petermann, U., Gerber-von Müller, G.,
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Schmidt, S., Ender, S., Schultheiß, J., Gerber-von Müller, G., Gerber, W. D., Stein-
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verhaltenstherapeutischen Maßnahme bei Kindern mit ADHS. Kindheit und Ent-
wicklung, 21, 90-102.
Siniatchkin, M., Glatthaar, N., von Müller, G., Prehn-Kristensen, A., Wolff, S., Knö-
chel, S. et al. (2012). Behavioural treatment increases activity in the cognitive
neuronal networks in children with attention deficit/hyperactivity disorder. Brain
Topography, 25, 332-344.
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie
317
2 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen
2.1 Modelleinrichtungen
Psychotherapeutische Ambulanz (ZKPR) der Universität Bremen im Bereich Psychologische Psychotherapie im Erwachsenenalter
2.1.1 Organisation
Leitung
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann
Instituts- und Ambulanzleitung: Dipl.-Psych. Thomas Lang
Mitarbeiterinnen
Dr. Anne Kordt, Dipl. Psych. Maxie von Auer, Dr. Sylvia Helbig-Lang
Kooperationspartner
Universität Münster (Klinische Psychologie) und Universitätsklinikum Münster (Psy-
chiatrie); Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung der Universität
Münster; Universität Bielefeld (Klinische Psychologie); Institut für Psychologische
Psychotherapieausbildung Universität Bielefeld; Institut für Psychologische Psycho-
therapieausbildung Halle; Institute der Christoph-Dornier-Stiftung in Münster, Biele-
feld, Tübingen, Köln; Zentrum für Psychotherapie der Humboldt Universität Berlin
(ZPHU), Charité Berlin (Psychiatrische Klinik) und Freie Universität Berlin (Klinische
Psychologie); Universitätsklinikum Lübeck; Universität Hamburg (Klinische Psycho-
logie); Universität Würzburg (Klinische Psychologie und Psychophysiologie) und Uni-
versitätsklinikum Würzburg (Psychiatrie); Universität Frankfurt (Klinische Psycholo-
gie); Universitätsklinikum Aachen (Klinik für Psychiatrie); Universität Marburg (Klini-
sche Psychologie) und Universitätsklinikum Marburg (Klinik für Psychiatrie), Univer-
sität Braunschweig (Klinische Psychologie), Universität Greifswald (Klinische Psycho-
logie und Psychophysiologie), Universität zu Köln (Klinische Psychologie), Techni-
sche Universität Dresden (Klinische Psychologie und Psychotherapie), Universität
Mannheim (Klinische Psychologie)
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie
318
2.2 Wissenschaftlicher Hintergrund
Stiftungszweck der Christoph-Dornier-Stiftung ist die Förderung der Klinischen Psy-
chologie in Wissenschaft und Praxis. Zur Erfüllung ihres Stiftungszweckes baut die
Christoph-Dornier-Stiftung Modellambulanzen an Universitäten auf und unterstützt
diese mit Knowhow, Personal- und Sachmitteln. Die Christoph-Dornier-Stiftung bau-
te bisher solche Modellambulanzen an folgenden deutschen Universitäten auf: Bie-
lefeld, Braunschweig, Köln, Münster, Dresden, Tübingen, Düsseldorf und seit 2007
Bremen. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen der Universität Bremen und der
Christoph-Dornier-Stiftung bildet ein Kooperationsvertrag vom 01.03.2007. In die-
sem wurde festgelegt, dass die Christoph-Dornier-Stiftung zur Förderung der Klini-
schen Psychologie an der Universität Bremen ein Therapiezentrum einrichten und
betreiben wird. Entsprechend wurden ab 2007 die folgenden Einrichtungen durch
die Christoph-Dornier-Stiftung aufgebaut:
2.3 Hochschulambulanz für Forschung und Lehre
Die Psychotherapeutische Ambulanz (ZKPR) der Universität Bremen, Bereich Psy-
chologische Psychotherapie im Erwachsenenalter wurde 2008 gegründet und von
der Christoph-Dornier-Stiftung mit Personal- und Sachmitteln ausgestattet. Neben
der Anmietung und Einrichtung der Räumlichkeiten mit Möbeln und notwendiger
Technik wurden Promotionsstipendien an Diplom-Psychologen mit dem Vertie-
fungsfach Klinische Psychologie vergeben sowie eine Ambulanz- und Institutslei-
tungsstelle eingerichtet. Aufgrund der durch die Christoph-Dornier-Stiftung einge-
brachten Expertise in der Behandlung von Angst- und Zwangsstörungen gelang es
bereits kurz nach der Ermächtigung der Forschungs- und Lehrambulanz zur Patien-
tenbehandlung, die Ambulanz als Behandlungszentrum des vom Bundesministeri-
ums für Bildung und Forschung geförderten Paniknetzes zu etablieren. Dadurch
wurde die Ambulanz Teil der bisher Weltweit größten Studie zu Veränderungsme-
chanismen bei Panikstörung und Agoraphobie. Der Einbezug in diese Studie bildet
im Bereich der Panikforschung auch eine zentrale Entwicklungslinie der Ambulanz in
verschiedensten Bereichen wie Lehre, Forschung, Patientenbehandlung aber auch
im Hinblick auf Kooperationen und Weiterentwicklungen von Behandlungsstrate-
gien. So wurde die Ambulanz über Bremen hinaus sowohl für Betroffene als auch
für Ärzte, Kliniken, Psychotherapeuten und Medien eine wichtige Anlaufstelle für
Informations- und Behandlungsanfragen. Allein im Bereich Panikstörung wurden
bisher 415 Patienten im Rahmen von Studien untersucht und behandelt. Neben
dem Forschungsschwerpunkt Panikstörung und Agoraphobie gehören Forschungs-
arbeiten in den Bereichen Epidemiologie, Diagnostik (insbesondere verhaltensbezo-
gene Diagnostik mittels Ecological Momentary Assessment, EMA) sowie die Thera-
pieprozessforschung zu den Schwerpunkten der Ambulanz.
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie
319
2.4 Modellambulanz der Christoph-Dornier-Stiftung, Institut Bremen
In der Modellambulanz werden Intensivbehandlungen von ein bis zwei Wochen
durchgeführt, die einer tagesklinischen Betreuung nahe kommen. Dieses weltweit
einmalige Konzept erlaubt eine schnelle und kompakte Behandlung bestimmter
psychischer Störungen - wobei therapeutische Praxis und wissenschaftliche Er-
kenntnisse die Grundlage der Behandlungsplanung darstellen. Entsprechend wird
diese Spezialform der Behandlung auch von Patienten aus dem In- und Ausland,
aber auch von international tätigen Konzernen für ihre Mitarbeiter nachgefragt.
Entsprechend des Stiftungszweckes werden die Intensivbehandlungen wissen-
schaftlich begleitet.
Zur Förderung von Wissenschaft und Praxis im Bereich der Klinischen Psychologie
gehört auch der Aspekt Öffentlichkeitsarbeit. Neben Fachveröffentlichungen und
Kongressbeiträgen wurden durch die Ambulanzmitarbeiterinnen und Mitarbeiter
auch Vorträge in Selbsthilfegruppen, Fernseh- und Radiobeiträge sowie Artikel in
der regionalen und überregionalen Presse realisiert. Im Rahmen der Öffentlichkeits-
arbeit wurde gemeinsam mit dem AMEOS Klinikum Dr. Heines das Bremer Sympo-
sium für Psychiatrie und Klinische Psychologie ins Leben gerufen, das 2012 zum
fünften Mal stattfand. Dort werden aktuelle Themen der Klinischen Psychologie aus
Forschungs- und Praxisperspektive im Rahmen von Vorträgen einer breiten Fachöf-
fentlichkeit zugänglich gemacht.
Durch die enge Verknüpfung der verschiedenen Einrichtungen der Christoph-
Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie und der damit verbundenen Synergieef-
fekte bieten die Einrichtungen eine Plattform für Forschung und Lehre auf interna-
tionalem Niveau.
Publikationen
Emmrich, A., Beesdo-Baum, K., Gloster, A. T., Knappe, S., Höfler, M., Arolt, V. et al.
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Helbig-Lang, S., Cammin, S. & Petermann, F. (2011). Angstbezogene Verhaltenswei-
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Helbig-Lang, S., Hagestedt, D., Lang, T. & Petermann, F. (2012). Therapeutische
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Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2009). Innovative Ansätze in der klinischen Angst-
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Masterstudiengang: Klinische Psychologie
323
3 Masterstudiengang: Klinische Psychologie (Master of Science)
3.1 Organisation
Hochschullehrer
Prof. Dr. Franz Petermann
Prof. Dr. Ute Koglin
Prof. Dr. Ulrike Petermann
Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann
N.N. Professur für Klinische Psychologie des
Erwachsenenalters
PD Dr. Peter Büttner
PD Dr. Monika Daseking
PD Dr. Axel Kobelt
PD Dr. Christiane Lange-Küttner
PD Dr. Meinolf Noeker
Eckdaten
Fachwissenschaftliche Zuordnung: Psychologie
Regelstudienzeit: 4 Semester
Anzahl der ECTS-Credits: 120
Studiengebühren: keine
Studienform: Vollzeit
3.2 Module
Pflichtbereich
1. Grundlagen der Klinischen Psychologie
2. Statistik und Forschungsmethoden
3. Klinische Diagnostik
4. Spezielle Grundlagen der Klinischen Psychologie: Biologische und Entwick-
lungspsychologie
5. Klinische Neuropsychologie
6. Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters I: Störungen und Model-
le
7. Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters II: Anwendungen
8. Wahlpflichtmodul: Gesundheitspsychologie / Klinische Psychologie des Er-
wachsenenalters / Rehabilitationspsychologie
9. Praktikum
10. Master-Arbeit
Masterstudiengang: Klinische Psychologie
324
Wahlpflichtbereich
Das Modul 8 ist ein Wahlpflichtmodul, das eine freie Setzung des dritten Studien-
schwerpunkts ermöglicht. Ausgewählt können zwei von drei Vertiefungsschwer-
punkten aus den Anwendungsbereichen Gesundheitspsychologie, Klinische Psycho-
logie des Erwachsenenalters und Rehabilitationspsychologie.
3.3 Ziele
Die Klinische Psychologie stellt seit Jahrzehnten das größte und wichtigste Anwen-
dungsgebiet der Psychologie dar. Sie beschäftigt sich in ihrem Schwerpunkt mit psy-
chosozialen Problemen, Auffälligkeiten und Störungen des Menschen über die ge-
samte Lebensspanne hinweg. Darüber hinaus befasst sich die Klinische Psychologie
auch mit den psychischen Aspekten körperlicher Erkrankungen und den Folgen be-
sonderer Belastungen und Krisen, die zu Anpassungsproblemen und psychischen
Schwierigkeiten führen können.
Psychische Probleme sind in allen Alters- und Gesellschaftsgruppen weit verbreitet.
Laut Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählen psychische Stö-
rungen, wie zum Beispiel Depressionen, Alkoholmissbrauch, Schizophrenie oder
Angststörungen, weltweit zu den häufigsten und schwerwiegendsten Ursachen für
ein Leben mit alltäglichen Beeinträchtigungen. Die individuelle und gesellschaftliche
Bedeutung vieler psychischer Störungen ist dabei größer als die verschiedener
schwerer körperlicher Erkrankungen, Verletzungen oder Unfälle. Auch unter Kin-
dern und Jugendlichen haben unterschiedliche Auffälligkeiten und Probleme, wie
etwa aggressives Verhalten, ADHS, Suizidalität oder Drogenkonsum zunehmend an
öffentlichem Interesse und Bedeutung gewonnen.
Berufliche Perspektiven: Tätigkeitsfelder Klinischer Psychologinnen und Psychologen
Die Mehrheit aller Diplom-Psychologinnen und -Psychologen in Deutschland arbei-
tet in einem klinischen Berufsfeld. Das Berufsfeld beinhaltet eine große Bandbreite
möglicher Tätigkeiten, denen die Beschäftigung mit psychischen Störungen, ihren
Folgen oder ihrer Verhütung gemeinsam ist. Der Master „Klinische Psychologie“
qualifiziert damit zum einen für Tätigkeiten in der Forschung an Universitäten sowie
außeruniversitären Einrichtungen (z.B. Max-Planck-Institute, Helmholtz-Institute,
Leibniz-Institute) und insbesondere zur beruflichen Weiterqualifikation (Promotion).
Zum anderen bestehen mit dem Abschluss des Masters zahlreiche Möglichkeiten
für eine selbständige oder angestellte Tätigkeit. Darüber hinaus bildet „eine im In-
land an einer Universität oder gleichstehender Hochschule bestandene Abschluss-
prüfung im Studiengang Psychologie, die das Fach Klinische Psychologie einschließt
Masterstudiengang: Klinische Psychologie
325
[…]" (§ 5 des PsychThG) die Voraussetzung für den Zugang zu einer Ausbildung zum
Psychologischen Psychotherapeuten. Dies bedeutet, dass der Studienabschluss die
Klinische Psychologie als den Schwerpunkt ausweisen muss, damit die gesetzlichen
Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Das 1999 in Kraft getretene „Psychotherapeutengesetz“ (PsychThG) bildet die
Grundlage für die Integration nicht-ärztlicher Psychotherapeuten in die vertrags-
ärztliche psycho-therapeutische Versorgung. Hierdurch wurde neben dem medizini-
schen ein zweiter, gleichberechtigter Heilberuf geschaffen. Nach dem PsychThG ist
die Berufsbezeichnung Psychologischer Psychotherapeut geschützt und darf nur von
Diplom-Psychologen bzw. mit einem Master im Fach Psychologie nach einer umfas-
senden fachlichen Weiterbildung geführt werden. Psychologen mit diesen Abschlüs-
sen können sich nach dem Studium in einem wissenschaftlich anerkannten Verfah-
ren zum „Psychologischen Psychotherapeuten“ oder „Kinder- und Jugendlichenpsy-
chotherapeuten“ weiterbilden. Dies berechtigt sie zur selbständigen Ausübung heil-
kundlicher Psychotherapie und ist Voraussetzung zur kassenärztlichen Abrechnung
entsprechend dem Niederlassungsgesetz.
3.4 Konzept
Das Studium im Master of Science „Klinische Psychologie“ ist in drei thematische
Blöcke mit insgesamt zehn Modulen unterteilt:
• Grundlagenveranstaltungen: Grundlagen der Klinischen Psychologie, For-
schungsmethodik und Diagnostik (Module 1-4)
• Anwendungsbezogene Veranstaltungen: Störungsbezogenes Wissen, Prä-
vention, Intervention und Rehabilitation bei Kindern, Jugendlichen und Er-
wachsenen (Module 5-8)
• Praxisbezug: Praktikum und Masterabschlussarbeit (Module 9 und 10)
Das Studium dieser Module erfordert explizite Vorkenntnisse in der Klinischen Psy-
chologie und/oder Klinischen Kinderpsychologie, die in einem Bachelor-Studium der
Psychologie erworben werden müssen (im Umfang von 15 CP). So sollten die grund-
legenden Methoden der psychologischen Diagnostik exemplarisch bekannt sein (z.
B. Exploration, Anamnese, Gesprächsführung, Befunderstellung). Der Umgang mit
klinisch-diagnostischen Instrumenten (wie z. B. Interviews, Fragebögen, psychomet-
rische Tests) sollte erlernt sein und Kenntnisse der aktuellen Klassifikationssysteme
psychischer Störungen (zurzeit ICD-10, DSM-IV-TR) vorliegen.
Masterstudiengang: Klinische Psychologie
326
3.5 Erreichung der Studiengangsziele
Der Studiengang widmet sich in zwei Unterrichtssäulen:
• den allgemeinen Grundlagen und Methoden sowie der Diagnostik in der Kli-
nischen Psychologie und
• den Anwendungsgebieten mit dem Schwerpunkt „Klinische Kinderpsycholo-
gie“
Durch die umfangreichen Forschungsprojekte und -felder und der räumlichen Nähe
der o.a. Kooperationspartner ist ein enger und direkter Bezug zu aktuellen wissen-
schaftlichen Inhalten und therapeutischen Praktiken gegeben. Dabei findet auch
eine direkte Betreuung der frühen Praxisphasen im Masterstudiengang durch die
Verzahnung der Mitarbeiter der Kooperationseinrichtungen mit dem Lehrstuhl
statt.
3.6 Lernziele, Modularisierung, ECTS
Modularisierung. Der Studiengang ist vollständig modularisiert. Die Module sind
mehrheitlich über ein Studiensemester angelegt und widmen sich abgeschlossenen
Themengebieten und Inhalten. Es wird empfohlen, die Module in der vorgesehenen
zeitlichen Reihenfolge zu studieren, da die erlernten Fähigkeiten und Kompetenzen
(z.B. in den Grundlagenmodulen) das Studium der anwendungsorientierten klini-
schen Module wesentlich erleichtern. Die Grundlagenmodule überlappen sich zum
Teil im 2. Fachsemester mit den dort beginnenden anwendungsbezogenen Modu-
len, so dass Querbezüge zwischen den Modulen hergestellt werden können und
eine multidisziplinäre Sicht- und Arbeitsweise gefördert wird.
Neben den Pflichtmodulen bietet der Master ein Wahlpflichtmodul (Modul 8) in
dem die Studierenden zwei weitere Anwendungsschwerpunkte neben der Klini-
schen Psychologie im Kindes- und Jugendalter vertiefen können. Dabei stehen die
Module „Gesundheitspsychologie“, „Klinische Psychologie des Erwachsenenalters“
sowie „Rehabilitation“ als wesentliche Anwendungsgebiete der Klinischen Psycho-
logie zur Auswahl. Damit besteht die Möglichkeit, eine breite Qualifikation im Be-
reich Klinischer Psychologie zu erwerben, die gute Voraussetzungen für eine spätere
Tätigkeit in vielfältigen Berufsfeldern bietet. Aus den beschriebenen Aufgaben der
Klinischen Psychologie ergibt sich, dass im Studium der Klinischen Psychologie ver-
schiedene Inhalte bearbeitet werden. Dazu gehören der Erwerb theoretischer
Grundlagen und die kritische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Stand der wis-
senschaftlichen Forschung, die Beschäftigung mit klinisch-diagnostischen und inter-
ventionsbezogenen Basiskompetenzen und praktischen Methoden und die Reflek-
tion der eigenen Rolle in einer möglichen beruflichen Zukunft im Bereich der Klini-
schen Psychologie.
Masterstudiengang: Klinische Psychologie
327
Praxisbezogene Kompetenzen und Methoden umfassen grundlegende Aspekte, wie
den Einsatz und die Auswertung diagnostischer Instrumente, die Anwendung kli-
nisch-psychologischer Basisinterventionen sowie die Planung und Durchführung von
Evaluations- vorhaben. Für die Beschäftigung mit entsprechenden Methoden und
Basiskompetenzen eignen sich v. a. feste Lerngruppen, die möglichst früh im Rah-
men des Studiums etabliert werden sollen oder praxisbezogene Seminare, in denen
verstärkt praktische und interaktive Lernformen, wie Rollenspiele verwirklicht wer-
den können. Bei der Durchführung kleinerer, klinisch-psychologischer Forschungs-
vorhaben kann zudem eine vertiefte Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden
in der klinischen Praxis erfolgen.
Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie und -psychotherapie. Einen besonderen
Schwerpunkt in Forschung und Lehre am Studiengang Psychologie der Universität
Bremen stellt die Klinische Kinderpsychologie und -psychotherapie dar (vertreten
durch Frau Prof. Dr. U. Petermann). Das gegebene Studienangebot und seine spe-
zielle Ausrichtung bieten die Möglichkeit, sich vertiefte Kompetenzen in diesem
Bereich und besondere Voraussetzungen für eine entsprechende spätere Berufstä-
tigkeit anzueignen. Der Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie ist interdisziplinär
ausgerichtet, verhaltenstherapeutisch orientiert und den aktuellen Befunden der
wissenschaftlichen Forschung verpflichtet. An der Schnittstelle zwischen Entwick-
lungspsychologie und Klinischer Psychologie finden sich unter anderem Forschungs-
und Lehrinhalte in den verschiedenen Anwendungsbereichen Prävention und Ge-
sundheitsförderung (z.B. Prävention von Verhaltensstörungen im Kindergarten und
in der Schule), Kinderpsychotherapie (z.B. Training mit aggressiven Kinder, Training
mit sozial unsicheren Kindern, Training mit Jugendlichen) und Kinderrehabilitation
(z.B. eltern- und kindbezogene Beratungs- und Trainingsangebote bei Diabetes,
Asthma oder Übergewicht und im Bereich Entwicklungsstörungen).
3.7 Lernkontext
Lehr- und Lernformen, die im Studium zum Einsatz kommen, sind vielfältig, um dem
Anspruch gerecht zu werden, umfassendes Theoriewissen zu vermitteln und ebenso
Handlungskompetenz - vor dem Hintergrund der übergeordneten Zielsetzung einer
Verbindung von Theorie, Methodik und Anwendungsbezug. Insofern finden sich in
den einzelnen Modulen u.a. von den Lehrenden gehaltene Vorlesungen, von den
Studierenden mit eigenen Beiträgen gestaltete Seminare, selbstständiges Erarbei-
ten fachlicher Inhalte im Selbststudium unter begleitender Beratung durch die Leh-
renden oder das Arbeiten in Teams z.B. im Rahmen von Projektarbeiten.
Masterstudiengang: Klinische Psychologie
328
3.8 Exemplarische Modulbeschreibung
Modul 1
Modulbezeichnung Grundlagen der Klinischen Psychologie (GL 1) 9 CP
Modulverantwortlicher Prof Dr. Franz Petermann
Dazugehörige Lehrveranstal-tungen, Veranstaltungsformen und SWS
Grundlagen der Klinischen Psychologie, 2 SWS, Vorle-
sung
Perspektiven der Klinischen Psychologie, 3 SWS, Semi-
nar
Pflicht/ Wahlpflicht Pflichtmodul
Zuordnung zum Studienpro-gramm
MSc. Psychologie
Dauer/Lage des Moduls Einsemestriges Modul im 1. Fachsemester
Vorlesung 1. Sem 3 CP
Präsenzzeit (14 x 2 SWS): 28 Arbeitsstunden
Vor- und Nachbereitung: 30 Arbeitsstunden
Erstellung und Ergänzung Wissensspeicher: 32 Ar-beitsstunden
gesamt: 90 Arbeitsstunden
Seminar 1. Sem. 5 CP Präsenzzeit (14 x 3 SWS): 42 Arbeitsstunden
Übungen in Kleingruppen: 50 Arbeitsstunden
Kurzreferat: 30 Arbeitsstunden
Selbststudium: 28 Arbeitsstunden
gesamt: 180 Arbeitsstunden
Prüfungsvorbereitung 1 CP: 30 Arbeitsstunden
Arbeitsaufwand (workload) / Berechnung der Kreditpunkte
Zusammen 9 CP 270 Ar-
beitsstunden
Voraussetzungen Zulassung zum Studiengang MSc. Psychologie
Häufigkeit Jährlich zum Wintersemester
Sprache Deutsch und Englisch
Lernziele/Kompetenzen (Learning Outcome)
• Definitionen von (psychischer) Gesundheit und Krankheit
• Faktoren des allgemeinen Diathese-Stress-Modells psychischer Störungen, inklusive
genetischer Faktoren, biochemischer und neuropsychologischer Abläufe, sozial-
psychologischer Faktoren, intrapsychischer Unterschiede sowie individueller Lerner-
fahrungen
• Wichtige Ätiologiemodelle der Klinischen Psychologie
• Klassifikationsansätze für psychische Störungen
• Systematik und Ansatzpunkte psychologischer Interventionen in den Bereichen Prä-
vention, Therapie und Rehabilitation
• Weitere Anwendungsfelder der Klinischen Psychologie
Inhalte Vgl. Beschreibung der Lehrveranstaltungen
Prüfungsleistungen Klausur
Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie
329
4 Doktorandenkolleg: Klinische Kinderpsychologie (2006 - 2011)
4.1 Allgemeine Angaben
Sprecher
Prof. Dr. Franz Petermann
Kollegkoordination
Prof. Dr. Ute Koglin (bis 31.10.2010)
Dr. Anne Toussaint (seit 01.11.2010)
Laufzeit
01.09.2006 - 31.03.2011
StipendiatInnen
Julia Danielsson, Linda Pauline Fröhlich, Johanna Helmsen, Julia Kastner, Christine
Ortbandt, Stefan Rücker, Lars Tischler, Jan Witthöft
4.2 Hintergrund
Das Doktorandenkolleg „Klinische Kinderpsychologie“ wurde im September 2006
am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität
Bremen initiiert. Das Forschungsprogramm des Doktorandenkollegs „Klinische Kin-
derpsychologie“ beinhaltet Themenstellungen aus den beiden Schwerpunkten
• Entwicklungs- und Intelligenzdiagnostik sowie
• Diagnostik und Intervention bei Verhaltensstörungen.
Diese Bereiche stellen auch die Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte des Zentrums
für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) dar. Innerhalb des Kollegs konn-
ten acht Doktorandenstipendien vergeben werden. Im Laufe der Jahre gab es in-
nerhalb des Kollegs einige personelle Änderungen sowohl auf Seiten der Stipendia-
tInnen als auch auf bei der Kollegkoordination (vgl. Tab. 2). Frau Dr. Ute Koglin trat
im Juni 2007 die Nachfolge von Frau Dr. Judith Barmer als Kollegkoordinatorin an.
Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie
330
4.3 Forschungsprogramm des Doktorandenkollegs
Die Klinische Kinderpsychologie entstand als Teildisziplin der Psychologie an der
Schnittstelle zwischen Klinischer Psychologie und Entwicklungspsychologie. In Ab-
grenzung zur Entwicklungspsychologie, die sich mit der normalen Entwicklung von
Kindern und Jugendlichen beschäftigt, untersucht die Klinische Kinderpsychologie
die Entstehung und Auswirkungen von psychischen Störungen.
Die Fragestellungen aus dem Bereich der Klinischen Kinderpsychologie nehmen Be-
zug auf die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Entwicklungsverlauf al-
tersspezifische Aufgaben und Anforderungen bewältigen müssen und zudem von
ihren erwachsenen Bezugspersonen abhängig sind. Aus diesen Konstellationen er-
geben sich spezifische Fragestellungen, mit denen sich die Klinische Psychologie des
Erwachsenenalters nicht auseinandersetzen muss. Im Folgenden werden einige Fra-
gestellungen beispielhaft aufgelistet.
• Welche Merkmale bilden Frühindikatoren für psychische Störungen und wie
früh kann man solche „Vorläufer“ zuverlässig bestimmen?
• Welche entwicklungs- bzw. altersbedingten Vulnerabilitäten kennzeichnen
die frühe Entwicklung eines Kindes und aufgrund welcher Mechanismen tre-
ten Entwicklungsabweichungen auf?
• Von welchen Bedingungen hängt die psychische Widerstandsfähigkeit eines
Kindes im Kontext der Alltags-, Krankheits- und Krisenbewältigung ab?
• Welche Faktoren bestimmen das Belastungsempfinden und die Bewälti-
gungskompetenz eines Kindes und wie wird dies durch familiäre Prozesse
moderiert?
Diese und ähnliche Fragestellungen wurden im Rahmen des Kollegs spezifiziert und
bearbeitet. Die Klinische Kinderpsychologie wendet sich gemeinsam mit ihren
Nachbardisziplinen vor allem der Ätiologieforschung, der Diagnostik und der Inter-
vention zu. Für die Anwendungsgebiete lassen sich die folgenden Bereiche unter-
scheiden:
• Prävention und Gesundheitsförderung im Kindesalter
• Klinische Kinderneuropsychologie
• Pädiatrische Psychologie
• Kinderpsychotherapie
• Kinderrehabilitation
Den StipendiatInnen wurde eine theoretische und empirische Fundierung ihrer Ar-
beit auf Basis dieser Schwerpunkte ermöglicht, wobei gleichzeitig ein Praxisbezug
hergestellt wurde. Durch den Praxistransfer hatten die StipendiatInnen die Mög-
lichkeit, Fertigkeiten und Kompetenzen zur diagnostischen oder therapeutischen
Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Hierzu wurde den StipendiatInnen
je nach inhaltlicher Ausrichtung die Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit oder Hospita-
Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie
331
tion in der Klinischen Kinderambulanz, der Hochschulambulanz für Forschung und
Lehre oder an anderen Kliniken eingeräumt.
Durch die Ausgestaltung des Studienprogramms sollten die StipendiatInnen zum
selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten geführt werden. Es wurden Fertigkei-
ten und Kompetenzen vermittelt, die von praktischen Herangehensweisen bei der
Organisation eines Forschungsprojekts (z. B. Bahnung von Kooperationen, Stichpro-
benrekrutierung) bis hin zur wissenschaftlichen Publikation führten. Die Stipendia-
tInnen wurden dabei unterstützt, eine unabhängige Einschätzung wissenschaftlicher
Befunde zu erlangen und diese kritisch zu diskutieren.
4.4 Studienprogramm des Kollegs
Nachdem vor allem in der Anfangsphase des Kollegs einige personelle Veränderun-
gen stattfanden, im Zuge derer einige freie Stellen später neu besetzt wurden, wie-
sen die StipendiatInnen nicht zu jedem Zeitpunkt den gleichen Wissens- und For-
schungsstand auf. Die Studienangebote wurden daher in einem flexiblen Baukas-
tensystem angeboten, indem zum Teil verbindliche, aber auch individuell zuge-
schnittene Pflicht- oder Wahlveranstaltungen angeboten wurden. Auch die inhaltli-
che Ausgestaltung der einzelnen Fragestellungen veränderte sich durch die Rück-
meldungen der StipendiatInnen sowie durch aktuelle Anforderungen der For-
schungsvorhaben im Laufe der Zeit. Es konnten alle StipendiatInnen des Kollegs ihre
Forschungsprojekte erfolgreich abschließen und ihre Dissertationen fertig stellen.
Die Promotionsverfahren sind bis auf eine Ausnahme abgeschlossen. Auch die Kol-
legkoordinatorin Frau Prof. Dr. Ute Koglin wurde Ende 2011 im FB 11 habilitiert.
Die StipendiatInnen wurden nach der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Arbeit ver-
schiedenen Arbeitsgruppen des ZKPR zugeordnet. Dadurch wurde gewährleistet,
dass ein regelmäßiger und intensiver Austausch zwischen Wissenschaftlern mit ähn-
lichen Fragestellungen stattfand. Die Arbeitsgruppen wurden angeleitet durch
• Gruppe A: Frau Prof. Dr. Ulrike Petermann: Klinische Kinderpsychologie
• Gruppe B: Frau PD Dr. Monika Daseking: Testentwicklung
• Gruppe C: Frau Dr. Ute Koglin: Prävention und Verhaltenstrainings
Die Doktoranden nahmen an Methoden- und Statistikfortbildungen von Herrn Prof.
Dr. H.-C. Waldmann teil, die sie befähigen, selbstständig und korrekt mit Daten um-
zugehen; dazu gehörten die Themen Datenkodierung, Datenbanken, Umgang mit
Missing Values in Datensätzen sowie explorative Datenanalyse mit SPSS. Damit
wurden Grundalgen abgedeckt, die notwendige Voraussetzung für die Datenaufbe-
reitung und erste Auswertungen sind und die Datenqualität entscheidend beein-
flussen. Individuell wurde für drei StipendiatInnen die Gelegenheit zur praktischen
Tätigkeit unter Anleitung und Hospitation in kooperierenden Einrichtungen ermög-
Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie
332
licht. Zudem wurden die StipendiatInnen dabei unterstützt, Publikationen anzufer-
tigen. Dazu wurden sie in Publikationen der Lehrstuhlinhaber einbezogen oder es
wurden erste Publikationen zum Dissertationsthema angefertigt. Es fand ein indivi-
duelles Coaching durch Prof. Dr. Franz Petermann statt. Es wurde zudem eine Ver-
netzung der Forschungsschwerpunkte der StipendiatInnen mit dem Diplomstudien-
gang Psychologie angestrebt. Dazu wurden Studenten aus dem Hauptstudium ein-
gebunden, die auf diese Weise die Möglichkeit bekamen, ihre Diplomarbeiten durch
die Bearbeitung aktueller Fragestellungen zu verfassen. Die Diplomarbeiten wurden
von den StipendiatInnen in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Arbeitsgrup-
penleitern betreut.
4.5 Dissertationsthemen der StipendiatInnen
Tabelle 1 führt die die Dissertationsthemen der einzelnen StipendiatInnen auf.
Tabelle 1: StipendiatInnen und Thema der Dissertation.
StipendiatInnen Thema
Danielsson, Julia Klinische Validierungsstudie einer neuropsychologi-
schen Testbatterie bei Kindern mit Rolando-Epilepsie
im Kindergarten- und Grundschulalter
Fröhlich, Linda Paulina
Sprachentwicklungsrisiken und Förderung bei Vorschul-
kindern
Helmsen, Johanna Einfluss emotionaler und sozial-kognitiver Prozesse auf
das aggressive Verhalten bei Kindern im Kindergarten-
alter
Kastner, Julia Entwicklungsbedingte Koordinationsstörungen: Eine
Kohorten-Vergleichsstudie zum Ausmaß kognitiver und
psychosozialer Beeinträchtigungen
Möller (geb. Ortbandt),
Christine Überprüfung der Wirksamkeit des „Trainings mit sozial
unsicheren Kindern“
Rücker, Stefan Konzept und Durchführung einer Katamnese-Studie
zum Verlauf erzieherischer Hilfen nach KJHG
Tischler, Lars Evaluation des Gruppentrainings „ATTENTIONER“ für
Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen
Witthöft, Jan Aggressives Verhalten im Kindes- und Jugendalter
Publikationen
Büttner, P., Rücker, S., Petermann, U. & Petermann, F. (2010). Anschlusshilfen als
Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie
333
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Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie
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Doktorandenkolleg Klinische Psychologie
337
5 Doktorandenkolleg: Klinische Psychologie (2012-2016)
5.1 Allgemeine Angaben
Sprecher
Prof. Dr. Franz Petermann
Kollegkoordination
N.N.
Laufzeit
01.07.2012 - 31.03.2016
StipendiatInnen
Lobeck, Annette, Kullik, Angelika, Korsch, Franziska, Pauls, Franz, Piegza, Magdale-
na, Theiling, Johanna, Walter, Franziska, Weber, Hanna, Göbber, Julia
5.2 Ziele, Konzepte und Methodik
Aufgrund der inhaltlichen Erweiterung findet die zweite Förderperiode des Dokto-
randenkollegs unter dem Titel „Klinische Psychologie“ statt. Unter diesem Titel las-
sen sich Forschungsthemen von hoher gesellschaftlicher Relevanz zusammenfassen.
Die meisten psychischen Störungen des Erwachsenenalters haben ihren Ursprung
im Kindes- und Jugendalter, wobei die Auftretensraten von Verhaltens- und Leis-
tungsstörungen in dieser Altersgruppe besorgniserregend hoch sind. Da dennoch
bislang nur relativ wenig darüber bekannt ist, welche Faktoren dazu beitragen, dass
ein Kind einen fehlangepassten Entwicklungsweg einschlägt. Als zentrale Risikofak-
toren gelten sozial- und migrationsbedingte Benachteiligungen. Innerhalb der Bre-
mer Interventionsstudie sollen die Effekte vorschulischer Interventionsmaßnahmen
auf soziale und kognitive Entwicklungsprozesse von Kindern anhand einer umfang-
reichen Datenbasis im Längsschnitt untersucht werden. Da Risikofaktoren und ent-
sprechend auch Interventionsmaßnahmen abhängig vom Alter bzw. Entwicklungs-
stand eines Kindes unterschiedliche Wirkungen entfalten können, wird durch eine
längsschnittliche Untersuchung die Zeit als zusätzlicher Faktor mit erfasst.
Auch für den Erwachsenenbereich werden die Themen der sozialen und Ungleich-
heit und die Migrationsproblematik aufgegriffen. Im Rahmen der Raheforschung
Doktorandenkolleg Klinische Psychologie
338
werden dabei vor allem kulturelle und soziale Einflüssen bei psychischen Störungen
sowie die kultursensible Versorgung von Migranten/innen mit psychischen Störun-
gen untersucht. Ein zweiter Schwerpunkt soll in der Entwicklung eines Beschwerde-
validierungstests liegen. Tests dieser Art werden in der psychiatrischen Begutach-
tung häufig eingesetzt, werden aber immer noch kritisch diskutiert. Die Tests kön-
nen ein suboptimales Leistungsverhalten und eine negative Antwortverzerrung fest-
stellen, erlauben aber keine Unterscheidung zwischen bewusster Simulation bzw.
Aggravation und unbewussten Symptomen wie sie bei der somatoformen Störung
vorkommen.
Dem Kolleg werden daher zwei StipendiatInnen aus dem Bereich der Rehabilitati-
onspsychologie angegliedert. Als PromotionsstipendiatInnen der Deutschen Ren-
tenversicherung Hannover-Braunschweig werden sie inhaltlich von Herrn Prof. Dr.
Axel Kobelt betreut und angeleitet, der sich schwerpunktmäßig mit der Effektivität
psychosomatischer Rehabilitation und sozialer Ungleichheit, der Flexibilisierung
psychosomatischer Rehabilitation, der medizinisch-beruflichen Rehabilitation, der
psychosomatischen Nachsorge und dem Fallmanagement, der Reintegration von
Menschen mit einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund psychischer
Krankheiten und der Beschwerdevalidierung beschäftigt. Entsprechend leitet er
folgende Projekte:
• Verbesserung der Erwerbsprognose durch gezielte medizinisch-berufliche
Rehabilitation in der Psychosomatik
• Flexibilisierung psychosomatischer Rehabilitation mit Fallmanagement für
Versicherte mit negativer Erwerbsprognose
• Migranten in der psychosomatischen Rehabilitation
• Evaluation eines Fallmanagements im Rahmen psychosomatischer Nachsor-
ge
• Telefonische Nachsorge
• Beschwerdevalidierung im Rehaantragsverfahren
Die Teilnehmer/innen des Kollegs werden entweder Doktorandenstipendien erhal-
ten oder als wissenschaftliche Mitarbeiter/innen (50% Beschäftigung) am ZKPR an-
gestellt werden. Die Stipendien und Stellen sollen zwischen April und Juli 2011 be-
setzt werden. Von den zukünftigen Promovierenden wird erwartet, dass sie sich im
Rahmen des Doktorandenkollegs „Klinische Psychologie“ wissenschaftlich weiter-
qualifizieren.
5.3 Themenschwerpunkte
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die StidpendiatInnen und Themenbereiche der
zweiten Förderphase.
Doktorandenkolleg Klinische Psychologie
339
Tabelle 1: StipendiatInnen und Thema der Dissertation.
StipendiatInnen Themenschwerpunkt
Lobeck, Annette Prävention im Kindesalter
Kullik, Angelika Förderung von benachteiligten Kindern
Korsch, Franziska Entwicklungsauffälligkeiten bei Schulanfängern
Pauls, Franz Gedächtnis im Erwachsenenalter
Piegza, Magdalena Evaluation des Fallmanagements nach psychosomatischer Rehabili-
tation
Theiling, Johanna Intelligenzdiagnostik
Walter, Franziska Beschwerdevalidierung
Weber, Hanna Assessment in der Jugendhilfe
Göbber, Julia Migration und Gesundheit
5.4 Studienprogramm
Die ersten beiden Semester dienen als Eingangs- und Einarbeitungsphase. Es ist eine
intensive Betreuung der Doktoranden durch die Kollegkoordinatorin und ein Be-
treuungsteam von Experten geplant. Dabei soll der durch die Ausschreibung be-
kannte thematische Rahmen der Dissertation zu einem inhaltlich und methodisch
sinnvollen sowie zeitlich realisierbaren Versuchsplan spezifiziert werden sowie je-
weils ein Exposé zum Forschungsvorhaben erstellt werden, damit die Mitarbei-
ter/innen vom Promotionsausschuss Dr. rer. nat. als Doktoranden an der Universität
Bremen angenommen werden und sich entsprechend als PromotionsstudentInnen
einschreiben können. Dabei sollen Qualitätsstandards wie das Erarbeiten von Be-
treuungsvereinbarungen, Zeit- und Entwicklungsplänen und die Berichtspflicht um-
gesetzt werden, um eine strukturierte Promotionsausbildung zu gewährleisten.
Durch Prof. Dr. H.-C. Waldmann werden auch weiterhin Veranstaltungen zur Me-
thoden- und Statistikkompetenz angeboten werden. Dabei werden Grundlagen
vermittelt, die Voraussetzung für eine selbstständige wissenschaftliche Arbeit und
eigenständige kritische Reflexion von Studienergebnissen sind. Die Doktoranden
erhalten zudem die Möglichkeit, am Online-Teaching teilzunehmen. Es handelt sich
dabei um einen in Deutschland einmaligen Katalog und Zugang zu statistischen Ver-
fahren, der ein selbstgesteuertes und individuelles Lernen ermöglicht
(http://samson.fire.uni-bremen.de/waldmann/courses/index.html). Dabei werden
Kenntnisse in und der Umgang mit innovativer Kommunikationstechnologie geför-
dert. Zum Online-Teaching wird ebenfalls eine Einführungsveranstaltung für die
StipendiatInnen angeboten. Zusätzlich wird jedem Doktoranden eine individuelle
Methoden- und Statistikbetreuung angeboten.
Neben diesem institutsinternen Programm wird eine intensive Inanspruchnahme
Doktorandenkolleg Klinische Psychologie
340
und Zusammenarbeit mit den an der Universität Bremen bestehenden Angeboten
für Promovierende erwartet. Hierbei werden vor allem die Angebote des Promoti-
onszentrums der Universität Bremen ProUB genutzt. Als Servicestelle macht das
Promotionszentrum diverse Angebote zur Förderung von Promovierenden. Die Teil-
nehmer/innen des Doktorandenkollegs „Klinische Psychologie“ sollen ermuntert
werden, die entsprechenden Beratungsangebote und das Qualifizierungsprogramm
des Zentrums in Anspruch zu nehmen. Sie erhalten dort eine gute Möglichkeit der
Orientierung zu Promotionsbeginn sowie die Chance sich in Doktorandennetzwer-
ken zu organisieren und interdisziplinär auszutauschen. Im Rahmen des Qualifizie-
rungsprogramms erscheinen vor allem Workshops wie Promotionserfolgsteams
(Peer-to-Peer-Coaching), Promotionsmanagement und Arbeitsstrategien, Wissen-
schaftliches Arbeiten, Kommunikation und Präsentation aber auch Hochschuldidak-
tik als viel versprechende Ergänzungen zu dem fachspezifischen Betreuungsangebot
am ZKPR. Zudem sollen auch die speziell für den Fachbereich 11 angebotenen Un-
terstützungsangebote genutzt werden. Die Doktoranden/innen können sich auf der
Stud.IP-Seite der Universität Bremen für die Veranstaltung PromotionsCommuni-
[email protected] registrieren und werden dort über aktuelle Angebote informiert. Unter
anderem werden dort Coaching-Sprechstunden für Promotionsinteressierte und
Promovierende des Fachbereichs 11 angeboten, in denen es um Entscheidungs- und
Themenfindung, Projektentwicklung, Entwicklung von Forschungsfragen, Konzept,
Design, Aufbau, kreative Umsetzungsmöglichkeiten, aber auch um Selbstmanage-
ment, Selbstmotivation und Selbstdisziplin, Entspannung und Wohlbefinden, Stra-
tegien zum Konfliktmanagement und guter Kommunikation sowie Arbeits- und
Schreibtechniken sowie den Umgang mit Schreibblockaden, Erschöpfung und Bur-
nout geht. Auch in Bezug auf die Vorbereitung auf das Promotionskolloquium und
anschließende Karriereplanungen werden hier Hilfestellungen angeboten.
Promotionen und Habilitationen
341
6 Promotionen und Habilitationen
Von 2005 bis 2012 wurden im ZKPR 45 Promotionen erfolgreich abgeschlossen und
folgende Personen konnten im Berichtszeitraum erfolgreich ihr Habilitations-
verfahren abschließen:
PD Dr. Dieter Büttner Zur Wirkungsforschung in der Jugendhilfe: Positionsbestimmung und empirische
Studien aus der Perspektive der Psychologie
PD Dr. Monika Daseking Psychologische Diagnostik: Ansätze und Trends der Entwicklungs- und
Intelligenzdiagnostik
PD Dr. Axel Kobelt Verbesserung der Situation psychisch Kranker durch Maßnahmen der
medizinischen Rehabilitation
PD Dr. Ute Koglin Aggressives Verhalten im Kindesalter: Aktuelle Forschungstrends und Prävention
PD. Dr. Christiane Lange-Küttner Objekte, Orte und Raumsysteme in Entwicklung und Lernen
PD Dr. Meinolf Noeker Funktionelle und somatoforme Störungen im Kindes- und Jugendalter
PD Dr. Matthias Spranger Neurotoxische und neuroprotektive Faktoren bei ZNS-Läsionen
Teil V: Symposien und Kongresse
343
Teil V: Symposien und Kongresse
Der Rehabilitationswissenschaftliche Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen
veranstaltete von 2005 bis 2009 folgende Symposien zu folgenden Themen:
• „Gesundheitsökonomie und Reha-Ökonomie“ (2005)
• „Medizinische Rehabilitation von Jugendlichen (2006)
• „Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation“ (2009)
Ein Bericht des letztgenannten Symposiums aus dem Jahre 2009 („Neue Ansätze in
der psychosomatischen Rehabilitation“) wird auf den folgenden Seiten abgedruckt.
Unter Mitwirkung des ZKPR (gemeinsam mit der DRV Oldenburg-Bremen und DRV
Bund) wurde zudem das 17. Rehabilitationswissenschaftliche Kolloquium mit dem
Thema „Evidenzbasierte Rehabilitation zwischen Standardisierung und Individuali-
sierung“ vom 03. bis 05.03.2008 mit 1300 Teilnehmern in Bremen realisiert.
Die Krönung der Aktivitäten während dieser Berichtsperiode bildet zweifellos der
47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie mit 3000 Teilnehmern und
über 2500 Vorträgen/Postern (Kongresspräsident: Prof. Dr. Franz Petermann; Kon-
gressorganisation: Prof. Dr. Franz Petermann, Prof. Dr. Ute Koglin). Auch zu diesem
Kongress findet sich auf den folgenden Seiten ein kurzer Bericht.
Symposium des RFNB
345
1 Symposium des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen (RFNB): Neue Ansätze in der psychosomatischen
Rehabilitation
1.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Mitarbeiter
Dr. Ulrike de Vries
Kooperationspartner
Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen
Finanzierung
Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen
1.2 Tagungsbericht
Am 4. Dezember 2009 fand das von knapp 90 Teilnehmern besuchte Symposium
zum Thema Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation in Bremen statt.
Neben dem Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbund Niedersach-
sen/Bremen (geschäftsführender Sprecher: Prof. Dr. F. Petermann) war die Deut-
sche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen Mitveranstalter. Nach einem Gruß-
wort von Frau Priv. Doz. Dr. Aike Hessel (Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-
Bremen) und einer Einführung von Herrn Prof. Dr. Petermann wurde in acht Plenar-
vorträgen die Thematik repräsentativ zur Diskussion gestellt.
Vor dem Hintergrund, dass psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung kontinu-
ierlich zunehmen und Jahre 2020 psychische Störungen die zweithäufigste Ursache
für Arbeitsausfälle sein werden, sind nachhaltige Strategien zur Erhaltung der Er-
werbsfähigkeit und des Arbeitsplatzes dringend erforderlich (Petermann & Koch,
2009). Jedoch wird immer noch ein zu geringer Erwerbsbezug in der medizinischen
Rehabilitation bei gleichzeitiger Verbesserung der psychischen und somatischen
Symposium des RFNB
346
Funktionsfähigkeit beklagt. Dr. Axel Kobelt (Deutsche Rentenversicherung Braun-
schweig-Hannover) stellte in seinem Beitrag „Erwerbsbezug in der psychosomati-
schen Rehabilitation“ zur Diskussion, ob problematische Patientencluster von der
psychosomatischen Rehabilitation profitieren können und ob sich „sozialmedizi-
nisch problematische“ Patienten dazu motivieren lassen, ihre Erwerbstätigkeit wie-
deraufzunehmen bzw. ins Erwerbsleben zurückzukehren. Die in Zusammenarbeit
mit der Klinik Am Hasenbach (Clausthal-Zellerfeld) erhobenen Daten von 199 Pati-
enten zeigten, dass eine Verbesserung der psychischen und somatischen Funktions-
fähigkeit nicht zu einer verbesserten Arbeitsmotivation führt. Darüber hinaus profi-
tieren sozialmedizinisch problematische Patienten besser als erwartet von einer
psychosomatischen Rehabilitation, haben jedoch bei Entlassung einen hohen Be-
schwerdedruck. Unklar bleibt, welche nachhaltigen Effekte berufsbezogene Be-
handlungsprogramme haben. Dem bleibenden Schnittstellenproblem soll in Zukunft
ein individuelles Fallmanagement der Deutschen Rentenversicherung Braun-
schweig-Hannover entgegengesetzt werden.
Vor dem Hintergrund eines steigenden Anteils von Rehabilitanden mit Migrations-
hintergrund widmete sich Dr. Wolfgang Pfeiffer (Klinik Am Hasenbach, Clausthal-
Zellerfeld) in seinem Beitrag der psychosomatischen Rehabilitation von Migranten.
Anhand von Daten einer Stichprobe von 625 Patienten der Klinik Am Hasenbach
sollte der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher Weise der Migrationshin-
tergrund einen Rehabilitationserfolg beeinträchtigt im Hinblick auf soziodemografi-
sche und erwerbsbezogene Merkmale sowie Hemm- und Förderfaktoren. Es zeigten
sich deutliche Unterschiede in den Hemm- (Bildungsstand, erwerbsbezogene Attri-
bute, Rentenbezug) und Förderfaktoren (soziale Unterstützung) zwischen Patienten
mit und ohne Migrationshintergrund. Die Ergebnisse unterstreichen die besonderen
Bedürfnisse dieser Rehabilitanden, etwa im Hinblick auf den Ausbau von gen-
derspezifischen Angeboten, spezifischen psychoedukativen Maßnahmen oder der
verstärkten Nutzung sozialer Ressourcen.
Frau Dina Barghaan (UKE Hamburg Eppendorf) referierte über die Entwicklung von
Therapiestandards in der Rehabilitation von Patienten mit Depression. Es handelt
sich dabei um ein von der DRV Bund gefördertes Projekt. Seit 1998 wird die Ent-
wicklung Reha-Therapiestandards in der medizinischen Rehabilitation massiv geför-
dert. Es liegen Standards für verschiedene Indikationsbereiche bereits in der Routi-
ne bzw. in Pilotphasen vor (z.B. koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus Typ 2,
chronische Rückenschmerzen, Brustkrebs, Alkoholabhängigkeit). Die hier dargestell-
te Entwicklung der Reha-Therapiestandards Depression folgte einem von der DRV
entwickelten vierstufigen Vorgehen (Literaturanalyse und Formulierung von evi-
denzbasierten Therapiemodulen (ETM), Analyse des aktuellen Versorgungsgesche-
hens bezogen auf die ETM anhand von Daten der Klassifikation Therapeutischer
Leistungen (KTL-Analyse), Ausgestaltung einer Pilotversion der Reha-
Therapiestandards unter Einbezug relevanter Berufsgruppen, medizinischer Fachge-
sellschaften und Patienten (Expertenkonsensus) sowie Implementierung der Leitli-
Symposium des RFNB
347
nie im Rahmen einer Pilotphase mit Evaluation der Akzeptanz).
Herr Prof. Dr. Claus Bischoff (AHG Klinik für Psychosomatik, Bad Dürkheim) griff in
seinem Beitrag „Selbstfürsorglich im Alltag: Akzeptanz einer durch elektronisches
Coaching unterstützten Kurzintervention für stationär psychosomatische Reha-
Patienten mit hoher Verausgabungsbereitschaft“ ein neues Medium in der Nach-
sorge nach stationärer psychosomatischer Rehabilitation auf. In dem vom Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Wirksamkeit von
Handheld-gestütztem Selbstmanagement (E-Coaching) in der Rehabilitations-
Nachsorge“ der Deutschen Rentenversicherung wurde die Praktikabilität, Akzeptanz
und Effektivität eines Handheld-Computers analysiert, der den Patienten in seinem
Alltag mehrmals am Tag auffordert, sein Befinden zu überprüfen und gegebenen-
falls sein Verhalten zu verändern, um sein Befinden zu verbessern. Grundlegende
Wirkmechanismen dieses Gerätes sind Selbstberuhigung und Handlungsjustierung,
wobei das Angebot keine Ersetzung der herkömmlichen Reha-Nachsorge darstellt
sondern bei den Patienten eingesetzt werden kann, die aus persönlichen oder orga-
nisatorischen Gründen nicht an einem herkömmlichen Nachsorgeprogramm teil-
nehmen können.
Über ein Projekt zur internetgestützten Nachsorge nach psychosomatischer Rehabi-
litation berichtete im Anschluss Herr Golkaramnay aus der Klinik Alpenblick in Isny.
Das Projekt beinhaltet therapeutisch begleitete Internet-Chatgruppen, in denen sich
die Patienten in halboffenen Gruppen zu festgelegten Terminen unter Moderation
des (ihnen persönlich bekannten) Therapeuten austauschen. Neben der Möglichkeit
eines kontinuierlichen Online-Ergebnismonitorings, das in herkömmlichen Ge-
sprächsgruppen so nicht realisierbar ist, bieten Chatgruppen weitere Vorteile, je-
doch auch Grenzen, wie Herr Golkaramnay eindrucksvoll darstellen konnte. Die Ak-
zeptanz dieses Mediums konnte in der vorliegenden Studie als hoch bezeichnet
werden (z.B. geringe Abbrecherquote), gleichfalls zeigten sich auch gegenüber einer
unbehandelten Kontrollgruppe signifikante Verbesserungen in den Bereichen psy-
chische Beeinträchtigung und Depressivität.
Neben der Nachsorge nach psychosomatischer Rehabilitation steht aktuell zur Dis-
kussion, ob und welche Art von Vorbereitungsmaßnahmen sinnvoll sind, um dem
Patienten den Zugang zur stationären psychosomatischen Rehabilitation zu erleich-
tern und die Effekte der Maßnahme sowohl zu verbessern als auch zu verstetigen
(Best et al., 2009). Frau Meike Lange (Universität Bremen) stellte hierzu in ihrem
Beitrag „Patientenorientierte Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitati-
on“ eine spezielle Vorbereitungsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung
Oldenburg-Bremen vor, in der Rehabilitanden eine individualisierte Einzelberatung
im Vorfeld ihres stationären Aufenthaltes erhielten. Im Vergleich zur unvorbereite-
ten Kontrollgruppe zeigten diese Patienten zu Beginn der Maßnahme signifikant
höhere Ausprägungen in den Bereichen Wissen, Motivation und Vertrauen. Die In-
tervention (Einzelberatung) wird zurzeit manualisiert und nochmals evaluiert.
Symposium des RFNB
348
Einen weiteren innovativen Ansatz auf dem Weg zur optimierten psychosomati-
schen Rehabilitation stellte Herr Prof. Dr. Manfred Zielke (Universität Mannheim)
und Herr Matthias Gasche (AHG Gesundheitszentrum Düsseldorf) dar. In ihrem Vor-
trag „Ganztägig ambulante Rehabilitation im Fachbereich Psychosomatik“ referier-
ten die Autoren über die Struktur und den Ablauf einer im Medizinischen Zentrum
für die ambulante Rehabilitation von psychischen und psychosomatischen Erkran-
kungen in Düsseldorf angebotenen Maßnahme. Anhand der Daten von 183 Patien-
ten wurden sowohl deskriptive Analysen (Erkrankungsspektrum, Altersverteilung,
Behandlungsdauer) als auch Daten zur Veränderungsbeurteilung der Behandler re-
feriert. Hierbei zeigte sich, dass die ganztägig ambulante Rehabilitation ein vielver-
sprechender Ansatz zur Verfahrensoptimierung darstellt.
Abschließend wandte sich Herr Dr. Krohn-Grimberghe (Rheumaklinik Bad Wildun-
gen) mit seinem Beitrag dem Thema „Das Fibromyalgiesyndrom in der medizini-
schen Rehabilitation“ zu. Neben grundsätzlichen Informationen zum Krankheitsbild
Fibromyalgiesyndrom (FMS) und dem aktuellen Stand der Leitlinienentwicklung,
berichtete der Referent über ein aktuelles Projekt der Rheumaklinik Bad Wildungen
in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen. Hierbei handelt es sich um eine
kontrollierte Studie zur Effektivität einer im Rahmen der stationären Rehabilitation
durchgeführten Fibromyalgie-Patientenschulung (vgl. auch Lange et al., 2009). Im
Vergleich zur unbehandelten ambulanten Kontrollgruppe konnte in der Interventi-
onsgruppe die durchschnittliche Schmerzstärke, Angst und Depression der Patien-
ten langfristig signifikant verringert werden.
1.3 Literatur
Best, M., Lange, M., Karpinski, N., Hessel, A., Söpper-Terborg, B., Sieling, W. & Pe-
termann, F. (2009). Psychosomatische Rehabilitation: Effekte einer prästationä-
ren Beratung durch die Rentenversicherung. Die Rehabilitation, 48, 283-287.
Lange, M., Karpinski, N., Krohn-Grimberghe, B. & Petermann, F. (2009). Patienten
mit Fibromyalgiesyndrom: Der Einfluss von Depressivität auf die Einstellung zur
Schmerzbewältigung. Die Rehabilitation, 48, 306-311.
Lange, M., Krohn-Grimberghe, B. & Petermann, F. (2009). Patienten mit Fibromyal-
giesyndrom: Der Einfluss von Depressivität auf den Rehabilitationserfolg. Die Re-
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Petermann, F. & Koch, U. (2009). Psychosomatische Rehabilitation: Quo vadis? Die
Rehabilitation, 48, 257-262.
Publikationen
Petermann, F. (2010) (Hrsg.). Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitati-
on. Regensburg: Roderer.
DGP-Kongress
349
2 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie: Erklären, Entscheiden, Planen
2.1 Allgemeine Angaben
Leitung
Prof. Dr. Franz Petermann
Prof. Dr. Ute Koglin
Finanzierung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Deutsche Gesellschaft für Psychologie
(DGPs), Europäische Union (EU)
2.2 Tagungsbericht
Vom 26. bis 30. September 2010 fand in Bremen der 47. Kongress der Deutschen
Gesellschaft für Psychologie statt. Durch die Wahl des Veranstaltungsortes, dem
Kongresszentrum in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof, handelte es sich in der
Tat um eine Veranstaltung der kurzen Wege. Es wurde eine Programm zusammen-
gestellt, das sich zum Ziel gesetzt hat, dem gesellschaftlichen Anspruch unseres Fa-
ches und den Anforderungen der Gesellschaft an unsere Disziplin gerecht zu werden
(vgl. schon Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2000). Das Motto und ein An-
spruch unseres Kongresses bestehen darin, die Kompetenzen, die unsere Disziplin
repräsentiert, angemessen zu kommunizieren. Wir werden auch die aktuelle Dis-
kussion zwischen angewandter und Grundlagenforschung in unserer Disziplin um-
fassend aufgreifen (vgl. Kanning et al., 2007, 2008).
Zur Resonanz des Kongresses. Für einen nationalen Psychologiekongress ist es in
idealer Weise gelungen, eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen zu aktivieren.
Dies drückt sich allein schon in der Anzahl der angemeldeten Beiträge aus; die An-
zahl beträgt ungefähr 2500 - eine bisher noch niemals erreichte Resonanz bei einem
nationalen Psychologiekongress! Ungefähr 83% der Anmeldungen stammen aus
Deutschland, ca. 8% aus der Schweiz und über 5% aus Österreich, jeweils 1% aus
den Niederlanden und Luxemburg; insgesamt wurden Beiträge aus 20 Ländern ein-
gereicht. Die meisten Beiträge mit jeweils ungefähr 200 Anmeldungen lassen sich
den folgenden sechs Disziplinen zuordnen:
• Allgemeine Psychologie,
DGP-Kongress
350
• Arbeits- und Organisationspsychologie (Wirtschaftspsychologie),
• Pädagogische Psychologie,
• Klinische Psychologie,
• Entwicklungspsychologie und
• Sozialpsychologie.
Besonders stark war das Interesse aus dem Bereich Arbeits- und Organisationspsy-
chologie (Wirtschaftspsychologie).
Mittagsvorlesungen. Als eine besonders bewährte Veranstaltungsform hatte sich in
den letzten Jahren das Angebot „Mittagsvorlesung“ gezeigt. Aus diesem Grund
wurde diesem Angebot eine besondere Stellung zugewiesen, wobei mit Unterstüt-
zung der DFG auch eine Vielzahl internationaler Referenten gewonnen wurde. Diese
Experten stehen in der Regel im Anschluss ein bis zwei Stunden einem interessier-
ten Publikum in lockerer Atmosphäre für Fragen und einer umfassenden Diskussion
zur Verfügung (= Meet the Experts). Hierzu sind Studierende und jüngere Wissen-
schaftler besonders eingeladen. Unter den Referenten der Mittagsvorlesungen be-
finden sich auch unsere beiden diesjährigen Leibnitz-Preisträger (Jan Born, Lübeck;
Ulman Lindenberger, Berlin).
Symposien und Arbeitsgruppen. Es wurden über 200 Symposien und Arbeitsgrup-
pen angemeldet. Sehr bedeutsam sind hierbei Themen, die sich mit einer aktuellen
Positionsbestimmung unseres Faches auseinandersetzen und/oder sich grundle-
gend mit der Ausbildungssituation der Psychologie („Zwangsjacke Bachelorstudi-
um?“) beschäftigen. Unter dem Blickwinkel der Positionsbestimmung nimmt die
Frage nach der Bedeutung der Neurowissenschaften und die Relation „Biologie ver-
sus Psychologie“ eine besonders große Rolle ein. Hiermit beschäftigen sich mehrere
Symposien; dieser Trend kann am Beispiel des Symposiums „Wie viel Biologie
braucht die Psychologie?“ illustriert werden.
Psychologische Diagnostik - eine unterbewertete Kernkompetenz. Von großer Be-
deutung war es, das Kongressmotto „Psychologischen Kompetenz - Erklären, Ent-
scheiden, Planen“ durch Themen und Beiträge aus dem Sektor der Psychologischen
Diagnostik entscheidend zu gestalten. Dies ist uns in der Regel gut gelungen. So be-
schäftigen sich gut 12% aller Vorträge, Arbeitsgruppen/Symposien mit diagnostisch-
psychologischen Fragestellungen - in der Regel im Kontext unterschiedlicher An-
wendungsbeispiele der Psychologie.
Dialog mit den Nachbardisziplinen. Auf die Bedeutung einer interdisziplinären
Sichtweise wurde im Rahmen der Kongressvorbereitung vielfach hingewiesen. Kon-
kret wird dies am 28. und 29. September 2010 mit zwei Sonderveranstaltungen, das
heißt mit jeweils vier Symposien zu aktuellen Themen umgesetzt. Am 28. Septem-
ber werden sich die Rehabilitationswissenschaften präsentieren; am 29. September
wird dies mit einem „Psychiatrie-Tag“ fortgeführt. Auch hier werden vier Symposien
unter dem Vorsitz von führenden Repräsentanten der Deutschen Gesellschaft für
DGP-Kongress
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Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) realisiert. Wir danken in
diesem Zusammenhang dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Rehabilita-
tionswissenschaften (DGRW), Uwe Koch (Universitätsklinikum Eppendorf, Universi-
tät Hamburg), und dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Frank Schneider (RWTH Aachen),
für ihre Unterstützung und die Kooperationsbereitschaft. Selbstverständlich weist
der Kongress eine Vielzahl weiterer Angebote im Grenzgebiet Klinische Psychologie/
Psychiatrie, Psychosomatik/Rehabilitation/ Psychotherapie oder auch zu den Erzie-
hungswissenschaften auf. Die Sonderveranstaltungen dienen vor allem der Fokus-
sierung einiger Perspektiven im klinisch-psychologischen Bereich.
2.3 Literatur
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (2000). Empfehlungen des Vorstands für die
Organisation künftiger Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.
Psychologische Rundschau, 51, 161-163.
Kanning, U.P., von Rosenstiel, L., Schuler, H., Petermann, F., Nerdinger, F., Batinic, B.
et al. (2007). Angewandte Psychologie im Spannungsfeld zwischen Grundlagen-
forschung und Praxis - Plädoyer für mehr Pluralismus. Psychologische Rundschau,
58, 238-248.
Kanning, U.P., von Rosenstiel, L., Schuler, H., Petermann, F., Nerdinger, F., Batinic, B.
et al. (2008). Reaktionen auf die Diskussionsbeiträge zum Artikel „Angewandte
Psychologie im Spannungsfeld zwischen Grundlagenforschung und Praxis - Plä-
doyer für mehr Pluralismus. Psychologische Rundschau, 59, 175-178.
Publikationen
Petermann, F. (2009). 47. Kongress der DGPs in Bremen 2010: Psychologische Kom-
petenz - Erklären, Entscheiden, Planen. Psychologische Rundschau, 60, 107-109.
Petermann, F. & Koglin, U. (2010). Erklären, Entscheiden, Planen: 47. Kongress der
DGPs 2010. Psychologische Rundschau, 60, 151-155.