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er Hüne mit dem fein gezwirbelten Schnauzbart ver- zieht keine Miene. Mit nacktem Ober- körper steht er im offenen Gelände zwischen abge- ernteten Senf- feldern – versteckt in einem Labyrinth aus hohen Mauern, umringt von traditionellen Bauern- höfen sowie feinen Farm- houses, in denen Millionäre residieren. Dazu duckt sich ein Tempel für den Affen- gott Hanuman zwischen alten Feigenbäumen, dürre Mobil- funkmasten ragen in den diesigen Himmel. Ein unwirk- licher Platz für Körperkult, doch der Hüne, der es locker auf 1,90 Meter bringt und sich SP nennt, lächelt sanft: „Das ist eben unser Fitness- studio für alle.“ 13 Kilo hat er auf die Hanteln gelegt. Langsam stemmt er sie erst mit der Linken, dann mit der Rechten. Er ist noch beim Warm-up. Wie in einer Zeitblase ver- steckt, liegt Asola-Fatehpur Beri in Delhis feinem südli- chen Farmhouse-Gürtel. Das Doppeldorf mit gut 5000 Ein- wohnern, in dem die Reichen der Republik immer neue Wohnpaläste hochziehen, war einst berühmt für seine tra- ditionellen Ringer. Auch heute stemmen die jungen Männer aus der Hirtenkaste der Gujjar noch immer Gewichte, üben sich im Seilspringen und Liegestütz. Allerdings nicht mehr, um sich beim Ringkampf zu messen. Statt- dessen haben sie ihren Platz in der modernen indischen Gesellschaft gefunden – ge- nauer gesagt: vor den Toren der Clubs in den Vergnügungs- vierteln der Hauptstadt. Rund 200 Männer aus Asola- Fatehpur Beri arbeiten dort derzeit als Türsteher. Sie ver- achten Liebesheiraten, Alko- hol und Pornos – und wenn sie ihren Job antreten, treffen Welten aufeinander. SP wird uns heute Abend mitnehmen auf seine Spätschicht. Die Hauptstraße des Dorfs wirkt trotz des Geldes, den der Verkauf des wertvollen Lands am Südrand Delhis den einstigen Bauern in die Kas- sen gespült hat, unscheinbar: eine für Nordindien typische Ansammlung aus Kiosken und Nachbarschaftsläden, Tee- d TEXT OLIVER SCHULZ STÄRKSTE Das Trainieren im Staub für den Glamour-Job IRRWITZ INDIENS FOTO SIDDHARTH JAIN Gruppendynamik: Auf dem Akhara – dem Trainingsplatz – treffen sich die Männer zum Work- out (1). Balram „Balli“ Vibhay geht zusätzlich noch ins Fitnessstudio (2) Dorf der Welt Tagsüber trainieren sie auf dem Dorfplatz, nachts sind sie Türsteher vor Delhis Nobelclubs: Die Männer von Asola-Fatehpur Beri leben von ihrer archaischen Fitness 2 1 WWW.SIDDHARTHJAIN.CO.IN fitforfun 05/2015 fitforfun 05/2015 51 50 Fit for Body

F05 StaerkstesDorf [P] - Oliver Schulz

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er Hüne mit dem fein gezwirbelten Schnauzbart ver­zieht keine Miene. Mit nacktem Ober­körper steht er im offenen Gelände zwischen abge­ernteten Senf­feldern – versteckt in einem Labyrinth

aus hohen Mauern, umringt von traditionellen Bauern­höfen sowie feinen Farm­houses, in denen Millionäre residieren. Dazu duckt sich ein Tempel für den Affen­ gott Hanuman zwischen alten Feigenbäumen, dürre Mobil­funkmasten ragen in den diesigen Himmel. Ein unwirk­licher Platz für Körperkult, doch der Hüne, der es locker auf 1,90 Meter bringt und sich SP nennt, lächelt sanft: „Das ist eben unser Fitness­studio für alle.“ 13 Kilo hat er auf die Hanteln gelegt. Langsam stemmt er sie erst mit der Linken, dann mit der Rechten. Er ist noch beim Warm­up. Wie in einer Zeitblase ver­steckt, liegt Asola­Fatehpur Beri in Delhis feinem südli­chen Farmhouse­Gürtel. Das

Doppeldorf mit gut 5000 Ein­wohnern, in dem die Reichen der Republik immer neue Wohnpaläste hochziehen, war einst berühmt für seine tra­ditionellen Ringer. Auch heute stemmen die jungen Männer aus der Hirtenkaste der Gujjar noch immer Gewichte, üben sich im Seilspringen und Liegestütz. Allerdings nicht mehr, um sich beim Ringkampf zu messen. Statt­dessen haben sie ihren Platz

in der modernen indischen Gesellschaft gefunden – ge­nauer gesagt: vor den Toren der Clubs in den Vergnügungs­vierteln der Hauptstadt. Rund 200 Männer aus Asola­Fatehpur Beri arbeiten dort derzeit als Türsteher. Sie ver­achten Liebesheiraten, Alko­hol und Pornos – und wenn sie ihren Job antreten, treffen Welten aufeinander. SP wird uns heute Abend mitnehmen auf seine Spätschicht.

Die Hauptstraße des Dorfs wirkt trotz des Geldes, den der Verkauf des wertvollen Lands am Südrand Delhis den einstigen Bauern in die Kas­sen gespült hat, unscheinbar: eine für Nordindien typische Ansammlung aus Kiosken und Nachbarschaftsläden, Tee­

dTExT Oliver Schulz

StärkSteDas

Trainieren im Staub für den Glamour-Job

IrrwItzIndIenS

FOTO Siddharth Jain

Gruppendynamik: auf dem akhara – dem trainingsplatz – treffen sich die Männer zum Work- out (1). Balram „Balli“ vibhay geht zusätzlich noch ins Fitnessstudio (2)

Dorf der WeltTagsüber trainieren sie auf dem Dorfplatz, nachts sind sie Türsteher vor Delhis Nobelclubs: Die Männer von Asola-Fatehpur Beri leben von ihrer archaischen Fitness

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www.siddharth

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stuben und Apotheken. Das Einzigartige hier ist anderswo: Etwa dreißig junge Männer und einige Zuschauer haben sich am Vormittag auf dem Akhara eingefunden. So heißt der Trainingsplatz, auf dem auch SP trainiert – es ist die

tra ditionelle Bezeich­nung für eine Kampf­sport arena.

Die Ringer streifen ihre Alltags­kleidung ab und wickeln sich kunstvoll die knappen Baum­woll tücher um den Unterleib. Sie ent blö­ßen dabei Ober arme wie Flaschen kürbisse und Schenkel wie Baby bäuche. Letzte Vor bereitungen werden getroffen: Zwei Männer

lockern mit Metall hacken die Erde der etwa zehn mal zwan­zig Meter großen Arena. Ande­re ziehen schwere, an Hanf­seilen be festigte Holzbalken darüber, um die Kampffläche plan zu machen.

1. rOutine: täglich trainiert SP auf dem

akhara, oft vor zuschauern 2. KOntrOlle: im

nebenraum beobachten sich die athleten bei ihren

liegestützen im Spiegel 3. andacht: im tempel

neben dem akhara treffen sich trainer vijay

und SP zum Gebet 4. Finale: höhepunkt des

trainings sind die gemeinsamen ringkämpfe

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ebenan, in einem kargen Trainings­raum, prakti­zieren zwei

Jungen mit überbreitem Kreuz bereits Liegestütze – mit den Händen auf zwei Ziegelstei­nen, die Füße werden von einem Helfer auf Hüfthöhe gehalten. Sie sind 16 und 17 Jahre alt, die jüngsten Ringer aus dem Dorf.

„Dies ist eine sehr alte Tra­dition“, sagt Vijay Pahalwan, der Trainer der Ringer. „Sie nennt sich Kushti, traditionel­les indisches Ringen. Außer­dem machen wir hier Kabaddi, ein Fangspiel und klassischer Mannschaftssport. Und ganz einfach: Wir joggen viel. Diese Jungs hier leben so gesund, wie es nur geht. Vermutlich sind wir das fitteste Dorf In­diens.“ Wie aufs Stichwort prä­sentiert uns ganz in der Nähe eine Frau lachend ihre musku­lösen Oberarme. Sie ruft durch den Winterwind: „Ich bin eine Pahalwani“, eine Ringerin, wie ihr. Doch Trainer Vijay winkt gleichmütig ab. „Frau­en? Nein, nein, Frauen dürfen doch nicht ringen.“ Seine Welt bleibt den starken Männern vorbehalten.

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„Stark? Ja, das sind wir, auch wegen unserer Ernährung“, sagt SP und legt die Hantel beiseite. „Wir nehmen vor allem natürliche Proteine zu uns, dabei täglich vier Liter Milchprodukte: morgens zwei Liter Milch, 250 Gramm But­ter, saisonale Früchte, 250 Gramm Sprossen, 250 Gramm Dalia – ein indisches Por­ridge.“ Mittags verspeist der 28­Jährige zusätzlich zu ei­nem indischen Standardmit­tagessen einen halben Liter Joghurt. Von Doping will einer wie er nix wissen, nicht mal von Nahrungsergänzung: „Nur natürliches vegetarisches Es­sen. Das ist unsere Religion!“

Eine Horde Affen tobt jetzt vom Tempel her in die Arena und versucht, den von Holz­

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bänken zuschauenden Kindern Chips aus ihren Tüten zu sti­bitzen. Trainer Vijay vertreibt sie mit Steinwürfen. Die ers­ten Paare haben begonnen zu ringen. Jetzt ist SP an der Reihe. Der 140­Kilo­Mann reibt sich die Hände mit Sand ein. „Wir mischen Kurkuma rein“, sagt er. „Das hat eine antiseptische Wirkung.“ Der Kampf ist ausgeglichen. Zu­nächst hat SPs Gegner keine Mühe, ihn mehrfach auf den Boden zu drücken. Doch in den nächsten Runden behält der Koloss mit dem Schnauz­bart die Oberhand. „Ich brau­che vielleicht etwas länger, um in Fahrt zu kommen“, sagt SP, als das Training nach drei Stunden vorbei ist und er sich an einem Wasserschlauch an der Mauer zum Tempel den gelben Sand vom Körper spült: „Aber wenn ich erst mal durch­starte, bin ich unschlagbar.“

Nicht weit weg, in einer Nebenstraße des Zentrums, trainiert Balram „Balli“ Vibhay im Steel Fitness Gym. Das erste Studio im Dorf wurde vor 15 Jahren eröffnet, heute gibt es drei. 130 junge Männer gehen regelmäßig hin. Bolly­wood­Hits scheppern durch die verspiegelte Halle des „Steel“, eine Traube Jungs

lungert um einen Tresen im Eingang und fummelt an Han­dys herum, in einem kleinen Schrein für den Elefantengott Ganesh zerbröseln die Opfer­blumen. Die Geräte allerdings wirken knackig: Han telbänke, Kabelzüge, Klimmzugstange, Beinpressen, Dipsmaschinen, Multipressen, Lauf bänder. Doch ist die Atmosphäre spür­bar provinzieller als in den auch von Frauen besuchten Fitnessstudios in New Delhi. Balli ist das egal, er verbindet einfach Tradition mit moder­nem Sport: „Ich übe morgens auf dem Akhara wie die ande­ren. Dann laufe ich noch ein­mal 15 Kilometer, und dann trainiere ich hier“, sagt er, während er die Langhantel stemmt. Zwölf Kilo hat er auf­gelegt, 350 Wiederholungen sind angesagt. „Der Akhara ist gut für Schnelligkeit und Aus­dauer“, stößt er zwischen zwei Übungen aus, „das Fitness­center ist für Stärke und Mus­kelaufbau.“

abei hilft der 120­Kilo­Mann – anders als alle, die rein traditionell trainieren – aller­dings ein wenig nach: „Ich habe zwar dieselbe Diät wie sie, aber ich nehme auch Prote­

ine zur Ergänzung.“ Jetzt geht er noch an die Kurzhantel: Je 80­mal wird Balli die 15 Kilo hochstemmen, und das drei­mal auf jeder Seite. Dann ist sein Sportprogramm für heute beendet. Beinahe jedenfalls – denn ein Ziel hat er ja noch. Balli schwingt sich auf sein schweres Motorrad der Marke Enfield Bullet. „Ich muss noch nach Gurgaon“, sagt er. Das ist eine der feinen Satelli­tenstädte am Stadtrand von

Delhi. „Dort arbeite ich als Trainer in einem Fitnessclub.“

Und auch SP muss sich langsam auf den Weg machen. Denn berühmt geworden sind die Ringer von Asola­Fatehpur Beri vor allem dafür, dass sie als Türsteher in Delhis Bars, Clubs und Diskotheken ihren Mann stehen. Auch SP macht diesen Job – im „Zook“ im Nobelviertel Saket in Süddelhi. 800 Euro verdient er dafür pro Monat – dreimal so viel wie ein Grundschullehrer und deutlich mehr als das indi­sche Durchschnittseinkom­men von rund 110 Euro. „Die Arbeit ist nicht gefährlich, körperliche Auseinanderset­zungen sind selten“, sagt er entspannt. „Allein unsere Erscheinung sorgt für Ruhe.“

Die Fahrt nach Saket dau­ert eine Dreiviertelstunde. In der Bar lässt ein DJ hinter der schweren Metalltür Techno­Beats über die belebte Tanz­fläche dröhnen. Ein nepalesi­scher Barmann serviert Gin Tonic und Bier. Sikhs mit Tur­banen prosten sich in Leder­sesseln zu. Draußen steht SP bullig am Tresen und verhan­delt mit zwei angetrunkenen jungen Männern. Sie krakeelen und pöbeln, als er ihnen den Eintritt verwehrt. Aber SP bleibt ruhig. „Brüder“, sagt er, „geht besser nach Hause. Macht euch hier doch nicht lächerlich.“ Und tatsächlich verschwinden die beiden nach gut zehn Minuten weiterer Dis­kussion mit gesenktem Kopf.

So effektiv und einkömm­lich es ist, SPs Verhältnis zum Nachtleben bleibt deutlich distanziert. Nein, er habe kei­ne Lust, mal hineinzugehen und ein Glas Bier zu trinken oder mit den Mädchen in der Bar zu tanzen, beteuert er: „Nichts gegen das moderne Leben. Aber den Respekt be­komme ich hier für meine Fit­ness. Für meine Stärke. Und beides habe ich allein wegen meiner Tradition.“

Kein Alkohol, aber jede Menge Milch

Alte Schule

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d 1. hilFe vOn OBen:

Balli vor dem Ganesha- Schrein im Fitnessstudio

2. teaMWOrK: das Warm- up auf dem akhara wirkt für Beobachter archaisch

3. BeruFunG: trainer vijay und ein türsteher vor einer Bar in Saket

4. auSSicht: von seinem haus blickt coach

vijay direkt in die hinter- höfe von asola

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