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Biblische und patristische Spiritualität 1) Biblische Spiritualität a) Warum biblische Spiritualität? - Missionarischer Grund: Die Erneuerung des Glaubens muss sich am Geist des Evangeliums orientieren - Offenbarungstheologischer Grund: Die Bibel sollte in der religiösen Erfahrung wieder die Rolle spielen, die sie in der Urkirche hatte und wie sie das II. Vatikanum fordert (vgl. DV 21) - Spiritualitätsgeschichtlicher Grund: Um die Geschichte christlicher Spiritualität zu verstehen bedarf es einer genauen Kenntnis der Hl. Schrift, v.a. des NT, aber auch des AT Prof. Dr. Cornelius Roth VL Spiritualität WS 2014/2015 1

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Biblische und patristische Spiritualität

1) Biblische Spiritualität

a) Warum biblische Spiritualität?- Missionarischer Grund: Die Erneuerung des Glaubens muss sich am Geist des

Evangeliums orientieren- Offenbarungstheologischer Grund: Die Bibel sollte in der religiösen Erfahrung

wieder die Rolle spielen, die sie in der Urkirche hatte und wie sie das II. Vatikanum fordert (vgl. DV 21)

- Spiritualitätsgeschichtlicher Grund: Um die Geschichte christlicher Spiritualität zu verstehen bedarf es einer genauen Kenntnis der Hl. Schrift, v.a. des NT, aber auch des AT

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Biblische und patristische Spiritualitätb) Bibelspiritualität und Exegese- Zwei große klassische Exegeseschulen

- Alexandrinische Schule (Philo von Alexandrien, Origenes): allegorische Exegese- Antiochenische Schule (Lucian von Samosata, Johannes Chrysostomus): Litteralexegese- Übernahme des alexandrinischen Methode durch Augustinus- Im Mittelalter entwickelte sich aus den Vorgaben der Kirchenväter der vierfache

Schriftsinn (vgl. Henri de Lubac): „Littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quod agas, quo tendas anagogia.“

- Beispiel: Jerusalem (Wortsinn: Jüdische Stadt; Allegorischer Sinn: Kirche; Moralischer / Bildlicher Sinn: Seele; Anagogischer Sinn: Himmlische Stadt)

- Bis in die Scholastik des 13. Jhs hinein war diese „spirituelle Exegese“ vorherrschend- Mit dem Aufkommen der Kathederschulen und Universitäten im Spätmittelalter kam es

langsam zu einer Trennung von einer Exegese, die lehrhaft den Literalsinn der Hl. Schrift erörterte und auf der anderen Seite einer Beschäftigung mit der Bibel im liturgischen und kontemplativen Kontext

- Heute: Nach einer Periode, in der eigentlich nur noch die kritische Beschäftigung mit der Hl. Schrift opportun war, wie sie in der historisch-kritischen Exegese ja bis heute betrieben wird, ist es heute wieder modern, den geistlich-pneumatischen Sinn der Schrift hervorzuheben (P. Ricoeur: postkritische Zeit als „zweite Naivität“)

- Für die biblische Spiritualität, wie sie uns bei den Kirchenvätern und Mystikern des Mittelalters entgegentritt, ist die pneumatische Methode die entscheidende

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Biblische und patristische Spiritualitätc) Bilder biblischer Spiritualität- Feuer: hat in der Bibel einerseits eine zerstörerische, vernichtende (dadurch

aber auch läuternde) Funktion, andererseits eine positive, ansteckende, zur Liebe entflammende Wirkung

- Wüste: ambivalentes Bild – wie bei Jesus kann sie Bild der Versuchung, Verbannung und des Todes sein, aber auch Bild der gnadenhaften Zuwendung Gottes, Ort, an dem sich Gottes Macht zeigt

- Weg: äußerlich (Israel als Volk Gottes) und innerlich (Theresa von Avila, Angelus Silesius); Entscheidung (AT: zwei Lebenswege)und Prozess (NT: Paulus); Aufstieg (Johannes Climacus, Johannes vom Kreuz) und Abstieg (Therese von Lisieux)

- Licht: zum einen Bild für Christus selbst, der „Sonne der Gerechtigkeit“, und damit für eine konkrete einmalige Zuwendung Gottes, zum anderen Bild für die ständige, gnadenhafte Zuwendung Gottes (AT, Mechthild von Magdeburg: „Das fließende Licht der Gottheit“)

- Schatz: Bild für die Schönheit und den Wert der Liebe zu Gott, aber auch paradoxes Element (man muss die irdischen Schätze loslassen, um den himmlischen zu gewinnen)

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Biblische und patristische Spiritualitätc) Bilder biblischer Spiritualität- Kind: Haltung der Demut, des Vertrauens in Gott und einer gesunden

„zweiten“ Naivität, die nicht allein auf das eigene, sondern auf Gottes Urteil baut; Wurzeln im NT bei Paulus (Röm 8, 14-17)und in den Joh-Briefen (1 Joh 3, 1-2: „Kind-Gottes-sein“); später wurde das Bild aufgenommen und weiterentwickelt u.a. von Therese von Lisieux („vom Kinde Jesu“) und Hans Urs von Balthasar (Spiritualität kindlichen Vertrauens)

- Braut: Beim Bild der „Braut“ steht die partnerschaftliche Liebe zwischen Mensch und Gott im Vordergrund (AT: Hohelied Salomos!, Ps 45, Jes 62; NT: Offb 22); es eines der wichtigsten Bilder der mittelalterlichen Mystik, v.a. der Visionsliteratur von Frauen („Vermählung mit Christus“)

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Biblische und patristische Spiritualitätd) Wichtige Texte biblischer Spiritualität (vgl. Handout)- Grundlage für die christliche Mystik bzw. Spiritualität ist natürlicherweise

das NT, doch gab und gibt es für die christlichen Mystiker auch Stellen im AT, welche die Begegnung mit Gott / Schau Gottes zum Inhalt haben.

- Wichtige Erzählungen im AT: Begegnung Abrahams mit Gott an den Eichen von Mamre (Gen 18), Jakobs Traum von der Himmelsleiter (Gen 32, 23-31), Gottesschau Moses im brennenden Dornbusch (Ex 3, 14), Elijas Vision am Horeb (1 Kön 19, 9-18), Jesajas Tempelvision (Jes 6, 1-4)

- Neben der Torah wird die Weisheitsliteratur (Jes Sir, Psalmen, Weish) zu einer zentralen Quelle jüdischer wie christlicher Mystik.

- Wichtigster Text für die jüdische und christliche Mystik ist das Hohelied Salomos (galt für viele Juden als das heiligste Buch der Bibel)

- Von den Psalmen kommen als Grundlagentexte christlicher Spiritualität und Mystik v.a. Ps 45 (Hochzeitslied des Königs), Ps 27 (Geborgenheit in Gott) und Ps 139 (Huldigung an den Allwissenden) in Frage

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Biblische und patristische Spiritualitätd) Wichtige Texte biblischer Spiritualität (vgl. Handout)- Unterscheidung zwischen den Synoptikern auf der einen und Paulus und

Johannes auf der anderen Seite- Synoptiker: Mt 5, 8 (Reinheit des Herzens), Mt 11, 27 (Einheit von Vater

und Sohn), Mt 17, 1-9 (Verklärung Christi), Mt 13, 4-23 (Gleichnis vom Sämann), Lk 10, 38-42 (Jesus im Haus von Marta und Maria)

- Paulus: Wichtige Themen seiner Mystik- das „In-Christus-sein“ (Gal 2, 19f u,ö.)- die Liebe Christi, welche die Erkenntnis übersteigt (Eph 3, 18f)- die Einwohnung des Hl. Geistes (Röm 5, 5)- die Sohnschaft mit Jesus Christus als Anknüpfungspunkte für die spätere Lehre der

„Vergöttlichung“ (Gal 4, 6)- die Lehre von der unio mystica (1 Kor 6, 17)- die (spät)-mittelalterliche Leidensmystik (Kol 1, 24)- die Grenzen mystischer Erkenntnis (1 Kor 13, 12) - die Gleichgestaltung mit dem Bild Gottes in uns (2 Kor 3, 17f)

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Exkurs: Die Mystik des Apostels Paulus (vgl. A. Schweitzer)- Schweitzer: „Bei Paulus gibt es keine Gottesmystik, sondern nur

Christusmystik, durch die der Mensch in Beziehung zu Gott tritt. Der Fundamentalgedanke der paulinischen Mystik lautet: Ich bin in Christo; in ihm erlebe ich mich als ein Wesen, das dieser sinnlichen, sündigen und vergänglichen Welt enthoben ist und bereits der verklärten Welt angehört; in ihm bin ich der Auferstehung gewiß; in ihm bin ich Kind Gottes.“

- Christozentrik als Korrektiv gegenüber anderen Formen der Mystik- Durch die Betonung der Christusvermittlung auf dem Weg zur Einheit mit

Gott bekommt die Mystik von Paulus eine realistische und eine dynamische Komponente.

- zwei weitere Charakteristika: Sakramentalität und Geschichtlichkeit- Beginn des „Seins in Christus“ ist an die Taufe und Eucharistie gebunden. - Das konkrete geschichtliche Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu Christi ist für Paulus

keine mythische Vergangenheit, sondern ewige Verheißung .- Schweitzer: „Paulus führt uns auf den sachlichen Weg der Erlösung.“

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Biblische und patristische Spiritualitätd) Wichtige Texte biblischer Spiritualität (vgl. Handout)- Johannes als Quelle christlicher Spiritualität- Bernard McGinn: „Im Joh-Evangelium und den Joh-Briefen, besonders in 1

Joh, finden sich stärker noch als bei Paulus Themen, die sich mystisch ausdeuten lassen.“

- Typisch für Johannes ist die ständige Betonung des Einsseins mit Christus bzw. Gott („Spiritualität der Einheit“) und die „Adoption“ des Menschen zum Kind Gottes (vgl. 1 Joh 3, 2)

- Christusmystik: Christus ist der einzige, der „Kunde gebracht hat“ (Johannesprolog), d.h. in Christus begegnen wir Gott selbst (eine entscheidende Erfahrung vieler christlicher Mystiker).

- Neben der Christozentrik eröffnet Johannes den Horizont einer trinitarischen und – noch stärker als Paulus – einer sakramentalen Mystik (vgl. Joh 6, 51. 56: Brotrede; Joh 19, 34: Blut und Wasser aus der Seitenwunde Jesu als Bild der Eucharistie und Taufe).

- Offenbarung des Johannes: visionäre Erfahrungen (Johannes als Prototyp des Sehers / Ekstatikers).

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Biblische und patristische SpiritualitätExkurs: Die johanneische Mystik - „Prinzip und Fundament“ johanneischer Spiritualität ist der Prolog des

Evangeliums, der die Selbstoffenbarung des Wortes „im Fleisch“ zum Inhalt hat.

- Wort Gottes fordert die Antwort des Menschen heraus, die Johannes mit verschiedenen Tätigkeitsworten umschreibt

- das Erkennen Jesu (Joh 17, 3. 25)- das Empfangen des Hl. Geistes (Joh 7, 39; Joh 14, 17)- Jünger werden (Joh 13, 35; Joh 15, 8)- Glauben (Joh 3, 18. 36; Joh 12, 44; Joh 19, 35)- Kennen (Joh 7, 28f)- Lieben (Joh 14, 21; Joh 15, 9. 12; 1 Joh 4, 19-21)- Bleiben (Joh 15, 4f; 1 Joh 3, 24; 1 Joh 4, 16b)

- Aus den katholischen (nicht johanneischen) Briefen ist schließlich noch eine Stelle zu nennen, die als Anknüpfungspunkt für die Vergöttlichungslehre herangezogen werden konnte: 2 Petr 1, 4

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2) Die Mystik im frühen Mönchtum- Am Ursprung des Mönchtums liegen Aussagen des NT, die davon sprechen,

nach dem Beispiel Jesu die Welt zu verlassen, arm zu leben und sich in die Einsamkeit zurückzuziehen (Versuchung Jesu)

- Zunächst wurde dieses weltabgewandte Leben von asketischen Frauen und Männern noch innerhalb der städtisch geprägten frühen Christengemeinden praktiziert (bis ins 3. Jh.).

- Gegen Ende des 3. / Anfang des 4. Jhs kam es zum „Auszug in die Wüste“, für den es mehrere Gründe gegeben haben dürfte.

- „Ein Bündel von verschiedenen individuellen, kirchlichen, politischen und ökonomischen Gründen mag zusammengewirkt haben: Sorge um das eigene Heil im Widerspruch zu einer defizienten Gemeindeethik, Bewahrung der asketischen Freiheit gegenüber den Ansprüchen einer organisierten Gemeinde, Flucht aus wirtschaftlicher Not, Mentalität einer Verweigerung angesichts der Destabilisierung des Römischen Reiches. Nicht unerheblich ist, daß in Ägypten die schon lange übliche Dorf- oder Landflucht als Anachorese bezeichnet wurde“ (K. S. Frank).

- Ergebnis dieses massenhaften Auszugs in die Wüste war, dass aus dem in der Welt / Gemeinde lebenden Asketen ein monachos (= allein Lebender) geworden war.

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Antonius war einer der ersten (nicht der erste!), der um 275 in die Wüste zog, wobei er dazu direkt durch die Botschaft des Evangeliums inspiriert wurde (Mt 19, 21)- Vita Antonii von Athanasius von Alexandrien (357): schildert den idealen mystischen Menschen, der in der Unterscheidung der Geister und im Kampf mit den Dämonen geübt ist - weniger eine strahlende Einzelfigur, sondern das anerkannte Vorbild aller

nach ihm folgenden Wüstenväter- Zentren und Formen des frühen Mönchtums:

- Ägypten (Sketis, Nitrische Wüste, das sog. Natrontal und die Thebais)- Sinai / Palästina (dort gab es schon früh sog. „Lauren“)- Syrien (extreme Formen des Asketismus: Säulenheilige, Kettenheilige, Reklusen etc.) - Kleinasien (Basilius)

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Neben das eremitische Leben tritt sehr bald das zönobitische Mönchtum

(nach koinobion = gemeinsames Leben), das auf den koptischen Eremit Pachomius (ca. 292-367/47) zurückgeht

- Gegenseitige Wechselwirkung von Antonius und Pachomius- Leben der Wüstenväter

- Man besucht sich gegenseitig und geht samstags und sonntags in die Kirche und damit in die Öffentlichkeit.

- leichte bis mittelschwere Arbeiten / handwerkliche Beschäftigungen: Palmzweige schneiden, Seile machen, Körbe flechten, Kauf und Tausch ihrer Erzeugnisse auf dem Markt.

- Ratgeber für Menschen, die geistlich auf der Suche sind- Übertragung der Wüstenvätererzählungen in den Westen: „Historia

monachorum in Aegypto“ von Rufin von Aquileja (394); „Historia Lausiaca“ des Palladius (420); Schriften von Johannes Cassian

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Apophthegmata Patrum

- Weder die Verfasser der einzelnen Geschichten noch der Sammler aller Sprüche ist bekannt

- Muss gegen Ende des 5. Jhs gewirkt haben (u.a. auch deswegen, weil Benedikt das Werk bereits bekannt war).

- Vom Charakter her sind die Sprüche keine theoretische Lehre und bilden auch keine mystische Theologie, vielmehr zielen sie auf den Augenblick ab, auf die unmittelbare Verwirklichung des Evangeliums.

- Es geht um den Anspruch des Evangeliums im Leben des Einzelnen. Dementsprechend sind die Worte der Väter konkret und praxisnah.

- Dreifacher Begriff von Nachfolge: Freiwerden von allen Abhängigkeiten und Vorspiegelungen des eigenen Ich (der Kampf mit den Dämonen ist letztlich ein Kampf gegen die eigenen Leidenschaften); zielgerichtetes Erfahren der Menschheit und des Nächsten, aber auch Gottes im eigenen Ich; stellvertretender Dienst an der Bereitung der Welt zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde (aus der contemplatio muss die actio erwachsen)

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Apophthegmata Patrum

- Die größten und wichtigsten Wüstenväter (neben Antonios): Arsenios, Agathon, Makarios der Große, Moses, Johannes Kolobos, Pambo und Poimen.

- Die wichtigsten Themen: Armut, Askese, Belehrung, Demut, Discretio (Unterscheidungsgabe), Gebet, Geduld, Gehorsam, Nächstenliebe und Unkeuschheit.

- Die drei Zentren in Ägypten: Sketis (Hauptzentrum), Nitria (nitrische Wüste) und Kellia (ebenfalls mit vielen Einsiedeleien, zwischen Nitria und Sketis gelegen).

- Neben den anerkannten Anachoreten und Koinobiten gab es auch Wandermönche (von Benedikt als Gyrovagen kritisiert), Pilger bzw. Fremdlinge (Xeniteia) und Inklusen, die sich in Höhlen und Löchern für immer einschlossen (v.a. in Syrien).

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des OstensDie Botschaft der Apophthegmata Patrum (anhand ausgewählter Stellen)- Abbas Antonios - Abbas Arsenios - Abbas Agathon - Abbas Ammonas- Abbas Epiphanios - Abbas Theodor von Pherme - Amma Theodora - Abbas Johannes Kolobos - Abbas Makarios der Ägypter - Abbas Moses- Abbas Matoe - Abbas Nisteroos- Abbas Poimen - Abbas Paphnutios- Abbas Sisoes - Abbas Silvanos- Abbas Serapion - Amma Sarrha- Amma Synkletika - Abbas Or

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Ansätze für eine Theologie der Mystik: Gregor von Nyssa und Evagrius

Ponticus- Gregor von Nyssa (um 335-395): Leben- Gründer der mystischen Theologie in der Alten Kirche- war wohl verheiratet und versah zunächst das Amt eines Rhetors, bevor er Bischof wurde- verteidigte die orthodoxe Trinitätslehre (Gottheit des Hl. Geistes) auf dem Konzil von Konstantinopel (381)- Im Unterschied zu Evagrius Ponticus hatte Gregor keinen direkten Kontakt zu

den Wüstenvätern- Wichtige Werke für seine Mystik

- De vita Moysis- Homilien In Cantica Canticorum- Homilien über die Seligpreisungen

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Gregor von Nyssa (um 335-395): Lehre- Lehre der Epektasis („Nie eine Sättigung des Verlangens zu erreichen – das

heißt wirklich Gott schauen.“)- Erfahrung einer göttlichen Gegenwart, die sich zugleich ständig entzieht

(„gewisse Empfindung von Anwesenheit“)- Ziel des Menschen liegt nicht in der Vereinigung mit Gott, sondern in der

Angleichung an ihn durch Verähnlichung mit Christus - Negative oder apophatische Theologie: Über Gott lassen sich keine

positiven Aussagen machen (in der Folgezeit wichtige Form der Mystik, aber auch Quelle des Missverständnisses).

- Zwei Ebenen des mystischen Aufstiegs der Seele zu Gott (positiv – negativ)- Bedeutung: Synthese neuplatonischer und biblischer Gedanken; Dialektik

von Erkennbarkeit und Unerkennbarkeit Gottes; Gipfel in der Nachfolge Christi

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Evagrius Ponticus (um 345-399): Leben- Zwei Abschnitte: Brillante theologische Laufbahn – Leben in der ägyptischen Wüste (Nitria, Kellia) ab 383- Wichtige Werke seiner Mystik:

- Praktikos (100 Kapitel über das geistliche Leben; für den fortgeschrittenen Mönchen/Anachoreten gedacht)- Gnostikos (50 Kapitel über die göttliche Erkenntnis des „Gnostikers“, d.h. des wesenhaft

Erkennenden) - Kephalaia Gnostika (Hauptwerk, Sammlung von Aphorismen)- Antirrhetikos (eine Abhandlung über die acht Wurzelsünden) - ein Mönch- und ein Nonnenspiegel- Viele seiner Werke gingen verloren, weil sie unter Häresieverdacht gerieten

(Verurteilung auf dem zweiten Konzil von Konstantinopel 553) - Sein Gedankengut kam aber über Johannes Cassian auch in den Westen

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Evagrius Ponticus (um 345-399): Lehre- Nicht unumstritten (Hans Urs von Balthasar:„Mystik des Evagrius steht in

ihrer völlig konsequenten Geschlossenheit dem Buddhismus wesentlich näher als dem Christentum“)

- Lehre von den acht Lastern (logismoi): Völlerei, Unzucht, Habgier, Kummer, Zorn, Überdruss (acedia), eitle Ruhmsucht und Hochmut (Wurzelsünde)

- Einfluss auf den Hesychasmus (Lehre von der Herzensreinheit) - Drei wesentliche Stichworte der geistlichen Lehre

- Stufenweg zur Vollkommenheit, der aus der Praktike (d.h. dem asketischen Leben), der Physike (d.h. der natürlichen Erkenntnis) und der Theologike (d.h. der Schau Gottes) besteht; damit verbunden eine dreifache Reinigung des Leibes, der Seele und des Geistes; Abfolge: vom Glauben - Gottesfurcht – Enthaltsamkeit – Geduld – Hoffnung - Leidenschaftslosigkeit (apateia) – Gottesliebe; Kampf mit den Dämonen; differenzierte Unterscheidung der Geister mit großem Einfluss auf die spätere christliche Spiritualität

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtuma. Antonius und die Wüstenväter des Ostens- Evagrius Ponticus (um 345-399): Lehre- Wesentliche Stichworte seiner Lehre

- Intellektualismus (Rahner: „ein etwas übertriebener Intellektualismus, der wenigstens in seinem theoretischen Ausdruck dem Geist des Evangeliums nicht ganz gerecht wird.“); Lehre von den geistlichen Sinnen; Ziel der Kontemplation ist die Verschmelzung des menschlichen Intellekts mit dem göttlichen Urgrund; der Mensch wird „Ort Gottes“, „göttlicher Geist“ oder „Gott aus Gnade“

- Angelismus: Der Mensch ist als Geistwesen zwischen Engel und Teufel gestellt und kann durch Erlangung der apateia schon hier auf Erden den Engeln gleich werden; Forderung eines „engelhaften Lebens“

- Bedeutung: Verbindung von Mönchtum und Mystik; Analyse der menschlichen Seele, Beschreibung der verschiedenen dämonischen Einwirkungen auf den Menschen; Lehre vom Eingehen in den göttlichen Urgrund; großer Einfluss auf die spätere Mystik

- Anfragen: Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf, aber auch Trinitätslehre werden obsolet; intellektualistische Mystik (vgl. später Meister Eckhart)

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtumb. Die Spiritualität des Pseudo-Dionysius Areopagita- Aufgrund werkimmanenter und werkemanenter Gründe kann man heute sagen, dass die areopagitischen Werke zwischen 476 und 518/528 entstanden ein müssen- Der reale Autor selbst tritt hinter die literarische Gestalt des Areopagiten (Apg 17,34) zurück und ist im Umfeld der Schule von Caesarea am Meer (Palästina) zu lokalisieren- Leistung des Autors liegt eindeutig in der Erstellung eines platonischen

Denkmodells für die christliche Welt- Sein Einfluss auf die Mystik des Abendlandes ist kaum zu überschätzen- Bis ins Spätmittelalter hinein hatten seine Schriften wegen seines Bezugs

auf Apg 17,34 quasi-kanonischen Rang- Erste Zweifel im Humanismus und bei Luther, erst im 19. Jh. „Entlarvung“- Balthasar: Dionysius Areopagita ist und bleibt „vielleicht die wichtigste

Gegenwart Asiens im Herzen der abendländischen Theologie“Prof. Dr. Cornelius Roth

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtumb. Die Spiritualität des Pseudo-Dionysius Areopagita- Zwei große Themen- Anagogie: Der klassische Aufstiegsweg der menschlichen Seele zu Gott

(via purgativa, illuminativa, unitiva) steht als Grundstruktur hinter seinem Denken

- Apophatik: Es geht immer um das Erkennen Gottes im Nicht-Erkennen. Kennzeichnend ist dabei die Methode des Überschwangs, der

- Dionysius argumentiert sowohl bejahend als auch verneinend, wobei das Kataphatische (= Bejahende) sich v.a. in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus zeigt und das Apophatische (= Verneinende) im Aufstieg des Menschen zu Gott

- Gott selbst geht letztlich über das Bejahende und Verneinende hinaus- Werk des Dionysius ist lebendige Wirklichkeit eines Mystikers, die ihren

Ort v.a. in der Liturgie und Poesie hat (hymnisch-betender Nachvollzug)- Gewisse Arkandisziplin, Gefahr der Trunkenheit

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtumb. Die Spiritualität des Pseudo-Dionysius Areopagita- Vier große Werke und zehn Briefe

- De ecclesiastica hierarchia (geschaffene Welt)- De coelestia hierarchia (himmlische Welt)- De divinis nominibus (Gott in Bezug zur Welt / Schöpfung)- Theologia Mystika (Gott in sich selbst / höchster Punkt des Aufstiegs)- Die Briefe thematisieren weitere theologische und christologische Streitfragen, tragen

aber auch zu einem besseren Verständnis mancher Bezüge in den Traktaten bei- De ecclesiastica / coelestia hierarchia

- Bedeutung der Hierarchie als „Ordnung der Wirklichkeit“, die als Schönheit sichtbar ist- „Wer das Wort ‚Hierarchie‘ ausspricht, bezeichnet ganz allgemein eine Art von

geheiligter Gliederung, Abbild der Schönheit des Gottesprinzips.“- Hierarchische Gliederung der kirchlichen Stände: Bischöfe/Priester/Diakone –

Mönche/Laien/Katechumenen- Hierarchische Gliederung der himmlischen Gruppen: Seraphim/Cherubim/Throne –

Herrschaften/Mächte/Gewalten – Fürsten/Erzengel/Engel- Bewegung innerhalb dieser dynamischen Hierarchie geht immer von oben nach unten

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtumb. Die Spiritualität des Pseudo-Dionysius Areopagita- De ecclesiastica / coelestia hierachia

- die Rolle der Sakramente, die durch ihre Sinnenfälligkeit etwas von der Schönheit und Heiligkeit Gottes erfahrbar machen (Orte der Erfahrung des Göttlichen)

- Christologie des Dionysius spielt keine systemtragende Rolle in der dionysischen Mystik, doch ändert das nichts an der persönlichen Hingabe an ihn

- Jesus als der dem Gottesprinzip Nächste, als „das Prinzip und die Vollendung aller Hierarchien“ (EH 1,2)

- Die verschiedenen Sakramente (Taufe, Eucharistie, Salbung) bewirken – immer innerhalb der untersten Stufe der EH – Teilhabe an Jesus und seinem Erlösungswerk

- Motivierende Kraft ist die Liebe- „Christus ist als Gott das Haupt der himmlischen Hierarchie, als Mensch das der

kirchlichen. Insofern ist der eine Gott-Mensch der oberste Hierarch, zu dem alle bei der Erlangung der Einigung in unmittelbarer Beziehung stehen“ (B. McGinn).

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtumb. Die Spiritualität des Pseudo-Dionysius Areopagita- De divinis nominibus

- Thema ist die Urgestalt des Schönen: „Im ‚Buch der göttlichen Namen‘ (geht es darum), wie Er gut genannt wird, wie Sein, wie Leben und Weisheit und Macht, und welche anderen Gottesbezeichnungen im geistigen Bereich es auch gibt“ (TM 3)

- Doch zeigt sich im ganzen Buch auch die Dialektik von Sagbarem und Unsagbarem, von Erkennbarem und Unerkennbarem (Hymnisch-positiver Lobpreis und negative Theologie wechseln sich ab)

- Spannung zwischen Sagbarem und Unsagbarem: die verschiedenen Gottesnamen der bejahenden Theologie können nur unter dem Hinblick verwandt werden, dass sie das Wirken Gottes begreifen wollen – Sein Wesen bleibt hingegen unbegreiflich.

- Bezeichnungen für Gott: Kraft, Gerechtigkeit, Heil, Erlösung, Frieden, der Große und der Kleine, der Ähnliche und der Unähnliche, der Allmächtige, der „Alte der Tage“ und der „Heilige der Heiligen“

- Doch steht dahinter immer der „Einig-Einzige“ Gott, in dem es keine Unterschiede gibt

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Biblische und patristische Spiritualität2) Die Mystik im frühen Mönchtumb. Die Spiritualität des Pseudo-Dionysius Areopagita- Theologia Mystika

- Höhepunkt der dionysianischen Mystik, Gipfel des Schönen- Ziel ist die Erkenntnis Gottes durch totales Nicht-Erkennen- Weg der Reinigung in zwei Schritten: zunächst eine Reinigung bzgl. aller sinnenhafte

Aussagen von Gott, und dann auch aller geistigen Aussagen von Gott- Am Ende steht aber nicht etwa die negative Theologie, vielmehr muss auch diese noch

einmal überstiegen werden in die je-größere Wahrheit des göttlichen Urgrundes- Man hat Dionysius mit dieser Konzeption mystischer Theologie vorgeworfen, er sei eher

neuplatonischer Philosoph als christlicher Theologe- Wichtig ist die Berücksichtigung der poetischen Gestalt, des betenden Nachvollzugs und

der kirchlichen Liturgie- Die Vergöttlichung des Menschen ist ein Geschenk der göttlichen Gnade, kein Recht des

Menschen oder etwas, was ihm von Natur aus zukommt- Gerade in der Einheit bleibt die je größere Verschiedenheit erhalten, sowie in der

Ähnlichkeit des Menschen mit Gott die je größere Unähnlichkeit (J. Sudbrack: „Paradoxie der Begegnungs-Einheit“: Im Einswerden mit Gott gewinnt der Mensch die eigene Freiheit und Subsistenz; im ‚Erleiden‘ des Andersseins ‚erleidet‘ er die Vergöttlichung.)

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystika) Neuplatonismus und Jungfräulichkeit- drei wichtige Strömungen, die zwischen 360 und 390 zur Ausbildung einer

spezifisch lateinischen Mystik geführt haben: das Mönchtum, der Neuplatonismus und das Ideal der Jungfräulichkeit.

- Der lateinische Neuplatonismus des 4. Jhs hat heidnische und christliche Komponenten

- Schlüsselfigur in dieser Bewegung war der nordafrikanische Rhetor und Philosoph Marius Victorinus (ca. 285-365)

- vermittelte v.a. zwei wichtige Grundprinzipien des Neuplatonismus an die christliche Theologie: die Identifikation des Einen mit dem wahren Sein und die Trias Sein-Leben-Denken als Hilfe zum Verständnis der wesensgleichen Trinität

- All dies verband er nach seiner Konversion zum Christentum (um 355) mit dem paulinischen Denken und wurde so maßgeblich für alle lateinischen Kirchenväter

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystika) Neuplatonismus und Jungfräulichkeit- Eine fast ebenso wichtige Strömung des 4. Jhs ist das immer stärker

werdende geistliche Ideal der Jungfräulichkeit- Schon im NT angelegt (1 Kor 7,7; Mt 19,12; Mk 12,25)- die frühen lateinischen Autoren sahen in der Jungfräulichkeit eher eine

symbolische Repräsentation des Gegensatzes von Kirche und Welt als eine besondere Form eines höheren christlichen Lebens

- Ab der zweiten Hälfte des 4. Jhs begannen aber die maßgeblichen Theologen des lateinischen Westens in der Jungfräulichkeit theoretisch wie praktisch die bessere Lebensform zu sehen und begannen mit zahlreichen Traktaten ein Jungfräulichkeitsideal zu entwerfen

- Gründe für die Bevorzugung des jungfräulichen Ideals- Einfluss der asketischen Bewegung des östlichen Mönchtums- neuplatonische Konzeption einer eher geistig als leiblich ausgerichteten Spiritualität- soziale Motive (Jungfräulichkeit war v.a. bei Frauen nicht nur Ausdruck der

Leibfeindlichkeit und Abwertung der Sexualität, sondern auch der Emanzipation)

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystika) Neuplatonismus und Jungfräulichkeit- Ideal eines engelgleichen Lebens (vita angelica)- Sehnsucht des Christen nach der Vermittlung von Göttlichem und

Menschlichem- Verlangen, durch Martyrium und / oder aszetische Heiligung eine

Vertrautheit mit Gott zu gewinnen, die den Engeln gleichkommt- Die jungfräulich lebenden Frauen und Männer verstanden sich mit ihrer

alternativen Lebensform als eschatologisches Zeichen- Rolle Marias (v.a. in der orthodoxen Kirche): die Gottesgebärerin

(Theotokos) wird zum Paradigma für den jungfräulich lebenden Menschen, der nach ihrem Beispiel ebenso zur „Gottesgeburt“ fähig werden kann

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikb) Johannes Cassian (ca. 360-435)- Tradent der östlichen Spiritualität der Wüstenväter an den Westen - Geboren um 360 in der heutigen Dobrudscha (Rumänien)- trat um 382 mit seinem Freund Germanus in ein Kloster in Betlehem ein (neben der Geburtsgrotte)- Von dort gingen die beiden für längere Zeit (ca. 10 Jahre) zu den

Wüstenvätern nach Ägypten und lernten dort den „Weg der Vollkommenheit“ kennen

- 399 Konstantinopel (Diakonenweihe durch Johannes Chrysostomus), 405 Rom, um 415 Ankunft in Südgallien (Marseille)

- Gründung eines Frauen- und eines Männerklosters, wobei er dem Männerkloster bis zu seinem Tod (ca. 435) vorstand

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikb) Johannes Cassian (ca. 360-435)Werke- Collationes Patrum (= Gespräche mit den Vätern), in denen Cassian an

seine Zeit bei den Wüstenvätern in Ägypten erinnert - De institutis coenibiorum et de octo principalibus vitiis, worin die äußere

Lebensform der in Gemeinschaft lebenden Mönche sowie die Heilmittel gegen die acht Hauptlaster beschrieben werden

- Das Ideal sieht Johannes Cassian im monastischen Leben gegeben (als erster identifiziert er es mit dem Leben der Jerusalemer Urgemeinde aus der Apg)

- Dieses als Alternative zur damaligen Gesellschaft verstandene Leben ist für ihn das eigentliche Christentum (Beginn einer „Zwei-Stufen-Spiritualität“ mit weitreichenden Folgen für die Laienspiritualität)

- Geistesgeschichtlich hängt Cassian von Origenes und Evagrius ab, versucht aber deren Gedanken stärker in biblische Terminologie zu bringen (Psalmengebet)

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Biblische und patristische Spiritualität

3) Die frühe lateinische Mystikb) Johannes Cassian (ca. 360-435)Gebetslehre- Vorbereitung auf das Gebet: „Wir müssen jenen geistigen Zustand, den

wir beim Beten haben möchten, vor der Gebetszeit vorbereiten. Die innere Verfassung, in der wir vor dem Beten waren, wird schließlich auch das Gebet prägen“ (Coll. IX, 3).

- Um zu einer inneren Ruhe zu gelangen empfiehlt Cassian die andauernde Wiederholung eines einzelnen kurzen Verses (monologistos als Vorläufer des Jesusgebetes, z.B. das Vaterunser oder das Deus in adiutorium meum)

- Kürze des Gebetes: „„Wir sollen häufig beten, aber immer kurz, damit nicht der böse Feind, der uns belauert, unserem Herzen irgendetwas Hochmütiges einflößen kann, durch das wir, zerstreut, zu Fall kommen“ (Coll IX, 36).

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikb) Johannes Cassian (ca. 360-435)Gebetslehre- Cassian unterscheidet vier Gebetsformen (vgl. Coll IX, 11-14)

- Die Flehentliche Bitte: ist wie ein Aufschrei, durch den der Sünder zerknirschten Herzens um Vergebung seiner Sünden ruft.

- Das Hingabegebet: in ihm bringen wir uns selbst Gott dar oder auch irgendetwas von uns, was wir ihm übereignen oder geloben.

- Die Fürbitt-Gebete (postulationes): Da beten wir, vom Geist entflammt, für alle, die uns lieb und teuer sind, oder um Frieden für die ganze Welt, oder auch (…) für alle Menschen, für die Staatsoberhäupter und alles, was Rang und Namen hat.

- Die Danksagungen (gratiarum actiones): Sie steigen aus unserem Inneren zu Gott auf, wenn unser Herz, unaussprechlich entzückt, entweder der früheren Wohltaten Gottes gedenkt oder die gegenwärtigen schaut oder sich vor Augen führt, was Gott zukünftig denen bereitet hat, die ihn lieben.

- Die vier Gebetsarten können für jeden Christen je nach Gemütsverfassung zu verschiedenen Zeiten angebracht sein, bezeichnen aber auch eine Abstufung auf dem Weg des Gebetslebens

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikb) Johannes Cassian (ca. 360-435)Gebetslehre- Zwei zentrale Begriffe der Gebetslehre und Mystik Cassians: Ruhe und

Reinheit des Herzens- Was die vier Gebetsarten besonders wertvoll macht, ist die Tatsache, dass

Jesus Christus selbst durch sein Lebensbeispiel ihnen eine Art Weihe gegeben hat (Coll IX, 17)

- Dennoch gibt es eine Form des Gebetes, die diesen vier Gebetsarten erhaben ist: „Es ist das reine, glühende Gebet. (…) Das innerste Wesen des Menschen wird in himmlischem Licht gebadet “ (Coll IX, 25). – „Auf ihr gibt es nur mehr den einfachen Aufblick zu Gott und die Glut der Liebe“ (Coll IX, 18).

- Das Ziel des Gebetes, die Einheit mit Gott, wird von Cassian dialogisch verstanden – die unio mystica ist nichts anderes als die Anteilhabe an der bei Johannes beschriebenen Einheit des Vaters mit dem Sohn

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikb) Johannes Cassian (ca. 360-435)Gebetslehre- Die höchste Form des Gebetes verbindet Cassian mit dem excessus

cordis / mentis, den Überstieg des Herzens bzw. Geistes, wobei wichtig ist, dass dieser excessus immer nur von kurzer Dauer ist

- „Wie in einem Nu, gleich einem Blitz, der alles durchzuckt, flammt die Seele auf und betet unaussprechliche Gebete“ (Coll IX, 15).

- Im Gebet geschieht auch Bewusstseinsveränderung, d.h. auf der höchsten Stufe ist sich der Beter nicht mehr bewusst, dass er betet (Coll IX, 31: „Das Gebet ist nicht vollkommen, solange sich der Mönch noch seiner selbst oder der Tatsache, dass er betet, bewusst ist.“)

- Bei der Kontemplation geht es um eine fortschreitende Angleichung der Seele an Gott mit dem Ziel der Schau Gottes (visio Dei / intuitus Dei), die sich auf Jesus konzentriert

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikb) Johannes Cassian (ca. 360-435)Fazit- Cassian orientiert sich in seiner Gebetslehre und Mystik v.a. an biblischen

Bildern, auch bei der Beschreibung der Einheit der Seele mit Gott (weniger spekulativ wie spätere Mystiker)

- „Das ist überhaupt der Zielpunkt der ganzen Vollkommenheit: das von aller schwer-dumpfen egoistischen Verhaftung befreite Herz Tag für Tag zu den erhabenen Höhen geistlicher Wirklichkeiten zu erheben“ (Coll X, 7).

- Man sollte also nicht so sehr versuchen, mit Worten diese Einheit zu beschreiben als vielmehr im Schweigen ihr zu begegnen, die Seele „in den sicheren Hafen des Schweigens“ führen (das Ruhegebet als zentrales Vermächtnis Cassians an die heutige Zeit)

- Cassian ist mit seiner Gebetslehre einer der Begründer der westlichen Mystik und heute immer noch aktuell

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikc) Ambrosius von Mailand- Geboren um 334 in Trier als Sohn einer christlich-aristokratischen Familie - Aufgewachsen in Rom, gute Ausbildung- Um 370 Beginn der römischen Beamtenlaufbahn- Präfekt von Ligurien mit Sitz in Mailand- nach dem Tod des Bischofs Auxentius i. J. 374 wurde er als

Kompromisskandidat vom Volk per Akklamation gewählt, obwohl er noch nicht getauft war (30. November 374 Taufe, eine Woche später am 7.12.374 Bischofsweihe – heute kirchlicher Gedenktag)

- bekanntester und wirkmächstigster Bischof des Westens im ausgehenden 4. Jh. (375-397)

- Kirchenpolitisch aktiv, viele Impulse für die Nachwelt als Prediger, Hymnendichter, Lehrer und Schriftsteller

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikc) Ambrosius von MailandWichtigste Werke für die Mystik- De Isaac vel anima (Osterzeit 386)- De bono mortis (386)- De fuga saeculi (Herbst 394)- De mysteriis (ab 387)- Psalmenerklärungen (zwischen 387 und 397) - De virginibus (378)- De virginitate (388-390)Hauptthemen der Mystik des Ambrosius- Fall und Aufstieg der Seele- Auslegung des Hohenlieds als Zentrum der kirchlichen und christlichen

Mystik - Verbindung von Mystik und Jungfräulichkeit

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikc) Ambrosius von Mailand- Abstieg und Aufstieg der Seele wird mit biblischen Bildern beschrieben

(Entrückung des Paulus, Verklärung Jesu)- „Christianisierung“ des Neuplatonismus: Der Aufstiegsprozess zum Einen (to ἐ) ist für Ambrosius nichts anderes als die Gleichgestaltung mit Christus

- die Präexistenz der Seele wird durch die biblische Schöpfungslehre ersetzt - Passionsfrömmigkeit („Fußstapfen Christi folgen“)- Christozentrik zeigt sich auch in den Hymnen und Gebeten- Mors mystica: „Sterben für die Sünde“, Abwendung vom Bösen in dieser

Welt und Hinwendung zur Tugend und zu Gott - Sobria ebrietas: Bezeichnung der Grundstimmung des in Gott ruhenden

Frommen überhaupt- Gottesgeburt in der Seele: Durch ein gutes sittliches Leben muss der Christ

den innewohnenden Christus wahren (aszetische Auffassung der GG)

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikc) Ambrosius von Mailand- Auslegung der Hohelieds Salomos (De Isaac vel anima)- Vierfache Bewegung der Seele, die sich Gott nähert

- Vereinigung Christi mit der Seele des Glaubenden (Heirat zwischen Isaak und Rebekka)- Gefährdungen der Seele (Prüfungen und Versuchungen)- Läuterung (entschiedene Nachfolge Christi im Leiden und in Werken der Tugend)- Vollendung (endgültiges Anhangen der Seele am Wort)

- Drei Brunnen des Issak = drei Weisen des Lehrens- moralische Unterweisung, die das Bild der Seele reinigen soll (Buch der Sprichwörter)- natürliche Fähigkeit, die Welt zu transzendieren (Kohelet)- mystischer Sinn, wo wir vom Überfluss der Liebe trinken (Hohelied)

- De Issac vel anima hat als predigt ihren Sitz im Leben in der Taufhandlung der Osternacht (Unterweisung für die Neugetauften)

- Mystik und Sakramente gehören zusammen: In der Eingliederung in Christus durch die Taufe und durch die Gleichgestaltung mit ihm in der Eucharistie vollzieht der Christ sein mystisches Leben (Kirchlichkeit)

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikc) Ambrosius von Mailand- Hohelied spielt im gesamten spirituellen Werk des Ambrosius die

tragende Rolle, nicht nur in De Isaac, sondern auch in liturgischen Homilien wie De mysteriis und in den Psalmenauslegungen (es gibt nur weniger als zehn Verse, die Ambrosius nicht ausgelegt hat)

- Verbindung von individueller und kirchlicher Interpretation (Einzelseele und Kirche)

- Maria als „ideale Geliebte des Wortes“- Maria hat weniger für die Kirche als Ganze Bedeutung denn als ethisches

Vorbild für die Jungfrauen - Maria ist „die Krone aller Jungfrauen“, der das ganze Heer christlicher

Jungfrauen folgen soll.- Lobpreis der Jungfräulichkeit (Ambrosius ist einer der entschiedensten

Verfechter des Jungfräulichkeitsideals im lateinischen Westen)

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikc) Ambrosius von Mailand- Internalisierung der erotischen Beziehung zwischen dem jungfräulichen

Menschen und dem göttlichen Bräutigam Christus- Kein Rigorist: Noch höher als die leibliche Jungfräulichkeit steht die

geistige- Jungfräulichkeit hat für Ambrosius eine grundsätzliche Bedeutung, wobei

auch die eschatologische Perspektive berücksichtigt werden muss- Die Frage, ob Ambrosius selbst mystische Erfahrungen gehabt hat, kann

man schon deswegen nicht beantworten, weil er selbst (im Unterschied etwa zu Augustinus) fast nie von seinen Erfahrungen spricht

- In seinen Predigten durchdringen sich moralische Unterweisung, eschatologische Hoffnung und mystische Wirklichkeit

- Hat mit seinen Werken der lateinischen Mystik vielfältige Anstöße gegeben

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikd) Hieronymus- Hat als entschiedener Verfechter der monastischen Askese die Frömmigkeit des MA in entscheidender Weise beeinflusst - exzentrischer, launischer Kirchenvater mitbeinahe krankhaftem Temperament - exzellente Ausbildung in spätantiken Zentren (Rom, Trier, Aquileia,

Antiochien – dort auch Priesterweihe)- erste große Privatbibliothek der Antike (stammte aus begütertem Haus)- um 375-377 Rückzug in die syrische Wüste, dann Konstantinopel (380-382)- In Rom Sekretär des Papstes Damasus (382-385) und spiritus rector eines

asketischen Kreises adliger Frauen auf dem Aventin - 385 Weggang aus Rom, 386 Gründung eines Doppelklosters in Betlehem

(mit seiner Gönnerin Paula)- Leitung des Klosters bis zu seinem Tod am 30. September 419

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Biblische und patristische Spiritualität3) Die frühe lateinische Mystikd) Hieronymus- Für die Mystik kommt ihm ähnlich wie Cassian eine Brückenfunktion

zwischen Ost und West zu (wichtig die Übersetzungen mystischer Werke und Heiligenbiographien)

- Verbreitung des asketischen Ideals („Apostel der Enthaltsamkeit“)- Brief an die Jungfrau Eustochium mit Höherwertung des jungfräulichen

und Abwertung des ehelichen Standes („Ich lobe das Heiraten, ich lobe die Ehe, aber deshalb, weil sie mir Jungfrauen hervorbringen.“ )

- In der Phobie, die Jungfräulichkeit zu verlieren, spiegelt sich vielleicht auch sein eigener Kampf mit der Sexualität in der Wüste wider

- Das Hohelied wird bei Hieronymus nicht so häufig und systematisch benutzt wie bei Ambrosius (27 Stellen)

- Innere Hingabe an Christus: „Auch wir wollen Christus lieben, wir wollen uns ständig seiner Umarmung erfreuen, und alles, mag es auch schwer sein, wird uns leicht vorkommen.“

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersa) Augustinus: Der „Gründervater“ der abendländischen Mystik- Will man Augustins Spiritualität betrachten, so ist seine Biographie und

die Entwicklung seines Denkens, wie er es in den Confessiones beschreibt, eine der grundlegenden Quellen

- Verschiedene Quellen augustinischer Spiritualität- Heidnische Philosophie: Cicero, Manichäismus, Neuplatonismus („Bücher der Platoniker“)- Faszination des Mönchtums- Predigten des Ambrosius

- Werdegang: Taufe (Ostern 387), Priester (391), Bischof (395), einer der einflussreichsten Kirchenlehrer der abendländischen Christenheit, immenses Corpus an Schriften

- Die wichtigsten Schriften für die Spiritualität: Confessiones (397-401), Enarrationes in Psalmos (391-422), Homilien zu Joh und 1 Joh (406-422), Bücher 7-15 von De Trinitate, Buch 12 von De Genesi ad litteram

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Biblische und patristische Spiritualität

4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersa) Augustinus: Der „Gründervater“ der abendländischen Mystik- Drei große Themen der Spiritualität

- Erfahrung der Gegenwart Gottes in der Kontemplation mit dem Ziel der Schau Gottes (visio Dei)

- der Mensch als das Bild des dreieinigen Gottes (imago trinitatis) - die Notwendigkeit Christi und der Kirche bei aller mystischer Erfahrung (Christus als

mediator Dei et hominum)- Dreischritt der „Mailänder Erkenntnis“ und „Ostia-Vision“: Weg von den

Dingen – in sich hinein – über sich hinaus- Wie Plotin betont Augustinus die Kürze und Augenblickhaftigkeit der

Erfahrung des Höchsten sowie die Rolle der Liebe für die Erkenntnis bzw. Schau Gottes

- Unterschied: Vermittlung durch Christus und die Kirche (Mystik personaler Gottesliebe)

- Ansätze einer negativen Theologie: „Si comprehenderis non est Deus.“ – Verinnerlichung der göttlichen Erfahrung

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersa) Augustinus: Der „Gründervater“ der abendländischen Mystik- Eine große Bedeutung für die Spiritualität Augustins haben seine

Psalmenauslegungen (Enarrationes in Psalmos)- Wenn wir die Psalmen – gerade auch im persönlichen Stundengebet – mit

Christus bzw. auf ihn hin lesen bzw. beten, so geht das v.a. auf Augustinus zurück

- Ausgewählte Psalmen- Psalm 27, 4: Schon hier auf Erden haben wir Anteil an der Freude Gottes- Psalm 42: Sehnsucht nach Gott und Möglichkeit der vorübergehenden Schau- Psalm 100: Im Zusammenhang mit dem Lobpreis Gottes kommt er hier auf das „Spüren

Gottes“ (sentire Deum) zu sprechen- Augustinus‘ Art von negativer Theologie endet nicht wie bei anderen

Mystikern im Schweigen oder Dunkel, sondern in der Liebe und im Lobpreis

- Augustinus als mystischer Theologe ganz eigener Art

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersa) Augustinus: Der „Gründervater“ der abendländischen Mystik- Neben der visio Dei ist ein weiterer Kerngedanke bei Augustinus die

Wiederherstellung der Gottebendbildlichkeit im Menschen (imago trinitatis)

- Die Tatsache, dass der Mensch imago trinitatis ist, ist sozusagen die „ontologische Basis“ für jenes Erkennen und Lieben, das zur visio Dei führt

- Ein weiterer zentraler Punkt von Augustins Spiritualität betrifft die Rolle Christi und der Kirche bei der Suche nach Gott

- Zur Wiederherstellung der Gottesebenbildlichkeit bedarf es eines Mittlers zwischen Gott und den Menschen: Jesus Christus

- Im Anschluss an Paulus betont Augustinus immer wieder die Sohnschaft mit Christus, die zu einer recht verstandenen Vergöttlichung durch Teilhabe führt

- Einfluss auf die Visionsliteratur des Mittelalters: Visio corporalis – visio spiritualis – visio intellectualis – visio beatifica

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersa) Augustinus: Der „Gründervater“ der abendländischen Mystik- Das Erlebnis der Visio beatifica schon im Erdenleben gehört jedoch

zweifellos zu den mystischen Erfahrungen im engsten Sinn des Wortes- Man sollte Augustinus aber nicht generell zu einem Befürworter von

Visionen in der Kirche machen, da er in seinem Werk insgesamt viel stärker betont, dass die Vollendung der Gottesschau der himmlischen Heimat vorbehalten bleibt

- Er wendet sich dementsprechend auch gegen die Esoterik, die auf menschliche Weise versucht, geheime göttliche Lehren zu durchschauen und zu verkünden

- Gleichwertigkeit von aktivem und kontemplativem Leben- Dem Ausgleich zwischen den Lebensformen entspricht, dass Augustinus in

der für diese Frage typischen Maria-Martha-Perikope (Lk 10, 38-42) keine von beiden über die andere stellen will

- Maria steht für das erfüllte Leben in der Ewigkeit, Marta für die Arbeit hier auf Erden: Beides gehört zusammen

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersa) Augustinus: Der „Gründervater“ der abendländischen Mystik- In Marta und Maria sind zwei Lebensbereiche versinnbildet: das

gegenwärtige und das zukünftige Leben- Augustinus: „In diesem Hause waren also beide Lebensarten vorhanden

und dazu noch die Quelle jeglichen Lebens selbst. In Martha spiegelte sich die Gegenwart, in Maria die Zukunft. Was Martha tat, das liegt auch uns ob; was Maria tat, das haben wir noch zu erhoffen.“

- Sonntäglicher Gottesdienst als Ort des „Gottgenießens“ (fruitio Dei)- Affektivität der mystischen Lehre: Kein Kirchenvater vor ihm (und nur

wenige nach ihm) haben so sehr auf die Liebe bei der Gotteserkenntnis abgehoben. Die Liebe ist „das Gewicht der Seele“ (Conf. XIII 9, 10), und niemand kann ohne sie zur Wahrheit gelangen („Nemo intratur in veritatem nisi per caritatem.“)

- Liebe ist immer dialogisch, es geht nicht um eine innere Identität mit dem Einen

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4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersa) Augustinus: Der „Gründervater“ der abendländischen Mystik- Im Unterschied zu Origenes und Ambrosius hat Augustinus nie das

Hohelied kommentiert, obwohl er deren Hoheliedauslegungen mit Sicherheit kannte (die 74 mal, die er das Hohelied zitiert, sind meist im Zusammenhang mit der Kirche als Braut zu sehen)

- Ordo Caritatis (Ordnung der Liebe) ist moralisch, keine im enegren Sinn mystische Angelegenheit

- Das mystische Leben des Christen ist eine Art prozesshafter Schule der Neigungen: „Solltest du einmal sagen: ‚Es ist genug‘, wärest du verloren.“

- Die höchsten Erfahrungen von Gott in diesem Leben haben fragmentarischen Charakter

- Das geistliche Leben verwirklicht sich hier auf Erden (normalerweise) nicht in außergewöhnlichen Visionen, sondern in der schlichten Übung der Liebe Gott und allen Menschen gegenüber (amor und caritas)

- In dieser Liebe findet der Mensch seinen Ruhepunkt („Meine Schwere ist meine Liebe.“; Conf. XIII, 9, 10)

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Biblische und patristische Spiritualität

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersb) Gregor der Große: Der aktive Kontemplative- Jean Leclercq: Gregor ist „durchweg mystischer alsAugustinus“ - „die Brücke vom patristischen Zeitalter zur monastischen Kultur des Mittelalters“- Bernard McGinn: „Der aktive Kontemplative“- Lebenslauf

• * um 540 in Rom als Kind einer vornehmen Senatorenfamilie• 572/73 Stadtpräfekt von Rom• 575-579: Zurückgezogenes monastisches Leben auf dem Monte Celio (Andreaskloster) -

bilden biographisch gesehen das Fundament seiner Spiritualität• 579 von Papst Pelagius II. zum Diakon geweiht • 579-586: päpstlicher Gesandter (Apokrisarios) am Kaiserhof in Konstantinopel• 586-590: Berater von Papst Pelagius II.• 590-604: Papst - verteidigte Rom gegen die Langobarden, reorganisierte die

Bewirtschaftung des kirchlichen Grundbesitzes, sandte den Prior des Andreasklosters Augustinus als Missionar zu den Angelsachsen, band das westgotische Reich enger an die römische Kirche, legte das Mailänder Schisma im sog. „Drei-Kapitel-Streit“ bei

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersb) Gregor der Große: Der aktive Kontemplative- Wichtigste Werke

- Moralia in Iob (35 Bücher): Identifikation mit dem leidenden und trotzdem immer weiter nach Gott strebenden und auf ihn vertrauenden Ijob

- Regula pastoralis (590/591): große Bedeutung im Mittelalter (wurde den Weihekandidaten zusammen mit der Hl. Schrift in die Hand gegeben)

- Evangelienhomilien (590-592): allegorisch-moralische Auslegung- Ezechielkommentar (593-594)- Dialoge (4 Bücher, 593/94): 2. Buch ist die einzige Quelle für das Leben Benedikts von Nursia

(Vorbild für die mittelalterliche Hagiographie)- Kommentar zum Königsbuch- Über 800 Briefe

- Bedeutung Gregors für die Entwicklung des abendländischen Mönchtums - Gründervater einer monastischen Theologie im Mittelalter- Biblisch orientierte Spiritualität- Reflexionen seiner Erfahrungen beim Lesen der Hl. Schrift- Dualismus zwischen Buchstabe und Geist (vom wörtlichen zum allegorischen

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersb) Gregor der Große: Der aktive Kontemplative- Identifikation (geistlich) mit Ijob und Ezechiel- Theologie des geduldig ertragenen Leids- Pessimismus hinsichtlich der Welt- Spiritualität des seelischen Gleichgewichts- Bekehrung des Herzens- Unvollkommenheit des Menschen zeigt sich in der ganzen Kirche (Papst

als servus servorum Dei)- Einmütige Verschiedenheit (concors diversitas)- Compunctio (Reue) als zentraler Begriff lateinischer Spiritualität- Unterschied von Furchtreue und Liebesreue- Kontemplation: „Der Mensch wurde zur Betrachtung (contemplatio) des

Schöpfers geschaffen, so dass er immer dessen Schönheit sucht und in der Erhabenheit seiner Liebe weilt“ (Mor. In Iob 8, 18, 34).

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersb) Gregor der Große: Der aktive Kontemplative- Kontemplation ist heilsgeschichtlich verankert- Vorgeschmack auf die Kontemplation im Himmel- Bedeutung Jesu Christi für die Kontemplation- Rolle des Hl. Geistes: „Sein bloßes Berühren ist schon Lehren“ (Hom. in Ev.

2, 30, 8); sieben Gaben des Hl. Geistes- Eucharistische Frömmigkeit (große Bedeutung für das Mittelalter)- Kontemplation als „schauende Aufmerksamkeit für Gott allein“- Erkenntnis Gottes durch die Liebe („Amor ipse notitia est.“; Hom. in Ev. 2,

27, 4)- Sehnsucht als stärkste Kraft bei der Gottessuche- Hohelied-Kommentar (blieb unvollendet): Beschreibung der

Liebesbegegnung zwischen Gott und Mensch- Zurückhaltung bei Beschreibung der unio mystica

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Biblische und patristische Spiritualität4) Augustinus und Gregor als Brückenpfeiler zur Spiritualität des Mittelaltersb) Gregor der Große: Der aktive Kontemplative- Biblische Vorbilder der unio: Jakob, Mose, Maria Magdalena, Paulus- Kosmische Vision bei Benedikt (2. Buch Dialoge)- Beziehung zwischen Kontemplation und Aktion (Töchter Sauls: Merab und

Michal – unterscheiden sich im Sehen und im Handeln)- Berufung zur Kontemplation aller Menschen- Minimum an „kontemplativer Kultur“ - Wechselseitigkeit von Aktion und Kontemplation prägte den großen Papst- die vita mixta bzw. composita als die Lebensweise, die Christus am

nächsten kommt- Prädestiniert für dieses Leben ist v.a. „der Priester, der mit den Augen bei

Gott und mit dem Herzen bei der leidenden Menschheit der wahre Mystiker ist – der tätige Kontemplative, wie der große Papst selbst“ (B. McGinn)

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