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Universität Bayreuth WiSe 2008/2009 Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen Hauptseminararbeit im Seminar „Film- und Medientheorie“ Dozent: Prof. Dr. Jürgen E. Müller vorgelegt von Tuna Kaptan am 25.09.2010 Tuna Kaptan Achatiusstraße 5 94034 Passau Tel.: 0163 6338067 [email protected] Matrikelnummer: 1097889

Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

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Page 1: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

Universität Bayreuth WiSe 2008/2009

Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein

historischer Überblick über die Theorien des

Dokumentarischen

Hauptseminararbeit im Seminar

„Film- und Medientheorie“

Dozent: Prof. Dr. Jürgen E. Müller

vorgelegt von Tuna Kaptan

am 25.09.2010

Tuna Kaptan

Achatiusstraße 5

94034 Passau

Tel.: 0163 6338067

[email protected]

Matrikelnummer: 1097889

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Inhaltsverzeichnis

1 Grundlegende Probleme bei der Bestimmung des Dokumentarfilms.......1

2 Das Dokumentarische oder: Was ist eine ‚Doku’?....................................2

2.1 Definitionsversuche................................................................................3

2.2 Dokumentarfilm und Fiktion .................................................................6

3 Dokumentarfilmforschung und -theorien..................................................8

3.1 Normative Theorie................................................................................10

3.2 Reflexive Theorie..................................................................................14

3.3 Dekonstruktive Theorie........................................................................16

4 Fazit..........................................................................................................18

Literaturverzeichnis....................................................................................20

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1 Grundlegende Probleme bei der Bestimmung des Dokumentarfilms

„Nur wenn wir untersuchen, wie eine Reihe von Tönen und Bildern bedeuten, können wir damit beginnen, den Dokumentarfilm von dem anti-theoretischen ideologischen Argument zu befreien, daß der Dokumentarfilm der Realität gleiche und daß die Leinwand eher ein Fenster sei als eine reflektierende Oberfläche.“

Bill Nichols1

Das dokumentarische Filmgenre2 wird im kommunikativen Gebrauch als etwas

angesehen, das durch sein direktes Referenzverhältnis zur nichtmedialen Realität

definiert wird. Aufgrund seiner Abbildeigenschaften, verbunden mit einer besonderen

Objektivitätszuschreibung durch seine Rezipienten kann der Dokumentarfilm deshalb

als scheinbar geeignet betrachtet werden, die „Illusion eines objektiven Bildes von der

Vergangenheit“3 hervorzurufen. In der Filmpraxis werden dabei perspektivierende

Qualitäten der filmischen Aufnahmetechnik des Mediums, wie Einstellungsgrößen,

-längen und Kadrierung, verbunden mit der montagebedingten Re-Kombination der

Filmabbilder nichtfilmischer Realität in einen narrativen Zusammenhang gestellt und

nach dramaturgischen Gesichtspunkten geordnet. Auf einer zeitlichen Achse werden die

abgefilmten Objekte nach spezifischen filmischen Codes zusammengestellt und

präsentiert. Dass deshalb das Kriterium des Dokumentarfilms nicht in einem

originalgetreuen abbildenden Verhältnis zwischen der Wirklichkeit und einem Film

liegen kann, scheint somit evident. Dennoch finden sich immer noch Standpunkte, die

von einer Dichotomisierung zwischen ‚wahrhafter Dokumentation’ und ‚falscher

Fiktion’ geprägt sind. Das Streben nach filmischer Authentizität, Objektivität und

Glaubwürdigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung, was unter Anderem die Existenz

und Ausweitung hybrider Formate zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm beweist.

Im Laufe der letzten 120 Jahre hat sich das Selbstverständnis vom Dokumentarfilm und

diversen hybriden Formen des Dokumentarischen immer wieder gewandelt. Es reicht

von extremen Standpunkten seitens Dokumentarfilmpragmatiker der 20er bis 40er

1 Nichols, Bill. Ideology and the image. 1981. S. 1722 Wegen der fehlenden allgemeingültigen Unterscheidung von ‚Genre’ und ‚Gattung’ werden beide Begriffe in dieser Arbeit synonym verwendet.

3 Hohenberger, Eva. Die Wirklichkeit des Films. 1988. S. 88.1

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Jahre, die von einer „ideologische(n) Klammerung an das Reale“4 geprägt waren und

sich bewusst politisch wie ästhetisch vom Spielfilm abzusetzen versuchten, über

wissenschaftliche Ansätze seit den 1970er Jahren, die sich am filmischen Textbegriff

von Christian Metz orientierten, bis hin zu dekonstruktiven5 Theorien, welche keinen

prinzipiellen Unterschied zwischen fiktionalen und dokumentarischen Filmen sahen.

Die verschiedenen theoretischen Betrachtungsweisen des Dokumentarfilms stellen

dabei jeweils unterschiedliche Diskurse in den Vordergrund und widerspiegeln immer

auch die ihr inhärenten Denktraditionen der entsprechenden wissenschaftlichen oder

ideologischen Epochen.

Das Ziel der Arbeit ist es hierbei, auf die definitorische Problematik des

Dokumentarischen hinzuweisen und einen historischen Überblick über diverse

Dokumentarfilmtheorien zu geben.

2 Das Dokumentarische oder: Was ist eine ‚Doku’?

Das Fehlen der Inszenierung eines Geschehens – für Kracauer noch der Unterschied

vom „Film ohne Spielhandlung“6 gegenüber dem Spielfilm ist spätestens seit Robert

Flahertys Nanook of the North (1922) nicht mehr tragbar. In diesem Dokumentarfilm

wurde „bis ins letzte Detail inszeniert, vor der Kamera arrangiert und nach

Erzählprinzipien aufgebaut.“7 Flaherty ging sogar soweit das Inuit-Volk, welches im

Fokus seines Dokumentarfilms stand, dazu zu instruieren, auf die schon

anachronistische Jagdmethode mit Pfeil und Bogen für die Dreharbeiten

zurückzugreifen, anstelle der Gewehre, deren Gebrauch bereits selbstverständlich war.

Heute werden unter der umgangssprachlichen Bezeichnung ‚Doku’ alle möglichen

Ausprägungen der nonfiktionalen Gattung subsumiert, was logischerweise begriffliche

Verwirrungen nach sich zieht. Mit dem Begriff werden teilweise sehr unterschiedliche

mediale Ausprägungen assoziiert, wie Dokumentarfilm, dokumentarischer Film,

Reportage, Feature, Dokumentarspiel, Nonfiktionfilm, Dokumentation, Doku-Serie, 4 Ebd. S. 68.5 Auf den von Hohenberger geprägten Begriff wird im Kapitel 3.3 der Arbeit noch Bezug genommen.6Kracauer, Siegfried. Theorie des Films: die Errettung der äußeren Wirklichkeit. 1973. S. 237.

7Heller, Heinz-B./ Zimmermann, Peter. Bilderwelten. Weltbilder. 1990. 19f.2

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Doku-Soap, Doku-Fake und Doku-Drama. Die Existenz der drei letztgenannten

hybriden Formen im Fernsehen – auch als ‚Reality-TV’- Formate bezeichnet – treibt die

taxonomische Auseinandersetzung über das Dokumentarische weiter an und bewirkt

gleichzeitig eine Aufweichung der Genrebezeichnung.8 Selbst Medienexperten sehen

sich Schwierigkeiten ausgesetzt, alle Begriffe und Definitionen trennscharf zu

unterscheiden und abzugrenzen. Gemeinsam ist allen Definitionsversuchen eine

spezielle Beziehung zur vormedialen Wirklichkeit, sowie eine spezifische Aufklärungs-

und Bildungsfunktion des Genres. Dabei gibt es keine universelle wissenschaftliche

Definition, die dem Anspruch gerecht wird, alle Aspekte historischer, ästhetischer und

inhaltlicher Natur der Gattung zu fassen und zu konkretisieren. Das Gegenteil ist der

Fall und artikuliert sich in der Existenz einer Vielzahl subjektiver Annäherungsweisen

an das dokumentarische Wesen, die durch unterschiedliche Aspekte und

Vorgehensweisen der Filmemacher und Theoretiker geprägt sind und sich stetig im

begriffsgeschichtlichen Wandel befinden. Die Untersuchung verschiedener

Programmzeitschriften hat ergeben, dass es keinen herrschenden Konsens über

Gattungsbezeichnungen gibt.9 Nichtsdestotrotz soll an dieser Stelle versucht werden

einen Überblick über die diversen Definitionsversuche zu geben und verschiedene

Standpunkte von Theoretikern und Praktikern gegenüber zu stellen, um den Begriff

einzugrenzen.

2.1 Definitionsversuche

In den 1920er Jahren kam es zur Spaltung zweier gegensätzlicher Ansätze des

dokumentarischen Arbeitens: Auf der einen Seite die distanzierte Beobachtung,

andererseits die kreative Interpretation mit gestalterischen Mitteln poetischer und

rhetorischer Art, mit dem Einsatz von Musik.10 Im Laufe der Geschichte konkurrierten

diese beiden Haltungen unterschiedlich stark miteinander und beeinflussten damit den

Begriff des Dokumentarfilms. Die erste Beschreibung der Gattung als „the creative

8 Vgl. dazu Grözinger, L und Henning, K. Vom Dokumentarfilm zu hybriden Formaten. Die Auflösung von Genregrenzen im Fernsehen. 2005.

9 Hickethier, Knut. Film- und Fernsehanalyse. 2001. S. 190.10 Grötzinger/Henning. 2005. S.11.

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treatment of actuality“11 stammt aus dem Jahre 1926 und ist auf John Grierson12, einem

britischen Dokumentarfilmer, zurückzuführen. Er benannte das Produkt seiner

ästhetischen Praxis mit dem Begriff documentary. Seine Charakterisierung offenbart

allerdings Raum für Diskussionen: Ist mit ‚creative’ ein ästhetischer Ansatz gemeint und

bezeichnet ‚treatment’ eine Deskription oder Interpretation der Realität? Ist mit dem

Konzept die Nachahmung, die Wiedergabe oder die Darstellung von nichtmedialer

Wirklichkeit impliziert?

In dieselbe Richtung führt auch der Hinweis auf den generellen Widerspruch, welcher

schon per se in der Wortkreation ‚Dokumentarfilm’ enthalten ist. ‚Dokumentar’ steht für

Dokument, etwas das den Charakter einer Urkunde, eines Beweisstückes besitzt, im

Gegensatz zum Morphem ‚Film’, das durch formale und technische Eigenschaften auf

der einen Seite und ästhetische auf der anderen determiniert ist.13

Auch der Zuschauer spielt im Rahmen rezeptionsästhetischer Untersuchungen für die

Definition der Gattung eine große Rolle. Es ist bewiesen, dass Medienkonsumenten in

ihrer individuellen Medienerfahrung lernen, audiovisuelle Formen intuitiv innerhalb

kürzester Zeit in ein entsprechendes Genre zu unterscheiden und zuzuordnen. Die

Aussage bestätigt sich durch persönliche Erfahrungen der Medienrezeption, bei welchen

wir beispielsweise sehr schnell einen Spielfilm von einer Fernsehreportage oder einer

Fernsehdokumentation unterscheiden können. Guynn führt dieses Phänomen auf einen

„dokumentarischen Effekt“14 zurück, der die textuellen Charakteristika der Filme

ebenso berücksichtigt, wie die Erwartungen eines Publikums.

Auf diesem Punkt basiert auch das Verständnis der Gattungsbezeichnungen für den

Literaturwissenschaftler Siegfried J. Schmidt. Sie haben die Funktion das mediale

Angebot für den Zuschauer zu strukturieren und Erwartungen aufzubauen.

Dementsprechend versteht er sie als Verständigungsbegriffe im Medienhandeln, die je

nach Bedarf wieder verändert werden können.15

Dokumentarfilmforscher wie Roger Odin oder Bill Nichols führen die Verständigung

über Gattungen des Dokumentarischen darauf zurück, dass Dokumentarfilme

11 Heller 2002: 124.12 John Grierson wird als einer der Pioniere der normativen Dokumentarfilmtheorie nach Hohenberger

gesehen, die die Gattung ästhetisch und politisch zu etablieren versuchten.13Vgl.Grötzinger/Henning 2005: 5.14Hohenberger 2006: 28.15 Vgl. Schmidt, Siegfried J. Skizze einer konstruktivistischen Mediengattungstheorie. 1987.

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Lektüreanweisungen mit speziellen Adressierungsweisen entwickeln. Es handelt es sich

dabei vordergründig um Präsentationsstrategien, die Authentisierungsmechanismen

enthalten, welche beim Zuschauer den Eindruck von Glaubwürdigkeit und Überzeugung

produzieren.16 Diese Mechnismen sind nach Hattendorf Grund für die authentische

Wirkung des Dokumentarischen, vielmehr als das Verhältnis des Films zur dargestellten

Realität.17

Heute gibt es eine Fülle von Definitionen des Dokumentarfilms. Sie reichen von

Überzeugungen wie ‚alles Non-Fiktionale ist dokumentarisch’ bis zu Behauptungen von

Dokumentarfilmtheoretikern wie Trinh Min-ha, die mit Aussagen wie ‚es gibt keinen

Dokumentarfilm’ die Existenz des Genres negieren. Stellvertretend für die

unterschiedlichen Denkweisen aus der fachspezifischen Literatur folgen an dieser Stelle

einige Definitionen:

„Ein Dokumentarfilm könnte sein der sichtbar und hörbar gemachte Dialog eines Autors mit der Wirklichkeit, mit anderen Menschen, mit Orten, mit Erinnerungen. Sichtbar, selbst wen man ihn – den Autor – nicht sieht, hörbar, selbst wenn man ihn nicht hört. Dokumentarfilm ist nicht die Realität 1:1, aber Dokumentarfilm ist auch nicht die reine Fiktion, die reine Manipulation. Es ist etwas dazwischen und deshalb entzieht er sich immer wieder der Definition.“18

Der seit einigen Jahren leitende Professor der Dokumentarfilmabteilung der

angesehenen Filmakademie Ludwigsburg definiert Dokumentarfilm folgendermaßen:

„Der Begriff Dokumentarfilm bezeichnet für mich in erster Linie eine Gattung. Mit seiner grundsätzlichen Definition ‚Nonfiktion’ bildet er den Gegenpol zum Spielfilm mit der grundsätzlichen Definition ‚Fiktion’. Gleichzeitig ist der klassische Dokumentarfilm (damit gemeint sind Filme mit ausgewiesener, persönlicher Handschrift des Autors) selbst zu einer Subform des Dokumentarfilmgattung geworden.“19

Der Duden wiederum enthält folgende Definition des Dokumentarfilms:

„Dokumentarfilm: Film, der Begebenheiten u. Verhältnisse möglichst genau, den Tatsachen entsprechend zu schildern versucht.“20

Andere Dokumentarfilmtheoretiker wie Trinh Min-ha stellen den Dokumentarfilm

explizit definitorisch in Frage:16 Vgl dazu Hattendorf, Manfred. Dokumentarfilm und Authentizität. Ästhetik und Pragmatik einer

Gattung. 1994.17Vgl. ebd.18 Hübner, C. In: Haus des Dokumentarfilms (Hg.). Der Dokumentarfilm als Autorenfilm. 1999. S. 37.19 Schadt, Thomas. Das Gefühl des Augenblicks. 2001. S. 21.20 Dudenredaktion (Hg.). Duden. Das Fremdwörterbuch. 2001. S. 238

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„Es gibt keinen Dokumentarfilm – unabhängig davon, ob der Begriff eine Materialkategorie bezeichnet, ein Genre, eine Methode oder eine Reihe von Techniken.“21

Um die Absurdität mancher begrifflicher Definitionsversuche zu verdeutlichen sei noch

das ironische Statement eines Dokumentarfilmdozenten von der Hochschule für

Fernsehen und Film München genannt:

„Ein Dokumentarfilm ist ein Film, in dem weder eine schöne Frau, noch ein schnelles Auto vorkommen.“22

Zusammenfassend lässt sich konstatieren: Einerseits definiert sich das Genre über seine

Opposition zum Spielfilm, andererseits über eine spezielle Verbindung zur

nichtmedialen Wirklichkeit, wobei die Gattung über das reine Sammeln, Speichern und

Ordnen von Informationen hinausgeht, sie gestaltet zusätzlich. Dokumentarfilm ist also

weder die bloße Wiedergabe von etwas Realem, noch etwas vollkommen eigenständig

Erschaffenes.

2.2 Dokumentarfilm und Fiktion

Da der Unterschied zwischen Fiktion und Nicht-Fiktionalität, laut Hohenberger die

„zentrale theoretische Figur “23 im Nachdenken über den Dokumentarfilm und

gleichzeitig pragmatisch immer noch von großer Bedeutung ist, soll diesem Thema an

dieser Stelle Platz eingeräumt werden. Wie bereits festgestellt, versteht sich das

Dokumentarische vor Allem als Gegenpol zum Spielfilm und über das Selbstverständnis

einer ‚nonfiktionalen’ Gattung. Dazu sollen zunächst die drei existenten Definitionen

des Begriffs 'Fiktion' erwähnt werden. Es handelt sich dabei um eine

allgemeinsprachliche, eine literaturwissenschaftliche und eine juristische Bedeutung,

die jedoch aufgrund des abweichenden thematischen Zusammenhangs nicht weiter

ausgeführt werden soll.

Im Allgemeinen Gebrauch stellt die Fiktion eine Annahme dar, „für die (im Ggs. Zur

Hypothese) kein Wahrheits- oder Wahrscheinlichkeitsbeweis angetreten wird oder bei

21 Min-ha, Trinh. In: Hohenberger, Eva (Hg.). Perspektiven des Dokumentarfilms. 2006. S. 276.22 Sebening, Jan zitiert nach Zimmermann, Peter. Hybride Formen. 2001. S. 21.23 Hohenberger 2006: 6.

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der (noch) nicht gesagt werden kann, ob die sie darstellende Aussage wahr oder falsch

ist.“24

Die literaturwissenschaftliche Anwendung des Begriffs zeugt von einer Unentscheidbar-

keit zwischen Imaginärem und Realem. Dies resultiert daraus, dass sich die literarische

Wirklichkeit nicht mit außerliterarischen Begebenheiten deckt, auf die der dichterische

Text eventuell verweist. Er bildet eine eigene ‚ästhetische Wirklichkeit’:

„Es ist festzuhalten, daß das Kunstwerk der Fiktion und die empirische Erfahrungswirklichkeit inkomensurabel sind und verschiedenen Seinsbereichen angehören. Das Kunstwerk ersetzt und kopiert nicht die Realität, es stellt selbst eine ästhetische (geistige, dichterische) Realität her, die nach eigenen Gesetzen konstituiert ist und in deren Sinnzusammenhang eine Wahrheit darzustellen beansprucht, die nur ästhetisch mittelbar ist, nicht aber über eine außerliterarische Faktizität informiert“.25

Diese eigene Wirklichkeit, die das Medium erzeugt, führt dazu, dass der Begriff des

Fiktionalen in seiner Anwendbarkeit auf dokumentarische Formen wenig trennscharf zu

funktionieren scheint: Wenn Fiktionalität auf ihre verwendeten Gestaltungsmittel

abzielt, wodurch erst die 'ästhetische Wirklichkeit' erzeugt wird, würde das bedeuten,

dass nichtfiktionalen Formaten jegliche kreative Mittel und damit der künstlerische

Aspekt abgesprochen werden würden.26 Da aber jeder Dokumentarfilmer gestalterisch

auf sein Werk einwirkt, muss sein mediales Produkt als fiktional bezeichnet werden.

Auf der anderen Seite kann man analog vom Spielfilm behaupten, er sei deshalb nicht

fiktional, weil er ein Dokument seiner eigenen vorfilmischen Realität27, der

Aufnahmesituation vor der Kamera zum Zeitpunkt der Dreharbeiten, darstellt. Die

begriffliche Verwirrung ist auch in diesem Fall augenscheinlich und hat in

filmtheoretischen Ausführungen zu einer Reihe missverständlicher Definitionen geführt.

Eine Lösung scheint Arriens in der fehlenden Unterscheidung zwischen „Fiktion als

künstlerischer Gestaltung einer Darstellung und Fiktion als Falschheit oder mangelnde

Wahrheitsfähigkeit“28 zu sehen. Ein Dokumentarist muss gestalterisch arbeiten und

nicht die Realität abfilmen „wie eine Überwachungskamera“29. Die Klassifizierung

24 Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden, Bd. 7. Mannheim: Bibliographisches Institut. 1987. S.70.25 Vgl. Martini, Fritz. Realismus. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, 2. Auflage. Band 3.

Berlin: 1977. S. 646 f. 26 Vgl. Arriens, Klaus. Wahrheit und Wirklichkeit im Film: Philosophie des Dokumentarfilms. 1999.27 Zu den Wirklichkeitsebenen des Films vgl. Hohenberger 1988.28 Arriens, Klaus. Wahrheit und Wirklichkeit im Film: Philosophie des Dokumentarfilms. S. 27.29 Grötzinger/Henning 2005: 9.

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Fiktion/Nicht-Fiktion muss sich folglich auf einer „grundsätzliche[n] Qualität im Bezug

des Films zur realen Außenwelt“30 widerspiegeln. Der Spielfilm erfindet seine Realität,

während der Dokumentarfilm überwiegend Material der außerfilmischen Wirklichkeit

repräsentiert. Die Objekte und Personen im Film sind auch unabhängig vom Medium

existent und können durch den Zuschauer überprüft werden. Im Dokumentarfilm haben

wir es mit (mehr oder weniger authentischen) Menschen aus der außerfilmisch

existierenden Realität zu tun, während im fiktionalen Film in der Regel professionelle

Schauspieler im Rahmen einer ‚Mise-en-scène’ eine fiktionale Handlung vollziehen und

fiktive Figuren darstellen. Alle filmischen Gegebenheiten sind für die Aufnahme

erfunden, vorbereitet und werden in teilweise aufwendigen Verfahren und Techniken

inszeniert.31 Dabei stellt die Filmkamera einen Katalysator des fiktionalen Erzählens

dar. Sie nimmt die strukturierte Handlung in voraus geplanten Teilaktionen,

Einstellungen und Kamerafahrten auf und ist jederzeit vorbereitet auf neue Aktionen.

Die Kamera nimmt so eine Erzählhaltung ein, in der sie Zeit und Ort des Geschehens

beherrscht. Im Gegensatz dazu kann sich die dokumentarische Kamera weniger auf eine

formale Arrangiertheit der Aktionen verlassen und ist charakterisiert durch ästhetische

Kompromisse, was die äußere Gestaltung betrifft. „Das Geschehen bleibt dem Film

gegenüber autonom“32. Diese Teilautonomität wurde auch durch das dokumentarische

Subgenre des Cinéma Vérité bewusst aufgegriffen und selbstreflexiv thematisiert.

3 Dokumentarfilmforschung und -theorien

Obwohl die klassischen stilistischen Ausprägungen des Genres bereits kanonisiert sind,

ist analog dazu keine umfassende Geschichte der Theorien des Dokumentarischen

verfasst worden.33 Der Anfang der Dokumentarfilmforschung ist verbunden mit dem

Zeitpunkt, an dem der Dokumentarfilm selbst in politischer und ästhetischer Hinsicht

als etwas Unterscheidbares im Bezug auf den Spielfilm wahrgenommen wurde.34 Dem 30Ebd. 9.31 Vgl. Borstnar, N./Pabst, E./Wullf, H. J. Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft. 2002. S. 29.32 Hickethier. 2002: 193.33 Ebd. S. 9.34 Vgl. Hohenberger 2006: 9 f.

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Gründungsmythos einer generellen „Dichotomie der Filmkunst“35 entgegengesetzt ist

die Meinung vieler Wissenschaftler wie Tom Gunning36, oder François Jost37. Gunning

klassifiziert die ersten kinematografischen Versuche der Brüder Lumière als Ansichten

(„Views“38). Im Gegensatz dazu versteht er den Dokumentarfilm erst durch den

diskursiven Zusammenhang über Zwischentitel und Schnitte, der Neukombination des

Materials. Dabei entwickelt der Film entweder eine artikulierte Argumentation oder eine

dramatische Struktur, wie die plotbasierte Handlung in Nanook.39

Etwa zur Zeit der Produktion von Flahertys Klassiker entstanden in der ersten

Jahrhunderthälfte die ersten programmatischen Schriften zum Dokumentarfilm durch

Film-Praktiker wie Dziga Vertov oder John Grierson, die sich im Bezug auf Ästhetik

und Selbstverständnis des Genres teilweise fundamental voneinander unterschieden,

worauf im Rahmen der nachfolgenden Unterkapitel der Arbeit noch detaillierter

eingegangen wird. Ihren Bemühungen ist ein normativ-programmatischer Charakter

inhärent, der in Form von Selbstvergewisserungen praktische Erfahrungen zu begründen

versucht. Dementsprechend sind die frühen Theorien immer auch „Legitimationen

eigener Anschauungen“40, sowie Versuche einer Verortung der eigenen filmisch-

ästhetischen Praxis, und in dem generellen Kontext von Filmtheorie zu stellen.

Die wissenschaftliche Untersuchung von Dokumentarfilmen beginnt später in den den

1970er Jahren wenn man André Bazins Schriften zur Filmtheorie, welche sich um einen

metaphorisch aufgeladenen Realitätsbegriff drehten, vernachlässigt.41 Ihre Spannbreite

an theoretischen Positionen ist groß und manifestiert sich zwischen zwei Extremen:

„Entweder wird das Material völlig übergangen, oder es wird bereits als eine

Repräsentation der Wirklichkeit genommen“42.

Trotz des international gesehenen Aufbruchs in der Dokumentarfilmforschung durch

rege wissenschaftliche Veröffentlichungen in einer Reihe von Sammelbänden und

Symposien, steht die Auseinandersetzung mit dokumentarischen Formaten hinter

35Monaco, James. Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films. 1980. S. 256.

36Vgl. Gunning, Tom. Vor dem Dokumentarfilm. Frühe Non-Fiction Filme und Ästhetik der Ansicht. 1995. S. 111-121.

37 Vgl. Jost, François. Der Dokumentarfilm. Narratologische Ansätze. 2006.38 Hohenberger 2006: 10.39Gunning 1995: 18.40Hohenberger 2006: 9.41 Hattendorf 1994: 28.42 Arriens 1999: 7.

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Page 12: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

denen, die sich mit Theorie und Ästhetik von Spielfilmen beschäftigen.43 Sandra

Schillemans verfasste zu diesem Thema den Artikel Die Vernachlässigung des

Dokumentarfilms in der neueren Filmtheorie in der Anthologie Perspektiven des

Dokumentarfilms44:

„Contemporary film theory, in spite of a differentiation of problems, approaches and methods, clearly shows a preference for certain movies and even for certain filmmakers (the classical Hollywood model, the so-called ‘cinéma d’auteur’) and almost a complete lack of interest in forms of expression as experimental cinema and documentary films”45.

Eva Hohenberger, eine Medienwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt in

dokumentarischer Theoriebildung46, unterteilt die Geschichte der

Dokumentarfilmtheorie in drei grobe Phasen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis jetzt.

Sie kennzeichnet sie pragmatisch als normative, reflexive und dekonstruktive

Strömungen innerhalb der Theorie des Dokumentarischen. Nach eingehender Lektüre

wissenschaftlicher Texte über Dokumentarfilmtheorie erschien es sinnvoll, diese

Struktur auch in dieser Arbeit zu übernehmen.

3.1 Normative Theorie

Die so genannte normative Dokumentarfilmtheorie, auch klassische

Dokumentarfilmtheorie genannt, entwickelte sich hauptsächlich aus den Texten von

Dziga Vertov und John Grierson, beide Pioniere des noch jungen Filmmediums und

dem noch jüngeren Genre. Aufgrund der technischen Eigenschaften der filmischen

Technik glaubte man stark an eine „Affinität des Films zum Realen“47. Der Realismus

sollte Wesen und Ziel des Films sein, dessen auf die fotografische Ontologie

garantiertes Abbildverhältnis der realen Welt zur tragenden Stütze der Argumentation

wurde. Dieses frühe Stadium der Dokumentarfilmtheorie nutzte die praktische Arbeit

43 Ha 95: 28.44Vgl. Schillemans, Sandra. In: Hattendorf, Manfred. Perspektiven des Dokumentarfilms. 1995. S. 11 ff.45Schillemans, Sandra. Zitiert nach: Hattendorf 1999: 28.46 Vgl. Hohenbergers Dissertation „Die Wirklichkeit des Films“ von 1988; Bilder des Wirklichen – Texte

zur Theorie des Dokumentarfilms von 2006; „Die Gegenwart des Vergangenen“ von 2003 etc. 47Kracauer 1979: 56.

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Page 13: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

und die vielfältigen neuen Erfahrungen mit dem Medium Film zur Beschreibung eines

programmatischen Soll-Zustands, wie der Dokumentarfilm auszusehen hätte.

Charakteristisch wurden vier Ebenen der theoretischen Verankerung des

Dokumentarischen in der Differenz zum Spielfilm: Auf einer institutionellen Seite

wollte man sich gegen die kapitalintensive Ökonomie des Spielfilms abgrenzen und

alternative Vertriebswege für eine andere Öffentlichkeit suchen. Der Anspruch auf

Aufklärung und Wissen über die real existierende Welt prägte die soziale Ebene des

Dokumentarfilms mit seinen gesellschaftlichen Funktionen der Aufklärung und

Information der Bürger, häufig eingebettet in einen Diskurs der politischen

Partizipation. Das nichtfiktionale Endprodukt sollte sich dabei in der Organisation des

Materials am realen Vorbild der Ereignisverläufe der nichtfilmischen Wirklichkeit

orientieren. Auf einer pragmatischen Ebene sollte sich über die Aktivierung

realitätsbezogener Schemata und Lesemodi eine Erwartung beim Zuschauer aufbauen,

der den Dokumentarfilm anerkennt als ein Film, der von der realen Welt handelt. Die

normative Dokumentarfilmtheorie beeinflusste auch deutsche. Dokumentarfilmer und –

theoretiker wie Klaus Wildenhahn, der für einen Dokumentarfilm der 'reinen

Beobachtung' plädierte und Anhänger einer Unmittelbarkeitsästhetik des Direct

Cinema48 war.

Dziga Vertov, sowjetischer Filmkünstler revolutionärer Gesinnung definierte das

Dokumentarische erstmals über seinen spezifischen Wirklichkeitsbezug. Zwischen 1922

und 1925 veröffentlichte er in 23 Ausgaben seine Kinoprawda (Kinowahrheit),

Schriften zu Theorie und Praxis filmischen Schaffens. Sein Hauptinteresse galt dem

rationalen konstruktiven Schreiben mit Fakten, die er in der Form von filmischen

Abbildern sah, durch die eine Übersetzung von Lebensfakten in Filmfakten möglich und

erstrebenswert sei. In seinen Schriften, die von Hohenberger als „polemische

Pamphlete“49 beschrieben werden, lässt sich seine politische Haltung wiedererkennen.

Die Erfahrung der Revolution sei entscheidend und alle künstlerischen Mittel sollten

revolutioniert werden, um mit den Umbrüchen der Realität mithalten zu können.

Vertovs Texte müssen folglich im diskursiven Kontext der Avantgarde mit ihren

vielfältigen Strömungen wie Futurismus, Konstruktivismus, Biomechanik, Literatur der 48Um begrifflichen Verwirrungen vorzubeugen wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Begriff

Direct Cinema im Rahmen dieser Arbeit synonym zum Begriff cinema direct verwendet ist. Letzterer wird in den Publikationen von Eva Hohenberger (1988, 2006) prioritär verwendet.

49Hohenberger 2006: 11.11

Page 14: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

Fakten oder Formalismus verstanden werden. Der Dokumentarfilm galt seiner Ansicht

nach als revolutionäre faktografische Filmkunst, die „Stücke authentischen Lebens und

unwiderrufliche Ereignisse“50der Welt zeigen sollen. Sein Faktografismus manifestierte

sich vor allem im Bezug auf die technischen Möglichkeiten der Kamera, die seiner

Meinung nach der Wahrnehmung des Auges weit überlegen war. In diesem

Zusammenhang steht Vertovs Ansicht diametral im Gegensatz zur Auffassung des in

den 1970er Jahren entstandenen Direct Cinema, wo sich wiederum die unterlegene

Filmkamera am menschlichen Auge zu orientieren habe. Ein ästhetisches Spezifikum

seiner Theorie stellte der spezielle Montagebegriff dar, der bei Vertov dem Prinzip des

Intervalls unterlag und Konsequenzen für die zuvor erfolgende Aufnahme der

filmischen Einstellungen hatte. Er unterscheidet insgesamt sechs verschiedene Ebenen

des Schnitts, wobei die zwischenbildlichen Einstellungen durch eine autonome Struktur

des Rhythmus und einer Metrik zusammengeführt werden sollen. Das resultierende

Produkt eröffnet dem Kinoki, übersetzt mit 'Kinoäugler', eine neue Wahrnehmung der

Wirklichkeit, ein ästhetisches Prisma, ein Produkt künstlerischer Natur, das nicht

transparent zur Realität ist. Trotz der ontologischen Repräsentanz der Filmfakten erhält

der Film somit durch die künstlerische Montage so seine antirealistische Konsequenz.

Der Intervallbegriff Vertovs kann als eine weitreichende ästhetisch-konzeptuelle Instanz

begriffen werden, die auch noch in kontemporären Diskussionen über die umstrittene

Sichtbarmachung außerfilmischer Realitäten Relevanz besitzt.51

Im Gegensatz zu Dziga Vertov waren John Griersons Dokumentarfilmtheorien nicht

revolutionär geprägt, sondern erwuchsen unter publizistisch-journalistischem Einfluss.

Er gilt als „progressiver Denker innerhalb des Systems“52, der eine didaktische Funktion

des Dokumentarfilms im Fokus hatte. Die staatsbürgerliche Aufklärung und

demokratische Partizipation der Bürger als mündige und aktive Staatsmitglieder war

somit erstes Ziel seiner Theorie und Praxis. Sein Bestreben war es den Dokumentarfilm

gesellschaftlich zu etablieren, in künstlerischer, wie didaktisch-pädagogischer Hinsicht,

aber auch in Bezug auf seine propagandistischen Fähigkeiten gegen Krieg und die

Feinde der Demokratie.

50Beilenhoff, Wolfgang. Dziga Vertov. Schriften zum Film. 1973. S. 144.51Vgl. Guynn 1980; Paech 1991; Trinh 1995.52Barsam, Richard Meran. Nonfiction Film. Theory and Critisim. New York. 1992. S. 78.

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Page 15: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

Seine Absichten in inhaltlicher Hinsicht, beeinflusst durch den

Nachrichtensensationalismus, war es, die Reduktion der Fakten auf eine filmische Story

zu vollziehen:

„Hinter dem Sensationalismus der Nachrichten sahen wir ein tieferes Prinzip. Wir nahmen an, daß selbst eine so komplexe Welt wie die unsere so strukturiert werden könnte, daß alle sie verstehen. Deshalb wollten wir weg von der reinen Anhäufung von Tatsachen und hin zur Geschichte (story), in der die Fakten in eine lebendige, organische Beziehung zueinander gesetzt werden.“ 53

Der Zweck von Griersons Theorie lag somit darin, durch eine Vereinfachung der

komplexen Realität, einen Konsens über die bestehende Gegenwart herzustellen.

Unterfüttert durch die Texte des amerikanischen Politologen Walter Lippman

entwickelte er ein Konzept von Öffentlichkeit, das, an die Massenkommunikation

gebunden, als integratives Moment komplexer Gesellschaften dienen sollte. Der

Bildungs- und Erziehungsauftrag der demokratischen Kräfte sollte so den Bürger zum

resistenten Experten machen, der in der Lage war sich gegen antidemokratische

Bestrebungen zur Wehr zu setzen und besser am politischen Leben partizipieren zu

können. Dieses Selbstverständnis des Genres ist auch in der Konzeption öffentlich-

rechtlicher Sendeanstalten wieder zu erkennen, weshalb Grierson auch als Vorreiter der

staatlichen Fernsehprogramme verstanden wird.54 In diesem Kontext ist seine Theorie

stark wirkungsbezogen zu verstehen, wobei seine Definition des Dokumentarfilms als

schöpferische Gestaltung eines aktuellen, gesellschaftlich relevanten Stoffes, wie schon

in Kapitel 2.1. erwähnt, schwammig bleibt. Gleichzeitig laufen seine stark didaktischen

Tendenzen, verbunden mit der Bestrebung hin zur Dramatisierung und narrativen

Darstellung, die auch vor propagandistischer Instrumentalisierung nicht zurückschreckt,

Gefahr im Rahmen von Lobbyismus missbraucht zu werden.

Insgesamt kann für das normative Stadium der Dokumentarfilmtheorie behauptet

werden, dass der Gewinn an Bedeutung eines realistischen Genres mit gesellschaftlicher

Funktion vor allem in der Bildung von Öffentlichkeit und politischem Konsens von

wesentlicher Wichtigkeit für den Dokumentarfilm war. Seine soziale Verantwortung und

die gleichzeitige Abgrenzung von Profitinteressen hollywoodscher Prägung etablieren

ihn als Gattung, welche mit den Konzeptionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in

53 Grierson zitiert nach Hohenberger 2006: 13.54Hohenberger 2006: 13 f.

13

Page 16: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

unmittelbarem Zusammenhang steht. Dieser taxonomische Erfolg begründet den

Dokumentarfilm auch als nichtfiktionales Genre, welches seinen Filmen den „Gebrauch

bedeutsamer fiktionalisierender Dramatisierungstechniken“55 zugesteht. Gleichzeitig

zielen beide Theorien nicht auf eine bedingungslose Ersetzung der Realität, als vielmehr

eine Instrumentalisierung des Mediums, um soziale Werte bei Grierson und eine

Neuorganisation des (revolutionären) Handelns durch den technologisiert-überlegenen

Blick der Kamera bei Vertov.

3.2 Reflexive Theorie

Während des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges entwickeln sich

Dokumentarfilme, die durch einen prägnanten Kommentar gekennzeichnet sind, der

sich in didaktischer Absicht direkt an sein Publikum richtet. Auch das Fernsehen als

neues Leitmedium in den fünfziger und sechziger Jahren verändert die Gattung und

führt zu einer stärkeren Abgrenzung zum Spielfilm, ohne sich aber von der

Kinotradition abzulösen. Dazu entwickelt sich eine neue dokumentarische Praktik durch

die Innovationen der Filmtechnik, die sich im Speziellen durch das

Synchrontonverfahren auf die Subgenres Direct Cinema und Cinéma Vérité

niederschlagen. Im Besonderen ist es das Anliegen des Direct Cinema,

Lebenswirklichkeiten zur Anschauung zu bringen, indem man sich bemühte über das

„Prinzip der Sachlichkeit“56 möglichst authentische und 'neutrale' Aufnahmen zu

erzielen. Verblendet von den technischen Errungenschaften, die nunmehr vermeintlich

unverfälschte Realitätsabbildungen produzieren, und der 'spontanen' Philosophie der

Filmemacher, sollte nun die Filmwahrnehmung gleichbedeutend mit der Teilhabe an der

Realität sein.57 Die Beziehung des Dokumentarfilms zur nichtfilmischen Realität

erscheint transparent.

In den siebziger Jahren beginnen filmwissenschaftliche Untersuchungen, die den

Dokumentarfilm unter semiotischer Perspektive als Text behandeln. John Corner

55Winston, Brian. Claiming the Real. The Documentary Film Revisited. S.103.56Kluge, Alexander. Bestandsaufnahme: Utopie Film. 1983. S. 163.57Hohenberger 2006: 16.

14

Page 17: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

unterscheidet zwei unterschiedliche Phasen des Dokumentarfilms: Die

Begründungsphase, deren Fokus auf der Etablierung von Gattungsnormen liegt und die

kritische Phase zeitgenössischer Theorien, die unterschiedlich stark gegen die

ursprüngliche Auffassung des Dokumentarfilms argumentieren, er würde Realität

faktisch abbilden.58 Zehn Jahre später unterteilte Hohenberger die zeitgenössischen

Theorien nochmals in zwei Strömungen: Reflexive und dekonstruktive Theorien. Beide

überschneiden sich historisch gesehen und existieren bis heute gleichbedeutend

nebeneinander. Im Gegensatz zur dekonstruktiven Theorie stellt die reflexive Theorie

allerdings den Gattungsstatus des Dokumentarfilms nicht grundsätzlich in Frage,

sondern setzt ihn gewissermaßen voraus. Die reflexive Dokumentarfilmtheorie greift

dabei zentrale Problemfelder normativer Theorien auf und bearbeitet sie, ohne ihren

gesellschaftlichen Horizont „einholen zu können oder es überhaupt zu wollen.“59 Ihr

Hauptaugenmerk gilt dem Dokumentarfilm als Text, den sie mit klar definierten

Fragestellungen, in unterschiedlichen kommunikativen Gefügen analysieren.

Als exemplarischer Hauptvertreter der reflexiven Dokumentarfilmtheorie kann Bill

Nichols genannt werden, der sich in seiner theoretischen Auseinandersetzung

Representing Reality (1991) mit vielfältigen Problematiken des Dokumentarischen

beschäftigt. Darunter fallen Bereiche auch außerhalb textueller Merkmale, wie der

institutionellen Organisation, der gesellschaftlich-ideologischen Funktion, und die

Genregeschichte des Dokumentarfilms. In seiner Auseinandersetzung mit Metzschen

Kategorien verankert er die Spezifik des Dokumentarischen in seiner Rhetorik.

Christian Metz, der als Begründer der Filmsemiotik zählt, geht davon aus, dass seine

Methodik der semiotischen Filmanalyse nicht auf den Dokumentarfilm anwendbar

wäre, den er als nichtnarrativ klassifiziert.60 Diese Praxis beklagt auch Sandra

Schillemanns, die den Gegenstandsbereich des Dokumentarfilms auf den Spielfilm

reduziert sieht.61 Bill Nichols widerspricht der These, jeder Film sei ein fiktionaler Film,

indem er die (fiktionale) Diegese von einer Diegese unterscheidet, die einen

rhetorischen Argumentationszusammenhang in sich birgt, der wiederum die Spezifik

dokumentarischer Texte darstellt. Dokumentarfilme erzählen demnach weniger

58Vgl. Corner, John. The art of the record. A critical introduction to Documentary. 1996.59Hohenberger 2006: 29.60Vgl. Metz 1972.61Vgl. Schillemanns 1995: 14.

15

Page 18: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

Geschichten, als dass sie „Argumente über die historische Welt vorbringen“62. Er

etabliert ein Modell der Adressierungsweisen des Dokumentarfilms und verschiedene

Modi des Erklärens als Reaktion auf die rezeptionsästhetischen Tendenzen innerhalb der

Theorie des fiktionalen Films. Diese Adressierungsarten unterteilt er in insgesamt drei

verschiedene Modi. Der expositorische Modus (Repräsentationsmodus), der sich

während des Zweiten Weltkriegs und danach im Kalten Krieg entwickelt, ist geprägt

von einer Dominanz der Sprache und des Kommentars im Vergleich zu den visuellen

Anteilen. Diese Filme pflegen eine didaktische Absicht, während die Zuordnung ihrer

Bilder illustrativ und kontrapunktisch organisiert ist. Der zweite Modus stellt den

beobachtenden Modus (Direct Cinema) dar, der den Anspruch vertritt eine bessere, weil

wahrhaftere Variante des Realismus zu sein, wegen seines authentischeren Materials.

Als kontemporärsten Modus von Dokumentarfilmen bezeichnet er den performativen

Modus, der gekennzeichnet ist durch Elemente der Assoziation, des Kontextes, und der

gesellschaftlichen Didaktik.

Das Problem an Nichols spezifisch dokumentarischen rhetorischen

Argumentationszusammenhängen entkräften sich in den beobachtenden und

performativen Modi, die nicht durch eine vordergründige sprachliche Kommentierung

geprägt sind. Hohenberger bezeichnet Nichols argumentative Spezifik schlichtweg als

dokumentarischen Stil, wobei sie auch vorbringt, dass „es sich bei den von Nichols als

Spezifik des Dokumentarfilms bezeichneten Adressierungsweisen keinesfalls um

wesentliche Differenzen zum Spielfilm handeln kann, da jeder fiktionale Film diese in

erster Linie auf Sprache beruhenden Verfahren imitieren kann.“63

3.3 Dekonstruktive Theorie

Wie im vorigen Kapitel erwähnt, lehnt die dekonstruktive Dokumentarfilmtheorie

jegliche Ontologie der Gattung ab und akzeptiert deren Existenz höchstens als

pragmatisch begründet. Historisch interessant dabei ist, dass sich diese theoretische

Position als eine Art Gegenreaktion zeitgleich zur Strömung des Direct Cinema

62Hohenberger 2006: 18.63Hohenberger 2006: 21.

16

Page 19: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

entwickelte, die stark am Wahrheitscharakter der filmischen Aufnahmen festhielt. Die

Fruchtbarkeit der Auseinandersetzung über den Realismus im Film für die

dekonstruktive Theorie liegt im Gestus des Direct Cinema, das über die Unsichtbarkeit

seiner Mittel zugunsten der Präsenz des Dargestellten seine Inhalte in die Nähe der

(ideologieträchtigen) Fiktionen des Spielfilms bringt64 und den Zuschauer ohne

Hinweise auf die mediale Konstruiertheit des Dokumentarischen in eine „gedankenlose

und vergnügliche Akzeptanz“65 des Gesehenen stellt. Die dekonstruktive

Dokumentarfilmtheorie ist zudem im Kontext des postmodernen wissenschaftlichen

Diskurses zu verstehen, der von einer konstruierten Realität ausgeht.66 Diese

Konstruktion in medialer Hinsicht ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Verhältnisse

von Vor- und Abbild umkehrt. Das Reale ist durch „Zeichen des Realen“67 nicht mehr

darstellbar, sondern wird „substituiert“68. Die Folge davon ist, dass die Realität als

Referenz des Dokumentarfilms zu einer bloßen Simulation nach Baudrillard verkommt.

Die Realität existiert somit in dieser Form nicht, auf die sich der Film bezieht.

Auch Jean-Louis Comolli folgert aus der Erscheinungsform des Direct Cinema in

Europa, dass der Unterschied zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm der

Vergangenheit angehört.69 Auch aus narratologischer Perspektive lassen sich beide

Gattungen nicht trennen, was William H. Guynn in seiner Dissertation von 1980

konstatiert. Er bezieht sich dabei auch auf einen psychologischen Effekt, den er im

Bezug auf das Dokumentarische als „dokumentarischen Effekt“70 bezeichnet, der erst in

der Imagination des Zuschauers entsteht. In die gleiche rezeptionsästhetische Richtung

führen Roger Odins Untersuchungen, der das Konzept der „dokumentarisierenden

Lektüre“71 aufbringt. So verfügen Filme über interne Leseanweisungen nach Kriterien

der Referentialität und Authentizität, die aber prinzipiell jedes filmische Produkt als

signifikantes Dokument (einer gesellschaftlichen Kultur, zu einer spezifischen Zeit)

64Vgl dazu auch die psychoanalytischen Prozesse bei der Medienrezeption und den Dispositiv-Begriff unter Baudry, Jean-Louis. Das Dispositiv. Metapsychologische Betrachtungen zum Realitätseindruck. 1994.

65Hohenberger 2006: 24.66Vgl. auch Berger, Peter L. und Luckmann, Thomas. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit.

Eine Theorie der Wissenssoziologie. 1970.67Hohenberger 2006: 27.68Ebd.69Vgl. dazu Commoli, Jean-Louis. Le Détour par le direct. In: Cahiers du Cinéma. 1969. N. 209. S.48-53

und N. 211. S. 40-45.70Hohenberger 06: 28.71Hohenberger 06: 31.

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Page 20: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

klassifizieren können. Folglich stellt seine theoretische Annäherung auch keine

Unterscheidung zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm zu Verfügung.

Der 'Pionier' der Filmsemiologie, Christian Metz, unterscheidet zwar den

Dokumentarfilm vom Spielfilm über seine „sozialen Bestimmungen und substantiellen

Inhalt“72, also im rein pragmatischen Sinn, die Differenz sei allerdings nicht im Interesse

der Metzschen Filmtheorie, da sie soziale Bestimmungen zu Gunsten von sprachlichen

Verfahren ausschließt. Diese widerspiegeln sich als Teilgebiet der Filmwissenschaften

und sind begrenzt auf das „Innere des „Fait filmique“73, auf die intratextuellen

Eigenschaften des Films. Hohenberger bemerkt polemisch, dass die dekonstruktiven

Theorien durch den Ausschluss der gesellschaftlichen Funktionen des Dokumentarfilms,

die nicht dem textuell orientierten Gegenstandsbereich angehören, „dem Genre sein

politisches und pädagogisches Erbe ausgetrieben“74 und an ihre Stelle die „formale

Reflexion“75 gesetzt haben. Ob genannte Theorien allerdings eine derartige Absicht

verfolgen bleibt angesichts ihrer ausgewiesenen Betrachtungsgegenstände doch zu

bezweifeln. Im Bezug auf aktuellere Texte der Filmtheorie aus den 90er Jahren lässt

sich konstatieren, dass sie den Gegenstandsbereich des Dokumentarischen eher

ausweiten, als dass sie neue theoretische Erkenntnisse brächten. 76

4 Fazit

Resümierend kann man feststellen, dass es keine universelle Dokumentarfilmtheorie

gibt, die den mannigfachen Anforderungen, wie in dem von Bill Nichols 1991 in seinem

Werk Representing Reality aufgestellten Kriterienkatalog über notwendiges historisches

Bewusstsein, erklärende Kraft und analytischen Wert einer Theorie, gerecht wird.

Deswegen gibt es bisher nur Ansätze zu einer Theorie des Dokumentarischen, dessen

Forschung sich auf einer mittleren Ebene befindet, „zwischen theoretisch-begrifflicher

Explikation und empirischer Befragung des Gegenstands“77.

72Hohenberger 2006: 19.73 Vgl. Metz 7374Hohenberger 2006: 18.75Ebd.76 Vgl. Boardwell/Carrol. Post-Theory: Reconstructing Film Studies. 1996.77Hohenberger 2006: 20.

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Page 21: Dokumentarfilm – definitorische Schwierigkeiten und ein historischer Überblick über die Theorien des Dokumentarischen

Der Vorschlag Deckers, durch die Untersuchung verschiedener Konzeptionen von

Öffentlichkeit und Probleme sozialer Wissensvermittlung, den Dokumentarfilm als

'soziale Praxis' neu zu fassen, könnte dabei ebenso fruchtbar sein, wie der Ansatz der

dokumentarisierenden Lektüre von Roger Odin. Gewiss als obsolet zu bezeichnen ist

die Behauptung, dass die Aufzeichnung von Realität als spezifische Qualität des

dokumentarischen Films Gültigkeit besitzt. Jede Aufzeichnung einer vorfilmischen

Realität kann bis zu einem gewissen Grad als indexikalisch für den Moment der

aufgezeichnet wurde, die Situation, „die im Moment der Filmaufnahme vor der Kamera

ist“78, stehen, allerdings reicht dies nicht aus, um ein filmisches Genre zu begründen, da

dies bei jedem Film und auch bei der Fotografie geschieht. Dieser Standpunkt

kontextualisiert sich unter anderem auf radikale Weise in Zeiten der digitalen

Bildproduktion, in der die Aufnahme nicht mehr länger Kopie eines abwesenden

Originals ist.

In diesem Kontext ist es erfreulich, dass der leitende Professor der

Dokumentarfilmabteilung an der Hochschule für Fernsehen und Film München, Heiner

Stadler, behauptet, dass die „Aufhebung der Grenze zwischen Dokumentation und

Fiktion keine Katastrophe“79 ist, anstatt sich dogmatisch an einen Unterschied zu

klammern. Eine Unterscheidung zwischen Filminhalten, welche ‚echte’ Menschen statt

Schauspielern zeigen und sich mit authentischen Geschehnissen statt erfundenen

Inhalten an Orten, die auch autonom der Realität einer Filmproduktion existent sind,

und eine besondere aufklärerisch-didaktische Vermittlungsintention in sozialer und

gesellschaftlicher Hinsicht verfolgen, ist dennoch sinnvoll. Ob diese Unterscheidungen

in der Form von zwei unterschiedlichen Gattungen zu sein hat ist wiederum eine andere

Frage. Das entscheidende Kriterium dabei ist die Tatsache, dass kein Film objektiv sein

kann. Dass dabei fiktionales und dokumentarisches Erzählen zu kulturellen

Konventionen geworden sind, die auch als Stilmittel eingesetzt werden, bezeugt die

Medienpraxis der kontemporären Medienlandschaft mit seinen Reality-Formaten im

Fernsehen und in dokumentarischen Spielfilmen.

78 Hohenberger 2006: 30.79Stadler, Heiner. Über den Kreislauf der Bilder. Das kollektive Bildergedächtnis und seine Wirkung. 2007. S. 60.

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