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BREMENBUCH - Verbrecher Verlag · 2013. 1. 31. · Detlev Claussen Heimspiele an der Weser 221 Zu den Autorinnen und Autoren 233. Vorwort Es ist merkwürdig. Kaum jemand hasst Bremen

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Bremen liegt an der Weser. Früher gab es Kolonialwarenhändler,Werften, Räterepublik und die rote Kaderschmiede, aber das istlange her. Nach wie vor essen die Bremer Labskaus und Kohlmit Pinkel, exportieren Beck’s und die Bremer Stadtmusikantenin alle Welt, lieben Paula Modersohn-Becker und Tim Fischer,sind natürlich für Werder und stolz auf Schnoorviertel, Bött-cherstrasse, Roland, Dom und Überseemuseum. Doch was istdie Stadt, die zusammen mit ihrer Hafendependance das kleinsteBundesland bildet, wirklich? Texte und Bilder von Nina Bitt-cher, Adelbert von Chamisso, Peter O. Chotjewitz, DetlevClaussen, Tanja Dückers, Fabsi, Gabriele Goettle, Oliver Gra-jewski, Germar Grimsen, Judith Heckel, Meike Jansen, JürgenKiontke, Knud Kohr, Radek Krolczyk, Rudolf Lorenzen, KoljaMensing, Jana Nowack, Eric Peters, Sven Regener, Hans-GeorgSchaefer, Tim Schomacker, Johannes Springer, Arn Strohmeyer,Florian Thalhofer, Linus Volkmann und Ambros Waibel.

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BREMENBUCHHerausgegeben vonWerner Labisch und Jörg Sundermeier

Verbrecher Verlag

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Erste AuflageVerbrecher Verlag Berlin 2008www.verbrecherei.de

© Texte und Bilder bei den jeweiligen Autorinnen und Autoren© für diese Zusammenstellung Verbrecher Verlag 2008Coverfoto: Meike JansenEinbandgestaltung: Sarah LamparterSatz: Christian WalterDruck: Dressler, BerlinISBN: 978-3-940426-03-1

Printed in Germany

Der Verlag dankt Markus Zwecker und Konrad Krämer.

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Vorwort 7

Judith HeckelThank you for travelling 11

Sven Regener50 Jahre Neue Vahr 17

Rudolf LorenzenBeim Speckstein fing es an 19

Linus VolkmannBuntentorsteinweg bleibt ! 27(Weihnachten aber auch)

Knut KohrsRole Model 33

Arn StrohmeyerDie Böttcherstraße 41

Ambros WaibelGegner im Vergleich 51

Kolja MensingZWEIGE 57

FabsiGeliebter Hemmschuh oder: 63In Bremen lässt sich’s gut leben

Oliver GrajewskiKampf gegen die Versandung und 74Verschlickung der Unterweser, 15. Jhr.–19. Jhr.

Hans-Georg Schaefer / Johannes Springer Fünf Mann am Tresen, 83vier auf der Bühne

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Germar GrimsenMorning has broken 95

Jürgen KiontkeIn die Schuhe spucken 119

Adelbert von ChamissoDie Giftmischerin 127

Tim SchomackerDie Wiederholung 131

Radek KrolczykGeliebte Kreuzung 137

Jana Nowack und Nina BittcherTeneriffa 143

Gabriele GoettleHand- und Kopfarbeit 153

Peter O. ChotjewitzIn Bremen 171

Eric PetersOffener Brief an die BSAG 175

Tanja DückersMaremagnum 191

Florian ThalhoferIm Rolandcenter 213

Detlev ClaussenHeimspiele an der Weser 221

Zu den Autorinnen und Autoren 233

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Vorwort

Es ist merkwürdig. Kaum jemand hasst Bremen. Und ande-rerseits behauptet kaum jemand, an Bremen mit glühenderLiebe zu denken. Man liebt Werder Bremen, ja. Und die We-ser! Aber die Stadt? Es scheint, als sei Bremen auch für seineBewohner eher etwas, mit dem man sich arrangiert hat. Manlebt gut hier, es ist verhältnismäßig ruhig, und die Problemesind in Bremerhaven.

Die traditionsreiche, erstmals 782 erwähnte, ehemalige An-siedlung der Sachsen hat sich dabei recht ruhig durch die Fahr-wasser der Geschichte begeben können. Sie war zwar, wie allealten Städte, von Kriegen betroffen, ist jedoch nie geschleiftworden. Sie trat der Hanse bei, soll aber, ein eher unzuverläs-siger Partner gewesen sein. Die Reformation verlief ohne allzuheftige Kämpfe, spätestens nach dem Westfälischen Friedenwar das frühere Erzbistum Bremen säkularisiert. Der Gefah-ren für den Handel, wie sie etwa Balthasar von Esens, ein, nachBremischer Ansicht »Seeräuber«, darstellte, wurde sich effi-zient entledigt, der Transatlantikhandel dagegen auf- und aus-gebaut. Man arrangierte sich mit der Besetzung durch Napo-leonische Truppen, ebenso wie man es hinnahm, dass mannach dem Zweiten Weltkrieg eine »amerikanische Enklave« imbritischen Besatzungsgebiet war. Bremen und Bremerhavenwurden zu einem eigenen Bundesland und wiederstanden bisjetzt jeder Versuchung, sich ins größere Niedersachsen einzu-gliedern. Die Hansestadt behielt sogar trotzig ihr geliebtes Ra-dio Bremen als kleinsten ARD-Sender bei. Das Motto »buten

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un binnen – wagen un winnen« (»draußen und drinnen – wa-gen und gewinnen«) klingt zwar nach großem Abenteurer-tum, doch waren die Wagnisse eher kaufmännischer Art unddie Gewinne waren vor allem in Münzen zu zählen, nicht inHektar.

So machte sich die Stadt keinen schlechten, doch auch kei-nen allzu guten Ruf. Kaufleute fallen ungern auf. Dabei hatBremen durchaus seine Schattenseiten. So war Bremen etwaeine der wichtigsten Umschlagplätze für die in der Kolonial-zeit geraubten Kunstgegenstände und Waren, während derNazizeit hieß die Stadt deswegen sogar »Stadt der Kolonien«.Und in den heute so schmerzlich vermissten Werften wurdeneifrig Schiffe für Hitlers Marine geschweißt, bei Borgward,dem späteren Inbegriff für Anfang und Ende des sogenannten»Wirtschaftswunders«, wurden Fahrzeuge für den Russland-feldzug hergestellt, weitere Waffen wurden allerorten imStadtgebiet produziert. Auch die Wolle und Kaffee handeln-den Pfeffersäcke arrangierten sich mit den Braunhemden.Und die jüdische Bevölkerung wurde durch die »Arier« wieselbstverständlich ausgegrenzt und ermordet.

Doch in Bremen münzt man gern um, wenn die Zeiten sichändern. Der steinerne Elefant in Schwachhausen, der 1932 das»Reichskolonialehrendenkmal« abgab, wurde 1989 zum »An-tikolonialdenkmal« umgewidmet, nun heißt es in umständli-cher Genitivkonstruktion: »In der NS-Zeit stand der Elefantim Mittelpunkt der Bestrebungen des nationalsozialistischenBremens ›Stadt der Kolonien‹ im ›Dritten Reich‹ zu werden.Afrikas Probleme sind heute noch mit Kolonialismus, Rassis-mus und andauernder Ausbeutung eng verbunden. AfrikasMenschen haben unter großen Opfern in Befreiungskämpfenerfolgreich Widerstand geleistet. Weltweit haben sich viele

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Menschen mit ihnen solidarisiert. Unsere Gesellschaft hat be-gonnen, aus dieser Entwicklung zu lernen. Afrika hat in Bre-men neue Freunde gefunden. Dieses Denkmal ist ein Symbolfür die Verantwortung, die uns aus der Geschichte erwächst.«Die Gegenstände, die Forscher aus Afrika raubten, werdengleichwohl weiterhin im Überseemuseum gezeigt und keines-falls zurückgegeben, da ist nicht mehr die Rede von der »Ver-antwortung, die uns aus der Geschichte erwächst.«.

Dies ist nur ein Beispiel für die Kunst der Bremer, sich zuarrangieren. Doch nicht immer war und ist diese Kunst mo-ralisch zu verdammen. Der norddeutsche Pragmatismus, derdie Stadt prägt, erspart vielen Bremerinnen und Bremern ei-nen zu heftigen Lokalpatriotismus, verlangt dem Senat oderwohltätigen Wohlhabenden nur selten allzu protzige Bautenab oder allzu dröhnende Statements.

Daher fällt es einem Kultursenator nicht schwer, im Jahr1980 dem wegen »Terroraktivitäten« verhafteten Autor PeterPaul Zahl den Literaturförderpreis der Freien HansestadtBremen zu überreichen, auch interveniert er nicht, wenn derPreisträger in der Dankesrede von »Häftlingsüberwachung«und »weißer Folter« spricht.

Wie also lebt es sich in diesem pragmatischen Bremen, wiekommt man hier klar, wie ist es, wenn man nur zu Besuch he-reinschaut? Die Beiträgerinnen und Beiträger dieses Bandesbeschrieben das Bremen abseits der Sehenswürdigkeiten undder Klischees, und dennoch kommt alles vor: der Roland, dieWeser, Werder und die Grohner Düne. Mal direkt, mal indi-rekt. Aber nie zu sehr.

Bremen, im März 2008Radek Krolcyk, Jörg Sundermeier

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Judith Heckel

Thank you for travelling

Bremen-Hauptbahnhof also. Nicht »Messestadt Hanno-ver«, »Universitätsstadt Göttingen«; »Braunschweig – StadtHeinrichs des Löwen« oder gar »Osnabrück – das Zentrumim Osnabrücker Land«. Angenehm unprätentiös. Nur dieStadt Hamburg trägt ihren prädikatlosen Namen noch sou-veräner an ihren Bahnhöfen vor – aber Hamburg hat ja auchvier Fernbahnhöfe und ist ohnehin die größte und mithinabgeklärteste der Hanse-Sisters.

Also Bremen. Früher wohnte ich auf der falschen Seiteder Weser, aber immerhin auf der richtigen Seite des Bahn-hofs – den ich folglich durch den Haupteingang betretenkonnte, wenn ich verreisen musste oder wollte (und dasmuss oder will ich ziemlich oft. Der Bahnhof kennt michalso schon ganz gut. Ich bin dort – o2-Homezone-halber –sogar unter meiner Festnetznummer zu erreichen: »Hallo,bist du zuhause?« – »Ja, so gut wie.«)

Wer den Bremer Bahnhof durch den Haupteingang be-treten will, sollte dies nicht zu Zeiten versuchen, in denendie Pendlerzüge aus den umliegenden Gemeinden ankom-men. Dann werden die Eingangstüren des Bahnhofs näm-lich zu ausschließlichen Ausgangstüren. Und so eine WogeAchimer, Verdener oder Osterholz-Scharmbeker kann ganzschön aggressiv werden, wenn man sich ihr entgegenstellenwill. Also besser verstecken und warten, bis es vorbei ist.Und dabei vielleicht Klaus-Bärbel beim Fußballliedergrölen

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zuschauen. Ohne Klaus-Bärbel wäre der Bahnhofsvorplatznicht vollständig. (Ich hätte allerdings auch immer behaup-tet, ohne die schwachsinnige gigantische Gips-Rosenblüteunter einer Glaspyramide wäre der Bahnhofsvorplatz nichtvollständig. Trotzdem haben sie die abgebaut und dafür einpaar Immendorff-Affen aufgestellt. In meinen Augen eingleichwertiger Ersatz.) Klaus-Bärbel also: ist ungefähr1,60 m groß, trägt mit Vorliebe St.-Pauli-T-Shirts unter grel-len Bauarbeiterwesten zu knieumspielenden Röcken undfleischfarbenen Stützstrumpfhosen. An hohen Feiertagenauch mal eine überdimensionierte orangefarbene Spaß-Kra-watte mit der Aufschrift: HORNY. Dazu meist ein Beck’sin der Hand und einen Werder-Fangesang auf den Lippen.Klaus-Bärbel hat auf immer mein Herz erobert, als ichihn/sie mal in der Straßenbahn bei einem Gespräch mit ei-nem jungen linkischen Mann erlebt habe – KB hat ihn aus-gefragt, was er denn so macht, wo er denn so hinfährt unddann am Schluss festgestellt: »Weißt du was: Du bist richtignett.« Woraufhin der junge Mann fast in Tränen ausbrach:»Das hat noch NIE jemand zu mir gesagt.«

Anders als die Taschengeld-Punks vorm Bahnhof, diesich bevorzugt auf der Wiese vor dem Überseemuseum auf-halten, ist KB kein Schnorrer. Sondern steht einfach nur daund grölt. Weiß der Himmel, womit er/sie sein Beck’s unddiese Krawatten bezahlt.

Liebenswerte Schnorrer gibt es dennoch einige in derStadt: Den Engel in der Neustadt – lange schon verschwun-den –, der seine weißen Haare immer zu einem Zopf obenauf dem Kopf zusammenband und mir mal einen Centschenkte – damit ich immer was im Portemonnaie habe.

Oder der Verlegene – »Ham Sie vielleichtn paar Zennt

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übrig?« – vor der Sparkasse im Viertel, der fast immer gutgelaunt und ein paar Sätzen nicht abgeneigt ist. (Er: »Dusiehst aus, als ob es dir gutgeht.« – Ich: »Oh, danke!« – Er:»Mir geht’s auch gut. Ich hab ne Psychose, aber mir geht’sgut«. Und man glaubt’s ihm. Auch wenn er fragt, ob manein paar Cent habe, damit er sich »was zum Rauchen kaufenkann. Das macht ja schon Spaß, abends vorm Schlafengehenmal schön was zu rauchen«. Ja klar, gerne.)

Zurück zu Klaus-Bärbel. Die tritt besonders gerne dannin seiner Doppelidentität als St.-Pauli- und Werderfan vormBahnhof auf, wenn dort wieder mal Unmengen gepanzerterschlammgrüner Cops darauf warten, dass die Fans der geg-nerischen Mannschaft nach einem Werder-Heimspiel end-lich nach Hause fahren wollen. Damit mal was los ist amBahnhof in Bremen.

Normalerweise hängen auf dem öden Bahnhofsvorplatznämlich neben den Taschengeld-Punks und den Leuten, dieauf den Bänken der Straßenbahnhaltestellen wohnen undzweifelhafte Getränke aus Limoplastikflaschen konsumie-ren, nur ein paar Skater-Kids rum. Denen man in die Ödnisdes Platzes wenigstens ein bisschen Skate-Equipment ge-stellt hat. Damit der Platz aber nicht zu belebt wirkt, hatman gleichzeitig die Fahrradständer abmontiert. Weil einenutzlose Teerfläche mondäner wirkt als diese unordentli-chen Fahrradhaufen. Die Fahrräder sollen jetzt gegen Ent-gelt schön im Fahrradparkhaus abgestellt werden. Haha.

Richtig was los ist hier nur, wenn mal das Bluthochdruck-mobil der AOK vorm Bahnhof Station macht. Oder dasKinderfest des KiKa. Oder an Weihnachten – dann gibt’shier nämlich zur Einstimmung aufs Fest eine drei Meterhohe hölzerne Weihnachtspyramide und drumrum ein paar

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Glühweinbuden. Sowie die »Rentierbar«. Die wäre auchnur eine weitere Glühweinbude, wenn sie nicht am Giebeleinen riesigen, motorgesteuerten Plüsch-Rentierkopf ange-bracht hätte, der zu den ohrenbetäubenden Geräuschen von»Jingle Bells« und »Ho, ho, ho – Merryyyyy Christmasssss«aus den Lautsprechern annähernd synchron den Mund aufund zu macht. Da kommt besinnlichkeitsmäßig so schnellnichts ran.

Oder natürlich jeden Freitag- und Samstagabend, wenndie Züge, mit denen morgens die Pendler in die Stadt kom-men, deren Kinder zum Wochenendvergnügen transportie-ren. Und das Wochenendvergnügen fängt budgetbewusst –weil Bremen eine arme Stadt ist und das Gehalt von Mamaresp. Papa vermutlich nicht gerade üppig – mit dem Kon-sum von Apfelkorn und Prosecco auf dem Weg vom Zug indie Bahnhofshalle an. Da kann man dann noch auf die an-deren Doreens und Fabians warten, sich die Palitücher gradezupfen oder die Karl Kani-Hoody böse ins Gesicht ziehenund dann ab auf die Discomeile in der Bahnhofstraße. Oderzum Knutschen ins Cinemaxx gleich neben dem Überland-busbahnhof.

Inzwischen wohne ich auf der richtigen Seite der Weser,aber auf der falschen der Bahngleise. Also in Schwachhausen.Beziehungsweise in »Schwachhausen-aber-im-vorde ren-Teil-der-ist-nicht-so-schlimm-spießig-und-die-Wohnung-ist-schön«. Dabei sind hier auch keine größeren sonnenbe-brillten Jungmüttergeschwader mit Bugaboo-Kinderwagenunterwegs als im Viertel. Und am Comet-Supermarkt stehtseit Jahren gesprüht »Wiederstand lebt«. Hat vermutlichnur deswegen niemand weggemacht, weil niemand wusste,was es heißen soll.

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