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Die Commedia dell’arte 1 Die Commedia dell'Arte Die Commedia dell'arte ist eine Stegreifkomödie, die etwa in der Mitte des 16. JHs in Oberitalien einsetzte 1 , nach Unteritalien ausstrahlte, dort parallele und auch kontrastierende Entwicklungen hervorrief, nachfolgend überall in Europa Wirkung hinterließ und zu Anfang des 19. JHs, nach Goldoni, ihr Ende erreichte. 1 A.K. Dshiwegelow, Commedia dell'arte. Die italienische Volkskomödie, Berlin 1958, S. 110 f. »Denn alle die Elemente, die zu unerlässlichen Kennzeichen dieses Theaters werden sollten, waren nicht plötzlich und auf einmal da, sondern fügten sich erst allmählich zu einem einheitlichen Ganzen zusammen. Allein schon der Name für diese Gattung stand nicht von vornherein fest. Das Theater nannte sich entweder >la Commedia dell'arte< oder >la Commedia a soggetto< oder >la Commedia all'improvviso<. Die erste Bezeichnung hob zum Unterschied von der Liebhaberbühne, der Hofbühne und anderen Formen des Theaters den professionellen Charakter des neuen Theaters hervor. In der damaligen Sprache bedeutete nämlich das Wort >la commedia< (...) nicht nur >Komödie< in unserem heutigen Sinne, sondern ganz allgemein >Theater< , und >l'arte< hieß im Zusammen- hang damit nicht >Kunst<, sondern >Handwerk< oder >Beruf<. Die beiden anderen Namen wiesen auf ein anderes Merkmal hin, das die neue Gattung vom >gelehrten< Theater unterschied, nämlich auf den Umstand, dass die Stücke nicht nach einem vollständig festliegenden geschriebenen Text gespielt wurden, sondern dass die Schauspieler ihren Text improvisierten, das heißt ihn an Ort und Stelle vor den Augen der Zuschauer selbst erfanden, wobei den Stücken allerdings ein geschriebenes Szenarium (il soggetto) zugrunde lag. Alle diese Bezeichnungen charakterisierten verschiedene Besonderheiten des neuen Theaters, die jede für sich von den Mit- wirkenden als Neuheit empfunden und angepriesen wurde. Die Bezeichnung Maskenkomödie kam erst später auf. «

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Die Commedia dell'Arte

Die Commedia dell'arte ist eine Stegreifkomödie, die etwa in der Mitte des 16. JHs in Oberitalien einsetzte1, nach Unteritalien ausstrahlte, dort parallele und auch kontrastierende Entwicklungen hervorrief, nachfolgend überall in Europa Wirkung hinterließ und zu Anfang des 19. JHs, nach Goldoni, ihr Ende erreichte.

1 A.K. Dshiwegelow, Commedia dell'arte. Die italienische Volkskomödie, Berlin 1958, S. 110 f.

»Denn alle die Elemente, die zu unerlässlichen Kennzeichen dieses Theaters werden sollten, waren nicht plötzlich und auf

einmal da, sondern fügten sich erst allmählich zu einem einheitlichen Ganzen zusammen. Allein schon der Name für diese

Gattung stand nicht von vornherein fest. Das Theater nannte sich entweder >la Commedia dell'arte< oder >la Commedia a

soggetto< oder >la Commedia all'improvviso<.

Die erste Bezeichnung hob zum Unterschied von der Liebhaberbühne, der Hofbühne und anderen Formen des Theaters den

professionellen Charakter des neuen Theaters hervor. In der damaligen Sprache bedeutete nämlich das Wort >la commedia<

(...) nicht nur >Komödie< in unserem heutigen Sinne, sondern ganz allgemein >Theater<, und >l'arte< hieß im Zusammen-

hang damit nicht >Kunst<, sondern >Handwerk< oder >Beruf<.

Die beiden anderen Namen wiesen auf ein anderes Merkmal hin, das die neue Gattung vom >gelehrten< Theater unterschied,

nämlich auf den Umstand, dass die Stücke nicht nach einem vollständig festliegenden geschriebenen Text gespielt wurden,

sondern dass die Schauspieler ihren Text improvisierten, das heißt ihn an Ort und Stelle vor den Augen der Zuschauer selbst

erfanden, wobei den Stücken allerdings ein geschriebenes Szenarium (il soggetto) zugrunde lag.

Alle diese Bezeichnungen charakterisierten verschiedene Besonderheiten des neuen Theaters, die jede für sich von den Mit-

wirkenden als Neuheit empfunden und angepriesen wurde. Die Bezeichnung Maskenkomödie kam erst später auf. «

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Was ist die Commedia dell'arte ?

Die CdA ist ein auf Volkstümlichkeit eingestelltes Stegreifspiel mit überwiegend maskierten2 Typen, dargestellt von wandernden Berufsschauspielern. (Die Aktion der Darsteller stand im Mittelpunkt, d.h. das Theater emanzipierte sich von der Literatur). Ehemalige Laiendarsteller schlossen sich in Venedig schon seit Ausgang des 15. Jahrhunderts zu Schauspielerverei-nigungen zusammen. (Analog in Deutschland der Zusammenschluss der Handwerkerschauspieler fürs Fastnachts-spiel.)3 Aus finanziellen Gründen auf breiten Publikumserfolg angewiesen, wurden Aufnahme und Perfektionierung POPU-LÄRER Masken und Typen vorangetrieben. Dies kam dem Stehgreif-Spiel der Ensembles durchaus entgegen. Es entstand ein Feuerwerk mimischer, musikalischer und choreografischer Einfälle. Solche professionellen Wandertruppen sind auch urkundlich belegt. Eine der ersten: Compagnia die Gelosi. (1568 Mailand, 1571 quer durch Italien, 1577 Blois, 1578 Paris, 1603 wieder Italien, 1604 wieder Frankreich)

»Die bekannteren Schauspieler, die Verbindung zu Hofkreisen hatten oder denen es gelungen war, sich einen Namen zu machen, litten keine Not. Das waren jedoch nur sehr wenige. Das Leben der ge-wöhnlichen Komödianten dagegen war sehr hart. Sie mussten in diesen Jahren der Reaktion einen schweren Kampf um das Recht zum öffentlichen Auftreten fuhren und außerdem beständig der Armut und dem Hunger Trotz bieten. Allein schon das Reisen auf den schlechten italienischen Straßen, durch unwegsame Gebirge und Schluchten, in einer Zeit, da Krieg und Banditenunwesen ohnehin jeden Rei-senden bedrohten, erforderte viel Mut, Ausdauer, Energie und vor allem viel Liebe zu der Aufgabe, der diese Menschen sich für ihr ganzes Leben verschrieben hatten.«

A.K. Dshiwegelow, Commedia dell'arte. Die italienische Volkskomödie, Berlin 1958, S. 110 f. Man spielte klassische oder aus dem Spanischen übersetzte Komödien, Stegreifstücke, in denen feststehende Ty-pen auftraten, deren Charakter durch ihre Maske gekennzeichnet war. Ihre Blütezeit hatte die CdA im Barock4.

2 INSEL-BÜCHEREI # 1007, ©1980, S. 47 - 49:

Giorgio Strehler 1947 im Zusammenhang seiner Neuinszenierung von Carlo Goldonis Arlecchino, der Diener zweier Herren:

»Mit der Maske sind wir an der Schwelle des Theater-Geheimnisses, wachen die Dämonen wieder auf, die unbeweglichen, unwan-

delbaren Gesichter, die zum Ursprung des Theaters gehören. Man stellt z. B. sehr schnell fest, dass der Schauspieler auf der Bühne

die Maske nicht mit einer gewohnten Geste der Hände berühren darf (Hand auf die Stirn, Finger auf die Augen, das Gesicht mit den

Händen bedecken etc.). Diese Gesten werden dann absurd, unmenschlich, falsch. Um seine Ausdrucksmöglichkeit wiederzufinden,

muss der Schauspieler lernen, die Geste mit der Hand zu >skizzieren<, statt sie realistisch auszuführen. Die Maske verträgt also nicht

die Konkretheit einer realen Gebärde. Die Maske ist rituell.«

»Es ist ein psychisches Phänomen, dass der Schauspieler mit der Maske sich selbst und die anderen weniger empfindet. Ihm kommt

es überdies vor, als sei er ausdruckslos; eine mächtige Waffe ist ihm genommen: das Mienenspiel. Unsere Schauspieler mussten sich

die ‚Beweglichkeit‘ der Maske erst erarbeiten. Auch hierin mussten sie eine begrabene Tradition ‚wieder-finden‘, und es gab keinen,

der ihnen dabei helfen konnte. «

Hugo Ball „Die Flucht aus der Zeit“:

»Wir waren alle zugegen, als Janco mit seinen Masken ankam, und jeder band sich sogleich eine um. Da geschah nun etwas Seltsa-

mes. Die Maske verlangte nicht nur sofort nach einem Kostüm, sie diktierte auch einen ganz bestimmten pathetischen, ja an Irrsinn

streifenden Gestus. Ohne es fünf Minuten vorher auch nur geahnt zu haben, bewegten wir uns in den absonderlichsten Figuren, dra-

piert und behängt mit unmöglichen Gegenständen, einer den ändern in Einfällen überbietend. Die motorische Gewalt dieser Masken

teilte sich uns in frappierender Unwiderstehlichkeit mit. Wir waren mit einem Male darüber belehrt, worin die Bedeutung einer sol-

chen Larve für die Mimik, für das Theater bestand. Die Masken verlangten einfach, daß ihre Träger sich zu einem tragisch-absurden

Tanz in Bewegung setzten.«

3 Der Schritt in die Berufsschauspielerei gab den Gruppen eine größere Stabilität nach innen und eine größere Mobilität nach außen.

4 Der oder auch das Barock ist eine Strömung der europäischen Architektur und Kunst, die von etwa 1575 bis 1770 währte. Dem

Barock voraus ging die kulturgeschichtliche Epoche der Renaissance (spätes 14. JH bis gegen Ende 16. JH), ihm folgte der Klassi-

zismus (ca. ab 1770 bis 1840)..

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Bilder: Jacques Callot (1592-1635): Balli di Sfessania… ((http://www.spamula.net/blog/2004/06/balli_di_sfessania.html ))

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Ursprung

Unmittelbarer Vorläufer der CdA war das Theater des Angelo Beolco (Stückeschreiber und Schauspieler), der sich den Namen seiner Hauptfigur RUZZANTE gab. Ab 1520 gastierte er z.B. jährlich beim Karneval in Venedig, wurde in die Häuser reicher Patrizier & von akademischen Kreisen eingeladen. Sozialkritisch blieb er dennoch: „Wir müssen schwit-zen, und haben dennoch nie etwas für uns; die andern jedoch, die nicht schwitzen, haben immer reichlich zu essen.“

Geht man von der Genese der Masken, Typen und ihren Namen aus, stößt man auf unterschiedliche ‚Ableitungen‘: - altrömische Atellanae5: man weiß aber nicht, auf welchem Weg sich dieses antike Volkstheater über den Zerfall des röm. Imperiums und das christliche Mittelalter hinweg in die Renaissance gerettet haben könnte.

- das joculatorische und artistische Gewerbe der Jahrmärkte; seit ewigen Zeiten auf der Straße zu Hause und mit dem Aufstieg des Warenverkehrs in der Renaissance zu neuer Blüte gekommen.

5 Diese ursprünglich aus Campanien stammende Form der Komödie war eng mit der dorischen Volksposse der Phlyaken im griechi-

schen Unteritalien verwandt und erhielt ihren Namen vermutlich daher, weil sie zum ersten Mal von Schauspielern aus der oskischen

Stadt Atella aufgeführt worden sein soll. - Das Ensemble setzte sich aus feststehenden Typen zusammen, die durch unverwechselbare

Masken und derb-grobes Spiel gekennzeichnet waren. Eine genaue Identifizierung der auf uns gekommenen Masken mit einzelnen

Typen der Atellane muss jedoch Spekulation bleiben, da diese Masken nicht beschriftet sind und sich auch keine Beschreibungen in der römischen Literatur erhalten haben.

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- der aus kultischen Wurzeln stammende Karneval mit seinen Maskenaufzügen und Narrentreiben; hierein mischten sich während des 15. JHs vermehrt auch berufsmäßige Spaßmacher (Buffoni, Mimen).

Gegen diese Herleitungen wurde allerdings auch geltend gemacht, dass der Unterschied zwischen der gehobe-nen Commedia erudita der Humanisten (die sich an den klassischen Mustern von Terenz und Plautus orientierte) und der „niederen“ Commedia dell’arte gar nicht so groß sei: a) Konzeption der Amorosi b) die Wiederkehr des Miles gloriosus als Capitano etc. CdA als Popularisierungsversuch des ‚gelehrten‘ Theaters; Commedia erudita = Pate der Commedia dell‘arte

Die Verfasser

PLOT: Die Verfasser, sehr oft die Schauspieler selbst, erweisen sich als flüchtige Kompilatoren. Ihre einzige Sorge bestand darin, die Handlung zu beschleunigen, zu vereinfachen, zu übertreiben oder so zu komplizieren, dass sie die Aufmerksamkeit des Publikums wachhielt, indem alte und neue Späße miteinander vermengt wurden. Volks-tümliche Schwänke lieferten den Stoff, um die Handlung der ehrwürdigen klassischen Komödie aufzufüllen. Doch wiederholen sich die Begebenheiten in jedem Stück: Da sind die Zwillinge, die einander nicht kennen, oder die Geschichte von dem Knaben, den die Türken geraubt oder die Eltern im Kriege verloren haben und am Ende wie-derfinden. Und wie die klassische Komödie (gegen Ende) unmoralisch und obszön war, so sind auch die Szenarien voll von derben erotischen Begebenheiten, und wie sich die klassische Komödie (zum Teil) auf recht unglaubwürdi-gen Abenteuern aufbaute, so sind die Stegreifstücke voll von Absurditäten, Wunderlichkeiten oder Torheiten. Am Ende stand stets das Happy-End, auch wenn die Figuren sich auf dem Weg dahin moralisch oft sehr zweifelhaft verhielten, nur ihren Trieben folgten. Oberflächlich betrachtet ergriff die CdA Partei für die Schwachen der Gesellschaft, aber die Moral der Stücke war doch so indifferent, dass die Mächtigen, Adel und Klerus, die nicht verspottet wurden, großen Gefallen an der CdA fanden.

SZENARIUM/CANEVAS: Die inhaltliche Zusammenfassung des zu spielenden Stücks. In Akte und Szenen eingeteilt. Angaben über Auf- und Abtritte mit entsprechenden Handlungsanleitungen und Redehinweisen.

ÜBERLIEFERUNG: Verschiedene Sammlungen solcher Spielbücher sind heute veröffentlicht; zahlreiche andere sind als Handschriften bekannt. Sie enthalten etwa tausend Komödienstoffe. Außerdem sind Ensembleszenen und Reden, die von Schauspielern oder ihnen befreundeten Schriftstellern geschrieben wurden, in zahlreichen Wer-ken veröffentlicht. Sie enthalten Prologe, Monologe, Dialoge, Tiraden, Lieder und Schwänke für den Hanswurst.

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Die Masken und Figuren

Die Masken trugen wesentlich zum Erfolg der Commedia dell'arte bei; dieses Merkmal war bereits im klassi-schen Theater vorhanden, das ja ebenfalls feste Charaktere kannte: den Greis, den Verliebten, den Schmarotzer, den Heuchler, den Pedanten, den Dieb, den naiven oder gerissenen Diener, den reichen Kaufmann und so fort. Diese Typen übernimmt die Commedia dell'arte, gibt ihnen einen Namen und eine Maske und fixiert sie in die-ser Gestalt. Unmaskiert war nur das Liebespaar. Es trug als Kostüm Kleidung gemäß der Oberschicht-Mode der Zeit. Und sprach reinstes Toskanisch, die italienische Hochsprache jener Tage.

Ein geiziger venezianischer Kaufmann (PANTALONE) und ein geschwätziger Jurist/Mediziner aus Bologna (DOTTORE) bildeten das Paar der „Alten“; ihnen entgegen stand das ursprünglich bergamaskische Dienerpaar des dummen ARLECCHINO und des schlauen BRIGHELLA.

Noch heute bezeichnet man z.B. mit TRUFFALDINO in Italien einen schlauen, betrügerischen, prahlerischen Men-schen; im Marionettentheater lebt dieser alte Typus des Dieners unverändert weiter.

Ferner bildete die Maske des bramarbasierenden Hauptmanns (CAPITANO) seit Beginn der Commedia dell'arte eine Quelle steter Heiterkeit. Zweifelsohne stammt er vom „Miles gloriosus“ des Plautus ab. Dieser Hauptmann findet sein Vergnügen darin, sich mit seiner Bildung und Tapferkeit zu brüsten; er weiß in einem Atem zweiundzwanzig Dichter zu nennen, und wenn er das Rasierbecken verlangt, so tut er es mit einer schönen Phrase aus dem Cortegiano. In fast allen Stücken gibt es einen solchen Hauptmann; heißt er nicht gerade Spaventa, so heißt er Cardone oder Mattamoro. Aber natürlich ist und bleibt er ein elender Feigling. Kaum hat er eine Forderung ange-nommen, da fällt ihm eine dringende Verabredung ein, und er weigert sich zu kämpfen, weil er befürchten muss, die Degenspitze mit dem süßen Blut seines Feindes zu verunreinigen.

Nach dem Hauptmann sind die Diener-Masken oder ZANNI zu erwähnen, deren Name wahrscheinlich eine mundartliche Form des Namens Giovanni darstellt. Die Urbilder waren Gepäckträger aus Bergamo. Sie waren in Venedig häufig anzutreffen, denn dort verdienten sie sich wie in vielen anderen Städten Norditaliens ihr Brot. Die Masken waren also dem Leben nachgebildet; Garzoni hat sie als Zeitgenosse lebendig geschildert:

Wenn du an der Piazza, vor den Toren oder am Zoll ankommst und etwas auf- oder abzuladen hast, bist du im Handumdrehen von Gepäckträgern umringt, wie wenn es zur Hochzeit ginge; im Augenblick ergreifen sie Reisetasche, Kisten und Kasten und laden alles auf einen Wagen. Behend wie die Katzen springen sie aus dem Boot, tragen deine Kisten, Pakete und Bündel heraus, binden Sie zusammen und schleppen sie auf den Schultern bis ans andere Ende der Stadt. Sie sind dickköp-figer als die Maulesel; wenn du ihnen aber nach getaner Arbeit einen Teller Suppe, ein Stück Käse oder ein paar Groschen gibst, so ist es eine Freude zu beobachten, wie sie singend und gestikulie-rend davonziehen.

Sprechende Namen

Damit alles recht komisch wirkte, erhielten sie auch doppeldeutig-witzige Namen: Pocointesta (Strohkopf), Tombolino (Purzelbaum), Coccolino (Herumhocker), Pagnotto (Brotlaib), Persutto (Schinken), Mortadella (Esels-wurst), Scappino (Angsthase), Mescolino (Dreikäsehoch), Buffetto (Rabauke), Gonnella (Weiberrock).

Arlecchino und Pulcinella.

Von den zahlreichen Zanni sind zwei in aller Welt berühmt geworden. Sie überschritten die Grenzen Italiens und erhielten in vielen anderen Ländern Bürgerrecht: ARLECCHINO und PULCINELLA.

Der Name Harlekin ist vllt. französischen Ursprungs. Die Gestalt wird 1584 zum ersten Mal erwähnt. Sie trägt eine enge Jacke mit Hosen aus verschiedenen Flicken von abenteuerlicher Gestalt; vorn ist die Jacke mit einem Streifen Stoff verschnürt, den ein schwarzer Gürtel tief auf den Hüften zusammenhält. Dazu trägt der Harlekin schwarze, niedrige Schuhe und eine kleine schwarze Mütze, die ein Kaninchenschwanz ziert; die Maske ist schwarz, zerknit-tert und behaart. Harlekin hat kleine Augen und eine stumpfe Nase und trägt einen Quersack und ein hölzernes Schwert. In der Regel ist er ein dummer aber höflicher Diener; gelegentliche Geistesblitze mildern seine Blödigkeit.

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Über die Herkunft Pulcinellas hat man viele Vermutungen angestellt. Gegen Ende des 16. JHs gab es unter den vielen Komödianten, welche auf den Plätzen der italienischen Städte auftraten, einen Bauern oder einen Komö-dianten, der die Rolle der Bauern von Acerra bei Neapel spielen wollte. Vielleicht war es ein grober Klotz mit einer komisch-satirischen Ader. Er trug entweder eine weiße Bluse oder ließ das Hemd über die Hose hängen, dazu einen engen Gurt mit dem Dolch. Darauf griff ein einfallsreicher Komödiant, Silvio Fiorillo, der bereits als Hauptmann Mattamoro Erfolg gehabt hatte, den volkstümlichen Typus auf und gestaltete ihn zu einem echten Charakter aus. Er hat eine riesige Hakennase, einen ausgestopften Bauch, einen Spitzhut oder eine Mütze, wei-te, weiße Hosen, ein Hemd. Manchmal trägt er eine schwarze Maske, bisweilen ein Horn oder ein Holzschwert.

Seine Umgestaltung in anderen Ländern ist besonders interessant. Die unwahrscheinliche Anpassungsfähigkeit macht aus Pulcinella die am schwersten fassbare Maske. Pulcinella kommt nach England als Punch, nach Frank-reich als Polichinelle.

Gewöhnlich spielte der Schauspieler der Commedia dell'arte sein ganzes Leben lang die gleiche Rolle, blieb der gleiche Typus und wiederholte die gleichen Späße und Gesten. Manche trugen auf der Bühne in zahllosen Ko-mödien auch den gleichen Namen.

Die Schauspieler

Der Schauspieler Gherardi, der interessante Erinnerungen an das italienische Theater in Paris geschrieben hat, meint über die Schauspieler:

Die italienischen Komödianten lernen nichts auswendig; sie brauchen nur einen Augenblick vor ih-rem Auftritt einen Blick auf die Handlung der Komödie zu werfen. Diese große Begabung, eine Rolle zu spielen, die der Darsteller bis kurz vor dem Auftritt gar nicht kannte, macht es so schwer, einen guten italienischen Schauspieler zu ersetzen.

Ein anderer Schauspieler namens Riccoboni schreibt in seiner Geschichte des Pariser Theaters:

Die ganze Stegreifkomödie steht oder fällt allein mit dem Spiel, denn das gleiche Thema kann auf verschiedene Weise behandelt werden und jedes Mal wie ein neues Stück wirken. Der improvisie-rende Schauspieler spielt viel lebendiger und unmittelbarer als sein Kollege, der die Rolle auswendig gelernt hat. Doch diese Vorteile werden mit großen Schwierigkeiten erkauft: Die Schauspieler müs-sen intelligent und überdies etwa gleich begabt sein, denn der Nachteil der Improvisation liegt in der Tatsache, dass auch der Erfolg des besten Darstellers von seinen Mitspielern abhängt. Wenn er mit einem Partner spielen muss, der nicht genau im rechten Augenblick antwortet oder der ihn im un-rechten Augenblick unterbricht, so ist der Flug seiner Rede unterbrochen und die Unmittelbarkeit seines Witzes verloren.

Wenn die Commedia dell'arte auch improvisiert war, so ist doch nicht zu vergessen, dass jeder Schauspieler eine Menge witziger Reden und Antworten, Scherze, Einfälle und Zweideutigkeiten auswendig wusste und für jede passende Gelegenheit bereit hielt. Letztendlich handelt es sich um die jeweils neue Interpretation von Stereo-typen und Mustern in Vorführungen innerhalb eines trainierbaren Rahmens. Gewiss erforderte das Spiel Erfin-dungsgabe und Geistesgegenwart, aber die Darsteller kamen vor der Aufführung zusammen und wurden vom Spielleiter mit dem Gang der Handlung vertraut gemacht. Jeder Komödiant konnte die Späße für seine Rolle aus Aufzeichnungen oder gedruckten Rollenbüchern auch lernen; diese enthielten - verschiedene Möglichkeiten, die Monologe aufzubauen, - Gruß- und Abschiedsformeln, - Begrüßungsworte für das Publikum, - die Terminologie für eine Liebeserklärung oder für eine Herausforderung, - Beleidigungen gegen Feinde oder Gläubiger, - die Wendungen, mit denen man Ärzte, verliebte Mädchen oder Schwiegermütter frotzelte, und so fort. Die Aufgabe des Darstellers: das Material im geeigneten Augenblick gegenwärtig zu haben und anzuwenden.

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Hierzu Niccolò Barbierei (1634):

Die Schauspieler prägen ihrem Gedächtnis die verschiedensten Dinge ein – Sentenzen, Concetti, Lie-beserklärungen, Vorwürfe, Verzweiflungs- und Wahnsinnsausbrüche, um sie im Bedarfsfalle vorrä-tig zu haben; und was sie auswendig lernen, passt genau zum Typ der Person, die sie darstellen.

Da der Schauspieler eine Maske trug, drückte er die Mimik in der Regel nicht durch die Gesichtsmuskeln aus, sondern durch seine ganze Person. Doch es trugen nicht alle Schauspieler eine Maske, so zum Beispiel nicht die Verliebten; auch wenn ein Darsteller besonders schön war, musste er ohne Maske auftreten.

Zur Mimik und akrobatischen Geschicklichkeit gesellte sich die musikalische Begabung. Tanz und Gesang gehörten zur Commedia dell'arte, und wenn man liest, dass einige Schauspieler die Stimmen von Tieren und Instrumenten nachzuahmen verstanden, so versteht man, dass diese Art Veranstaltung der Unterhaltung einem Kabarett ähnelte.

Ausbreitung und Werdegang

Karl IX. von Frankreich ließ sich bei seinen Reisen durchs Land von einer in Blois gelandeten CdA-Truppe beglei-ten. Nach anfänglichem Widerstand des Parlaments durfte die Truppe auch in Paris auftreten. für die Ausge-staltung und Weiterentwicklung der CdA sehr wichtig. Karls Nachfolger Heinrich III. von Frankreich sah 1547 in Venedig eine CdA-Truppe – und fing Feuer.

Man erkennt an diesen Ereignissen ein erhöhtes Interesse der französischen Aristokratie am neuen italienischen Theater. In Paris standen – in der 2. Hälfte des 17. JHs – italienische Schauspieler zunächst gemeinsam mit den französischen Schauspielern in dem von Molière geleiteten Theater im Palais Petit Bourbon [an den Louvre gren-

zend] und im Palais Royal [Stadtpalast, 150m nördlich des Louvre] auf der Bühne. Nach der Gründung der Comédie Française wurde das Hôtel de Bourgogne [bis zum Ende des 15. Jahrhunderts die Residenz der Herzöge von Burgund in

Paris. Im 16. und 17. JH bezeichnet mit dem gleichen Namen das schräg gegenüber liegende Théâtre de l’hôtel de Bourgog-

ne, einen Vorgänger der Comédie-Française.] gänzlich frei für sie; und hier nahm die Comédie italienne ihre endgül-tige, von den italienischen Ursprüngen abweichende, aber sich präzisierende Gestalt an.

Als man französische Phrasen, dann französische Dialoge einbaute – und schließlich, gegen die Comédie Françai-se, zur französischen Bühnensprache überging, verwischten sich die sprach-volkstümlichen Aspekte der CdA. Zugleich wurde verstärkt schriftlich fixiert, was zum Abbau des Stehgreifs und der Improvisation führte. Zudem verloren die Masken nach und nach ihre realistischen Bedeutungszusammenhänge. Aber dies förderte im Ersatz ihre Fähigkeit zu neuen Stilisierungen. So wurde z.B. aus dem dümmlich-naiven, Ess- und Trunksüchtigen Bau-ernburschen Arlecchino erst der gerissene Spaßvogel Harlequin – und später der traurige Pierrot.

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1697 wurde die Comédie italienne in Paris verboten – man witterte einen Skandal. Es löste sich auf im Pariser Jahrmarktstheater: THÉÂTRE DE LA FOIRE. Dies war aber nur möglich, weil es dieses Auffangbecken bereits gab. Mit dem Verbot von Sprechrollen war dieses Theater in seinen Spielmöglichkeiten zwar zunächst stark einge-schränkt, doch wusste es sich zu helfen: Ausweitung des pantomimischen Bereichs und Annäherung an die Mu-sik. Schließlich wurde die Ausstattung ausgebaut ZAUBERPOSSE; und Gesangsrollen eingeführt OPERA BUFFA.

Einer der führenden Stückeschreiber dieser Zeit war Alain-René Lesage6. Die Handlung der frühen Stücke diente dabei weitgehend der Aneinanderreihung komi-scher Szenen, sogenannter LAZZI, herausgelöster Buffotricks (Fliegenfangen, Maccaroni-essen Zirkusclown-Repertoire). In seinen späten Arbeiten konnte er zum Dialog zu-rückkehren und zu einer stärker psychologisch motivierten Handlung: Vorläufer Pierre Carlet de Marivaux‘.

Nach 1716 nahm man wieder Anleihen am italienischen Original; diese führte zu einer Wiederbelebung des Genres. Dadurch hatte das italienische Theater zeitgleich mit Mari-vaux7 nach 1720 eine zweite Hochzeit in Frankreich.

Im irrealen Raum seiner Komödien, den phantastischen und utopischen Handlungen, in den Verkleidungsszenen und Masken folgte er der CdA. In der Entwicklung der Handlung aus einem psychologischen Kern, in der Notwendigkeit der Szenen und ih-rer Abfolge für die Entwicklung des Problems, in der Verlagerung der Bedeutung von der Aktion zum Wort nimmt Marivaux [allerdings] Abschied vom Stehgreiftheater.

Karl Riha, Commedia dell’Arte, Insel-Bücherei 1007, © 1980, S. 63

6 z.B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Alain-Ren%C3%A9_Lesage

7 z.B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Carlet_de_Marivaux

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Aber das 18. JH (Aufklärung) ist zugleich gekennzeichnet von Abwehr und Umformung der CdA.

Johann Christoph Gottscheds8 Theaterreform in Deutschland („gegen den verderbten Geschmack des unverständigen Pöbels“) vertrieb – in einem eigens dafür geschriebenen Stück – den Hanswurst von der Bühne und traf das Stehgreiftheater im Kern. Sich beru-fend auf die französische Klassik (Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung) wandte er sich gegen jede ‚offene Form‘ und alle fruchtbare Unordnung, aus der Improvisation entstehen kann – und propagierte (wieder mal) das Prinzip des moralischen Nutzens. Henkersbeil für die Commedia-Figuren.

Er erklärt die Improvisationen der CdA als Verfall der antikisierenden Komödien des 15. JHs und zählt sie zu den

„… allerabgeschmacktesten Dingen, die nur zur Belustigung des untersten Pöbels hätten dienen können. […] In der Tat hat man aus der Erfahrung gesehen, dass das italienische Theater seit etli-chen Jahrhunderten nicht viel Kluges hervorgebracht hat. Ihre besten Komödien enthalten nichts als Romanstreiche, Betrügereien der Diener, und unendlich viel abgeschmackte Narrenpossen. Harlekin und Scaramutz sind die ewigen Hauptpersonen ihrer Schaubühne: und diese ahmen nicht die Hand-lungen des gemeinen Lebens nach, sondern machen lauter ungereimte Streiche, die einem nicht so arg träumen könnten. […] Sie binden sich an keine Einheit der Zeit und des Ortes, ja oft ist nicht mal eine rechte Haupthandlung in ihren Fabeln. Sie machen Parodien auf die ernsthaften Stücke, mitten zwischen ihren anderen Szenen; und erfüllen alles mit Geistern. Kurz […]: Man ist dieser italienischen Art schon so gewohnt, dass man von dergleichen Burlesken nichts Kluges mehr vermutet; und wenn man in dergleichen Komödien lachet, so geschieht es nicht sowohl über die Torheiten der darin auf-geführten Personen, als über die närrischen Einfälle des Verfassers solcher Spiele.“

Karl Riha, Commedia dell’Arte, Insel-Bücherei 1007, © 1980, S. 64

Andere Aspekte seiner Reform hingegen waren bereits von Molière in die Realität umgesetzt worden. Für Mo-lière war die Comédie italienne in Frankreich ein wunderbar melangierter Nährboden für seine einmaligen, übers Lächerliche ins Groteske ausgreifenden dramatischen Charakterstudien.

Italien schloss sich – vor allem durch Carlo Goldoni – ganz Molière an und wandelte im 18. JH die Typen der Komödien in Charaktere. Desweiteren wurde die Handlung wieder angereichert und ein lokales Milieu gezeichnet. Im Falle von Goldoni war dies das venezianische Alltagsleben.

„… Darstellung des ganz normal Menschlichen, […] nicht mehr durch Lazzi, Intrigen und akrobatische Geschicklichkeiten […] Dabei sind die Antriebe der achtbaren Personen durchaus bürgerlich, keineswegs heroisch-altruistisch. […] Die Personen sind in der Regel nicht lächerlich, eher rührend, und trotz des bewegten Bühnengeschehens mit seinem Allegro-Rhythmus sind wir dem bürgerlichen Drama nahe.“

Wolfgang Krömer, Die italienische Commedia dell’arte, Darmstadt 1976, S62

Kontrahent Goldonis war Carlo Gozzi, der strikt an der Stehgreif-Komödie festhielt. Goldoni musste 1762 schließ lich, literarisch und politisch angefeindet, das Feld räumen.

8 z.B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Christoph_Gottsched

Page 11: Die Commedia dell'Arte - …s63545413553d3597.jimcontent.com/download/version/1324988374/mo… · te 1 Die Commedia dell'Arte Die Commedia dell'arte ist eine Stegreifkomödie, die

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Nördlich der Alpen setzte zu Beginn des 18. JHs in Wien eine stark lokal modifizierte Commedia-Bewegung ein. Daraus enstand – bis über 1850 hinaus – das WIENER VOLKSTHEATER. Hier hieß die zentrale komische Figur Hans Wurst und später Kasper bzw. Kasperl. (Der österreichische Gottsched hieß Joseph von Sonnenfels.) Die Abläufe in Österreich waren denen in Italien und Frankreich nur zu ähnlich: - auch hier erwuchs einem ursprgl. vagierenden Gewerbe innerhalb einer Weltstadt ein festes Schauspielhaus. - auch hier verfehlte das von unten kommende Theater seine Wirkung bei den höheren u. hohen Ständen nicht. - auch hier führte der Weg von Masken und Typen zu individualisierten Charakteren. - auch hier führte der Weg vom improvisierten Stehgreiftheater (meisterlich Josef Anton Stranitzky und Gottfried Prehauser) zu einem literarischen Lustspiel (Ferdinand Raimund, Johann Nestroy)

Ein wesentliches Moment der Literarisierung resultierte aus der Fähigkeit, die komischen Figuren zu verbürgerli-chen. Man konnte aus ihrer Wandlungsfähigkeit Kapital schlagen und sie in unterschiedlichen Rollen auftreten lassen. Nicht mehr Maske und/oder festes Kostüm, sondern der populäre Schauspieler war es, der sein Publi-kum durch sein Können mitriss.

In der 2. Hälfte des 18. JHs ebbten die Bewe-gungen des italienischen Wandertheaters ab. Über 200 Jahre hatte es in ganz Europa Wir-kung hinterlassen, mal für den Moment, mal weiterreichend; in der dramatischen Litera-tur, aber auch in Malerei und Architektur (speziell Theaterarchitektur z.B. Freskenmalerei im Landshuter Schloss Trausnitz ca. 1570).

Für spätere Zeiten wichtig war die Vermitt-lung der Romantik; z.B. der Rückgriff auf Jacques Callot (s.S.3) durch E.T.A. Hoffmann.

Aus zahlreichen Quellen schöpfend und sie zur ‚modernen‘ Kunstfigur verbindend ist Hugo von Hofmannsthal mit „Ariadne auf Naxos“ (1912) noch einmal eine subtile Nachschöpfung der Commedia dell’arte gelungen. Auch H.C. Artmann ist mit „Die Fahrt zur Insel Nantucket“ eine Anknüpfung gelungen.

Weiterwirkung

Solange die Commedia dell'arte bestand, und später noch, hat sie vielen Künstlern Anregung geboten. Wir se-hen ihre Wirkung in Ben Johnsons VOLPONE; wir begegnen ihr in Strawinskijs PETRUSCHKA; Watteau übertrug ihre Stimmung auf die aristokratischen Abenteuer seiner Gemälde und Picasso ließ der Harlekin keine Ruhe. Shakes-peare boten sie Stoff für seinen STURM (THE TEMPEST), Gryphius für sein "Scherzspiel" HORRIBILICRIBRIFAX TEUTSCH und Molière zu verschiedenen seiner Komödien. Und die Anfänge des Films, die Stummfilmzeit? Buster Keaton = eine einzige Maske, Charlie Chaplins ‚Tramp‘ = Maske und Typ, Laurel und Hardy = zwei Typen. Und immer ähn-liche Gesetzmäßigkeiten der Darstellung wie bei der CdA.

Das Ende

Die katholische Kirche sowie der protestantische Puritanismus versuchten die Commedia dell'arte zu unterdrücken. Die Schauspieler rechtfertigten sich, indem sie sich auf ihre moralischen Absichten beriefen u. behaupteten, die Unmoral werde ja durch das Gelächter entlarvt, das sie hervorriefen. Es war die alte Entschuldigung: CASTIGAT

RIDENDO MORES (Lachen weist die Unmoral zurecht), aber sie hatte nicht immer Erfolg. Das 18.JH war der Meinung, Theater habe eine ernstere Aufgabe zu erfüllen als bloßen Zeitvertreib zu bieten. Die ungezwungen schlichten Komödien Goldonis und der Sturm der Französischen Revolution setzten der Commedia dell'arte ein Ende.