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Heft 4/2014 Militärgeschichte im Bild: Flugzeuge der bayerischen Feld-Flieger-Abteilung 9 b unweit Toblach, 1915. Luftkrieg an der Ostfront 1914–1918 Tuskegee-Airmen Vom Jäger 90 zum Eurofighter Kasernennamen der Bundeswehr C 21234 ISSN 0940 - 4163

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Hef

t 4/

2014

Militärgeschichte im Bild: Flugzeuge der bayerischen Feld-Flieger-Abteilung 9 b unweit Toblach, 1915.

Luftkrieg an der Ostfront 1914–1918

Tuskegee-Airmen

Vom Jäger 90 zum Eurofighter

Kasernennamen der Bundeswehr

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ImpressumZMG 2014-H3 Impressum EditorialZeichen: 2.900V1 mt 2014-08-21, V2 lekt 2014-08-

21, V3 mt 2014-08-22

S. 2 Die Erdoberfläche ist zu 30 Prozent von Land und zu 70 Prozent von Was-ser bedeckt. Darüber erstreckt sich zu 100 Prozent der Luftraum. Die Ent-wicklung der militärischen Luftfahrt ist somit als Eroberung des Luftraumes ein Aspekt des Themas Militär und Raum, dem das vorliegende Heft ge-widmet ist.

Die Rubrik »Militärgeschichte im Bild« und mit ihr das Coverfoto kün-den von den immensen Schwierig-keiten, denen die Piloten im Jahre 1915 bei der Meisterung des Hochgebirges

ausgesetzt waren: Kälte, Böen, Fallwinde und schwache Motoren. Sebastian Rosenboom spinnt diesen Faden fort. Er berichtet vom Einsatz der Flieger-truppe an der Ostfront in den Jahren 1914 bis 1918. Dieser Einsatz stand bis-lang zumeist im Schatten der Luftkämpfe an der Westfront. Die Flieger im Osten aber hatten wesentlich größere Entfernungen zu überwinden und sa-hen sich mit deutlich schlechterer Infrastruktur konfrontiert, was die Logi-stik vor gewaltige Aufgaben stellte. Zudem trafen sie auf eine Bevölkerung, deren Sprache sie kaum verstanden und deren Lebensweise und Mentalität ihnen fremd waren. Da die Aktivitäten des Gegners in der Luft vergleichs-weise gering ausfielen, stand die Meisterung des Raumes und nicht der Luft-kampf im Zentrum der Fliegermemoiren der 1920er und 1930er Jahre.

Afro-Amerikaner hatten einen immensen sozialen Raum zu durchschreiten und massive gesellschaftliche Widerstände zu überwinden, bevor sie in ihrer Heimat USA als Piloten zugelassen wurden. In beiden Weltkriegen herrschte bei den US-amerikanischen Streitkräften zudem Rassentrennung, die erst 1948 beendet wurde. Stefan Kontra beleuchtet dies am Beispiel der »Tuske-gee Airmen« – Fliegerverbänden, die sich ausschließlich aus Schwarzen zu-sammensetzten – in der United States Army Air Force 1941 bis 1945.

Bevor ein Waffensystem oder ein (Groß-)Gerät in die Streitkräfte eingeführt wird, vergehen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Von der Idee bis zur Ausliefe-rung gilt es, viele Hindernisse und Bedenken in den politischen, sozialen und gesellschaftlichen Räumen zu überwinden und zu zerstreuen, wie Heiner Möllers am Beispiel der Geschichte des Jägers 90 bzw. des Eurofighters auf-zeigt.

Kasernen stellen einen besonderen Raum innerhalb der Gesellschaft eines Landes dar. Um ihre Namensgebung wird auf militärischer, politischer wie auch gesamtgesellschaftlicher Ebene immer wieder kontrovers diskutiert. Was heute genehm ist, kann übermorgen bereits nicht mehr dem Traditions-verständnis entsprechen. Hans-Hubertus Mack beleuchtet dieses Thema an-hand von drei Soldaten, die im Nationalsozialismus Karriere gemacht ha-ben.

Eine gewinnbringende Lektüre dieses Heftes und ein glückliches sowie friedliches 2015 wünscht Ihnen

Ihr

Dr. Harald PotempaOberstleutnant

EditorialMilitärgeschichteZeitschrift für historische Bildung

Herausgegebenvom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehrdurch Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack undOberst Dr. Sven Lange (V.i.S.d.P.)

Produktionsredakteur der aktuellen Ausgabe:Oberstleutnant Dr. Harald PotempaRedaktion:Major Dr. Klaus Storkmann (ks), korresp. MitgliedHauptmann Ariane Aust M.A. (aau) Friederike Höhn B.A. (fh)Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)Mag. phil. Michael Thomae (mt)Major Dr. Jochen Maurer (jm)

Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina SandigLektorat: Dr. Aleksandar-S. VuletićKarten: Daniela Heinicke, Yvonn Mechtel Layout/Grafik:Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang

Anschrift der Redaktion:Redaktion »Militärgeschichte«Zentrum für Militärgeschichte undSozialwissenschaften der BundeswehrPostfach 60 11 22, 14411 PotsdamE-Mail: [email protected]: www.zmsbw.de

Manuskripte für die Militärgeschichte werden an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt ein-gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der He-rausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung er-folgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak-tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen Medien, auch auszugsweise, anderweitige Ver-vielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten Webseiten und deren Unterseiten.

Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (inner-halb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kün-digungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie bitte an: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Stellmacherstraße 14, 26506 Norden, E-Mail: [email protected]

© 2014 für alle Beiträge beimZentrum für Militärgeschichte undSozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw)

Druck:SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden

ISSN 0940-4163

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ServiceDas historische Stichwort:Der Afghanistan-Einsatz 22

Neue Medien 24

Lesetipps 26

Die historische Quelle 28

Geschichte kompakt 29

Ausstellungen 30

Militärgeschichteim BildBayerische Flieger in Tirol 1915 31

Pfalz Parasol (Pfalz A 1)-Hochdecker der bayerischen Feld-Flieger-Abteilung 9 b unweit Toblach, 1915. Mit diesen Flug-zeugen hält der Erste Weltkrieg auch in der Luft Einzug in die Hochalpen, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt IV Kriegs-archiv, Staudinger-Sammlung 11619

Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:

WOR PD Dr. Oliver Bange, ZMSBw;Wiss.Dir. Prof. Dr. Angelika Dörfler-Dierken, ZMSBw;Leutnant d.R. Phillipp Graf zu Königsegg-Aulendorf, stud. ver. pol., Königseggwald;Dr. Magnus Pahl, MHM Dresden;Markus Pede, Dipl.-Pol., Berlin; Katja Protte, MHM Dresden.

Inhalt

Erfahrungen der Flieger-truppe in Osteuropa 1914–1918Oberleutnant Sebastian Rosenboom M.A.,

geb. 1985 in Sögel, Objektschutzregiment der Luftwaffe

4

Tuskegee Airmen. Afro-amerikanische Piloten 1941–1945

Stefan Kontra M.A., geb. 1978 in Dresden, Historiker für Sonderausstellungen am Militär-

historischen Museum Flugplatz Gatow

10

Vorbilder? Die Diskussion um die Namensgebung für Bundeswehr-Kasernen

Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack, geb. 1954 in Friedrichshafen, Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften

der Bundeswehr

18

Vom Jäger 90 zum Eurofighter 14

Oberstleutnant Dr. Heiner Möllers, geb. 1965 in Senden/Westfalen, Bereichsleiter Medien am

Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

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5�Deutscher Feldflughafen, April 1915. Im Hintergrund: mobile Zeltschuppen sowie verschiedene Baracken.

Paul von Hindenburgs Ausspruch »Ohne Flieger kein Tannenberg« wurde von den im Ersten Welt-

krieg an der Ostfront eingesetzten deutschen Besatzungen fast gebets-mühlenartig rezitiert. Tatsächlich hat-ten die Ergebnisse der Luftaufklärung maßgeblichen Einfluss daran, dass es dem Duo Hindenburg/Ludendorff im Spätsommer 1914 gelang, die beiden in Ostpreußen eingefallenen zarischen Armeen vernichtend zu schlagen. In den Folgejahren blieben Luftstreit-kräfte, wenn auch spätestens ab 1916 im Schatten der »Jagdfliegerhelden« der Westfront stehend, ein wichtiges Instrument der Kriegführung der Mit-telmächte gegen Russland. Dass dieses Kapitel der Luftkriegsgeschichte weit-gehend in Vergessenheit geraten ist, verwundert umso mehr, als es sich hier um den ersten langfristigen Einsatz von Luftstreitkräften in einem Bewe-gungskrieg handelte. Allerdings stellte der Einsatz im Osten Europas die Feld-fliegerabteilungen vor im Westen völ-lig unbekannte Herausforderungen.

Von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer

Bereits der Blick auf die bloße Dimen-sion des osteuropäischen Kriegsschau-platzes genügt, um einige der daraus für die Kriegführung resultierenden Probleme zu verdeutlichen. Während sich die Stellungen entlang der West-front über eine Strecke von rund 450 Kilometern (Luftlinie) erstreckten, war im Osten schon allein die Grenze Ost-preußens zu Russland erheblich län-ger. Das Frontgebiet aber umfasste zu-sätzlich die Ostgrenzen Westpreußens, Schlesiens sowie das östliche Gebiet des österreichisch-ungarischen Kron-landes Galizien bis zur Grenze Rumä-niens, das erst 1916 auf Seiten der Entente in den Krieg eintrat.

Das Vorrücken der Mittelmächte führte schließlich zu einer Front, die von der Ostseeküste im Norden bis an das Schwarze Meer im Südosten über eine Entfernung von mehr als 1700 km (Luftlinie) reichte. Diese Distanz wurde durch zahlreiche natürliche Hinder-

nisse und Frontbögen de facto noch um ein Vielfaches verlängert. Diese Di-mensionen und die Tatsache, dass bis auf wenige Ausnahmen die Ostfront als Nebenkriegsschauplatz galt und dementsprechend personell schwächer versorgt wurde, führten dazu, dass, anders als im Westen, kein durchgän-giges Stellungssystem entstehen konnte. Durchbrüche in Stellungen und Linien konnten deshalb erst mit großer zeitlicher Verzögerung durch das Zuführen von Reserven in der Tiefe abgeriegelt werden.

Abseits der ausgedehnten Dimensi-onen beinhaltete das Frontgebiet viel-fältigste geografische Gegebenheiten. Während der Nordabschnitt der Ost-front mit Kurland und dem Baltikum verhältnismäßig dicht besiedelt und infrastrukturell erschlossen war, er-streckten sich im mittleren und süd-lichen Frontabschnitt teilweise über hunderte Quadratkilometer scheinbar endlose Sümpfe, Gras- und Waldland-schaften. Im Nordabschnitt blieben die Verhältnisse nach der Einnahme Kur-

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Erfahrungen der Fliegertruppe in Osteuropa 1914–1918

Luftkrieg an der Ostfront 1914–1918

4 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

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lands 1915 weitgehend stabil und die Front verlief entlang einer Linie von Riga nach Dünaburg. Erst im Herbst 1917 verschob sie sich nach der Ein-nahme dieser Städte und der Inseln im Rigaischen Meerbusen weiter nach Os-ten. Im mittleren Frontabschnitt gelang es deutschen Truppen 1915, die russi-schen Streitkräfte aus dem riesigen, durch die damaligen Landesgrenzen bedingten Frontbogen zwischen Ost-preußen und Galizien über mehrere hundert Kilometer zurückzudrängen, wenn auch ohne dabei einen entschei-denden operativen Durchbruch zu er-reichen. Im Südabschnitt konnten die Truppen der Mittelmächte bis 1917 die zarischen Truppen aus den dicht be-waldeten Karpaten vertreiben und Ga-lizien weitgehend befreien. 1916 wur-den außerdem in einem schnellen Feld-zug große Teile Rumäniens und dessen Schwarzmeerküste besetzt. Eine ex-treme Ausdehnung der Front brachte

die Operation »Faustschlag« im Fe-bruar 1918 mit sich: Während dieser Unternehmung rückten deutsche und österreichisch-ungarische Verbände in einem schnellen Vorstoß im Norden bis auf ca. 50 km an Sankt Petersburg heran und besetzten im Süden der Front sogar das gesamte Donezk-Becken.

Die im Vergleich zu anderen Fronten riesige Ausdehnung des Kampfge-bietes konnte 1914 durch herkömm-liche Aufklärungsmittel wie Kavalle-riepatrouillen nicht effektiv überwacht werden. So spielte sich beispielsweise die Brussilow-Offensive im Sommer 1916 entlang einer Front von über 450 km ab, was in etwa der Luftlinie der gesamten Westfront entsprach. Nur Flugzeuge und Luftschiffe waren auf-grund ihrer Geschwindigkeit in der Lage, zeitnah Informationen über Auf-enthaltsorte, Stärke und Marschrich-tungen gegnerischer Truppenteile zu gewinnen.

Über Knüppeldämme und Schneepisten

Während des gesamten Krieges be-stand daher die Hauptaufgabe der Luftstreitkräfte an der Ostfront in der Luftaufklärung. Die russischen Luft-streitkräfte waren in der Regel tech-nisch schlechter ausgestattet und zu-dem schlechter ausgebildet, sodass sie in der Luft nur selten eine ernsthafte Bedrohung darstellten. Daher domi-nierten nicht Jagdflugzeuge wie an der Westfront, sondern zweisitzige Mehr-zweckkampfflugzeuge den Himmel über Osteuropa. Diese wurden zu Auf-klärungszwecken, als leichte Bomber, Artilleriebeobachter oder zur Luftnah-unterstützung eingesetzt und avan-cierten schon nach wenigen Monaten zu einem unverzichtbaren Element der Kriegführung der Mittelmächte. So be-reitete die Fliegertruppe die Durch-bruchsschlacht bei Gorlice und Tarnów im Mai 1915 systematisch durch flä-chendeckende Luftaufklärung vor und dies nur neun Monate, nachdem Flug-zeuge auf deutscher Seite überhaupt erstmals als Aufklärer eingesetzt wor-den waren. Die Brussilow-Offensive im Sommer 1916 konnte beispielsweise durch gezielte Luftangriffe auf An-marschwege und Versorgungseinrich-tungen der russischen Armee erheblich verzögert werden. Im Gegensatz zu den meist auf Einzelfähigkeiten spezia-lisierten Fliegern der Westfront waren im Osten allerdings eher »Mädchen für alles« gefordert, die eine hohe Band-breite an Aufgaben übernehmen konn-ten.

Die Größe des östlichen Kriegsschau-platzes brachte eine ganze Reihe von luftkriegsspezifischen Problemen mit sich. Für die Flieger bedeutete dies, dass von ihnen eine höhere Orientie-rungsleistung im Sichtflug verlangt wurde, um abseits der Auftragserfül-lung überhaupt zum eigenen Feldflug-platz zurückzufinden. Dietrich Averes schildert dies in seinen Erinnerungen sogar als mitunter gefährlicher als den eigentlichen Flugauftrag:

»Nach sehr gut verlaufendem Start war es schon schwierig, den Knüppel-damm, d.h. den Platz, wiederzufinden. Bei einer Kurverei in etwa 1000 m Höhe beeindruckte die unter uns liegende Wasser-Wildnis-Wüste mich so, [dass mein Beobachter und ich durch Zet-

Dnjepr

Düna

Njemen

WeichselBug

Oder

Donau

Dnjestr

Pruth

Weikije Luki

Witebsk

Dünaburg

Riga

Kaunas

Wilna

Narotschsee

MinskMogilew

BobruiskSluzk

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Pinsk Mosyr

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Bialystok

Brest-LitowskSiedlce

Kowel

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Rowno

DubnoSchitomir

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Winniza

Kiew

LembergZborow

Tarnopol

Kalusz

ChotinKolomea

Tschernowitz

JassyKischinew

Galatz

PrzemyslGorlice

TarnowKrakau

KielceZamosz

LublinRadom

Tschenstochau

Breslau

Lodz

Warschau

Przasnysz

Tannenberg

Thorn

Posen

Danzig

Königsberg

Tilsit

Memel

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D E U T S C H E SR E I C H

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Frontverlauf April 1915Frontverlauf Ende 1915Frontverlauf Ende 1916Frontverlauf Ende 1917Grenzen von 1914StadtFestung

0 100 200 300 km ZMSBw06936-03©

Frontverläufe 1915 bis 1917

5Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

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telaustausch klar wurden, auf jeden Fall die Orientierung nicht zu verlie-ren]. Diese Aufmerksamkeit war im Augenblick wichtiger als der Krieg selbst. Alle Anhalte sorgfältig festge-legt, wir flogen zur Front ab, erledigten den weniger gefährlichen Auftrag dort wie befohlen, und flogen zurück. Wir verfranzten uns über der Wüste zwar, gelangten aber mit dem Rest Benzin noch […] zum Flugplatz zurück.« Je weiter nach Osten sich die Front ver-schob, desto ungenauer wurde zudem auch das deutsche Kartenmaterial. Die Luftaufklärung hatte daher den nütz-lichen Nebeneffekt, gleichzeitig Vorla-gen für neue Karten zu liefern.

Die Distanz vom Feldflugplatz zur Front konnte bis zu 80 km betragen, was selbst bei günstigsten Bedin-gungen über eine halbe Stunde allein für die Annäherung an das Operati-onsgebiet bedeutete. An der Westfront befanden sich die Plätze in der Regel nur rund 20 km hinter der Front. Auf eine Feldfliegerabteilung im Osten kam Mitte 1916 im Schnitt ein Frontab-schnitt von 31 km im Vergleich zu den 8 km einer Abteilung im Westen. Das einer einzelnen Abteilung zugewie-sene Gebiet konnte weit über 2000 Quadratkilometer groß sein und in-folge des Bewegungskrieges mitunter mehrmals pro Monat wechseln. Ge-rade die ersten leichten Jagdeinsitzer erwiesen sich deshalb im Osten unter diesen Bedingungen aufgrund ihrer geringen Reichweite als nur bedingt brauchbar – ganz abgesehen von der

meist fehlenden Notwendigkeit, sie überhaupt einzusetzen.

Um die Zahl der Totalverluste durch Bruch- und Außenlandungen gering zu halten, wurde entlang der Front eine Vielzahl von kleinen Außenlande-feldern angelegt, sodass dort Flieger in Notsituationen sicher landen konnten. Hierbei handelte es sich um von den Feldfliegerabteilungen abgesetzte Teil-einheiten, die oft mit einfachsten Mit-teln auf einer geeigneten Wiese eine Landepiste absteckten und Verbrauchs-güter in Form von Betriebsstoffen, Mu-nition und bei Bedarf Zeltunterkünfte vorhielten. Diese Felder wurden be-sonders während größerer Kampf-handlungen auch planmäßig angeflo-

gen. Dies hatte den Vorteil, dass das Betanken und Aufmunitionieren der Flugzeuge in relativ kurzer Distanz zur Front durchgeführt werden konnten und so lange Anflugwege ins Einsatz-gebiet vermieden wurden. Gefährlich wurde diese Lösung, wenn das Außen-landefeld durch russische Artillerie be-schossen oder gar selbst zur Front wurde. Leopold Anslinger beschrieb eine solche Situation in seinen Erinne-rungen: »Als ich zu meinem Platz zu-rück flog, hatte sich die Situation vorn an der Front weiter verschlechtert und österr. Pioniere waren gerade dabei, quer über meine Landewiese Schüt-zengräben auszuheben. Die Landung war zwar schwierig aber es klappte.«

5�Leutnant Leopold Anslinger in seinem Pfalz-Jagdeinsitzer. Der aufgeweichte Boden machte Starts und Landungen gefährlich.

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5�Zeltschuppen auf einem Außenlandefeld.

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Luftkrieg an der Ostfront 1914–1918

6 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

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Die unablässig auf Nachschub an Treibstoff, Munition und Ersatzteile angewiesenen Luftstreitkräfte wurden zusätzlich von der durch den Raum er-schwerten Logistik im wahrsten Sinne des Wortes auf den Boden der Tatsa-chen zurückgeholt. Die Feldfliegerab-teilungen, die während des gesamten Krieges das Rückgrat der Fliegertruppe bildeten, umfassten neben den je sechs Einsatzmaschinen und deren Besat-zungen lediglich je knapp über 120 Mann, die für Wartung, Instandset-zung, Flugbetrieb und Nachschub zu-ständig waren. Um den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten, mussten über Nachschubeinheiten unablässig Er-satzteile, Treibstoff, Munition und sons-tige Dinge des täglichen Bedarfs heran-geschafft werden.

Neben der bloßen Entfernung zwi-schen dem Deutschen Reich und der Front wurde die schwach ausgebaute Infrastruktur am östlichen Kriegs-schauplatz zu einem großen Hinder-nis. Eisenbahnverbindungen reichten nur selten bis in Frontnähe und die Straßen waren selbst bei gutem Wetter wenig leistungsfähig. Besonders im mittleren und südlichen Frontabschnitt dominierten schlichte Sandwege das Straßenbild, die sich nach Regengüs-sen im Herbst oder zur Schneeschmelze rasch in morastige Sümpfe verwandel-ten. Die bei Kriegsbeginn in der Flie-gertruppe verbreiteten Lastkraftwagen stießen bei ihren Transportaufgaben unter diesen Bedingungen schnell an ihre Grenzen, sodass die Abteilungen im Osten schon 1915 stattdessen mit bis zu zwei Dutzend Pferdefuhrwer-ken ausgerüstet wurden. Gleichzeitig wurde das Nachschubpersonal der Ab-teilungen um mehr als 30 Mann aufge-stockt, worunter sich immer mindes-tens ein Hufschmied befinden sollte.

Nur vereinzelt wurden Feldeisen-bahnen bis an wichtige und langfristig besetzte Feldflughäfen, wie Alt-Auz oder Kowel, verlegt, was die Versor-gung dieser Basen deutlich erleichterte. Nahe Kowel waren beispielsweise im Sommer 1916 mehrere Abteilungen und ein Kampfgeschwader mit insge-samt über 80 Maschinen stationiert. Dieser Umstand machte eine leistungs-fähige Anbindung an die Infrastruktur dringend notwendig. Bahnen wurden auch für Transporte ganzer Abtei-lungen genutzt. Die Jagdstaffel »Ober

Ost«, die als einzige eigenständige Jagdstaffel der Ostfront im Sommer 1917 aufgestellt wurde, unterhielt einen eigenen Eisenbahnzug mitsamt Wohnwaggons und rollendem Casino. Dies erleichterte schnelle Verlegungen der gesamten Staffel erheblich, da diese oft an den Brennpunkten der Front ein-gesetzt wurde.

Neben infrastrukturelle Probleme traten klimatische Widrigkeiten. Nicht nur die Sommerhitze, sondern vor allem die regenreichen Perioden in Herbst und Frühjahr und die bitterkal-ten Winter störten den Flugbetrieb nachhaltig. Frost und Schnee konnten wochenlang dafür sorgen, dass der Einsatz der damals hauptsächlich aus Holz und Leinwand bestehenden Flug-zeuge unmöglich wurde. Teilweise fro-ren Bordwaffen, Instrumente oder Steuerelemente sogar im Flug ein, Kühlwasserleitungen platzten oder die Außenhäute der Flugzeuge wurden durch Eis beschädigt, das von den Pro-pellern herabflog. Im Gegenzug konnte der Frost wiederum dazu führen, dass zugefrorene Seen als Feldflugplätze nutzbar wurden. Dem Flieger Dietrich Averes zufolge war diese Möglichkeit bei den Piloten allerdings eher unbe-liebt: »Wenn das Jagdflugzeug Alba-tros D. III oder D. V bei der Landung

polternd und rutschend schließlich ausrollte oder sich bei noch geringer Geschwindigkeit im Kreise drehte und ohne Bruch zum Stehen kam, war man heilfroh.« Nach der Tauperiode im Frühjahr und den niederschlagsreichen Herbstmonaten waren die Flugpisten oft so stark aufgeweicht, dass Starts und Landungen mitunter Himmel-fahrtskommandos glichen. Mit der Zeit aber entwickelten die Angehörigen al-ler im Osten kriegführenden Mächte ein erstaunliches Improvisationstalent, um allen Widrigkeiten zum Trotz ihre Flüge durchzuführen. Die Maschinen wurden mit mobilen Zeltschuppen ge-gen Witterungseinflüsse geschützt, Kühlwasser vor dem Einfüllen im Win-ter kochend heiß erhitzt und Flugzeuge mit Schneekufen versehen, um weiter-hin ein Mindestmaß an einsatzbereiten Maschinen zu unterhalten. Damit auf-geweichte Startpisten wieder nutzbar wurden, versah man diese mit Knüp-peldämmen aus Holzbohlen. Zwar war dies nicht unbedingt förderlich für die Lebensdauer der mit kaum gefederten Fahrwerken ausgestatteten Luftfahr-zeuge und bei den Besatzungen nicht sonderlich beliebt, doch gelang es auf diese Weise, Flugzeuge trotz der wid-rigen Umstände am Boden in die Luft zu bekommen.

5�Die Ostfront im Winter: Zeichnung »Eingeschneit« von Hans Baluschek, 1914.

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Konfrontation mit einer anderen Welt

Zu den fliegerischen Erfahrungen mit dem Raum Osteuropa kam für die An-gehörigen der Fliegertruppe vielfach die Konfrontation mit der Lebenswirk-lichkeit der lokalen Bevölkerung. Selbst die aus ländlichen Gebieten des Deut-schen Reiches stammenden Soldaten empfanden die Lebensbedingungen in ihrem neuen Einsatzgebiet vor allem im mittleren und südlichen Frontab-schnitt in der Regel als katastrophal. Die Masse der Soldaten war zuvor noch nicht in Osteuropa gewesen, so-dass ihnen diese Region wie eine voll-kommen fremde Welt erschien.

Als die ersten deutschen Verbände Anfang 1915 russischen Boden betra-ten, sahen sie sich einer Umgebung ge-genüber, die z.B. in den Augen des Be-obachtungsoffiziers Herbert Volck nur »weite, tote Schneeflächen, schmut-zige, kleine Häuser und Ungeziefer« bot. An zahlreichen Frontabschnitten waren sie nun mit einer endlosen, we-nig bewohnten und oft trostlos schei-nenden Gegend konfrontiert. Bei Neu-ankömmlingen an der Ostfront kam insbesondere bei den oft mehrere hun-

dert Kilometer weit hinter der Front erfolgenden Aufklärungsflügen die ständige Angst hinzu, infolge eines Absturzes in russische Kriegsgefan-genschaft zu geraten oder von Einhei-mischen aufgegriffen und massakriert zu werden. Die Flieger umschrieben dies vielfältig mit Phrasen wie »auf den Lanzenspitzen der Kosaken sit-zen« oder als »Sommerfrische nach Sibirien«. Auch Manfred von Richtho-fen, der spätere »Rote Baron«, fürch-tete sich kurz nach der Ankunft bei der Feldfliegerabteilung 69 an der Ostfront im Sommer 1915 vor einem Absturz über feindlichem Gebiet: »Der Russe ist auf Flieger ganz wild. Kriegt er ei-nen zu fassen, schlägt er ihn ganz be-stimmt tot.«

Doch mit zunehmenden Begegnun-gen wandelte sich vielfach das Bild der Soldaten von den Einheimischen. Erste Aufeinandertreffen durch ungeplante Notlandungen oder Einquartierungen bei Zivilisten ließen die Skepsis auf bei-den Seiten meist schnell weichen. Ge-rade die Einquartierungen bei Zivi-listen brachen das Eis zwischen beiden Parteien. Allerdings waren in Galizien und Wolhynien die Lebensbedin-gungen aufgrund hygienischer Miss-

stände so katastrophal, dass etwa im Sommer 1916 die Einsatzbereitschaft ganzer Abteilungen durch Krankheiten wie Typhus und Cholera zeitweilig ge-fährdet wurde. Wie an allen Kriegs-schauplätzen kam es an der Ostfront zu sexuellen Kontakten zwischen Sol-daten und Einheimischen, wie Rudolf Mothes es in seinen Erinnerungen süf-fisant schildert:

»Es ergab sich von selbst, dass sich in Lemberg die Ansteckungsmöglich-keiten für alle Dienstgrade während der russischen Besatzung vermehrt hatten. Die jungen Offiziere suchten und fanden Anschluss an bekannte gut gekleidete Dirnen in einem bestimmten Kaffeehause. Eines der Mädchen, eine große stattliche Erscheinung, die vor allem bei Neuankömmlingen beliebt war, hieß in Fliegerkreisen das Schulflugzeug. In ihrer Gesellschaft war meist eine kleine Krummbeinige zu sehen, die das Fokkerfahrgestell ge-nannt wurde.« Beide Damen hatten regelmäßig Besuch von deutschen Flie-geroffizieren, was in Mothes Abteilung zu mehreren Ansteckungen mit der Syphilis führte.

Als sehr angenehm wurden die zahl-reichen Möglichkeiten aufgefasst, auf Märkten oder besonders in Offiziers-kreisen durch Jagden den eigenen Spei-seplan merklich aufzubessern und ab-wechslungsreicher zu gestalten. Sogar auf lokale Köstlichkeiten wurde oft zu-rückgegriffen, wenn dies auch mitun-ter nicht immer den Geschmack der deutschen Soldaten traf, wie ein Bei-spiel der Feldfliegerabteilung 54 aus dem Frühjahr 1915 zeigt: »Bei der Ver-pflegung auf einem ungarischen Bahn-hof gabs zum ersten Mal den ›Gulasch‹ mit reichlich Paprika und mancher von uns glaubte Salzsäure in der Kehle zu haben beim Kosten der ersten Bissen. Der Erfolg war, dass reichlich Flüssig-keit nachgeschüttet werden musste, sonst aber schmeckte das Zeug vor-trefflich.« Dass auch abseits des Speise-plans in Osteuropa damals mitunter zwei Welten aufeinanderprallten, zeigt ein Beispiel Maximilian von Cossels aus dem Juni 1916 in Wolhynien, der im Vorkommando seiner Abteilung eine geeignete Fläche für einen Feld-flugplatz suchen sollte: »Als ich den Besitzer nach einem geeigneten Lande-platz fragte, führte er mich in seinem Park herum – zum Tennisplatz.«

5�Eine Gruppe Kinder in Galizien.Sa

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Luftkrieg an der Ostfront 1914–1918

8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

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»Fliegertalent« versus »Fliegerass«

Schon während des Ersten Weltkrieges sank das Interesse der Propaganda an der Luftkriegführung im Osten in dem Maße, in dem die Verklärung der »Jagdfliegerhelden« wie Oswald Boel-cke und Max Immelmann an der West-front zunahm. Wurde noch von den »Tannenbergfliegern« der Feldflieger-abteilungen 14 und 15 wie von Besat-zungen, die an der Schlacht in Masu-ren und den Vorstößen des Jahres 1915 beteiligt gewesen waren, ausgiebig in der Propaganda berichtet, verschwan-den Flieger der Ostfront ab 1916 fast schlagartig aus den Medien.

Die Schilderungen hatten sich bis dato auf die eigenen fliegerischen Fä-higkeiten, das überlegene Material und die Darstellung der Unfähigkeit der zarischen Luftstreitkräfte konzentriert. Mit Aufkommen der ersten gefeierten Fliegerhelden im Westen wurden de-ren scheinbar ritterlich geführte Luft-duelle gegen feindliche Jagdflieger viel attraktiver als die zwar effektiven, aber meist unspektakulären Aktivitäten der Flieger an der Ostfront. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie der damals viel beachteten ersten Luftlandeaktion der deutschen Militärgeschichte durch Maximilian von Cossel und Rudolf Windisch Anfang Oktober 1916, er-langten nur wenige Flieger der Ost-front Aufmerksamkeit im Kaiserreich. Sogar der mit zehn Abschüssen erfolg-reichste deutsche Jagdflieger der Ost-front, Leopold Anslinger, sowie wei-tere Piloten, die mehrere Abschüsse im Osten erlangen konnten, blieben weit-gehend unbekannt. In der Wahrneh-mung der Flieger der Ostfront galt da-rum »der Westen als gutes Beispiel, wie ein braves Kind zu einem unarti-gen Bruder«, wie es der an beiden Fron-ten eingesetzte Beobachtungsoffizier Elard von Loewenstern formulierte.

Der Luftkrieg an der Ostfront fand erst in der Zwischenkriegszeit wieder mehr Beachtung, als einige ehemalige Flieger ihre Erlebnisse zu Papier brach-ten. Mangels Luftschlachten zwischen berühmten Jagdfliegern mit zahllosen Abschüssen mussten dabei andere Be-gebenheiten in den Fokus der Darstel-lungen rücken: Das eigene fliegerische Talent, die Waghalsigkeit, der Zusam-menhalt der Besatzungen und die Tat-

sache, trotz widrigster Umstände den jeweiligen Auftrag erfüllt zu haben, dominierten die Darstellungen. Ange-sichts des Wetters, der Versorgungs-lage und anderer Missstände, wie un-genügendes Kartenmaterial, wurde das bloße Fliegen an sich bereits als große Herausforderung dargestellt. Dies geschah meist mit dem Verweis auf den klimatisch gemäßigteren und wegen seiner Größenordnung eher überschaubaren Kriegsschauplatz im Westen. Hinzu kamen Schilderungen der unbedingt erforderlichen Fähigkeit zur Improvisation. Diese war tatsäch-lich oft unerlässlich, um trotz schlech-ter Versorgung mit Nachschub dennoch weiter operieren zu können. Während der Flüge, unter Umständen mehrere hundert Kilometer hinter der Front, zählte neben der Arbeit des Bodenper-sonals vor allem der Zusammenhalt der in der Regel zweiköpfigen Besat-zungen im Flugzeug selbst. In diesen »Fliegerehen« mussten sich Flugzeug-führer und Beobachter blind aufeinan-der verlassen können, was in den Me-moiren oft detailreich geschildert wurde. Tatsächlich aber rotierten auch im Osten die Besatzungen häufig, was zu immer neuen Konstellationen in den Cockpits führte.

Bei den Schilderungen der Kampf-handlungen finden sich Berichte über Einsätze zur Luftunterstützung eige-ner Truppen, über Bombenangriffe oder die Lenkung des eigenen Artil-leriefeuers, wohingegen Auseinander-setzungen mit russischen Fliegern bis auf wenige Ausnahmen nur selten dar-gestellt werden. Die ab Mitte 1916 in Fliegerkreisen der Ostfront durchge-führten und mitunter äußerst waghal-sigen Einzelaktionen von Besatzungen tauchten ebenfalls teils in verschie-denen Versionen in der Erinnerungsli-teratur auf. Dadurch versuchten die Autoren, das Bild der furchtlosen und auf sich allein über einem ganzen feindlichen Raum fliegenden Besat-zungen gezielt weiter auszuschmü-cken und sich selbst als professionelle Flieger und zugleich als mutige Kämp-fer darzustellen.

Verschenkte Erfahrungen

Das weitgehende Vergessen der von 1914 bis 1918 im Luftkrieg an der Ost-front gemachten Erfahrungen mit all

ihren Besonderheiten rächte sich schließlich mehr als 20 Jahre später während des Überfalls auf die Sowjet-union. Erneut operierten deutsche Luftstreitkräfte in einem Bewegungs-krieg am Himmel zwischen Ostsee und dem Schwarzen Meer. Die Geschwader der Luftwaffe standen hierbei ab 1941 hinsichtlich der Faktoren Klima, Geo-grafie und Infrastruktur vor ähnlichen Problemen wie ihre Kameraden im Er-sten Weltkrieg und erneut mussten Methoden gefunden werden, um trotz dieser Bedingungen erfolgreich operie-ren zu können.

Neu war im Zweiten Weltkrieg aller-dings die immer stärker werdende Be-drohung in der Luft durch die sowje-tischen Luftstreitkräfte, bei deren Auf-bau ironischerweise deutsche Offiziere in den 1920er Jahren heimlich geholfen hatten. Im Ersten Weltkrieg war die za-rische Fliegertruppe von den Mittel-mächten in der Regel als keine große Gefahr für die eigene Operationsfüh-rung angesehen worden. Hinzu kam, dass ihre Aktivitäten in materieller und personeller Hinsicht zunehmend unter den Auswirkungen des Umsturzes in Russland litten und die russischen Luftstreitkräfte daher spätestens ab dem Spätsommer 1917 endgültig kei-nerlei Bedrohung mehr darstellten. Diese verhängnisvolle Unterschätzung könnte sich auf deutscher Seite bis in die 1940er Jahre gehalten haben, was jedoch bislang noch nicht wissenschaft-lich untersucht wurde. Das Potenzial sowjetischer Piloten spiegelt sich allein schon darin wieder, dass die erfolg-reichsten Jagdflieger der Alliierten nicht etwa der Royal Air Force oder der United States Army Air Force, sondern den Luftstreitkräften der Sowjetunion angehörten.

Sebastian Rosenboom

Literaturtipps

Jörg Mückler, Deutsche Flugzeuge im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 2013.Sebastian Rosenboom, Im Einsatz über der »vergessenen Front«. Der Luftkrieg an der Ostfront im Ersten Weltkrieg, Potsdam 2013.Norman Stone, The Eastern Front 1914–1917, London 1975.

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Tuskegee Airmen

5�Werbeplakat zum Kauf von Kriegsanleihen mit einem Tuskegee Airman als Motiv, 1942/1945

Tuskegee Airmen. Afro-amerikanische Piloten

1941–1945

Das Prinzip der Rassentrennung nach dem Grundsatz »separate, but equal« war ein fester Be-

standteil der US-Gesellschaft bis weit in die 1960er Jahre und galt vor allem in den südlichen Bundesstaaten. Dort war seit dem Amerikanischen Bürger-krieg eine strenge Gesetzgebung ent-standen. Sie sicherte die strikte Einhal-tung der Rassentrennung und sorgte dafür, dass die nominell freien Afro-Amerikaner unterdrückt blieben. Ge-sellschaftliche Chancengleichheit exis-tierte für die meisten nur auf dem Papier.

Im Ersten Weltkrieg kämpften mehr als 200 000 Afro-Amerikaner in den American Expeditionary Forces. Sie waren allerdings vom Dienst in der Marine und der Fliegertruppe ausge-schlossen. Alle Einheiten wurden nach dem Prinzip der Rassentrennung als entweder rein weiße oder rein schwarze Einheiten aufgestellt. Die meisten afro-amerikanischen Soldaten dienten da-her lediglich als Arbeiter oder aber in Serviceeinheiten. Eine Ausnahme bil-deten die 92. und die 93. Infanteriedivi-sion. Letztere kämpfte unter franzö-sischem Befehl und verdiente sich bis Kriegsende den Respekt und die Aner-kennung der Franzosen, die 171 Solda-ten dieses Großverbandes mit dem »Croix de Guerre« auszeichneten oder in die »Légion d’honneur« aufnahmen. Die 92. Infanteriedivision hingegen kämpfte unter dem Kommando von weißen US-Offizieren. Sie erwies sich als mangelhaft ausgerüstet und kaum auf den Krieg vorbereitet.

Nach dem Ersten Weltkrieg entwi-ckelten sich pseudowissenschaftliche Disziplinen wie »Rassenkunde« und »Rassenhygiene« in vielen Ländern der westlichen Welt zu populären For-schungsgebieten. Während in Deutsch-land die Nationalsozialisten dies ideo-logisch und propagandistisch aus-nutzten, propagierten auch in den USA

zahlreiche »wissenschaftliche« Arbei-ten Vorurteile von einer angeblichen Überlegenheit der »weißen Rasse«.

1925 erstellte das Army War College eine Studie über »The Use of Negro Manpower in War«, die die Leistungen

der afro-amerikanischen Soldaten im Ersten Weltkrieg ausgesprochen nega-tiv bewertete und schlussfolgerte, dass »Schwarze« nur für niedere Arbeiten geeignet seien und keinerlei Führungs-fähigkeiten besäßen. Die Studie de-

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klassierte die afro-amerikanischen Bür-ger, immerhin ca. 10 Prozent der ame-rikanischen Bevölkerung, zu »a sub-species of the human population«. Die fatalen Auswirkungen dieser Studie, so das Urteil des Historikers Alan M. Osur, können kaum hoch genug einge-schätzt werden. Die afro-amerikanische Bevölkerung wurde – bis auf einfache Verwendungen in separaten Einheiten – vom Militär praktisch ausgeschlos-sen.

Unter diesen Vorzeichen war die Aus-bildung afro-amerikanischer Flugzeug-führer, die im Juni 1941 in dem kleinen Städtchen Tuskegee im US-Bundesstaat Alabama begann, ein Novum in der Ge-schichte des US-Militärs.

Der Kampf der schwarzen Bürgerrechtler um Chancen-gleichheit im Militär

Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges kämpften gut organisierte schwarze Bürgerrechtsbewegungen wie die »National Association for the Advan-cement of Colored People« (NAACP) für die Überwindung der Rassentren-nung in den USA. Bereits im Jahr 1931 schrieb der Vorsitzende der NAACP an das Verteidigungsministerium und bat darum, dass auch Afro-Amerika-ner im Army Air Corps zugelassen würden. Erwartungsgemäß verwei-gerte das Department of War deren Aufnahme mit der Begründung, dass »colored man had not been attracted to flying in the same way or to the extent of the white man«. Im US-Militär do-minierte die rassistische Ansicht, dass Schwarze für Führungsaufgaben sowie hochspezialisierte Kampfeinheiten un-geeignet seien und die Rassentrennung in den Streitkräften lediglich die ameri-kanische Gesellschaft widerspiegele. Das Militär sei nicht der Ort für die Durchführung gesellschaftlicher »Ex-perimente«.

Das Army Air Corps lehnte die Idee einer Ausbildung schwarzer Kampfpi-loten strikt ab. Trotzdem autorisierte der Kongress 1939 die neu geschaffene »Civil Aeronautics Authority« (CAA), das zivile Ausbildungsprogramm für Piloten auch für Afro-Amerikaner an-zubieten. Sieben »schwarze« Colleges und zwei private Flugschulen wurden darin aufgenommen. Bis Jahresende 1940 hatten immerhin 231 afro-ameri-

kanische Studenten das Ausbildungs-programm absolviert.

Am 27. September 1940, mitten im Präsidentschaftswahlkampf, kam es zu einem folgenschweren Treffen von Prä-sident Franklin D. Roosevelt mit drei führenden Vertretern schwarzer Bür-gerrechtsorganisationen. Roosevelt fürchtete um seine Wiederwahl und bemühte sich daher um die wichtigen Wählerstimmen der Afro-Amerikaner. Der Vorsitzende der NAACP, Walter White, der Gewerkschaftsführer A. Philip Randolph und T. Arnold Hill von der „National Youth Administra-tion“ forderten neben der Chancen-gleichheit in der Rüstungsindustrie so-wie der Gleichberechtigung bei der Wehrpflicht auch die Möglichkeit für Afro-Amerikaner, als Piloten in das Army Air Corps aufgenommen zu werden – und zwar in gemischten Ein-heiten. Das Treffen brachte zwar keine konkreten Zusagen, jedoch sah sich das Army Air Corps nach der Wieder-wahl Roosevelts genötigt, im Dezem-ber 1940 einen Plan zur Aufstellung der »99th Pursuit Squadron« als erste »schwarze« Kampfeinheit der Luft-streitkräfte zu verkünden. Am Prinzip der Rassentrennung wollte die militä-rische Führung jedoch nicht rütteln.

Die Ausbildung in Tuskegee Army Air Field

Aufgrund der praktizierten Rassen-trennung in den US-Streitkräften wurde 1941 in Tuskegee, Alabama, ei-gens ein neuer Ausbildungsstandort für die afro-amerikanischen Kadetten errichtet. Zweifelsohne erfolgte die Ortswahl im Süden der USA nicht nur wegen des für die Flugausbildung her-vorragenden Klimas, sondern auch we-gen der dort geltenden zahlreichen Rassen-Gesetze (»Jim Crow«-Gesetze). Die hauptsächlich aus den Nordstaaten stammenden Kadetten sollten durch das vorherrschende rassistische Klima eingeschüchtert werden. Trotzdem war das »Tuskegee Experiment« keines-wegs »designed to fail«. Die ersten afro-amerikanischen Bewerber für die Flugausbildung hatten einen hohen Bildungsgrad, viele verfügten sogar über einen oder mehrere Universitäts-abschlüsse.

Unter der Ägide von C. Alfred »Chief« Anderson, dem bekanntesten

Fluglehrer in Tuskegee, forderten weiße wie schwarze Ausbilder die Ka-detten in besonderem Maße, um die zukünftigen Jagdpiloten auf ihre be-vorstehenden Aufgaben vorzuberei-ten. Die Kandidaten konnten zu jedem Zeitpunkt aus dem Programm »he-rausgewaschen« werden. Ein weißer Fluglehrer war von vielen Kadetten nicht zu Unrecht als »the washing ma-chine« gefürchtet. Die Ausfallquote war mit 60 Prozent außerordentlich hoch. Das Programm war so angelegt, dass die absolute Elite von jungen Afro-Amerikanern den Kern eines schwarzen Kampfgeschwaders bilden sollte. Die Absolventen der ersten Kurse wurden dessen Kommandeure und Staffelkapitäne, denn afro-ameri-kanische Befehlshaber mit Kampfer-fahrungen gab es keine. Die Auswahl war dementsprechend hart.

Bis Mitte August 1942 erreichte die Jagdstaffel 99 Gefechtsbereitschaft und Sollstärke. Insgesamt entstanden vier Staffeln: die 99., die 100. sowie die 301. und 302. Zusammen bildeten sie ab 1944 die »332nd Fighter Group«. Bis Jahresende 1942 dienten in der USAAF 1086 afro-amerikanische Soldaten, Ende 1943 waren es bereits 9288 und 12 196 im April 1945.

Die Kampfeinsätze in Europa

In der Army Air Force gab es bis 1943 starke Vorbehalte gegen den Frontein-satz der afro-amerikanischen Soldaten. Erst im April 1943 rang sich das De-partment of War zur Entscheidung durch, die »99th Fighter Squadron« in Nordafrika einzusetzen. Am 15. April 1943 verließ die U.S.S. Mariposa den Hafen von New York Richtung Casab-lanca. Selbst als die »99th Fighter Squa-dron« in Nordafrika bereits die ersten Einsätze flog, drängten einige Offiziere der US-Luftstreitkräfte auf die Rück-verlegung der schwarzen Piloten mit den gleichen rassistischen Argumen-ten, die schon vor dem Krieg angeführt worden waren. Die Versuche schei-terten, da sowohl in Washington als auch in der Führung der USAAF ein Umdenken bezüglich der Tuskegee Airmen eingesetzt hatte.

Die afro-amerikanischen Piloten wurden der »79th Fighter Group« in Italien zugeordnet. Der gemeinsame Einsatz der Staffeln der »79th Fighter

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Tuskegee Airmen

Group« gab den Tuskegee Airmen die Möglichkeit, sich in den Einsätzen zu bewähren. Das beeindruckende Luftgefecht über Anzio im Rahmen der Operation »Shingle« in Italien am 27. und 28. Januar 1944, bei dem ins-gesamt 12 deutsche Flugzeuge durch die »99th Fighter Squadron« abgeschos-sen wurden, widerlegte die letzten Kritiker innerhalb der Führung der USAAF.

Im Januar 1944 folgten die drei ver-bliebenen Staffeln der »332nd Fighter Group«. Sie alle wurden auf dem italie-nischen Festland stationiert. Die »99th Fighter Squadron« war an zahlreichen Kampfeinsätzen und Tieffliegerangrif-fen in der Schlacht um Monte Cassino beteiligt. Generalleutnant Ira Eaker, Oberbefehlshaber der Alliierten Luft-flotte im Mittelmeerraum, zeigte sich beeindruckt von den Leistungen und empfahl die Verwendung der Tuske-gee Airmen für anspruchsvollere Mis-sionen. Im Mai 1944 wurde die »332nd Fighter Group« dem 306. Geschwader der »15th Air Force« zugeordnet. Ihre Hauptaufgabe war der Begleitschutz für die tief in gegnerisches Territorium eindringenden alliierten Bomberver-bände, bestehend aus B-17- und B-24-

Bombern. Die Einsätze führten nach Rumänien, Frankreich, Deutschland sowie auf den Balkan und konzen-trierten sich auf die Zerstörung der deutschen Luftfahrtindustrie. Als Be-gleitschutz erhielten die Piloten der »332nd Fighter Group« moderne Kampfflugzeuge vom Typ P-47 »Thun-derbolt«, die mit den deutschen Jagd-flugzeugen Bf 109 und Fw 190 mithal-ten konnten. Kurze Zeit später wurde die noch leistungsfähigere P-51 »Mus-tang« eingeführt, deren Hecks von den Mechanikern rot lackiert wurden. Da-von leitete sich der Name »Red Tails« für die afro-amerikanischen Piloten ab, unter dem die »332nd Fighter Group« bekannt wurde.

Die Begleitschutzeinsätze waren nicht nur wegen der gegnerischen Jagdflugzeuge besonders gefährlich. Weil die Bomber, insbesondere die B-17, deutlich langsamer flogen als die Jäger, mussten diese ständig im Zick-zack-Kurs fliegen, um in deren Nähe zu bleiben. Schon geringe Verspä-tungen an den Treffpunkten konnten dafür sorgen, dass der Treibstoff für den Rückflug nicht mehr ausreichte. Alexander Jefferson, der zahlreiche Einsätze in der »301st Squadron« flog,

musste zweimal während der Rück-kehr aus dem Einsatz auf der Insel Viš vor der jugoslawischen Küste notlan-den. Die Insel war in alliierter Hand und voll von Flugzeugwracks: das Er-gebnis missglückter Notlandungen wegen Treibstoffmangels.

Bis Kriegsende 1945 hatte die Jagd-gruppe eine außerordentlich hohe Zahl von Einsätzen geflogen. Während der letzten Kriegsmonate verbreitete sich die Legende, dass kein einziger ameri-kanischer Bomber, der von den »Red Tails« begleitet und geschützt wurde, von feindlichen Flugzeugen abgeschos-sen worden war. Zumindest für sieben Einsätze lässt sich jedoch der Abschuss von Bombern, die von der »332nd Figh-ter Group« begleitet wurden nachwei-sen. Etwa 450 afro-amerikanische Pilo-ten nahmen an mehr als 1500 Einsätzen teil. Zwischen Juni 1944 und April 1945 flogen die »Red Tails« 311 Einsätze, da-von 179 als Begleitschutz für die B-17- und B-24-Bomber. 112 gegnerische Flugzeuge wurden im Luftkampf von ihnen abgeschossen, weitere 150 am Boden zerstört. Die »332nd Fighter Group« war im Verlauf des Zweiten Weltkrieges zu einem erfolgreichen Kampfverband der USAAF geworden. Die Tuskegee Airmen hatten im Zwei-ten Weltkrieg insgesamt 66 Gefallene zu beklagen, 32 Männer gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Afro-amerikanische Flieger in den Kriegsgefangenenlagern der Luftwaffe

Gefangengenommene afro-amerika-nische Piloten waren keineswegs die ersten schwarzen Kriegsgefangenen, die die Deutschen gemacht hatten. Be-reits im Mai/Juni 1940 hatte die vorrü-ckende Wehrmacht zahlreiche Regi-menter der für Frankreich kämpfenden Kolonialsoldaten überrannt und gefan-gengenommen. Die meisten von ihnen, sofern sie denn die Gefangennahme überlebten, wurden im besetzten Teil Frankreichs, in Belgien und den Nie-derlanden interniert. Nach den Lan-dungen der Alliierten in der Norman-die am 6. Juni 1944 und am 16. August 1944 in Südfrankreich kämpften die Wehrmacht und mehr noch die Waf-fen-SS mit rücksichtsloser Härte gegen »farbige« Amerikaner, Briten und Fran-zosen.

5�Piloten der »332nd Fighter Group« auf ihrem Stützpunkt in Ramitelli, Italien, August 1944. Von links nach rechts: Lt. Dempsey W. Morgran, Lt. Carroll S. Woods, Lt. Robert H. Nelron, Jr., Capt. Andrew D. Turner, and Lt. Clarence P. Lester

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Grundsätzlich litten schwarze Kriegs-gefangene, besonders die einfachen Dienstgrade, in den Kriegsgefangenen-lagern der Wehrmacht unter einer un-gleich härteren Behandlung als ihre weißen Mitgefangenen. Sie wurden durch Stacheldrahtzäune von den Wei-ßen getrennt in separaten Baracken un-tergebracht. Härteste Arbeiten waren für diese Gefangenen Alltag.

Für die in die Lager der Luftwaffe eingewiesenen afro-amerikanischen Piloten war die Lage hingegen völlig anders. Wie ihre weißen Mitgefan-genen kamen die Piloten zunächst zur Befragung in das Verhörzentrum in Oberursel. Eine besondere Taktik der Deutschen bei afro-amerikanischen Fliegern war es, Anspielungen auf die Diskriminierung der schwarzen Bevöl-kerung in den USA zu machen. Im An-schluss an die Befragung wurden die Gefangenen auf die Stammlager im Reich verteilt. Die meisten afro-ameri-kanischen Piloten, insgesamt 12, ka-men in das Stalag Luft III nach Sagan.

Alle Gefangenen lebten in gemein-samen Unterkünften; Rassentrennung zwischen Schwarzen und Weißen gab es bei der Luftwaffe nicht. Viele afro-amerikanische Piloten in deutscher Kriegsgefangenschaft fühlten sich iro-nischerweise ausgerechnet vom Kriegs-gegner zum ersten Mal gleich behan-delt. Harold Brown, abgeschossen im März 1945, scherzte in Gefangenschaft mit einem Kameraden: »Hey, we’re fi-nally integrated, and we had to get shot down to become integrated. Because they [the Germans] treated everyone the same – put you right in the same damn compound, without regard to who you were.«

Auch mit den weißen Kameraden scheint es kaum zu Reibereien gekom-men zu sein, zumal der Ruf der Tuske-gee Airmen bereits bis in die Gefange-nenlager gedrungen war. Alexander Jefferson, am 19. August 1944 bei Tou-lon in Frankreich von der gegnerischen Flak abgeschossen, begegnete im Sta-lag Luft III in Sagan einem Crewmit-glied eines B-17-Bombers. Er kam auf ihn zu und umarmte ihn: »You’re a Red Tail! You goddamn Red Tails are the best damned unit! If the Red Tails had been with us we’d have made it back home! You guys saved our asses so many times.« Trotzdem begegnete den schwarzen Kameraden durchaus auch

Zurückhaltung oder vorsichtige Neu-gier seitens der weißen Mitgefangenen. Jefferson erinnerte sich, warum die weißen Mitgefangenen ausgerechnet ihn unter den Neuankömmlingen für ihre Baracke ausgewählt hatten. Dort versteckten sie nämlich Fluchtmaterial und sie fürchteten, einer der weißen Neuankömmlinge könnte ein deut-scher Spion sein: »Now, five thousand miles from home, they can trust a black man because they are scared to death of a strange white face. Ain’t that a bitch!«

Kriegsende und Rückkehr

Nach dem Ende des Zweiten Welt-krieges kehrten die Tuskegee Airmen aus Europa in die Vereinigten Staaten zurück. Viele von ihnen fühlten sich gleich bei ihrer Ankunft mit der noch immer vorherrschenden Rassentren-nung konfrontiert. Alexander Jeffer-son, der am 7. Juni 1945 in New York von Bord des Schiffes ging, wurde von einem weißen Soldaten begrüßt: »Whites to the right, niggers to the left.« Für einige der in die USA zurück-gekehrten Veteranen wie Charles Dryden war es besonders demütigend, dass Diskriminierung und Rassentren-nung ihnen den Besuch von »weißen« Cafés und anderen Einrichtungen ver-boten, deutsche Kriegsgefangene hin-

gegen jedoch Zutritt bekamen. »WE WERE INSULTED AND HUMILIA-TED IN OUR OWN NATIVE LAND!«

Erst allmählich setzte ein Umdenken in der amerikanischen Gesellschaft ein. Der Kampf um echte Gleichberechti-gung sollte für die schwarze Bürger-rechtsbewegung jedoch noch mehrere Jahrzehnte andauern. Ausgerechnet das US-Militär und allen voran die neue United States Air Force (USAF) wagten den ersten Schritt. Mit Execu-tive Order No. 9981 von Präsident Harry S. Truman wurde 1948 die Ras-sentrennung in den US-Streitkräften abgeschafft.

Stefan Kontra

Literaturtipps

Lynn M. Homan and Thomas Reilly, Black Knights: the story of the Tuskegee airmen, Gretna 2002.Alexander Jefferson, Red Tail captured, Red Tail free: me-moirs of a Tuskegee airman and POW, New York 2005.Martin, Peter, »… auf jeden Fall zu erschießen«. Schwarze Kriegsgefangene in den Lagern der Nazis. In: Mittelweg 36 (1999), H. 5, S. 76–91.Alan M. Osur, Blacks in the Army Air Forces during World War II: The Problem of Race Relations, Washington: Office of Air Force History, 1977.

5�Die Befreiung des Lagers in Moosburg durch US-amerikanische Truppen, 29. April 1945.

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14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

Als die Luftwaffe am 30. April 2004 auf dem Flugplatz in Laage beim Jagdgeschwader 73

»Steinhoff« den ersten Eurofighter zur Nutzung in Empfang nehmen konnte, erhielt die Bundeswehr nicht nur ein »State of the Art«-Kampfflugzeug der vierten Generation. Vielmehr endete vorläufig eine in den 1980er Jahren be-gonnene Entwicklung mit der Einfüh-rung dieses Flugzeuges, das als »Tak-tisches Kampfflugzeug (TKF)« auf den Weg gebracht worden war und zwi-schenzeitlich auch als »Jäger 90« Ein-gang in die Medien fand. Es sollte als erstes und bislang einziges wirklich mehrrollenfähiges Kampfflugzeug der Luftwaffe die McDonnell F-4F Phan-tom II als Luftüberlegenheitsjäger er-setzen.

Die Luftwaffe stellte Mitte der 1970er Jahre fest, dass sie für die Zukunft ein nacht- und allwetterkampfähiges »Jagdflugzeug 90« (JF 90) mit »überle-gener Luftkampfeignung gegen War-schauer Pakt-Jäger« sowie mit »hoher Überlebensfähigkeit in der Luft und am Boden« bei gleichzeitig »intensiven Nutzungsraten« benötige, wie der In-spekteur der Luftwaffe, Generalleut-nant Eberhard Eimler, im Februar 1984

vor dem Haushalts- und dem Verteidi-gungsausschuss des Deutschen Bun-destages erläuterte. Dieses Flugzeug konnte jedoch nur im Zuge multinatio-naler Kooperation entwickelt und pro-duziert werden. Auch heute sind nur wenige Staaten in der Lage und wil-lens, so hochkomplexe und teure Waf-fensysteme im nationalen Alleingang zu bauen.

Technologie und Theorie

Die von Generalleutnant Eimler vor den Bundestagsausschüssen vorge-stellten Anforderungen an ein neues Jagdflugzeug müssen aus diesen Grün-den durch wirtschaftliche und wirt-schaftspolitische Überlegungen er-gänzt werden, wenn man das Gesamt-paket »JF 90« verstehen will, was sei-nerzeit der Hauptabteilungsleiter Rüstung, Ministerialdirektor Karl Hel-mut Schnell, tat: Die Bundesrepublik hatte durch verschiedene Rüstungs-projekte der Vergangenheit, so zum Beispiel der Lizenzproduktion des Lockheed F-104G Starfighter und der multinationalen Entwicklung und Pro-duktion des Tornado, »wieder einen Weltstandard in diesem technologisch

besonders zukunftsträchtigen Indus-triefeld erreicht«. Gemeinsam mit Großbritannien, Italien und Spanien und deren Industrie war man nun in der Lage, hochmoderne Waffensys-teme zu entwickeln, wobei der Luft- und Raumfahrtindustrie ein beson-derer Stellenwert zukam. Es ging im damals so bezeichneten »militärisch-industriellen Komplex« nicht allein um Arbeitsplätze, sondern vor allem da-rum, dass dieser Wirtschaftsbereich die »am stärksten technologieerarbeitende wie technologieverbreitende Industrie ist«. Vom Projekt des neuen Jagdflug-zeuges würde, so argumentierte Minis-terialdirektor Schnell, abhängen, »ob die eigenen industriellen Anstren-gungen einen »wirtschaftlich vertret-baren Vorschlag hervorbringen« wür-den. Ebenso sei vordringlich, dass sich die Partnernationen auf ein »in Lei-stung und Kosten optimiertes Pro-gramm« einigen könnten. Dazu müsse die Bundesrepublik Deutschland »sie von der Notwendigkeit und Zweckmä-ßigkeit dieses Programms« überzeugen. Es ging folglich um ein multinationales Kooperationsprojekt, bei dem alle Part-ner ihre Forderungen an die Fähigkeiten des neuen Kampfflugzeuges in die Dis-

5�Startender Eurofighter, Laage, 10. Mai 2004.

Vom Jäger 90 zum Eurofighter

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Vom Jäger 90 zum Eurofighter

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15Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

kussion einbringen und gegebenen-falls Abstriche akzeptieren müssten.

Die europäischen Luftwaffen suchten auch aus einem weiteren Grund nach einem europäischen Kampfflugzeug: Vorher hatten sie in den USA Kampf-flugzeuge bestellt und die deutsche In-dustrie hatte wenigstens teilweise durch Lizenzfertigung von Teilen da-von profitiert.. Ab Mitte der 1970er Jahre aber zeichnete sich ab, dass die USA aus handelspolitischen Interessen und zum Schutz der eigenen »Hoch-technologie« immer weniger bereit waren, ihr technisches Know-how an andere Nationen und selbst an Verbün-dete weiterzugeben.

Die von der deutschen Luftwaffe prä-sentierten militärischen Forderungen verdeutlichten, dass es eben nicht nur um ein »Flugzeug« ging. Es ging für alle Beteiligten bei dem zu entwickeln-den Waffensystem vor allem um techno-logisches Neuland, wie es grundsätz-lich bei jedem neuen Kampfflugzeug der Fall ist und was sich hier schon äußerlich am Endprodukt ablesen ließ: Der Eurofighter ist ein Deltaflügler mit Canards (sogenannte »Entenflügel«). Durch die gewählte Delta Canard-Kon-figuration in Verbindung mit der aero-dynamisch instabilen Auslegung des Flugzeugs konnte seine Wendigkeit und Agilität im Luftkampf deutlich er-höht werden. Erst durch die integrierte Elektronik erhält das Flugzeug ein sta-biles Flugverhalten. Hinzu kommt eine deutlich verkürzte Start- und Lande-strecke. Ähnlich war es beispielsweise auch bei der F-16 Falcon vom US-ame-rikanischen Rüstungshersteller Gene-ral Dynamics. Auch sie ist ein instabil ausgelegtes Flugzeug. Erfahrungen mit solchen Deltaflüglern und vor allem mit »instabilen Flugzeugen« be-saßen die britische und deutsche Luft-fahrtindustrie kaum, weshalb anfangs Frankreich am Rüstungsprojekt noch beteiligt war. Frankreich forderte 1985 die Führungsrolle im Programm und für seine Unternehmen einen Anteil von 50 Prozent sowie die Auslegung des Flugzeuges auch für Flugzeugträ-ger. Diese Forderungen stießen bei den anderen Partnern auf Widerstand, so-dass Frankreich später aus dem Pro-gramm ausstieg, während sich Spanien ihm anschloss.

Die in der Panavia (Pan Aviation) zu-sammengeschlossenen deutschen, bri-

tischen und italienischen Firmen star-teten 1981 das Agile Combat Aircraft(ACA)-Programm. Nachdem Deutschland und Italien keine Haus-haltsmittel zur Verfügung gestellt hat-ten, wurde dieses Programm 1983 mit einem Auftrag des britischen Verteidi-gungsministeriums über 80 Mio £ durch die Firma BAE als »Experimen-tal Aircraft Programme (EAP)« weiter-geführt. Es mündete in einen »De-monstrator«, der 1986 auf der Airshow im englischen Farnborough präsentiert werden konnte und der sozusagen der Urvater des Eurofighters war. Ausge-hend von ihm, entstand ein Kampf-flugzeug, das primär als Jagdflugzeug für die Luftverteidigung vorgesehen war, aber auch für den Luft/Boden-Ein-satz »ertüchtigt« werden sollte. Das zu konstruierende Flugzeug sollte in der Lage sein, Luftkämpfe gegen alle da-mals existierenden und in Kürze ein-zuführenden Kampfflugzeuge mit ho-her Aussicht auf Erfolg zu führen. Als Referenzgegner diente Anfang der 1990er Jahre die Suchoi Su-27 Flanker, die in der ehemaligen Sowjetunion als Gegenstück zum US-amerikanischen Luftüberlegenheitsjäger McDonnell-Douglas F-15 Eagle entwickelt worden war und noch heute eines der besten Jagdflugzeuge sein soll.

Anhand der theoretisch definierten Leistungsparameter, über die der Euro-fighter verfügen sollte, erfolgten Ver-

gleichsberechnungen durch die »De-fence Evaluation Research Agency« (DERA), einer dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung ähneln-den Abteilung im britischen Verteidi-gungsministerium. Danach wäre der Eurofighter allen damals in der Nut-zung und Entwicklung befindlichen Jagdflugzeugen teils deutlich überle-gen: Die McDonnell F-15 Eagle, die General Dynamics F-16 Falcon, die McDonnell Douglas F-18 Hornet sowie die französischen Dassault Rafale. Le-diglich die Lockheed-Martin F-22 Rap-tor, dessen Entwicklung bereits in den 1980er Jahre begann und von dem die USAF 187 Flugzeuge zwischen 2002 und 2011 beschaffte, besaß bessere Werte. Dabei muss man aber berück-sichtigen, dass die Entwicklungs- und Nutzungskosten der F-22 nach dieser »unabhängigen, operationellen Stu-die« rund 50 Prozent höher lagen, als beim Eurofighter in der Basis-Version – so jedenfalls die damalige Einschät-zung.

Politik und Eurofighter

1992 entwickelte sich auf deutscher Seite aus verschiedenen Gründen zum Schlüsseljahr des Projektes. Der am 1. April zum Verteidigungsminister er-nannte Volker Rühe hinterfragte das Flugzeug ganz öffentlich. Angesichts der Vereinigung beider deutschen Staa-

5�Eurofighter. Modell mit möglicher Bewaffnung, 11. Mai 2004.

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16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

Vom Jäger 90 zum Eurofighter

ten, einem fehlenden »Feindbild« bzw. der nicht absehbaren Einsatzmöglich-keiten sowie der für das Flugzeug be-nötigten Finanzmittel schien der Jäger 90 als militärisches Prestigeobjekt poli-tisch kaum noch vermittelbar. Rühe selbst liebäugelte mit einem Ausstieg aus dem Projekt, was zeitgleich auch die italienische Regierung erwog. Nach wenigen Tagen und einer entspre-chenden diplomatischen Offensive der britischen Regierung gegenüber Italien und Spanien wies sein britischer Kol-lege Malcom Riffkind auf bestehende Verträge hin: Wäre Deutschland nun aus dem Gesamtprojekt ausgestiegen, hätte es hohe Strafzahlungen an die anderen beteiligten Nationen leisten müssen, von einem Ansehens- und Technologieverlust der beteiligen Unternehmen ganz zu schweigen. Trotzdem sprach die Preisentwicklung gegen den Jäger: Seit der Vertragsun-terzeichnung 1988 bis 1992 hatte sich das Flugzeug nach verschiedenen Pressemeldungen von 65 auf 135 Mio. D-Mark verteuert, der Bundesrech-nungshof ging 2003 von einem Stück-preis von 133 Mio. Euro aus. Als die britische Presse den »Systempreis« the-matisierte, schreckten die beteiligten Unternehmen wegen dieser politisch brisanten Indiskretion erst recht auf. Sie mussten jedoch Konzessionen ma-chen, wenn sie das Flugzeug über-haupt bauen wollten. Volker Rühes Statement auf der Kommandeurta-gung der Bundeswehr, »Es kann ja nicht wahr sein, dass die ganze Welt sich ändert, nur das Flugzeug bleibt das alte!«, schien auch für die Öffent-lichkeit und das Parlament eine Kos-tenreduzierung zu ermöglichen, gar zu erzwingen.

Ungeachtet der Preissteigerungen, der technischen Verzögerungen und politischen Probleme mit den Partner-ländern und ihrer Finanz- und Wirt-schaftskraft schien für Rühe ein Rück-zug aus dem Projekt, gerade angesichts seines fehlenden Rückhalts in Politik und Industrie, nicht realisierbar. Zu stark war der Widerstand gerade des bayerischen Koalitionspartners CSU innerhalb der Bundesregierung, der sich als Sachwalter der Heimat der deutschen Luftfahrtindustrie betrach-tete. Als sich Minister Rühe für eine ab-gespeckte Version des Flugzeuges stark machte und dafür einen geringeren

Finanzbedarf in Aussicht stellte, be-zeichneten verschiedene Medien den Jäger 90 als »Jäger light«.

In dieser komplexen Gemengelage von Preissteigerungen, technologi-schem Neuland, Zweifeln an den Fä-higkeiten der beteiligten Unternehmen sowie unterschiedlichen militär- und wirtschaftspolitischen Interessen der beteiligten Nationen, entschied sich die Bundesregierung im Frühjahr 1993, an dem Projekt festzuhalten. Auch um Deutschlands Rolle bei der strate-gischen Partnerschaft mit europäischen Unternehmen wie auch die Wettbe-werbsfähigkeit gerade deutscher Unter-nehmen – und hier vor allem im Ver-bund des Airbus-Unternehmens – nicht zu gefährden oder eine möglicherweise rein nationale Komplett-Neuentwick-lung eines Jagdflugzeuges zu vermei-den. Denn eines war klar: Die Luft-waffe benötigte auf jeden Fall ein neues Jagdflugzeug.

Am 10. Dezember 1992 einigten sich die Verteidigungsminister der vier Partnerländer auf die Neuausrichtung (Reorientierung) des Kooperationspro-gramms. Von einer Einigung mit der Industrie konnte zum damaligen Zeit-punkt jedoch noch nicht die Rede sein.

Die Stabschefs der beteiligten Luft-waffen überarbeiteten das European Staff Requirement-Development (ESR-D) und unterzeichneten dieses am 21.

Januar 1994. Darauf aufbauend wurde eine neue Regierungsvereinbarung ge-troffen (Moratorium of Understanding, MoU 4), die in Form eines Entwurfes durch das Bundesministerium der Finanzen dem Deutschen Bundestag vorgelegt wurde. Die Zustimmung des Verteidigungs- und des Haushaltsaus-schusses erfolgten am im Mai und Juni 1995. Das MoU 4 wurde dann am 31. Juli 1995 von vier Nationen in Kraft ge-setzt. Der Eurofighter gewann neben seinen unverwechselbaren, heute sicht-baren Konturen auch technologische Gestalt.

Vom Erstflug zur Nutzung

Am 27. März 1994 stieg in Manching der erste Prototyp, Development Air-craft (DA) 1, zum Erstflug auf und in den Folgejahren bauten die anderen Konsortialfirmen ihre Prototypen, so-dass 1997, im Jahr der Entscheidung des Deutschen Bundestages für die Be-schaffung dieses Flugzeuges, die ers-ten Erfahrungen mit der neuen Tech-nik vorlagen. Die beteiligten Staaten verpflichteten sich danach insgesamt 620 Flugzeuge zu bestellen (noch 1985 ging man von 765 aus). Infolge der wei-ter fortschreitenden Kostensteige-rungen haben sich zwischenzeitlich alle beteiligten Nationen dafür ent-schieden, teilweise deutlich weniger

5�Eurofighter-Prototypen in Formation, 20. September 2001.

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1�Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

Maschinen als zuvor bestellt abzuneh-men, so dass letztlich wohl nur rund 470 Eurofighter für die italienische, bri-tische, spanische und deutsche Luft-waffe gebaut werden. Österreich, Saudi -Arabien und Oman sind die bislang einzigen Exportkunden, wobei Saudi- Arabien – wie zuvor schon beim MRCA – scheinbar einen Teil der von der bri-tischen Regierung bestellten Flugzeuge abnimmt. Österreich, das ursprünglich 18 Eurofighter bestellt hatte, bekam seine ersten Eurofighter wegen Verzug bei der Entwicklung und Fertigung faktisch als »gebrauchte« aus der 1. Lieferung für die Luftwaffe. Die Bun-deswehr soll statt ursprünglich 250 Maschinen, die 1993 auf 180 reduziert wurden, nur noch 143 Eurofighter er-halten. Von den letztlich zu beschaffen-den 140 Eurofightern, zuzüglich der drei Erprobungsflugzeuge (Instrumen-ted Production Aircraft, IPA), werden allein die der Tranche 2 und 3a als Multi-Role Aircraft ausgerüstet sein. Die Flugzeuge der 1. Tranche sind und bleiben reine Jagdflugzeuge.

Durch Presseberichterstattung ist der Eindruck entstanden, dass bereits Mitte 2013 die bereitgestellten Finanzmittel für die Beschaffung weitgehend »ver-braucht« gewesen wären. Eine solche Betrachtung erfordert jedoch die Zu-grundelegung des korrekten Ver-gleichswertes. So muss beispielsweise berücksichtigt werden, dass ständig Verbesserungen des Eurofighters auch während der Fertigung erfolgen, die natürlich zusätzliche Kosten verursa-chen. Dadurch können Erfahrungen aus der Nutzung in der Truppe in Grundbetrieb und Einsätzen – sozusa-gen laufende Updates – sowie weitere Erkenntnisse in die Fertigung einflie-ßen. Damit soll gewährleistet werden, dass die Luftwaffe das beste Waffensy-stem bekommt, das technisch möglich ist. Nicht zu vergessen ist ferner die normale Preissteigerung (Inflation, etc.), die sich bei derart langlaufenden Verträgen deutlich auswirkt. Wie teuer das »Gesamtpaket Eurofighter« für die Bundeswehr letztlich sein wird, lässt sich daher noch nicht abschließend feststellen.

Derzeit sucht die Industrie auch mit Unterstützung der Partnernationen nach Käufern für Eurofighter auf dem Exportmarkt. Indien als ein möglicher Abnehmer hat sich zwischenzeitlich je-

doch für die günstigere französische Rafale entschieden.

Die Einführung des Eurofighters in der Luftwaffe begann am Standort Laage bei Rostock. Das hier beheima-tete Jagdgeschwader 73 »Steinhoff« übernahm von Anfang an die Rolle eines Ausbildungsverbandes für die übrigen umzurüstenden Geschwader. Hier werden alle Flugzeugführer und Fluglehrer ausgebildet. Aus diesem Grunde besitzt dieses Schulgeschwa-der auch keine Quick Reaction Alert (Interceptor) (QRA (I)), keine Alarm-rotte, die die Sicherung des Luftraumes garantiert. Die fliegenden Kampfver-bände der Luftwaffe haben vor weni-gen Monaten ihre bisherigen Namen gegen das einheitliche Taktische Luft-waffengeschwader in Anlehnung an die Tactical Fighter Wings der US Air Force aufgegeben. Der Wegfall der Dif-ferenzierung in Jagd- und Jagdbom-bergeschwader unterstreicht auch, dass der frühere »Jäger 90« als heutiger Eurofighter neben der Rolle als Jagd-flugzeug sukzessive zum Luft-Boden-Einsatz befähigt werden soll. Dazu er-hält er in den kommenden Jahren ne-ben den dabei notwendigen Hard- und Softwareanpassungen auch die ent-sprechenden Lenkflugkörper. Und selbst hier wird deutlich, dass es sich

beim Eurofighter um ein neues euro-päisches Waffensystem handelt: die Raketenbewaffnung ist nicht US-ame-rikanisch, sondern stammt mit IRIS-T und Meteor aus europäischen Fabrika-tionen. Und im Gegensatz zu einem früheren »Multi Role Combat Aircraft« soll der Eurofighter als echtes mehrrol-lenfähiges Kampfflugzeug der vierten Generation auch während einer Mis-sion in verschiedenen Rollen (»Swing Role«) eingesetzt werden können.

Selbst im Einsatz konnte sich der Euro-fighter bereits bewähren. Deutsche Eurofighter nahmen zeitweise das Air Policing der NATO für die baltischen Mitgliedstaaten wahr und die britische und italienische Luftwaffe beteiligten sich mit ihm an der Durchsetzung der UN-Flugverbotszone über Libyen.

Die deutsche Luftwaffe hat nun ein Kampfflugzeug, das in den nächsten 25 Jahren im Rahmen von Bündnisauf-gaben der wesentliche Beitrag der Bun-deswehr zu Luftmacht und Luftvertei-digung sein wird. Der Eurofighter ist ein Mammutprojekt, das noch nicht vollendet ist. Es hat gezeigt, dass ein solches Projekt vielfältigen politischen Entwicklungen unterworfen ist und als Produkt der Hochtechnologie seinen Preis hat.

Heiner Möllers

5�Eurofighter-Triebwerkstest, 24. November 2003.

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Vorbilder?

18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

Die Bundeswehr und ihre Tradition

Tradition kann vielerlei sein: der Schnitt der Uniform, die Truppen-fahne, der Große Zapfenstreich –

oder ist das eher Brauchtum? An kei-nem Thema hat sich die Diskussion um militärische Tradition in den letzten Jahrzehnten so prägnant festgemacht wie an der Frage von Namensgebern – für Kasernen, Schiffe, fliegende Ver-bände. Die Benennung einer Liegen-schaft nach einer bestimmten Person hebt deren Andenken aus der Masse heraus: Da wird jemand zum Vorbild, und dahinter steckt die Aussage, das Leben dieser Person sei so verlaufen, dass ein ehrendes Gedenken durch die Bundeswehr oder die Gesellschaft ins-gesamt auf Dauer angemessen sei.

Die so Geehrten aber waren Menschen aus Fleisch und Blut, Personen mit Licht- und Schattenseiten. Sie sind Gestalten ih-rer Zeit. Gibt es ein richtiges Leben im Falschen? Kann jemand in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben und trotzdem heute Vorbild sein? Unter wel-chen Voraussetzungen könnte ein Ange-höriger der Nationalen Volksarmee der DDR in dieser Weise geehrt werden?

Tradition ist wertebezogene Auswahl aus der Geschichte. Damit stoßen zwei Dinge zusammen: »Geschichte« und »Werte«. Was weiß man über einen Menschen, und wie geht man damit um, dass dieses Wissen sich verändert? Haben sich die Wertmaßstäbe für die Auswahl militärischer Vorbilder ange-sichts des schnellen Wertewandels nicht auch verändert?

Das Zusammenspiel zwischen ver-änderten Erkenntnissen und verän-

derten Wertmaßstäben soll exempla-risch an drei Namensgebern der Bun-deswehr untersucht werden: Eduard Dietl, Werner Mölders und Erwin Rom-mel. Allen dreien ist gemein, dass ihr Ruhm aus der Zeit des Zweiten Welt-krieges und damit des Nationalsozia-lismus herrührt. Während jedoch alle Benennungen nach Dietl und Mölders seit Längerem aufgehoben sind, hat die Bundeswehr an der Benennung von Kasernen nach Rommel bisher festge-halten.

Kasernennamen in der Bundeswehr

Bei den ersten Namensgebungen für Kasernen griff die junge Bundeswehr bezeichnenderweise auf Angehörige des militärischen Widerstands gegen Hitler zurück – beginnend mit der Ge-neraloberst-Beck-Kaserne, einer ehe-maligen »NS-Ordensburg« in Sont-hofen 1956. Benennungen nach Claus Graf Stauffenberg oder etwa nach dem Jesuitenpater Alfred Delp folgten in den ersten Jahren der Bundeswehr, wie überhaupt die neuen westdeutschen Streitkräfte der Zivilgesellschaft in der Anerkennung des Widerstandes gegen Hitler um einiges voraus gewesen sind.

Versuche, Kasernen nach den damals gängigen »Helden« des Zweiten Welt-krieges, also populären Generalen, »Fliegerassen« und »Kämpfern«, zu benennen, scheiterten in dieser Phase noch – nicht zuletzt am Widerstand von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß. Erst dessen Nach-folger Kai-Uwe von Hassel ließ Mitte der 1960er Jahre Benennungen nach Generaloberst Werner Freiherr von

Fritsch (1964), Generalleutnant Walther Wever (1966) oder Generalfeldmar-schall und Reichspräsident Paul von Hindenburg (1964 und 1968) zu.

Dietl

Zu den Namensgebern, die in dieser Phase gewürdigt wurden, gehörte auch der in Bayern populäre General-oberst Eduard Dietl. Im Mai 1964 wurde die Kaserne in Füssen nach ihm benannt, in der er 1935 das Gebirgsjä-gerregiment 99 aufgestellt hatte. Dietl, 1890 in Bad Aibling geboren, stammte aus bürgerlichen Verhältnissen und hatte im Ersten Weltkrieg als Infante-rieoffizier an der Westfront gekämpft. Er wurde in die Reichswehr übernom-men und war 1923 Kompaniechef einer Infanteriekompanie in München. 1920 hatte er dort Hitler kennengelernt. Er war Mitglied der Deutschen Arbeiter-partei (der späteren NSDAP) gewesen, bis das Reichswehrgesetz ihn zum Aus-tritt zwang, und hatte mit Wissen sei-ner Vorgesetzten die Münchner SA mi-litärisch ausgebildet. Als Hitler am 9. November 1923 in München gegen die Republik putschte, weigerte sich Dietl, mit seiner Kompanie gegen die Aufständischen zu marschieren. Mit Mühe entging er einer Entfernung aus der Reichswehr und kam mit einer Strafversetzung nach Ohrdruf in Thü-ringen davon.

Dietls Karriere verlief danach keines-wegs steil. Allerdings hatte er als Regi-mentskommandeur, später als Divi-sionskommandeur am Aufbau der

5�Generaloberst Eduard Dietl, 1943.

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Vorbilder? Die Diskussion um die Namensgeber für Bundeswehr-Kasernen

Sammlung Knud Neuhoff

5�Ärmelband des Jagdgeschwaders 74 der Bundeswehr, das von 1973 bis 2005 den Beinamen »Mölders« trug.

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Gebirgstruppe Anteil. Auf Betreiben Hitlers wurden Dietl und seine 3. Ge-birgsdivision ausgewählt, bei dem Überfall auf Norwegen im April 1940 die nördlichste Landung im Raum Narvik durchzuführen. Von Nach-schub über See abgeschnitten, bewies Dietl jene Fähigkeiten, die er an der Westfront erlangt hatte und die Hitler an seinen Offizieren schätzte: Er vertei-digte zäh jeden Meter Boden, und er wusste seine Soldaten durch persön-liche Ansprache zu motivieren. So wurde aus »Papa Dietl« der »Held von Narvik« – nicht ohne Zutun der NS-Propaganda. Dass Dietls operatives Geschick nur begrenzt war, zeigte sich, als er später beim Angriff auf die Sowjetunion in Nordfinnland zuerst ein Gebirgskorps, dann eine ganze Ge-birgsarmee führte. Der durchschla-gende Erfolg, die Unterbrechung der strategisch wichtigen Bahnlinie zum Hafen Murmansk und damit der wich-tigsten Transportverbindung für die angloamerikanische Militärhilfe für die Sowjetunion, gelang ihm nicht. Am 20. Jahrestag des gescheiterten Putsches von 1923 verlieh ihm Hitler das gol-dene Parteiabzeichen der NSDAP – damit war Dietl später der einzige Namensgeber einer Bundeswehrein-richtung mit dieser zweifelhaften Aus-zeichnung. Dietl fiel im Juni 1944 einem Flugunfall in den Alpen zum Opfer. Hitler selbst, der Beerdigungen ansons-ten hasste, hielt die Trauerrede.

Erst in den 1980er Jahren begann eine kritische Diskussion um Dietl. Der po-puläre bayerische General war von sei-nen Soldaten regelrecht geliebt wor-den, sodass die Diskussion von Anfang an höchst emotional geführt wurde. In dem menschenleeren Raum des Hohen Nordens, in dem Dietl gekämpft hatte, war es nur vereinzelt zu Kriegsverbre-chen gekommen, und in Einzelfällen ließ sich sogar eine Fürsprache Dietls für »halbjüdische« Mitbürger belegen. Seine Befürworter stilisierten seinen leutseligen Führungsstil zu einer Vor-form der »Innere Führung« der Bun-deswehr hoch – und zeigten damit aber gleichwohl, dass sie dieses Konzept nicht wirklich verstanden hatten. »In-nere Führung« ist mehr als mensch-licher Umgang mit Untergebenen; »Innere Führung« fordert den »Staats-bürger in Uniform«, der aktiv für den freiheitlich-demokratischen Staat ein-

tritt. Genau das aber ließ sich über Dietl nicht sagen: Vielleicht war er der ty-pische Fall des »guten Nazis« – aber er war eben ein Nationalsozialist durch und durch, und er hatte sich in kriti-scher Situation geweigert, Reich und Verfassung zu stützen, auf die er ver-eidigt gewesen war.

Die Dietl-Debatte in den 1980er und 1990er Jahren brachte keine wesent-lichen neuen wissenschaftlichen Er-kenntnisse über Dietl selbst zu Tage. In der Forschung war seine Rolle beim Hitlerputsch 1923 seit Langem bekannt gewesen, nur hatte sich dafür in den 1960er Jahren niemand wirklich inte-ressiert. Allerdings hatte sich das Wis-sen um den verbrecherischen Charak-ter des Krieges an der Ostfront seit damals deutlich verbreitert, sodass Dietls Tapferkeit und auch sein Füh-rungsverhalten jetzt in einem anderen Licht gesehen wurden. Gewiss ver-fügte er über soldatische Tugenden, aber anders als 20 Jahre zuvor wurde jetzt stärker die Frage in den Vorder-grund gestellt, wofür Dietl diese Tugen-den eingesetzt hatte. Kann jemand ein Vorbild für eine Armee in der Demo-kratie sein, der solche Tugenden in den Dienst eines verbrecherischen Regimes stellt? Die Antwort, die Verteidigungs-minister Volker Rühe 1995 gab, war »Nein« – die Kaserne in Füssen wurde in »Allgäu-Kaserne« umbenannt.

Mölders

Auch Oberst Werner Mölders stammte aus bürgerlichen Verhältnissen. 1913 geboren, hatte er – anders als etwa Dietl – nicht im Ersten Weltkrieg ge-kämpft, sondern war erst 1931 Offizier-anwärter in der Reichswehr geworden. Schon 1934 wechselte er vom Heer in die zunächst noch getarnt aufgestellte »Luftwaffe« und wurde zum Jagdflie-gerpiloten ausgebildet.

Seit 1936 unterstützte das nationalso-zialistische Deutschland die nationalis-tische Partei unter General Franco im Spanischen Bürgerkrieg. Insbesondere entsandte es einen gemischten Luft-waffenverband, die »Legion Condor«, die durch die Bombardierung der bas-kischen Stadt Guernica 1937 traurige Berühmtheit erlangte. Auch Werner Mölders gehörte der Legion Condor an, allerdings erst ab April 1938, deut-lich nach dem Angriff auf Guernica;

zudem war er Jagdflieger, nicht Bom-berpilot.

Während des Zweiten Weltkrieges war Mölders bereits ein erfolgreicher Jagdflieger. Obwohl die Jäger als Teil der Luftabwehr den defensiven Aspekt des Luftkrieges verkörperten, stellte die NS-Propaganda gleichwohl die erfolgreichen Piloten mit ihren Ab-schusszahlen viel deutlicher in den Vordergrund als die offensiven Luft-kriegsmittel der Bomberverbände. Auch Mölders wurde von der Wehr-machtpropaganda breit herausgestellt und von Hitler wegen seiner Luftsiege mehrfach hoch dekoriert. Allerdings war Mölders bewusst katholisch, und die Bilder seiner kirchlichen Hochzeit im Herbst 1941 passten nicht so recht zu dem in den NS-Medien verbreiteten Bild des glühenden Nationalsozialis-ten. Der berühmte Jagdflieger Mölders fiel am 22. November 1941 einem Flug-unfall zum Opfer: Auf dem Weg zum Begräbnis von »Generalluftzeugmeis-ter« Ernst Udet stürzte die Maschine, in der er als Passagier saß, nach Motor-ausfall ab. Mölders wurde in einem Staatsakt neben Udet auf dem Invali-denfriedhof in Berlin beigesetzt. Das Geschwader, das er geführt hatte, er-hielt seinen Namen als Ehrennamen.

Auch Mölders konnte man nach dem Krieg in keiner Weise mit Kriegsver-brechen in Verbindung bringen. So kam in der Luftwaffe der Bundeswehr der Gedanke auf, einen fliegenden Ver-band nach Mölders zu benennen, nach-dem schon vorher drei Geschwader den Namen von Piloten aus dem Er-sten Weltkrieg erhalten hatten und 1968 ein Zerstörer der Bundesmarine auf den Namen »Mölders« getauft worden war. 1972 wurde eine Kaserne

5�Oberst Werner Mölders, 1941.

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Vorbilder?

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nach Mölders benannt, und ab 1973 trug das in Neuburg/Donau statio-nierte Jagdgeschwader 74 der Luft-waffe den Beinamen »Mölders«. Bun-despräsident Gustav Heinemann selbst hatte den entsprechenden Namens-bändern an der Uniform der Soldaten zugestimmt.

Nach der deutschen Einheit 1990 regte sich auch gegen Mölders als Na-mensgeber Widerspruch. Die ehema-lige Staatspartei der DDR, die jetzt als PDS firmierte, hatte sich schon immer in der Tradition der republikanischen Seite und der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gesehen; für die PDS musste es einen Affront be-deuten, dass die Bundeswehr einen Angehörigen der Legion Condor ehrte. Im April 1998 beschloss auf ihren An-trag hin das Plenum des Deutschen Bundestages, die Bundesregierung möge »dafür Sorge […] tragen, dass Mitgliedern der Legion Condor nicht weiter ehrendes Gedenken z.B. in Form von Kasernenbenennungen der Bun-deswehr zuteil wird. Bereits erfolgte Kasernenbenennungen nach Mitglie-dern der Legion Condor sind aufzuhe-ben.« Das betraf nach Lage der Dinge allein Werner Mölders.

Nun mochte sich die Bundesregie-rung darauf zurückziehen, dass der Verteidigungsminister nach dem Grundgesetz der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und der Beschluss daher rechtlich nicht bindend war, und das tat sie auch wiederholt gegenüber Nachfragen der PDS im Parlament, so Verteidigungsminister Rudolf Schar-ping im Juni 2000 und sein Nachfolger Peter Struck im Juni 2004. Struck je-doch hatte den Bundestagsbeschluss mit initiiert, und im Vorfeld der Feiern zum 50. Jahrestag der Bundeswehr 2005 entschied er, nunmehr den Parla-mentsbeschluss umzusetzen.

Der Marine konnte es egal sein: Der Zerstörer »Mölders« war längst außer Dienst gestellt und ist jetzt eines der Leitexponate des Marinemuseums Wil-helmshaven. Vor allem beim Jagdge-schwader 74 in Neuburg/Donau aber führte der Befehl, den Traditionsna-men »Mölders« abzulegen, zu erheb-licher Unruhe. Strucks Entscheidung hatte auch ein zunächst internes Gut-achten des Militärgeschichtlichen For-schungsamtes in Potsdam zugrunde gelegen, das bald in die Öffentlichkeit

lanciert und dort heftig attackiert wurde. War Mölders demonstrativ oder nur im Verborgenen Katholik ge-wesen, und ließ sich das als Wider-stand klassifizieren? Traf es zu, dass er vom NS-Regime Verfolgten Unterstüt-zung gewährt hatte? Dem Autor des Gutachtens hatten Teile des in Fami-lienbesitz befindlichen Nachlasses nicht zur Verfügung gestanden; später erschien eine Buchveröffentlichung, die auf breiterer Quellenbasis teilweise zu anderen Wertungen kam. Vehement forderten Verwandte des Jagdfliegers, aber auch aktive und ehemalige Angehö-rige des lange nach Mölders benannten Geschwaders eine »amtliche« Richtig-stellung.

Das alles übersah zweierlei: Wissen-schaftliche Forschung schreitet immer weiter voran. Die neuere Literatur do-kumentiert den heutigen Stand der Er-kenntnis, aber zukünftige Forschungen werden möglicherweise auch den jet-zigen Stand als überholt erscheinen lassen. Solchen Fortschritt im Wissen kann auch keine »amtliche« Feststel-lung anhalten.

Zudem: Für die Entscheidung über eine Beibehaltung oder Aufgabe von Benennungen waren alle jene Punkte, die Gegenstand von Diskussionen und Publikationen waren, ohnehin uner-heblich: dass Mölders der Legion Con-dor angehört hat und in ihr geflogen ist, ist unbestritten, und allein darauf nimmt der Bundestagsbeschluss von 1998 Bezug. Jede Wiederaufnahme des Themas durch das Verteidigungsminis-terium müsste unweigerlich den Ein-druck erwecken, die politische Führung der Bundeswehr wolle dem Parla-mentsbeschluss zuwider handeln – oder aber sie müsste versuchen, den Bundestag zu einem anderen Beschluss zu bewegen, was kaum opportun er-scheinen würde.

Der Fall Mölders ist ebenfalls ein Bei-spiel dafür, wie veränderte Wertmaß-stäbe viel mehr als ein Fortschritt der Wissenschaft zu neuen Entscheidun-gen führen. Dass Mölders im Spani-schen Bürgerkrieg geflogen ist, war ja auch 1973 schon kein Geheimnis gewe-sen – nur hatte dieses Wissen damals, zu Zeiten der sozialliberalen Koalition und eines militärkritischen SPD-Bun-despräsidenten, offenkundig kein hin-reichendes Gewicht gehabt, um die Be-nennung abzulehnen.

Rommel

Nach Herkunft und Karriere kann man den 1891 in Schwaben geborenen Erwin Rommel gut mit Eduard Dietl vergleichen: beide stammten aus Süd-deutschland, waren bürgerlicher Her-kunft, im Ersten Weltkrieg fronterfah-rene Infanterieoffiziere gewesen, und beide waren keine Generalstabsoffi-ziere. In vielerlei Hinsicht entsprachen sie damit Hitlers Idealbild des Offi-ziers. Rommels Erfahrungen im Ersten Weltkrieg waren aber nicht diejenigen Dietls: Wo dieser den Stellungskrieg im Schützengraben kennengelernt hatte, hatte jener im Gebirgskrieg Stoß-trupptaktik praktiziert. Auch Rommel hatte sich von Hitler faszinieren lassen, vor allem zu seiner Zeit als Komman-dant des Führerhauptquartiers zu Kriegsbeginn.

Als Hitler ihm dann für den Frank-reichfeldzug eine der wenigen deut-schen Panzerdivisionen anvertraute, konnte Rommel sein operatives Genie beweisen. Listenreich führte er einen Bewegungskrieg, besetzte Räume im schnellen Vorgehen und stieß in die gegnerischen Flanken und Rücken. Hitler entsandte Rommel nach Nord-afrika, wo er in mehreren Feldzügen von Neuem sein Geschick unter Be-weis stellte. Für die Eroberung der Fe-stung Tobruk ernannte Hitler den »Wüstenfuchs« zum Generalfeldmar-schall – eine Ehrung, die Dietl Zeit sei-nes Lebens verwehrt blieb.

Aber Hitler scheint Rommel nicht wirklich getraut zu haben: Nie hatte Rommel eine Hitler unmittelbar unter-stellte Position inne. In Afrika, später in Italien musste er sich dem ungeliebten Luftwaffen-Feldmarschall Albert Kes-selring beugen; später, als Oberbefehls-haber einer Heeresgruppe am Atlantik-

5�Generalfeldmarschall Erwin Rommel, 1943.

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wall in Frankreich, unterstand Rommel immer den wechselnden Oberbefehls-habern West. Rommel war eitel und ließ sich gern von der NS-Propaganda ins rechte Bild setzen. Seine zuweilen herrische Art schuf ihm wenig Freunde, seine Energie und sein operatives Ge-schick bewunderten dagegen viele.

Das Bild Rommels ist in der Nach-kriegszeit lange von seinen eigenen posthum erschienenen Tagebuchnoti-zen und von seinen angelsächsischen Gegnern geprägt gewesen. Erst sehr viel später, nachdem die Westalliierten die Akten der Wehrmacht nach Deutschland zurückgegeben hatten, bot sich die Gelegenheit, seine Rolle im nationalsozialistischen System besser zu verstehen.

Als die Bundeswehr 1961 die Kaserne im ostwestfälischen Augustdorf (und später zwei weitere) nach Rommel be-nannte und 1969 ein Schwesterschiff der »Mölders« auf den Namen »Rom-mel« getauft wurde – da stand vor allem der listenreiche Wüstenfuchs im Vordergrund, auch der »ritterliche« Kämpfer, von dessen Kriegsschauplatz in der Wüste keine Kriegsverbrechen bekannt geworden waren. Die kriti-schen Fragen kamen erst später: seine Rolle bei der Besetzung Italiens etwa oder der Vorwurf, eine »Propaganda-schöpfung« gewesen zu sein.

Andererseits hatte Rommel schon seit den späten 1940er Jahren als Ange-höriger des Widerstandes gegen Hitler gegolten, und es war unstrittig, dass der »Führer« ihn Mitte Oktober 1944 zum Selbstmord hatte zwingen lassen. Eine Rommel-Biografie des (später we-gen seiner rechtsradikalen Umtriebe höchst umstrittenen) britischen Jour-nalisten David Irving war zwar flei-ßiger recherchiert als alles, was bis da-hin erschienen war – aber sie war nicht ohne absichtliche Verfälschungen. Vor allem Irvings Versuch, Rommel aus je-der Verbindung mit dem Widerstand herauszulösen, blieb nicht unwider-sprochen.

Auch hier gilt: Ein unlängst in den re-nommierten Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte erschienener Aufsatz über Rommels Beteiligung am Wider-stand fasst zwar den bisherigen Wis-sensstand prägnant zusammen, aber das kann weiteren Erkenntnisfort-schritt in der Zukunft nicht ausschlie-ßen.

einer Traditionsdiskussion stellen müs-sen, und es hat ihr letztlich gut getan, sich anhand dieser Diskussion über ihre eigenen Werte klar zu werden. Traditionsverständnis ist Selbstver-ständnis. In anderen Bereichen des öf-fentlichen Lebens haben ähnliche Pro-zesse erst sehr viel später und sehr langsam eingesetzt.

Die öffentliche Diskussion um die Tradition der Bundeswehr hat sich aber bisher fast ausschließlich mit Bezügen zur Wehrmacht befasst. Die Forderung, die Traditionspflege der Bundeswehr müsse vor allem deren eigene Ge-schichte in den Blick nehmen, ist bisher floskelhaft und ohne Wirkung geblie-ben. Statt über Rommel-Kasernen zu diskutieren, stünde der Bundeswehr eine Diskussion über eine »Ulrich de Maizière-Kaserne«, eine »Hindukusch-Kaserne« oder die Benennung eines Schiffs nach dem Horn von Afrika gut an.

In der Diskussion um die Namensge-ber der Bundeswehr ist immer wieder gefordert worden, »man« (also die Bundeswehr oder noch besser das je-weilige Verteidigungsministerium) müsse »ein für allemal« festlegen, wer und was nun akzeptabel sei und was nicht. Das klingt wünschenswert – und verkennt doch die Realität. Die Ge-schichte endet nicht jetzt; das Wissen, das wir heute über die Vergangenheit haben, ist nur ein Teil jenes Wissens, das spätere Generationen haben wer-den und auf das sie dann ihre Auswahl stützen müssen.

Mehr noch: Unsere Maßstäbe der Auswahl sind eben die von heute, und die werden ebenfalls morgen oder übermorgen überholt sein. Man kann aus der Geschichte nur wenig lernen – aber dass sich alles ständig verändert, diese Lehre lässt sich aus der Ge-schichte ziehen.

Eine solche Einsicht zwingt zur dop-pelten Demut: Sie sollte eine vor-schnelle Verurteilung jener verhindern, die auf der Basis ihres Wissens und ih-rer Werte in ihrer jeweiligen Zeit Tradi-tionsentscheidungen getroffen haben. Sie sollte aber auch unsere heutigen Wertmaßstäbe und unser heutiges Wis-sen als zeitbedingt und veränderbar begreifen. Die »zeitlose« Traditions-pflege gibt es nicht, es gibt nur unsere jeweils heutige Tradition.

Hans-Hubertus Mack

Der Zerstörer »Rommel« ist inzwi-schen abgewrackt, aber die beiden Ka-sernen in Augustdorf und Dornstadt bei Ulm tragen weiterhin den Namen des schwäbischen Feldmarschalls. Und das, obwohl der Journalist Ralph Gior-dano in seinem bundeswehrkritischen Buch »Die Traditionslüge« (2000) die Benennungen nach Rommel als »den schlimmsten Missgriff in der Vergan-genheitspolitik der Bundeswehr ge-rügt« hatte.

In diesem Fall haben die veränderten Erkenntnisse über seine Rolle im Wi-derstand dazu geführt, dass die Bun-deswehr auch heute noch in Rommel ein Vorbild sehen kann. Die Bewunde-rung für den »Wüstenfuchs« allein würde heute gewiss nicht mehr ausrei-chen. Aber es gilt festzuhalten, dass die vormalige »Propagandaschöpfung« Rommel am Ende jener umfassenden Verantwortung gerecht geworden ist, die dem Rang eines Generalfeldmar-schalls entsprach. Rommel hatte als ei-ner von äußerst wenigen erkannt, dass Hitlers Politik Deutschland in den Ab-grund führen würde, und Vorberei-tungen dafür getroffen, den Krieg im Westen zu beenden. Er hatte Hitler auf-gefordert, die Konsequenzen aus der Kriegslage zu ziehen. Vertrauten ge-genüber stellte er es so dar, dass er Hit-ler ein »Ultimatum« gestellt habe. Ein »Führer«, der sich Ultimaten stellen lässt, hat aber seine Macht verspielt. Folgerichtig hat Hitler Rommel in den Tod geschickt.

Ein hoher Offizier, der spät – aber eben doch! – erkennt, was seine Pflicht im An-gesicht eines verbrecherischen Krieges ist, und der dafür mit dem Leben bezahlt – warum sollte der für die Bundeswehr nicht traditionswürdig sein?

Militär und zivile Gesellschaft

Ist diese Diskussion ein Spezifikum der Bundeswehr? Kommen problema-tische Traditionslinien nur beim Mili-tär vor? Keineswegs: In wie vielen Städten gibt es noch einen Hinden-burgdamm (an dem etwa in Berlin selbst acht Jahre rot-roter Stadtregie-rung nichts geändert haben), und was ist eigentlich an jenem Ernst Thälmann traditionswürdig, dessen Name noch heute viele Straßenschilder in Ost-deutschland »schmückt«? Die Bundes-wehr hat sich seit den 1980er Jahren

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22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

Das historische StichwortService

Am 31. Dezember 2014 enden zeitgleich sowohl das letzte ISAF-Mandat des Deutschen

Bundestages als auch die Resolution 2120 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mitsamt dem von der NATO beschlossenen Operationsplan. Dieser Auslandseinsatz der Bundeswehr steht für ereignisreiche Jahre, die den Wan-del der Bundeswehr zur Einsatzarmee entscheidend geprägt haben. Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte der internationale Terrorismus eine neue Dimension erreicht. Deutsch-land beteiligt sich seit dem 22. Dezem-ber 2001 an der »International Security Assistance Force« (ISAF) und gehört zu den größten Truppenstellern. Gleichzeitig unterstützten deutsche Soldaten des Kommandos Spezial-kräfte bis zum Jahr 2008 die von den USA geführte Anti-Terror-Operation »Enduring Freedom« (OEF).

Die deutsche Beteiligung an den in-ternationalen Missionen in Afgha-nistan stand unter dem Vorzeichen der Bündnisloyalität innerhalb der NATO. Dem Terrornetzwerk al-Qaida sollte der Rückzugsraum beschnitten und das kriegsgeschüttelte Land stabilisiert werden, so dass von ihm keine Ge-fahren mehr für die internationale Si-cherheit ausgehen konnte. Begonnen wurde mit einem relativ geringem Kräfteansatz und einer robusten Man-datierung, vornehmlich ein Peacekee-ping- und Statebuilding-Einsatz. Die-ser entwickelte sich jedoch im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einem Auf-standsbekämpfungseinsatz (Counter-insurgency), in dem Gefechte und

Anschläge für die Soldatinnen und Sol-daten fast schon zum Alltag gehören.

Aufgrund der landesweiten Ver-schlechterung der Sicherheitslage ent-schlossen sich die NATO-Staaten 2010 zu einer massiven Aufstockung der ISAF-Truppen und gleichzeitig zu einem weitreichenden Strategiewech-sel. Die Anstrengungen im Bereich Aufbau und Ausbildung der afghani-schen Sicherheitskräfte wurden deut-lich verstärkt und das militärische En-gagement stellte noch stärker den Schutz der afghanischen Bevölkerung in den Vordergrund. Statt aus den weni-gen Feldlagern heraus die Umgebung durch Patrouillen zu sichern, ging ISAF dazu über, das von Aufständischen be-freite Gebiet auch durch permanente Präsenz von Truppen zu sichern. Part-nering hieß das Schlüsselwort. An-schließend erfolgte schrittweise die Abgabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung. Mit der Expansion der ISAF-Einsatzes und der Übernahme des ISAF Regional Com-

mand North, einschließlich der Nach-schubbasis in Mazar-e-Sharif für 16 ISAF-Nationen, übernahm die Bundes-republik Deutschland 2006 erstmals Führungsverantwortung in Afghanis-tan.

Einhergehend mit diesem Schritt nahmen auch die Zahl und die Vehe-menz von Anschlägen sowie anderer Aktivitäten der Aufständischen gegen-über den ISAF-Truppen und damit auch der Bundeswehr weiter zu. Be-reits der Selbstmordanschlag in Kun-duz, am 7. Juni 2003 hatte gezeigt, dass die Bundeswehr anfangs der stei-genden Intensität des Konflikts nicht gewachsen war. Das galt nicht zuletzt auch für die Ausrüstung der Soldaten. Es fehlte vor allem an gepanzerten Fahrzeugen, die den Soldaten bei der Erfüllung Ihres Dienstes, gegen Impro-vised Explosive Devices (IED) und Selbstmordattentäter Schutz bieten sollten. Ein deutscher Konvoi, der sich auf der Fahrt zum Kabul International Airport befand, wurde Ziel eines Selbstmordkommandos, ein deutscher Bus von einer in einem Taxi gezünde-ten Bombe zerstört. Vier Soldaten ver-loren ihr Leben, 29 wurden zum Teil schwer verletzt. Eine weitere Wende brachte der Anschlag auf dem Markt in Kunduz am 17. Mai 2009, wo deutsche Soldaten einem Selbstmordattentäter zum Opfer fielen. Daraufhin wurden die Patrouillentätigkeit um Kunduz weitgehend eingestellt, die Truppe konzentrierte sich nur noch auf den Nahbereichsschutz des Feldlagers. Der mehr bevölkerungsorientierte, »of-fene« Ansatz war dort an seine Gren-

3�Lance Corporal John B. Kavanaugh vom 1st Battalion, 3rd Marine Regiment erläutert einem Soldaten der afghanischen Natio-nalarmee im Rahmen der Schießausbil-dung, wie er seine Präzision beeinflus-sen kann.

Der Afghanistan-Einsatz

3�Panzerhaubitze 2000 im scharfen Schuss.

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zen gestoßen, wo größere Gruppen von Militanten einsickerten, sich fest-setzen und Einfluss gewinnen konn-ten. In Kunduz habe die Bundeswehr lernen müssen zu kämpfen, sagte der damalige Bundesminister der Verteidi-gung Thomas de Maizière anlässlich einer Übergabe des dortigen Provincial Reconstruction Team (PRT). »Das war eine Zäsur, nicht nur für die Bundes-wehr, sondern auch für die deutsche Gesellschaft.«

Dass es im Zuge dieser Entwicklung auch zu tragischen Zwischenfällen kam, war bedauernswerter Weise nicht zu verhindern. Wie der Beschuss eines zivilen einheimischen Personenkraft-wagens nahe Kunduz in Afghanistan zeigte, standen die Bundeswehrsol-daten unter einem enormen Druck. Es galt, zwischen der eigenen Sicherheit

und den Rules of Engagement (ROE) abzuwägen.

Ab Ende April 2009 konnte die Be-drohungslage in der Provinz Kunduz als »kriegsähnlich« bezeichnet werden. Die Aufständischen gingen mehr und mehr zu komplexen Angriffen auf die Bundeswehr und ISAF über, in dessen Verlauf der erste Bundeswehrsoldat bei aktiven Kampfhandlungen starb. Erstmals töteten auch deutsche Trup-pen unter Einsatz vom Luftnahunter-stützung und Schützenpanzern meh-rere Aufständische im Kampf. Eine weitere Zäsur im Handeln der Bundes-wehr markierte der Luftangriff bei Kunduz am 4. September 2009. Zwei von Taliban entführe Tanklastwagen wurden auf den Befehl des deutschen Kommandeurs des PRT Kunduz bom-bardiert. Die Anzahl der durch den Luftangriff getöteten und verletzten Menschen lässt sich nicht mehr mit endgültiger Sicherheit feststellen; eine Trennung zwischen aufständischen und zivilen Opfern ist im Nachinein kaum möglich. Die Grenze zwischen richtig und falsch verschwamm, die Bundeswehr lernte gerade den Kampf ums Überleben. Ihre größten Verluste im Kampf in Afghanistan erlitt sie in der Ortschaft Isa Khel nahe Kunduz. Am 2. April 2010, dem sogenannten blutigen Karfreitag, starben drei deut-sche Soldaten und mehrere wurden schwer verwundet. Bei dieser gut ge-planten Attacke griffen mehrere Trupps der Aufständischen die Bundeswehr aus verschiedenen Richtungen gleich-zeitig an.

Als unmittelbare Antwort der ISAF-Truppen auf diese veränderte Sicher-heitslage in der Provinz Kunduz folgte die »Operation Halmazag«. Erstmals führten im Rahmen der neuen »Coun-terinsurgency«-Strategie afghanische Sicherheitskräfte in enger Zusammen-arbeit mit ISAF eine Offensivoperation zum Aufbau eines Außenpostens nahe der Ortschaft Quatliam im Distrikt Char Darah durch. Dabei wurden Stel-lungen der Taliban in Quatliam und Isa Khel von Kampfflugzeugen bombar-diert, von rund 500 Soldaten angegrif-fen und schließlich besetzt. Das Ein-satzumfeld in Afghanistan wechselte folglich immer wieder zwischen Auf-standsbekämpfung und (Staats-)Auf-bau, zwischen Kampfsituationen, Stabilisierungs- und Ausbildungsauf-

gaben, in dem Deutschland seine seit der Wiedervereinigung gewachsene internationale Verantwortung durch den Auslandseinsatz der Bundeswehr wahrnahm und -nimmt. Dieser Einsatz in Afghanistan veränderte und prägte die Bundeswehr als Gesamtorganisa-tion wie kein anderer Einsatz zuvor. Dazu gehörte auch der gesellschaft-liche Diskurs über Verwundung, Tod und das Töten.

Wie weit der Einsatz in Afghanistan die Soldaten selbst verändert hat, zei-gen jetzt erste Langzeitstudien über Afghanistanrückkehrer. Demnach be-richteten viele Soldaten nach ihrer Heimkehr von größerem Selbstbe-wusstsein und einer größeren Wert-schätzung des Lebens. Ein Teil der Heimkehrer, etwa fünf bis acht Pro-zent, fühlte sich dagegen auch zwei Jahre nach dem Einsatz »fremd im ei-genen Leben«. Die Betroffenen litten unter anhaltenden seelischen und/oder körperlichen Verletzungen. Generell sei die Zeit des Einsatzes für die Solda-ten und ihre Familien »extrem bela-stend«. Persönliche Veränderungen für die Soldaten nach der Rückkehr aus dem Einsatz stellen »nicht die Aus-nahme, sondern die Regel dar«, so die Untersuchung weiter. In ihrer Mehr-heit verarbeiteten die Befragten diese Erfahrungen jedoch gut. Rund zwei Jahre nach dem Einsatz fühlen sie sich durch eine »alltägliche Bürokratie im Dienst«, ein »hohes Arbeitsaufkom-men« oder häufige Abwesenheiten von zu Hause stärker belastet als durch ihre Erlebnisse in Afghanistan.

Phillip Königsegg Aulendorf

Literaturtipps

Anja Seiffert und Julius Heß., Afghanistanrückkehrer. Der Einsatz, die Liebe, der Dienst und die Familie. Ausgewählte Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Langzeitbeglei-tung des 22. Kontingents ISAF. Potsdam: ZMSBw 2014, http://www.mgfa.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/1_140807berichtsoldatenfamilienafgha nistenrueckkehrerpublikationsfassung.pdfDer Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan: Sozial- und politikwissenschaftliche Perspektiven. Hrsg. von Anja Seif-fert, Phil C. Langer und Carsten Pietsch., Wiesbaden 2012 (= Schriftenreihe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, 11).

5�Spähtrupp mit Fennek in Afghanistan.

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5�Troops in Contact (TIC) im September 2010 in Qala e Zal.

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medien

Service

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Neue Medien

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014medien

Museum online

Wer bislang der Ansicht war, dass nur das Militär vom Abkür-

zungsfimmel (AbKüFi) befallen war, der widme sich: LeMO. Das Lebendige Museum Online (dhm.de/lemo) wird seit 1998 vom Deutschen Historischen Museum in Berlin, von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepu-blik Deutschland in Bonn sowie vom Bundesarchiv in Koblenz betrieben. Es wurde vollständig überarbeitet und präsentiert sich seit September 2014 in neuem Gewand. Ziel war und ist es, deutsche Geschichte von der Revolu-tion 1848/49 bis in die jüngste Vergan-genheit leicht verständlich aufbereitet und in unterhaltsamer Art dem inte-ressierten Publikum zu präsentieren.

Die Gliederung erfolgt grundsätzlich chronologisch in den Kapiteln: Vor-märz und Revolution, Reaktionszeit, Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weima-rer Republik, NS-Regime, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegsjahre, Geteiltes Deutschland, Deutsche Einheit. Hier kann jeweils auf die Jahreschroniken geklickt werden. Ereignisse sind mit Biografien der handelnden Personen verbunden, so etwa Kaiser Franz Joseph I. für das Jahr 1857 (Verfügung zur Schleifung der Wiener Stadtbefe-stigung für die geplante Stadterweite-rung). Einzelne Begriffe wie Deutscher Zollverein sind per Klick mit einem längeren Artikel versehen. Bei Ereig-

nissen wie dem Waffenstillstand von 1918 von 1919 werden neben den obli-gaten Fotos die Details der Bestim-mungen gleich als Dokument mitgelie-fert. Dieses System wird ergänzt durch thematische Rubriken sowie durch Ob-jektbeschreibungen, wie etwa einer Gasmaske zum Thema Erster Welt-krieg. Hinzu kommen Recherchemög-lichkeiten nach den Kategorien: Zeit-strahl, Themen, Zeitzeugen, Bestand, Lernen und Projekt.

Bei den Zeitzeugen zum Beispiel sind Berichte aus allen Epochen abrufbar. Das Publikum wird dazu aufgerufen, sich selbst mit entsprechenden Erinne-rungen einzubringen. Bislang sind dort eine Vielzahl von Quellen verfügbar. Das beginnt mit Kriegsbriefen aus dem Ersten Weltkrieg, setzt sich über eine Hochzeit 1940 und über den Berufs-weg einer »Neulehrerin« in der Sowje-tischen Besatzungszone DDR fort und führt bis zu den ersten Versuchen eines Fahrschülers im legendären VW-Käfer. Die Alltagsgeschichte findet also durchaus breiten Raum. Alles in allem eine runderneuerte Sache.

hp

Allgäu Sixties

Peter M. Roese hat den 1960er Jahren im Allgemeinen und der Situation

von Mannschaftsdienstgraden der Bundeswehr in Kaufbeuren im Beson-deren ein zweifaches Denkmal gesetzt: eine Internetseite und einen Roman.

Auf groschenindermusikbox.word press.com finden sich gesammelt Erin-

nerungen einfacher Zeitzeugen aus dieser Epoche. Sie sind mit Verweisen auf die Musik sowie auf die gesell-schaftlichen Veränderungen in der da-mals gerade einmal knapp 20 Jahre al-ten Bundesrepublik versehen. Wer mit dem »Groschen« oder »Zehnerl« als Synonym für ein Zehn-Pfennig-Stück und der »Musikbox« überhaupt noch etwas anfangen kann, der kommt hier auf seine Kosten. Die Übrigen können eine Zeitreise in die unbekannten Ge-filde ihrer Eltern oder Großeltern (im Westen) starten.

Der Roman (Allgäu Sixties. Die 60er Jahre in Kaufbeuren und am Flieger-horst, Karlsruhe 2011. ISBN 978-3-88190-630-2, 319 S., 14,80 €) trägt in Tei-len autobiografische Züge. Erzählt wird die Geschichte des Soldaten Ross-ner und seiner Clique am Fliegerhorst Kaufbeuren, der 1957 von der US Air Force an die Bundeswehr übergeben worden war. Hier wurde u.a. eine Flug-körper-Gruppe der Luftwaffe statio-niert. Sie verfügte über die Boden- Boden-Rakete »Matador«, die später vom Waffensystem »Pershing« abge-löst wurde. Beide wären im Verteidi-gungsfall mit US-amerikanischen Atomsprengköpfen ausgestattet wor-den, die über die mehrfache Spreng-kraft der Hiroshima-Bombe verfügten. Dieses Bedrohungsgefühl des Kalten Krieges schwingt im Roman unter-schwellig immer mit. Doch zunächst geht es um den Dienstalltag der Solda-ten und um ihre Freizeitgestaltung, die in der Stadt und im ländlichen Umland stattfand, um Kontakte zu den Einhei-mischen und zum weiblichen Ge-schlecht im Zeitalter der Pille, die Mu-sik der 1960er Jahre, das Verhältnis zu

groschenindermusikbox.wordpress.com

dhm.de/lemo

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medienmedien 25Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

neuemehr vergessen, nicht verarbeiten kön-nen. Auch wenn viele Soldaten den »Schritt zurück« in die eigene Welt, das Leben mit der Familie fernab der Ein-satzländer bewältigen, gibt es eine hohe Zahl von Veteranen, die genau dies nicht schaffen. Diese »uncoun-ted«, die Ungezählten, ertragen, so der Autor und der Zeichner, das Unerträg-liche. Nicht wenige von ihnen zerbre-chen schließlich daran: am Leid, dem Erlebten, dem Elend des Krieges, und nehmen sich das Leben. In gleichsam eindrucksvollen wie düsteren Bildern begleitet das Buch ein Filmteam eines Veteranen bei seinen Arbeiten zu einer Dokumentation über sieben weitere US-Kriegsveteranen. Es zeigt gebro-chene und tief verletzte Menschen, die mit der Frage nach der eigenen Schuld ringen und ihren Weg finden müssen, um damit umzugehen. Für den Regis-seur ist sein Film nicht nur ein Bedürf-niss, der Gesellschaft die Situation vie-ler Veteranen vor Augen zu führen, sondern gleichsam auch Teil der Auf-arbeitung seiner eigenen Kriegserleb-nisse. Die Graphic Novel wird domi-niert von schwarz-weißen Bilder, immer wieder unterbrochen von sepia-farbenen und rostbraunen Elementen, welche die eindringliche Botschaft des Buches untermauern. Das Buch ver-mag das lange Zeit nicht nur in Ame-rika, sondern auch in anderen Ländern bestenfalls stiefmütterlich behandelte Thema der Posttraumatischen Bela-stungsstörung nicht nur in Worte, son-dern vor allem in Bilder zu fassen. Es gibt den Betroffenen und ihren Fami-lien ein Gesicht. Keineswegs eine leichte, aber dafür eine umso ein-drucksvollere Lektüre, die zeigt, was der Irak-Krieg in den Köpfen und See-len von Soldaten, vielleicht sogar einer ganzen Nation hinterlassen hat.

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den Amerikanern und die einsetzende Motorisierung. Die Soldaten kamen eben nicht aus Kaufbeuren, sondern zumeist aus der gesamten Republik.

Rossner leistet sich ein Auto, viele andere haben noch keines. So erkun-den sie gemeinsam das Allgäu, das mit Bundeswehrstandorten übersät war: u.a. Landsberg, Memmingen, Kempten Lehrgangsbedingt kommen sie nach Mengen, Todendorf und Diepholz. Nach dem Ende der Dienstzeit bleiben drei Freunde zusammen und eröffnen eine Tankstelle. Roman und Internet-seite ist es gelungen, das Stimmungs-bild in Bundeswehr und Gesellschaft in den 1960er Jahren einzufangen. In-sofern war Kaufbeuren überall.

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Game of War

Videospiele, die einen historischen Konflikt aufgreifen, sind vor allem

als Shooter oder Strategiespiele prä-sent. Ganz an ders »Valiant Hearts«: Die französische Produktionsfirma Ubi-soft legt hier ein Puzzle-Adventure im 2D-Comicstil vor, das im Ersten Welt-krieg verortet wird.

Die Handlung erzählt die Geschichte von vier Personen, die das Kriegsge-wirr zusammengeführt hat. Der deut-sche Soldat Karl, sein französischer Schwiegervater Emile, der in Gefan-genschaft gerät, der US-amerikanische Fremdenlegionär Freddie und die bel-gische Studentin Anna wollen nur eins: nach Hause zu ihren Familien, die der Krieg zerrissen hat. Um ihr Ziel zu er-reichen, müssen sie kleine Rätsel lösen,

feindliche Stellungen sabotieren und Verwundete versorgen. Dazwischen geschaltet sind Actionszenen, in denen es gilt, dem Artilleriefeuer auszuwei-chen oder mit einem Panzer die eige-nen Truppen zu schützen. Eine Hand-feuerwaffe bekommt aber keiner der Protagonisten in die Hand.

Der Comicstil, der stark an Jacques Tardis Klassiker »C›était la guerre des tranchées« (»Grabenkrieg«, dt. 2002) erinnert, verniedlicht das Grauen des Krieges dabei keineswegs. Die starke Identifikation mit den Charakteren vermittelt die Realität des Krieges in eindrücklicher Form, unterstützt durch die aufwendig recherchierte Einbet-tung des Spieles in den tatsächlichen Kriegsverlauf. Die umfangreiche Bei-gabe an Zusatzinformationen, die im Verlauf der Handlung freigespielt wer-den, Gegenstände aus der Alltagskul-tur des Krieges und Hintergrundbe-richte zum Ersten Weltkrieg machen »Valiant Hearts« zum spielbaren Ge-schichtsbuch und zu einem äußerst ge-lungenen Beitrag zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg – ohne Happy End.

»Valiant Hearts« kann auch unge-übten Spielerinnen und Spielern un-eingeschränkt empfohlen werden. Die Steuerung – hier für den PC getestet – beschränkt sich auf wenige Tasten und auch die Rätsel steigern sich erst mit der Zeit im Schwierigkeitsgrad. Zur Not schickt eine Brieftaube kleine Hin-weise. Und anders als im Krieg gilt auch bei diesem Spiel: Wenn einer der Protagonisten durch eine Granate oder einen Schuss getroffen wird, bedeutet dies nur, dass der letzte Speicherpunkt geladen wird.

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Kriegsveteranen

Verletzt, verstört, traumatisiert. Aus dem Krieg kehrt nur der Körper

zurück, die Seele bleibt dort. Mael und Olivier Morels Graphic Novel zeichnet ein Bild von US-Soldaten, die mit tief-sitzenden Traumata aus den Einsätzen im Irak zurückkehren und den Krieg, das Grauen, das Töten und den Tod auch zuhause in ihrer Heimat nicht

Mael und Olivier Morel, Die Rückkehrer. Wenn der Krieg im Kopf nicht endet, Hamburg: Carlsen 2014. ISBN 978-3-551-73647-5; 122 S., 17,90 Euro

Comics & Graphic Novels!

Spiele

Abb. bitte

nachliefern..

Valiant Hearts, Montpellier: Ubisoft 2014; verfügbar als Download für Microsoft Windows, PlayStation 3, Play-Station 4, Xbox 360, Xbox One, iOS; 14,99 Euro

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Oradour

Am 10. Juni 1944 blieb in Oradour die Zeit stehen. Das beschauliche

Dorf im ländlich geprägten Herzen Frankreichs war noch nicht einmal ein Ort des Widerstands, der Résistance, gewesen. Dennoch wurde es von einer Einheit der SS-Panzerdivision »Das Reich« niedergebrannt, 642 Einwohner verbrannten oder wurden erschossen: 156 Männer, 240 Frauen und 246 Kin-der. Während das Massaker fest zur französischen Erinnerung an den Zwei-ten Weltkrieg gehört, war Oradour im Deutschland lange fast unbekannt – zu lange. Erst im vergangenen Jahr be-suchte Bundespräsident Joachim Gauck den Ort und gedachte der Opfer.

Mit ihrem jüngst publizierten Buch leisten Florence Hervé und Martin Graf einen wichtigen Beitrag, damit Ora-dour auch in Deutschland bekannter wird. Im Format eines Bildbands er-schienen, lebt das Buch von der Kraft der Bilder, die Martin Graf machte. Er habe »die Kraft der schweigenden Zeu-gen unterschätzt«, so der Fotograf. Der Band zeigt nicht die schrecklichen Fo-tos, die unmittelbar nach dem Massa-ker entstanden sind. Die eindrucks-vollen Aufnahmen sind siebzig Jahre später gemacht worden: »Was diese Fotos bewirken […], passiert nicht auf dem Papier eines Buches, sondern in den Köpfen der Betrachter«. Dazu bie-ten Florence Hervé und andere Auto-ren kurz und prägnant gehaltene Infor-mationen sowie ebenso eindrucksvolle Berichte Überlebender.

Nur ein Täter stand sehr spät vor Ge-richt: 1983 in Ost-Berlin; er erhielt le-benslänglich. Nicht verschwiegen wer-den sollte indes, dass die juristische Aufarbeitung des Massakers in der Bundesrepublik verschlafen, nein ge-wollt behindert und verhindert wurde. Auch diese unrühmliche Geschichte erzählt Hervé.

Klaus Storkmann

14/18

Schon wieder ein Buch zum Ersten Weltkrieg? Ja! Jörg Friedrich unter-

scheidet sich aber schon in der Titel-wahl von anderen: »14/18«. Knapper geht’s nicht. Und genau dieser prä-gnante, direkte Stil zeichnet auch Fried-richs Betrachtung etwa des Juli 1914 aus: »Der erste Schuss zog nicht so-gleich den zweiten nach sich, im Ge-genteil. Dazwischen verstrich qualvoll die Zeit, genug, die Stichflamme zu lö-schen, die Gemüter abzukühlen, die Säbelrassler […] zu beschwichtigen«. Doch, so Friedrich, »wenn es soweit ist, regiert der Reflex.« Treffender und ver-ständlicher kann man die Julikrise und den Kriegsbeginn 1914 dem Leser kaum erklären.

Klar und verständlich führt Friedrich seine Leser dann auch durch den Krieg. Seine Ausführungen zum Schrecken der Westfront suchen in ihrer Prägnanz ihresgleichen: »Die Irrationalität der Westfront, die Undurchdringlichkeit durchdringen will durch Ermattung, bis der letzte, der übrig ist, auf Leichen-gebirgen den Sieg davonträgt, ist eine vorübergehende Einfallslosigkeit der Operativabteilungen.« Und an anderer Stelle: »Ihr Entsetzungsantlitz bezieht die Westfront aus dem Missverhältnis zwischen den gigantischen Verlusten an Leben und den minimalen Raumge-winnen. Das schiere Gegenteil war be-absichtigt. Eine einmalig kolossale Kraftanstrengung sollte die Tiefe des Raums öffnen, den Gegner vernichten und den Blutverlust ökonomisieren, relativ zum Ergebnis. Der dreijährige Zermürbungskrieg war weder Strate-gie noch Notwendigkeit […] Kein En-tentebeschluss hat ausgemacht, Deutschland in einem Wettbewerb der Blutverluste zu verwickeln, in dem es längerfristig untergehen musste.« Fazit: Jede Seite ein Gewinn für den Leser.

Klaus Storkmann

Verdun

Warum Verdun? Um den Sinn der »Blutmühle« strategisch zu er-

klären, verweisen Historiker gewöhn-lich auf Erich von Falkenhayn. Dort sollte die französische Armee, so hatte es der Generalstabschef in der viel zi-tierten und nie aufgefundenen »Weih-nachtsdenkschrift« 1915 behauptet, »verbluten«. Unter diesen Vorzeichen begann am 21. Februar 1916 das deut-sche Heer den Angriff. 2,5 Millionen Granaten lagen allein für die ersten sechs Kampftage des »Unternehmens Gericht« bereit und waren dabei nur der Anfang einer unglaublichen Mate-rialschlacht, der »Urschlacht des Jahr-hunderts”, wie sie Olaf Jessen in sei-nem Buch »Verdun« nennt.

Jörg Friedrich, 14/18. Der Weg nach Versailles, Berlin 2014. ISBN 978-3-549-07317-9; 1072 S., 34,99 Euro

Jessen hat es unternommen, eine auf den noch vorhandenen deutschen und französischen archivalischen Quellen und Memoiren der Beteiligten aufbau-ende Gesamtdarstellung der Schlacht zu schreiben. Daraus ist eine minutiöse, oftmals mit schwer verständlichem Militärjargon gespickte Darstellung der Entscheidungsfindung der deut-schen und französischen Führungs-ebene entstanden. Wie ein Tagebuch wird Stunde um Stunde, Tag um Tag in der »Knochenmühle Verdun« aufgear-beitet. Das ist zu einem anstrengend, zum anderen aber auch wieder ein Ge-winn, denn so gelingt es dem Autor, das massenhafte Leiden und Sterben, die Ängste von Beteiligten und auch ihre Brutalisierung dem Leser zu ver-anschaulichen – soweit dies überhaupt möglich ist. Allerdings fehlt der in der jüngeren Militärgeschichte mittler-weile etablierte Blick auf den »kleinen Mann«, sodass sich der Leser aus-schließlich auf die Schilderung adeli-ger Offiziere, deren Erinnerungslitera-tur reichlich vorhanden und zugäng-lich ist, verlassen muss.

Markus Pede

Olaf Jessen, Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhun-derts, München 2014. ISBN: 978-3-406658-26-6; 496 S., 24,95 Euro

Florence Hervé und Martin Graf, Oradour. Geschichte eines Massa-kers, Köln 2014. ISBN 978-3-89438-554-5; 144 S., 18,00 Euro

Lesetipp

26 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

Service

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Baudissin

Seit Jahrzehnten finden alljährlich am 20. Juli in den Kasernen und

Dienststellen der Bundeswehr Gedenk-feierlichkeiten statt, um an den militä-rischen Widerstand zu erinnern und die Bundeswehrsoldaten als freie, ver-antwortliche und gewissensgeleitete Mitmenschen in Uniform zu würdi-gen. Auf dem geistigen Boden des 20. Juli ist die Innere Führung entstanden, entwickelt von einem ehemaligen Wehrmachtoffizier, den der Spagat zwischen eigener gewissensgeleiteter Überzeugung und militärischer Pflicht fast zerrissen hat:

Wolf Graf von Baudissin, einer der »Väter der Inneren Führung«, hat von 1952 an immer wieder das Thema des 20. Juli 1944 behandelt. Es ging ihm da-rum, deutlich zu machen, dass ein Staat

Geheimdienst und Widerstand

Ein Nest von Verschwörern – so lau-tet ein Kapitel des Buches über die

geplante Invasion Großbritanniens (Unternehmen »Seelöwe«) durch die Wehrmacht ab Sommer 1940. Die Kapi-telüberschrift ist ein Nachkriegszitat von Generaloberst Alfred Jodl. Als Chef des Wehrmachtführungsstabes im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) war er maßgeblich an den Pla-nungen für »Seelöwe« beteiligt gewe-sen. Der Beurteilung der »Feindlage« maß die Wehrmachtführung hohe Be-deutung bei. Der militärische Nachrich-tendienst, das Amt Ausland/Abwehr (»Abwehr«) im OKW, lieferte mit sei-nen Spionageergebnissen eine wesent-liche Grundlage dafür. Die »Abwehr« beherbergte zahlreiche Angehörige des zivil-militärischen Widerstandes gegen

Kalter Krieg

Das Thema mag beim ersten Hinse-hen so spannend anmuten wie ein

Lexikon zu Panzerketten. Der Kundige aber merkt bei der Lektüre schnell, welch geheimen Schatz Wolfgang Klietz hier zutage gefördert hat. Zwi-schen 1982 und 1986 entstand unweit Sassnitz auf Rügen das größte Ver-kehrsprojekt der DDR: Mukran. Seine Errichtung verschlang zwei Milliarden Mark des sich im wirtschaftlichen Nie-dergang befindenden Staates. Tau-sende von Arbeitern und Hunderte von Bausoldaten der NVA errichteten hier einen Fährhafen von 4 km Länge mit 120 km Gleisanlagen. Fünf in der DDR gebaute Doppelstockfähren wa-ren zwischen Mukran und dem über 500 km entfernten Klaipeda (Litauische Sozialistische Sowjetrepublik) im Ein-satz. Sie beförderten Güter, ganze Eisen-bahnzüge sowie militärisches Gerät und Soldaten. Letzeres unterlag der Geheimhaltung. Die Alternative wäre der lange Weg durch das seit 1981 als politisch unsicher geltende Polen ge-wesen, das zudem noch Transitge-bühren in Devisen verlangte.

Der Autor wertete Archivalien aus, befragte Zeitzeugen, die damals in un-terschiedlichsten Funktionen tätig wa-ren, und recherchierte vor Ort. Er stellt die Planungen zum Projekt Mukran sowie den Bau an sich vor, geht auf die Fähren und die Militärtransporte ein, klammert die technischen Probleme nicht aus und gibt einen Ausblick auf Verbindungen mit dem Klassenfeind in der »BRD«. Schließlich stellt er den Hafen von Klaipeda vor, beleuchtet die Rolle Mukrans beim Abzug der sowje-tischen Truppen und analysiert die Kriegsplanungen für die Insel Rügen. Insgesamt gelingt es dem Autor, ein bislang unbekanntes Kapitel des Kal-ten Krieges anschaulich zu schrei-ben.

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Wolf Graf von Baudis-sin, Der Widerstand. »… um nie wieder in die ausweglose Lage zu geraten …« Anspra-chen, Reden, An- und Bemerkungen aus Anlass des 20. Juli 1944. Hrsg. und eingel. von Claus von Rosen, Berlin 2014.

ISBN 978-3-937885896; 184 S., 16,80 Euro

Wolfgang Klietz, Ostseefähren im Kalten Krieg, Berlin 2012. ISBN 978-3-86153-673-4; 190 S., 29,90€

Monika Siedentopf, Unter-nehmen Seelöwe. Wider-stand im deutschen Ge-heimdienst, München 2014. ISBN 978-3-423-26029-9; 191 S., 14,90 Euro

und seine Streitkräfte Achtung vor der Überzeugung des Einzelnen haben müssen – insbesondere dann, wenn sie von der Überzeugung der Mehrheit abweicht. Nur durch rechtliche Struk-turen, die solche Beschränkung dem Staat (oder in einer auf Uniformität hin geordneten Organisation wie der Bundeswehr) auferlegen, kann Freiheit als Lebensform bewahrt werden. Der Schutz der Freiheit desjenigen, der an-ders denkt, urteilt und handelt als ich selbst, schützt auch die eigene Freiheit.

Der Herausgeber der Quellensamm-lung, Claus von Rosen, ist der Leiter des Baudissin-Dokumentation-Zen-trums an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Seine Einlei-tung gibt einen tiefen Einblick in das Denken Baudissins. Die in dem Band versammelten Quellen enthalten zahl-reiche Ideen für Ansprachen, die auch im nächsten Jahr wieder am 20. Juli zu halten sein werden.

Angelika Dörfler-Dierken

Hitler, in den Augen des hitlertreuen Jodl war sie ein »Verschwörernest«. In-nerhalb der »Abwehr« koordinierte die Abwehrstelle Hamburg unter Führung von Kapitän zur See Herbert Wich-mann die Spionage gegen Großbritan-nien. Ihre Aktivitäten erschöpften sich im gestaffelten Absetzen von rund 21 Spionen, allesamt schlecht ausgebildet. Die britische Spionageabwehr fasste sie innerhalb kürzester Zeit. Hinter diesem Fehlschlag habe ein Komplott Wichmanns und einiger Mitarbeiter im »Widerstandsnest Hamburg« gesteckt; ihre Absicht habe darin bestanden, das OKW der Jahre 1940/41 im Unklaren über »die britische Verteidigungsfähig-keit gegen eine deutsche Invasion« (S. 163) zu lassen. Damit hätten sie »Seelöwe« verhindern wollen und eine bewusste Widerstandshandlung began-gen. Auch wenn die These der Autorin umstritten sein mag, handelt es sich um eine lesenswerte Arbeit.

Magnus Pahl

2�Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

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Service Die historische Quelle

Archiv der Seilbahn Punta Linke

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

Seilbahnen in die Punta Linke, 31. Oktober 1917

An der seit 1915 existierenden Alpenfront herrschten widriges Klima und katastrophale Nachschubbedin-

gungen. Die Italiener setzten auf Straßen, die Österrei-cher auf Seilbahnen. Diese waren nur mit Technikern (»Professionalisten«) zu erstellen und zu betreiben. Ohne deren zumeist zivile Expertise ging es nicht. Was für den Seilbahnbau richtig oder falsch war, konnte ein Techniker sehr viel besser beurteilen als ein Generalstabsoffizier.

Hier stand profundes Wissen gegen Befehl, Dünkel und Hierar-chie. Die Lösung war eine Art Parallelgesell-schaft: Die Experten wurden in einer »Bau-leitung« zusammenge-fasst und einem eige-nen Kommandeur un-terstellt. Dieser wurde auch sämtliches militä-risches Betriebsperso-nal unterstellt und somit zumindest in funktionaler Hinsicht (»in technischer Bezie-hung«) den Truppen-teilen (»Standeskör-pern«) entzogen. Im Oktober 1917 war nur noch die Bauleitung für den Betrieb der Seil-bahnen verantwortlich, worauf in dem sichtbar auszuhängenden Be-fehl des Abschnitts-kommandos auch noch nachdrücklich hinge-wiesen wurde. Dies zeigt, dass zuvor offen-bar viele militärischen Stellen und Stäbe hier Einfluss genommen hat-ten. Das Prinzip von Befehl und Gehorsam

war auf ein technisch wie personell höchst komplexes Unternehmen wie den Seilbahnbau und -betrieb schlicht nicht anwendbar.

Für die Regionalgeschichte der Cevedale–Vioz-Front ist das Dokument durchaus aufschlussreich: Die Hochge-birgsfront mit ihren langen Gletschern (Forni-Gletscher!), hohen Gipfeln (Punta San Matteo, Palon de la Mare, Ce-vedale usw.) und genauso langen wie steilen Versorgungs-routen stellte ganz besondere Anforderungen an Kämpfer

und Logistik. Dazu diente der Seilbahnbau von Pejo über eine Zwischenstation zur Vioz-Hütte, weiter über die Punta Linke bis zu den Stellungen am Palon de la Mare.

Der zentrale Betriebsraum der Station lag 20 m tief im Felsinneren. Dort herrschten Permafrost-Temperaturen. Ein 8 PS starker Dieselmotor der Baureihe WE (Maschine Nr. 6097) der Münchner Motorenfabrik in Sendling sorgte für den Antrieb. Neben der Maschine war gut sichtbar das Dokument, das zeigt, wie die Bemühungen und Mü-hen vor Ort aussahen: Der Aufbau und der Dauerbetrieb der Seilbahn war sicherzustellen. Umfangreiches Mate-rial (spezielle Schmier- und Putzmittel, Kraftstoff, Rollen, Drahtseile, Antriebskränze) war anzufordern, zu beschaf-fen und und schließlich hochzuschaffen. Ausgebildetes Fachpersonal musste in ausreichender Zahl ständig vor-handen sein. Die Soldaten und Offiziere wollten die Seil-bahn gerne als Aufzug nutzen, um die 2400 m Höhenun-terschied zwischen dem Viozgipfel und der Talgemeinde Pejo zu überbrücken. Doch auch dies war nicht ungefähr-lich. Während die Seilbahn zur Punta Linke zu den »mo-torisiert betriebenen Aufzügen« gehörte, deren 8-PS-Mo-tor immerhin bis zu 150 kg pro Fahrt befördern durfte, waren die »Gegengewichtsaufzüge« lediglich auf 75 kg Nutzlast ausgelegt. Diese Gewichtsgrenze wurde schon von den normalen, oft unterernährten Frontsoldaten samt Ausrüstung regelmäßig überschritten. Der Hinweis im Dokument auf eine notwendige Sondergenehmigung durch das Abschnitts- oder Unterabschnittskommando bzw. den Kommandeur der Bauleitung erfolgte also wohl nicht ohne Grund!

Es handelt sich somit um ein in vielerlei Hinsicht authen-tisches Dokument: Es bildet die technischen und mensch-lichen Dimensionen des Hochgebirgskrieges am Monte Vioz ganz pragmatisch und damit realistisch ab – und es hängt nach fast 100 Jahren immer noch dort, wo es im Kriegsalltag hingehörte: in der Seilbahnstation nicht an, sondern in der Punta Linke.

Oliver Bange

5�Ausführungsbefehl zum Befehl des Abschnittskommandos vom 31.10.1917 zum Betrieb von Seil-bahnen.

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3�8-PS-Dieselmotor der Baureihe WE (Maschine Nr. 6097) der Münchner Motorenfabrik in Send-ling.

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Geschichte kompakt

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014 29

Die Nationale Volksarmee der DDR versuchte im letzten Jahr ihres Bestehens, sich mit einer tiefgreifenden Reform eine Brücke in die Zukunft zu bauen. Die Kluft zwischen dem revolutionären Aufbruch auf den Straßen und der al-ten Ordnung in den Kasernen wurde im Herbst 1989 zum echten Problem, zumal sich im November und Dezember 1989 auch innerhalb der Streitkräfte die Beschwerden an das Ministerium in Strauberg häuften und Rufe nach einer tiefgreifenden Veränderung immer lauter wurden. So setzte die Wenderegierung unter Hans Modrow (SED) eine »Ar-beitsgruppe Militärreform« ein. Dies ging den Soldaten aber viel zu langsam. Einige NVA-Angehörige nahmen das Heft des Handelns selbst in die Hand, besetzten und be-streikten in der Neujahrsnacht 1989/90 die Kaserne in Bee-litz. Der Beelitzer Soldatenstreik konnte letztendlich durch persönliche Gespräche des neuen Verteidigungsministers Admiral Theodor Hoffmann friedlich beendet werden, zeigte aber den Zögerern und Bremsern in Strausberg und in den Stäben, dass an einer echten und vor allem schnellen Reform der NVA kein Weg vorbeiführte.

Bereits seit dem 1. Dezember galt die Erlaubnis, West-radio und -fernsehen in den Unerkünften zu hören und zu sehen. Der bislang sehr streng geregelte Innendienst wurde »entschärft«, ein neuer Umgangston sollte Einzug in die Kasernen halten. Als Sofortmaßnahme wurde der Grund-wehrdienst von 18 auf 12 Monate verkürzt. Wehrpflichtige, die ihre 12 Monate bereits abgeleistet hatte, wurden zu de-ren großer Freunde quasi über Nacht entlassen. Neue Wehr-pflichtige sollten heimatnah einberufen werden. Und wer nicht mehr zur Armee wollte, dem sollte wie in der Bundes-republik die Alternative eines Zivildienstes eröffnet wer-den. Bislang konnten Wehrpflichtige in der DDR nur als »Bausoldaten« dem Waffendienst entgehen.

Mit Verordnung vom 20. Februar 1990 wurde der zivile Ersatzdienst in der DDR eingeführt. Die Reform durfte aber nicht bei solchen Fragen stehen bleiben. Die Streitkräfte wa-ren de facto allein der Staatspartei SED hörig gewesen, von nun an sollten sie der Regierung und dem Parlament ge-genüber verantwortlich sein. Die SED-Parteistrukturen in-nerhalb der Streitkräfte waren bereits im Dezember 1989 aufgelöst worden, bis Februar 1990 folgte das Ende des streitkräfteeigenen Politapparats samt Politunterricht. Die »Politoffiziere« wurden übergangsweise anderweitig ver-wendet, mussten aber in den nächsten Monaten sämtlich aus den Streitkräften ausscheiden.

Das neue innere Gefüge der NVA sollte sich am Vorbild der Bundeswehr und ihres Konzepts des Staatsbürgers in Uniform orientieren. Mit dem Sieg der »Allianz für Deutsch-land« in ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990 waren die Signale auf die schnelle deutsche Einheit gestellt. Damit zerbrach die Hoffnung vieler Offi-ziere, für eine reformierte NVA könnte es eine Brücke in eine Zukunft im vereinten Deutschland geben.

Klaus Storkmann

»Vor der Kaserne / vor dem großen Tor / stand eine Laterne, / und steht sie noch davor, / so wolln wir uns da wieder-sehn, / bei der Laterne wolln wir stehn, / wie einst, Lili Mar-leen …« Jeden Abend spielt der Truppenbetreuungssender der Bundeswehr »Radio Andernach« dieses Lied. Japa-nische Geschäftsleute singen es in Karaoke-Bars. Menschen auf der ganzen Welt kennen den Refrain.

Vor 100 Jahren schrieb der norddeutsche Dichter Hans Leip (1893–1983) den Liedtext beim nächtlichen Wachdienst in der Garde-Füsilier-Kaserne in Berlin-Mitte. Kurz vor sei-ner Verlegung an die Karpatenfront dachte der junge Offi-zieranwärter an zwei Frauen: Die blonde Arzttochter Mar-leen und die lebhafte, braungelockte »Lili« verschmolzen in seinem Gedicht zum Inbegriff der herbeigesehnten fernen Geliebten.

Die heute bekannte Melodie des Lieds schuf um 1938 der Komponist Norbert Schultze (1911–2002), der wenig später auch Lieder wie »Bomben auf Engeland« vertonte. Doch anders als solche Propagandalieder entstand die Melodie für »Lili Marleen« nicht im offiziellen Auftrag, sondern für einen befreundeten Sänger von Seemannsliedern (Shantys). 1939 sang Lale Andersen (1905–1972) das Lied auf Schall-platte, mit einem Zapfenstreich als Auftakt. Die allabend-liche Ausstrahlung über den deutschen Soldatensender Bel-grad brachte 1941 den Durchbruch.

Das Hören des Lieds wurde an der Front und in der Hei-mat zum Ritual. Es gab Gefühlen wie Sehnsucht, Einsam-keit, Angst vorm Sterben Raum. Bald hörten und sangen es nicht nur deutsche, sondern auch alliierte Soldaten. Über-setzungen und Umdichtungen entstanden. Marlene Diet-rich sang es für die US-Armee. Das Lied wurde zur Waffe im Propagandakrieg. 1943 sendete die BBC Lili Marleens Antwort an den deutschen Landser: »Vielleicht fällst Du in Russland, / Vielleicht in Afrika, / Doch irgendwo, da fällst Du, / So will‘s Dein Führer ja. / Und wenn wir doch uns wiedersehn, / Oh, möge die Laterne stehn / In einem andren Deutschand, / Deine Lili Marleen.«

Zu den Legenden um »Lili Marleen« gehört die Behaup-tung, Reichspropagandaminister Joseph Goebbels habe das Lied gehasst und verboten. Belegen lässt sich nur, dass Lale Andersen zeitweise wegen ihrer Kontakte zu jüdischen Emigranten in Ungnade fiel.

Die eingängige Melodie, der poetische Text, aber auch die wechselvolle Geschichte des Lieds halten den Mythos »Lili Marleen« bis heute lebendig.

Katja Protte

Februar 1990 3./4. April 1915

Militärreform in der DDR 100 Jahre »Lili Marleen«

3�Lale Andersen (eigtl. Liese-Lotte Helene Berta Brunnenberg, verehelichte Wilke, später Beul, 1905–1972), deutsche Sängerin.

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• Berlin

1914–1918: Falkenstein zieht in den Krieg.Perspektiven auf den WeltenbrandMilitärhistorisches MuseumFlugplatz GatowAm Flugplatz Gatow 3314089 BerlinTel.: 03 0 / 36 87 26 01www.mhm-gatow.deDienstag bis Sonntag10.00 bis 18.00 UhrEintritt: frei

RAFTerroristische GewaltDeutsches HistorischesMuseumUnter den Linden 210117 BerlinTel.: 0 30 / 20 30 40www.dhm.debis 8. März 2015täglich 10.00 bis 18.00 UhrEintritt: 8,00 Euro(unter 18 Jahren frei)

1945Niederlage, Befreiung, Neuanfang.Zwölf Länder EuropasNach dem Ende der NS-GewaltherrschaftDeutsches HistorischesMuseum22. April bis 25. Oktober 2015

• Dresden

14 – Menschen – KriegMilitärhistorisches Museum der Bundes-wehrOlbrichtplatz 201099 DresdenTel.: 03 51 / 82 32 85 1www.mhmbw.debis 24. Februar 2015Montag10.00 bis 21.00 UhrDonnerstag bis Dienstag10.00 bis 18.00 UhrEintritt: 5,00 Euro

ermäßigt: 3,00 Euro(für Bundeswehr-Ange-hörige Eintritt frei)

• Ingolstadt

Die Alpen im Krieg – Krieg in den Alpen.Die Anfänge der deutschen Gebirgs-truppe 1915Bayerisches Armee-museumNeues SchlossParadeplatz 485049 IngolstadtTel.: 08 41 / 93 77 0www.armeemuseum.debis 27. September 2015Dienstag bis Freitag9.00 bis 17.30 UhrSamstag bis Sonntag10.00 bis 17.30 UhrEintritt: 3,50 Euroermäßigt: 3,00 Euro

Napoleon und BayernBayerische Landes-ausstellung 2015Bayerisches Armee-museum30. April bis 31. Okto-ber 2015Eintritt: bitte erfragen(bei Redaktionsschluss noch unbekannt)

• Karlsruhe

Karl Wilhelm 1679–1735.Große Landes-ausstellung 2015Badisches Landes-museum KarlsruheSchlossbezirk 1076131 KarlsruheTel.: 07 21 / 92 66 51 4www.landesmuseum.de9. Mai bis 10. Oktober 2015Dienstag bis Donnerstag 10.00 bis 17.00 UhrFreitag bis Sonntag10.00 bis 18.00 UhrEintritt: bitte erfragen(bei Redaktionsschluss noch unbekannt)

• Koblenz

Verdun – 100 Jahredanach. Eine deutsch-französische Spuren-sucheLandesmuseum KoblenzFestung Ehrenbreitstein56077 KoblenzTel.: 02 61 / 66 75 0www.diefestung ehrenbreitstein.debis 26. Oktober 2015täglich 10.00 bis 18.00 UhrEintritt: 6,00 Euro(Kombiticket Festung und Seilbahnfahrt hin und zurück: 11,80 Euro)ermäßigt: 4,00 Euro(Kombiticket: 6,90 Euro)

• Schleißheim

Im Schatten des Ersten Weltkrieges –Der Udet-Flugzeugbau in MünchenDeutsches MuseumFlugwerft SchleißheimEffnerstr. 1885764 OberschleißheimTel.: 08 9 / 31 57 14 0www.deutsches-museum.de/flugwerft/informationbis 23. Februar 2015täglich 9.00 bis 17.00 UhrEintritt: 6,00 Euroermäßigt: 3,00 Euro

• Stuttgart

Ein Traum von Rom.Römisches Stadtleben in SüdwestdeutschlandLandesmuseum WürttembergAltes SchlossSchillerplatz 670173 StuttgartTel.: 07 11 / 89 53 51 11www.landesmuseum-stuttgart.debis 12. April 2015Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 17.00 UhrEintritt: 9,00 Euroermäßigt: 7,00 Euro

MilitärgeschichteZeitschrift für historische Bildung

Vorschau

Mit der Schlacht von Waterloo endete am 18. Juni 1815, also vor 200 Jahren, die Epoche der Napoleonischen Kriege. Zwischen 1792 und 1815 kämpften Soldaten aus fast allen europäischen Ländern, in Nordamerika und Nordafrika für oder gegen einen der größten Feldherrn überhaupt: Napoleon Bonaparte. Etwa 3,5 Millionen Soldaten starben in den Kämpfen oder an den Folgen schwerer Ver-wundungen. Allein die Schlacht von Water-loo zählte mehr als 55.000 Mann Verluste. Sven Lange beschreibt und analysiert die Möglichkeiten und Entwicklungen des da-maligen Sanitätsdienstes anhand der Folgen eben jener letzten Schlacht.

Realität, Mythos und Wirkungsgeschichte einer fast 2000 Jahre zurückliegenden »hero-ischen Niederlage« nimmt Stefan Wagner un-ter die Lupe. Er schildert den verzweifelten Kampf sowie den anschließenden Massen-selbstmord der jüdischen Verteidiger der Fes-tung Masada im Jahre 79 gegen die römischen Belagerer. Dieser Widerstand spielt im Selbst-verständnis Israels bis zum heutigen Tage eine wichtige Rolle.

Pedi Lehmann widmet sich der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und im Schatten der Shoah nahmen die Bundes-republik und Israel offiziell diplomatische Beziehungen auf, die auch heute noch ebenso sensibel wie intensiv gepflegt werden.

Ob die Deportationen und Massentötungen des Osmanischen Reiches an den Armeniern im Zuge des Ersten Weltkrieges 1915 als Ge-nozid bezeichnet werden dürfen, ist bis heute umstritten. Rolf Hosfeld stellt die Vorgänge, ihre Wirkungsgeschichte und die bis heute anhaltende Debatte in Deutschland und der Türkei dar.

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Ausstellungen

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2014

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Militärgeschichte im Bild

Bayerische Flieger in Tirol 1915

5�Pfalz-Parasol-Flugzeuge vor dem Aufrüsten am Bahnhof 1915.

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Zwar fehlen Kühe und der obligato-rische Jodler, doch auf den ersten

Blick zeigt sich pure Idylle: Im Hinter-grund sind die Gipfel der Birken-koflgruppe bei Toblach im Pustertal zu sehen, die vermutlich grünen Almwie-sen im Tal sind saftig und eine Hand-voll Männer sind mit vier Propeller-Flugzeugen beschäftigt. Störend an diesem Postkartenmotiv sind die Ei-sernen Kreuze, die die Maschinen als deutsche Militärflugzeuge kennzeich-nen, die nicht näher auszumachenden Uniformen, die die Männer tragen, und die Tatsache, dass das Foto aus dem Jahre 1915 stammt, also aus dem Ersten Weltkrieg.

Der Alpenhauptkamm war erst vier Jahre zuvor zum ersten Male von einem Flugzeug überflogen worden. Der Pilot Geo Chavez konnte seine Ma-schine zwar noch landen, starb aber wenig später an seinen Verletzungen. »Der Wind, der Wind, der schreckliche Wind« waren seine letzten Worte. Den heftigen Gegenwind im Pustertal, die Böen, die Auf- und Abwinde in den Bergen sowie die Kälte, die gewaltigen Temperaturunterschiede und schnel-len Wetterwechsel bekamen die Piloten auf dem Bild 1915 ebenfalls zu spüren. Es gab mehr Tote durch Unfälle als durch Feuerwirkung des Gegners. Die-ser hieß Italien und hatte dem mit Deutschland verbündeten Österreich-Ungarn am 23. Mai 1915 den Krieg er-klärt und in den Alpen sowie an Isonzo und Adria eine neue Front eröffnet. Die Streitkräfte der Donaumonarchie wa-ren im Osten gebunden und sie wand-ten sich daher an den Bündnispartner Deutschland. Dieser entsandte Trup-pen, wozu auch die abgebildete baye-rische Feld-Flieger-Abteilung 9 b ge-hörte. Sie bestand aus neun Offizieren und 148 Unteroffizieren sowie Mann-schaften, war erst am 21. Mai 1915 auf-gestellt und am 1. Juni per Bahn zu-nächst nach Brixen und wenig später ins Pustertal verlegt worden. Ihr Flug-zeugpark umfasste sieben doppelsit-zige Maschinen der Typen Otto LVG

(Doppeldecker) und Pfalz Parasol (Pfalz A 1). Erstere erwiesen sich im Gebirge als ungeeignet, sodass die Pfalz-Hochdecker, wie im Bild darge-stellt, bevorzugt eingesetzt wurden. Es handelte sich um Lizenzbauten der franzöischen Morane Saulinier Typ L. Sie wurden von einem 80-PS-Ober-ursel-Umlauf-Motor angetrieben, bei dem sich der Motorblock nebst Zylin-dern komplett um die eigene Achse dreht. Sie erreichten eine Geschwin-digkeit von 135 km/h benötigten sechs Minuten, um 800 Meter Höhe zu errei-chen. Sie waren nach einer Startstrecke von deutlich unter hundert Metern in der Luft. Dieses war gerade im Gebirge nicht unwichtig, da sich in den engen Tälern nur kleine und behelfsmäßige Flugplätze anlegen ließen: »Unsere drei Parasols standen schon vor den Zelten. Freilich hatte die feuchte Wiese, nur ungefähr 150 m lange Wiese, die in ihrer Mitte noch eine Erhöhung auf-wies und rings von Sumpf umgeben war, mit einem Flugplatz in Schleiß-heim oder Johannisthal wenig Ähnlich-keit und Start und Landung waren je-desmal ein Kunststück«, so beschrieb der Pilot und spätere Oberleutnant Otto Kissenberth im Rückblick des Jah-res 1919 die Situation. Vor allen Dingen sollten die bayerischen Maschinen den Gegner per Meldeblock und Kamera aufklären sowie erste Bombeneinsätze fliegen, etwa gegen den Bahnhof von

Cortina d`Ampezzo. Dazu durfte oft der Beobachter nicht mitfliegen, da die Flugzeuge sonst zu schwer gewesen wären und die Berge nicht hätten über-fliegen können. Zumeist konnte nur an wenigen Stunden des Tages überhaupt geflogen werden, da der Wind für die leichten Maschinen zu stark war. Zu-dem war die Steigleistung eher gering.

Der Führer der Feld-Flieger-Abtei-lung 9 b, Oberleutnant Franz Hailer, einer der erfahrensten Piloten der bayerischen Fliegertruppe, urteilte, dass die Verluste an Personal und Material in keinem Verhältnis zum Er-gebnis stünden. Hinzu kam, dass die italienische Grenze zunächst nicht überflogen werden durfte, da sich Deutschland und Italien (noch) nicht im Krieg befanden. Hailer beantragte eine Verlegung, weswegen die Abtei-lung ab dem 9. August 1915 in Colmar im Elsass stationiert wurde.

Somit blieb der Einsatz der bayeri-schen Flieger im Hochgebirge (zu-nächst) nur eine kurze Episode. Das Hochgebirge war nur begrenzt fliege-risch gemeistert worden. Es handelt sich um eines der am besten dokumen-tierten Unternehmungen der baye-rischen Fliegertruppe, deren Schrift- und Bildgut im Bayerischen Kriegsar-chiv in München (Bayerisches Haupt-staatsarchiv Abt. IV) verwahrt wird.

Harald Potempa

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2014

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Neue Publikationen des ZMSBw

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Piraterie in der Geschichte. Mit Beiträgen von Robert Bohn, Martin Hofbauer, Teresa Modler, Gorch Pieken und Martin Rink. Im Auftrag der Deutschen Kommission für Militärgeschichte sowie des ZMSBw hrsg. von Martin Hofbauer, Potsdam: ZMSBw 2013, V, 85 S. (= Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 21), 9,80 EuroISBN 978-3-941571-25-9

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Militärgeschichtliche Editionen heute. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hrsg. von Dorothee Hochstetter und Alexander Kranz, Potsdam: ZMSBw 2014 (= Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 25);184 S., 16,50 EuroISBN 978-3-941571-31-0

»Damit hatten wir die Initiative verloren«. Zur Rolle der bewaffneten Kräfte in der DDR 1989/90. Im Auftrag des Zentrums für Militär-geschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hrsg. von Rüdiger Wenzke, Berlin 2014 (= Militärgeschichte der DDR, 23); VIII, 258 S., 29,90 EuroISBN 978-3-86153-809-7

Sebastian Schaar, Wahrnehmungen des Welt-krieges. Selbstzeugnisse Königlich Sächsi-scher Offiziere 1914 bis 1918, Paderborn [u.a.]: Schöningh 2014 (= Zeitalter der Weltkrieg, 11); VIII, 333 S., ca. 39,90 Euro ISBN 978-3-506-77998-4