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Einen klar festgelegten Berufsweg, der zum römischen Kaisertum führte, gab es nicht. Unter normalen Umständen wurde erwartet, dass der Sohn seinem Vater, dem Kaiser, nachfolgte. Das dynastische Prinzip war jedoch schwach verwurzelt, und es gab wichtigere Faktoren: Nero wurde Britan- nicus, dem Sohn des Claudius, vorgezogen, weil seine Mutter zu seinen Gunsten intervenierte. Nur wenige Kaiser wurden im Purpur geboren, und der erste, dem ein solches Privileg zuteil wurde – Commodus, der Sohn Marc Aurels –, versagte kläglich. Den meisten anderen Kaisern offenbarte sich erst im Mannesalter ihre Bestimmung, über Rom zu herrschen. Kaiser gingen unterschiedliche Wege, um sich des Purpurs zu bemächti- gen: Sie erlangten die Macht als rechtmäßige Erben, Erbschleicher oder – im schlimmsten Fall – Usurpatoren. Um erfolgreich zu sein, benötigten Anwärter auf den Kaiserthron ausgeprägte Qualitäten. Zunächst mussten sie aus adliger Familie stammen und Senatoren sein. Der erste römische Kaiser, der aus der zweiten Reihe der römischen Reichselite, dem Ritterstand, stammte, war Macrinus, der 217 n. Chr. auf den Thron gelangte und nur 14 Monate lang darauf saß. Lange Zeit kamen die Kaiser aus Italien: Die Familie des Augustus stammte aus Velitrae, aus dem unmittelbaren Hinterland der Hauptstadt. Die Flavier (69–97 n. Chr.) hatten ihren Ursprung in Sabina, Latium. Claudius (41–54 n. Chr.) war der erste Kaiser, der in einer Provinz geboren wurde – er erblickte im gallischen Lugdunum (Lyon) das Licht der Welt. Trajan (98–117 n. Chr.) war der erste römische Herrscher, dessen Familie seit mehreren Generationen außerhalb Italiens ansässig war. Er stammte aus der spanischen Stadt Italica, einer römischen Veteranen- kolonie. Alle diese Kaiser sprachen Latein als Muttersprache. Der erste, der mit einer anderen Sprache aufwuchs, war Septimius Severus (193–211 n. Chr.), der als Kind Pu- nisch, die Sprache des alten Karthago, gesprochen hatte. Noch exotischer war Philippus Arabs, der aus einem Dorf in der Provinz Arabien stammte, dem heutigen Jordanien. Guter Regierungsstil und die Fähigkeit, mit den wichtigsten sozialen Interessen- verbänden Roms – Senat, Armee und der städtischen plebs – zu kommunizieren, waren unabdingbare Voraussetzungen. Militärisches Können war wichtig, aber nicht zwin- gend notwendig: Augustus war alles andere als ein herausragender Feldherr, und Claudius führte nie eigenhändig ein Heer. Bildung war nützlich, obwohl es anderseits WIE MAN RÖMISCHER KAISER WIRD KAPITEL 3 44 Kopf einer Bronzestatue des Macrinus, des ersten Kaisers, der dem Ritterstand entstam- mte. Die Statue entstand ca. 217 n. Chr.; ihr Realismus markiert die Abkehr von den idealisierten Porträts der antoninischen und severischen Epoche.

Die römischen Kaiser

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Wie wurde man römischer Kaiser? Wer wurde Kaiser? Wie lebte man als Kaiser?

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Einen klar festgelegten Berufsweg, der zum römischen Kaisertum führte,gab es nicht. Unter normalen Umständen wurde erwartet, dass der Sohnseinem Vater, dem Kaiser, nachfolgte. Das dynastische Prinzip war jedochschwach verwurzelt, und es gab wichtigere Faktoren: Nero wurde Britan-nicus, dem Sohn des Claudius, vorgezogen, weil seine Mutter zu seinenGunsten intervenierte. Nur wenige Kaiser wurden im Purpur geboren, undder erste, dem ein solches Privileg zuteil wurde – Commodus, der SohnMarc Aurels –, versagte kläglich. Den meisten anderen Kaisern offenbartesich erst im Mannesalter ihre Bestimmung, über Rom zu herrschen. Kaiser gingen unterschiedliche Wege, um sich des Purpurs zu bemächti-gen: Sie erlangten die Macht als rechtmäßige Erben, Erbschleicher oder – im schlimmsten Fall – Usurpatoren.

Um erfolgreich zu sein, benötigten Anwärter auf den Kaiserthron ausgeprägte

Qua litäten. Zunächst mussten sie aus adliger Familie stammen und Senatoren sein.

Der erste römische Kaiser, der aus der zweiten Reihe der römischen Reichselite, dem

Ritterstand, stammte, war Macrinus, der 217 n. Chr. auf den Thron gelangte und nur

14 Monate lang darauf saß. Lange Zeit kamen die Kaiser aus Italien: Die Familie des

Augustus stammte aus Velitrae, aus dem unmittelbaren Hinterland der Hauptstadt.

Die Flavier (69–97 n. Chr.) hatten ihren Ursprung in Sabina, Latium. Claudius (41–54

n. Chr.) war der erste Kaiser, der in einer Provinz geboren wurde – er erblickte im

gallischen Lugdunum (Lyon) das Licht der Welt. Trajan (98–117 n. Chr.) war der erste

römische Herrscher, dessen Familie seit mehreren Generationen außerhalb Italiens

ansässig war. Er stammte aus der spanischen Stadt Italica, einer römischen Veteranen-

kolonie. Alle diese Kaiser sprachen Latein als Muttersprache. Der erste, der mit einer

anderen Sprache aufwuchs, war Septimius Severus (193–211 n. Chr.), der als Kind Pu-

nisch, die Sprache des alten Karthago, gesprochen hatte. Noch exotischer war Philippus

Arabs, der aus einem Dorf in der Provinz Arabien stammte, dem heutigen Jordanien.

Guter Regierungsstil und die Fähigkeit, mit den wichtigsten sozialen Interessen-

verbänden Roms – Senat, Armee und der städtischen plebs – zu kommunizieren, waren

unabdingbare Voraussetzungen. Militärisches Können war wichtig, aber nicht zwin-

gend notwendig: Augustus war alles andere als ein herausragender Feldherr, und

Clau dius führte nie eigenhändig ein Heer. Bildung war nützlich, obwohl es anderseits

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Kopf einer Bronzestatue desMacrinus, des ersten Kaisers,der dem Ritterstand entstam -mte. Die Statue entstand ca. 217 n. Chr.; ihr Realismusmarkiert die Abkehr von denidealisierten Porträts derantoninischen und severischenEpoche.

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schadete, wenn Kaiser allzu kunstbeflissen waren, wie das abschreckende Beispiel

Neros zeigt. Der Kaiser, der hauptsächlich Dichter und Musiker sein wollte, fiel als

Herrscher aus der Rolle.

Vom Werden eines KaisersKaum einem römischen Kaiser war die Herrschaft in die Wiege gelegt. Vor Constan -

tius II. (337–361), dem Sohn Konstantins des Großen, waren Titus (79–81) und

Commodus (180–192) die einzigen Kaiser, die Nachfolger ihrer Väter wurden. Selbst

in Dynastien, die sich lange an der Macht hielten, wie dem julisch-claudischen

Kaiserhaus, nahm die Nachfolge oft unerwartete Wendungen. Claudius war ein Über-

raschungskandidat, ausgerufen inmitten des nach Caligulas Tod ausbrechenden

Chaos, während Nero seine Erbfolge dem unersättlichen Ehrgeiz seiner Mutter Agrip-

pina verdankte, die Claudius gerade fünf Jahre vor seinem Tod geheiratet hatte.

Trotzdem musste man die Kaiser auf das höchste Staatsamt vorbereiten. Wie die

Griechen waren auch die Römer von der elementaren Bedeutung überzeugt, die Bil-

dung für einen guten Herrscher habe. Im 4. Jahrhundert v. Chr. hatte der griechische

Historiker Xenophon seine Kyropädie („Die Erziehung des Kyros“) verfasst. Das Werk

stellt Kyros, den Gründer des ersten persischen Reiches der Achaimeniden, als den

Prototyp eines tugendhaften Königs und als ein Beispiel für andere dar. Xenophon galt

Bildung, paideia für die Griechen, als Schlüssel zum guten und gerechten Herrschen:

Die hervorragende paideia, die Kyros in jungen Jahren genoss, habe reichlich Früchte

getragen, sobald er König wurde. Mit seiner Kyropädie schuf Xenophon ein völlig neu-

es literarisches Genre, das in Antike, Mittelalter und Renaissance durchgängig weite

Verbreitung genoss: als speculum principum beziehungsweise „Fürstenspiegel“.

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GEBURTSORTE DER KAISER

Dynastie

Die julisch-claudische Dynastie 27 v. Chr. – 68 n. Chr.

Die Flavier 69–96

Die fünf Adoptivkaiser und die antoninische Dynastie 69–192

Krise von 193 und die Dynastie der Severer 193–235

Soldatenkaiser 235–284

Tetrarchen 284–312

Konstantinische Dynastie 312–363

Valentinian und Theodosius 364–455

„Schattenkaiser” 455–476

Leo und Nachfolger 457–518

Rom

2

2

1

1

3

Italienaußerhalb Roms

5

1

4

2

2

1

1

Gallien/Germania

1

1

1

1

1

1

Britannia Balkan-staaten

6

7

4

6

2

Nord-afrika

2

1

1

Ägypten Kleinasien/Anatolien

2

Naher Osten

2

1

1

Unbekannt

7

1

2

2

Total

8

3

7

7

21

8

6

12

9

4

OBEN UND GEGENÜBER

Die Grafik zeigt die Geburts -orte der römischen Kaiser vonAugustus bis zur ThrakischenDynastie im Osten. Ab dem 3. Jahrhundert stammte einewachsende Zahl von Kaisernvom Balkan.

Spanien

2

2

3

– 1 Zeile

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.

LINKS

Schulszene, Relief von einemGrabstein aus Neumagen,Deutschland, ca. 180–185n. Chr. Der Lehrer (links),vermutlich ein Grieche, unter -weist seinen Schüler, der eineSchriftrolle hält. Ein zweiterSchüler (rechts) tritt ein undentbietet seinen Gruß.

Byzanz/Konstantinopel

Antioch

Alexandria

Memphis

Kyrene

Syracuse

Athen

Karthago

Kaiser, deren

Geburtsort unbekannt

ist

Rom

Italien (außerhalb

Roms)Gallien/

Germanien

Spanien

Nordafrika

Gesamtzahl von Kaisern = 85

Balkan-staaten

Kleinasien/Anatolien

NaherOsten

G E R M A N I A

12

B l a c k S e a

A T L A N T I CO C E A N

Lutetia (Paris)

Londinium

2

4

6

16

9

25

4

7

0 200 300 400 Kilometer100

100 200 300 Meilen0

M e d i t e r r a n e a n

S e a

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Als Nero nach Agrippinas Eheschließung mit Claudius designierter Kaiser wurde,

war seine Mutter bestrebt, ihrem 12-jährigen Sohn die bestmögliche Bildung zu geben.

Das Kind wurde Lucius Annaeus Seneca anvertraut, dem in Spanien geborenen Sena-

tor, stoischen Philosophen und Verfasser zahlreicher Aufsätze, Dialoge und Tragö-

dien. Seneca war eine ausgezeichnete Wahl: ein vielseitiger Intellektueller, der Nero in

Philosophie, Literatur und Staatskunst unterwies. Möglicherweise gebrauchte er die

eigenen Tragödien als Anschauungsmaterial für den Ethikunterricht. Womöglich war

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.

Einen „guten“ Kaiser zeichneten viele Eigenschaftenaus, von denen Bildung vielleicht die wichtigste war.Als Hadrian Antoninus Pius adoptierte, verfügte er,dass Antoninus Marcus Annius Verus adoptieren sollte,den künftigen Marc Aurel. Als er auf diese Weise in deninneren Zirkel der Macht eintrat, war Marcus 16 Jahrealt. Die entscheidenden Stufen der Erziehung, die einjunger römischer Aristokrat gewöhnlich genoss, hatteer bereits absolviert: Er hatte mit lateinischer Gram-matik begonnen und dann griechische Sprache und Literatur gelernt. Auf allen Gebieten hatte er vom Unterricht führender Spezialisten profitiert.

Als er etwa 18 Jahre alt war, erhielt er auch Unterricht

in Recht, Rhetorik und Philosophie. Philosophie kam auf

dem aristokratischen Stundenplan nur am Rande vor, aber

Marcus hatte rasch Gefallen an ihr gefunden. In seinen phi-

losophischen Exerzitien, bei denen er von Marcus Junius

Rusticus unterwiesen wurde, einem berühmten Stoiker,

suchte der künftige Kaiser Antworten auf die Fragen, die ihn

umtrieben. Die Stoa mit ihrer strengen Betonung von Pflicht

und Tugend sagte ihm am meisten zu. Während er viel spä-

ter gegen Markomannen und Quaden kämpfte, schrieb er

seine Selbstbetrachtungen nieder, ein Regelwerk für sein

eigenes Handeln, in dem er die stoische Philosophie auf den

Punkt brachte: „Der Tod ist, wie die Geburt, einen Offen-

barung der Natur [...]. Nichts an ihm sollte uns aus der Fas-

sung bringen.“ Und: „Lebe nicht dein Leben, als währte es

tausend Jahre, lebe jeden Tag, als wäre er dein letzter.“

Marcus’ Lieblingslehrer war jedoch kein Philosoph,

sondern Marcus Cornelius Fronto, der ihn in lateinischer

Rhetorik und Literatur unterwies. Frontos Kanon war, ver-

glichen mit dem Geschmack der Zeit, archaisch: Er zog Sal-

lust Tacitus vor und Ennius sowie Plautus den augusteischen

Dichtern Horaz, Vergil und Ovid. Intellektuell wandte sich

Marcus bald von solchen Vorbildern ab, aber er entwickelte

eine bleibende Zuneigung zu Fronto, die sich in ihrem Brief-

wechsel niederschlägt. Zu Anfang mag seine Begeisterung

für Fronto sogar eine homoerotische Komponente gehabt

haben. Als der geliebte Lehrer erkrankte, schrieb ein ver-

zweifelter Marcus: „Aber ich weiß nicht, wo mein Mut

geblieben ist; ich weiß nur, dass er unterwegs zu dir ist.“

Nachdem Marcus Kaiser geworden war, wurden die Briefe

förmlicher, aber die Freundschaft hatte Bestand.

WIE ERZIEHT MAN EINEN GUTEN KAISER?

Büste des jungen MarcAurel, ca. 140 n. Chr. Sie stammt aus der Villa des Kaisers in Lanuvium bei Rom.

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es auch Seneca, der die Leidenschaft des jungen Nero für Theater und Musik weckte

oder förderte.

Ein Manifest von Senecas Erziehungsidealen ist seine Abhandlung De clementia

(„Über die Barmherzigkeit“), geschrieben wohl 55/56 n. Chr., kurz nach Neros Thron-

besteigung. In diesem kurzen Aufsatz, in dem er den Kaiser direkt anspricht, zeichnet

der Lehrer – ganz im Stil von Xenophons Kyropädie – ein Porträt des guten Herrschers.

Seneca lobt Neros Tugend und besonders seine Barmherzigkeit, da der damals 18-Jäh-

rige – anders als alle seine Vorgänger – noch nie Blut vergossen habe. Barmherzigkeit

und die Fähigkeit zu vergeben seien die beiden Tugenden, die den guten Herrscher

vom gewöhnlichen Menschen unterscheiden:

Der rasende und erbarmungslose Zorn ziemt sich nicht für den König,

denn durch den Zorn erhebt er sich kaum über denjenigen, über den er

sich ärgert, sondern er nähert sich ihm an. Wenn er aber denen das Leben

schenkt und denen die Position belässt, die beides aufs Spiel gesetzt

haben und zu verlieren verdienen, dann tut er das, was nur tun kann,

wer Herr der Lage ist.

Anschließend erklärt Seneca Nero den Unterschied zwischen

einem ‚König‘, dem guten Kaiser, und einem Tyrannen:

Während der Tyrann überall Furcht sät, sei

der gute König derjenige, dem alle Dinge

Herzensangelegenheit sind, der, obwohl er

bald mehr, bald weniger Sorgfalt walten

lässt, sich um jeden einzelnen Teil des Staates

wie um einen Teil von sich selbst kümmert; der

selbst dort zur Milde neigt, wo für ihn Strafe gewinn-

trächtiger wäre.

Für Seneca sind Milde, Gerechtigkeitssinn, Maßhalten und Leut-

seligkeit die unabdingbaren Prinzipien des guten Herrschens.

In dem Manifest vermengt sich die Perspektive eines römischen

Senators mit dem intellektuellen Credo des stoischen Philosophen.

Die Stoa, die führende Schule der Philosophie in der frühen Kaiser-

zeit, legte viel Wert auf Selbstüberwindung und Beherrschung der

Triebe, vor allem des Zorns. Ein ethisches Leben setze Rücksicht auf

Andere und Bürgersinn voraus. Der Senator in Seneca mahnte Nero,

die politischen und sozialen Empfindlichkeiten der römischen Aristo-

kratie zu respektieren. Der gute Kaiser präsentiere sich als ein Senator

unter anderen, nicht als Herr; die rechtschaffene Herrschaft verlange

nach Bescheidenheit und Umgänglichkeit, nicht nach Prätention und

Machtdemonstrationen.

Neros Erziehung war eine Erfolgsgeschichte – wenigstens am Anfang.

Kaiser Trajan, der unter Claudius geboren wurde, bemerkte später, dass die

Marmorstatue Neros als Kind,mit Toga, ca. 48–50 n. Chr. Umseinen Hals hängt die bulla, eingoldenes Amulett, das Knabentrugen. In seiner linken Handhält er eine Schriftrolle. DieStatue könnte nach Agrip pi nasHochzeit mit Claudius in Auf -trag gegeben worden sein.

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BEKANNTE USURPATOREN

Name des Usurpators

Lucius AntoniusSaturninus

Avidius Cassius

Pescennius Niger

Postumus

Zenobia

Carausius

Magnentius

Procopius

Eugenius

Priscus Attalus

Ursupatoren gegen Jahr

Domitian

Marcus Aurelius

Septimius Severus

Gallienus

Aurelian

Maximian

Constantius II

Valens

Theodosius I

Honorius

Jahr

89

175

193

260

272

286

350

365

392

409 und 411

Stadt/Region

Mainz, Germania Superior

Naher Osten

Antiochia, Syrien

Köln, Germania Inferior

Palmyra, Syrien

Gesoriacum, Gallien

Autun, Gallien

Konstantinopel

Lyon, Gallien

Rom und Bordeaux,Gallien

Schicksal des Ursupators

Besiegt durch die Legionen in Germania Inferior und gefallen im Kampf (89).

Ermordet (175).

Besiegt durch Septimus Seve-rus in Issos (194), gefangen -genommen und hingerichtet.

Errichtete ein regionales Reich in Gallien und wurdedurch seine eigenen Soldatenin Mainz getötet (272).

Besiegt und gefangengenom-men durch Aurelian (272).

Errichtete ein regionales Reich in Britannia und Nord-gallien und wurde durch seinen eigenen Offizier er-mordet (293).

Tötete Kaiser Constans, wurde durch Constantius II besiegt beging und Selbst-mord.

Besiegt durch Valens bei Thyateira, gefangengenommenund hingerichtet (366).

Besiegt durch Theodosius undhingerichtet (394).

Zweimalige Usurpation, Un-terstützung durch die West-goten, Gefangennahme durchHonorius und Verbannung.

ersten fünf Jahre von Neros Regierung die glücklichsten waren, die Rom je erlebt

habe. Die goldenen Jahre, auf die sich Trajan bezog, verdankte man weitgehend der

Tatsache, dass Seneca und Burrus, der Präfekt der Prätorianergarde, gemeinsam die

Regierungsgeschäfte führten und Nero nur stiller Teilhaber war. Das Experiment

lief aus dem Ruder, als der junge Kaiser schließlich entdeckte, über welche Macht er

verfügte. Sein erstes Opfer wurde sein Adoptivbruder Britannicus (55 n. Chr.), danach

tötete er Agrippina (59) und später seine Gattin Octavia, Claudius’ Tochter (62).

Schließlich wurde sogar Seneca, der in eine Verschwörung gegen seinen ehemaligen

Schüler verstrickt war, zum Selbstmord gezwungen (65). Burrus war bereits 62 n. Chr.

an Krebs gestorben. Trotz aller Bemühungen Senecas, aus Nero den idealen Kaiser

zu formen, ging der letzte julisch-claudische Kaiser als Tyrann und nicht als barmher-

ziger König in die Geschichte ein. So überrascht nicht, dass einflussreiche Männer

ihn loswerden wollten.

GEGENÜBER

Der sterbende Seneca, Gemäldevon Peter Paul Rubens(1612/13). Rubens stellt Sena -cas Selbstmord im Bad dar, bei dem ihm ein Arzt zur Handgeht (rechts). Der Maler mo del -lierte seinen Seneca nach der berühm ten Statue einesFischers, von der man damalsannahm, sie stelle den Philo -sophen dar.

LINKS

Viele von denen, die nach derMacht in Rom griffen, bliebenerfolglos. Die Tabelle listeteinige der Usurpatoren auf, dievergeblich nach dem Purpurstrebten.

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.

... „das Geheimnis des Imperiums nunmehr offen zutage trete, dass nämlich ein Kaiser auch anderswo als in Rom gemacht werden könne“

Tacitus, Histories

UsurpationNur wenige römische Kaiser starben eines friedlichen Todes. Einige wurden ermordet,

andere ließen ihr Leben auf dem Schlachtfeld und einer, Valerian (260), starb in persi-

scher Gefangenschaft. Die meisten Herrscher, die gewaltsam von der Macht verdrängt

wurden, erlagen Usurpatoren: Generalen, die, gestützt auf die von ihnen geführten

Heere, den Purpur für sich reklamierten. Tacitus’ aus den Historien stammender Satz,

demzufolge – nach Neros Tod – zielte auf solche senatorischen Prätendenten.

Das Szenario für eine römische Usurpation

blieb grundsätzlich unverändert – über Jahrhun-

derte. Kaiser, denen es nicht gelang, mit denjeni-

gen Gruppierungen in Dialog zu treten, die den

Prinzipat trugen – Senat, Militär und Roms städti-

sche plebs –, verloren ihren Rückhalt. Hatte ein

Kaiser die Unterstützung einer oder mehrerer

dieser Gruppierungen verloren, stand seine Herr-

schaft am Rande des Zusammenbruchs. Schlag -

artig kam allen zu Bewusstsein, dass der Kaiser

nicht als Einziger „herrschaftstauglich“ war –

capax imperii in Tacitus’ Worten. Die senatorischen

Offiziere, denen die entlang der langen Grenzen

des Imperiums stationierten Heere gehorchten,

waren versucht, sich selbst von ihren Legionen

zum Kaiser ausrufen zu lassen. War der Präten-

dent erst einmal ausgerufen, so war ein Zusam-

menstoß mit dem amtierenden Kaiser unvermeid-

lich.

Neros Herrschaft, die sich durch eine beein-

druckende Reihe von Katastrophen auszeichnete,

stand 68 n. Chr. kurz vor dem Kollaps. Ein grau-

samer Krieg zwischen Parthern und Römern hatte

den Osten mehr als ein Jahrzehnt lang (54–66)

heimgesucht und unzählige Opfer unter römi-

schen Soldaten gefordert; 64 n. Chr. war Rom

Opfer eines Brandes geworden, der zwei Drittel

der Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte;

65 n. Chr. war ein Komplott führender Senatoren

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gegen Nero aufgeflogen, und viele Teilnehmer, darunter der angesehene Senator Piso

und der Philosoph Seneca, wurden hingerichtet oder gezwungen, Selbstmord zu

begehen; im folgenden Jahr war eine weitere Verschwörung aufgedeckt worden, in die

Gnaeus Domitius Corbulo, Neros fähigster General, verstrickt war; auch er wurde

genötigt, sich das Leben zu nehmen; schließlich hatte der Ausbruch des ersten Jüdi-

schen Krieges (66–70 n. Chr.) einen wichtigen Teil des römischen Vorderasien noch

einmal in ein Schlachthaus verwandelt.

Inmitten solcher Krisen und Katastrophen suchte der kunstbesessene Kaiser

Zerstreuung auf einer Reise durch Griechenland (66–68 n. Chr.), wo die Menge die

Auftritte des Kithara spielenden Kaisers mit begeistertem Applaus quittierte. Kein

Wunder: Der Philhellene auf dem Kaiserthron hatte die „Freiheit“ Griechenlands pro-

klamiert und sämtliche Steuern erlassen. Schwelgend in seiner eigenen Kunstbeses-

senheit hatte er jede Verbindung zur Realität verloren. Schlimmer noch: Einen Kaiser

in der Rolle des Künstlers akzeptierten die Senatoren keineswegs. Römische Aristo-

kraten, die eisern an ihren Traditionen festhielten, mochten Geschichte schreiben

oder sich allenfalls in der Dichtkunst versuchen; Auftritte als Schauspieler oder Musi-

ker hingegen waren ihrem Rang unangemessen. Ein Herrscher, der, wie Nero, auf

die Bühne stieg, fiel aus seiner kaiserlichen Rolle.

Als Nero 68 n. Chr. nach Rom zurückkehrte, hatte die Unzufriedenheit mit seiner

Regierung alarmierende Ausmaße angenommen. Die Rückkehr zu einer republika-

nischen Verfassung, wie sie einige Senatoren noch befürwortet haben mögen, kam

nun nicht mehr in Frage. Die Ereignisse, die auf Caligulas Ermordung folgten, hatten

das hinreichend klargestellt: 41 n. Chr. hatte der Senat die Restauration der Republik

kurz erwogen, war jedoch daran gescheitert, dass für das Militär ein drohendes Macht-

vakuum inakzeptabel war.

Kaum überraschend ergriff also 68 n. Chr. das Militär die Initiative. Gaius Iulius

Vindex, Statthalter der Provinz Lugdunensis in Gallien, rebellierte gegen den Kaiser.

Er erhielt Unterstützung von den einheimischen Stämmen und überredete seinen

Kollegen Servius Sulpicius Galba, den Statthalter von Terraconensis in Spanien, den

Purpur für sich zu beanspruchen. Am 3. April wurde Galba in Carthago Nova, dem

heutigen Cartagena, zum Kaiser ausgerufen. Obwohl Vindex am Ende gegen die starke

Rhein armee – deren Befehlshaber Lucius Verginius Rufus seine Entscheidung über

etwaige eigene Ambitionen über mehrere Monate hinausgezögert hatte – unterlag,

wurde Galbas Proklamation vom römischen Senat ratifiziert. An der Spitze seines Hee-

res brach der Usurpator am 8. Juni gen Rom auf. Am folgenden Tag beging Nero, der

jegliche Unterstützung verloren hatte, Selbstmord.

Nun war Galba Kaiser – zunächst unangefochten. Tacitus’ Historien geben eine

lebhafte Beschreibung seiner Persönlichkeit und der Umstände, unter denen er sein

Kaisertum antrat:

„Galba war ein kraftloser Greis [...]. Langsam war Galbas Anmarsch und blutig

[...]. Der Einzug in die Stadt: nach der Hinschlachtung so vieler tausend waffen -

loser Soldaten unheilvoll in der Vorahnung und sogar für die Mörder grauenerre-

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.

Karte des Römischen Reiches68/69 n. Chr. Sie zeigt dieDislozierung der Legionen unddie Ausgangspunkte der vierUsurpatoren.

IX Hispa

GalbaProklamation zum Kaiser in Karthago Nova, April 68

IV Mace XII Pri

V AlauXV Primig

XXI

Ort und Name der Legion

A T L A N T I K

Lutetia

Londinium

III Augu

VI Victrix

VI Victrix

XX Valaeria Victrix

II Augusta

0 200 300 400 Kilometer100

100 200 300 Meilen0

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