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Executive Summary Der Chemiepark Knapsack ist hinsichtlich der Herausforderungen der Energiewende ein typisches Beispiel für die deutsche Chemiebranche. Zu einen stellt die Energiewende den Chemiepark vor große Herausforderungen, insbeson- dere aufgrund der Abhängigkeit von stabilen und nicht fluktuierenden Energieversorgung und niedrigen Strompreisen. Zum anderen hat der Chemiepark aufgrund seiner exzellenten Infrastruktur und produktionsbedingten Besonderheiten das Potential, einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende zu leisten. Um die eigenen Risiken zu mini- mieren und die Energiewende aktiver zu gestalten, muss der Chemiepark wie auch die Chemiebranche als Ganzes aktiver und offensiver im medialen Diskurs auftreten. Denn während grundsätzliche Themen wie Versorgungssicher- heit und Energiepreise bereits etablierte Themen im Diskurs sind, sind für die Branche wichtige Umsetzungsfragen zu großen Teile unterrepräsentiert und werden teilweise gegensätzlich zu den Interessen der Branche debattiert. Der Chemiepark Knapsack sollte im medialen Diskurs insbesondere sein Potential zur Untersetzung des Flexibilisie- rungsprozesses der Netze sowie konkrete Möglichkeiten zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit offensiv und aktiv kommunizieren. Gewerkschaften wie die IG BCE sollten dabei aufgrund der ähnlichen Interessen und deren prominente Rolle im medialen Diskurs als wichtige strategische Partner angesehen werden. Der Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende - Stakeholderanalyse Ein Projekt im Rahmen des Think-Lab „Energie-Gesellschaft-Wandel“ der und der

Der Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende ... · PDF fileBasis Karbit, Chlor und Phosphor befand, zeichnete sich durch ihre Energieintensivität aus. Auch heute gibt

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Executive Summary Der Chemiepark Knapsack ist hinsichtlich der Herausforderungen der Energiewende ein typisches Beispiel für die

deutsche Chemiebranche. Zu einen stellt die Energiewende den Chemiepark vor große Herausforderungen, insbeson-

dere aufgrund der Abhängigkeit von stabilen und nicht fluktuierenden Energieversorgung und niedrigen Strompreisen.

Zum anderen hat der Chemiepark aufgrund seiner exzellenten Infrastruktur und produktionsbedingten Besonderheiten

das Potential, einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende zu leisten. Um die eigenen Risiken zu mini-

mieren und die Energiewende aktiver zu gestalten, muss der Chemiepark wie auch die Chemiebranche als Ganzes

aktiver und offensiver im medialen Diskurs auftreten. Denn während grundsätzliche Themen wie Versorgungssicher-

heit und Energiepreise bereits etablierte Themen im Diskurs sind, sind für die Branche wichtige Umsetzungsfragen zu

großen Teile unterrepräsentiert und werden teilweise gegensätzlich zu den Interessen der Branche debattiert.

Der Chemiepark Knapsack sollte im medialen Diskurs insbesondere sein Potential zur Untersetzung des Flexibilisie-

rungsprozesses der Netze sowie konkrete Möglichkeiten zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit offensiv und

aktiv kommunizieren. Gewerkschaften wie die IG BCE sollten dabei aufgrund der ähnlichen Interessen und deren

prominente Rolle im medialen Diskurs als wichtige strategische Partner angesehen werden.

Der Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

-

Stakeholderanalyse

Ein Projekt im Rahmen des Think-Lab „Energie-Gesellschaft-Wandel“ der

und der

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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Inhalt 1. Einleitung ........................................................................................................................... 2

2. Hintergrund ........................................................................................................................ 2

3. Diskursnetzwerkanalyse ..................................................................................................... 4

a) Versorgungssicherheit .................................................................................................... 5

b) Flexibilisierung deutscher Strommarkt .......................................................................... 8

4. SWOT-Analyse .................................................................................................................. 9

5. Handlungsempfehlungen .................................................................................................. 13

6. Anhang ............................................................................................................................. 14

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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1. Einleitung

Die Energiewende in Deutschland ist in vollem Gange. Mit den anspruchsvollen Zielvorgaben des

Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) – Energieerzeugung von >80% aus regenerativen Quellen bis

20501 – sowie den Zielvorgaben des gesamteuropäischen Klimakonzepts (Verringerung der Treibhau-

semissionen um 40% und Erzeugung von 30% der Energie aus regenerativen Quellen bis 20302) und

des Pariser Abkommens (Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad3) steht der deutschen

Energiewirtschaft ein großer Umbruch und eine Periode konstanten Wandels bevor. Während die

Energiewende bezüglich ihrer allgemeinen Zielsetzung des Ausbaus der regenerativen Energieträger

in der Bevölkerung nach wie vor eine sehr große Zustimmung genießt4, sind vor allem die techni-

schen Fragen der Umsetzung zunehmend von Kontroversen betroffen. Ungeklärte Fragen sind aktuell

unter anderem die Frage des Energiemix, die Lösung des Problems der Brückentechnologien und die

Kompensation der sozialen Konsequenzen der Energiewende. Denn obwohl der Ausbau der regene-

rativen Energien langfristig die Schaffung neuer Arbeitsplätze verspricht, sehen sich besonders Regi-

onen mit einer hohen Konzentration von konventionellen Energieträgern mit großen strukturellen

Herausforderungen und dem damit verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen konfrontiert. Darüber

hinaus ist eines der prägendsten Themen der Energiewende die Konsequenzen des Ausbaus der re-

generativen Energieträger auf die Strompreise und damit indirekt die Wirtschaftlichkeit von insbe-

sondere dem produzierenden Gewerbe in Deutschland. Die starke Abhängigkeit vieler Industriezwei-

ge von günstigen Strompreisen wurde zwar von politischer Seite durch beispielsweise die sogenannte

„EEG-Ausnahme“ aufgegriffen, die Problematik der mittelfristig zu erwartenden Preissteigerungen

bleibt jedoch nach wie vor bestehen. Darüber hinaus ist die Energiewende auch mit einer Reihe an-

derer Unsicherheiten verbunden, Versorgungssicherheit und Verfügbarkeit sind dabei nur zwei von

vielen Beispielen.

Der Chemiepark Knapsack befindet sich als ein Akteur mit starker Abhängigkeit von Strompreisen

und Energieverfügbarkeit auf der einen Seite und starkem Potential zur Gestaltung von neuen Ener-

gieversorgungsstrukturen (z.B. dezentrale Netze) auf der anderen Seite inmitten des Spannungsfel-

des Energiewende. Zur Durchsetzung seiner Interessen sowie den Interessen der Beschäftigten ist für

den Chemiepark Knapsack die Analyse der eigenen Potentiale sowie die Kenntnis des politischen und

gesellschaftlichen Diskurses eine wichtige Ressource für die Ausarbeitung weiterer strategischer

Maßnahmen und hinsichtlich kommunikativer Anstrengungen. Mit dieser kurzen Hintergrundanalyse

zeigen wir dafür einige wichtige Kernpunkte auf.

2. Hintergrund

Der Chemiepark Knapsack wurde 1907 gegründet und gehört heute zur Gemeinde Hürth, im

südlichen Ballungsraum Köln5. Die RWE hat zu Beginn des letzten Jahrhunderts hier intensiv

Braukohle im Tagebau abgebaut und verstromt. Damit stand neben der Elektrizität den

1 https://www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/Dossier/eeg.html;jsessionid=128D1CDB1594BCEBE174AAB8292A04CB?cms_docId=132292 2 https://europa.eu/european-union/topics/energy_de 3 https://ec.europa.eu/clima/policies/international/negotiations/paris_de 4 https://www.unendlich-viel-energie.de/themen/akzeptanz-erneuerbarer/akzeptanz-umfrage/repraesentative-umfrage-weiterhin-rueckenwind-fuer-erneuerbare-energien 5 http://www.chemiepark-knapsack.de/standort/standort-seit-1907/

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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Chemieunternehmen kostengünstig Wärme in Form von überhitztem Dampf zur Verfügung.

Die Chemieindustrie am Standort Knapsack, welche sich in einem engen Stoffverbund auf

Basis Karbit, Chlor und Phosphor befand, zeichnete sich durch ihre Energieintensivität aus.

Auch heute gibt es noch hohen Dampfbedarf am Standort. Die Chemieunternehmen befinden sich

immer noch in einem engen Stoffverbund. Die Produktbandbreite, die die rund zehn Unternehmen

produzieren erstreckt sich von Pflanzenschutzmitteln und deren Vorprodukten, über Kunststoff,

Grundchemie (wie PVC und PE) hin zu weiteren Grundchemikalien. Neben den Produzenten im Be-

reich Chemie sind noch über zwanzig Dienstleister im Chemiepark niedergelassen. Insgesamt sind

2.200 Beschäftigte im Chemiepark tätig. Davon sind 1 040 angestellt bei Produktionsunternehmen

und 840 bei dem Dienstleister InfraServ Knapsack, weitere 300 sind Beschäftigte von Partnerfirmen.

Die Gesamtfläche, die der Chemiepark den Produzenten zur Verfügung stellt, entspricht 180 Hektar,

hiervon sind bisher 147 Hektar erschlossen6. Der Chemiepark verfügt über gute Verkehrsanbindun-

gen: einen Containerterminal mit Gleisanschluss, zur nächsten Autobahn sind es nur vier Kilometer,

zum Hafen Köln Godorf 20 Kilometer und auch der Flughafen Köln-Bonn befindet sich in unmittelba-

rer Nähe

Der Fokus soll im Folgenden auf der InfraServ Knapsack liegen, die neben zahlreichen Standortdienst-

leistungen auch für die gesamte Ver- und Entsorgung am Standort mit Energien und Medien (z.B.

Druckluft, Kühlwasser etc.) verantwortlich ist. Damit sieht sich die InfraServ direkt mit den Folgen der

Energiewende konfrontiert. Die InfraServ ist als Verteilnetzbetreiber des öffentlichen Netzes regis-

triert und unterliegt damit voll dem Regime des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Das hat zur Fol-

ge, dass Netz-Investitionen zwar über die Masse der angeschlossenen Abnehmer konsolidiert werden

können, allerdings die Summe der Kunden der InfraServ – wie oben bereits beschrieben – auf zwei

Hände reduziert, eine erhebliche strategische Rolle spielt, um für den gesamten Standort attraktiv für

die Produzenten und Kunden zu sein. Somit ist es für sie äußerst interessant, sich mit der Energie-

wende und ihren Folgen zu beschäftigen. Im Folgenden soll deshalb kurz die Position der InfraServ

dargestellt werden, um daraus Chancen und Risiken ableiten zu können.

Laut Eigendarstellung arbeitet die InfraServ daran, den Standort „als attraktiven Arbeitsplatz zu ge-

stalten, und ihn mit den effizientesten und bevorzugten Energien und Medien zu versorgen“. Diese

Versorgung muss unter allen Bedingungen gesichert sein, um den ansässigen Unternehmen eine

wirtschaftliche Produktion zu ermöglichen. An sich begrüßt sie InfraServ die Energiewende und ar-

beitet aktiv an ihrer Umsetzung. Im Allgemeinen versteht sich die gesamte Chemiebranche als ele-

mentarer Gestalter der Wende, da sie sehr gefragte Produkte herstellen.

In Zukunft sollen erneuerbare Energien stärker in die Energieversorgung eingebunden werden, um

langfristig eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen, wie z.B. den örtlich nahen Braunkohle-

kraftwerken und deren Tagebaue zu erlangen. Da die Chemiebranche sehr energieintensiv ist und

zudem in einem weltweiten Wettbewerb steht, stellen hohe Strom und Wärmepreise eine direkte

Gefahr für die Branche dar.. Deswegen gehört die Chemiebranche zu den stärksten Befürwortern der

Ausnahme der EEG-Umlage. Außerdem verweist sie auf die Gefahr der Verlagerung der Produktion

6 http://www.infraserv-knapsack.de/standortbetrieb/

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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ins Ausland, sollten die Umfeldbedingungen langfristig keine wirtschaftliche Attraktivität für die Pro-

duktion zeigen.

Ein großes Plus bietet Deutschland für die Chemiebranche im Allgemeinen allerdings noch im Bereich

der Versorgungssicherheit und -qualität. Diverse Produktionsprozesse sind darauf ausgelegt, kontinu-

ierlich und ohne Unterbrechungen abzulaufen. Unterbrechungen haben insbesondere bei chemi-

schen Prozessen üblicherweise die Vernichtung der jeweiligen Charge zur Folge. Dies bedeutet, dass

die Verfügbarkeit von Energie und ein stabiles Energienetz einen großen Stellenwert für die Unter-

nehmen mit 24/7-Betrieb haben. Damit sind diese beiden Faktoren auch für die nationale und inter-

nationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen entscheidend. Wenn die Versorgungssicherheit

nicht unter allen Umständen gesichert ist, besteht – wie oben bereits erwähnt – die Gefahr der Ab-

wanderung ansässiger Unternehmen ins Ausland. Daraus würden relevante negative Folgen, wie

Arbeitsverlust und Steuereinbußen, für die Region resultieren. Deshalb ist eine sichere und bezahlba-

re Strom- und Wärmeversorgung eine der höchsten Prioritäten der Chemiebranche. Die Ausnahme

von der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen sollte demnach bestehen bleiben. Für die

Chemiebranche ist allerdings auch die zuverlässige Versorgung mit Gas von hoher Bedeutung. Gera-

de an diesem Standort ist an einen übereilten Ausstieg aus der Kohle nicht zu denken. Ein Braunkoh-

leausstieg erscheint aus Sicht der Chemiebranche erst dann sinnvoll, wenn verlässliche und wirt-

schaftliche Alternativen geschaffen sind.

Vor diesem Hintergrund lassen sich diverse Herausforderungen aber auch Chancen für den Chemie-

park Knapsack identifizieren. Eine der größten Herausforderungen ist aktuell sowie potentiell auch in

den kommenden Jahren der steigende Strompreis. Wie bereits erläutert, muss der Strom für die

energieintensive Branche unbedingt bezahlbar bleiben, damit sie international konkurrenzfähig

bleibt. Weitere Herausforderung sind die Energieeffizienz und Versorgungssicherheit: auch sie müs-

sen für einen konkurrenzfähigen Standort stetig verbessert und gewährleistet werden, um eine wirt-

schaftliche Produktion am Standort zu ermöglichen. Ein weiteres Anliegen ist die Flexibilisierung der

Netze. Diese ist als große Chance für die Chemiebranche zu verstehen, die Energiewende aktiv mit-

zugestalten. Auf dem Gelände laufen bestimmte chemische Prozesse ab, die nach Bedarf gesteigert

oder gedrosselt werden können. Damit kommt der Chemiebranche potentiell eine große Bedeutung

zu. Solange es noch keine ausreichenden und bezahlbaren Speichertechnologien gibt, könnte die

Chemiebranche helfen, den Strommarkt auszugleichen. Wenn “zu viel” Strom im Netz ist, wird die

Produktion auf ein Maximum gefahren, wenn jedoch “zu wenig” Strom zu Verfügung steht, werden

Prozesse heruntergefahren oder eingestellt. Das Problem ist zurzeit, dass keinerlei Anreize für die

Unternehmen bestehen, um ihr Produktionslevel tatsächlich dem Stromangebot anzupassen. An

dieser Stelle fordern Unternehmenskomplexe, wie der Chemiepark Knapsack, politische bzw. fiska-

lisch Anreize, um die Chemiebranche stärker einzubinden und sie maßgeblich am Strommarktaus-

gleich zu beteiligen.

3. Diskursnetzwerkanalyse

Die Energiewende ist weit davon entfernt, ein abgeschlossenes Projekt zu sein. Obwohl bei der all-

gemeinen Zielsetzung mittlerweile von einem „gesamtgesellschaftlichen Konsens“ gesprochen wer-

den kann, sind vor allem noch viele Fragen der konkreten Umsetzung offen. Deutlich wird dies unter

anderem durch regelmäßige Novellierungen und Nachbesserungen des Erneuerbare-Energien Geset-

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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zes (EEG), vermehrte Konflikte zwischen Bundes- und Landesregierungen sowie vermehrter Kritik von

Bürgerinitiativen und Unternehmen bezüglich einer Vielzahl von Themen. Die Debatte um das „wie“

der Energiewende wird auf verschiedenen politischen Ebenen und in verschiedenen Sektoren ge-

führt. Im Bundestag und in Landtagen, in Energiegenossenschaften und Fußgängerzonen und nicht

zuletzt auch in den Medien. Obwohl Informationenaustausch und politische Willensbildung verstärkt

im Social-Media Bereich stattfindet, sind traditionelle Medien nach wie vor eine der Hauptinformati-

onsquellen für die meisten Bürgerinnen und Bürger7. Medien sind jedoch nicht nur Informationsquel-

le, sondern liefern auch einen Gesamtüberblick über Meinungen und Debatten, indem sie ver-

schiedenste Akteure zu Wort kommen lassen. Diese Übersicht an verschiedenen Meinungen ist so-

wohl aus wissenschaftlicher als auch aus praktischer Sicht hochinteressant und bildet die Grundlage

unseres Forschungsprojektes.

Um den medialen Diskurs zur Energiewende repräsentativ zu erfassen, analysierten wir zwei der

auflagenstärksten deutschen Tageszeitungen, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und die Süd-

deutsche Zeitung (SZ), über einen Untersuchungszeitraum von fünf Jahren. Insgesamt wurden über

4000 Artikel analysiert. Für den Zeitraum 2013 – 2016 konnten insgesamt über 250 relevante Akteu-

re und rund 450 Themen des öffentlichen Diskurses um die Energiewende identifiziert werden. Das

genaue methodische Vorgehen ist auf der Projektseite8 näher erläutert.

Für Verbände und Unternehmen sind die gesammelten Ergebnisse vor allem interessant, da sie einen

systematischen, empirischen Überblick über die mediale Eigendarstellung einzelner Akteure darstel-

len. Darüber hinaus ermöglichen sie die Identifikation von politischen Mitstreitern und Gegnern. Die

Datenanalyse zeigt damit auf, in welchen Bereichen strategische Koalitionen zur Interessenartikulati-

on gebildet werden können. Wenn beispielsweise eine Bürgerinitiative gegen Windräder in einer

Region genau quantifizieren kann, wer ähnliche Argumente wie sie vertritt, kann sie sich mit ähnlich

gesinnten Akteuren vernetzen und ihren Argumenten mehr Gewicht verleihen. Diese Bildung von

„Advocacy-Koalitionen“ 9 werden nicht nur in der Praxis, sondern auch vermehrt in der Wissenschaft

als grundlegende Notwendigkeit für erfolgreiche Interessensvertretung angesehen. Darüber hinaus

liefern unsere Ergebnisse auch tiefere Erkenntnisse darüber, welche Themengebiete der Energie-

wende häufig zusammen diskutiert werden und wie sich die Debatte der Energiewende im Lauf der

Jahre gewandelt hat.

a) Versorgungssicherheit

Für kaum eine in Deutschland ansässige Industrie ist Energie eine wichtigere Ressource als für die

Chemieindustrie. Aus eben diesem Grund ist es von großer Bedeutung für die Chemieindustrie, dass

die Ressource Energie durchgehend und bezahlbar zur Verfügung steht. Mit der fortschreitenden

Energiewende ist die sichere unterbrechungsfreie Versorgung mit Energie, insbesondere mit Strom,

zu einem viel diskutierten Thema in Politik und Wirtschaft geworden.

Die Reduzierung der Stromerzeugung durch konventionelle Energieträger, wie beispielsweise Braun-

und Steinkohle, und die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromproduktion, führen

zu herausfordernden Situation für die deutsche Energieversorgungssicherheit: die erneuerbaren

Energien sind von Faktoren, wie beispielsweise dem Wetter abhängig, die vom Menschen nicht be-

7 Etwa 59% der Deutschen nutzen 2016 verschiedene TV-Formate als Informationsquelle, Zeitungen etwa 49%; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/171257/umfrage/normalerweise-genutzte-quelle-fuer-informationen/ 8 www.energienetzwerke.org 9 Als Advocacy-Koalitionen werden Bündnisse von Akteuren innerhalb eines Politikfeldes zu einem bestimmten Thema bezeichnet.

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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einflussbar sind. Dazu kommt, dass die Möglichkeiten der Energiespeicherung momentan noch sehr

begrenzt sind. Vor diesem Hintergrund ist die Sorge um die sichere Versorgung mit Strom nicht un-

begründet. Konventionelle Energien leisten durch ihre vergleichsweise hohe Flexibilität, die Menge

der erzeugten Energie zu regulieren, einen wichtigen Beitrag dazu, die deutsche Versorgungssicher-

heit zu garantieren. Diese Tatsache macht die Diskussion um den Zeitpunkt der Abschaltung konven-

tioneller Kraftwerke besonders relevant für die deutsche Chemieindustrie und damit auch für den

Chemiepark Knapsack.

Abbildung 1: Diskurs 2013 & 2014

Abbildungen 1 und 210 stellen diese Diskussion als Netzwerk dar und ermöglichen einen Blick auf die

Äußerungen einzelner Akteure zu bestimmten Themen über Zeit. Dargestellt werden Zustimmung zu

einem Thema (grün) und Ablehnung (rot). Es lässt sich feststellen, dass das Thema Versorgungssi-

cherheit ein über die Jahre durchgehend wichtiges und relevantes Thema für den deutschen Diskurs

zur Energiewende darstellt und Akteure aus unterschiedlichsten Branchen und Fachgebieten be-

schäftigt. Auffällig ist die ausschließlich positive Einstellung der Akteure gegenüber dem Thema. Es

besteht ein weiter Konsens, dass die Energie durchgehend und sicher zur Verfügung stehen muss. Im

Gegensatz dazu divergieren die Meinungen der Akteure in der Frage um den Kohleausstieg. Während

beispielsweise große Industrie- und Arbeitnehmerverbände sowie die FDP oder die großen deut-

schen Energieversorger einem Ausstieg aus der Kohle mehrheitlich kritisch gegenüberstehen, findet

10 Mittels der Diskursnetzwerkanalyse lässt sich die öffentliche Debatte grafisch darstellen. Die einzelnen Knoten repräsentieren dabei Diskursinhalte (Themen) und die Diskursakteure, die sich zu diesen Themen positionieren. Zustimmung seitens eines Akteurs wird mit grünen Verbindungen dargestellt, Ablehnungen mit roten Verbindungen. Äußert ich ein Akteur nicht kohärent zu einem Thema, beispiels-weise wenn verschiedene Mitglieder einer Organisation unterschiedliche Aussagen tätigen, oder wenn sich die Position der Organisation über Zeit verändert, wird dies mit blauen Verbindungen dargestellt.

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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diese Idee Anhänger bei Umweltorganisationen, aber auch bei politischen Parteien, vor allem bei den

Grünen, sowohl auf Landes- und Kommunalebene, als auch auf Bundesebene. Der Vergleich der bei-

den Zeiträume macht deutlich, dass sich die Einstellung der Akteure in dieser Frage auch nicht verän-

dert. Die Polarisierung bleibt deutlich bestehen.

Abbildung 2: Diskurs 2015 & 2016

Im Einklang mit den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen sprechen sich deutsche Bundesbe-

hörden, sowie Regierungsvertreter für einen Ausstieg aus der Kohle aus.

Aus dieser Analyse lässt sich für die deutsche Chemieindustrie und für den Chemiepark zusammen-

fassen, dass in Deutschland ein breiter Konsens bezüglich einer guten und auch in der Zukunft durch-

gehenden Versorgungssicherheit besteht. Auch wenn die Wege zur Erreichung dieses Ziels umstrit-

ten sind, ist allen an der Diskussion beteiligten Akteuren die Bedeutung des Themas bewusst. Eine

Etablierung oder ein aktives „Agenda Setting“ seitens des Chemieparks ist für dieses Thema nicht

notwendig. Die kommunikative Herausforderung besteht vielmehr darin, die Relevanz der Kohlekraft

für die Versorgungssicherheit herauszustellen. Dieses Thema ist im Gegensatz zur Versorgungssi-

cherheit sehr kontrovers diskutiert. Für den Chemiepark empfiehlt sich hier eine starke Positionie-

rung im Diskurs für Kohle als notwendige Übergangstechnologie sowie eine Vernetzung und Koordi-

nierung mit anderen Akteuren ähnlicher Meinung (insb. DGB, IG BCE und andere Akteure die sowohl

wirtschaftliche als auch Arbeitnehmerinteressen vertreten).

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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b) Flexibilisierung deutscher Strommarkt

Für ein Gelingen der Energiewende ist ein flexibles Strommarktsystem von großer Bedeutung, da ein

solches eine erfolgreiche Integration von erneuerbaren Energien in die deutsche Energielandschaft

ermöglicht11. Um durch die Abhängigkeit der Stromproduktion erneuerbarer Energien vom Wetter

keine Nachteile für die Energieverbraucher entstehen zu lassen, ist es von elementarer Bedeutung,

dass der Strommarkt die zeitlich und mengenmäßig unregelmäßige Erzeugung von Strom ausgleicht.

Flexibilisierung findet auf zwei Seiten statt. Zum einen auf der Anbieterseite, der Stromerzeugung,

was bedeutet, dass Strom durch das Zusammenspiel mehrerer Arten der Erzeugung durchgehend

und möglichst kostenniedrig zur Verfügung steht. Zum anderen ist Flexibilisierung ebenso wichtiges

Thema von Stromverbrauchern, wie beispielsweise durch Anpassung des Energieverbrauchs an die

Zeiten der Erzeugung.

Ein flexibler Strommarkt kann durch effizientes Zusammenbringen von Verbraucher und Anbieter

eine Anpassung an die Veränderung der Erzeugung ermöglichen. Als Verbraucher großer Mengen

Stroms, hat auch der Chemiepark Knapsack ein Interesse an einer fortschreitenden Flexibilisierung

des Strommarktes.

Abbildung 3: Diskurs 2013 - März 2017

Die Analyse des Diskursnetzwerkes zum deutschen Strommarkt zeigt deutlich, dass ein breiter Kon-

sens in der energiepolitischen Landschaft darin besteht, dass das Stromsystem Änderungen erfahren

muss, um zukunftsfähig bleiben zu können. Die Art der Änderungen ist jedoch umstritten. Deutlich

11 Vgl. u.a. https://www.bee-ev.de/fileadmin/Publikationen/Studien/20150216BEE_Strommarkt_Flexibilisierung.pdf

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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wird in der Analyse, dass das in 2016 bereits in Kraft getretene Gesetz zur Kapazitätsreserve den Dis-

kurs zum deutschen Strommarkt nicht nur stark prägt, sondern auch Gegenstimmen hervorruft.

Ähnlich bedeutsam wie die Diskussion um die Kapazitätsreserve und mit dieser eng verknüpft, ist die

Frage um die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in den Strommarkt. Hier sprechen sich der einfluss-

reiche Bundesverband der deutschen Industrie sowie der ebenfalls wichtige Bundesverband der

Energie- und Wasserwirtschaft gegen einen starken Einfluss des Staates auf den deutschen Strom-

markt aus. Ihrer Ansicht gegenüber steht die Aussage der Bundeskanzlerin, die ihre Zustimmung für

eine stärke Regulierung des Strommarktes durch den Staat kommuniziert.

Für den Chemiepark lässt sich aus der Analyse der Schluss ziehen, dass die Forderungen der deut-

schen energiepolitischen Landschaft in Bezug auf Flexibilisierung durchaus Gehör finden und in bin-

dende Gesetze umgewandelt werden, was an dem Beispiel der Kapazitätsreserve deutlich wird. Auch

wenn die Flexibilisierung des Strommarktes sicherlich noch nicht abgeschlossen ist, so ist dieses

Thema doch im energiepolitischen Diskurs vertreten und der Chemiepark kann mit einem fortlaufen-

den Einsatz unterschiedlichster Akteure für ein flexibles Strommarktsystem rechnen.

Obwohl das Thema der Flexibilisierung der Netze große Zustimmung im medialen Diskurs findet,

herrscht noch eine sehr große Uneinigkeit über das „wie“ bzw. die konkrete Umsetzung. Die Che-

miebranche hat aufgrund ihrer produktionsbedingten Abläufe ein erhebliches Potential flexible Net-

ze tatsächlich umsetzbar werden zu lassen. Aufgrund dieses Potentials oder der vorhandenen Exper-

tise sollte sich sowohl der Chemiepark als auch die Chemiebranche stärker im Diskurs beteiligen um

dort eine zentralere Roll einzunehmen. Insbesondere aufgrund der vielen noch offenen Fragen der

technischen Umsetzung könnte eine stärkere öffentliche Präsenz und Positionierung dabei helfen,

die Flexibilisierung des Strommarktes aktiv mitzugestalten und eigene Interessen stärker zu berück-

sichtigen. Nicht nur wegen des vorhandenen Potentials, sondern auch wegen der Vielzahl von Be-

schäftigen in der Chemiebranche kann damit gerechnet werden, dass Argumente der Chemiebranche

auf starke Resonanz stoßen würden. Diese stärke Präsenz im Diskurs und die Positionierung als Lea-

der im Bereich der Flexibilisierung könnte sich dann wiederum auch auf politische Entscheidungen

auf Landes- und Bundesebene auswirken.

4. SWOT-Analyse

Im Rahmen unserer Analyse des Chemiepark Knappsack konnten wir bisher mehrere potentielle

Stärken und Schwächen des Industriestandortes identifizieren. Basierend auf unserer vorangehenden

Netzwerkanalyse konnten wir zudem die Beziehung der InfraServ GmbH & Co. Knapsack KG zu meh-

reren wichtigen Akteuren der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmen. Aufbauend auf diesen

Erkenntnissen werden nun im Zuge dieser SWOT-Analyse die Stärken, Schwächen, Chancen und Risi-

ken, die sich aus diesen Faktoren für die InfraServ ableiten lassen, erläutert.

Einige der größten Stärken des Chemieparks, und damit auch der InfraServ G, ergeben sich aus sei-

nem sehr günstig gelegen Standort. So verfügt der Chemiepark über einen eigenen Eisenbahnan-

schluss, der nächste Autobahnanschluss liegt nur vier Kilometer entfernt – ohne dass man um ihn zu

erreichen eine Ortschaft durchfahren müsste - und auch der nächste Hafen liegt nur 20 Kilometer

entfernt. Ein weiterer Faktor, der sich für die Zukunftsaussichten der InfraServ als vorteilhaft erwei-

sen dürfte, ist die hohe Anzahl an ansässigen Unternehmen und die damit gute Auslastung des Che-

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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mieparks12. Zudem kann die InfraServ darauf bauen, dass ihre Mitarbeiter sehr zufrieden mit der

Arbeit bei ihrem Arbeitgeber sind, der als einer der attraktivsten Arbeitgeber in der Branche gilt13.

Im Gegensatz zu anderen Chemiestandorten, verfügt das Unternehmen über ein sehr gutes Image

auch bei der umliegenden Bevölkerung14. All diese Faktoren führen zudem auch dazu, dass das Un-

ternehmen auf eine sehr positive Umsatzentwicklung verweisen kann15.

Ein letzter großer Standortvorteil des Chemieparks ist seine Nähe zu einem Kohlekraftwerk, über das

er sehr günstig mit Wärmeenergie versorgt werden kann.

Aus dieser Stärke erwächst aber auch eine der größten aktuellen Schwächen des Industriestandorts:

Der Chemiepark ist, um seine Versorgung mit Wärmeenergie sicherzustellen, sehr auf das nahe Koh-

lekraftwerk angewiesen und dadurch abhängig von seinem fortgesetzten Betrieb und konstanten

Preisen für die angekaufte Wärme. Zudem stellt die große Anzahl an in dem Park ansässigen Che-

mieunternehmen ebenfalls ein potenzielles Risiko für die Zukunftsaussichten des Chemieparks dar,

da eine Krise der Chemiebranche (bspw. ausgelöst durch im Zuge der Energiewende steigenden

Energiepreisen) ebenfalls für den Standort existenzbedrohend werden könnte. Diese hohe Anzahl an

ansässigen Chemieunternehmen führt zudem auch dazu, dass der Chemiepark in seiner Gesamtheit

einen sehr hohen Energieverbrauch aufweist, was zur Folge hat, dass die Attraktivität des Standorts

unter stark schwankender Energiepreise deutlich leiden könnte16. Der hohe Energieverbrauch des

Parks hat des Weiteren zur Folge, dass der Park stark auf eine zuverlässige und störungsfreie Strom-

versorgung angewiesen ist und kaum Möglichkeiten hat, auf Stromausfälle oder Energieengpässe zu

reagieren.

Aus den zuvor genannten aktuellen Stärken und Schwächen der InfraServ GmbH ergeben sich aber

auch zahlreiche Chancen für das Unternehmen, die sich im Rahmen der Energiewende ergebenden

Entwicklungen zu seinem Vorteil zu nutzen. So könnte es bspw. die starke Abhängigkeit vom nahen

Kohlekraftwerk als Motivation nutzen, um durch den Bau eines eigenen Heizkraftwerkes bei der

Wärmegewinnung unabhängiger von externer Versorgung zu werden. Zudem könnte das so entstan-

dene Heizkraftwerk auch die Stromversorgung des Chemieparks flexibilisieren und ihn, zusammen

mit der verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, unabhängiger von der konventionellen Strom-

versorgung werden lassen. Um mit der unvermeidbaren restlichen Abhängigkeit von der externen

Energieversorgung am besten umgehen zu können, könnten die im Chemiepark ansässigen Unter-

nehmen ihre Produktion an den schwankenden Preisen des Energiemarktes ausrichten, so dass sie in

Phasen hoher Energiepreise weniger energieintensive Produkte herstellen und in Phasen günstiger

Energiepreise energieintensivere. Zudem könnte durch eine Effizienzsteigerung der ansässigen Un-

ternehmen hinsichtlich ihres Energieverbrauchs die Abhängigkeit des Parks vom Strompreis weiter

reduziert werden. Die Abhängigkeit des Industriestandorts, und damit auch der der InfraServ, von

der Chemiebranche könnte zudem als Anreiz genommen werden, um durch eine Differenzierung der

ansässigen Unternehmen den Standort an sich unabhängiger vom Schicksal einzelner Industriezweige

zu machen. Während dieses Unterfangen zweifelslos ein langfristiges sein wird, könnte die aktuelle

Abhängigkeit von der Chemiebranche aber auch noch positive Folgen für den Standort haben. So

12 http://www.chemiepark-knapsack.de/standort/zahlen-und-fakten/ 13 http://www.presseportal.de/pm/118319/3250612 14 http://www.ksta.de/region/rhein-erft/huerth/chemiepark-knapsack-keine-angst-vor-imageschaden-2384482 15 . http://www.ksta.de/region/rhein-erft/huerth/studie-umsatz-von-infraserv-knapsack-stieg-um-mehr-als-13-prozent-24468900 16 http://www.rundschau-online.de/region/rhein-erft/chemiepark-knapsack-licht-und-schatten-ueber-dem-huegel-5291016

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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kann diese Branche, auch wenn sie durch schwankende Energiepreise gefährdet ist, eventuell auch

von der Energiewende profitieren, da die Umstellung auf erneuerbare Energien viele neue Aufträge

für die Branche schaffen könnte.

Neben den genannten Chancen für den Chemiepark haben unsere Analysen aber auch einige Risiken

zu Tage gefördert, die sich aus der strategischen Aufstellung des Chemieparks in Kombination mit

den Ansprüchen der Energiewende ergeben. So ergibt sich bspw. aus der starken Abhängigkeit des

Chemieparks von der Chemiebranche eine ganze Reihe von Risiken. Insbesondere die Gefahr von

stark steigenden Strompreisen ist für alle Unternehmen des Parks relevant. Vor allem wenn der

Standort im Vergleich zum Ausland durch diese Entwicklung der Energiepreise an Wirtschaftlichkeit

einbüßen würde, könnte dies fatale Folgen für die Konkurrenzfähigkeit des Standorts haben. Des

Weiteren stellen für die ansässigen Unternehmen, und damit für den Park selbst, auch durch die

Energiewende erhöhte Treibstoffpreise, und damit steigende Transportkosten, ein zunehmendes

Problem dar. Ein großer, auf der Energieversorgung basierender Risikofaktor ergibt sich daraus, dass

der Industriestandort sehr darunter leiden würde, wenn durch die zunehmende Umstellung auf er-

neuerbare Energiequellen die kontinuierliche Versorgungssicherheit mit Elektrizität in Deutschland

gefährdet werden würde. Eine letzte Gefahrenquelle des Parks stellt seine starke Abhängigkeit vom

nahen Kohlekraftwerk da. So würde der Chemiepark mit seinen jetzigen Strukturen stark unter einer

Abschaltung des Kohlekraftwerkes im Rahmen eines eventuellen Kohleausstieges leiden. Ebenfalls

wettbewerbsschädigend für ihn wäre es aber auch schon, wenn die Betreiber des Kraftwerkes be-

schließen sollten durch eine Erhöhung der Preise für die Abwärme einen Teil der ihnen durch die

Energiewende aufgebürdeten Kosten wieder auszugleichen.

Zusammenfassend zeigt die Analyse des Chemieparks Knappsack im Allgemeinen, und der der Infra-

Serv im Speziellen, dass die Energiewende Unternehmen im Chemiebereich vor eine Reihe von Her-

ausforderungen stellt. Insbesondere die Preisentwicklung für Energie sowie die Verlässlichkeit der

Stromnetze und die damit verbundene Versorgungssicherheit, lassen sich als zentrale Themen aus-

machen. Die Chemiebranche birgt jedoch auch enormes Potential um die Umgestaltung des Strom-

marktes, insbesondere die Dezentralisierung, aktiv mitzugestalten. Schafft es die Chemiebranche,

den die Umstrukturierungsprozesse der nächsten Jahre aktiv zu begleiten, sollten die Chancen der

Energiewende die Risiken überwiegen.

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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Ausprägung Chancen Risiken

Externe Faktoren

(Umweltanalyse)

Interne Faktoren

(Ressourcenanalyse)

Flexibilisierung der Stromversor-

gung Verstärkte Nutzung er-

neuerbarer Energien; Gewinn an

Unabhängigkeit vom Kohlekraft

Aufbau eigenes Heizkraftwerk;

Differenzierung der ansässigen

Unternehmen; Produktion des

Chemieparks am Energiemarkt

ausrichten; Effizienzsteigerung

hinsichtlich Energieverbrauch;

Energiewende schafft Aufträge für

Chemiebranche

Wirtschaftskrise / Krise der Che-

miebranche; Verschärfte Vor-

schriften für Chemiebranche;

Kohleausstieg Abschaltung des

nahen Kohlekraftwerks; Erhöhung

der Preise für Abwärme; Erhöhte

Transportkosten (Spritpreise);

Erhöhung der Strompreise; Man-

gelhafte Versorgungssicherheit

Konkurrenzfähigkeit hinsichtlich

Energiepreise gegenüber Ausland

Abwanderung von Unterneh-

men

Relative Stärken Strategie

Hohe Standortqualität;

Hohe Zufriedenheit der Mitarbei-

ter; Positive Umsatzentwicklung;

Nähe zum nahen Kohlekraftwerk

und Versorgung mit Abwärme;

Viele Unternehmen ansässig;

Eigener Schienenanschluss; Nähe

zur Autobahn; Relative Nähe zum

Hafen; Sehr gutes Image bei der

umliegenden Bevölkerung

Gute aktuelle wirtschaftliche

Situation ausnutzen um wirt-

schaftliche Basis nachhaltig aus-

zubauen17; Grüne Pilotprojekte

nach außen hin vermarkten;

Standortqualitäten für nachhalti-

ge Entwicklung des Parks nutzen18

Abhängigkeit von Kohle reduzie-

ren; Standortvorteile zur Anwer-

bung neuer Unternehmen nut-

zen19; Image und Vorbildrolle bei

Debatte mit Politik über Risiken

der Energiewende nutzen

Relative Schwächen Strategie

Potentielle Abhängigkeit von

Chemieunternehmen; Abhängig-

keit von nahmen Kohlekraftwerk;

Abhängigkeit von schwankenden

Strompreisen; Hoher Energiever-

brauch; Kaum Flexibilität bei der

Stromversorgung Kaum Mög-

lichkeiten auf Stromausfälle zu

reagieren

Krisensituationen als Motivatoren

für nachhaltige Reformen begrei-

fen20; Lösungsansätze als Argu-

ment für Standort vermarkten21

(Regionale) Politik auf Gefahren

für den Wirtschaftsstandort durch

die Energiewende aufmerksam

machen; Verbündete im öffentli-

chen Diskurs suchen22

Abb. 4: Ergebnisse der SWOT-Analyse

17 Nutzung erneuerbarer Energien im Park ausbauen / Ansässige Unternehmen für erfolgreiche Energie aufstellen (Energieeffizienz steigern und Branchen diversifizieren) 18 Gute Verkehrsanbindungen (auch an Bahn und Schiff) als Argument für Standort vermarkten 19 Offensive beim Wettbewerb mit anderen Industriestandorten gute Infrastruktur als Werbeargument vorbringen 20 Transformativen Moment der Energiewende zur Durchführung von langfristig erfolgssichernden Reformen nutzen 21 Grüne Reformerfolge (z.B. Nutzung erneuerbarer Energien) als Werbung für Ansiedlung von Unternehmen nach außen kommunizieren 22 Kommunikationsnetzwerke mit Stakeholdern / Akteuren mit ähnlicher Interessenslage aufbauen, um eigene Position im öffentlichen Diskurs zu stärken v.a. auch um vor den Gefahren eines überstürzten Kohleausstiegs zu warnen

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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5. Handlungsempfehlungen

Für die Chemiebranche im Allgemeinen und den Chemiepark Knapsack im speziellen sind die Heraus-

forderungen der Energiewende im Wesentlichen die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Energieprei-

sen und die Notwendigkeit von stabilen und verlässlichen Stromnetzen. Die Diskursnetzwerkanalyse

zeigt, dass diese Themen grundsätzlich ein wichtiger Teil des Diskurses sind und von vielen Akteuren

aufgegriffen werden. Auch wird die Wichtigkeit der Versorgungssicherheit von keinem relevanten

Akteur angezweifelt. Ebenso wird die Flexibilisierung der Netze im Allgemeinen im medialen Diskurs

positiv bewertet. Weniger eindeutig ist der Diskurs jedoch hinsichtlich der konkreten Umsetzung

dieser Ziele. Hier sollte sich sowohl der Chemiepark als auch die Chemiebranche als Ganzes stärker

im Diskurs positionieren. Insbesondere folgende Punkte sollte offensiver kommuniziert bzw. umge-

setzt werden

- Die Relevanz von Kohlekraftwerken für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Vor al-

lem hinsichtlich des kontroversen medialen Diskurses um dieses Thema erscheint es wichtig,

hier die Anliegen der Chemiebranche klar und nachvollziehbar in den politischen Diskurs ein-

zubringen. Derzeit ist dies nur in sehr eingeschränkter Weise der Fall

- Die Bildung von Koalitionen zur Bündelung und Abstimmung der eigenen Anliegen. Insbe-

sondere die stärkere Vernetzung mit dem DGB sowie der IG BCE als dominierende Diskurs-

teilnehmer sind hierfür relevant. Darüber hinaus ähneln laut unserer Diskursanalyse die Inte-

ressen großer Energieversorger denen des Chemieparks. Hervorzuheben sind hier insbeson-

dere RWE und E.ON, die für Versorgungssicherheit, aber auch für Flexibilisierung einstehen.

Ein weiterer potentieller Partner mit großem politischem Einfluss ist das Land NRW, unab-

hängig von der Zusammensetzung der Landesregierung.

- Die Positionierung des Chemieparks und der Chemiebranche als technologischer Vorreiter im Feld der Netzflexibilisierung. Für die Energiewende liegt hier eine große Chance, da der Che-miepark, sowie die gesamte chemische Industrie, maßgeblich zu ihrem Erfolg beitragen könnten. Durch eine Flexibilisierung würde eine regulierte Stromnutzung möglich, die not-wendig ist, um den Energiemarkt ausgleichen zu können und größere Schwankungen im Netz zu verhindern. Zurzeit besteht jedoch kein Anreiz für Unternehmen, sich an einem solchen Netzausgleich zu beteiligen. Daher wäre es im Interesse des Chemieparks und der gesamten deutschen chemischen Industrie Aufmerksamkeit zu generieren für diese Möglichkeit und große Chance. Im Anschluss könnten dann von politischer Seite Anreize gesetzt werden um Unternehmen in der chemischen Industrie zu einem entscheidenden Akteur beim Netzaus-gleich werden zu lassen und die Energiewende so weniger risikoreich zu gestalten und sie weiter voranzutreiben.

Darüber hinaus birgt eine noch tiefergehende Diskursanalyse, insbesondere unter Einbeziehung

lokaler Medien, aufgrund der hohen regionalen Bekanntheit und Reputation des Chemieparks

ein sehr hohes Potential. Vor allem zur Bildung von Koalitionen zur Durchsetzung von Mitglieder-

interessen auf Landesebene ist ein tieferes Verständnis des politischen Diskurses erforderlich. Ein

kontinuierliches DNA-gestütztes Medien-Monitoring sehen wir daher als sinnvolle Ergänzung der

strategischen Tätigkeit der Chemieparks Knapsack.

Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende

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6. Anhang

Das Forschungsprojekt „Energienetzwerke“ ist das Ergebnis eines studentischen Projekts, das 2016

an der Universität Konstanz ins Leben gerufen wurde. Es ist Teil des von der Stiftung der Deutschen

Wirtschaft und der innogy Stiftung geförderten Think Lab „Energie—Gesellschaft-Wandel“. Eine

Gruppe von Studierenden entschied, sich intensiv und aus einer neuen Perspektive mit dem kontro-

versen Prozess der deutschen Energiewende auseinander zu setzen. Seit der Nuklearkatastrophe von

Fukushima im Jahr 2011, die im deutschen Ausstieg aus der Atomenergie resultierte, ist der Begriff

„Energiewende“ in politischen Debatten, medialer Berichterstattung, öffentlichem Diskurs und aka-

demischer Forschung allgegenwärtig.

Als Projektteam beschlossen wir daher die Energiewende systematisch und über einen längeren Un-

tersuchungszeitraum mit der relativ neuen Methodik der Diskursnetzwerkanalyse zu beleuchten, um

(1) zu einem besseren Verständnis des bis 2030 andauernden Veränderungsprozesses beizutragen,

(2) die Interessen und Strategien der involvierten Akteure zu analysieren und

(3) zu verstehen, wie diese involvierten Akteure versuchen die öffentliche Meinung zur Energiewen-

de zu beeinflussen.

“Energienetzwerke” ist ein unabhängiges, von Studenten geleitetes und durchgeführtes Forschungs-

projekt.