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Träume vom Fliegen und vom Tiefseetauchen Die Visionen des Leonardo da Vinci Unersättliche Neugier und hohes Interesse an allem und jedem kennzeichnen die Persönlichkeit des Jahrtausendgenies Leonardo da Vinci. Der kreative Geist des Künstlers, Technikers und Erfinders fasziniert noch heute. Davon zeugt eine große Sonderschau des Deutschen Museums in München: Zukunftsweisende Entwürfe des Meisters, die mühelos den Sprung in die Ultramoderne schaffen. Erstaunlich, wie viel man durch die Naturbeobachtung mit Federkiel und Tinte erreichen kann! Wie hat es Leonardo gescha, bahnbre- chende wissenschaſtliche Erkenntnisse aus dem Vorbild der Natur abzuleiten und in perfekte Zeichnungen umzuset- zen? Dieser Frage widmet sich die Münchner Ausstellung, die von Wissen- schaſtsmuseen aus Paris und Mailand entwickelt und vom Airbus-Konzern EADS unterstützt wurde. Auf der Basis von Handschriſten und 39 spektakulä- ren Modellen aus dem Mailänder Fun- dus wandelt man auf den Wegen der Er- kenntnis und der technischen Wir- kungszusammenhänge von damals und heute. Die äußerst gelungene Präsenta- tion verbindet Anschaulichkeit und äs- thetische Eleganz, lädt zum Spielen und Ausprobieren ein und stillt den Wissens- durst. Fünf emen sind im Angebot: Bewegung umwandeln, Vorbereiten auf den Krieg, der Traum vom Fliegen/Vor- bild Natur, Fabrikationsverfahren ver- bessern und Wissen bündeln. Bewegen und fabrizieren Seine Lehrjahre in der Werkstatt Verroc- chios und die Beteiligung am Bau des Doms zu Florenz, bei dem ein vom Ar- chitekten Brunellesci entwickelter Kran eingesetzt wurde, inspirierten Leonardo, einen ganzen Katalog mechanischer Lö- sungen zur Umsetzung von Bewegung zu schaffen: Zahnräder und Ritzel, Schnecken- und Kettengetriebe, Federn und Bögen, Nocken und Pleuel. Davon ausgehend, zeichnete da Vinci Antriebe und Räderwerke für diverse Maschinen und Apparaturen, die Bewegungsener- gie nutzbar machten: Kräne, Sägen, Ku- gellager, hydraulische Gerätschaſten und ein selbst fahrender Wagen. Ein im- posantes Modell des modifizierten Dombau-Krans ist zu besichtigen. An handwerklichen Produktionspro- zessen war Leonardo besonders interes- siert und entwickelte oſt traditionelle Verfahren weiter. Zu seinen Lebzeiten florierte die Storanche, besonders die 66 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2014; 17 (2) Prisma

Die Visionen des Leonardo da Vinci

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Page 1: Die Visionen des Leonardo da Vinci

Träume vom Fliegen und vom Tiefseetauchen

Die Visionen des Leonardo da Vinci

Unersättliche Neugier und hohes Interesse an allem und jedem kennzeichnen die Persönlichkeit des Jahrtausendgenies Leonardo da Vinci. Der kreative Geist des Künstlers, Technikers und Er� nders fasziniert noch heute. Davon zeugt eine große Sonderschau des Deutschen Museums in München: Zukunftsweisende Entwürfe des Meisters, die mühelos den Sprung in die Ultramoderne scha� en. Erstaunlich, wie viel man durch die Naturbeobachtung mit Federkiel und Tinte erreichen kann!

Wie hat es Leonardo gescha� , bahnbre-chende wissenscha� liche Erkenntnisse aus dem Vorbild der Natur abzuleiten und in perfekte Zeichnungen umzuset-zen? Dieser Frage widmet sich die Münchner Ausstellung, die von Wissen-scha� smuseen aus Paris und Mailand entwickelt und vom Airbus-Konzern EADS unterstützt wurde. Auf der Basis von Handschri� en und 39 spektakulä-ren Modellen aus dem Mailänder Fun-dus wandelt man auf den Wegen der Er-kenntnis und der technischen Wir-kungszusammenhänge von damals und heute. Die äußerst gelungene Präsenta-tion verbindet Anschaulichkeit und äs-

thetische Eleganz, lädt zum Spielen und Ausprobieren ein und stillt den Wissens-durst. Fünf � emen sind im Angebot: Bewegung umwandeln, Vorbereiten auf den Krieg, der Traum vom Fliegen/Vor-bild Natur, Fabrikationsverfahren ver-bessern und Wissen bündeln.

Bewegen und fabrizieren Seine Lehrjahre in der Werkstatt Verroc-chios und die Beteiligung am Bau des Doms zu Florenz, bei dem ein vom Ar-chitekten Brunellesci entwickelter Kran eingesetzt wurde, inspirierten Leonardo, einen ganzen Katalog mechanischer Lö-sungen zur Umsetzung von Bewegung

zu scha� en: Zahnräder und Ritzel, Schnecken- und Kettengetriebe, Federn und Bögen, Nocken und Pleuel. Davon ausgehend, zeichnete da Vinci Antriebe und Räderwerke für diverse Maschinen und Apparaturen, die Bewegungsener-gie nutzbar machten: Kräne, Sägen, Ku-gellager, hydraulische Gerätscha� en und ein selbst fahrender Wagen. Ein im-posantes Modell des modi� zierten Dombau-Krans ist zu besichtigen.

An handwerklichen Produktionspro-zessen war Leonardo besonders interes-siert und entwickelte o� traditionelle Verfahren weiter. Zu seinen Lebzeiten � orierte die Sto� ranche, besonders die

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Seidenmanufaktur. Also vertie� e sich Leonardo in die Einzelheiten der Tuch-produktion: Spinnen, Aufspulen, Weben, Kämmen und Scheren von Wolltuch, Seilerei und Filzherstellung. Er schlug unter anderem Automatisierungen für bestimmte Verfahrensschritte vor. Hier-zu existieren Modelle von Webstühlen und Spinnrädern, gefertigt nach Zeich-nungen des Meisters.

Fliegen und bekriegenDas tre� endste Beispiel für Er� ndungen nach dem Vorbild der Natur sind die spektakulären Modelle von Fluggeräten, mit mechanischem Flügelschlag oder als Gleit� ugkörper, ein Fallschirm und ein Rotorblatt. Leonardo gab sich felsenfest überzeugt von der Machbarkeit seines Flugtraums: „Ihr werdet den Menschen erleben, wie er sich dem Widerstand der Lu� entgegenstellt, ihn überwindet und in die Höhe steigt.“ Nicht zuletzt pro� -tierte der Künstler von Erkenntnissen seiner anatomischen Studien: e� ziente Statik nach dem Vorbild der Spongiosa-struktur, Gelenkmechanik oder Vernet-zung à la Gefäßsystem. Die Ausstellung ermöglicht hier einen Blick auf aktuelle Hits der Bionik und Robotik, „Animats“ von der Natur abgeschaut: unter ande-rem ein Aalroboter, das Ultraleicht� ug-zeug SmartBird und die bemerkenswer-ten Eigenscha� en von Spinnenseide.

Im 15. Jahrhundert war Krieg noch Kunst – ein kreatives und lukratives Feld für Ingenieure und Er� nder. Leonardo

arbeitete ab 1502 für Cesare Borgia als Architekt und Militäringenieur. Er zeichnete Pläne für Festungsanlagen mit belastbarer Statik und erfand neuartige Wa� en. Er erforschte zudem die Flug-bahn von Projektilen (Ballistik). Die Ausstellung zeigt Modelle des berühm-ten Panzerwagens, des Sichelwagens, der Kanonenorgel, von Wurfgeschützen und auch Leonardos Taucheranzug. Tatsäch-lich bestanden solche Er� ndungen auch Feldversuche im 1 : 1-Maßstab – nach-dem man Leonardos Copyright-Strate-gie (Spiegelschri� , Weglassen wichtiger Details) geknackt hatte.

Diese großartige Leonardo-Schau macht viel Spaß – und neugierig. Kinder emp� nden sie als große Spielwiese, Er-wachsene freuen sich über das gelunge-ne Infotainment. Wer am Ende noch den Museumsshop besucht, wird um die An-scha� ung eines Leonardo-Modellbau-kastens nicht herumkommen.

Eberhard J. Wormer

Leonardo da Vinci: Vorbild Natur – Zeichnungen und ModelleDeutsches MuseumSonderausstellungsraum 1. OGMuseumsinsel 1, 80539 München

bis 3. August 2014

Tel. 0 89-2 17 94 75; täglich 9–17 Uhr, 8,50/3 Euro

Katalog 24 Euro

www.deutsches-museum.deDa Vinci: „Die Mechanik ist das Paradies der mathematischen Wissenschaften.“

Leonardo konzipierte zahlreiche Innovationen, darunter Spinnräder und Webstühle.

Leonardos Taucheranzug war durchaus praxistauglich.

Leonardo-Präsentation im Großformat, Hi-Tech-Infotainment inklusive

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