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aus land "Der heiße Atem Chinas im Nacken" Thomas Seifert, Autor des Buches "Die pazifische Epoche", über den Aufstieg Asiens und die Chancen Europas in der neuen Weltordnung. P rofil: In den vergangeneu Jahren wurde ein Großteil der Industrie- produktion nach Asien verlagert. Ist es das, was Sie unter dem Beginn einer "Pazifischen Epoche" verstehen? Thomas Seifert: Dahinter steckt mehr. Es geht um geopolitische Plattentektonik Der Schwerpunkt der Welt verschiebt sich nach Osten. Das hat weiter rei- chende Konsequenzen als nur die Fra- ge, welche Industrien verlagert werden. profil: Buropa ist längst nicht mehr das Thomas Seifert, 46, ist Vize-Chefredak- teur der "Wien er Zeitung", war als Kriegsreporter un- ter anderem für "Presse", "Stern" so- wie andere renom- mierte Medien tä- tig und ist Co-Au- torvon "Schwarzbuch Öl" und "Schwarzbuch Gold". Sein neues Buch " Die pazifi- sche Epoche. Wie Europa gegen die neue Weltmacht Asien bestehen kann" (Deuticke, 303 Seiten, 22,60 Euro) kommt die- se Woche in den Handel. Zentrum des Globus. Wer- den wir hier in absehbarer Zukunft tatsächlich am Rand der Welt leben? Seifert: Auf einer ganz pro- fanen Ebene: ja. Nordame- rika profitiert aufgrund sei- ner Lage von der pazifi- schen Epoche. Die OS-Westküste ist heute der dynamischste Teil des Lan- des. Die wichtigsten Logis- tikhubs Europas- Rotter- dam, Hamburg, Antwerpen und Bremen-Bremerhaven - liegen hingegen für den Pazifikhandel zu weit im Nordwesten. Europa sollte dem Rechnung tragen, in- dem es auf den Ausbau von Häfen in Süd- und Südost- europa setzt und Eisen- bahnverbindungen nach Asien schafft. profil: Kann Europa, abgese- hen davon, gegensteuern? Seifert: Was der alte Konti- nent immer noch halbwegs hinbekommt ist die Balan- ce zwischen der Freiheit des Individuums, das sich kreativ entfalten kann, und der Schaffung kollektiver Solidarsysteme inklusive des Glaubens an einen star- ken Staat. Raum für Indivi- dualismus, für Devianz, für 72 profill2 • 16. März 2015 Verrücktheit ist wichtig, denn nur so findet Kreativität das notwendige Sub- strat. Das können westliche Gesell- schaften besser als die kollektivistisch denkenden Gesellschaften Asiens. Dazu kommt, dass die entscheidenden Aufgaben für die Zukunft traditionel- lerweise von der öffentlichen Hand wahrgenommen werden: die Garantie von Sicherheit, Infrastruktur, Sozial- und Gesundheitsdienste sowie das Zu- kunftsthema schlechthin: Bildung. profil: Europa beruhigt sich mit der Be- hauptung, die Innovationskraft gehe immer noch vom Westen aus, wäh- rend China nur reproduziere. Seifert: Bei wichtiger Grundlagenfor- schung ist Europa immer noch füh- rend, die USA dominieren im IT-Be- reich. Aber China will weg vom "Made in China" zum "Created in China", also hin zum Entwicklungsstandort. Die koreanischen Handyhersteller spüren beispielsweise bereits den heißen Atem der chinesischen Konkurrenz - etwa Huawei -im Nacken. Es gibt die- se Innovationskraft also durchaus. profil : Die Wettbewerbsvorteile Asiens sind: jüngere Gesellschaften, kaum Be- schränkungen durch Demokratie. Ein Erfolgsrezept für die Zukunft? Seifert: Nicht unbedingt. Erstens be- steht aufgrundder Ein-Kind-Politik zumindest für China die Gefahr, dass das Land alt wird, bevor es reich wird. Gleichzeitig stellen jüngere Menschen, die zudem in großer Zahl in die Städte ziehen, für das politische Syste;n eine Herausforderung dar. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen und er- warten einen höhe(en Grad an Frei- heit und auch an Transparenz. Ein weiteres Paradoxon: Die chinesische kommunistische Partei hält die Zügel fest im Griff. Dabei ist China tatsäch- lich ein turbokapitalistisches Land. All das sind Spannungen, deren Auswir- kungen wir noch nicht abschätze.., können. L t Druck- Beim EU-Gipfel diese Woche sind heftige Debatten über die Russ- land -Sanktionen zu erwarten. \._ l \.. -1 '->.l \ J I ' ./ / ( 0< '> 0 / / Auf der Bremse bei Sanktion en • Sc harfmac her * Pol en: zul etzt aber auch etwas vor sichtiger

"Der heiße Atem Chinas im Nacken"

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"Der heiße Atem Chinas im Nacken" - Interview mit Thomas Seifert im Nachrichtenmagazin profil vom 16.03.2015

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aus land "Der heiße Atem Chinas im Nacken" Thomas Seifert, Autor des Buches "Die pazifische Epoche", über den Aufstieg Asiens und die Chancen Europas in der neuen Weltordnung.

Profil: In den vergangeneu Jahren wurde ein Großteil der Industrie­

produktion nach Asien verlagert. Ist es das, was Sie unter dem Beginn einer

"Pazifischen Epoche" verstehen? Thomas Seifert: Dahinter steckt mehr. Es geht um geopolitische Plattentektonik Der Schwerpunkt der Welt verschiebt sich nach Osten. Das hat weiter rei­chende Konsequenzen als nur die Fra­ge, welche Industrien verlagert werden. profil: Buropa ist längst nicht mehr das

Thomas Seifert, 46,

ist Vize-Chefredak-teur der "Wien er Zeitung", war als Kriegsreporter un­ter anderem für

"Presse", "Stern" so­wie andere renom­mierte Medien tä­tig und ist Co-Au­torvon

"Schwarzbuch Öl" und "Schwarzbuch Gold". Sein neues Buch "Die pazifi­sche Epoche. Wie Europa gegen die neue Weltmacht Asien bestehen kann" (Deuticke, 303 Seiten, 22,60 Euro) kommt die­se Woche in den Handel.

Zentrum des Globus. Wer­den wir hier in absehbarer Zukunft tatsächlich am Rand der Welt leben? Seifert: Auf einer ganz pro­fanen Ebene: ja. Nordame­rika profitiert aufgrund sei­ner Lage von der pazifi­schen Epoche. Die OS-Westküste ist heute der dynamischste Teil des Lan­des. Die wichtigsten Logis­tikhubs Europas- Rotter­dam, Hamburg, Antwerpen und Bremen-Bremerhaven

- liegen hingegen für den Pazifikhandel zu weit im Nordwesten. Europa sollte dem Rechnung tragen, in­dem es auf den Ausbau von Häfen in Süd- und Südost­europa setzt und Eisen­bahnverbindungen nach Asien schafft. profil: Kann Europa, abgese­hen davon, gegensteuern? Seifert: Was der alte Konti­nent immer noch halbwegs hinbekommt ist die Balan­ce zwischen der Freiheit des Individuums, das sich kreativ entfalten kann, und der Schaffung kollektiver Solidarsysteme inklusive des Glaubens an einen star­ken Staat. Raum für Indivi-dualismus, für Devianz, für

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Verrücktheit ist wichtig, denn nur so findet Kreativität das notwendige Sub­strat. Das können westliche Gesell­schaften besser als die kollektivistisch denkenden Gesellschaften Asiens. Dazu kommt, dass die entscheidenden Aufgaben für die Zukunft traditionel­lerweise von der öffentlichen Hand wahrgenommen werden: die Garantie von Sicherheit, Infrastruktur, Sozial­und Gesundheitsdienste sowie das Zu­kunftsthema schlechthin: Bildung. profil: Europa beruhigt sich mit der Be­hauptung, die Innovationskraft gehe immer noch vom Westen aus, wäh­rend China nur reproduziere. Seifert: Bei wichtiger Grundlagenfor­schung ist Europa immer noch füh­rend, die USA dominieren im IT-Be­reich. Aber China will weg vom "Made in China" zum "Created in China", also hin zum Entwicklungsstandort. Die koreanischen Handyhersteller spüren beispielsweise bereits den heißen Atem der chinesischen Konkurrenz -etwa Huawei -im Nacken. Es gibt die­se Innovationskraft also durchaus. profil: Die Wettbewerbsvorteile Asiens sind: jüngere Gesellschaften, kaum Be­schränkungen durch Demokratie. Ein Erfolgsrezept für die Zukunft? Seifert: Nicht unbedingt. Erstens be­steht aufgrundder Ein-Kind-Politik zumindest für China die Gefahr, dass das Land alt wird, bevor es reich wird. Gleichzeitig stellen jüngere Menschen, die zudem in großer Zahl in die Städte ziehen, für das politische Syste;n eine Herausforderung dar. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen und er­warten einen höhe(en Grad an Frei­heit und auch an Transparenz. Ein weiteres Paradoxon: Die chinesische kommunistische Partei hält die Zügel fest im Griff. Dabei ist China tatsäch­lich ein turbokapitalistisches Land. All das sind Spannungen, deren Auswir­kungen wir noch nicht abschätze.., können.

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Druck-Beim EU-Gipfel diese Woche sind heftige Debatten über die Russ­land -Sanktionen zu erwarten.

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• Auf der Bremse bei Sanktionen

• Scharfmacher

* Polen: zuletzt aber auch etwas vorsichtiger

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aus land "Der heiße Atem Chinas im Nacken" Thomas Seifert, Autor des Buches "Die pazifische Epoche", über den Aufstieg Asiens und die Chancen Europas in der neuen Weltordnung.

Profil: In den vergangenen Jahren wurde ein Großteil der Industrie­

produktion nach Asien verlagert. Ist es das, was Sie unter dem Beginn einer

"Pazifischen Epoche" verstehen? Thomas Seifert: Dahinter steckt mehr. Es geht um geopolitische Plattentektonik Der Schwerpunkt der Welt verschiebt sich nach Osten. Das hat weiter rei­chende Konsequenzen als nur die Fra­ge, welche Industrien verlagert werden. profil: Europa ist längst nicht mehr das

Thomas Seifert, 46,

ist Vize-Chefredak-teur der "Wien er Zeitung", war als Kriegsreporter un­ter anderem für

"Presse", .. Stern" so­wie andere renom­mierte Medien tä­tig und ist Co-Au­torvon

"Schwarzbuch Öl"

und "Schwarzbuch Gold". Sein neues Buch "Die pazifi­sche Epoche. Wie Europa gegen die neue Weltmacht Asien bestehen kann" (Deuticke, 303 Seiten, 22,60 Euro) kommt die­se Woche in den Handel.

Zentrum des Globus. Wer­den wir hier in absehbarer Zukunft tatsächlich am Rand der Welt leben? Seifert: Auf einer ganz pro­fanen Ebene: ja. Nordame­rika profitiert aufgrund sei­ner Lage von der pazifi­schen Epoche. Die US-Westküste ist heute der dynamischste Teil des Lan­des. Die wichtigsten Logis­tikhubs Europas- Rotter­dam, Hamburg, Antwerpen und Bremen-Bremerhaven

- liegen hingegen für den Pazifikhandel zu weit im Nordwesten. Europa sollte dem Rechnung tragen, in­dem es auf den Ausbau von Häfen in Süd- und Südost­europa setzt und Eisen­bahnverbindungen nach Asien schafft. profil: Kann Europa, abgese­hen davon, gegensteuern? Seifert: Was der alte Konti­nent immer noch halbwegs hinbekommt, ist die Balan­ce zwischen der Freiheit des Individuums, das sich kreativ entfalten kann, und der Schaffung kollektiver Solidarsysteme inklusive des Glaubens an einen star­ken Staat. Raum für Indivi-dualismus, für Devianz, für

72 profil12 • 16. März 2015

Verrücktheit ist wichtig, denn nur so findet Kreativität das notwendige Sub­strat. Das können westliche Gesell­schaften besser als die kollektivistisch denkenden Gesellschaften Asiens. Dazu kommt, dass die entscheidenden Aufgaben für die Zukunft traditionel­lerweise von der öffentlichen Hand wahrgenommen werden: die Garantie von Sicherheit, Infrastruktur, Sozial-und Gesundheitsdienste sowie das Zu­kunftsthema schlechthin: Bildung. profil: Europa beruhigt sich mit der Be­hauptung, die Innovationskraft gehe immer noch vom Westen aus, wäh­rend China nur reproduziere. Seifert: Bei wichtiger Grundlagenfor­schung ist Europa immer noch füh­rend, die USA dominieren im li-Be­reich. Aber China will weg vom .. Made in China" zum .. Created in China", also hin zum Entwicklungsstandort Dle ~ koreanischen Handyhersteller spüren beispielsweise bereits den heißen Atem der chinesischen Konkurrenz -etwa Huawei - im Nacken. Es gibt die-se Innovationskraft also durchaus. profil: Die Wettbewerbsvorteile Asiens sind: jüngere Gesellschaften, kaum Be­schränkungen durch Demokratie. Ein Erfolgsrezept für die Zukunft? Seifert: Nicht unbedingt. Erstens be-steht aufgrundder Ein-Kind-Politik zumindest für China die Gefall!:, dass das Land alt wird, bevor es reich wird. Gleichzeitig stellen jüngere Menschen, die zudem in großer Zahl in die Städte ziehen, für das politische System eine Herausforderung dar. Sie sind mit dem Internet aufgewil.chsen und er­warten einen höhe~en Grad an Frei-heit und auch an Transparenz. Ein weiteres Paradoxon: Die chinesische kommunistische Partei hält die Zügel fest im Griff. Dabei ist China tatsäch-lich ein turbokapitalistisches Land. All das sind Spannungen, deren Auswir­kungen wir noch nicht abschätzen können.

Druck-Beim EU-Gipfel diese Woche sind heftige Debatten über die Russ­land -Sanktionen zu erwarten.

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• Auf der Bremse bei Sanktionen

• Scharfmacher

*Polen: zuletzt aber auch etwas vorsichtiger