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1 Spezialgebiet Ethik bei Frau Mag. Barbara Steiner Dialektik im Marxismus und der Vereinigungslehre Gegenüberstellende Betrachtung zweiter Weltanschauungen von Bogdan Pammer

Dialektik im Marxismus und der Vereinigungslehre

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Page 1: Dialektik im Marxismus und der Vereinigungslehre

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Spezialgebiet Ethik bei Frau Mag. Barbara Steiner

Dialektik im Marxismus und der Vereinigungslehre

Gegenüberstellende Betrachtung zweiter Weltanschauungen

von Bogdan Pammer

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Inhaltsverzeichnis

ABSCHNITT I. GEIST UND/ODER MATERIE 3

(A) MATERIALISMUS IM MARXISMUS ...............................................................................................3 (i) Einleitung .....................................................................................................................3 (ii) Die zentrale Stellung der Materie ..................................................................................4 (iii) Geist und Bewusstsein ..................................................................................................4 (iv) Definition von Materie..................................................................................................6

(B) DIE DUALITÄT VON GEIST UND MATERIE IN DER VEREINIGUNGSLEHRE .....................................6 (i) Einleitung .....................................................................................................................6 (ii) Die Beziehung von Geist und Materie ...........................................................................7 (iii) Das Herz.......................................................................................................................8 (iv) Abbildungen und Tabellen ............................................................................................8

ABSCHNITT II. DIALEKTIK UND POLARBEZIEHUNGEN 10

(A) MARXISTISCHE DIALEKTIK ......................................................................................................10 (i) Einheit und Kampf der Gegensätze .............................................................................10 (ii) Arten der dialektischen Widersprüche.........................................................................11 (iii) Negation der Negation ................................................................................................11

(B) POLARBEZIEHUNGEN IN DER VEREINIGUNGSLEHRE..................................................................12 (i) Der Vorgang des Gebens und Empfangens..................................................................13 (ii) Dreistufenprozess und Quadrupolare Strukturen..........................................................14

ABSCHNITT III. AUSWIRKUNGEN BEIDER THEORIEN 16

(A) TABELLARISCHE ZUSAMMENFASSUNG .....................................................................................16

(B) DAS VERHÄLTNIS BEIDER THEORIEN ZUR PRAXIS ....................................................................16 (i) Das Ziel oder der Traum von einer idealen Welt..........................................................16 (ii) Zu welchen Handlungen motiviert die marxistische Theorie........................................17 (iii) Zu welchen Handlungen motiviert die Vereinigungslehre............................................18

(C) KURZES RESÜMEE....................................................................................................................19

LITERATUR 20

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Abschnitt I. Geist und/oder Materie

Die große Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie ist die nach dem Verhältnis von Denken und Sein [...], des Geistes zur Natur [...] Die Frage: Was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur? [...] Je nachdem diese Frage so oder so beantwortet wurde, spalteten sich die Philosophen in zwei große Lager. Diejenigen, die die Ursprünglichkeit des Geiste gegenüber der Natur behaupteten, also in letzter Instanz eine Weltschöpfung irgendeiner Art annahmen ... bildeten das Lager des Idealismus. Die anderen, die die Natur als das Ursprüngliche ansehen, gehören zu den verschiedenen Schulen des Materialismus. (Engels S.274)

(a) Materialismus im Marxismus

(i) Einleitung

Die wohl bedeutendste dieser materialistischen Schulen ist der Marxismus/Kommunismus. Kaum eine andere philosophische Schule hat sich so umfassend mit der Geschichte der Menschheit, den grundlegenden Prinzipien des Kosmos beschäftigt und so maßgeblich die Menschheitsgeschichte mitgeprägt. Marx und Engels entwickelten diese Ideologie angesichts der enormen Ausbeutung der Arbeiter im 19. Jahrhundert und den Barrikadenkämpfen der 1840er Jahre in verschiedenen europäischen Ländern. Mit ihrer Lehre lieferten sie die theoretische Grundlage für die weltweit entstehenden Arbeiterbewegungen, die kommunistischen Revolutionen Anfang des 20. Jahrhunderts und schließlich die realsozialistischen Staaten. Diese Arbeit befasst sich ausschließlich mit dem Dialektischen Materialismus (Diamat). Auf andere Teile der marxistisch­kommunistischen Lehre wie der Historische Materialismus oder die Politische Ökonomie wird nicht näher eingegangen. Auch die erkenntnistheoretischen Aspekte des Marxismus werden außer Acht gelassen.

Der Marxismus und die aus ihm resultierenden Bewegungen zeigen einen ausgeprägten antireligiösen Charakter.

Die sozialen Prinzipien des Christentums haben die antike Sklaverei gerechtfertigt, die mittelalterliche Leibeigenschaft verherrlicht und verstehen sich ebenfalls im Notfall dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas jämmerlicher Miene, zu verteidigen. Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Notwendigkeit einer herrschenden und einer unterdrückten Klasse und haben für die letztere nur den frommen Wunsch, die ersteren mögen wohltätig sein. Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Feigheit, die Selbstverachtung, die Erniedrigung, die Demut, kurz alle Eigenschaften der Kanaille … (Marx, Quellenlexikon S.271)

Die Römisch katholische Kirche in Deutschland und später die Russisch Orthodoxe im slawischen Raum sind für viele Marxisten der Beleg dafür, dass Religion im allgemeinen die Klassengesellschaft und somit die Ausbeutung des Proletariats unterstützt. Sie verweist auf eine jenseitige Erlösung oder „illusorisches Glück“ und hindert die Arbeiter so daran sich „wirkliches Glück“ zu erkämpfen und zu finden. Die Körperfeindlichkeit und Geistzentriertheit der Kirchen wird als daher als Übel oder Droge angesehen. Mit der Erlebbarkeit des „wirklichen Glücks“ in einer Klassenlosen Gesellschaft verliert, dieser Ansicht zufolge, Religion ihre Bedeutung. (vgl. Marx, Quellenlexikon S.270) Der russische Philosoph Nikolei Berdjajew, in seiner Jugend glühender Anhänger des Marxismus, meint in seiner Betrachtung „Wahrheit und Lüge des Kommunismus“ dazu, dass der Kommunismus

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die „Entlarvung des christlichen Versagens“ sei, für soziale Gerechtigkeit einzutreten. (vgl. Berdjajew S.36)

(ii) Die zentrale Stellung der Mater ie

Marx und Engels, die mit dem Marxismus ein umfassendes Gedankengebäude schufen, beließen es jedoch nicht bei der Kritik der Institution Kirche. Ein Grundsatz dieses Materialismus ist das „Rationalitätsprinzip“. Friedrich Engels fordert in ihm, die Welt „aus sich selbst zu erklären“ und lehnt grundsätzlich alle Erklärungsmodelle ab, die in einer transzendenten Ursache wurzeln. (vgl. Schülerduden S.99) Dieser Materialismus und die damit verbundene Ablehnung Gottes werden in einem marxistischen Lehrbrief folgendermaßen argumentiert:

Übrigens behauptet die Theologie, dass dieser Gott weder eine räumliche noch zeitliche Ausdehnung besitze … Ein solcher Gott wäre das räumliche und zeitliche Nichts und das Bewegungslose. Ein solches absolutes Nichts kann natürlich nicht der Schöpfer von irgendetwas, noch dazu der ganzen Welt, sein. Ein immaterieller, unbewegter „Erstbeweger“, ein faktisches Nichts soll als absoluter Geist oder Gott Materie und Bewegung schaffen? Das ist mit den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zu vereinbaren. Man kann an einen solchen Gott nur glauben, aber ihn nicht mit logischen und wissenschaftlichen Gründen beweisen. (marx. Lehrbrief Nr.7)

Ein außermenschlicher, außerweltlicher Geist, der dieses Sein geschaffen haben könnte, ist kein Gegenstand ernsthaften, wissenschaftlichen Denkens, sondern höchstens des Glaubens und Aberglaubens. Er ist der zunächst verselbständigte und dann verhimmelte menschliche Geist, sonst nichts. Es gibt nur das eine Sein, die eine Welt, zu der der Mensch mit seinem Geist gehört. Es gibt nicht zwei Welten, eine diesseitige und eine jenseitige. Diese jenseitige Welt ist, wie gesagt, nur die Welt des verhimmelten Menschengeistes. Die Welt ist ein einheitliches, "diesseitiges" Ganzes. (marx. Lehrbrief Nr.2)

Demnach ist Gott ein Hirngespinst, ein „verhimmelter“ menschlicher Geist, der wiederum nur in Abhängigkeit von der Materie existieren kann. Materie und die ständige Bewegung dieser werden als absolute Konstanten im Universum angesehen.

Die Wissenschaft sagt nicht nur aus, dass die Welt, so wie sie heute existiert, in Bewegung ist, sondern die Wissenschaft hat auch unumstößlich bewiesen — und zwar durch das Gesetz der Erhaltung von Masse und Energie — dass Materie und Bewegung zwar in mannigfaltiger Form existieren, aber dass sie sich immer nur in andere Formen der Materie und Bewegung verwandeln, niemals aber aus dem Nichts entstehen oder in ein Nichts verschwinden können. Sie sind unerschaffbar und unzerstörbar. (marx. Lehrbrief Nr.7)

Der marxistische Denker Ernest Mandel drückt dies so aus: „Bewegung, allgemeine Evolution beherrscht jedes Sein. Dieses ist materiell.“ (vgl. Mandel S.176) Dabei geht der Dialektische Materialismus davon aus, dass unsere Empfindungen Abbilder der Realität sind“ und die Natur oder Materie für den Menschen vollständig erkennbar ist.

(iii) Geist und Bewusstsein

Das Erreichen höherer „Geistesqualitäten“ geht im Marxismus mit der Entwicklung komplexerer materieller Systeme einher. Mandel schreibt in seiner „Einführung in den Marxismus“ dazu:

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Die Grundeinheit der Materie ist das Atom, das wiederum aus kleinen Partikeln besteht. Atome in der kombinierten Form von Molekülen, bilden zusammen die Grundelemente der Erdoberfläche und der Atmosphäre. So ergeben Wasserstoff und Sauerstoff in einer bestimmten Kombination Wasser. Andere Moleküle bilden Metalle, Säuren oder Basen. In einer bestimmten Kombination von Bedingungen brachte die Evolution der anorganischen Materie organisches Leben hervor. Aus diesem entwickelten sich Pflanzen und Tiere. […] Eine dieser Arten, die Menschenaffen, auf deren Höhepunkt eine neue Art – der Mensch – stand. (Mandel S.176)

Geistige Eigenschaften des Menschen wie zum Beispiel Bewusstsein oder Wille sind demnach das Resultat einer bestimmten Anordnung von Materie. Dieses Prinzip ist im Marxismus als Gesetzt des Umschlags von Quantität in Qualität bekannt, auf das im Abschnitt II noch eingegangen wird.

Es endet jedoch nicht bei der Einzelperson, sondern setzt sich auf sozialer Ebene fort. Die Ansammlung von Elementen der gleichen Stufe führt ab einem, nicht genauer definierten, Punkt zu einer Veränderung ihrer Eigenschaften. Dieser Vorgang kann mit der Entwicklung einer Dorfgesellschaft zu einer städtischen praktisch erläutert werden. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung eines Dorfes wächst nicht nur die verbaute Fläche oder die Anzahl von Personen in dieser Gemeinschaft. Über diese quantitative Veränderung hinaus findet an einer bestimmten Stelle eine Art „urbane Revolution“ statt. Völlig neue Berufszweige entstehen in der Region. Es zirkulieren unter den Bewohnern Dienstleistungen und Waren die in einer Agrargesellschaft undenkbar gewesen wären. (vgl. Mandel S.183)

Eine genauere Betrachtung erfordert in diesem Zusammenhang der marxistische Bewusstseinsbegriff. In „Grundlagen des Marxismus­Leninismus“, einem Hauptwerk der Sowjetphilosophie ist nachzulesen:

Die Idealisten und die Gegner des Marxismus unterstellen dem materialistischen Marxismus immer wieder, er behaupte, das Bewusstsein sei etwas Materielles. Sie tun das um den marxistischen, philosophischen Materialismus leichter „widerlegen“ zu können. Das ist ein alter Trick: Zuerst erklärt man den Gegner für dumm um ihn dass „siegreich“ kritisieren zu können. (Grundlagen des Marxismus­Leninismus S.38)

Die Ansicht unser Bewusstsein sei etwas rein Materielles wird von Sowjetphilosophen als „Vulgärmaterialismus“ abgelehnt. Für den marxistischen Materialisten ist demnach Bewusstsein eine Eigenschaft oder ein Produkt der Materie. Ein marxistischer Lehrbrief hält fest:

Das Bewußtsein ist das Produkt eines materiellen Organs, das sich in Jahrmillionen der Entwicklung des Lebens auf der Erde herausgebildet hat. Es ist „nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ (Anm. an dieser Stelle berufen sich die Autoren auf Karl Marx) (marx. Lehrbrief Nr. 7)

Genauer ist Bewusstsein die höchste Form einer „Eigenschaft“ oder „Fähigkeit“ der Materie, die als „Widerspiegelung“ bezeichnet wird. (vgl. Schülerduden S.99)

Widerspiegelung ist die allgemeine Eigenschaft und Fähigkeit der Materie in allen ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen, bei äußerer Einwirkung materieller Gegenstände durch inner Veränderung dieser Gegenstände zu reproduzieren. (Wörterbuch S.301)

Auf niederer physikalischer Ebene „spiegelt“ ein Gegenstand einfallendes Licht (oder ein Teich den Mond in der Nacht) wider und erscheint daher farbig. Eine komplexere Form dieser „Widerspiegelung“ stellt die chemische Reizbarkeit von Eiweißkörperchen, oder noch

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komplexer allgemein die Reizbarkeit von Lebewesen, dar. „Geistige“ Attribute, wie Intellekt oder Emotionen, sind demnach eine Höherentwicklung dieser Form von Reizbarkeit oder Widerspiegelung. Sie kann jedoch auch aktiv die Materie gestalten:

Das Bewußtsein des Menschen widerspiegelt nicht nur die objektive Welt, sondern schafft sie auch [...], d.h., daß die Welt den Menschen nicht befriedigt und der Mensch beschließt, sie durch sein Handeln zu verändern. (Lenin Werke Bd. 38 S.203/204 zitiert nach Giller S.24)

(iv) Definition von Mater ie

Physikalische Erkenntnisse wie die Einsteins, dass Materie und Energie Formen ein und desselben sind, forderten die marxistische Philosophie zu einer Neudefinition des Begriffs „Materie“ heraus. Demnach definierte Lenin Materie wie folgt:

Die Materie ist eine philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven Realität, die dem Menschen in seinen Empfindungen gegeben ist, die von unseren Empfindungen kopiert, fotografiert, abgebildet wird und unabhängig von ihnen existiert. (Lenin S.124)

Diese Definition ist auch heute noch durchaus maßgebend. Unter dem Stichwort Materie wird man auch heute auf Wikipedia mit Lenins Erklärung konfrontiert.

(b)Die Dualität von Geist und Materie in der Vereinigungslehre

(i) Einleitung

Bei der Vereinigungslehre handelt es sich um die Lehren und Offenbarungen des Rev. Sun Myung Mun, die zum ersten Mal in den 1950er Jahren niedergeschrieben wurden. Im Laufe seines geistlichen Amtes sind diese von seinen Nachfolgern systematisiert worden. Rev. Mun stammt aus einer ursprünglich konfuzianistischen Familie, die sich in seiner Kindheit zum Christentum bekehrt hat. (vgl. offizielle Website) Muns Lehre kommt demnach aus einem koreanisch christlichen Hintergrund, geht jedoch weit darüber hinaus. Er und seine Nachfolger bezeichnen die Vereinigungslehre als universell und essentiell für die Lösung aller Probleme, mit denen sich die Menschheit konfrontiert sieht. Diese Arbeit befasst sich ausschließlich mit der Sicht der Vereinigungslehre auf den Ursprung des Kosmos, die Beziehung von Geist und Materie, sowie auf die Prinzipien der Dialektik. An vielen Stellen spricht Rev. Mun davon, dass der Kommunismus „besiegt“ oder „zerstört werden muss.“ In denselben Ansprachen macht er jedoch oft auch Aussagen, die diesen Worten völlig zu widersprechen scheinen:

In der Welt gibt es grob gesagt zwei große Ideologien, nämlich Demokratie und Kommunismus. Sie sind miteinander in Konflikt. Es ist der, weltweite Ebene ausgedehnte, Kampf zwischen Kain und Abel. Dies ist der Kampf zwischen Brüdern. Es müssen daher Eltern kommen, um die Disharmonie zwischen den Brüdern auszusöhnen. (Mun bei einer Ansprache am 20. Oktober 1974 in Barrytown, New York)

In diesem Kontext ist es von Bedeutung zu erwähnen, dass Sun Myung Mun 1948 zu 5 Jahren Zwangsarbeit in einem Nord Koreanischen Arbeitslager verurteilt worden ist. 1971 gründete Mun die „International Federation for Victory Over Communism“. (vgl. offizielle Website) Mehr zu den Aktivitäten der Vereinigungsbewegung mit Kommunismus­Bezug findet sich in Abschnitt III dieser Arbeit.

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(ii) Die Beziehung von Geist und Mater ie

Vereinigungslehre und Marxismus unterscheiden sich grundlegend in ihrem Ausgangspunkt, von dem aus versucht wird des Kosmos zu erklären. Die ersten Sätze des ersten Kapitels des „Göttlichen Prinzips“ machen diesen Unterschied fest:

Aus tiefster Seele suchten Menschen zu allen Zeiten nach Antworten auf die existenziellen Fragen über das menschliche Leben und das Universum, doch ohne wirklichen Erfolg. […] Um diese Fragen zu lösen, reicht es nicht die sichtbare Wirklichkeit zu untersuchen. Das zentrale Thema ist hierbei die ursächliche Realität. Die Hintergründe des Menschlichen Lebens und der Existenz des Universums können nicht ohne ein Verständnis um das Wesen Gottes geklärt werden. (Das Göttliche Prinzip S.19)

Eine Aussage das dem „Rationalitätsprinzip“ des Marxismus widerspricht. Die Vereinigungslehre besagt, dass das Universum nicht aus sich selbst heraus erklärt werden kann. So wie ein Bild den Charakter eines Künstlers ausdrückt, drückt sich die erste Ursache im Kosmos aus. Diese erste Ursache wird als Gott bezeichnet. Rev. Mun sagt dazu:

Wir sind das Resultat einer Ursache. Es muß also irgendeine Ursache existieren, die unerläßliche Realität ist. Welchen Namen wir für diese Ursache wählen, spielt keine Rolle. Das Wichtigste ist die Tatsache, daß sie existiert. (Mun Glaube und Wirklichkeit S.15)

Das Betrachten und Untersuchen der Schöpfung kann uns, der Vereinigungslehre nach, helfen die erste Ursache besser zu erfassen. (vgl. Das Göttliche Prinzip S.20)

Das erste Prinzip im das die Vereinigungslehre beschreibt ist die Polarität Yang und Yin, oder Maskulinität und Femininität. Vom Wechselspiel zwischen Proton und Elektron auf atomarer Ebene, über die Polarität von Staubgefäß und Fruchtknoten im Pflanzenreich bis hin zu Mann und Frau beim Menschen ist dieses Prinzip im gesamten Kosmos präsent. (vgl. Abb.1) Demnach muss, gemäß der Vereinigungslehre, auch Gott, der transzendente Ursprung, diese Polarität in sich vereinigt haben. Diese Form der Polarität wird als horizontal bezeichnet, was Gleichwertigkeit ausdrücken soll. (vgl. Das Göttliche Prinzip S.20, Giller S.48 ff)

Eine weitere und noch fundamentalere Struktur, nach der das Universum aufgebaut ist, sieht die Vereinigungslehre in der Polarität von „innerem Wesen“ und „äußerer Gestalt“. Durch die Kombination von Tönen mit Frequenz, Wellenlänge, Amplitude usw. (Äußerer Gestalt) werden Gefühle des Komponisten (Inneres Wesen) ausgedrückt. (vgl. Abb.2)

Wie die jüngsten Erkenntnisse der Physik gezeigt haben, lassen sich Energie und Masse nicht mehr voneinander trennen. Sie hängen über die Einsteinformel E=mc² zusammen. … Das bedeutet daß die „Energie“ der Grundstoff aller Materie ist. Was ist es nun, das die Energie in ihre Form bringt? Was bewirkt, daß aus derselben Energie einmal ein Photon, einmal ein Elektron, Proton, Meson etc. entsteht? Bei allen diesen Teilchen ist die Äußere Wesensart (Anm. Äußere Gestalt) gleich, die Innere Wesensart (Anm. Inneres Wesen) jedoch verschieden. (Giller S.41 f)

Diese Form der Polarität wird in der Vereinigungslehre als „vertikal“ bezeichnet. Das Innere Wesen steht dem Äußeren gegenüber in der Subjektposition und drückt sich dadurch aus.

Die Aussage, „Geist (Anm. Inneres Wesen) und Körper (Anm. Äußere Gestalt) sind zwei, wechselseitig in Beziehung stehende, Aspekte des Menschen“ (vgl. Das Göttliche Prinzip S.21), erläutert die Auffassung von Geist (Inneres Wesen) und Materie (Inneres Wesen) in der

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Vereinigungslehre weiter. Inneres Wesen, z.B. die Gefühle des Komponisten, Naturgesetze oder der menschlicher Geist, und Äußere Form, z.B. Töne, Energie, der menschliche Körper, benötigen einander um ihren gemeinsamen Zweck zu erfüllen. (siehe Stichwort Herz unten) Der Vereinigungslehre nach muss wiederum auch Gott diese beiden Polaritäten in sich vereinigt haben. Dieser Äußere Aspekt Gottes wird als „Universale Ursprungs­ energie“ bezeichnet. Diese Energie wird als „Ursprung aller Energien und Kräfte“ bezeichnet, „welche die Existenz geschaffener Wesen ermöglichen“. (vgl. Das Göttliche Prinzip S.26)

Mit diesen Erklärungen entzieht sich die Vereinigungslehre der marxistischen Religionskritik (siehe I.a.ii), die sie für teilweise gerechtfertigt hält. (vgl. Giller S.26, Das Göttliche Prinzip S.9 ff) Eine exakte Erläuterung der Universalen Ursprungsenergie bleibt die Literatur der Vereinigungsbewebung jedoch schuldig.

Der Vereinigungslehre nach trägt jede Wesenheit die Polaritäten von Yang und Yin, sowie die von Innerem Wesen und Äußerer Form, in sich. Doch auch Beziehungen zwischen Wesenheiten entsprechen diesen Prinzipien. Die Beziehung zwischen Gott, dem Ursprung des Universums, und dem Universum wie folgt zusammen:

Das Universum in seiner Gesamtheit ist substantieller Objektpartner Gottes. Das Universum ist aus zahllosen, einzigartigen Manifestationen der polaren Wesenszüge Gottes gebildet, [...]. (Das Göttliche Prinzip S.25)

(iii) Das Her z

Die Vereinigungslehre kann entsprechend der, oben angeführten, Einteilung der Philosophien von Engels, weder den materialistischen Richtungen, noch denen des Idealismus zugeordnet werden. Im Zentrum der Vereinigungslehre steht ein neuer Begriff, das Herz (kor.심정, chin. 心情, Schim Tschông). Der Vereinigungslehre nach treten Inneres Wesen und Äußere Form ausgerichtet auf das Herz, ihren gemeinsamen Zweck oder Sinn, in Beziehung. Das Herz ist daher die Essenz des Wesens Gottes und die treibende Kraft für die Erschaffung des Universums.

Es (Anm. das Herz) ist der zentrale Kern Gottes und des Menschen. Als innerster Bereich bestimmt das Herz ganz wesentlich die Persönlichkeit eines Menschen. Aus dem Herz entströmen alle Impulse der Liebe. Der Impuls des Herzens ist ununterdrückbar. Aus dem Herzen entspringt die Sehnsucht nach einem Gegenüber, mit dem man sein Leben in ganzer Fülle teilen kann. Gottes Herz ist von so großer Bedeutung, dass alle Seine anderen Eigenschaften davon bestimmt sind. Die gesamte Schöpfung ist ein Ausdruck von Gottes Herz. (Das Göttliche Prinzip S.461)

(iv) Abbildungen und Tabellen

Abb. 1 Positivität (Anm. Yang) Negativität (Anm. Yin)

Elementarteilchen Positive Ladung Negative Ladung Atome Positiv Negativ Moleküle Kation Anion Geosysteme Land Meer Pflanzen Staubgefäße Fruchtknoten Tiere männliche Tiere weibliche Tiere Mensch Mann Frau (Giller S.54)

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Abb. 2 Innere Wesensart Äußere Wesensart

Elementarteilchen Innerer Charakter des Teilchens*

Energie

Atome Innerer Charakter des Atoms*

Teilchen (Atomkörper)

Moleküle Innerer Charakter des Moleküls*

Atome (Molekülkörper)

Geosysteme Innerer Charakter des Geosystems*

anorganische Materie (Himmelskörper)

Pflanzen Pflanzenpsyche Pflanzenkörper Tiere Tierpsyche Tierkörper Mensch menschlicher Geist menschlicher Körper

* Man sieht, in der wissenschaftlichen Sprache sind keine differenzierten Begriffe dafür vorhanden, was wiederum zeigt, dass die Forschung sich bis jetzt kaum mit diesen Dingen auseinandergesetzt hat. (Giller S.47)

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Abschnitt II. Dialektik und Polarbeziehungen

(a)Marxistische Dialektik

Im Marxismus sind Materie und ihre ständige Bewegung grundlegend für jegliche Existenz. Weiters kann die Welt nur aus sich selbst heraus erklärt werden (Rationalitätsprinzip). Der Diamat vertritt dennoch ausdrücklich das Kausalitätsprinzip. „Jede Bewegung hat eine Ursache. Die Kausalität ist eine der grundlegenden Kategorien der Dialektik, wie jeder Wissenschaft.“ (vgl. Mandel S.181) Demnach funktioniert das Universum trotz ständiger Bewegung und Veränderung nach Gesetzten, auf die wir in den folgenden Seiten eingehen werden. Ursache für die ständige Bewegung der Materie ist „Das Gesetzt der Einheit und des Kampfes der Gegensätze“, das wie folgt lautet:

(i) Einheit und Kampf der Gegensätze

Es besagt, daß allen Gegenständen, Erscheinungen und Prozessen der objektiven Realität innere Widersprüche eigen sind, deren Wirken die Quelle aller Bewegung und Entwicklung ist. Alle Gegenstände, Erscheinungen und Prozesse haben entgegengesetzte Seiten, Tendenzen, Bestrebungen (Gegensätze), die eine Einheit bilden, sich wechselseitig ausschließen und zugleich durchdringen. Die Einheit der Gegensätze ist relativ, ihr „Kampf“, d.h. ihr Gegeneinanderwirken, dagegen absolut: Das führt schließlich dazu, daß die bestehende Einheit aufgehoben wird und eine neue Einheit entsteht. (Wörterbuch S.126)

Eine fundamentale Ursache jeder Bewegung und jeder Veränderung sind die inneren Widersprüche des sich verändernden Objektes. Letztlich wird jedes Objekt, jede Erscheinung, Veränderung, Bewegung verwandelt und verändert durch den Einfluß ihres immanenten Widerspruchs. (Mandel S.182)

Dem dialektischen Materialismus zufolge kann es bei völliger Homogenität keine Bewegung und kein Leben geben. Ein marxistischer Lehrbrief untermalt dieses Gesetzt mit anschau­ lichen Beispielen.

Nun mag uns jemand sagen: „Ich sehe dort eine Blume stehen, eine Nelke. Sie ist rot, ich rieche ihren Duft. Aber einen inneren Widerspruch kann ich nirgends entdecken." Beim bloßen, oberflächlichen Betrachten können wir die inneren Widersprüche tatsächlich nicht entdecken. Aber wenn wir die Lebensvorgänge in dieser Blume oder einer beliebigen anderen Pflanze näher untersuchen, dann stoßen wir auf gegensätzliche Prozesse: Aufbau- und Abbauprozesse von Pflanzenzellen, Assimilation und Dissimilation, Wachsen und Absterben. Haben wir also die Pflanzen in ihrer Bewegung, in ihrer Veränderung, in ihrer Entwicklung im Blickfeld, [...] entdecken die ihr innewohnenden Widersprüche. (marx. Lehrbrief Nr.7)

Die marxistische Literatur führt auf allen Ebenen Beispiele für dieses Gesetzt an, von den gegeneinander gerichteten Kräften der Physik, bis hin zum Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit in der menschlichen Gesellschaft.

Im der marxistischen Philosophie wird zwischen zwei Arten von Widersprüchen unterschieden, den so genannten „inneren“ und „äußeren“ Widersprüchen.

Entscheidend sind also die inneren Widersprüche. Tritt zum Beispiel zwischen einem Organismus und seiner Umwelt durch Veränderung der Umwelt ein äußerer Widerspruch auf, so wird sich der Organismus solchen Änderungen anpassen oder zugrunde gehen, nicht aber sich entwickeln. Äußere Einwirkungen haben eine auslösende, fördernde oder hemmende

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Wirkung, aber sie üben diese Wirkung nur im Zusammenhang mit den jeweiligen inneren Widersprüchen aus. Fördernde Wirkung geht vom antiimperialistischen Freiheitskampf der Völker der sogenannten dritten Welt auf die imperialistischen „Mutterländer" nur insoweit aus, als die Arbeiterklasse solche Einflüsse aufnimmt und sie ihrerseits mit ihren eigenen revolutionären Aktionen verbindet. Die Revolution entspringt jeweils inneren Widersprüchen. Sie ist kein Exportartikel. (marx. Lehrbrief Nr.7)

(ii) Ar ten der dialektischen Wider sprüche

Weiters ist es wichtig hervorzuheben, dass auch zwischen antagonistischen und nichtantagonistischen Widersprüchen unterschieden wird. Nichtantagonistische sind grundlegend für jedes sein und ewig. Antagonistische Widersprüche werden in der klassenlosen Gesellschaft aufgehoben und überwunden sein.

Als antagonistisch bezeichnet man die Widersprüche zwischen sozialen Gruppen oder Klassen, deren grundlegende Interessen unversöhnlich sind. (Grundlagen Marxismus­Leninismus S.90)

Diese Widersprüche erfordern die Weltrevolution und werden mit ihr endgültig beseitigt sein. Der Widerspruch innerhalb einer Pflanze, durch den sie Wächst, oder der von Angebot und Nachfrage hingegen als nichtantagonistisch und essentiell für Leben und Existenz fortbestehen.

Auf das Gesetzt von Einheit und Kampf der Gegensätze aufbauend finden sich im Diamat zwei weitere Grundgesetzte, die nun die die Art und Weise von Veränderung und Bewegung im Universum eingehen. Auf das Gesetzt des Umschlags von Quantität in Qualität wurde bereits an früherer Stelle genauer eingegangen. Es sei nur festgehalten, dass Veränderung und Weiterentwicklung auf eine höhere Stufe aus mehreren Elementen einer niedrigeren Ebene, die miteinander in Beziehung treten, heraus geschieht. Das Gesetzt der Negation der Negation erläutert nun genauer wie Entwicklung im Allgemeinen vor sich geht.

(iii) Negation der Negation

Jede Bewegung hat die Tendenz, die Negation eines gegebenen Phänomens hervorzurufen, das Objekt in sein Gegenteil zu verwandeln. (Mandel S.184)

Auch dieses grundlegende Gesetzt der marxistischen Philosophie, wie viele ihrer Grundlagen, stammt von Hegel. Wie vorhin erklärt ist das Universum von Gegensätzen durchzogen, die sich in ständiger Bewegung oder ständigem Kampf befinden. Sobald daher eine Position, eine These, eine Entität entsteht, stellt sich ihr ein Gegensatz entgegen, der sie negiert. Es bleibt jedoch nicht dabei und es liegt in der Natur der Sache, dass diese neue, entgegengesetzte Position negiert wird. In diesem Prozess von Negation und Negation der Negation erreicht die Position, die These oder die Entität eine neue Ebene. Bedeutende Sowjetdenker schreiben in den „Grundlagen der marxistisch­leninistischen Philosophie“ dazu:

...infolgedessen tritt die dialektische Negation nicht als bloße, sinnlose Negation auf, die alle vorangegangenen Entwicklungen negiert, sondern als Entwicklungsbedingung, welche den ganzen positiven Inhalt, der voraufgegangenen Stufen in sich aufbewahrt, einige Züge der Ausgangsstufe auf höherer Ebene wiederholt und im ganzen fortschreitenden, aufsteigenden Charakter trägt. (Grundlagen marxistisch­leninistische Philosophie S.319)

Vom Standpunkt der formalen Logik scheint dieses Denken fremd. Das Gegenteil von Nicht­ A wäre für Aristoteles natürlich A, dem Denken Hegels und Marx’ nach entsteht in diesem

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(dTV­Atlas S.168)

dialektischen Prozess durch die Verneinung eine Art Neu­A oder Über­A. Ernest Mandel schreibt dazu, dass die Dialektik nachweislich der Praxis mehr entspricht und die Formallogik „in sich aufnimmt“. (vgl. Mandel S.180­181)

Durch das Wirken des Gesetzes der Negation der Negation hat die Entwicklung nicht die Gestalt einer Linie, sondern eines Kreises, bei dem der Endpunkt mit dem Anfangspunkt zusammenfällt. Da sich jedoch Anfangs- und Endpunkt nicht treffen, sondern der Endpunkt auf einer höheren Ebene liegt, erhält die Entwicklung die Gestalt einer Spirale. (Grundlagen marxistisch­leninistische Philosophie S.147)

Zwei Beispiele sollen dieses Prinzip nun Illustrieren:

Die primitive, klassenlose Gesellschaft hatte einen höher entwickelten inneren Zusammenhalt, der sich gerade aus ihrer Armut und ihrer fast totalen Abhängigkeit von den Naturgewalten ergab. Die Klassengesellschaft ist ein Stadium der zunehmenden Beherrschung der Naturkräfte durch die Menschheit. Der Preis dafür ist der tiefe Widerspruch und das Auseinanderfallen der gesellschaftlichen Solidarität. In der sozialistischen Gesellschaft wird diese Negation aufgehoben, die größte Beherrschung der Naturkräfte wird verbunden sein mit einer höheren Form gesellschaftlichen Zusammenhalts gesellschaftlicher Kooperation dank der Existenz der klassenlosen Gesellschaft. (Mandel S.184)

Engels selbst hat zur Veranschaulichung des dialektischen Prozesses die Entwicklung eines Gerstenkorns gewählt. Das Gerstenkorn trägt in sich den Widerspruch von Korn und Pflanze in sich. Wenn das Getreidekorn nun in die Erde fällt, wird es dort negiert und die Pflanze sprosst. Später wird die Negation, die Pflanze, wiederum negiert. Das heißt sie stirbt ab, bringt jedoch eine Vielzahl an neuen Körnern hervor, womit eine neue Ebene erreicht wird. Wie oben erklärt ist der Prozess wieder beim Gerstenkorn, dem Ausgangspunkt angelangt, jedoch auf einer höheren Ebene, denn die Anzahl hat sich vervielfacht. Auch der Umschlag von Quantität in Qualität findet sich in diesem Bild wider. Die Anzahl der Zellen des Korns erhöht sich und eine Pflanze mit völlig neuen Qualitäten entsteht. (vgl. dTV­Atlas S.169) Am Beispiel Gerstenkorn soll im nächsten Kapitel auch die Position der Vereinigungslehre veranschaulicht werden, umso Gleichheiten und Unterschiede dieser beiden Denkrichtungen zu verdeutlichen.

(b)Polarbeziehungen in der Vereinigungslehre

Die Vereinigungslehre sieht den Aufbau des Kosmos ähnlich wie der Marxismus. Ohne den, bereits im Abschnitt 1 dargelegten, Polaritäten wäre alles homogen und tot, durch die „Spannung“ zwischen den Polen entsteht Bewegung und Leben. Die Interaktion zweier Polaritäten wird im Gegensatz zur marxistischen Lehre jedoch als etwas Harmonisches beschrieben. Ebenso wurde bereits angeschnitten, dass der Vereinigungslehre nach für die Interaktion der Polaritäten ein gemeinsames Zentrum notwendig ist. Auf die Prinzipien der Interaktion und die Muster und Strukturen hinter Wachstum und Neuenstehung soll im folgenden Teil eingegangen werden.

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(i) Der Vorgang des Gebens und Empfangens

Durch die Wirkkraft der Universalen Ursprungsenergie bilden die Subjekt- und Objektelemente jeder Wesenheit eine gemeinsame Grundlage und treten zueinander in Wechselbeziehung. Diese Wechselbeziehung erzeugt wiederum Kräfte, die für Existenz, Vermehrung und Aktivitäten der Wesenheit erforderlich sind. Die Wechselbeziehung erzeugt die Kräfte in einem Prozess, der Vorgang des Gebens und Empfangens genannt wird. (Das Göttliche Prinzip S.27)

Der Vereinigungslehre nach wohnt allen Dingen im Universum diese erste, von Gott ausgehende, Energie (Universale Ursprungsenergie) inne. „Sie ist der unsichtbare ‚Innere Charakter’ zu den äußeren Anziehungserscheinungen und eine Eigenschaft jeder Existent.“ (vgl. Giller S.84) Sie ermöglicht es den Polen in Beziehung zu treten. Um einen dynamischen Austauschprozess zu starten, müssen die beiden Beziehungspartner zuerst aneinander „ankoppeln“. In „Das Göttliche Prinzip“ wird diese Vorbedingung als „gemeinsame Grundlage“ bezeichnet, bei Giller heißt sie „korrelative Basis“. (vgl. Giller S.82ff, Das Göttliche Prinzip S.27f)

Die Ansicht der Vereinigungslehre, dass Interaktion zwischen und innerhalb aller Entitäten essentiell ist, kann durchaus mit Satz „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile“ in Verbindung gebracht werden, dem zum ersten Mal von Aristoteles überliefert worden ist. Jede Wesenheit zieht aus dem Geben und Empfangen der, ihr innewohnenden, Polaritäten die Energie für ihre Existenz. Das Obwohl das Göttliche Prinzip hierzu eine breite Palette an Beispielen anführt, werden wir uns an dieser Stelle auf das erprobte Atom beschränken:

Beispielsweise entstehen Atome, sobald sich Elektronen um einen Atomkern sammeln und mit ihm in elektromagnetische Wechselbeziehung treten, das heißt, den Vorgang des Gebens und Empfangens untereinander aufnehmen. (Das Göttliche Prinzip S.27)

Doch auch die Vereinigungslehre unterscheidet zwischen den Vorgängen von Geben und Empfangen innerhalb einer Wesenheit die ihre Existenz sichert und aufrechterhält und der Form des Gebens und Empfangens zwischen Entitäten. Diese zweite Form dient immer einem Zweck der über die Grenzen hinausgeht, zum Beispiel dem Funktionieren eines Ökosystems. Der Vereinigungslehre nach entstehen durch die höchste Form einer solchen Interaktion Freude und Glück. Rev. Mun dazu:

Du freust dich nicht über die Existenz einer Blume, sondern darüber, dass du sie sehen kannst. [...] Daß du einen Gefährten hast, macht dich nicht glücklich, sondern die Tatsache, daß du ihn sehen, mit ihm reden und mit ihm zusammensein kannst. Zum Glücklichsein ist eine Wechselbeziehung notwendig. Das trifft sowohl für den Menschen als auch für Gott zu. (Mun Glaube und Wirklichkeit S.16)

Giller führt dazu weiter aus:

Die Polarbeziehung gilt natürlich nicht nur für den physischen Bereich. Gerade die fundamentalen geistigen Kräfte und Erscheinungen wie Liebe, ästhetisches Empfinden, Freude etc. können durch die Polarbeziehung in einen kosmischen Gesamtzusammenhang gebracht werden. Liebe oder „Eros“ [...] ist die aktive, ausgebende, aggressive Kraft, die eine Persönlichkeit auf ein Objekt richtet. Das Objekt kann vielfältiger Natur sein. Wer Liebe ausgibt, befindet sich automatisch in einer Subjektposition.

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Die dazu polare Kraft ist nicht Gegenliebe, die ja auch aktiv ist, sonder eine passive anziehende Kraft, die wie ein Magnet Liebe auf sich zieht. [...] Wir nennen diese Kraft „Charis“ [...] (Anmut, Liebreiz, Gunst). Sie ist die Basis jeder Schönheit und jedes ästhetischen Empfindens. Eros und Charis können sich nur in einem Kreislauf entwickeln. Die Schönheit eines Dinges entfaltet sich erst, wenn man ihm eine aktive geistige Kraft widmet, Aufmerksamkeit oder Liebe. In den menschlichen Beziehungen senden beide Partner sowohl Eros als auch Charis aus, erfüllen sowohl die Subjekt- als auch die Objekt-Position und bilden dadurch eine vollkommen Einheit. Freude entsteht durch die Harmonie einer Polarbeziehung. Wenn ein Subjekt sein Inneres Wesen und seine Vorstellung in einem Objekt verwirklicht sieht, entsteht Freude gleichermaßen im Subjekt als auch im Objekt. Ein Künstler freut sich zum Beispiel über ein gelungenes Werk, da es sein Inneres Wesen ausdrückt. Er ist aber traurig, wenn es ihm misslingt, daß [sic!] heißt, wenn es sein inneres Wesen nicht reflektieren kann oder wenn es von anderen mutwillig zerstört wird. (Giller S.86­87)

In den vorangegangen Erläuterungen ist immer wieder von einem „höheren Zweck oder „kosmischen Gesamtzusammenhang“ gesprochen worden, sowie von Grundlagen für Vorgänge des Gebens und Empfangens. Diese Aspekte werden in der Vereinigungslehre mit dem „Dreistufenprozess“ oder dem Prinzip der „Quadrupolaren Strukturen“, auch „Vier­ Positionen­Grundstruktur“, erklärt.

(ii) Dreistufenprozess und Quadrupolare Str ukturen

Wie im Marxismus wird in der Vereinigungslehre das Entstehen komplexerer Strukturen durch die Ansammlung von Wesenheiten einer geringeren Stufe erklärt, siehe Gesetzt vom Umschlag von Quantität in Qualität. Für die Vereinigungslehre ist es jedoch essentiell, dass dieser Vorgang nicht irgendwie zufällig vor sich geht. Ihrer Ansicht nach ist immer ein gemeinsamer Zweck und Plan, also etwas geistiges, notwendig, der die beiden ontologisch unterschiedlichen Pole in Harmonie bringt und Geben und Empfangen ermöglicht. Diese Einheit bildet die komplexere Struktur. (vgl. Das Göttliche Prinzip S.30f) Hier unterscheiden sich Marxismus und Vereinigungslehre grundlegend.

Herbert Giller wählt in seinem Werk „Was kommt nach dem Kommunismus?“ ein Beispiel um ein intuitives Verständnis von dem zu vermitteln, was in der Vereinigungslehre als „Dreistufenprozess“ bezeichnet wird. Er schreibt, dass Papier und Bleistift, die nebeneinander auf einem Tisch liegen, noch lange keine Zeichnung ergeben. Ein Mensch, geleitet durch ein Motiv, muss den Bleistift ergreifen und ihn mit dem Blatt in Beziehung bringen. Eine Zeichnung entsteht. Der „Ursprung“ oder „Logos“, in diesem Fall der inspirierte Zeichner, drückt sich durch die Wechselwirkung zweier Pole, Bleistift und Papier, aus und eine Zeichnung, auch als „Synthese“ oder „Einheit“ bezeichnet, entsteht. Sechs Wechselwirkungen sind in diesem Vorgang verschmolzen, die alle letztlich den Zeichner als Zentrum haben: Zeichner­Bleistift, Zeichner­Papier, Zeichner­Zeichnung, Bleistift­Papier, Bleistift­Zeichnung und Papier­Zeichnung. Dieses Beispiel ist exemplarisch für die Struktur die die Vereinigungslehre hinter dem Universum sieht. (vgl. Giller S.128f)

1. Man sieht, daß zu jeder Polarbeziehung ein übergeordnetes Zentrum gehört, das Ursprung der Beziehung ist und gleichermaßen das Ziel enthält, also sozusagen den Weg zum Resultat lenkt. 2. Man sieht, daß vom Zentrum aus beginnend sechs verschiedene Polarbeziehungen aufgebaut werden, die alle demselben Zweck dienen und zu einer Einheit, zu einem Gesamtprozess verschmelzen. 3. Man sieht, daß der Prozeß in drei Stufen abläuft, der Ebene des Ursprungs, der Ebene der Polarbeziehung und der Ebene des Resultates, der Synthese der polaren Komponenten.

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(Giller S.130)

4. Man sieht, daß vier Positionen am Prozeß beteiligt sind: der Ursprung, die polaren Komponenten und die Synthese selbst. (Giller S.129f)

Nun soll das oben angeführte Beispiel des Gerstesamens von Engels aus dem Blickwinkel der Vereinigungslehre beleuchtet werden. Demnach tritt das Gerstenkorn mit dem Ackerboden ausgerichtet auf diverse Naturgesetzte und dem Zweck des Ökosystems in Beziehung. Es entwickelt sich eine Pflanze, die wiederum Staubgefäße und Stempel ausbildet. Diese treten miteinander in Beziehung. Es kommt zur Befruchtung und neue Gerstenkörner entstehen. (vgl. Giller S.131)

Wenn es sich bei diesen oben beschriebenen Konstellationen um längerfristige Strukturen von Wechselwirkungen handelt, spricht die Vereinigungslehre von quadrupolaren Strukturen oder Vier­Positionen­Fundamenten. Quadrupolare Strukturen können der Aufrechterhaltung der Existenz eines Wesens dienen. Genauso kann auch Geben und Empfangen zwischen Entitäten, ausgerichtet auf einen gemeinsamen Zweck, eine neue Synthese hervorbringen. (vgl. Das Göttliche Prinzip S.31ff, Giller S.146ff)

Aus dem Blickpunkt der Lehre Rev. Muns existiert jeder Mensch in einer quadrupolaren Struktur mit Gott als Ursprung und seinem Geist und Körper als polare Komponenten, die einen harmonischen Menschen formen. Für das menschliche Zusammenleben sieht die Vereinigungslehre die Familie als quadrupolare Struktur aus Gott, Ehemann, Ehefrau und Kindern für essentiell. (Das Göttliche Prinzip S.31ff) Das Konzept solcher Beziehungs­ strukturen ist ein sehr dynamisches. „Jede dieser vier Positionen kann die Rolle des Subjektpartners übernehmen und die anderen drei als Objektpartner einnehmen.“ (vgl. Das Göttliche Prinzip S.30)

Den letzten Ursprung aller quadrupolaren Strukturen sieht die Vereinigungslehre im Herzen Gottes. Es liegt somit allen natürlichen Vorgängen im Universum zugrunde.

Jedes existierende System hat nur einen Mittelpunkt. Alle anderen Bestandteile umgeben ihn und vereinigen sich mit ihm. Welchen Mittelpunkt hat das Universum? Wir können mit Bestimmtheit sagen, daß Gott der zentrale Punkt ist. Gottes Liebe ist das Zentrum jeglicher Existenz. (Mun Glaube und Wirklichkeit S.58)

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Abschnitt III. Auswirkungen beider Theorien

(a) Tabellarische Zusammenfassung

Diamat Vereinigungslehre widersprüchliche Gegensätze einander ergänzende Pole Einheit relativ Kampf absolut

Kampf relativ Einheit absolut

Kampf der Gegensätze Geben und Empfangen zwischen Polaritäten Position Negation Negation der Negation

Ursprung Polarbeziehung Synthese

Materie ausschließlich Geist und Materie (polare Einheit)

Materie Bestimmend Geist oder Bewusstsein untergeordnet (Produkt und Funktion)

Geist Subjekt Materie Objekt (vertikale Polarität)

Gesetzt des Umschlages von Quantität in Qualität

Höhere Qualitätsform ist Ausdruck eines anderen Logos bzw. quadrupolare Strukturen

Gesetzt der Einheit und des Kampfes der Gegensätze

Polarität, Polarbeziehungen bzw. Dreistufenprozess

Gesetzt der Negation der Negation Dreistufenprozess, quadrupolare Strukturen

(b)Das Verhältnis beider Theorien zur Praxis

(i) Das Ziel oder der Traum von einer idealen Welt

Für die Anhänger beider Richtungen ist das Ziel, wie bereits erwähnt, eine ideale Gesellschaft. Von den Einen wird dieser Idealzustand als klassenlose Gesellschaft bezeichnet, von den Anderen als Königreich Gottes.

Das Sozialistische Ziel, das wir erreichen wollen, besteht darin, die bürgerliche Gesellschaft, die auf dem Kampf aller gegen alle beruht, durch die klassenlose Gesellschaft zu ersetzten, in der die Solidarität das Streben nach individueller Bereicherung als wesentlichen Beweggrund der Aktivität ablöst und in der der Reichtum der Gesellschaft die harmonische Entwicklung aller Individuen sichert. [...] Aber sie wissen, daß ökonomische und soziale Gleichheit, die Befreiung des Menschen von der Notwendigkeit, um sein Brot kämpfen zu müssen, die Vorraussetzung für diese Verwirklichung der unendlich vielfältigen menschlichen Persönlichkeit bei allen Individuen bilden. Eine sozialistische Gesellschaft verlangt daher eine Wirtschaft, in der die Produktion zur Bedürfnisbefriedigung die Produktion um des Profits willen ablöst. (Mandel S.167)

Die Verwirklichung einer Gesellschaft der Interdepenz, des wechselseitigen Wohlergehen und der gegenseitigen Unterstützung durch die Zusammenführung der gesamten Menschheit zu einer großen Familie, das Niederreißen der Mauern in unseren Herzen und sogar die Eliminierung nationaler Grenzen haben ihren Beginn in der Familie. [...]

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Sie sollten Familien errichten in die Er [Gott d. Verf.] als Eltern jederzeit kommen und Seine Kinder besuchen kann. Das bedeutet im Dienste Gottes zu leben. Für solche Familien wird Gott zum Subjekt ihres Gewissens, das vertikal agiert. [...] Hier gelangen Elternliebe, eheliche Liebe, Kindesliebe und Geschwisterliebe [...] zur Vollkommenheit. [...] Wäre die Welt erfüllt von solchen Familien, würde diese Welt vom himmlischen Weg [...] regiert werden und es gäbe keine Notwendigkeit für Anwälte, Kläger und sogar Richter. Denken Sie einen Moment lang darüber nach. Wer würde sich ihrer guten und schlechten Taten am meisten bewusst sein? Es wären ihre Großeltern, Ihre Eltern, Ihr Ehepartner und Ihre Kinder. (Mun 2006 S.71f)

(ii) Zu welchen Handlungen motivier t die marxistische Theor ie

Anhänger beider Ansichten sehen ihre Ideale in der Gesellschaft nicht voll verwirklicht. (vgl. Giller S.7f, Mandel S.13) Welche Auswirkungen wollen oder sollen nun die besprochenen Theorien auf das Leben ihrer Nachfolger haben und durch welche Praktiken sollen sie diese hohen Ziele erreichen?

Das Studium der Dialektik ist kein sich selbst genügsames Vergnügen, sondern notwendig, damit wir uns in unserem Handeln nach richtig erkannten Bewegungsgesetzen orientieren können. Die Dialektik nötigt uns gewisse unverzichtbare Verhaltensregeln auf. [...] Das Herangehen vom Standpunkt „schöner", abstrakt-ausgedachter Ideale ist nutzlos. Nötig ist die exakte Erforschung der konkreten materiellen Verhältnisse. Dabei müssen wir jede Erscheinung möglichst allseitig und in ihrer Entwicklung erforschen. Da wir aber nicht unendlich viele Zusammenhänge erfassen können, müssen wir danach streben, den oder die jeweils entscheidenden Beziehungen aufzudecken [...] Der Marxist muß sich in der Forschung und im praktischen Verhalten auf den historischen Standpunkt stellen: So, wie es ist, bleibt es nicht. Entscheidend ist nicht, was besteht und scheinbar unerschütterlich dasteht, sondern das, was sich im Schöße des Bestehenden an Neuem entwickelt. Daran muß man sich orientieren, auch wenn das Neue noch so schwach ist.Da das Wesen der Entwicklung der Kampf der Widersprüche in allen Dingen und Erscheinungen ist, wäre es falsch, in solchen Widersprüchen ein Unglück zu sehen. Das Interessanteste an den Widersprüchen ist ihre Lösung. Diese Lösung erfolgt nicht durch die Predigt der Klassenharmonie, nicht durch Opportunismus, sondern durch den Klassenkampf, wobei für einen Marxisten entscheidend ist, sich an den inneren Widersprüchen zu orientieren, also nicht etwa fasziniert auf die Kämpfe (außerhalb eines konkreten Kampfplatzes) zu starren, etwa den Export der Revolution zu erhoffen, sondern im eigenen Land den Kampf zu führen. (marx. Lehrbrief Nr.8)

Zuerst muß den herrschenden Klassen jede politische Macht genommen werden, und man muß sie daran hindern, diese Macht wiederzuerlangen. Die allgemeine Bewaffnung der Arbeitenden als Ersatz für stehende Armeen, dann die schrittweise Vernichtung aller Waffen, die es eventuellen Anhängern der Neuerrichtung einer Minderheitenherrschaft unmöglicht macht, in Waffenbesitz zu gelangen, werden zu diesem Ziel führen. (Mandel S.172)

Wie man sieht, ist das Verhältnis von Marxismus und Gewalt kritisch. In der klassenlosen Gesellschaft soll es nach Mandel Harmonie geben, dennoch machen Widerspruch und Kampf jede Existenz aus. Die tatsächliche Gewaltbereitschaft divergiert unter den marxistischen Strömungen. Gewalt wird jedoch im Marxismus keinesfalls verherrlicht. Physische Waffengewalt ist jedoch, wie Mandel an der vorangestellten Stelle darlegt, notwendig. „Die Geschichte aller Klassengesellschaften ist eine Geschichte der Klassenkämpfe, die sie durchzieht.“ (Mandel S.21) Unsere Gesellschaft muss negiert werden, damit die Negation der Negation, die klassenlose Gesellschaft hervortreten kann.

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An Beispielen für die Anwendung von Waffengewalt um das Ziel einer klassenlosen Gesellschaft zu erreichen, mangelt es in der Geschichte nicht. Ausführungen zur russischen Revolution sind bei Ernest Mandel ab Seite 118 zu finden. In der UdSSR und anderen realsozialistischen Staaten kam es zur Zeit des kalten Krieges zu unzähligen Menschenrechtsverletzungen. Marxisten im Westen haben sich weitgehend von den Verbrechen des Stalinismus distanziert, bei Lenin ist man zurückhaltender. (vgl. Mandel S.133) Ohne den Idealismus vieler Marxisten zu schmälern, zeigen die Verbrechen der RAF (Roten Armee Fraktion) die Bereitschaft zur Gewalt.

(iii) Zu welchen Handlungen motivier t die Vereinigungslehre

Anders wie beim Marxismus kam es bei der Vereinigungslehre bisher in der Geschichte nie dazu, dass sie als Ideologie irgendeines Staates eingesetzt wurde. Weltweit gibt es auch keine Kommune von Vereinigungsmitgliedern, die autark lebt und ein politisches und wirtschaftliches System auf Basis der Vereinigungslehre zu errichten versucht. Ein Vergleich mit der Umsetzung des Marxismus in den realsozialistischen Staaten, als reales politisches und wirtschaftliches System ist demnach nicht möglich.

Rev. Mun fordert die Menschen, zu denen er spricht, immer dazu auf an ihrer Beziehung zu Gott und den Beziehungen innerhalb ihrer Familie zu arbeiten. Wie ein Zitat weiter oben zeigt, sieht die Vereinigungslehre in der Herzensbildung von Menschen den Schlüssel zum Königreich Gottes. Die Anwendung von Gewalt wird von den Mitgliedern der Vereinigungsbewegung grundlegend abgelehnt.

In der heutigen Zeit kann man Krieg nur als ein primitives und überaus zerstörerisches Mittel zur Lösung von Konflikten betrachten. So werden wir niemals in der Lage sein, dauerhaften Frieden zu errichten. (Mun 2006 S.34)

Wie bereits erwähnt, hat die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in der Vereinigungsbewegung eine lange Tradition.

Wenn wir das überlegen, finden wir heraus, daß der Kommunismus unser stärkster Feind ist, so ist er auch der stärkste Satan. Jemand aus der religiösen Welt heraus muß kommen, um gegen den Kommunismus, welcher die stärkste und böseste Macht in der ganzen Welt ist, zu kämpfen und zu gewinnen. (Mun bei einer Ansprache am 20. Oktober 1974 in Barrytown, New York)

Aussagen von Rev. Mun bei denen von der Zerstörung des Kommunismus die Rede ist, wurden von seinen Nachfolgern nie im Sinne von physischer Gewalt oder Waffengewalt interpretiert. Zentrale Aussagen der Vereinigungslehre würden der Anwendung von Gewalt widersprechen.

Satan musste zur freiwilligen Aufgabe bewegt werden und sich freiwillig ergeben. Wie kann das erreicht werden? Nur durch die Macht der wahren Liebe – wenn wir unsere Feinde mehr lieben als unsere eigene Familie – ist das möglich. (Mun 2006 S.23)

Nach Angaben der offiziellen Website von Rev. Mun gründete er zwei Initiativen, die sich mit dem Kommunismus auseinandergesetzt hatten. Einerseits CAUSA, eine Organisation die durch friedliche Mittel, Seminare und Kongresse, versuche, die weitere Ausbreitung des Kommunismus in Lateinamerika zu verhindern. Die zweite Organisation IFVOC (International Federation for Victory Over Communism) war im ostasiatischen Raum tätig, im Speziellen in Korea und Japan. Besonders versuchte man der Ausbreitung der

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nordkoreanischen kommunistischen Ideologie (Chuch'e) entgegenzuwirken. (vgl. offizielle Website)

„In Europa gingen junge Mitglieder der Vereinigungsbewegung in den 80er Jahren in die Länder hinter dem Eisernen Vorhang. Einerseits motivierte sie ihr Verständnis der Vereinigungslehre und des Marxismus, besonders sein pseudoreligiöser Charakter. Ein weiteres Motiv war ihr Mitgefühl mit den Menschen, die unter der Unfreiheit der Regimes litten“, sagt Maria Pammer, Mitglied der Vereinigungsbewegung seit 1976. Auf der Website Rev. Muns und in der Publikation „Mission Butterfly“, einer Sammlung von Erfahrungsberichten österreichischer Untergrundmissionare in ehemaligen kommunistischen Staaten, ist zu lesen, dass sie ihr Leben riskierten, um die Vereinigungslehre den Menschen hinter dem Eisernen Vorhang zu lehren. In der ehemaligen Tschechoslowakei hatte die Bewegung ungefähr 100 Mitglieder. 30 wurden zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ein Mitglied der Vereinigungsbewegung starb unter fragwürdigen Umständen.

Diese Arbeit hat sich auf die Initiativen der Vereinigungsbewegung mit Kommunismusbezug beschränkt. Eine umfassende Betrachtung der Aktivitäten der Vereinigungsbewegung ist nicht Thema dieser Arbeit.

(c) Kurzes Resümee

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die politische Situation in Osteuropa gewandelt. Mit den essentiellen Fragen nach „Geist und/oder Materie“ und danach, wie soziale Gerechtigkeit und Friede erreicht werden können, ist die Menschheit auch heute noch konfrontiert.

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Literatur

Autoren Kollektive

Das Göttliche Prinzip Schmitten: Kando Verlag 2003 Herausgeber: Vereinigungskirche e. V. dTV­Atlas Grundlagen der marxistisch­leninistischen Philosophie Berlin: Dietz­Verlag 1971 Grundlagen des Marxismus­Leninismus Berlin: Dietz­Verlag 1960 Kleines Wörterbuch der marxistisch­leninistischen Philosophie Berlin: Dietz­Verlag 1974 Schülerduden „Die Philosophie“ Mannheim, Zürich, Wien: Bibliographisches Institut 1985 Herausgeber: Redaktion für Philosophie d. Bibliographisches Institut unter d. Leitung von Gerhard Kwiatkowski Marxistische Lehrbriefe, Serie E. Das moderne Weltbild, Nr. 2 ­ Die Grundlagen der Philosophie Frankfurt a. M.: Eigenverlag 1968; Herausgeber: August­Bebel­Gesellschaft e. V. siehe auch http://www.trend.infopartisan.net/reprints/lehrbriefe/index.html Marxistische Lehrbriefe, Serie E. Das moderne Weltbild, Nr. 7 – Einführung in die marxistische Dialektik Teil II Frankfurt a. M.: Eigenverlag 1968; Herausgeber: August­ Bebel­Gesellschaft e. V. siehe auch http://www.trend.infopartisan.net/reprints/ lehrbriefe/index.html Marxistische Lehrbriefe, Serie E. Das moderne Weltbild, Nr. 8 – Einführung in die marxistische Dialektik Teil III Frankfurt a. M.: Eigenverlag 1968; Herausgeber: August­ Bebel­Gesellschaft e. V. siehe auch http://www.trend.infopartisan.net/reprints/ lehrbriefe/index.html Marxismus Quellenlexikon, Köln: Kölner Universitätsverlag 1985 Herausgeber: Univ. Prof. Dr. Konrad Löw Mission Butterfly ­ Pionieers Behind The Iron Curtain St. Paul USA: Eigenverlag 2006 Herausgeber: C. H. Kwak, C. Segato Stadler, B. Grabner

Offizielle Website von Rev. Sun Myung Mun: http://www.reverendsunmyungmoon.org/

Berdjajew Nikolai, Wahrheit und Lüge des Kommunismus von, Wien: Edition Neue Mitte 1977

Engels Friedrich, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Karl Marx/Friedrich Engels ­ Werke. Berlin: Dietz Verlag 1962 Band 5 siehe auch http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_274.htm

Giller Herbert, Was kommt nach dem Kommunismus? Kritik und konstruktive Alternative zum dialektischen Materialismus von, Wien: Verlag Neue Mitte 1976

Lenin W.I., „Materialismus und Empiriokritizismus“, Berlin: Dietz­Verlag 1971

Mandel Ernest, Einführung in den Marxismus, Köln: Neuer ISP Verlag GmbH 2002, Überarbeitete Neuausgabe, Orginal: introduction au marxisme Paris: La Brèche 1979 Mun S.M., Glaube und Wirklichkeit Wien: Eigenverlag Herausgeber: R. Heinrich

Mun S.M., Sieben Botschaften für den Frieden Stuttgart: Kando­Verlag 2006 Herausgeber: Universelle Friedensföderation Deutschland­Österreich­Schweiz