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Bekenntnis mit Folgen

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Kriminalroman von Ursula Schmid

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BEKENNTNIS MIT FOLGEN

Ursula Schmid

edition oberkassel 2016

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Alle Rechte vorbehalten. Verlag: edition oberkassel Verlag Detlef Knut, Lütticher Str. 15, 40547 DüsseldorfHerstellung: SOWA Sp. z.o.o., WarszawaUmschlaggestaltung: im Verlag unter Verwendung eines Fotos von © Regina KnutLektorat: Barbara Klein

© Ursula Schmid© edition oberkassel, 2015/2016

[email protected]

Das Werk inklusive aller Abbildungen ist urheberrechtlich ge-schützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheber-rechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und der Auto-ren unzulässig und strafbar.

1. Auflage 2016Printed in Europe

ISBN(Print): 978-3-95813-0272ISBN(Ebook): 978-3-95813-0289

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Da-ten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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»Der Tote heißt Martin Meier. Großes M, kleine Eier, 40, Leh-rer hier am Gymnasium. Irgendjemand hat ihm den Schä-del eingeschlagen.« Oberkommissar Klaus Hofmockel stand breitbeinig am Absperrband. In der Hand trug er einen Block, im Gesicht ein Grinsen.

Seine Kollegin Bertaluise Nürnberger sah über den Rand der Lesebrille, deren Bügel an einem Goldkettchen befestigt waren. Ihre Füße steckten in blauen Plastik-Überschuhen. Im Mundwinkel klebte ein Glimmstängel. Jeder im Revier wusste, dass Belu, wie sie von allen genannt wurde, ihre Zigaretten nie anzündete. Kalt rauchen nannte sie das.

»Wer hat ihn gefunden?« Sie sah zu ihrem Kollegen, dessen lange Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Auch ihm hatte man an der Turnhallentür gleich diese blauen Plas-tikdinger in die Hand gedrückt, die er sich über seine Straßen-schuhe ziehen musste.

»Na wer schon? Natürlich der Hausmeister. Hattest du während deiner Schulzeit nicht zwei Chefs? Den Direktor der Schule und den Hausmeister. Wenn es irgendwo Probleme gab, hieß das doch immer: Ich und der Herr Direktor, wir ha-ben beschlossen, dass …«

»Hast wohl schlechte Erfahrungen mit der Schule gemacht, Kollege Klausi?« Belu grinste spöttisch, während sie das i im Namen langzog. Geflissentlich übersah sie das grummelige Gesicht ihres Kollegen. Sie konnte es einfach nicht lassen, ihn zu necken, obwohl sie genau wusste, dass er es nicht mochte, wenn sie seinen Namen verniedlichte.

»Von wegen schlechte Erfahrungen mit der Schule! Ich sage nur eins: Meine Lehrer nannten es abschreiben, ich nannte es Teamwork!«

»Das ist das Stichwort, Klausi. Wir sind ein Team und wir machen Teamwork und nicht: Toll, einer arbeitet mehr!«

»Was soll das schon wieder heißen?«

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Bertaluise Nürnberger schwang ihren schwarzen Zopf nach hinten, nahm die Zigarette aus dem Mund und zeigte damit auf einen Herrn im Blaumann und zwei Jugendliche, die in der geöffneten Tür standen.

Klaus Hofmockel seufzte. »Hab’ schon verstanden! Dann mache ich mich mal auf den Weg, die Syphilisarbeit zu erle-digen.«

»Sisyphusarbeit! Mach das, Klausi.«»Eines Tages treibt die mich noch in den Wahnsinn!«, mur-

melte Klaus, während er zielstrebig auf das Grüppchen zuging.»Das habe ich gehört, Klausi!«, rief Belu hinter ihrem Kol-

legen her. Sorgfältig knickte sie die abgelutschte Zigarette, steckte sie in die Tasche und zog eine neue aus der Packung. Unschlüssig hielt sie den Glimmstängel in der Hand. Ihr Blick schweifte durch die Turnhalle. Für einen kurzen Moment dachte sie an ihre eigene Schulzeit zurück. Sportunterricht, Höllenunterricht. Für jeden Lehrer war sein Fach das wich-tigste gewesen. Am Schlimmsten war der Lehrer für Leibes-übungen, wie das damals noch hieß. Sie war unsportlich, zu klein für ihr Gewicht. Außerdem hatte sie große Hemmungen gehabt, sich vor den anderen Mitschülerinnen umzuziehen. Sie schüttelte sich kaum erkennbar, als sie sich an diese arge Zeit erinnerte.

»In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. Und 20 Kniebeugen, nicht so lahmarschig meine Damen! Nürnber-ger, beweg dich, Tempo!« Belu hörte die knarrende Stimme des Sportlehrers noch heute. Das kleine drahtige Männlein wurde von allen nur Johnny genannt, und Leibesertüchtigung war für ihn das Wichtigste auf der Welt. Durchtrainiert, im-mer eine Trillerpfeife im Mund. Er pfiff im Takt wie auf dem Kasernenhof und scheuchte die Klasse durch den Turnsaal. Es schien ihm riesigen Spaß zu machen, gerade die etwas behä-bigeren Schüler zu triezen.

»Noch eine Kniebeuge, Nürnberger, hopp-hopp.«Belu hörte seine Stimme so deutlich, als würde er neben ihr

stehen. Schnell verscheuchte sie die unangenehmen Erinne-rungen. Seit ihrer Schülerzeit sahen die Turnsäle immer noch gleich aus. In den Ecken wurden die Ringe von Seilen zusam-

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mengehalten. Auf einem Wagen stapelten sich Matten. Und die Sonne, die durch die vielen Oberlichter blinzelte, zeigte deutlich, wie schmutzig die Fenster waren.

Es hat sich wirklich nichts verändert – alles schaut aus wie damals.

Lange Schnüre waren an Haken befestigt, so dass die Luken gekippt werden konnten. Staubpartikel tanzten über dem Bo-den, der leicht federte, als sie darüber ging. An den Stirnseiten standen niedrige Bänke.

Auf solchen Bänken mussten wir balancieren und wie die Hasen Haken schlagen.

Ein kleiner Schauder lief Belu über den Rücken. Sie be-schloss, sich endlich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und der Vergangenheit keinen Raum mehr zu geben.

Der Hausmeister hatte, laut Mitteilung ihres Kollegen Klaus, den Toten vor dem Mattenwagen gefunden. Dieser stand nahe der Turnhallentür. Belus Blick haftete kurz an der Klinke, ging dann weiter zu dem Wagen mit den Schaumstoffmatten. Eine hing etwas herunter, davor lag zusammengekrümmt der Tote. Nicht weit davon stand eine offene Holzkiste, in der Kegel la-gen. Studiendirektor Meier war wohl gerade dabei gewesen, den Turnsaal für seine erste Unterrichtsstunde vorzubereiten.

Belu blieb in einiger Entfernung respektvoll vor dem Toten stehen. Die Kriminaltechniker schleppten allerlei Gerät her-bei, stellten Halogenlampen auf, öffneten Aluminiumkoffer, arbeiteten konzentriert ihre festgelegten Punkte ab.

»Warst du auch so ein Schinder? Hast die unsportlichen Mä-dels geärgert, durch die Halle gejagt, und wenn sie nach Luft gejapst haben, hast du da abfällige Bemerkungen gemacht, Herr Meier?«, flüsterte sie zu dem Toten gewandt. Belus Blick wanderte aufmerksam vom Kopf des Toten, der in einer Blut-lache lag, weiter über den Rumpf bis zu den abgewinkelten Beinen. Verdreht lag er da, den Arm ausgestreckt.

Belu steckte sich ein neues Zigarettenstäbchen in den Mund. Eine junge Frau in einem Overall fotografierte den Toten von allen Seiten.

»Du hast deinem Mörder ins Gesicht gesehen«, murmelte sie. »Du hast einen Schlag auf den Kopf bekommen. Hast du

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mit ihm gestritten? Hast du ihn etwa provoziert?«Der seltsame Blick des Rechtsmediziners, Dr. Schimmel-

fuß, der am Boden kniete, ließ Belu sich auf das Wesentliche konzentrieren. Dr. Schimmelfuß’ Augen, von einer randlosen Brille ein wenig vergrößert, verliehen ihm den Eindruck von Intelligenz und großer Kompetenz. Mit latexbehandschuhten Fingern öffnete er seinen Koffer.

Belu steckte die Zigarette zurück in die Packung. Dann kramte sie in ihrer Handtasche, holte stattdessen Gummibär-chen hervor.

»Möchten Sie?«Dr. Schimmelfuß nickte. »Gleich, kommen Sie her, Frau Kom-

missarin. Ich bin so weit fertig mit der Untersuchung. Nageln Sie mich bitte nicht gleich fest. Offensichtlich ist, dass er einen Schlag auf den Kopf bekommen hat. Ob das gleich zum Tode führte, kann ich noch nicht sagen. Ich muss ihn erst auf mei-nem Tisch haben und genau untersuchen. Es ist hier passiert. Auffindungsort ist gleich Tatort. Sie sehen das Blut?«

Dr. Schimmelfuß, der über die Leiche gebeugt war, sah Belu an.

Sie streckte ihm die Gummibärentüte hin. Als sie etwas sa-gen wollte, wurde sie unterbrochen.

»Erst nach der Obduktion.«»Woher wissen …?«»Ich kenne Sie, Frau Kommissarin. Wie lange arbeiten wir

jetzt zusammen? Und um einer weiteren Frage von Ihnen zuvorzukommen: so-bald-wie-möglich! Dass ihr Bullen«, er lächelte, um die Schärfe wegzunehmen, »immer so ungedul-dig seid!« Seine Augen lächelten mit. »Ich habe auch nur zwei Hände, wenn ich vier hätte, würde ich im Zirkus auftreten. Wenn ich fertig bin, dann bekommen Sie sofort den Bericht. Was ich Ihnen genau sagen kann: Er hat einen Schlag mit die-sem Holzkegel auf den Kopf bekommen.«

Er hob eine Tüte hoch, in der sich ein Kegel befand. Man konnte das Blut daran erkennen.

»Ich habe sogar noch etwas für Sie, liebe Frau Kollegin. Den Todeszeitpunkt.« Dr. Schimmelfuß hob ein Thermometer mit einer langen Sonde hoch. »Das ist eine Lebersonde. Ich habe

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bei unserem Toten die Lebertemperatur gemessen. Im Ge-gensatz zur Umgebungstemperatur kann man den Todeszeit-punkt bis zu einer halben Stunde genau eingrenzen. Also sage ich, er ist so gegen sieben Uhr morgens gestorben. Näheres, Sie wissen schon …«

Dr. Schimmelfuß gab ein schmatzendes Geräusch von sich.»Haben Sie noch so ein Gummidings? In Rot bitte!«Belus Mund war leicht geöffnet. Interessiert hatte sie seinen

Worten zugehört. Nun klappte sie den Mund wieder zu und reichte dem Rechtsmediziner erneut die Tüte. Er schmunzel-te.

»Wenn Sie keine Fragen mehr haben, gnädige Frau, dann kann der Leichnam jetzt abtransportiert werden.«

Belu wusste, dass die Leiche demnächst ins Institut für Rechtsmedizin Erlangen-Nürnberg überführt werden würde. Sie erinnerte sich mit Schaudern daran, dass es fast unmög-lich war, in der Universitätsstraße einen Parkplatz zu finden, verzog die Mundwinkel, nahm eine Zigarette aus ihrer Jacken-tasche und ließ sie gleich wieder zurückgleiten.

»Danke. Ich weiß, Sie werden, wie immer, schnell und prä-zise arbeiten und es mich wissen lassen, was die Leiche Ihnen für eine Geschichte erzählt und was bei der Obduktion alles herausgekommen ist.«

»Frau Kollegin? Diese poetischen Worte aus Ihrem Munde? Noch dazu in aller Herrgottsfrüh. Ich bin beeindruckt.« Der Arzt strich sich über seinen Oberlippenbart und lächelte breit, während er die Schlösser seines Alukoffers zuschnappen ließ.

»Sie wissen doch, Doktor, Bildung gefährdet die Dummheit. Deshalb habe ich wieder mal ein Gedicht gelesen.«

»Ich dachte schon …« Der Arzt sprach den Satz nicht zu Ende, da Klaus auf die beiden zukam. »Nun dann, einen schö-nen Tag noch. Und Sie wissen, Frau Kommissarin, wenn Sie nicht mehr weiterkommen, der Nürnberger Trichter hängt in meinem Büro.« Er tippte grüßend an seine Kapuze und ver-ließ eiligen Schrittes die Turnhalle.

»Grins nicht, Klausi.«»Es ist immer wieder schön, euch zuzuhören. Bei jeder Lei-

che stets das Gleiche. Ey, das hat sich sogar gereimt.«

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»Und?«»Was ich über Meier herausgefunden habe?«»Klausi!«»Er ist, nein, war, Lehrer hier am Hedwig-Gymnasium«, ant-

wortete Klaus, »und ein ziemlich autoritärer Knochen.«»Welche Fächer?«»Mathe, Religion, Sport.«»Eine tolle Kombination. Mit Reli könnte ich ja leben, aber

Mathe? Mein schulischer Albtraum. Und unser Sportunter-richt war auch nicht so prickelnd.« Belu verdrehte die Augen.

»Dass ihr Mädels Mathe nicht leiden könnt! So schwer ist das doch gar nicht«, spottete Klaus.

»Klischee hoch zehn. Ich sag nur: Wer im Glashaus sitzt …«»… hat immer frische Tomaten«, ergänzte Klaus. »Na ja,

Meier hat die Mädels in der Klasse besonders getriezt. Macht lieber einen Strickkurs, lernt anständig kochen, waren wohl noch die harmloseren Äußerungen, die er von sich gab.«

»Ein Charmebolzen, ich bin beeindruckt.« Belu verzog den Mund. »Vielleicht hat er eine diesbezügliche Äußerung zu viel gemacht?«

»Du meinst, eine seiner Schülerinnen hat ihm eins überge-zogen? Ist nur eine Vermutung.« Klaus kaute nachdenklich am Bleistift.

»Könnte sein, so wie er mit den Mädchen umgegangen ist. Wir müssen in alle Richtungen ermitteln und das auch be-rücksichtigen.«

»Meine Chefin spricht mal wieder wahre Worte gelassen aus.«

»Wer sich selbst applaudiert, ist nie alleine.« Belu lachte lauthals, als sie das entgeisterte Gesicht ihres Kollegen sah. »Ich kann auch Paroli bieten, wenn ich will, du kennst mich noch nicht, lieber Kollege. Wo ist der Hausmeister?«

»Der steht immer noch da vorne. Der meinte übrigens auch so etwas wie: Meier war ein arrogantes Arschloch, hielt sich für was Besseres. Du siehst, der Herr Studiendirektor war allseits beliebt, was ich aufgrund der ersten Äußerungen von Hausmeister Nüsslein und den beiden Klassensprechern sa-gen kann.«

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Ohne ihren Kollegen weiter zu beachten, ging Belu auf einen Mann im grauen Kittel zu, der wie festgetackert immer noch an der Tür stand.

»Grüß Gott. Ich bin von der Kripo«, stellte sich Belu vor und zückte dabei ihren Ausweis. »Sie haben Herrn Meier gefun-den.«

»Nüsslein, Schorsch, äh Georg, Hausmeister.« Er bewegte kurz den Kopf.

»Erzählen Sie doch mal«, forderte ihn Belu auf. Sie sah ihm direkt in die Augen.

»Allso, des woar a so …«, begann Nüsslein, aber als er die hochgezogene Augenbraue der Kommissarin sah, räusperte er sich und redete dann in gestelztem Hochdeutsch weiter. »Ich habe die Schlüsselgewalt hier im Haus.« Er wirkte wie der Platzhirsch in seinem Revier. »Will heißen, ich schließe die Unterrichtsräume auf und natürlich auch die Turnhal-le. Das ist mein morgendlicher Rundgang. Da sehe ich dann gleich, ob etwas kaputt ist und ob die Räume am Tag zuvor unordentlich verlassen worden sind. Do kenn i nix, wenn däi imma net ordentli aaframa, ich sochs Ihna!«

Er schloss kurz die Augen, dann polterte er los: »Ich bin halt a Frangg und wecha Ihna werd i mi etzert net verbign!«

»Das müssen Sie auch gar nicht, Herr Nüsslein. Berichten Sie weiter!«

»Also«, meinte Nüsslein versöhnt, »der Turnsaal ist heu-te erst in der zweiten Stunde belegt. Studiendirektor Meier, auf den Titel hat er Wert gelegt, so ein Angeber«, Nüsslein schnaubte verächtlich, »da hat er Sport mit den Jungs der zehnten Klassen. Zwei Gruppen sind zusammengefasst. Ich habe mich gewundert, dass die Türe nur angelehnt war. Ges-tern Abend war ein Kurs von der Volkshochschule hier. Rü-ckengymnastik für Bandscheibengeplagte. Die Kursleiterin hat strengste Order, immer abzuschließen und den Schlüssel in den Kasten vor der Hausmeisterloge zu werfen.«

»Und? Hat sie?«, erkundigte sich Belu.»Also, wenn’s mich etzert so direkt froggn.« Nüsslein kratz-

te sich peinlich berührt hinter dem Ohr. »I hob no gor ned nochg’schaut. Na ja, jedenfalls war die Tür offen, und i hob

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mer no denkt, dass die Frau Kursleiterin etzert an Anschiss kräigt, weil ich der des scho x-mal gsoacht hab und dann siech i a no a Maddn mitten im Eingangsbereich. Des haast, die Kursleiterin hat ned aafgramt – die Matte«, überbetonte Nüsslein das harte t.

Belu lächelte still vor sich hin. Sie fand es ganz charmant, dass Nüsslein zwischen dem fränkischen Dialekt und Schrift-deutsch hin und her wechselte.

Er schnäuzte sich geräuschvoll in ein Stofftaschentuch. Belu stellte verwundert fest, dass es gebügelt war. Anklagend hob er seinen Zeigefinger und stocherte in der Luft herum. »Genau da, wo sie nicht hingehört, und als ich dann rein bin, habe ich einen liegen sehen. Komisch verdreht, eine rot-braune Flüs-sigkeit war um seinen Kopf. Ich habe ja schon viel gesehen, aber so was wirklich noch nicht.« Nüsslein schüttelte sich an-geekelt. »Man findet nicht jeden Tag eine Leiche.«

»Woher wussten Sie, dass Herr Meier eine Leiche ist?« Belu fragte ganz unschuldig, indem sie eine kleine Schnute zog.

»Des sieht ma doch imma im Fenseher.«»Was denn, Herr Nüsslein?«»Wenn einer so verdreht do liegt, dann is er meistens tot.«»Haben Sie ihn bewegt?«Nüsslein wurde knallrot, druckste herum. »Also gut, ich bin

hin, habe meine Finger an seinen Hals gehalten, ob sein Puls noch schlägt. Aber bewegt hab ich ihn ned!«

»Und hat er geschlagen …? Der Puls …?« Belus Stimme klang ernst. Es freute sie ein bisschen, dass sie diesen überheblichen Hausmeister aus der Ruhe brachte.

»Nö«, antwortete Nüsslein. Er schlug die Lider nach unten. »Ich habe dann abgesperrt, meinen Chef, den Herrn Direk-tor Dressler, informiert, und der hat die Polizei angerufen. Im Fernsehen sieht man ja immer, dass man die Leiche nicht berühren und auch sonst nichts anfassen soll. Hab ich auch nicht! Ehrlich! Nur am Hals … Ach ja, die Schüler habe ich wie-der zurück in ihre Klassen geschickt, bis auf die zwei Klassen-sprecher, die stehen da hinten.«

Beifall heischend sah er die Kommissarin an. Belu ließ sich nun darauf ein und meinte: »Das haben Sie

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gut gemacht, Herr Nüsslein.« Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, das aber sofort verschwand, als Belu wie beiläufig fragte: »Und Sie haben sich wirklich nicht gewundert, dass die Saaltür nicht verschlossen war?«

»Des hob i Ihna doch scho gsagt. Kursleitung, Volkshoch-schule, ich habe auch mal Feierabend. Ich bleib doch nicht bis in die Puppen in der Schul. Des langt mer scho, wenn die El-ternabend haben. Des ganze Jahr über kümmern sie sich ned um ihre Brut und dann – natürlich immer kurz bevors Zeug-nisse gibt – kumma die Eltern und quatschen den Lehrern a Fleischküchla ans Ohr. Und da bleib ich dann natürlich scho, bis der letzte Lehrer ganga is.«

»Schon gut, Herr Nüsslein.« Belu schmunzelte in sich hin-ein. Nüsslein war ein typischer Hausmeister. Ohne ihn ging gar nichts, der wichtigste Mann, gleich nach dem Direktor. Da hatte Kollege Klaus schon recht gehabt. Oder war der Haus-meister die Nummer eins, dachte er zumindest, und Nummer zwei war der Direktor? Die Graukittel wussten alles, was im Schulhaus so vor sich ging, während sich der Anzugträger hin-ter seinen Akten und diversen Papieren versteckte.

»Übrigens, wie standen Sie zu Herrn Meier? Abgesehen da-von, dass er ein arrogantes Arschloch für Sie war?«

Die Sache mit dem Schlüssel und der unverschlossenen Tür stellte Belu vorerst hinten an, zumal Nüsslein diese Tatsache großzügig überhörte. Sie machte sich eine geistige Notiz. Spä-ter würde sie darauf zurückkommen.

»Ein Fatzke war das, der immer raushängen ließ, dass er der Akademiker war und ich nur der Hausmeister mit Hauptschu-le. Früher war er ned a so. Da hatte ich weniger mit ihm zu tun. Seit ungefähr einem Jahr oda a länga hat der regelrecht zum Spinna ogf… ich meine zum Spinnen angefangen«, korri-gierte sich Nüsslein. »Dabei würde ohne mich hier gar nichts laufen!« Jetzt richtete sich Nüsslein zu seiner vollen Größe auf – Belu schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig. Als er Belus Gesicht sah, klappte sein Unterkiefer herunter. »Sie glauben doch wohl nicht, dass ich …? Wergli ned!«Er schnaubte ver-ächtlich.

»Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung. Und bitte

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schauen Sie nach, ob die Kursleiterin von gestern Abend den Schlüssel in den Kasten geworfen hat. Das hätte Ihre erste Tat heute Morgen sein sollen, nicht wahr?«

Mehr sagte Belu nicht. Diesen kleinen Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen. So ließ sie einen verdutzten Hausmeis-ter zurück, dem eine leichte Röte den Hals hinaufkroch.

*Er schlug zu: einmal, zweimal. Erst mit der flachen Hand, dann mit der Faust. Sie wimmerte entsetzt. Der Schmerz nahm ihr den Atem. Ihre Augen weiteten sich, als er den Schürhaken nahm und auf sie zuging. Sie stand da, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

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Dr. Schimmelfuß’ Assistentin, ebenfalls von oben bis unten in einen Ganzkörper-Anzug gekleidet, kam auf Belu zu. Die Füße der jungen Frau steckten auch in Kunststoff-Überschuhen mit Gummizug. Belu grinste und murmelte so etwas wie sehr de-korativ. Laut sagte sie: »Was haben Sie Schönes für mich?« Die junge Frau zeigte ihr einen Plastiksack.

»Diesen Schlüsselbund mit der langen roten Schnur haben wir im Abfalleimer vor dem Turnsaal gefunden. Sehen Sie? Drei größere und ein kleiner Schlüssel. Der kleine könnte zu einem Briefkasten passen. Ich habe sie ausprobiert. Der große mit dem roten Punkt drauf passt in das Schloss vom Turnsaal. Fingerabdrücke habe ich schon genommen. Ich lasse es Sie schnellstmöglich wissen, wenn sie zum Toten passen.«

Belu bedankte sich. »Geht’s vielleicht heute noch?«Die Assistentin verzog die Mundwinkel. »Dr. Schimmelfuß

hat mir schon gesagt, dass sie am liebsten immer alles gestern hätten.«

»Dafür dürfen Sie auch in meine Gummibärentüte greifen.« Belu hielt ihr die geöffnete Tüte hin. »Bedienen Sie sich ruhig großzügig.«

»Wie nett, dass Sie an mein Hüftgold denken!«»Die sind kalorienarm«, zwinkerte Belu. Und zu Klaus ge-

wandt, sagte sie: »Wunderbar, somit gibt es also doch mehr als einen Schlüssel für die Turnhalle. Ich bin mir ziemlich si-cher, dass Meier sich den Schlüssel hat nachmachen lassen. Der wollte vom Hausmeister unabhängig sein und nicht jedes Mal bitten müssen, wenn er die Turnhalle betreten wollte. Nun, wir werden es wissen, sobald die Fingerabdrücke ver-glichen sind. Was sagen die Schüler, Klaus?« Belu deutete mit dem Kopf zur Türschwelle. Sichtlich schüchtern standen die beiden Jungs dort. Sie wirkten etwas verloren, vermieden es krampfhaft, im Turnsaal herumzuschauen.

»Das sind die Klassensprecher der zehnten Klasse. Nüsslein

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hat sie dabehalten, wohl als Ansprechpartner. Die anderen Schüler sind in ihren Klassenräumen. Beide haben überein-stimmend gesagt, dass Meier etwas speziell war.«

»Speziell?«»Nun ja, keiner der Schüler konnte ihn leiden. Er war ein-

fach zu autoritär. In seinem Unterrichtsfach Religion war er gerade noch so auszuhalten. In Mathe hat er die Arbeitsgrup-pe geleitet und sich um die Genies gekümmert, aber ganz ex-trem muss es im Sportunterricht zugegangen sein. Da hat er sich wohl auch selbst nicht geschont, was seine sportlichen Aktivitäten anbelangte. Jedenfalls ist den Schülern aufgefal-len, dass er doch immer mal blaue Flecken hatte.«

»Ein reizendes Kerlchen«, warf Belu dazwischen. »Ich neh-me an, dass die Schüler sich vor ihm fürchteten?«

»Sein Lieblingsausspruch war: Du hättest die Suppe der Weisheit nicht mit der Gabel essen sollen! Sagt alles, oder?«

»Oh, witzig war er auch noch. Ich kann mir gut vorstellen, dass das ganz schön verletzend auf einige Schüler wirkte. Die befragen wir später noch genauer. Jetzt werden wir erst mal dem Herrn Direktor einen Besuch abstatten.«

Mit einem letzten Blick auf die Mitarbeiter, die die Leiche in eine Zinkwanne legten, ging Belu federnden Schrittes durch den Turnsaal. Sie stutzte kurz, als sie die beiden Klassenspre-cher sah.

»Die sind ja immer noch da. Ihr könnt jetzt in eure Klasse gehen«, damit entließ sie die Jungs. Klaus war ihr nachgeeilt. Nachdem er Belu mit zwei großen Schritten überholt hatte, hielt er ihr mit einer kleinen Verbeugung die Tür auf.

»Heute sind wir aber wieder charmant. Willst du was?«»Wenn du mich so direkt fragst. Am Samstag spielt der Club,

und ich habe Karten …«»Klausi, wir stecken mitten in einer Mordermittlung!«»Zwei Stündchen?«Belu seufzte tief.»Sag mal, Klaus, gibt’s ne Ehefrau zu unserem Toten?«»Das werden wir sicher gleich vom Direktor erfahren.«Klaus räusperte sich betont deutlich.»Was ist, Klausi?« Der Kollege deutete auf Belus Überschu-

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he, sagte nichts. Mit einem Ruck riss sie sich die blauen Dinger von den Füßen und drückte sie Klaus in die Hand. Er steckte die Plastiküberschuhe ineinander, sah sich suchend um. Auf den Punkt genau traf er den Papierkorb, grinste und eilte hin-ter Belu her.

In der geräumigen Aula der Schule hing ein Wegweiser mit den Namen der Lehrer, ihrer Berufsbezeichnung, den entspre-chenden Klassen, und in welchen Klassenzimmern sie sich finden ließen. Auch das Direktorat und das Sekretariat waren ausgewiesen. Neben der Tür hing ein Schild: Vorzimmer Fräu-lein Margarete Kleinert. Belu klopfte forsch, wartete eine Ant-wort gar nicht erst ab, öffnete die Tür und stand unmittelbar vor einem breiten Tresen, auf dem sich nur ein angeketteter Kugelschreiber befand. Eine Frau mittleren Alters mit hochge-steckten Haaren blickte fragend von ihren Papieren hoch. Die runden Brillengläser saßen auf ihrer Nasenspitze und verlie-hen ihr ein altjüngferliches Aussehen.

»Sie wünschen?« Die tiefe Stimme passte nicht so ganz zu dem Erscheinungsbild, das die Dame abgab.

»Hauptkommissarin Nürnberger, das ist mein Kollege Ober-kommissar Hofmockel.« Beide Beamte zückten ihre Dienst-ausweise. »Wir würden gerne mit Herrn Direktor Dressler sprechen, Fräulein Kleinert, nehme ich an.«

Sie nickte. »Natürlich, Sie werden schon erwartet. Folgen Sie mir!«

Steif deutete die Sekretärin den beiden Kommissaren an, um den Tresen herumzukommen. Dann klopfte sie, wartete das Herein ab, öffnete die Tür, murmelte etwas und zog sich zurück.

Ein Herr mit einem dünnen Haarkranz fuhr mit seinem Schreibtischstuhl nach hinten und stand zackig auf. Der Scheitel war am linken Ohr gezogen und eine graue Strähne lag wie aufgeklebt quer über der lichten Stelle. Zum grauen Anzug trug er eine rote Krawatte. Die Hände vor der Brust verschränkt, kam er auf die beiden Kommissare zu.

Aha, der übt Distanz, kam es Belu in den Sinn. Der will uns keine Hand geben. Mit einem Blick erfasste sie die Person, die da vor ihr stand. Akademiker, im Schuldienst grau gewor-

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den. Die Einrichtung des Zimmers passte zu ihm. Wuchtiger Schreibtisch, weiße Wände, Bild des Bundespräsidenten, An-richte mit Leitzordnern, rundes Tischchen, Besucherstühle. Alles funktionell, schmucklos.

»Dressler«, sagte der Herr in Belus Gedanken hinein, »ich bin Direktor dieser Schule – noch«, fügte er an. »Das ist mein letztes Schuljahr, dann gehe ich in Pension. Herr Meier hat sich beworben, wäre vielleicht mein Nachfolger geworden.« Er seufzte tief und wischte sich mit einem gestärkten Stoffta-schentuch über die Stirn. »Tragisch, wirklich tragisch. Können Sie mir nähere Auskünfte geben? Herr Nüsslein, unser Haus-meister, sagte mir nur, dass er Herrn Meier tot in einer Blutla-che liegend im Turnsaal gefunden habe.«

Direktor Dressler wies zur Besucherecke, er selbst zog sich wieder hinter seinen Schreibtisch zurück.

Der macht das schon geschickt, dachte Belu, zeigt gleich die Grenzen auf. Er ist der Boss und wir die armen Sünderlein.

»Meier ist erschlagen worden, Herr Dressler«, sagte Belu. Der Stuhl war äußerst unbequem. Wahrscheinlich saßen hier öfter Schüler und die sollten es sicher nicht behaglich haben. Am liebsten wäre Belu aufgestanden und im Zimmer auf und ab gegangen.

»Die näheren Umstände sind noch nicht bekannt. Sagen Sie, war Herr Meier verheiratet? Oder gibt es Angehörige, die wir benachrichtigen müssen?«, erkundigte sich Belu.

»Ja, seine Ehefrau.« Dressler drückte auf eine Taste am Te-lefon und gab seiner Sekretärin Anweisung, die Adresse von Meier herauszusuchen.

»Sie sagten, Meier wäre vielleicht Ihr Nachfolger geworden. Gab es noch weitere Bewerber?« Klaus zückte seinen Notiz-block.

»Studiendirektor Johannes Petermann, Geschichte, Geogra-fie. Er hatte sich ebenfalls für den Posten des Direktors be-worben. Beide Kollegen wären bestens für die Stelle geeignet gewesen. Beide hatten die erforderlichen Vorbereitungssemi-nare besucht und entsprechenden Module belegt. Beide ha-ben mit sehr gut bestanden und abgeschlossen.«

»Und wen haben Sie präferiert?«, hakte Belu nach.

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»Nun«, druckste Direktor Dressler herum, »ehrlich gesagt, war mir Petermann geeigneter erschienen. Wissen Sie, wie soll ich das sagen …? Kollege Meier war fachlich sehr gut, aber menschlich ließ er es manchmal an Fingerspitzengefühl feh-len. Man hat es in einer Schule mit Menschen zu tun, mit jun-gen Menschen, die geführt und angeleitet werden müssen. Er war oft wie ein Elefant im Porzellanladen.«

Lautlos war die Sekretärin in das Zimmer getreten. Sie reichte Belu einen Zettel.

»Herr Meier hat es an Fingerspitzengefühl vermissen las-sen«, wiederholte Belu. »Hatte er Feinde?« Sie sah Direktor Dressler direkt in die Augen. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten und senkte die Lider.

»Jeder Lehrer hat wohl Feinde. Schüler sind nicht immer damit einverstanden, wenn es Sanktionen gibt. Die Eltern machen heutzutage die Lehrer für alles verantwortlich, was ihre Sprösslinge so anstellen. Wenn ein Schüler eine schlechte Note schreibt, ist er zu wenig motiviert worden. Und Meier, er war …« Direktor Dressler hüstelte, »ähm, nun, er war wohl etwas zu direkt.«

»Um nicht zu sagen, er war beleidigend!«, schnaubte die Se-kretärin, die nach wie vor neben Belu stand. Mit dem Zeigefin-ger schob sie die rutschende Brille nach oben.

Belu fiel auf, dass die Brille der Sekretärin an einer Leder-schnur hing. Auch ihre eigene Lesebrille hatte sie an die Kette gelegt. So musste sie nicht lange danach suchen. Genau wie das Handy verschlupfte sich auch immer die Lesebrille in Be-lus großer Handtasche. Ein Gedanke drängte sich ihr auf. Das sehe ich immer bei kleinen Kindern, deren Fäustlinge durch eine lange Schnur aneinander gehäkelt sind, damit sie nicht verloren gehen.

»So was von beleidigend aber auch.« Fräulein Kleinert sog scharf die Luft ein. »Er sagte zu mir: Wie man sich füttert, so wiegt man, wenn ich mal von meiner Brezel abgebissen habe, oder: Sagen Sie sich immer, Fräulein Kleinert, Denken ist Ar-beit, Arbeit ist Energie und Energie soll man sparen.« Fräulein Kleinert tupfte sich mit dem Knöchel ihres Zeigefingers in die Augenwinkel. »Das ist aber noch nicht alles. Erst gestern frag-

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te er mich, ob ich den Verkehrsfunk gehört hätte. Es würde ein Besen auf der Straße liegen, und ob ich abgestürzt wäre.«

Klaus grunzte, wandte den Kopf und versuchte krankhaft an etwas Tragisches zu denken, um nicht lauthals loszulachen.

»Liebes Fräulein Kleinert. Beruhigen Sie sich … ich wusste gar nicht … so schlimm … es tut mir …« Hilflos stotterte Direk-tor Dressler, wobei er ungeschickt die Hand seiner Sekretärin tätschelte.

»Danke vorerst, Herr Direktor. Vorläufig soll das genügen. Wir werden zu gegebener Zeit noch auf Sie zurückkommen. Wir möchten natürlich auch gerne mit Herrn Petermann und dem Kollegium sprechen«, versuchte Belu die Situation zu ret-ten. Klaus war hochrot im Gesicht. Er versuchte seinen Lach-anfall irgendwie unter Kontrolle zu bringen. Direktor Dressler und Fräulein Kleinert sahen beide konsterniert aus.

»Wir werden jetzt der Ehefrau die schlimme Nachricht überbringen. Auf Wiedersehen!«

Hans Dressler nickte mitfühlend, wobei ihm eine Haar-strähne ins Auge fiel, die er aber sofort wieder in die richtige Fasson legte. Diesmal schüttelte er Belu und Klaus die Hand. Es war ein lascher Händedruck, verschwitzt, der eher an un-gewürzte Suppe erinnerte als an selbstbewusstes Handeln. Beim Hinausgehen meinte Belu leise zu Klaus: »Lass es uns hinter uns bringen.«

Direktorat, Sekretariat und Lehrerzimmer lagen nebenein-ander im ersten Stock.

»Wollen wir nicht gleich noch die Kollegen befragen, wenn wir schon mal da sind?«

»Du hast recht, Klaus.« Belu drehte sich um, klopfte kurz, riss die Türe zum Sekretariat auf und sagte zu Fräulein Klei-nert: »Rufen Sie doch bitte alle Kollegen ins Lehrerzimmer. Wir haben noch ein paar Fragen. Danke schön.«

»Ist sowieso Pause«, rief ihr Fräulein Kleinert nach.Belu klopfte an die Tür des Lehrerzimmers. Eine junge Frau

öffnete mit den Worten: »Hat man nicht mal in der Pause … oh, Entschuldigung.«

Statt einer Vorstellung hielt Belu der Lehrkraft ihren Aus-weis unter die Nase. Mit einer einladenden Geste forderte die-

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se die Kommissare auf, das noch wenig bevölkerte Lehrerzim-mer zu betreten. Nach und nach füllte sich der Raum. Einige Lehrer stellten sich vor, andere nahmen schweigend Platz. Es herrschte eine seltsame Atmosphäre und es roch eigenartig. Nach verstaubten Büchern, nach Kopierer, nach Wurstbrot, nach Kaffee und auch ein bisschen nach Angst. Niemand sagte ein Wort. Ein paar hielten die Arme verschränkt, eine der An-wesenden rückte laufend an ihrer Brille, wieder eine andere nippte an einer Flasche Mineralwasser.

Belu stellte sich und ihren Mitarbeiter vor. »Sie haben alle gehört, dass heute Morgen Ihr Kollege Martin Meier durch Fremdeinwirkung ums Leben gekommen ist. Die genauen Umstände sind noch ungeklärt.«

Irgendjemand räusperte sich. Der Geruch nach Schule stieg Belu noch intensiver in die Nase.

»Hat jemand von Ihnen etwas beobachtet, was mit diesem Vorfall in Zusammenhang stehen könnte? Ist Ihnen etwas Un-gewöhnliches aufgefallen?«

Schweigen. Wirklich, wie früher in der Schule, dachte Belu. Hoffentlich ruft mich niemand auf oder spricht mich an.

Ein älterer Herr stand auf. »Hans Weigel, Französisch und Englisch. Ich habe nichts beobachtet. Ich habe heute nach der Pause Unterricht, bin auch eben erst gekommen. Mit Herrn Meier hatte ich wenig Kontakt. Er ist, äh, war in einer anderen Fachschaft.« Weigel setzte sich, zog ein Papiertaschentuch aus der Jacke und schnäuzte hinein.

»Wenn Sie eben erst gekommen sind, woher wissen Sie dann vom Tod Ihres Kollegen?« Klaus hielt die Hände verschränkt, zog die Augenbraue nach oben.

»Nüsslein, er …«»Sie brauchen nicht weiterzusprechen. Es passiert ja

schließlich nicht jeden Tag, dass ein Kollege mit eingeschla-genem Schädel aufgefunden wird. Und das muss sofort sen-sationslüstern weitererzählt werden.« Belu schnaubte. Am liebsten hätte sie das Fenster ganz weit aufgerissen, um die-sen konservativen Mief hinauszuwedeln.

Eine Frau hob den Kopf, blieb sitzen. »Elfriede Wagner. Mar-tin war in unserer Fachgruppe Religion. Erst gestern hatten

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wir eine kleine Meinungsverschiedenheit, nein eher eine klei-ne Reiberei, wie wir das Thema Sexualität und Partnerschaft im Unterricht behandeln. Er hat sich nie um irgendwelche Lehrpläne geschert. Das geht natürlich nicht …« Frau Wag-ners Stimme war immer leiser geworden. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass diese Auseinandersetzung ein Mordmotiv hätte sein können. Die Kollegen sahen sie ziemlich entsetzt an.

»Das ist doch kein Grund ihn umzubringen! Ich unterrichte Religion, bin gottesfürchtig und achte das Leben!«

Eine junge Frau durchbrach die anschließende Stille, indem sie betont munter meinte: »Susanne Graber, Referendarin, Wirtschaft und Deutsch. Ich bin nach sieben Uhr am Schul-haus angekommen, habe Frau Wagner vor der Tür getroffen und dann sind wir beide zusammen ins Lehrerzimmer ge-gangen. Mir ist nichts Besonderes aufgefallen. Ich kann Ihnen nichts anderes sagen.«

Man sah Frau Wagner an, wie erleichtert sie war. »Stimmt, ich bin mit Frau Graber …« Sie brach ab, schnaufte hörbar. So ging es noch eine Weile weiter. Auch die anderen Kollegen stellten sich brav mit Namen und Fächerverbindung vor.

Belu nickte. Natürlich war niemandem etwas aufgefallen. Es war ein Schultag wie jeder andere auch. Schüler und Lehrer waren, wie jeden Morgen, ins Schulhaus gegangen. Schwatz-ten miteinander, stellten Fahrzeuge und Räder ab. Nichts Un-gewöhnliches.

»Danke. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, melden Sie sich auf dem Polizeipräsidium. Falls wir noch Fragen haben, kom-men wir auf Sie zurück.« Belu nickte, Klaus deutete einen Gruß an. Dann verließen beide das Lehrerzimmer. Sie erwar-teten, dass nun ein Stimmengewirr eintreten würde, aber hin-ter der Tür blieb es still.

Während Belu die Treppen hinunterging, sah sie überall neugierige Gesichter. Einige Schüler standen in Grüppchen am Fenster, andere saßen auf den Bänken, die schlangenförmig in Nischen aufgestellt waren. Manche Klassenzimmertüren stan-den offen, es war erstaunlich leise. Von Weitem sah Belu das rotweiße Band, das die Spurensicherung vor die Turnhalle im Erdgeschoss gespannt hatte.

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»Wo gehst du denn jetzt schon wieder hin?« Klaus hatte Mühe, seiner Chefin zu folgen.

Nachdenklich stand Hausmeister Nüsslein da. Als er die Kommissarin erblickte, tat er so, als hantiere er geschäftig an dem Heizkörper vor der Pförtnerloge herum.

»Nun, Herr Nüsslein.« Belu hätte ihn am liebsten eine Schwatz-base geheißen, sie unterließ es aber. Mit wenigen Schritten war sie bei dem Hausmeister. Die Menschen waren nun mal neugierig und wollten wissen, was ein Absperrband und Poli-zeipräsenz bedeuteten. Ein anderer wusste etwas, in dem Fall Nüsslein, und er wollte sein Wissen weitergeben. Dadurch wurde er wieder ein Stückchen wichtiger. Er hatte die Leiche Meiers schließlich aufgefunden. Stattdessen fragte ihn Belu: »Was ist mit dem Schlüssel zur Turnhalle?«

»Ähm, der Schlüssel lag im Kasten.«»Nun denn, wie’s ausschaut, hatten Sie also nicht alleine die

Schlüsselgewalt. Wenn der Schlüssel dieser Dozentin im Kas-ten lag, dann musste Herr Meier selber einen gehabt haben.«

Nüssleins Gesichtsfarbe wechselte. Das ging wohl gegen seine Hausmeisterehre, denn er polterte los. »Ich froch mich wergli, was dann Protokolle und Verordnungen nützen, wenn man sich ned dro häld. Und der Meier, des wor a bsonders Schlauer.« Nüsslein presste die Lippen fest aufeinander. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, die er schnell in den Taschen seines Kittels verschwinden ließ. Auf seinen Wangen zeigten sich rote Flecken.

»Warum ärgert Sie das so?« Belu sah den Hausmeister her-ausfordernd an.

»Wie ich scho gsocht hob, warum beschließt ma, dass nur ich an Schlüssel hobn soll und dann schwirrn a boar uman-ander.« Nüsslein putzte so heftig an der Heizung, dass Belu schon fürchtete, die Farbe würde abblättern.

»Danke vorerst, Herr Nüsslein.«»Schüler befragen …?« Klaus machte eine Kopfbewegung

Richtung Treppe.»Später.«

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Während die beiden Kommissare zum Haupttor der Schule gingen, sagte Belu: »Ich möchte wirklich wissen, warum Nüss-lein wegen des Schlüssels so aufgebracht ist.«

»Ich vermute mal«, antwortete Klaus, »das ist eine Frage der Ehre. Etwas ist ohne sein Wissen passiert. Schließlich ist er der Herr über alle Türen im Schulhaus. Weiß, was sich da-hinter verbirgt. Nur er kann überall rein. Und man muss ihn fragen, wenn man etwas will. Dieser Meier, den er sowieso für einen Arrogantling hielt, machte ihm das Schlüsselprivileg abspenstig. Wenigstens da wollte er doch ein bisschen Macht demonstrieren. Und das hat ihm Meier wohl auch weggenom-men. Wollen wir jetzt zur Ehefrau des Opfers fahren?«

Belu nickte. »Je früher wir das machen, umso eher haben wir es hinter uns. Aber halt.« Belu blieb mit einem Mal stehen, so dass Klaus ihr in die Hacken lief. »Sagte der Direktor nicht, dass Meiers Klasse noch im Schulhaus ist? Auf der Tafel stand, in welchen Zimmern sich die Klassen aufhalten.«

»Gerade wollte ich das von dir wissen.« Klaus war beleidigt.»Ist ja gut, hast recht, wenn wir schon hier sind, sollten wir

die Kids gleich befragen.«Belu machte kehrt und folgte den Pfeilen. Natürlich sprach

es sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Schule herum, dass man Studiendirektor Meier tot im Turnsaal aufgefunden hatte. Die Klassentüre der 10a war nur angelehnt. Belu blieb erneut abrupt stehen. Klaus konnte gerade noch einen Satz zur Seite machen, sonst wäre er ihr wieder in die Ferse gelaufen. Sie drehte sich um und legte den Finger an den Mund, lau schte.

*Die Suppe ist zu heiß! Himmel, bist du zu dämlich, um Suppe zu kochen? Mit einem Ruck packte er den Teller und schüttete den Inhalt auf den Boden. Sie bekam einige Spritzer auf die nackte Haut ihrer Wade. Es tat höllisch weh. Am liebsten hätte sie laut geweint, aber mit Blick auf ihn unterließ sie es wohl-weislich. Sein Haar stand ab. Im Zimmer machte sich Zwie-licht breit. Der Gummibaum in der Ecke warf gespenstische Schatten auf sein Gesicht. Es sah aus, als wenn ihm ein Horn auf der Stirn wachsen würde.

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Aufgeregtes Stimmengewirr drang aus der angelehnten Tür der Klasse 10a. Wortfetzen wie Scheiße, wer macht jetzt … und kein Wunder, so ein … drangen heraus. Belu klopfte kurz, gefolgt von Klaus trat sie ein. Es wurde schlagartig ruhig. Die Kommissarin stellte sich der Klasse vor, deutete auf Klaus. »Mein Kollege Hofmockel. Lassen Sie sich nicht stören«, mein-te sie ironisch. »Sie waren eben im Gespräch?«

»Ich sagte gerade, dass es zum Glück Nüsslein war, der den Meier gefunden hat. Stellt euch mal vor, es wäre unser Trut-scherle gewesen. Die hätte doch glatt einen Schreianfall be-kommen.«

»Würden Sie sich vorstellen, bitte?« Klaus mischte sich ins Gespräch ein, sah den jungen Mann an.

»Matze Bohl, Klassensprecher. Und du, Nico, sag nicht Depp zu mir.« Der Angesprochene hatte Matze einen leichten Schlag mit dem Heft auf den Kopf gegeben.

Die Tür öffnete sich und ein mittelgroßer Mann mit einer modischen Kurzhaarfrisur kam in das Klassenzimmer. Belus erster Gedanke: ein eitler Pfau mit seinem Seidenschal und modernem Outfit.

»Ich wollte mal nach der Klasse sehen. Es war auf einmal so unnatürlich ruhig. Ich nehme an – Polizei?«

Belu nickte und murmelte ihrer beider Namen. Ich hänge mir jetzt bald ein Schild um, so oft habe ich mich heute schon vorgestellt, dachte sie.

»Mein Name ist Johannes Petermann. Geschichte, Geogra-fie.«

Ist schon komisch, dachte Belu, dass sich Lehrer immer gleich mit ihrem Fachgebiet vorstellen. Sie lächelte den Herrn freundlich an. »Sie waren nicht im Lehrerzimmer gewesen?«

»Ich musste noch eine Klassenarbeit vervielfältigen. Nach-

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dem der Kopierer mal wieder Papierstau meldete, habe ich mich gar nicht lange damit beschäftigt und bin gleich ins Se-kretariat. Fräulein Kleinert hat mir die Kopien gemacht.«

Er fuhr an die Klasse gewandt fort: »Ich glaube, an Unter-richt ist jetzt nicht zu denken. Die Schulleitung überlegt noch, ob wir in dieser Woche den normalen Schulalltag überhaupt so fortführen. Auf jeden Fall werden wir Psychologen vom örtlichen Schulamt ordern. Und dann wären da auch noch die Religionslehrer, die euch für Gespräche zur Verfügung stehen. Wenn ihr das wünscht, natürlich nur«, fügte der Lehrer an. »Am besten geht ihr für heute nach Hause.« Er schaute dabei von einem Jugendlichen zum anderen. Einige saßen auf den Bänken, andere hatten sich an die Wand gelehnt, wieder an-dere hatten an den Fenstersimsen Platz genommen. Ein paar Schüler senkten die Köpfe, andere nickten, die meisten ver-neinten. Sie wollten noch in der Schule bleiben. Es waren wohl eher Neugierde und die Befürchtung, etwas zu verpassen, die die Schüler in der Schule und im Klassenzimmer verharren ließen, als das Pflichtbewusstsein.

»Wissen Sie«, Petermann wandte sich den beiden Kommis-saren zu, »die Klasse von Studiendirektor Meier ist vor lauter Polizei im Haus beinahe in Vergessenheit geraten. Direktor Dressler hat angeregt, den psychologischen Dienst einzu-schalten. Wozu haben wir ihn? Die unteren Klassen wirken leicht verstört. Sie wissen ja, wie das ist. Zu jedem geflüster-ten Satz kommt ein noch geheimnisvollerer hinzu. Wie ich eben hörte, munkelt man, dass Meier in einem Blutsee gefun-den wurde.« Petermann presste die Lippen aufeinander und nestelte nervös an einem Knopf. Dann öffnete er den Knoten seines Seidenschales und wischte sich damit über die Stirn. Er knüllte ihn zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Aufgeregtes Gemurmel machte sich breit. Als Matze Bohl zu sprechen begann, wurde es wieder still.

»Nüsslein wollte ihn noch wiederbeleben, sagt man – aber bei einem Kopf, der nur noch Brei ist? Jedenfalls wäre unser Hauswart dadurch blutverschmiert gewesen, als man ihn sah.«

»Und? War er das?«, fragte Hofmockel.

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»Ich habe jedenfalls nichts gesehen«, antwortete Matze. »Wir mussten laut der Order Nüssleins ja dableiben, falls die Bullerei uns befragen wollte. Sein Kittel hatte alle möglichen Flecken. Wie immer halt. Aber Blut habe ich nicht gesehen.«

Eine Schülerin begann hysterisch zu schluchzen. Sie sah aus, als wenn sie tagelang nicht geschlafen hätte. Käseweiß war sie im Gesicht, ihre Sommersprossen auf der Nase wirkten wie kleine Dreckspritzer.

»Reiß dich zusammen, Katharina!«, sagte Ben, ein anderer Junge aus der Klasse. Und grienend setzte er nach: »Jetzt wird es wohl endgültig nichts mehr mit der Mathe-Weltmeister-schaft.« Die betreffende Schülerin Katharina wechselte ihre Gesichtsfarbe von Weiß zu Knallrot.

»Lass Katharina in Ruhe. Nur weil du Mathe nicht magst und es auch nicht kannst, du Zahlengenie, brauchst du nicht so abfällig zu reden. Immerhin ist ein Mensch gestorben, das ist schlimm genug«, antwortete der Junge, der von Matze Bohl mit Nico angesprochen worden war.

»Das sagt der Richtige. Du hast das Handtuch geschmis-sen. Ist die Mathematik wohl doch nicht deine Berufung, he, Streber?« Ben sah sich Beifall heischend um, erntete aber nur Schweigen von seinen Mitschülern.

»Lasst gut sein, hört auf zu streiten«, mischte sich Peter-mann ein. »Ich glaube, wir haben im Moment andere Sorgen. Schon vergessen? Zehnte Klasse? Schulaufgaben? Abschluss-prüfungen? Jetzt ein Mordfall. Wer soll eure Klasse bis zum Schuljahresende führen? Einige von euch werden nach der Zehnten abgehen, die brauchen ein vernünftiges Zeugnis.« Pe-termann hatte sich richtig in Rage geredet. Er stützte sich mit beiden Händen an einer Bank ab, sah die Schüler eindringlich an.

Klassensprecher Matze hüpfte von dem Tisch herunter, auf dem er gesessen hatte. Zu Nico gewandt meinte er: »Du bist noch nicht lange an der Schule und kanntest Meier nicht so gut wie wir. Der konnte ganz schön austeilen. Und wen er auf dem Kieker hatte, Mannomann, der hatte wirklich nichts zu lachen.«

Ein paar Schüler nickten zustimmend.

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»Wie geht’s nun weiter, Herr Petermann?«, schob Matze nach.

»Das kann ich euch wirklich noch nicht sagen. Wir werden eine Konferenz einberufen müssen und beratschlagen, was zu tun ist. Vorerst gilt der Vertretungsplan.«

Kurz schwoll Stimmengewirr an, manche maulten.»Mann, das haben wir heuer nicht zum ersten Mal. Meier

hat schon letztes Schuljahr längere Zeit gefehlt und war ver-gangenen Dezember über weg, und da hatten wir auch Vertre-tungen«, meinte ein Schüler genervt.

»Wer sind Sie?« Belu sah den schlaksigen Jungen an, der von der letzten Bank vorgerufen hatte.

»Tobias Herbst. Ich bin auch in der Mathe-AG. Der Meier war schon ein Hund. Erinnert euch nur daran, wie er Matze die Clownsmaske aufgesetzt hat und meinte, dass auch jeder weiß, wo der Spaßvogel sitzt. Und zu Bella hat er gesagt, wenn er sich einen Döner ans Ohr hält, dann hört er wenigstens die Sau grunzen, bei ihr käme nix, und sie hätte keinen blonden Schimmer von Zahlen.«

»Ha ha«, maulte Matze und setzte sich seine Baseballkappe verkehrt herum auf.

»Du bist so ein Arsch, Tobias.« Bella nahm einen Radier-gummi, warf ihn dem jungen Mann an den Kopf. Tobias duck-te sich geschickt. Nico, der hinter ihm stand, reagierte nicht schnell genug und bekam ihn direkt an die Nase.

»Aua, Volltreffer! Bella, seit wann bist du ein Wurfgenie?« Nico rieb sich die Nase, machte gute Miene zum bösen Spiel. Petermann sah etwas pikiert drein. Klaus Hofmockel verzog die Mundwinkel, und Belu beobachtete die Szene gespannt. Was würde sie von den Schülern noch über Meiers Charakter erfahren?

»Ehrlich, Leute, ich fand Meier nicht so schlimm. Er konnte sehr gut erklären. Seinen Humor musste man halt verstehen.«

»Nico, du kannst überhaupt nicht mitreden. Die paar Mona-te, die du an unserer Schule bist, zählen gar nicht. Wir haben Meier schon das dritte Jahr in Mathe. Einige von uns kennen ihn noch länger. Er ist im Laufe der Zeit immer schlimmer ge-worden. Das letzte Jahr war einfach übel. Er hat sich auf unse-

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re Kosten ganz schön amüsiert. Ich finde Lehrer, die glauben, nur ihr Fach ist das wichtigste, einfach nur zum Kotzen.«

»Julia Schott«, sagte Petermann zu Belu gewandt.Die Schülerin fuhr sich mit den Fingern durch die blonden

Haare und blies sich den Pony aus den Augen. Dann stand sie auf und schmiss wütend ein zusammengeknülltes Taschen-tuch in den Abfalleimer.

»Immer, wenn er exzessiv Sport betrieben hat«, warf Matze ein,

»und mit blauen Flecken in den Unterricht kam«, sagte ein anderer Schüler, »dann war sein Zynismus besonders schlimm. Dann konntest du deinen Arsch drauf verwetten, dass er eine Ex geschrieben hat, die sich gewaschen hatte. Kam dir das nicht so vor, Nico?«

»Na ja, schon«, antwortete dieser breit. »Ich kann nur sa-gen, in der Mathe-Arbeitsgruppe hat er sich ganz anders ge-geben. Geduldig, voll dabei, immer ein offenes Ohr. Was sagst du dazu, Katharina?«

Die Schülerin hatte sich bisher nicht am Gespräch beteiligt, nur still vor sich hin geweint, wie Belu feststellte. Katharina nickte, biss sich auf die Lippen und stierte aus dem Fenster.

»Mensch, Leute! Hallo! Habt Ihr euch eigentlich mal gefragt, wer Meier den Schädel eingeschlagen hat?« Matze stellte sich breitbeinig vor die Klasse und verschränkte die Arme.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Schüler war. So ernsthaft gefährdet durchzufallen, ist keiner von uns. Also hätte auch niemand ein Motiv, ihn kaltzumachen.« Der Schüler Tobias nahm seine Brille ab und sah mit kurzsichtigen Augen seine Klassenkameraden an. Er erntete zustimmendes Ge-murmel. Studiendirektor Petermann meinte mit Blick zu Belu und Klaus: »Ihr könnt gehen. Aber bitte leise. Morgen wissen wir sicher mehr.« Das ließen sich die Schüler nun doch nicht ein zweites Mal sagen. Schnell leerte sich das Klassenzimmer. Die Kommissare und Petermann blieben zurück.

»Die sind ja recht diszipliniert«, meinte Belu. Sie sah, wie et-liche der Schüler beim Rausgehen die Handys zückten. Meiers Tod hatte bestimmt schon die Runde gemacht.

»Beim Kollegen Meier trauten sich die wenigsten Schüler zu

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quatschen oder eine große Lippe zu riskieren. Zu groß war die Angst, von ihm bloßgestellt und blamiert zu werden.« Johan-nes Petermann zupfte wieder nervös an seinem Hemdknopf. »Ja, das konnte er gut. Andere bloßstellen. Nicht nur Schüler. Leider auch Kollegen.«

»Hatte er Sie bloßgestellt? Wie wir hörten, haben Sie sich beide auf den Posten des Direktors beworben.«

»Da gibt es nichts zum Bloßstellen.« Petermann lächelte. Seine Augen lächelten nicht mit. »Ich habe die erforderlichen Seminare besucht, und wenn es diesmal nicht klappt – es gibt noch andere Schulen in Nürnberg, die einen Direktorenposten zu besetzen haben. Eine Frage der Zeit. Wissen Sie, Meier ließ keinen Zweifel daran, dass er Autorität besaß. Und er war sehr konsequent in seinem schulischen Fortkommen. Nicht nur zu den Schülern, auch im Lehrerzimmer ließ er seinen Lieblings-spruch los: Man soll den Tag nicht vor dem Elternabend lo-ben!«

»Ich nehme an, dass er für die Schülerzeitung ein ergiebiges Opfer war.« Klaus Hofmockel nahm eine Broschüre, die auf ei-nem Packen Papier lag. Laut las er vor: »Das Gehirn ist eine fabelhafte Einrichtung. Es beginnt zu arbeiten, sobald man aufsteht, und es hört auf, wenn man in der Schule ist. Setz dich wieder hin, Martin, die Tafel ist heute offenbar dein Feind. Das wird wohl nichts mehr, oder?«

Belu schmunzelte. »Solche Sprüche werden von Schülern mit Vorliebe gesammelt und in den Schülerzeitungen zum Besten gegeben. Das war schon zu meiner Schulzeit so. War er eigentlich ein guter Lehrer?«, fragte sie übergangslos.

»Wenn er gut drauf war, konnte er wirklich fantastisch er-klären. Das haben wir oft von den Schülern gehört. In der Mathe-AG ist er richtig aufgegangen und meist hatte er einen flotten Spruch auf den Lippen. Wenn er menschlich nicht so ein Arschloch gewesen wäre, hätte man ihn glatt nett finden können.« Petermann schlug sich leicht auf die Lippen.

»Entschuldigen Sie die Wortwahl«, sagte er. »Man soll nicht schlecht über einen Toten sprechen. Noch dazu, wenn es ein Kollege war. Es war nicht immer leicht mit ihm.«

Belu sah den Lehrer aufmerksam an. Der konnte ihn partout

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nicht leiden, konstatierte sie für sich. Und nicht nur, weil beide auf den Posten des Direktors scharf waren.

»Wissen Sie«, Petermanns linkes Auge zuckte ein bisschen, »früher war Meier nicht so. Da war er eher ruhig und zurück-haltend.«

»Sie kennen ihn schon länger?« Klaus kramte einen Notiz-block aus seiner Jackentasche.

»Wir haben vor gut zehn Jahren hier am Hedwig-Gymnasi-um angefangen. Da wir beide neu waren, haben wir uns, sagen wir solidarisiert. Wir waren jetzt nicht unbedingt die besten Freunde, aber ab zu sind wir sogar einen trinken gegangen. Wir sind gut miteinander ausgekommen. Haben uns geholfen, schon mal Stunden getauscht, wenn es zeitlich passte. Und ge-quatscht, wenn wir eine gemeinsame Freistunde hatten.«

»Meier war also ein umgänglicher Kollege, mit dem man auch mal was unternehmen konnte. Haben Sie sich auch pri-vat getroffen?«

»Das nicht. Unser Kontakt blieb auf die Schule beschränkt. Ich mochte ihn. Leider hat er sich in den letzten Jahren sehr verändert. Ist zynisch geworden, oft auch wütend. Aber er hatte sich immer gut unter Kontrolle.«

»Wie äußerte sich das?«, hakte Klaus nach.»Nun, blöde Sprüche, die teilweise verletzend waren. Nicht

nur gegenüber Schülern, auch im Lehrerkollegium nahm er kein Blatt vor den Mund. Ich bin mir nicht sicher, ob er immer mit fairen Mitteln gearbeitet hat.«

»Sie meinen, weil Sie sich beide auf den Posten des Direk-tors beworben haben?«

Petermann schwieg angespannt. Die Ader an seiner linken Schläfe pochte leicht.

»Sorry!« Der Junge, der wieder ins Klassenzimmer eilte, sagte atemlos: »Ich habe was vergessen.« Zielstrebig ging er auf die hintere Bankreihe zu, holte seine Jacke, die über dem Stuhl hing. Und schon war er wieder weg.

»Wer war das?«, fragte Belu.»Nico Wolfermann. Ein Mathegenie, wie man allgemein

hört. Er war in Meiers Mathe-Arbeitsgemeinschaft. Seit einem halben Jahr ist er bei uns an der Schule«, war die Antwort.

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»Ach ja, er bekam vorhin den Radiergummi an den Kopf.«Petermann nickte. Dann schloss er das Fenster und nahm

das Klassenbuch an sich.»Die Schüler haben den Kollegen Meier ganz gut dargestellt.

So war er. Ich glaube, eine bessere Beschreibung über seinen Charakter bekommen Sie nicht.«

Petermann nickte den beiden Kommissaren zu und entfern-te sich grußlos. Belu und Klaus gingen schweigend zum Park-platz vor dem Schulgebäude.

»Schon komisch, dass die Schüler sich mehr über die Person Meier ausgelassen haben. Der Mord und unsere Ermittlungen interessierte sie weniger. Keiner hat gefragt, wer es war. Ist dir das auch aufgefallen, Klaus?«

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