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ERGONOMIE Arbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereich UNIVERSITÄT SIEGEN AWS Institut für Fertigungstechnik Arbeitswissenschaft/Ergonomie Prof. Dr.-Ing. Helmut Strasser 1 STR Ergonomie Arbeitsplatz Arbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereich Büro- und Verwaltungsarbeit im Wandel der Zeit und ihre Bedeutung aus ergonomischer Sicht Sowohl wirtschaftliche Gründe als auch Humanaspekte sind ausschlaggebend dafür, daß in letzter Zeit ergonomi- sche Erkenntnisse im Büro- und Verwaltungsbereich ver- stärkt Anwendung finden. Auf diese Art und Weise soll erreicht werden, daß das “Humankapital”, für das stets der größte Kostenanteil aufgebracht werden muß, nicht nur “Dienst nach Vorschrift” leistet, sondern sich als “Aktivpo- sten” engagiert und motiviert dafür einsetzt, daß die von technischen Innovationen, z.B. von “vernetzten Kommuni- kations- und Informationssystemen” erwarteten Leistungs- steigerungen auch Wirklichkeit werden können. Die finan- ziellen Aufwendungen für die Räumlichkeiten und für die Ausstattung eines Büroarbeitsplatzes machen nämlich (nach N.N., 1981a) lediglich ca. 20% der Gesamtkosten aus, hingegen entfallen ca. 80% der Kosten auf das Personal. Besondere Bedeutung kommt der menschengerech- ten Arbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereich schließlich deshalb zu, weil es sich hier um den größten Wachstumssektor der Beschäftigung handelt. Wohinge- gen vor ca. 100 Jahren lediglich etwa 10% der Arbeitneh- mer mit Bürotätigkeiten zu tun hatten, kam es bereits in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer ausgewogenen Verteilung der Arbeitsplätze auf den Büro- bereich und den Produktionssektor. Unter Berücksichti- gung zunehmender Kapazitäten von “technischen Büros” und der Tatsache, daß in den USA heute lediglich noch ca. 30% der Arbeitnehmer in der Produktion tätig sind, ist abschätzbar, daß sich auch in Deutschland der Trend der Beschäftigung zum Büro-, Verwaltungs- und Dienstlei- stungsbereich noch weiter fortsetzen wird. Nicht nur in Büros mit vornehmlich Schreib- und Sekre- tariatsarbeitsplätzen, sondern auch bei Banken und Ver- sicherungen hat das Arbeitselement bzw. die graphische Benutzeroberfläche “Bildschirm” als “Auge” zur Technik stürmisch Einzug gehalten, so daß bei der Planung und Gestaltung derartiger Arbeitsplätze den damit verbunde- nen Konsequenzen in den Arbeitsbedingungen im weite- sten Sinne Rechnung zu tragen ist. Auf die besonderen visuellen Anforderungen und die Arbeitsplatzgestaltung im engeren Sinn wird in Kap. 2.4.4. gesondert eingegangen. Das erscheint insofern notwendig, als es trotz der Tatsa- che, daß das Arbeitsmittel Bildschirm im Laufe des letzten Jahrzehnts wie kein anderes Gegenstand intensi- ver arbeitswissenschaftlicher Forschung und Normungs- tätigkeit war, mit der Umsetzung der Erkenntnisse in die Praxis bislang immer noch recht schlecht bestellt ist. Gestaltung von Räumlichkeiten und Mobiliar sowie des Arbeitsumfeldes vor dem Hintergrund von Regelwerken des Arbeitsschutzes Mindestanforderungen an die Größe vom Räumlich- keiten und entsprechende Bewegungsflächen am Arbeitsplatz sind bereits in den Paragraphen 23 und 24 der Arbeitsstättenverordnung festgelegt. Bei einer allgemein einzuhaltenden, und damit auch für den Büro- und Verwal- tungsbereich zu fordernden Mindestgrundfläche von 8 m 2 (vgl. Abb. 1) darf z.B. bei überwiegend sitzender Tätigkeit der Mindestluftraum je ständig anwesendem Arbeitneh- Abb. 1: Mindestgrundfläche von 8 m 2 eines Büro- Arbeitsraumes pro Arbeitsperson mit Sichtver- bindungen nach außen mer 12 m 3 nicht unterschreiten, wobei eine Raumhöhe von 2.50 m gefordert wird. U.a. der ausreichenden Luftversor- gung wegen, werden (mit besonderer Bedeutung für Ar- beitsplätze im Produktionsbereich) nach Abb. 2 links mit zunehmender Grundfläche auch größere Mindestraumhö- hen gefordert. Für Büroräume mit mehr als 50 m 2 Grund- fläche ist ausnahmsweise – unter der Voraussetzung, daß keine gesundheitlichen Bedenken bestehen – auch noch eine Raumhöhe von 2.25 m zulässig. Um eine ungehinder- te Bewegung der Beschäftigten am Arbeitsplatz sicherzu- stellen, muß die freie Bewegungsfläche am Arbeitsplatz mindestens 1.5 m 2 betragen, wobei sie an keiner Stelle weniger als 1 m breit sein soll. Tische dürfen also nicht derart nahe an eine Wand gerückt werden, daß wegen des Fehlens des “Stuhlverrückraumes” von der Arbeitsplatte nach hinten (vgl. Abb. 2 rechts) das ungehinderte Aufste- hen beeinträchtigt wird. 1 m 2

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ERGONOMIE Arbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereich

UNIVERSITÄT SIEGEN AWS

Institut für Fertigungstechnik Arbeitswissenschaft/Ergonomie

Prof. Dr.-Ing. Helmut Strasser

1STR

Ergonomie – ArbeitsplatzArbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereich

Büro- und Verwaltungsarbeit im Wandel der Zeitund ihre Bedeutung aus ergonomischer Sicht

Sowohl wirtschaftliche Gründe als auch Humanaspektesind ausschlaggebend dafür, daß in letzter Zeit ergonomi-sche Erkenntnisse im Büro- und Verwaltungsbereich ver-stärkt Anwendung finden. Auf diese Art und Weise sollerreicht werden, daß das “Humankapital”, für das stets dergrößte Kostenanteil aufgebracht werden muß, nicht nur“Dienst nach Vorschrift” leistet, sondern sich als “Aktivpo-sten” engagiert und motiviert dafür einsetzt, daß die vontechnischen Innovationen, z.B. von “vernetzten Kommuni-kations- und Informationssystemen” erwarteten Leistungs-steigerungen auch Wirklichkeit werden können. Die finan-ziellen Aufwendungen für die Räumlichkeiten und für dieAusstattung eines Büroarbeitsplatzes machen nämlich(nach N.N., 1981a) lediglich ca. 20% der Gesamtkostenaus, hingegen entfallen ca. 80% der Kosten auf dasPersonal.

Besondere Bedeutung kommt der menschengerech-ten Arbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereichschließlich deshalb zu, weil es sich hier um den größtenWachstumssektor der Beschäftigung handelt. Wohinge-gen vor ca. 100 Jahren lediglich etwa 10% der Arbeitneh-mer mit Bürotätigkeiten zu tun hatten, kam es bereits inden frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einerausgewogenen Verteilung der Arbeitsplätze auf den Büro-bereich und den Produktionssektor. Unter Berücksichti-gung zunehmender Kapazitäten von “technischen Büros”und der Tatsache, daß in den USA heute lediglich noch ca.30% der Arbeitnehmer in der Produktion tätig sind, istabschätzbar, daß sich auch in Deutschland der Trend derBeschäftigung zum Büro-, Verwaltungs- und Dienstlei-stungsbereich noch weiter fortsetzen wird.

Nicht nur in Büros mit vornehmlich Schreib- und Sekre-tariatsarbeitsplätzen, sondern auch bei Banken und Ver-sicherungen hat das Arbeitselement bzw. die graphischeBenutzeroberfläche “Bildschirm” als “Auge” zur Technikstürmisch Einzug gehalten, so daß bei der Planung undGestaltung derartiger Arbeitsplätze den damit verbunde-nen Konsequenzen in den Arbeitsbedingungen im weite-sten Sinne Rechnung zu tragen ist. Auf die besonderenvisuellen Anforderungen und die Arbeitsplatzgestaltung imengeren Sinn wird in Kap. 2.4.4. gesondert eingegangen.Das erscheint insofern notwendig, als es trotz der Tatsa-che, daß das Arbeitsmittel Bildschirm im Laufe desletzten Jahrzehnts wie kein anderes Gegenstand intensi-ver arbeitswissenschaftlicher Forschung und Normungs-tätigkeit war, mit der Umsetzung der Erkenntnisse in diePraxis bislang immer noch recht schlecht bestellt ist.

Gestaltung von Räumlichkeiten und Mobiliar sowiedes Arbeitsumfeldes vor dem Hintergrund vonRegelwerken des Arbeitsschutzes

Mindestanforderungen an die Größe vom Räumlich-keiten und entsprechende Bewegungsflächen amArbeitsplatz sind bereits in den Paragraphen 23 und 24 derArbeitsstättenverordnung festgelegt. Bei einer allgemeineinzuhaltenden, und damit auch für den Büro- und Verwal-tungsbereich zu fordernden Mindestgrundfläche von 8 m2

(vgl. Abb. 1) darf z.B. bei überwiegend sitzender Tätigkeitder Mindestluftraum je ständig anwesendem Arbeitneh-

Abb. 1: Mindestgrundfläche von 8 m2 eines Büro-Arbeitsraumes pro Arbeitsperson mit Sichtver-bindungen nach außen

mer 12 m3 nicht unterschreiten, wobei eine Raumhöhe von2.50 m gefordert wird. U.a. der ausreichenden Luftversor-gung wegen, werden (mit besonderer Bedeutung für Ar-beitsplätze im Produktionsbereich) nach Abb. 2 links mitzunehmender Grundfläche auch größere Mindestraumhö-hen gefordert. Für Büroräume mit mehr als 50 m2 Grund-fläche ist ausnahmsweise – unter der Voraussetzung, daßkeine gesundheitlichen Bedenken bestehen – auch nocheine Raumhöhe von 2.25 m zulässig. Um eine ungehinder-te Bewegung der Beschäftigten am Arbeitsplatz sicherzu-stellen, muß die freie Bewegungsfläche am Arbeitsplatzmindestens 1.5 m2 betragen, wobei sie an keiner Stelleweniger als 1 m breit sein soll. Tische dürfen also nichtderart nahe an eine Wand gerückt werden, daß wegen desFehlens des “Stuhlverrückraumes” von der Arbeitsplattenach hinten (vgl. Abb. 2 rechts) das ungehinderte Aufste-hen beeinträchtigt wird.

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Abb. 2: Mindestraumhöhe in Abhängigkeit von der Grundfläche und freie Bewegungsfläche(u.a. als “Stuhlverrückraum”) nach § 23 und 24 Arb.Stätt.V.

Diverse Unfallverhütungsvorschriften und weitere Para-graphen der Arb.Stätt.V. in Verbindung mit Arbeitsstätten-Richtlinien regeln z.B. auch die Zugänglichkeit der einzel-nen Arbeitsplätze und innerbetrieblichen Verkehrswege.Ebenso werden darin Sichtverbindungen nach außen gefor-dert, wozu, wenn nicht Fenster, dann zumindest durchsich-tige Türen oder Wandflächen vorhanden sein müssen. Auchdie Gestaltung von Bodenbelägen, die stolperfreie Verle-gung von Versorgungsleitungen (Elektrokabel und Datenlei-tungen), sowie die Regulierung des Klimas mit gebotenerLufttemperatur und Feuchte bei zulässiger Windgeschwin-digkeit von z.B. 0.2 m/s bei 20° Celsius Lufttemperatur, die

Gestaltung der Beleuchtung und Farbe oder die zuträglicheakustische Belastung (z.B. nach § 15 Arb.Stätt.V.) werdenin diesen gesetzlichen Bestimmungen angesprochen.

Abb. 3 gibt einen Überblick über die grundsätzlicheStruktur des Regelwerkes Arbeitsschutz für den Bereichder “Büroarbeitsplätze”, wie sie von der Bundesarbeits-gemeinschaft für Arbeitssicherheit in einer Broschürezusammengestellt wurde (vgl. N.N., o.J.). Die Einhaltungdieser gesetzlich verankerten Mindestanforderungen, wieauch von DIN-Normen oder VDI-Richtlinien an die Ausstat-tung von Arbeitsplätzen als Arbeitsplatzgestaltung im

Abb. 3: Gesetzliche Bestimmungen zum Arbeitsschutz für den Bürobereich

Regelwerk Arbeitsschutz– Struktur für den Bereich „Büroarbeitsplätze“ –

Gewerbeordnung (GewO)

• Betriebssicherheit – § 120 a• Sitte und Anstand im Betrieb;

Umkleide-, Wasch- und Toilettenräume – § 120 b• Gewerbeaufsicht – § 139 b

Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)

z.B.:• Lüftung, Raumtemperaturen, Beleuchtung

– §§ 5, 6 und 7• Fußböden, Wände usw. – § 8• Fenster und Türen – §§ 9 und 10• Verkehrswege – § 17• Raumabmessungen und Bewegungsfläche

am Arbeitsplatz – §§ 23 und 24• Ausstattung – § 25

Arbeitsstätten-Richtlinien (ASR)z.B.:

• Raumtemperaturen ASR 6/1,3• Künstliche Beleuchtung ASR 7/3• Fußböden ASR 8/1• Türen, Tore ASR 10/1• Verkehrswege ASR 17/1,2• Sitzgelegenheiten ASR 25/1

Reichsversicherungsordnung (RVO)

• Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften (UVVen) – § 708• Überwachung durch TAB – § 712

UVVen der Unfallversicherungsträger

z.B.:• Allgemeine Vorschriften (VBG 1/GUV 0.1)• Elektrische Anlagen und Betriebsmittel (VBG 4/GUV 2.10)• Kraftbetriebene Arbeitsmittel (VBG 5/GUV 3.0)• Leitern und Tritte (VBG 74/GUV 6.4)• Erste Hilfe (VBG 109/GUV 0.3)• Sicherheitskennzeichnung am Arbeitsplatz

(VBG 125/GUV 0.7)

Richtlinien und Sicherheitsregeln derUnfallversicherungsträger

z.B.:• Richtlinien für Lagereinrichtungen und -geräte

(ZH 1/428 / GUV 16.8)• Sicherheitsregeln für Büroarbeitsplätze

(ZH 1/535 / GUV 17.7)• Sicherheitsregeln für Bildschirm-Arbeitsplätze

im Bürobereich (ZH 1/618 / GUV 17.8)

4

3

2

1

0

Mindestraumhöhen m

Grundfläche in m2< 50 > 50 >100 >2000

2,502,75

3,003,25

1 m

2 m

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engeren Sinn und an das Arbeitsumfeld wäre allerdingslangfristig im Kontext von “Unternehmenskultur” und deranzustrebenden “Corporate Identity” als zwar notwendig,aber kaum als hinreichend zu bezeichnen. Eine derartverengte Sichtweise würde sogar vor wirtschaftlichen Nach-teilen nicht bewahren. Bereits der Flächenbedarf proMitarbeiter muß sich nach Anzahl und Art der Arbeitsmit-tel richten, die am entsprechenden Platz benötigt werden.Anstatt Durchschnittswerte pro Mitarbeiter zu planen,sollten eher Räume geschaffen werden, die der jeweiligenArbeitsfunktion anpaßbar sind, und die auch unter Berück-sichtigung der Entwicklung des Personalstandes und derGeräteausstattung Variabilität und Flexibilität ermögli-chen. Das gilt besonders für das Büromobiliar selbst.

Noch dominieren allerdings in Büros und Verwaltungenmonofunktionale, viel Platz beanspruchende Geräte, wiez.B. Schreibmaschinen und Textverarbeitungssystememit Beleghaltern, Tastaturen, Diktier- bzw. Wiedergabe-geräten, Personal Computern mit Bildschirmen, Druk-kern, Diskettenstationen und Massenspeichern, Telefax-und Kopiergeräten, auch wenn die Bestrebungen derTechnik zunehmen, neue Generationen von effektivenBürogeräten zu entwickeln, die z.B. die Eigenschafteneines Druckers, Scanners und Fax-Gerätes mit deneneines Fotokopierers vereinen. Derartige, unter wirtschaft-lichen Gesichtspunkten sicherlich zukunftsträchtige, weilplatzsparende und damit Büromieten reduzierende, multi-funktionale Geräte mit kompatibler digitaler Datenbasismüssen allerdings auch ergonomischen Anforderungenentsprechen. Dabei sollte nach dem Motto, “wenigerKnöpfe, mehr Ergonomie” vor allem die Benutzeroberflächevon Arbeitsplätzen und Bürokopierern bedienerfreundlichgestaltet sein, zumal sich dann auch Kosteneinsparungenergeben, weil Einstellungen schneller vorgenommen werdenkönnen und weniger Fehlkopien gezogen werden.

Ergonomische Gestaltung von Tisch-Stuhl-Systemen

Wenngleich der Mensch primär nicht für das Sitzenprädestiniert ist, sondern einstmals eher geschaffen wur-de, um zu jagen und zu fischen, um zu gehen, stehen oderrennen, bzw. um in Bewegung zu sein, und nur zwecksErholung zu liegen, nimmt der Trend zum “Homo sedens”bei der Arbeit stetig zu. Zwei Drittel der Beschäftigten inDeutschland gehen bereits sitzend oder teilweise sitzendihrer beruflichen Beschäftigung nach. Gerade im Büro- undVerwaltungsbereich gilt Sitzen als erstrebenswerte Kör-perstellung, wobei freilich längeres Sitzen mit erheblichenNachteilen verbunden ist (siehe u.a. Grandjean und Hün-ting; Diebschlag und Heidinger). Ein Großteil der sitzen-den Beschäftigten klagt über Schmerzen im Lendenwir-belbereich und hat Beschwerden im Nacken sowie in derSchultergegend. Bewegungsarmut mit statischen Ver-spannungen bei falschem Sitzen ist in der Regel der Grundfür die im Bürobereich weit verbreiteten rheumatischenBeschwerden, die zu hohen Absentismusraten und damit

auch zu betriebswirtschaftlich rechenbaren Nachteilenführen. Bereits ein einziger Arbeitsunfähigkeitstag verur-sacht infolge von Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall,Nebenkosten und entgangener Produktivität bzw. fehlenderDeckungsbeiträge immerhin Kosten in der Höhe von Auf-wendungen für einen ergonomischen Stuhl (vgl. N.N., o.J.).Ergonomisch gestaltete Sitzgelegenheiten sind zwar keinAllheilmittel, sie können aber zumindest einen wichtigenBeitrag zur Belastungsminderung für die von der Körper-stellung “Sitzen” besonders betroffenen Beschäftigtendarstellen. Dabei dürfte es sich eher um Sachbearbeiter undSekretärinnen in den unteren Etagen als um “Höhergestell-te” handeln, für die ein Sitz eher ein Statussymbol darstellt.

Bürositze nach DIN 4551 und nach der Synchron-Technik

Sitze spielten in unserer Gesellschaft immer schoneine wichtige Rolle, und fast jeder verbindet mit einemteuren, kostbaren Sessel auch ein gewisses Prestigege-fühl. Eine erstrebenswerte Position ist nicht selten auch inder Assoziation mit dem Begriff des Sitzes verbunden. Imöffentlichen Dienst, wo Sitze mit einem höheren Besol-dungsgrad des Nutzers auch teurer werden dürfen, ist dasheute oft noch so. Nicht selten allerdings boten und bietendiese Sitzgelegenheiten (vgl. Abb. 4) eine nicht sonderlichbequeme Stellung. Gerade bei der Sitzgestaltung wurdenoft arbeitsphysiologisch-ergonomische Forderungen nachFunktionalität den ästhetischen und modischen Ansprü-chen der Designer geopfert. Für die Gestaltung von Büro-drehstühlen und Drehstühlen mit verstellbarer bzw. in derHöhe nicht verstellbarer Rückenlehne (jeweils mit oderohne Armstützen) existieren seit 1975 die beiden NormenDIN 4551 und 4552, die 1988 aktualisiert und zu der NormDIN 4551 zusammengefaßt wurden. Diese Richtlinienwaren und sind sicherlich geeignet, den designerischen

Abb. 4: Sitze als Statussymbol mit Dominanz vonÄsthetik über Funktionalität bei den Sitzen,Stühlen und Thronen der Vergangenheit

Die Geschichte der Menschheitist eine Geschichte des Sitzens.Aber ausgesprochen bequemhaben es sich die Menschenin der Vergangenheit dabeinicht gemacht – so imposant ihreStühle auch aussehen mochten.

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Wildwuchs auf diesem Gebiet in Grenzen zu halten undsie legen vor allem Wert auf wichtige sicherheitstechni-sche Anforderungen. Sie geben allerdings keine ausrei-chenden Konstruktionshinweise für einen aus arbeitsphy-siologisch-ergonomischer Sicht optimierten Sitz. Glei-ches gilt auch für den europäischen Normenvorschlag fürBürodrehstühle (CEN/TK 43/AG 1 N 59; vgl. Peters, 1990).

Die nach Abb. 5 auf 8 cm (von 42-50 cm) beschränkte,mittlerweile für einige Bauarten bzw. Anwendungen um3 cm (auf 42-53 cm) ausgeweitete Höhenverstellbarkeitder Sitzfläche reicht nicht aus, um einer 5.-Perzentil-Sachbearbeiterin und einem 95.-Perzentil-Mann eine rich-tige Sitzhöhe an einem nicht höhenverstellbaren Norm-tisch von 72 cm zu ermöglichen. Das wäre beispielsweisedann der Fall, wenn die Distanz Arbeitsebene-Sitzhöheauf einen Bereich von ca. 26-30 cm eingestellt werdenkönnte. Eine fast doppelt so hohe Variabilität von insge-samt 16 cm (von 38-54 cm) ist erforderlich.

Ferner fällt die Höhe der integrierten Rückenlehnenach DIN mit nur 32 cm zu niedrig aus, um dem Rückenim wahrsten Sinne des Wortes “Rückhalt” zu geben, umeinen Teil des Oberkörpergewichtes aufzufangen, mit demZiel, die Bandscheibenbelastung im Lendenwirbelbereichzu reduzieren.

Diese ist langfristig als Engpaß zu sehen. Bereits beimÜbergang vom Stehen zum Sitzen kommt es zu einerunnatürlichen Verformung des Stützapparates mit allge-mein erhöhten und ungleichmäßigen Flächenpressungender Bandscheiben im Lendenwirbelbereich. Aus der Len-denwirbellordose (Hohlkreuz) im Stehen (vgl. Abb. 6 oben)wird infolge des Anwinkelns der Oberschenkelknochenund des Kippens des Beckens zwangsläufig eine Kypho-se, so daß sich die im Stehen “natürlich” übereinander

Abb. 5: Vorgaben für Bürositzmöbel am Beispiel vonDrehstühlen mit pendelnd gelagerter und inte-grierter Rückenlehne nach DIN 4551

Abb. 6: Natürliche Form der Wirbelsäule im Stehen(oben) mit Vorwölbungen zum Bauchraum (Ven-trum) im Lendenwirbelbereich (Lordose), zumRücken (Dorsum) im Bereich der Brustwirbel-säule (Kyphose) und Lordose im Halswirbelbe-reich. In Seitenansicht ist die Form einem nachunten verlängerten S ähnlich. Beim Übergangvom Stehen zum Sitzen ergibt sich die untenrechts dargestellte Kyphosierung des Rückens

Maße in cm, min. = minimal, max. = maximala Sitzhöhe Verstellbereich: 42-53, früher 42-50b Sitztiefe 38 min., 44 max.c Sitzbreite 40 min., 48 max.d Höhe des Abstützpunktes über dem Sitz 13 min., 20 max.e Rückenlehnenhöhe 36 min., früher 32,

bei pendelnd gelagerter Rückenlehne 22 min.f Rückenlehnenbreite 36 min.g Höhe der Armauflage über dem Sitz 23 ± 2h Lichte Weite zwischen den Armauflagen 49 ± 1i Armstützenabstand von der Vorderkante 11 min., 18 max.k Länge der Armauflage 20 min.l Größte Ausladung des Untergestells 36,5 max.m Kippsicherheitsmaß (Radius des Kreises, den die

Verbindungslinien der Abstützungspunkte tangieren) 19,5 min.n Größte Ausladung der Rückenlehne m + 7,5 max.p Größter Abstand zwischen Sitzvorderkante und Mitte der

Drehsäule (siehe Erläuterung in DIN 4551)q Ausladung der Rückenlehne zur Drehachse

(siehe Erläuterung in DIN 4551)

Menschliche Wirbelsäule von hinten a und seitlich bmit Beispielen der Wirbelkörperform in den einzelnen Abschnitten

a b

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geschichteten Elemente von Wirbelknochen und Band-scheiben wie in Abb. 6 unten rechts bzw. in Abb. 7dargestellt, verändern. Die Bandscheiben als Puffer zwi-schen den Wirbelknochen werden dabei im Lendenwirbel-bereich ungleichmäßig (im ventralen Bereich stärker alsim dorsalen Bereich) beansprucht. Selbst in aufrechterSitzhaltung ist die Bandscheibenflächenpressung im Len-denwirbelbereich um ca. 40% höher, und in der vornüber-gebeugten, vorderen Sitzhaltung, die aus Bequemlichkeitoftmals gewählt wird, ist sie mit ca. 190% fast doppelt sohoch. Mit zunehmendem Leistenbeugewinkel (Winkelzwischen Oberschenkel und Rumpf) nimmt die Band-scheibenflächenpressung (bei der hinteren Sitzhaltung)ab und erreicht bereits bei 110° ein Minimum, wennnennenswerte Gewichtsanteile des auf dem Lendenwirbel-bereich lastenden Oberkörpers von einer geeigneten Rük-kenlehne aufgefangen werden können. lichst miteinander zur Deckung zu bringen sind. Wenn

beim dynamischen Sitzen von der vorderen zur hinterenSitzhaltung gewechselt werden soll, und dabei eine leichtenegative Neigung der Sitzfläche benötigt wird, damit dasAbrutschen von der Sitzfläche verhindert wird, dann ist dernatürliche Drehpunkt des Kniegelenks das Zielkriteriumfür die Anordnung der Sitzflächenneigung und nicht dieSitzsäule, bei deren Wahl für den Drehpunkt ein “Ab-hebeln” der Beine die Folge ist, wenn man sich nach hintenlehnt. Das ist beispielsweise in Abb. 9 zu erkennen, wobeies sich um einen Auszug aus einem Prospekt einesHerstellers von Sitzmöbeln handelt, der eben dieses Ziel-kriterium übersehen hatte, wenngleich prinzipiell dem dyna-mischen Sitzen bereits hohe Priorität eingeräumt wurde.

Abb. 7: Rundrücken in der vorderen Sitzhaltung mitungleichmäßiger Flächenpressung der Band-scheiben im Lendenwirbelbereich

Abb. 8: Vordere, mittlere und hintere Sitzhaltung mitLeistenbeugewinkeln kleiner, gleich und größer90° bzw. Schwerpunkt des Oberkörpers vor,über und hinter dem Hüftgelenk

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Besondere Bedeutung kommt schließlich der Anord-nung der Drehpunkte für Rückenlehne und Sitzfläche zu,besonders im Zusammenhang mit dem dynamischenSitzen, d.h. dem Wechsel von der vorderen über diemittlere zur hinteren Sitzhaltung (vgl. Abb. 8). Aus Multi-momentaufnahmen im Bürobereich ist bekannt, daß allen-falls etwa 50% der Arbeitszeit in der vorderen Sitzhaltungverbracht werden, und daß zu ca. 30% bzw. 20% diemittlere bzw. hintere Sitzhaltung gewählt wird. Die Dreh-punkte für die Elemente Rückenlehne und Sitzflächedürfen nicht im Schnittpunkt von Rückenlehne und Sitzflä-che bzw. direkt über der Sitzsäule liegen. Weil derartigeVorgaben in den DIN-Normen nicht gemacht werden,sahen sich viele Hersteller bislang veranlaßt, Drehpunkte,so wie eben geschildert, anzuordnen. Es gilt jedoch derGrundsatz, daß die Lage der natürlichen Gelenke desKörpers und die funktionalen Gelenke des Sitzes mög-

Abb. 9: Dynamisches Sitzen, jedoch infolge falscherPositionierung der Drehpunkte für Sitzflächeund Rückenlehne mit Abhebeln der Beine undRelativverschiebungen zwischen Rückenkon-tur und Lehne

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beitshaltung (meist vordere oder zumindest aufrechteSitzhaltung) in die hintere Ruheposition gewechselt, rutschtdas Gesäß um einen bestimmten Betrag auf der horizon-talen Sitzfläche nach vorn. Bei wiederholtem Wechsel derSitzhaltung muß das in Anbetracht des fast stets ver-säumten korrigierenden “Nach-hinten-Rutschens” zumoftmals beobachtbaren Sitzen auf der vorderen Sitzflä-che ohne Nutzung der Rückenlehne führen. Kaum andersist das bei Sitzen nach DIN 4551 bzw. ehemals nachDIN 4552 (vgl. Abb. 10 b und c). Besonders bei Konstruk-tionen mit einer pendelnd gelagerten Rückenlehne kommtes zu einem ähnlichen Abhebeln von der horizontalenSitzfläche, das umso stärker ausfällt als die in der Normempfohlenen Mindestwerte der pendelnd gelagerten Höheder verstellbaren Rückenlehne nach DIN 4551 überschrit-ten werden. Das Hauptproblem liegt allerdings in derRelativverschiebung zwischen Rückenlehne und Körper-unterstützungsfläche infolge ungünstiger Anordnung desDrehpunktes für die Rückenlehne, der gewöhnlich in denSchnittpunkt der vertikalen und horizontalen Körperunter-stützungsfläche gelegt wird (vgl. auch Abb. 9). Ferner istdas Abhebeln der Unterschenkel vom Boden beim Über-gang zur hinteren Sitzhaltung infolge des meist direkt überder Sitzsäule angeordneten Sitzflächen-Drehpunktes un-vermeidbar. Bei festen Arbeitsplattenhöhen muß das füreinen Großteil von Nutzern zum Kontakt von Knie undOberschenkel mit der Unterseite der Arbeitsplatte führen,besonders bei Sitzen mit Kippmechanik (Abb. 10 d), beider per Knopfdruck die hintere (Ruhe-) Sitzhaltung wählbarist. Wird bei einem Sitz mit Kippmechanik ein kleinerLeistenbeugewinkel gewählt, hat man zwar einen gutenArbeitssitz, aber einen schlechten Ruhesitz. Wird derLeistenbeugewinkel auf deutlich mehr als 90° eingestellt,stellt das Mobiliar zwar einen guten Ruhesitz, aber einschlechtes Arbeitsmittel dar.

Die Konsequenz aus den geschilderten funktionalenDefiziten kann letztlich nur darin bestehen, Drehpunktevorzusehen, deren Anordnung an den anatomischen Ge-lenken orientiert wird. Ferner ist für synchrone Verände-rungen von Leistenbeugewinkel und Sitzflächenneigung,und somit für einen physiologischen Bewegungsablaufbeim dynamischen Sitzen zu sorgen (Abb. 10 e). DerartigeSynchrontechniken werden mittlerweile von fast allennamhaften Büromöbelherstellern realisiert, die damit weitüber die in den DIN-Normen gemachten Vorgaben hinausge-hen. Abb. 11 zeigt ein nach den entsprechenden funktiona-len Aspekten der Synchrontechnik entwickeltes Sitzmöbel,das durchaus ästhetische Designgesichtspunkte mit ergo-nomischen Erfordernissen vereinen kann. Abb. 12 enthälteine Detailbeschreibung von Vorgaben zur ergonomischenSitzgestaltung nach der Synchrontechnik – die bereits1983 u.a. von Müller-Limmroth et al. allgemein bekanntgemacht wurde – um nicht nur sitzhaltungsbedingte Wir-belsäulenschäden zu vermeiden, sondern um auch einengewissen Sitzkomfort zu ermöglichen.

Schließlich ist der Drehpunkt in der Hüfte das Zielkri-terium für den Drehpunkt der Rückenlehne, um zu vermei-den, daß der bei DIN-Sitzen bekannte “Hemdauszieh-effekt” infolge von Relativverschiebungen zwischen Rük-kenlehne und der Kontur des Rückens resultiert. Einenicht sonderlich große Veränderung des Leistenbeuge-winkels um lediglich ca. 25° hat bereits eine Relativ-verschiebung von ca. 5-7 cm zur Folge. Dieser Hemdaus-zieheffekt wäre als Komfortbeeinträchtigung nicht einmalsonderlich bedeutsam, wenn damit nicht gleichzeitig auchder Ort der Unterstützung des Lendenwirbelbereichs durchden Lendenbausch bzw. die Vorwölbung der Rückenlehnezu weit nach oben verschoben würde, mit der Konse-quenz, daß die richtige Form des Rückens verlorengeht.Damit wird nämlich bereits die Brustwirbelsäule abge-stützt, mit der Folge, daß sich im Lendenwirbelbereich einfür die Belastung der Bandscheiben ungünstiger Rund-rücken einstellen kann.

Mit Hilfe von Abb. 10 sollen noch einmal zusammen-gefaßt die verschiedenen funktionalen Aspekte diverserSitzkonstruktionen erläutert werden und wichtige Vorga-ben für ergonomisch gestaltete Sitzelemente vermitteltwerden.

Eine starre Sitzkonstruktion aus Sitzfläche und Lehne,selbst mit Akerblomknick (Abb. 10 a) ermöglicht nurtheoretisch eine physiologische Sitzhaltung. Die Abstüt-zung im Lendenwirbelbereich durch den Akerblomknickist nur so lange wirksam, wie (in zumindest aufrechterSitzhaltung) das Gesäß mit dem unteren Teil der Lehne inKontakt steht. Wird zwischendurch einmal von der Ar-

Abb. 10: Sitze mit Akerblomknick, nach DIN 4551/52, mitKippmechanik und nach der Synchrontechnik(nach Stumbaum)

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Abb. 12: Wertebereiche und Detailbeschreibung ergo-nomischer Bürodrehstühle mit Synchrontech-nik (aus Diebschlag und Heidinger)

1. Rückenlehnenhöhe*)Senkrechter Abstand der Oberkanteder Rückenlehne von der Sitzfläche

2. Berührpunkt einer senkrechtenTangente (Lehnentangente) mit demkonkav gestalteten oberen Teil derRückenlehne*)

3. Höhe des oberen hinteren Becken-kammesüber der Sitzfläche*)

3a. Höhe der größten Vorwölbung desLendenbausches über der Sitzfläche*)

4. AbstandSitzfläche – Lehnenunterkante*)

5. Lendenbauschtiefe Verstellbereich.Wird für dieses Maß keine Verstellungvorgesehen, so sollten dafür 25-40 mmangesetzt werden.

6. SitztiefeWaagerechter Abstand zwischen Vor-derkante des Sitzes und senkrechterLehnentangente. Zusammen mit Maß 5ergibt sich eine Sitztiefe von ca. 400(380-440) mm entsprechend DIN 4551

7. Auflagebereich der Sitzbeinhöcker

8. Absenkung der Sitzfläche im Bereich derSitzbeinhöcker. Wird eine Polsterung miteiner Stärke von 30-40 mm vorgesehen,so kann auf eine Absenkung verzichtetwerden.

9. Abrundung der Sitzvorderkante

10. Waagerechter Abstand Vorderkante Sitzbis Beginn der Armlehne

11. Höhe der Armlehnen über Sitzfläche*)

12. Auflagebreite der Armlehne

13. Sitzhöhe*) Verstellbereich

14. Breite der Sitzfläche

15. Rückenlehnenbreite gemessen in Höhedes Lendenbausches; oberhalb desLendenbausches kann die Lehne auchschmäler gestaltet werden (280-350 mm),wenn eine besondere Beweglichkeit derArme von der Tätigkeit her erforderlich ist.

16. LehnenquerprofilmaßDas Querprofil der Rückenlehne soll immittleren Bereich (in allen horizontalenEbenen) gerade sein und zu den Seiten hintangential in Krümmungen mit demRadienmaß 17 übergehen.

17. Radienmaß des Rückenquerprofils

18. Radius des Kreises, den die Verbindungs-linien der Abstützpunkte tangieren.Bei Verwendung von Rollen ist von derungünstigen Rollenstellung auszugehen.Der Durchmesser des Abstützkreisesmuß mindestens dem größeren derbeiden Sitzflächenwerte (Breite, Tiefe)entsprechen.

Maßzahl Maß (mm) Verstellbarkeit

1 480 - 5502 400 - 4503 180 - 220

3a 260 - 3204 70 - 905 10 - 506 430 - 4507 100 - 1508 0 - 109 40 - 50

10 120 - 16011 200 - 24012 50 - 9013 400 - 54014 420 - 46015 380 - 44016 100 - 12017 300 - 40018 215 (min.)

*) Alle Maße, die sich auf die Sitzfläche bezie-hen, sind zu messen auf einer Polsterung, diemit einem Gewicht von 600 N in Form einerHalbkugel mit einem Durchmesser von 350mm belastet ist. Die Bemaßung erfolgt ineiner Einstellung der Synchronmechanik,in der Sitzflächenebene und Lehnentangenteeinen Winkel von 90° bilden.

(mm)

Abb. 11:Sitzkonstruktion mit syn-chroner Veränderung vonLeistenbeugewinkel undSitzflächenneigung (etwaim Verhältnis 2 : 1) beiDrehpunkten der Körper-unterstützungsflächen inder Nähe der anatomi-schen Gelenke Knie undHüfte

Balans-Stühle

In letzter Zeit wurden, vor allem von Skandinavienausgehend, sogenannte Balans-Stühle als eher körperge-rechte Alternative zum traditionellen Sitzen propagiert. InNachahmung der Kleinkindern beim Spielen oftmals eige-nen, auf den Fersen zurückgelehnten Sitzhaltung auf demBoden, die auch von Naturvölkern praktiziert wird, wurdemittlerweile eine Palette von “schemelartigen” Sitzmöbelngeschaffen, (vgl. Abb. 13 als Auszug aus dem Angeboteines Herstellers), mit denen (auf gewöhnlicher Stuhlhöhe)die Wirbelsäule durch eine abgeschrägte Sitzfläche in eineähnliche (richtige) Haltung bzw. Form gebracht werdensoll, wie sie beim Gehen und Stehen vorliegt. Eine stützen-de Lehne ist dabei angeblich überflüssig. Die Vorteile einesderartigen “Gestühls” liegen auf der Hand. Der Leisten-beugewinkel, der bei der traditionell “vornehm” aufrechtenSitzweise bei 90° liegt, wird in der Regel deutlich, mitunterüber 120° hinaus vergrößert. Damit kann auf jeden Fall dieansonsten, vor allem bei korpulenten Personen mehr oder

Abb. 13: Balans-Sitze in verschiedensten Ausführun-gen für die private Nutzung und den Bürobe-reich (aus einem Firmenprospekt)

10°Schwenkbereich

Sitz

Schwenkbereich Lehne22°

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weniger starke Einengung des Abdominalraumes mit Pres-sungen der inneren Organe des Bauchraumes vermiedenwerden. Das dürfte (wie Abb. 13 oben deutlich macht)besonders für Frauen in “anderen Umständen” wie auchallgemein in der Freizeit von Vorteil sein. Daß allerdings beilängeren Einsatzzeiten während der Arbeit (vgl. Abb. 13unten) ohne Rückenlehne die langfristig schädigendeRückdrehung des Beckens mit Kyphosierung der Lenden-wirbelsäule wirklich vermieden werden kann, wird vomArbeitskreis Sitzmöbel der Deutschen Gesellschaft fürOrthopädie in Abrede gestellt (vgl. Berquet). Außerdem istmit einer gewissen Verlagerung der Probleme aus demRücken in den Knie- bzw. Unterschenkel- und Fußbereichzu rechnen, so daß sich diese Art von Sitzen nicht als“Dauersitze” für den beruflichen Einsatz im Büro eignen.Allerdings kann derart alternatives Sitzen, wie überhauptdynamisches Sitzen zu einer Stärkung der ohnehin oft nurschwach entwickelten Rückenmuskulatur führen. Die inAbb. 13 Mitte skizzierten “Balans Office”-Sitze mit Rücken-lehne sind als Kombination zwischen konventionellen bzw.ergonomischen Sitzmöbeln und der Balans-Technik rechtaufwendige und kostspielige Konstruktionen. Details überdie Orthopädie des Sitzens siehe z.B. Schoberth.

Gegenseitige Abstimmung der Verstellbarkeits-bereiche der Elemente von Tisch-Stuhl-Systemen

Ergonomische Optimierung im Detail ohne Berück-sichtigung der Gesamtzusammenhänge läuft nicht seltenGefahr, daß daraus möglicherweise nur “Schönfärberei”wird. So dürfen bereits Sitze nicht nur isoliert für sichbetrachtet ergonomisch perfekt gestaltet werden, sondernsie müssen stets die Anforderungen eines Arbeitssy-stems “Tisch-Stuhl” erfüllen. In diesem Sinne muß z.B. dieVerstellbarkeit der Sitzhöhe vor allem dazu eingesetztwerden, daß Arbeiten in entspannter Körperhaltung mög-lich wird. So ist an Schreibtischen und Maschinentischengleichermaßen (vgl. Abb. 14) ein Variationsbereich nötig,der deutlich über den in der DIN 4551 geforderten Werthinausgeht. Mit 38-54 cm ist vor allem “nach unten”, aberauch “nach oben” ein “Mehr” zweckmäßig, damit für Großund Klein jeweils eine günstige Distanz “Arbeitsebene-Sitzebene” von etwa 28 ± 2 cm einstellbar ist. DieserAbstand – orientiert an der Ellenbogenhöhe über derSitzfläche – sollte nicht unterschritten werden, weil sonstein Rundrücken mit entsprechenden Beschwerden imLendenwirbelbereich die Folge ist, aber auch nicht zu großwerden, weil sonst im Zuge der Kompensation zu hoherDistanzen der Oberarm-Schultergürtel-Muskulatur stati-sche Verspannungen aufgezwungen werden.

Weil die Differenz der Augenhöhe zwischen einem 95.-Perzentil-Mann und einer 5.-Perzentil-Frau (bei den 16- bis60-jährigen) 15 cm beträgt (vgl. Abb. 15), muß eineentsprechende Höhenverstellbarkeit der Sitze vorhandensein, um für gleiche Sichtverhältnisse von Groß und Kleinan Bildschirmarbeitsplätzen sorgen zu können. Wie be-

reits in Kap. 2.4.2. dargestellt, ist der Beinraum – ausge-richtet am 95.-Perzentil-Mann – ausreichend groß zugestalten, so daß sich die in Abb. 16 verzeichneten Werteergeben. Es sei noch einmal hervorgehoben, daß bei einermittlerweile genormten Plattenhöhe von 72 cm für allge-meine Bürotische wie auch für Bildschirmarbeitstischezwar eine lichte Beinraumhöhe von 69 cm möglich wird,allerdings bereits für mittelgroße Nutzer das zwischen-durch erstrebenswerte, der Entspannung förderliche Über-einanderschlagen der Beine unterbunden wird.

Abb. 14: Für eine günstige Körperhaltung im Sitzen erfor-derliche Distanz Sitzebene – Arbeitsebene von28 ± 2 cm und entsprechend großer Verstellbe-reich der Sitzhöhe (nach Grandjean und Hünting)

Abb. 15: Differenz der Augenhöhe im Sitzen zwischengroßen Männern und kleinen Frauen bei gleicherArbeitshöhe an einem Bildschirmarbeitsplatz

15 cm

65-68

≥17

48-50

10-25°

48-50

74-78

10-25°

38-54

28±2

28±2

38-54

≥17

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Wenn nicht variabel, ist die Höhe eines Bildschirmesauf einer Arbeitsplatte zweckmäßigerweise – ähnlich wiedie wichtigsten Sichtgeräte im Oberteil einer Konsole(vgl. Kap. 2.4.2.) – ausgehend von einem Augenbezugs-punkt vorzugeben, der sich strenggenommen nach einer50.-Perzentil-Person über einer mittleren Sitzflächenhöheergibt. Wenn so bei orthogonaler Draufsicht auf denmittleren Teil des Schirmes eine entspannte Sehachsevon ca. 40° für mittelgroße Nutzer vorliegt, ist diese fürgrößere bzw. kleinere Nutzer nur zu erreichen, wenn sieeine entsprechend niedrigere bzw. höhere Sitzhöhe ein-stellen, um ihren individuellen Augenpunkt auf diesenvorgegebenen Bezugspunkt einzurichten. Demnach müs-sen z.B. bei dem in Abb. 16 rechts dargestellten Fall5.-Perzentil-Frauen sogar eine Sitzhöhe von 55 cm ein-stellen, die dann wiederum eine entsprechend hohe Fuß-stütze bedingt. Ohne eine 15 cm hohe Fußabstützungwürden die Beine in der Luft “baumeln”.

Fußstützen

Fußstützen müssen grundsätzlich als eine verschieb-bare, höhenverstellbare keilförmige Fläche, und nicht le-diglich als Querstange zwischen einem linken und rechtenSchubladenteil eines Schreibtisches mit einer Tiefe von35 cm und einer Breite von mindestens 45 cm gestaltetsein. Auch großen Füßen mit Schuhwerk ist in entspann-

ter Haltung Abstützung zu ermöglichen. Bei einer Schrägemit einem Variationsbereich von ca. 10-25° sollten sie (wiedie Sitzhöhe) etwa 15 cm höhenverstellbar sein. NachAbb. 17 müssen z.B. Start-Stop-Fußschalter für dieBetätigung von Diktiergeräten in Fußauflagen derart bün-dig eingebaut sein, daß Verspannungen der Unterschen-kelmuskulatur vermieden werden können. Details überAnforderungen an Fußstützen und deren Abmessungensiehe DIN 4556.

Abb. 16: Räumliche Bezugsmaße für Bildschirmarbeitsplätze mit Beinraumabmessungen (in cm), die nachden Abmessungen des 95.-Perzentil-Mannes bestimmt wurden, und an der 5.-Perzentil-Frauorientierte Greifraumabmessungen sowie Sichtverhältnisse (in cm) (nach Schmidtke, 1981)

Abb. 17: Schematische Darstellung einer (mindestens45 cm breiten und 35 cm tiefen) Fußauflage mitnach Peters (1976) wichtigen Funktionen

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Arbeitsplattenhöhen

Die oben geschilderte günstige Körperhaltung an Tisch-Stuhl-Systemen mit Distanzen der Arbeitsebene zur Sitz-fläche im Bereich von 26-30 cm verlangt in der Regel anMaschinentischen flache Tastaturen bzw. niedrige Bau-weisen von Schreibmaschinen. Bei einem Oberschenkel-freiraum von 17 cm und einer Platten- bzw. Zargendickevon insgesamt etwa 4 cm bleibt nur wenig “Spielraum” fürdie Höhe der mittleren Tastenreihe über der Tischplatte. Inden Sicherheitsregeln für Bildschirmarbeitsplätze im Bü-robereich (N.N., 1981b) bzw. in diversen Normen wurdedeshalb zu Recht eine Limitierung der mittleren Tastenreihevon Tastaturen für Bildschirmarbeitsplätze auf 3 cm gefor-dert, so daß die Arbeitshöhe wie für manuelle Schreibtätig-keiten vormals 75 cm betragen kann.

Die Tendenz der Normierungsbestrebungen auf demSektor der Arbeitsplattenhöhen im Büro und Verwaltungs-bereich zu immer niedrigeren Werten (von ehemals 78über 75 zu 72 cm) muß allerdings aus ergonomischerSicht verwundern, steht sie doch im Widerspruch zu derbiologischen Gegebenheit der Akzeleration, daß die Men-schen von Generation zu Generation keineswegs kleiner,sondern größer wurden. Bei abgesenkten Plattenhöhenund nicht nach unten erweitertem Sitzverstellbereich kön-nen manche Tisch-Stuhl-Systeme im Büro- und Verwal-tungsbereich nicht richtig passen, bzw. führen für einenGroßteil von Nutzern zu unnötig großen Rundrücken.

Außerdem wird es ohnehin zwangsläufig schwierig, beieiner festen Normtischhöhe visuelle Gesichtspunkte (z.B.entspannte Sehachse im optimalen Blickfeld) und Greifbe-dingungen für handschriftliche Arbeiten und die Eingabevon Texten über Terminals “unter einen Hut” zu bringen,

wenn nur ein Arbeitselement (nämlich der Sitz, und diesernach DIN zudem nur unzureichend) höhenverstellbar ist.Aus ergonomischer Sicht bedarf der Bildschirm z.B. imZuge der Einstellung der entspannten Sehachse, und zwarnicht nur für kleinere Nutzer keiner “Beförderung” in derHöhe, sondern eher einer Absenkung in die Arbeitsplatte.Zweigeteilte, höhenverstellbare Tische (wie in Abb. 18skizziert) sind also einer günstigen Körperhaltung förderlich.

Tastaturen

Tastaturen in einer individuell passenden Arbeitshöhemit einer Handballenauflage reduzieren statische Ver-spannungen und führen heute auch weniger zu Sehnen-scheidenentzündungen als noch in den 60er Jahren.Damals war die Tendovaginitis als Folge kraftbetonterfingerdynamischer Tätigkeiten an mechanischen Schreib-maschinen eine häufige (allerdings die einzige im Bürobe-reich anerkannte) Berufskrankheit (vgl. Hettinger, 1977).Bereits durch die Einführung leichtgängiger elektrischerSchreibmaschinen konnte der Anpreßdruck der Fingerauf 1/10 reduziert werden, so daß auch die Reibungderjenigen Sehnen in den Sehnenscheiden, die gleichsamwie Seilzüge die Verbindung zwischen den Muskelgrup-pen am Unterarm (den Stellmotoren) und den Fingern(gleichsam den Stellteilen) darstellen, erheblich vermin-dert werden konnte. Ein hoher Anpreßdruck der Fingerund hohe Anschlagshäufigkeit mußte besonders an denUmlenkpunkten der Sehnen bei nach außen abgewinkel-ter, ulnar abduzierter Hand zwangsläufig eher zur Verdrän-gung der Gleitflüssigkeit in den Sehnenscheiden, unddamit zu Reibung mit Entzündungen führen, als das heutebei leichtgängigen Tastaturen der Fall ist. Trotzdem sindmit den traditionellen Tastenfeldern nach DIN 2137, Teil 1und 2 bzw. DIN 2139 oftmals noch Probleme vorhanden,deren Ursache allerdings vornehmlich in statischen Ver-spannungen der gesamten Hand-Arm-Schulterpartie infol-ge einer Körperhaltung zu suchen ist, die von der Betäti-gung dieser Tastaturen vorgegeben wird.

Die Normallage der Hand ist nämlich dann gegeben,wenn bei herabhängenden Armen die Handinnenflächenjeweils der Hüfte zugewandt sind. Wenn in Schreibhaltungbeim Sitzen der Unterarm auf etwa 90° angewinkelt wer-den muß, dann ist jedoch eine Einwärtsdrehung (Prona-tion) der Hand um ca. 90° erforderlich. Weil aber der axialeDrehbereich der Längsachse des gebeugten Armes (imGegensatz zur gestreckten Haltung) nicht mehr ca. 180°(herrührend von der hohen Beweglichkeit des Kugelgelen-kes der Schulter), sondern aus dem Ellenbogengelenkheraus nur etwa ca. 130° beträgt, muß der eingeschränkteDrehbereich von nur etwa 65° nach innen durch dasentsprechend weite Abspreizen der Ellenbogen vom Kör-per kompensiert werden. Das führt dann dazu, daß dieAchse Unterarm-Hand schräg auf die Tasten zu verläuft,so daß für eine funktionsgerechte Betätigung der parallelangeordneten Tastenreihen ein seitliches Abwinkeln der

Abb. 18: Zweigeteilte höhenverstellbare Tische zurindividuellen Einstellung der manuellen undvisuellen Arbeitshöhen

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Hand nach außen (um bis zu ca. 30°) notwendig wird. Indieser Haltung (mit ulnar abduzierter Hand und abge-spreiztem Oberarm) zu arbeiten, ist zwar möglich, aber beilangen Einsatzzeiten mit negativen Folgen verbunden,zumal Hand und Arm in statischer Weise gehalten werdenmüssen. So stellen sich zunehmend mehr oder wenigerstarke Verspannungen, nicht nur in der Hand, sondernauch in weiter oben gelegenen Muskelpartien ein.

Elektromyographische Untersuchungen von Zipp et al.über die Form der Gelenkkennlinien für die ulnare Abduk-tion der Hand und die Pronation des Unterarms ergaben,daß die statische Anspannung der funktionsmäßig zu-ständigen Muskelgruppen bei Auslenkungen aus dernatürlichen Ruhelage heraus überproportional zunahm.Bereits bei einer geringen Reduktion der an traditionellenTastaturen einzunehmenden ungünstigen Armhaltung(mit einer ulnaren Abduktion bis zu 30° und Pronation biszu ca. 65°) kann deshalb eine überproportionale Entla-stung erwartet werden. Aufgrund von etwa parallel zudieser Zeit durchgeführten arbeitsmedizinischen Untersu-chungen und Experimenten um den Arbeitskreis vonGrandjean (vgl. Nakaseko et al.) wurden Tastaturen mitergonomischem Layout entwickelt, das in einer Teilungdes traditionellen Tastenfeldes in zwei Halbtastaturen miteinem Öffnungswinkel und einer leicht dachziegelartigen,seitlichen (lateralen) Neigung der beiden Hälften besteht(vgl. Abb. 19 unten). Selbst Öffnungswinkel von nur 25°

(mit einer Abmilderung der ulnaren Auslenkung einer Handum die Hälfte) und seitliche Neigungswinkel von lediglich10° (mit entsprechender Abschwächung der Einwärtsdre-hung des Arms) – als vertretbarer Kompromiß zwischenverschiedenen Zielkriterien des Tastenlayouts – führtennachgewiesenermaßen zu einer wesentlichen Entlastungderjenigen Muskelgruppen, die im Zuge der Abwicklungder Hand und der Einwärtsdrehung des Unterarms sta-tisch beansprucht werden. Die oben erläuterten Zusam-menhänge haben zumindest einige Hersteller von Tastatu-ren veranlaßt, diese ergonomischen Erkenntnisse auch indie Praxis umzusetzen.

Nicht unerwähnt bleiben soll, daß in Japan bereits voreinigen Jahren Tastaturen auf den Markt kamen, bei denendie historisch entstandene Tastenfeldanordnung aus dem19. Jahrhundert zugunsten funktionaler Erfordernisse auf-gegeben wurde. Die Tatsache, daß häufig zu betätigendeBuchstaben sich nicht unter den beweglichsten Fingernbefinden, sondern absichtlich auseinandergelegt wurden,rührt bekanntlich einzig und allein von der Intention her, beider Typenhebel-Mechanik Verklemmungen der Tasten zuvermeiden, ist also noch einer Generation von Gerätenzuzuschreiben, die längst nicht mehr den Stand derTechnik repräsentieren. Neuentwicklungen von Tastaturenaus letzter Zeit sowie Erfahrungen aus Anlernversuchenwerden u.a. bei Keller, Becker und Strasser sowie Metkerund Tränkle beschrieben.

Abb. 19: Normale QWERTZ-Tastatur (Reihenfolge der Buchstaben in der dritten Reihe von links nach rechts) undModelle von Tastaturen mit dem Anspruch eines ergonomischen Tastenlayouts (aus Keller, Becker und Strasser)

ErgonomischeTastatur nach Grandjean et al. (1981)Ergonomische Tastatur nach Ilg (1987)

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geben. Abb. 20 soll deutlich machen, daß es “Usus”geworden ist, viel zu viel zu sitzen. Der menschliche Körperist jedoch als chemodynamische Kraftmaschine auf Dyna-mik eingestellt. Dynamik ist notwendig in der Arbeit,Bewegung tut Not, um körperlich fit zu bleiben, dynami-scher Einsatz der Muskulatur – vor allem der Beinmuskulatur– ist geradezu die Voraussetzung dafür, daß mittels derMuskelpumpe als Hilfsaggregat für den Blutfluß der Kreis-lauf in Gang gehalten wird.

Dynamik bei der Arbeit im Büroals ergonomisches Prinzip

Selbst bei Einhalten aller im Vorstehenden auszugs-weise geschilderten ergonomischen Vorgaben sind reineSitzarbeitsplätze aus arbeitsphysiologischer Sicht pro-blematisch. Auch mit dem besten Synchron-Sitz odereiner ergonomischen Tastatur können nicht alle Nachteilekompensiert werden, die sich als Folge einer allein aufstatischer Optimierung bedachten Arbeitsgestaltung er-

Abb. 21: Arbeitsphysiologisches Motto

Abb. 20: “Homo sedens” in der Freizeit und in der Arbeit – Bewegungsmangel

Wer also Rückgrat hat, steht auf Bewegung (vgl. Abb. 21),denn längeres Sitzen bedeutet auch auf ergonomischenStühlen

• Beschwerden im Nacken,

• Schmerzen im Rücken(vor allem in der vorderen Sitzhaltung),

• Beschwerden in den Sitzpartienund Probleme mit der Peristaltik.

Deshalb sollte möglichst mit der Arbeit ein oftmaliges“die Beine vertreten” verbunden sein. Wechselnde Arbeits-haltungen und vor allem Körperstellungswechsel habenauch über die Aktivierung der auf Dehnungsreize anspre-chenden Muskelspindeln positive Wirkungen auf die Vigi-lanz, d.h. den Wachheitsgrad. Ein Arbeitsplatz mit mini-malem Bewegungsaufwand ist also im Hinblick auf dasAbsinken des Wachheitspegels eher negativ zu bewerten,da der Kreislauf bei stillgelegter Venen-Muskel-Pumpekeine Unterstützung erfährt und der sensorische Einstromaus den Muskelspindeln reduziert wird.

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In diesem Zusammenhang bieten höhenverstellbareTische verschiedene Vorteile. Erstens wird die “Zentime-terrangelei” der Normvorschriften überflüssig, weil sichdamit individuelle Optimierungen nach des einzelnenMenschen Maß ermöglichen lassen. Bei den individuellenArbeitsgestaltungsmaßnahmen in der vorindustriellen Zeitwar z.B. die Tischhöhe nach “Volksnormen” bzw. “Faust-regeln” dem Nutzer dann angepaßt, wenn sie 9 mal dieFaust übereinandergelegt ausmachte, so wie die Sitzhöhe“5 Faust” entsprechen sollte, oder die einzeln angefertigteStillänge einer Axt paßte individuell dann, wenn sie von derAchselhöhle bis zu den Fingern reichte oder “3 Handspan-

nen” bzw. 2 Fuß entsprach. Diese individuelle ergonomi-sche Anpassung von Arbeitsmitteln ist bei Massenferti-gung nach dem metrischen System nicht ohne weiteresmöglich. Durch Modularität und Verstellbarkeit bzw. mitArbeitsmitteln in verschiedenen “Konfektionsgrößen” kannsie jedoch zumindest annähernd erreicht werden. Schließ-lich eröffnen sich bei ausreichend großem Verstellbereichvon Tischen sogar Möglichkeiten zu dem wichtigen Wech-sel vom Sitzen zum Stehen und zu einem “sich die Beinevertreten”. Abb. 22 soll verdeutlichen, daß so nach demMotto “immer auf der richtigen Höhe”, im Stehen und imSitzen gearbeitet werden kann.

Abb. 22: Immer auf der richtigen Höhe – entspannte Körperhaltung im Sitzen und im Stehen duch höhenverstellbareTische. Ohne Höhenvariabilität ergibt sich an Normtischen zwangsläufig für einen Teil von Nutzern einRundrücken (vgl. Kasten unten rechts)

Mit derartigen höhenverstellbaren Tischen, die mehrund mehr von verschiedenen Herstellern angeboten wer-den, ergeben sich auch Lösungen für jeden Bereich undjede Tätigkeit (vgl. Abb. 23) durch individuelle Variabilitätder Arbeitshöhe im Sitzen und im Stehen, bei Schreib- undSortiertätigkeiten, aber auch bei Besprechungen und Dis-kussionen.

Mischtätigkeiten, Motivation und allgemeineEmpfehlungen

Im Zusammenhang mit der eingangs erwähntenNotwendigkeit des menschengerechten Einsatzes desHumankapitals im Bürobereich sei noch einmal daraufhingewiesen, daß aus ökonomischer Sicht bereits dieArbeitsplatzgestaltung so erfolgen muß, daß nicht ledig-lich “Dienst nach Vorschrift” geleistet wird, sondern daßMotivation und Engagement der Belegschaft als Garant fürAbb. 23: Höhenverstellbare Bürotische als Lösungen

für jeden Arbeitsbereich und jede Tätigkeit

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die Effizienz einer Organisation entstehen kann. Motivation,Lust und Laune sowie Wohlbefinden bei der Arbeit sind anergonomisch ausgereiften Arbeitsplätzen eher zu erwar-ten, als wenn arbeitswissenschaftliche Gestaltungsbe-mühungen “unter den Tisch fallen” bzw. über ein Minimumnicht hinausgehen. Dabei darf allerdings nicht nur an denArbeitsplatz selbst, d.h. die Räumlichkeiten mit Mobiliargedacht werden. Gerade in einer Zeit, in der vielerortsBemühungen erkennbar werden, Leerlauf- und Durchlauf-zeiten zu verkürzen, Arbeitsverfahren zu straffen und dieArbeit durch neue Techniken zu vereinfachen, müssenauch Arbeitsinhalte und Arbeitsabläufe für den Menschenvorgesehen werden, die ein Potential an Motivationsanrei-zen für die Beschäftigten bergen. Inhaltsreiche Mischtätig-keiten, Job Enlargement bzw. Job Enrichment oder JobRotation (z.B. Allzuständigkeit von Sachbearbeitungim Büro) anstelle von Zentralisierungstendenzen sindlangfristig erfolgreicher beim Bemühen, Motivation undIdentifikation mit der Arbeit zu erzeugen, als das monetäreAnreize vermögen. Darüber hinaus ist dann auch dieAuftretenshäufigkeit körperlicher Beschwerden, wie beitraditioneller Büroarbeit im Vergleich zu entmischten Tä-tigkeiten (z.B. der reinen Dateneingabe bzw. Textverarbei-tung am Bildschirm) deutlich niedriger.

Rationalisierung und Technisierung im Bürobereich,mitunter erkennbar am Vordringen neuer bildschirmge-stützter Informations- und Kommunikationssysteme, be-günstigten vom Ansatz her das Ausbilden von Arbeits-strukturen, die den klassischen tayloristischen Organisa-tionsmodellen der Fertigung nahekommen. Diese sindjedoch dort mittlerweile bereits obsolet geworden. Diehäufig angestrebte Entmischung von Arbeitsinhalten unddie Spezialisierung auf wenige Maschinenbedienungs-funktionen bei oftmals räumlich-organisatorischer Zentra-lisierung ist aus arbeitswissenschaftlicher Sicht nichtunbedenklich. Selbst aus ökonomischer Sicht ist siemeist eine Fehlsteuerung, weil dabei Fexibilität und dieFähigkeit zur “ad-hoc-Erledigung” von Aufgaben sowie dieunmittelbaren Kommunikationsbeziehungen zur Aufga-benstruktur verloren gehen (vgl. z.B. Reichwald). Unter derMaxime, daß die Verwaltung bzw. der Bürobereich dieGewinne nicht aufzehren dürfe, die in der Produktionerwirtschaftet werden, erscheinen zwar vordergründig ra-tionell organisierte, vom Technikeinsatz geprägte Arbeits-strukturen als wirtschaftlich notwendig, selbst wenn siemöglicherweise weniger humane Züge haben sollten.Technikeinsatz muß allerdings nicht mit ökonomischerZwangsläufigkeit zu qualitativ schlechteren Arbeitsstruk-turen führen. Vielmehr kann auch eine gewisse “Harmoni-sierung” von wirtschaftlichen Zielvorstellungen mit Huma-naspekten erreicht werden, wenn bereits vor oder zumin-dest während eines Umstellungsprozesses ergonomi-sche Erkenntnisse in die Planung miteinfließen.

Zusammenfassend sei noch einmal herausgestellt,was aus arbeitswissenschaftlicher Sicht unabdingbar ist,damit “Ergonomie” für den Büro- und Verwaltungsbereichnicht nur ein Schlagwort bleibt, damit Anspruch undWirklichkeit in der Bürowelt nicht auseinanderdriften. AlsArbeitsgestalter wird man nicht umhin kommen, sichsystematisch mit den physiologischen und psychologi-schen Eigengesetzlichkeiten und den sozialen Bedürfnis-sen des Menschen bei der Arbeit auseinanderzusetzen.Es werden nicht nur Optimierungen im Detail vorzuneh-men sein, die möglicherweise lediglich kosmetischenReparaturen gleichkommen, also sektorale Verbesserun-gen an einem vom Ansatz her nicht richtig gestaltetenArbeitssystem darstellen. Das droht immer dann, wennversäumt wird, das Mikrosystem “Arbeitsplatz” in dasGesamtsystem der Arbeitsbedingungen nach menschen-gerechten Kriterien einzubetten. Es wird darauf zu achtensein, daß z.B. modulare Arbeitssysteme tatsächlich er-hebliche Vorteile bieten. Beim Arbeitsmittel “Bildschirm”wird bereits seit langem schon Modularität gegenüberKompaktsystemen favorisiert, damit nämlich Tastatur undBildschirm, Belegvorlage und weitere Arbeitsmittel dahingebracht werden können, wohin sie nach ergonomischenForderungen gehören. In diesem Zusammenhang wirdz.B. in einer von der Berufsgenossenschaft Druck undPapier herausgegebenen Broschüre recht treffend festge-stellt, daß die individuelle Verstellbarkeit aller Arbeitsmit-tel Selbstverständlichkeit sein muß, z.B. auch die indivi-duelle Einrichtung von Höhe und Neigung des Bildschirmsso, wie eben die Verstellbarkeit des Rückspiegels, wennman sich in ein fremdes Auto setzt.

Daß also Arbeitnehmer mit modularen Arbeitsplätzen,auch solchen, die in der Höhe verstellbar sind, besser“fahren”, sollte keine Frage sein. Das gilt umsomehr, alses einer allgemeinen arbeitswissenschaftlichen Erfahrungentspricht, daß ein auf den Zentimeter genau ausgelegterArbeitsplatz nicht bereits ein optimaler zu sein braucht.Ergonomische Daten sind und bleiben nämlich stetsDaten mit Richtwertcharakter für Bereiche und nicht fürPunkte. Ferner sollte man sich immer dessen bewußtsein, daß ergonomisches Bemühen, im Sinne einer stati-schen Optimierung eine wichtige Angelegenheit ist, aberselten ausreichend sein kann. Derartigen Bestrebungenhängt nicht selten der Makel an, daß dabei der mensch-liche Organismus lediglich als eine Art “Stativ für Hand undAuge” betrachtet wird. Dynamik ist also erforderlich, Dyna-mik in den Körperstellungen, im Arbeitsablauf, Dynamikaber auch in den Arbeitsinhalten. Das Planen und Gestal-ten von Arbeitsplätzen im Büro und in der Verwaltungverlangt allerdings etwas mehr an Denkaufwand, als sichdes bloßen Erinnerns und Anwendens von einzelnenKochrezepten aus der “Normenküche”, auch wenn dieses“Kochbuch” heute zumindest an Umfang gewinnt.

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ERGONOMIE Arbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereich

UNIVERSITÄT SIEGEN AWS

Institut für Fertigungstechnik Arbeitswissenschaft/Ergonomie

Prof. Dr.-Ing. Helmut Strasser

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Wie aus dem Straßenverkehrsbereich bekannt ist,vermindert ein Übermaß an Reglementierung selbst beieinsichtigen Verkehrsteilnehmern die Bereitschaft,Regeln und Vorschriften zu beachten. Stets gilt es des-halb auch die Gesamtzusammenhänge des Systems

“Mensch-Technik-Arbeit” zu hinterfragen, stets müssenauch die Interdependenzen zwischen den verschiedenenGestaltungszielen bedacht werden, um möglichst weitden Ganzheitsaspekten menschlicher Bedürfnisse bei derArbeit entsprechen zu können.

Literaturhinweise1) BERQUET, K.-H.: Konventionelles oder alternatives Sit-

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3) DIN 4551: Büromöbel; Bürodrehstuhl mit verstellbarerRückenlehne mit oder ohne Armstützen; höhenver-stellbar, Oktober 1975

4) DIN 4552: Büromöbel; Drehstuhl mit in der Höhe nichtverstellbarer Rückenlehne mit oder ohne Armstützen;höhenverstellbar, Oktober 1975

5) DIN 4551: Bürodrehstühle und Bürodrehsessel. Sicher-heitstechnische Anforderungen, Prüfung, Juni 1988

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9) METKER, Th. und U. TRÄNKLE: Tastschreiben auf konven-tionellen und ergonomisch optimierten Tastaturen –Untersuchungen zum Neulernen und Umlernen.Z.Arb.wiss. 45 (17NF) 1, 11-19 (1991)

10) MÜLLER-LIMMROTH, W.; DIEBSCHLAG, W. und G. FÖR-STER: Arbeitssitze – wie sie sein sollen. Ein An-forderungskatalog für die Praxis. Schriftenreihe“Humanisierung des Arbeitslebens”, Band 51,VDI-Verlag, Düsseldorf, 1983

11) N.N.: Arbeiten mit Bildschirmgeräten – Taschenbuch fürden Praktiker. Institut für angewandte Arbeitswissen-schaft e.V. (Hrsg.), Wirtschaftsverlag Bachem, Köln,1982

12) N.N.: Arbeitsgestaltung in Produktion und Verwaltung –Taschenbuch für den Praktiker. Institut für angewandteArbeitswissenschaft e.V. (Hrsg.), WirtschaftsverlagBachem, Köln, 1989

13) N.N.: Büroarbeitsplätze – sicher und gesund! – Informa-tionsbroschüre SP 2.6. Hrsg.: Bundesarbeitsgemein-schaft für Arbeitssicherheit (BASI), Düsseldorf, o.J.

14) N.N.: Rationalisierung im Büro – wo bleibt der Mensch?Arbeitswissenschaftliche Schriftenreihe des Bayeri-schen Staatministeriums für Arbeit und Sozialord-nung, München, 1981a

15) N.N.: Sicherheitsregeln für Bildschirm-Arbeitsplätze imBürobereich. Hauptverband der gewerblichen Berufs-genossenschaften – Zentralstelle für Unfallverhütungund Arbeitsmedizin, Zbl. 1/618, Bonn, 1981b

16) N.N.: Sicherheitsregeln für Büro-Arbeitsplätze. Hauptver-band der gewerblichen Berufsgenossenschaften –Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin,Zbl. 1/535, Bonn, 1976

17) N.N.: Wie stehen Sie zum Sitzen? Informationsbroschüreder F. Biedermann GmbH & Co KG, Hechingen, o.J.

18) N.N. Ergonomie. Informationsbroschüre. C. und H. Leut-häusser, Büro- und Zeichenmöbelfabrik, Wiesenfeld/Coburg, 1987

19) NAKASEKO, U.; GRANDJEAN, E.; HÜNTING, W. and R.GIERER: Studies on Ergonomically DesignedAlphanumeric Keyboards. Human Factors 27 (2)175-187 (1985)

20) PETERS, Th.: Arbeitswissenschaft für die Büropraxis – EinHandbuch der Büro-Medizin und -Ergonomie.2. verbesserte Auflage, F. Kiehl Verlag, Ludwigshafen/Rhein, 1976

21) PETERS, Th.: Optimales Sitzen im Büro. Erfolg-Magazin10, 152-153 (1990)

22) REICHWALD, R.: Arbeitsstrukturierung im Schreibdienstund das Problemfeld “Wirtschaftlichkeit”. Z.Arb.wiss.35 (7NF) 4, 211-216 (1981)

23) SCHOBERT, H.: Orthopädie des Sitzens, Springer Verlag,Berlin/Heidelberg/New York/London/Paris/Tokyo/Hong Kong, 1989

24) STRASSER, H.: Ergonomie im Bürobereich. Zentralblattfür Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz, Prophylaxe undErgonomie 40(5) 130-147 (1990)

25) STUMBAUM, F.: Experimentelle Untersuchung und ma-thematische Simulation der Sitzhaltung auf Arbeits-stühlen. Dissertation, Technische Universität Mün-chen, 1983

26) ZIPP, P.; HAIDER, E. HALPERN, N.; MAINZER, J. und W.ROHMERT: Untersuchungen zur ergonomischenGestaltung von Tastaturen. Zbl.Arbeitsmed. 31 (8)326-330 (1981)

Aus STRASSER, H.: Arbeitsgestaltung im Büro- und Verwaltungsbereich. Kap. 2.4.3. in HETTINGER, Th. und G. WOBBE (Hrsg.): Kompendium der Arbeitswissenschaft. Kiel Verlag, Ludwigshafen, 1993