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Anatole France

Textgrundlage: Der dürre Kater, Anatole France, mit Original-lithographen von Rudolf Großmann, Kurt Wolff Verlag, München.Berechtigte Übersetzung von Irene von Guttry, Copyright 1921 byKurt Wolff Verlag, München.

Die in diesem Buch eingestellten Bilder wurden dem vorliegendenBuch entnommen und durch gisela rieger neu überarbeitet.

Buchvorlage

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Kurzbiografie

François Anatole Thibault

* 16. April 1844 in Paris; † 12. Oktober 1924 in Saint-Cyr-sur-Loire bei Tours), war ein bedeutender französischer Schriftstellerdes ausgehenden 19. und frühen 20. Jh.

Sein Durchbruch gelang ihm 1881 mit dem Roman „DasVerbrechen“.

1889/90 entsteht Frances erster historischer Roman„Thaïs“. Er erzählt die im kosmopolitischen Alexandria des 4.Jahrhunderts spielende Geschichte eines asketischen christlichenMönchs, der die heidnische Kurtisane Thaïs zu bekehren versucht,dabei aber selbst zu der Einsicht bekehrt wird, dass der Ver- zichtauf jegliche Sinnenfreude nicht gott gewollt sein kann.

Der autobiografisch gefärbte Roman „Die rote Lilie“ von1894 erzählt die Geschichte der schwierigen Liebe einer Bankiers-gattin zu einem Künstler.

Im Ersten Weltkrieg bezog er, nachdem er anfangs noch alsFriedensmahner aufzutreten versucht hatte, eine gemäßigtpatriotische Position.

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Nach dem Ausgang der Kommunisten aus der So-zialistischen Partei Ende 1929 schlug er sich auf ihre Seite und wardamit einer der ersten pro kommunis-tischen Intellektuellen vonRang.

Zu seinen bekanntesten Werken gehören neben „Die roteLilie seine beiden Romane „Die Insel der Pinguine“ (1908) und„Die Götter dürsten“ (1912)

1921 erhielt France als vierter französischer Autor denLiteratur-Nobelpreis. Im Vatikan in Rom dagegen wurde seinGesamtwerk 1922 auf den Index gesetzt.

Zu seinem 80. Geburtstag 1924 wurde France mit Ehrungenüberhäuft und bei seinem Tod noch im selben Jahr mit einemStaatsbegräbnis ausgezeichnet.

Anatole France starb am 12. Oktober 1924 in Saint-Cyr-sur-Loirebei Tours.

Die biografien.de

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Die Novemberstürme peitschten seit drei Tagendie dicht bevölkerte Vorstadt, die sich jetzt in die erstenSchatten der Nacht hüllte. Wasserlachen blinkten unterden Gaslaternen. Trottoir und Straße waren mit einemschwarzen Schlamm bedeckt, den die Schritte derMenschen und Pferde stets von neuem aufwühlten. DieArbeiter, ihr Werkzeug auf dem Rücken, und dieFrauen, die ihre Portion Rindfleisch zwischen zweiTellern aus der Garküche heimtrugen, duckten sichunter dem Regen und trotteten stumpfsinnig dahin wiemüde Lasttiere. In seinen schwarzen Anzugeingezwängt, stieg Herr Godet-Laterrasse unter derMenge die schmutzige Straße zum Montmartre hinan.Unter seinem Regenschirm, der, von manchem Sturmzerzaust, wie der Flügel eines großen verwundetenVogels im Winde schwankte, schritt Herr Godet-Laterrasse erhobenen Hauptes. Sein vorspringenderKiefer und die eingedrückte Stirne brachten sein Gesichtunwillkürlich in eine horizontale Lage, und seine Augenkonnten, ohne sich zu heben, durch den zerschlissenenTaft den rußigen Himmel sehen. Bald fieberhaft eilig,bald nachdenklich langsam ausschreitend, lenkte er ineine dunkle, schlammige Sackgasse ein, ging an den ver-moderten Latten des entblätterten Hagebuchengangslängs der Badeanstalt vorbei und betrat nach kurzemZögern eine Kneipe; die Menschen hier, in zerknittertes,abgewetztes schwarzes Tuch gekleidet wie er, saßenstumm vor ihren Speisen, in einer Atmosphäre vonabgestandenem Fett und dem widerlichen, feucht-warmen Wäschedunst der benachbarten Badeanstalt.

Herr Godet-Laterrasse grüßte das Fräulein amBüfett in seiner üblichen Art: mit einem ernsten Lächelnund einem Zurückschleudern des Kopfes. Dann hängte

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er den abgegriffenen und verbeulten Hut an einenHaken, setzte sich an einen kleinen fettglänzendenMarmortisch und glättete sein Haar mit der Geste, diegewohnheitsmäßig seine Meditationen begleitete. Dassummende Gas beleuchtete die wolligen Haare diesesMannes und sein Mulattengesicht. Vom Schnee undRegen der europäischen Winter schlecht gebleicht,erschien seine Haut schmutzig und die flachen Nägelseiner runzeligen Hände waren an den Spitzen mitmilchigen Strichen gezeichnet.

Ohne den Kellner zu rufen, ohne nach demSchanktisch hinzusehen, zog er aus der Tasche eineZeitung, die er mit lauter Stimme zu lesen begann. Erunterbrach kaum seine Lektüre, um von dem Kalbskopfzu essen, der portionsweise schon vor all diesenstummen und resignierten Gästen erschienen war. DieGäste entschwanden jetzt einer nach dem andern in dieNacht und in den Regen. Nur einer noch kautetrübsinnig mit dem zahnlosen Mund getrockneteWeinbeeren. Der Mulatte leerte seinen Schoppen, aufdessen Grund ein Bodensatz von Hefe und Schalenzurückblieb, wischte sich den Mund und faltete seineServiette. Mit der Geste eines Ringers, der seinenGegner an sich drückt, steckte er die Zeitung in seineBrusttasche und erhob sich, nahm seinen Hut vomHaken und machte einen Schritt zur Tür.

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Schon wollte er in die feuchte Nacht hinauseilen,als in der von schmierigen Händen ganz geschwärztenSeitentür ein kleiner, fettriefender, purpurroter Mannauftauchte und hinkend durch den Saal auf ihnzuschritt. Herr Godet-Laterrasse begrüßte den Wirt desRestaurants in der gewohnten Weise mit demZurückwerfen des Kopfes.

„Guten Abend, Herr Godet“, sagte der kleine fetteMann. „Ein schlimmes Wetter, heut‘, richtet vielSchaden an! Was ich sagen wollte, Herr Godet, könntenSie mir nicht morgen eine kleine Anzahlung machen, eswäre mir sehr angenehm. Ich will Sie ja nicht drängen,das wissen Sie doch; aber ich habe in dieser Wochegroße Zahlungen zu leisten.“

Herr Godet-Laterrasse erwiderte in einem Tonfall,redegewandt und kindlich zugleich, und ohne das Rauszusprechen, daß man ihm Geld schulde, daß ermorgen bestimmt eine beliebige Summe bei seinemVerleger oder in der Redaktion sich holen werde; erbegreife wirklich nicht, wie er nur diese Schuld beiseinem Wirt habe vergessen können, es sei doch nureine Bagatelle.

Der fette Mann schien durch dieses Versprechennicht geblendet. Er erwiderte mit klagender Stimme:„Vergessen Sie mich nicht, Herr Godet. Guten Abend,Herr Godet.“

Und nun trat auch Herr Godet-Laterrasse in dasvom Regen durchfurchte Dunkel, in das sich bereits alldie hageren Kostgänger der ‚Impasse du Baigneur‘verloren hatten. Sämtliche Wege der Erde standen ihmoffen. Er nahm den zum Montmartre, den der Sturmverheerte und ein hartnäckiger Regen überschwemmte.Ein Wirbelwind wollte den Mulatten zu Boden stürzen.

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Ein tückischer Stoß packte seinen Schirm von unten unddrehte ihn plötzlich um. Herr Godet-Laterrasse gabdiesem nützlichen Instrument seine ursprünglicheGestalt zurück; aber der Taft war nun überall geplatztund flatterte wie eine schwarze Fahne um das nackteGerippe. Herr Godet-Laterrasse kletterte unter dieserdüsteren und seltsamen Flagge vorbei, an denTreppenkönigen, der Passage Cotin, die in einenSturzbach verwandelt war. Er hörte nur das Auf-klatschen seiner Sohlen im Wasser und das geheim-nisvolle Zwiegespräch der Winde. Die schwankenGestalten eines Verlegers und eines Zeitungsdirektors,nur ihm allein sichtbar, entflohen vor ihm ins Weite. Erstieg achtzig Stufen empor und blieb an einer kleinenTüre stehen, unter einer Laterne, die wie ein krankesAuge blinzelte und knarrend an ihrem Ring schwankte.Er betrat das Haus und huschte eilig an der Portierslogevorbei. Aber ein mehrmaliges Klopfen gegen denBretterverschlag rief ihn zurück. Er öffnete die Glastürmit einem beklemmenden Angstgefühl. Eine scharfeStimme, die weder einem Manne noch einer Frauanzugehören schien, drang aus einem Alkoven undbenachrichtigte ihn, daß auf der Kommode ein Brief fürihn liege. Er nahm den Brief, stieg fünf glitschige Stufenhinab und trat in sein Zimmer. Bei dem erstenSchimmer der Kerze prüfte er mit argwöhnischem Blickden Briefumschlag.

Seit langem schon brachte ihm die Post nichtsErfreuliches. Aber als er das Siegel erbrochen und zulesen begonnen hatte, entblößte ein naives Lächelnseine weißen Zähne. Seine kindliche Natur, vom Elendbedrückt, erheiterte sich bei der geringsten freundlichenWendung des Schicksals. In diesem Augenblick freuteihn das Leben.

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Er kehrte alle seine Taschen um und fand darinnoch etwas Tabakstaub, vermischt mit Brotkrumen undWollflocken; er stopfte damit seine kurze Pfeife, strecktesich dann behaglich zwischen den schmutzigen Lakenseines Bettsofas aus und begann halblaut den Brief zusingen, der ihn so erheitert hatte.

Sehr geehrter Herr!

Ich bin vorübergehend in Paris mit meinem SohnRemi den ich aus Brest abholte, wo er bis jetzt studierthat. Ich habe an Sie gedacht, um ihn zum Baccalaureatvorzubereiten. Was Erziehung anlangt, so bin ich, wieübrigens in allem ein Anhänger fortschrittlicher Ideen.Wollen Sie morgen, Samstag, 11 Uhr zum Frühstück insGrand Hotel kommen, damit wir uns verständigen.

Ihr aufrichtiger A. Sainte-Lucie.

Als Herr Godet-Laterrasse den Gesang dieses Brie-fes beendet hatte, steckte er sich die Pfeife an und hülltesich in Rauchwolken und Träume. Welch ein Glücksfall,dieser unerwartete Brief! Gegen Ende des Kaiserreichshatte er in Paris bei irgendeiner hervorragenden Persön-lichkeit der demokratischen Welt Herrn Sainte-Luciekennengelernt, der ihm sogar einen Besuch gemachthatte. „Das war,“ so dachte der Mulatte, „zu jener Zeit,als ich die Abhandlungen für die Große Universal-Enzy-klopädie schrieb. Ich bewohnte damals ein schönes mö-bliertes Zimmer in einem Hotel der Rue de la Seine.Und ich muß sogar noch die Karte dieses zuvorkom-menden Herrn Besitzen.“ Er streckte den mageren,braunen Arm nach dem Kaminsims aus und holte eine

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alte Zigarrenschachtel herab, die voll von Papieren war,in denen er zu kramen begann.

Man hatte wohl beim Umzug auf einmal denganzen Inhalt einer langsam angefüllten Schublade indiese Schachtel entleert, denn die Papiere, die ihmzuerst in die Hände fielen, waren die ältesten.

Er öffnete einen Umschlag, der in ihm nur ferne,undeutliche Erinnerungen zurückrief. „Ach!“ dachte er,„das ist ein Brief meines armen Bruders, der in Saint-Paul Kaffee verkauft. Ihn hat es nicht nach Parisgezogen; er war nicht von der Idee besessen wie ich.“Herr Godet-Laterrasse schlug den Brief auf und las:

Du wirst aus den Zeitungen erfahren haben, daßBourbon von einem Zyklon heimgesucht wordenist, der alle Plantagen vernichtet hat. Ich bin zumGuano umgeschwenkt. Und was machst Du?Schreibst Du immer noch Deine Mordge-schichten für die Pariser Käsblättchen?

„Der Unselige! Der Unselige!“ flüsterte Herr Go-det-Laterrasse, den Ellenbogen auf sein Kopfkissenaufgestützt. Und er entfaltete einen anderen Brief vonderselben Hand und las wieder:

Ich kann Dir kein Geld schicken, denn dieKaffeernte war hervorragend, und ich habe alledisponsiblen Kapitalien zum Ankauf verwendenmüssen, während der Markt mit Produkten zuSpottpreisen überschwemmt war. Ich habe einglänzendes Geschäft gemacht. Du wirst doch ver-stehen, daß es mir unmöglich ist, Dir Geld zuschicken. Durand, der aus Paris zurück ist, hatmir gesagt, daß Du mit öffentlichen Versammlun-

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gen zu tun hättest und mit dem Spektakel auf denBoulevards. Es geht Dir doch noch mal an denKragen, und dann wird es bei Deinen Freundenheißen, Du seist ein Polizeispitzel gewesen. WennDu Deiner Gimpelrolle überdrüssig bist, dannkomm nach Bourbon zurück. Hier kannst Du aufmeine Magazine aufpassen. Das richtige Hand-werk für einen Faulenzer, das Dir sehr zusagenwird.

„Auf seine Magazine aufpassen, eine solche Blas-phemie!“ rief Herr Godet-Laterrasse entrüstet aus. Under warf den ruchlosen Brief beiseite.

Auf dem Boden der Schachtel häuften sich Todes-anzeigen, Vorladungen und Gerichtsurteile, Rechnun-gen und kleine Zeitungsausschnitte. Auf einem solchenAusschnitt, auf dessen Rückseite die Annonce einesHühneraugenoperateurs mit dem nackten Fuß auf ei-nem Schemel prangte, las er die nachfolgenden Zeilen,die wieder ein Lächeln auf seinem naiven Gesicht er-weckten:

Einer unserer kühnsten Geister, einer der tapfer-sten Pioniere des Fortschritts, Herr Godet-Later-rasse, ein Kreole aus der Réunion, versendet so-eben sein großes Werk: „Die Regeneration derGesellschaft durch die schwarze Rasse. Eines derHauptkapitel dieses bedeutsamen Werkes wirddemnächst im „Literarischen Trichter“ erschei-nen.

„Ach!“ seufzte Herr Godet-Laterrasse, „als diesesKapitel erscheinen sollte, verkrachte der ‚LiterarischeTrichter‘. Wie viele Zeitungen werden so in ihrer Blüte

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schon geknickt!“Endlich fand er inmitten einer Handvoll Visiten-

karten auch die Karte, die er suchte. Er betrachtete sieaufmerksam und las:

ALIDOR SAINTE-LUCIEAdvokat

Unterrichts- und Marineminister a. D,,Mitglied der Abgeordnetenkammer,Präsident der Kunstkommission der Republik Haiti

Paris, Grand-Hotel

Und in dem Rauch, der das Zimmer verfinsterte,sah Herr Godet-Laterrasse den riesenhaften Mulattenvor sich, der mit Gold und glückverheißendem Lächelnaus Haiti gekommen war, dann löschte er die Kerze undschlief ein.

Gespenster beunruhigten seine Träume. Er sahden Geist des Schankwirts der ‚Impasse du Baigneur‘hinkend auf sich zuschreiten und hörte ihn mit entsetz-licher Sanftmut unaufhörlich wiederholen: „Denken Siean mich, Herr Godet!“

Es war fast neun Uhr und regnete immer noch, alsein Streifen Tageslicht in das Zimmer drang – der wi-derwärtige Reflex eines Lichts, das sich mehrmals besu-delte, ehe es durchdrang. Das Zimmer hatte nur denAusblick auf die Stützmauer des Nachbarhauses, das mitseinen fünf Stockwerken aus Gips alle Dächer der Passa-ge überragte. Diese fünf, sechs Meter hohe Mauer ausgewölbten Bruchsteinen, schadhaft, rissig, modrig, vonFeuchtigkeit triefend, trug oben als Abschluß eine italie-nische Terrasse mit einer Galerie von roten Ziegelstei-nen und stand dicht vor dem Zimmer des Herrn Godet-

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Laterrasse, so daß ein ewiges Dunkel es beschattete. DasFenster war von der Mauer nur durch eine schlammige,zwei Schritt breite Allee getrennt, die mit Salatblättern,Eierschalen und Trümmern von Papierdrachen übersätwar. Bei seinem Erwachen sah der Mulatte nach dentriefenden Fenstern und hob dann die schweren Stiefelauf, deren Sohlen auf dem Fußboden eine nasse Spurhinterlassen hatten. Er zog sie dennoch an, vollendeterasch seine einfache Toilette, ergriff die Ruinen seinesRegenschirms und verließ das Zimmer. Als er an derLoge vorbeikam, aus der ein undeutliches Brummendrang, sagte er: „Frau Alexandre, ich werde für dieBegleichung Ihrer kleinen Rechnung Sorge tragen.“

Er stieg die zehn höchsten Stufen der Passage Co-tin empor, ging in einem Meer von Schmutz an derFassade des verödeten Schweizerhauses und am Bau-platz der Kirche der Nationalstiftung vorbei. Am unte-ren Ende der Rue Lepic blieb er plötzlich stehen, umnicht auf zwei Strohhalme zu treten, die durch denRegen auf dem Trottoir vor dem Laden eines Packers inKreuzform festgeklebt waren. Dieser Gefahr entronnen(denn er zweifelte nicht, daß es von übler Vorbedeutungsei, auf ein Kreuz zu treten) gewann er seine Seelenruhewieder und hob sein stolzes Haupt. Er schritt als ein Sie-ger des Geistes auf das Herz von Paris zu und trug hocherhoben das achtzackige Gerippe seines zertrümmertenRegenschirmes, - wie die Waffe eines wilden Kriegers.

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Herr Alidor Sainte-Lucie, Sohn eines reichenKaufmanns aus Port-au-Prince, absolvierte sein juris-tisches Studium in Paris und kehrte dann nach Haiti zu-rück, um der Krönung des Negers Soulouque zum Kai-ser Faustin I. beizuwohnen. Er hatte von der schwarzenMajestät alles zu fürchten, da er ein Farbiger und reichwar. Mutig ging er der Gefahr entgegen und machte sichdem kaiserlichen Palast durch den Eifer bemerkbar, mitdem er die schwarze Politik des Herrschers unterstützte.Zum Generalprokurator am kaiserlichen Hofe von Port-au-Prince ernannt, ließ er in bester Absicht einige seinerMitbürger erschießen. Er nahm vom Kaiser das Porte-feuille des Unterrichts und der Marine in Empfang; daer aber merkte, daß im geheimen eine energische Oppo-sition sich vorbereitete, nahm er Urlaub und trat eineReise nach Frankreich an. Von Paris aus nahm er mitbegeisterten Briefen an der Revolution teil, die den blu-tigen Belustigungen der schwarzen Herrschaft ein Endesetzte, und kehrte dann nach Haiti zurück, um sich zumMitglied der Deputiertenkammer ernennen zu lassen.Seine erste Amtshandlung in dieser Versammlung wardie Vorlage eines Projekts zur Errichtung eines Sühne-denkmals für die Männer der Opfer der Tyrannei. Esgab unter diesen Opfern wohl etliche, denen der einstigekaiserliche Prokurator ein Grabmal schuldig war.

Das Projekt wurde in Erwägung gezogen, der Vor-schlag durch Abstimmung angenommen und der BürgerAlidor Sainte-Lucie zum Präsidenten der Kommissionernannt, die mit der Ausführung dieses Nationalwerksbeauftragt wurde. Herr Alidor erfaßte die ganze Trag-weite dieser Präsidentschaft. Kaum ging es auf der Inselwieder ans Füsilieren, so nahm er seinen Paß und reisteab, um bei Pariser Künstlern Entwürfe von Sühnedenk-mälern zu bestellen. Er vergötterte Paris wegen der klei-

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nen Theater und politisierenden Kaffees. Jetzt nachzwanzig Jahren war die Kunstkommission immer nochin Tätigkeit.

Herr Alidor Sainte-Lucie war damals ein pracht-voller Mulatte, großmächtig und doch geschmeidig. Seinbreites, kupferfarbiges Gesicht sah trotz der eingedrück-ten Nase imposant aus, besonders seit seine Stirne vomHaare entblößt, wie eine helle Bronze strahlte. Er ließsich nicht dazu herab, sein rüstiges Alter zu verheimli-chen, trug aber den graugesprenkelten Bart ganz kurzgestutzt. Auf seine Person verwandte er viel Sorgfalt,liebte weiße Westen, Lackschuhe und den Duft von be-rauschend süßen Parfüms.

In einer solchen Wolke von Duft, den mächtigenKörper in einem gutsitzenden Jakett nach englischemSchnitt, schritt er in seinem Hotelzimmer auf und ab, inErwartung des Erziehers, indessen sein Sohn Figurenauf einen Buchumschlag kritzelte und der Kellner nebendem Kamin einen Tisch für drei Personen deckte.

Alle Möbel waren bedeckt mit den Modellen, Skiz-zen, Entwürfen, Photographien, Plänen, Aufrissen, Tu-schezeichnungen und Bauanschlägen des Gedächtnis-denkmals für die Opfer der Tyrannis. Auf der Konsolestand eine kleine Pyramide aus bemaltem Gips, mitgoldenen Palmen bedeckt; auf dem Schreibtisch eineSäule aus gebranntem Ton, darüber eine Art geflügelterAffe und auf dem Sockel die Inschrift: „Dem Genius derschwarzen Freiheit.“ Eine Photographie auf dem Kamin,an den Spiegel gelehnt, stellte eine Negerin dar, die aufeinen Sarkophag eine Papierrolle niederlegt mit deneinfachen Worten: „Kunstkommission: Präsident HerrSainte-Lucie.“ Nichts weiter.

Am Boden lag eine halbgeöffnete gußeiserneHand, eine riesenhafte Hand, die aus den Falten eines

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Vorhangs wie aus einem ihrer Größe angepaßten Ärmelherausragte; am Handgelenk trug die Etikette: ‚Detailder Ausführung. Projekt 17.E.D.‘ Drei kleine goldgelbeBrötchen ruhten auf den Servietten. Herr Sainte-Luciesah nach der Kaminuhr. Hatten die knusprigen, mit Ei-weiß polierten Brötchen seinen Appetit erweckt oderfürchtete er, warten zu müssen; - seine Sammetaugen,die eben noch in sanftem Leuchten unter den leicht ge-spannten Augenlidern rollten, funkelten jetzt plötzlichwild auf. Aber sie wurden gleich wieder zärtlich undmild, als Herr Godet-Laterrasse unter der vom Kellnerzurückgeschlagenen Portiere erschien. Man sah zu-nächst nichts als ein Kinn über einem langen Adamsap-fel, der aus einer weißen Baumwollkrawatte herausge-rutscht war; Herr Godet-Laterrasse grüßte.

„Mein Sohn Remi“, sagte Herr Sainte-Lucie, denjungen Mann vorstellend, der von seiner unvollendetenSkizze aufzustehen geruhte und sich lässig räkelnd nä-hertrat.

Er war ein hübscher Bursche mit ganz reinem oli-venfarbigem Teint. Er blickte mit gelangweilten Augenum sich und schien seinen großen sinnlichen Mund je-der Laune hinzugeben.

Man setzte sich zu Tisch. Herr Sainte-Lucie warnoch einmal so breit wie Herr Godet-Laterrasse. DerMulatte aus Haiti hatte eine warme, schimmerndeHautfarbe, die neben der schmutzigen und wie mit Rußschlecht verwischten des andern noch mehr zur Geltungkam. Der Mulatte aus Bourbon war dürftig, schäbig,dreckig. Aber der Ausdruck naiver Emphase und kindli-chen Stolzes in seinem Antlitz flößte jene mitleidigeSympathie für ihn ein, wie man sie für gelehrte Hundeund unglückliche Genies empfindet.

Die Angelegenheit, die sie zusammengeführt hat-

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te, wurde zwischen dem Nierenragout und den Zucker-erbsen verhandelt. Herr Godet-Laterrasse wollte Erklä-rungen veranlassen.

„Nun, mein Freund!“ sagte er zu seinem künftigenSchüler, ihm auf die Schulter klopfend, „wir streben alsonach Würden unserer alten Universität?“

Und Herr Alidor, so geködert, zerkrümelte nach-lässig sein Brot und entgegnete: „Wie ich Ihnen bereitsgeschrieben habe, mein lieber Godet, nebenbei gesagt,es ist mir schwer gefallen, Ihre Adresse ausfindig zu ma-chen. Nur durch einen großen Zufall hat Brandt . . . Siewissen doch, der Schneider Brandt, Sie entdeckt. Esscheint, daß auch er Sie suchte.“

„Schon möglich“, sagte Herr Godet-Laterrasse, in-dem er mit einer Geste etwas weit von sich schob.

„Wie ich Ihnen bereits geschrieben habe, ich zähleauf Sie, um diesen Burschen zum Burschen zum Bacca-laureat vorzubereiten und einen Mann aus ihm zu ma-chen.“

Herr Godet-Laterrasse stemmte seinen Rückengegen die Lehne des Sessels, stellte sein Gesicht wag-recht und sagte: „Vor allem, mein lieber Sainte-Lucie,muß ich Ihnen mein Glaubensbekenntnis ablegen. Wasmeine Prinzipien anlangt, so bin ich unerschütterlich.Ich bin ein Mann von Eisen, den man brechen, abernicht biegen kann.

„Ich weiß, ich weiß“, sagte Herr Sainte-Lucie, in-dem er unausgesetzt sein Brot zerkrümelte.

„Die Erziehung, die ich Ihrem Sohne geben werde,wird eine wesentlich freie sein.“

„Ich weiß, ich weiß . . .“„Ich werde unseren Remi die bürgerliche Reife-

prüfung rühmlich bestehen lassen. Nicht zu einer ehren-vollen Universitätslaufbahn will ich ihn vorbereiten,

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sondern zum Gesetzgeber der haitischen Republik. Waskümmert mich diese alte pedantische Göttin, die sichUniversität nennt!“

Der einstige Minister, ein beredter aber prak-tischer Mann, winkte ihm mit den Augen, er solle vorseinem Schüler nicht solche Reden führen. Aber derfreie Erzieher wurde von der Erhabenheit seiner eigenenGedanken fortgerissen: „Die Universität!“ rief er aus,„sie ist das Monopol! Die Universität ist die Routine!Die Universität ist der Feind! Nieder mit der Un-iversität!“

Er legte seine Hand auf die Schulter des jungenMulatten, der eigentlich mehr gleichgültig als verwun-dert war, und fort:

„Mein Freund, wenn ich Sie zum Baccalaureatvorbereite, werde ich Sie die Fundamentalwahrheitenlehren. Und wenn Sie, aus meiner Hand entlassen, sichden Examinatoren in der Sorbonne vorstellen, werdenSie eher deren Richter sein, als umgekehrt. Zu den Ca-ros und Taillandiers werden Sie sagen können: ‚Ich habePrinzipien, und ihr habt keine. Ein Mann von Eisen, -Godet-Laterrasse, hat meinen Geist geformt‘; Ah! Siesollen mich eines Tages kennen lernen, diese Herren!“

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Während dieser Rede holte der junge Remi ver-stohlen ein Stückchen Zucker ums andere aus derZuckerdose und stopfte sich mit größter Seelenruhe dieTaschen voll.

Herr Alidor hatte eine natürliche Vorliebe für Be-redsamkeit; die in Aussicht gestellte Vorbereitung zumBaccalaureat schien ihm schön, jedoch gefährlich. Sehreigensinnig von Charakter, blieb er dennoch bei seinemVorhaben, seinen Sohn dem Kreolen aus Bourbon anzu-vertrauen.

„Remi,“ sagte er, nachlässig ein Zwanzigfrank-stück aus der Tasche ziehend, „hole unten ein paarZigarren und sag, es sei für mich.“

Allein mit seinem Gaste, zerkrümelte er immernoch sein Brot und blieb in Schweigen versunken. Erhatte eine besondere Art zu schweigen, die geheimnis-voll und Achtung heischend war. Dann stellte er, mit dermilden Stimme des starken Mannes, dem künftigen Er-zieher vor, daß es sich doch um eine Vorbereitung zumBaccalaureat handle, also um ein wesentlich praktischesUnternehmen, daß man sich genau an den Lehrplan hal-ten müsse und daß – mit einem Wort – es viel mehr aufLatein und Griechisch ankomme, als auf die Fundamen-talwahrheiten.

„Selbstverständlich, selbstverständlich“, erwiderteder Man von Eisen.

Man befragte ihn, ob er bereits Unterricht erteilthabe. Seine Antwort war ausweichend. Man mußte dieGeldfrage berühren.

Der einstige Minister bat den Mentor ein monatli-ches Gehalt von zweihundert Franks annehmen zu wol-len.

Aber Herr Godet-Laterrasse, den Kopf vollständig

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zurückgeworfen, schien mit einer Geste diese Bagatellefortzuschieben! Remi kehrte mit den Zigarren zurück.Ein sehr schöner, schlanker Mann, dessen goldgelberBart bis auf die Brust herabfiel, betrat zugleich mit ihmdas Zimmer; er nahm den kleinen weichen Hut nicht ab,der nach Art eines Baretts auf seinem behaarten Nackensaß.

„Seien Sie mir willkommen, Labanne“, sagte HerrSainte-Lucie, ohne sich zu erheben. „Nehmen Sie eineZigarre?“ Aber ohne zu erwidern, zog Labanne aus sei-ner Tasche eine Pfeife aus Bernstein und Meerschaumund einen Tabaksbeutel mit dem bretonischen Wappen.Dann machte er die Runde im Zimmer und prüfte mitKennermiene die Photographie auf dem Kamin. Endlichsagte er, mit einem Blick auf die Säule aus gebranntemTon: „Welcher Witzbold hat Ihnen dieses Modell einesOfenrohrs geliefert?“

Dann wandte er sich zu der vergoldeten Pyramide,heuchelte Interesse, drückte ein Auge zu und sagte: „Esfehlt der Schlitz zum Einwerfen der Münzen.“

Die andern verstanden ihn nicht. Er erklärte:„Nun ja! Das kann doch nur eine Sparbüchse sein, diesDing da!“

„Was wollen Sie?“ sagte Herr Sainte-Lucie philo-sophisch. „Ich nehme, was man mir gibt. Nur siebringen mir keinen Entwurf, Labanne.“

„Ich arbeite daran“, erwiderte der Bildhauer. „Erstgestern habe ich in einer medizinischen Zeitschrift einensehr interessanten Artikel über das pigmentum derschwarzen Rasse gelesen. Und heut morgen habe ich amQuai Voltaire bei einem meiner Antiquare eine Ab-handlung über die geologische Zusammensetzung derAntillen gekauft.“

„Zu welchem Zweck“ fragte Herr Sainte-Lucie

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vollständig aus der Fassung gebracht, obgleich er diese Art schon kannte.

„Wenn ich den Entwurf meiner Statue ausführen will, „ erwiderte Labanne verachtungsvoll, „so muß ich, ehe ich überhaupt zum Ton greife, fünfzehnhundert Bände lesen. Wenn man das Höchste erstrebt, muß man alles kennen. Es ist ein künstliches und verbrecherisches Verfahren, irgendeinen Gegenstand für sich allein zu be-handeln. Was, Godet, Sie sind da! Welch Zufall! Ich hat-te Sie nicht bemerkt.“

Der Mulate aus Bourbon, den Ellenbogen auf den Kaminsims gestützt und die rechte Hand zwischen zwei Knöpfen seines Gehrocks, lächelte bitter.

Der Bildhauer zündete sich die Pfeife an und sprach weiter: „Ich bin keine Naturkraft, ich bin keine rohe Kraft. Ich bin nicht wie jener Hanswurst, der die-sen Affen ausgebrütet hat“, und er wies mit seinem Pfei-fenrohr auf den Genius der schwarzen Freiheit. „Ich bin eine Intelligenz, ein Gewissen, und ich lege einen Ge-danken in mein Werk.“

Herr Alidor Sainte-Lucie nickte zustimmend. Aber er bestand darauf, von dem Bildhauer wenigstens einen Entwurf zu erhalten, nur eine einfache Skizze, um sie der Kommission vorzulegen. In etwa acht Tagen wollte er die Heimfahrt nach Haiti antreten.

Labanne, der auf dem Sofa lag, war in tiefes Nach-denken versunken. Endlich, nachdem er die Asche sei-ner Pfeife ausgeschüttet und auf den Teppich gespuckt hatte, betrachtete er die Rosette des Plafonds und sagte:„Mit welchen Recht schaffen wir Geschöpfe unserer Phantasie? Phidias oder Michelangelo oder irgendein anderer geben einer ihrer Schöpfungen den Schein des Lebens; sie drängt sich den Augen auf, setzt sich in un-serer Vorstellung fest. Es ist die Athene des Parthenon,

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der Moses oder die Nymphe von Asnières. Man sprichtdavon, man träumt davon. Und siehe da, es gibt ein Ge-schöpf mehr auf der Welt! Aber wozu wird es denn indie Welt gesetzt?

„Es zerrüttet den Verstand, korrumpiert die Her-zen, verwirrt die Sinne und macht sich über das Publi-kum lustig. Jedes Kunstwerk, jedwede Schöpfung desmenschlichen Geistes ist eine gefährliche Illusion undein schuldvoller Betrug. Die Bildhauer, die Maler unddie Dichter sind wundervolle Lügner und erhabeneSchurken, nichts weiter. Ich, der ich zu Ihnen spreche,ich bin sechs Monate lang in die Antiope des SalonCarré närrisch verliebt gewesen. Mit anderen Worten,dieser Schurke von Correggio hat sich sechs Monatelang über mich lustig gemacht.

„Kennen Sie meinen Freund Branchut, den Mora-listen? Er ist häßlich, aber das weiß er nicht. Er ist armund gottbegnadet. Er verblüfft die Kaffees mit seinemGriechisch und er hat Hegel gelesen. Er lebt von einerSemmel und löscht seinen Durst am Straßenbrunnen.Nach Beendigung seiner Vogelmahlzeit schreibt er dieerhabensten Dinge in den öffentlichen Gärten oder,wenn es regnet, unter einem Torbogen. Manchmal fälltes ihm ein in mein Atelier zu kommen, um dort zuschlafen. Eines Nachts schrieb er gar ein sehr feines undgelehrtes Kommentar zum Phaedon an meine Wand. Soist Branchut. Voriges Jahr habe ich ihm einen Anzug ge-liehen und ihn zu einer russischen Fürstin geführt, de-ren Büste ich machen sollte. Aber die Fürstin wollte die-se Büste in Marmor und ich sah sie nur in Bronze. Mankann nur das verwirklichen, was man sieht. Also wurdedie Büste nicht gemacht.

Die Fürstin brauchte einen Literaturprofessor fürihre Tochter Feodora, die sehr schön war. Ich brachte

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Branchut in Vorschlag; er wurde angenommen. Aufmeine Empfehlung und auf sein kümmerliches Ausse-hen hin zahlte man ihm ein Monatshonorar im voraus.Er kaufte sich zwei Hemden, mietete ein möbliertesZimmer und machte Bekanntschaft mit Cervelatwurst.In der sechsten Stunde, während er den Aufbau der ho-merischen Epopöe erklärte, umschlang er Fräulein Feo-dora so heftig, daß sie laut schreiend davonlief. Der Mo-ralist wartete, er war bereit, seinen Fehler wieder gutzu-machen. Er hätte seine hochgeborene Schülerin geheira-tet, falls es erforderlich gewesen wäre. Aber man warfihn hinaus. Am Abend fand ich ihn in meinem Atelier.‚Weh mir!‘ schluchzte er, ‚Saint-Preux hat mich ins Ver-derben gestürzt. O Julie! O Jean Jacques!‘ – So hat alsoRousseau den wundervollen Roman der Leidenschaftnur geschrieben und ‚Julie, die schwache und ruhmvollgefallene Geliebte‘ nur geschaffen, um meinen FreundBranchut, den Moralisten, eine Dummheit begehen zulassen.“

Herr Alidor Sainte-Lucie unterdrückte ein Gäh-nen. Sein Sohn, das Gesicht auf beide Fäuste gestützt,hörte zu wie im Theater. Herr Godet-Laterrasse mit feu-rigem Auge und herausgeworfener Brust, bereitete einevernichtende Entgegnung vor. Aber Labanne erhob sich,ging zu dem runden Tischchen, nahm eine Zeitung, undindes er ein Stück davon abriß, um damit seine Pfeifewieder anzustecken, verfolgte sein Auge mit dem In-stinkt des geborenen Lesers die gedruckten Zeilen.

„Sagen Sie doch, Sainte-Lucie,“ fragte er, „glaubenSie eigentlich an die Demokratie?“

Bei diesen Worten richtete sich Herr Godet-Later-rasse mit einem so heftigen Ruck auf, daß es ein Ge-räusch gab wie beim Laden einer Pistole. Aber der eins-tige Minister antwortete nur mit einem rätselvollen Lä-

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cheln.Labanne legte sein Glaubensbekenntnis ab. Er

liebte die Aristokration. Er wünschte sie stark, prunkvollund gewalttätig. Sie allein, sagte er, hatte die Künste zurBlüte gebracht. Er trauerte um die eleganten und grau-samen Sitten eines kriegerischen Adels.

Wie kläglich ist unser Zeitalter! Als man derPolitik ihre beiden unentbehrlichen Attribute – Dolchund Degen – entzog, wurde sie unschuldig, albern,dumm, schwatzhaft und bürgerlich. In Ermangelung ei-nes Borgia, stirbt die Gesellschaft. Ihr werdet keine stil-vollen Statuen haben, keine Marmorpaläste, keine geist-reichen und großzügigen Kurtisanen, keine ziseliertenSonette, keine Musik in euren Lustgärten, keine golde-nen Pokale, keine außerordentlichen Verbrechen, keineGefahren, kein Abenteuer. Ihr werdet ein flaches, blödesGlück genießen bis zum Verrecken. Amen!“

Seit geraumer Zeit macht Herr Godet-Laterrassekleine, ruckweise Bewegungen, wie ein Mensch, der sichnicht wohl fühlt.

„Wundervoll!“ rief er aus, „ganz wundervoll! Siesind äußerst geistreich, Herr Labanne. Aber, lassen Siees sich gesagt sein: es gibt Scherze, die Gotteslästerun-gen sind.“

Er nahm seinen Hut, drückte seinem Schüler dieHand und zog Herrn Alidor, dem er noch ein Wort zusagen hatte, mit ins Vorzimmer hinaus.

Labanne hörte das Klingen von Goldmünzen, undHerr Alidor kehrte zurück. „Welch naiver Mensch!“ sag-te Labanne zu ihm.

„Aber er ist gutmütig!“„Pst! . . .“ Herr Alidor flüsterte Labanne einige

Worte ins Ohr, worauf dieser erwiderte: „Hätte ich geahnt, daß Sie einen Hauslehrer brauchen,

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so hätte ich Ihnen meinen Freund Branchut, den Mora-listen, geschickt. Jetzt geh‘ ich ins Quartier.

„Adieu!“Er meinte das Quartier Latin, das einzig wirkliche

Quartier. Herr Sainte-Lucie bat den Bildhauer, seinenSohn Remi, der Paris nicht kannte, in einem anständi-gen Hotel nahe am Luxembourg unterzubringen.

Schon schritt Labanne, seinen rötlich schimmern-den Bart streichelnd, Seite an Seite mit Remi, dessenOberkörper wie ausgerenkt schien (eine Eigentümlich-keit seiner Rasse). die vergoldete Hoteltreppe hinab, alsHerr Sainte-Lucie, über die Rampe gebeugt, seinenSohn zurückrief und zu ihm sagte: „Ich mache dichschon jetzt, ehe ich es vergesse, darauf aufmerksam, daßich voraussichtlich den General Télémaque nicht aufsu-chen werde. Solltest du ihn aber besuchen, so ist es mirsehr recht und deine Mutter wird es sehr freuen. Télé-maque wohnte in Courbevoie, neben der Kaserne. Adieu! Adieu!“

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Remi erinnerte sich nur undeutlich an sein Ge-burtshaus in Port-au-Prince, an jenen fürstlichen Palastim Louis-Seize-Stil, voll verstümmelter Statuen undhalb verwischter Embleme; in dem geborstenen, ein-gefallenen Hausflur standen Palmen, schwere Maha-gonifauteuils mit Sphinxköpfen standen umher, an de-ren Schatten er während der großen Stille des Mittagsschlief; die tief gelegene Stadt erschien ihm blendendbunt, vergnüglich wie ein großer Bazar. Und der Ladenseiner Patin Olivette! Wie oft hatte er, hinter Kisten ver-borgen, der Negerin Bananen und Breiäpfel gestohlen!Er erinnerte sich seiner Mutter. Ihrer kohlschwarzenunergründlichen Augen, die gebieterische Nase, der lüs-terne Mund und die prachtvolle wie aus Bronze ge-meißelte Brust in den weißen Musselinhüllen hatten ihrBild in dem Gedächtnis des Kindes tief eingegraben.Wie oft hatte er es erlebt, daß sie in einer Wolke von be-

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rauschendem Parfüm, das Haupt zurückgeworfen,Herrn Alidor durch eine schroffe und verächtliche Ant-wort in Raserei versetzte, bis er sich eines Tages mitknirschenden Zähnen auf sie stürzte und die schönstenSchultern der Antillen mit seinem Stock bearbeitete.

Remi hatte aber auch noch vieles andere gesehen:das Bombardement und die Feuersbrunst von Port-au-Prince, die Plünderungen, das Gemetzel, die Hinrich-tungen, - und neues Gemetzel und neue Hinrichtungen;und seine Patin Olivette erschlagen zwischen den aufge-schlagenen Fässern, neben ihren Mördern, die vonWhisky stockbetrunken waren.

Kurz darauf war er, nach einer langen Überfahrt,eines Abends in einer herrlich beleuchteten Stadt gelan-det. Frankreich gefiel ihm anfänglich. Er wurde in ei-nem Pensionat in Nantes untergebracht; dort schleppteer sich, ewig frierend, von einer Schulbank zur andernund führte ein einförmiges, langweiliges Leben. Wäh-rend der langen Schulstunden lutschte er Zuckerwerkund zeichnete Karikaturen. An jedem Donnerstag undjedem Sonntag des Jahres gingen die Zöglinge – zuzweien in endloser Reihe – unter den alten Rüstern amUfer der breiten, hellen Loire spazieren. Er liebte dieseSpaziergänge bei Wind und Regen nicht. Um freizukom-men, heuchelte er Krankheit und rollte sich dann unterseinen Decken zusammen wie die Schlange im Glaskäfigdes Museums. Doch er war unübertrefflich, sobald essich darum handelte, über die Anstaltsmauer zuspringen und im Galopp nach dem andern Ende derStadt zu laufen, wo er Rum kaufte, aus dem nachts imSchlafsaal Punsch gebraut wurde. Seine Studien nahmer leicht, zeichnete auf seine Hefte die Porträts seinerLehrer, wurde trotzdem in die Rhetorikklasse versetzt,lernte hier nichts mehr, vergaß alles wieder, wurde nach

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Paris befördert und Herrn Godet-Laterrasse anvertraut.Herr Sainte-Lucie war nun schon seit drei Wo-

chen auf hoher See und der Mentor hatte sein pädagogi-sches Werk bereits begonnen, indem er mit seinemSchüler auf dem Verdeck der Omnibusse von BoulevadSaint-Michel zum Montmartre und von der Madelainezur Bastille spazieren fuhr. Hierauf blieb er acht Tageverschwunden. Remi, den Labanne in einem anständi-gen Hotel in der Rue des Feuillantines untergebrachthatte, stand um die Mittagszeit auf, frühstückte, ging inder Sonne spazieren, bewunderte – in einem Atavismusseiner Rasse – die in den Schaufenstern ausgestelltenGlassachen und schlürfte gegen fünf Uhr seine ›ver-mouth gommé‹. Er hatte seinen bereits schon seit achtTagen abwesenden Lehrer ein wenig vergessen, als amMorgen des neunten Tages ein Telegramm von HerrnGodet-Laterrasse ihn um zwei Uhr auf die Brücke desSaint Pères bestellte.

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Es fror an dem Tage und ein eisiger Wind bliesüber die Seine. Remi hatte an der Seite eines PariserParkwächters an dem gußeisernen Sockel einer der vierGipsstatuen Schutz gesucht. Er stand mit hochgezoge-nen Schultern gelangweilt da und streckte von Zeit zuZeit den Kopf vor, um zu sehen, wie eine SchiffsladungKuhhörner auf die Brücke Saint Nicolas ausgeladenwurde. Er wartete schon seit einer halben Stunde undwar im Begriff, sich nach dem nächstgelegenen Café zubegeben, als Herr Godet-Laterrasse, eine Mappe unterdem Arm, im Portal des Louvre auftauchte.

„Ich habe Sie heute hierher bestellt,“ sagte er zuRemi, „um mit Ihnen die grundlegenden Bücher zu kau-fen. Ich schere mich nicht um Virgil und Cicero, derenSie wohl auch bedürfen und die Sie bei den Antiquarender Rue Cujas kaufen können. Ich will mich nur mit derAuswahl der wichtigsten Bücher befassen, nach denenSie Ihr Gewissen heranbilden sollen, das Gewissen einesMenschen und Bürgers.“

Bald hatten sie den Quai Voltaire erreicht undtraten in den Laden eines Buchhändlers.

„Haben Sie die Werke von Proudhon, Quinet, Ca-bet und Esquiros?“ fragte Herr Godet-Laterrasse.

Der Buchhändler hatte die gewünschten Werke.Er machte daraus gleich vor den Augen der Käufer einPaket, das zu Sainte-Lucies-Bestürzung sich immer hö-her türmte.

„Mein Herr,“ sagte er treuherzig zu dem Buch-händler, der das Paket schon verschnürte, „mein Herr,fügen Sie diesem Berg noch ein paar Romane von Paulde Kock bei. Ich habe in Nantes einen Roman von ihmzu lesen begonnen, der mir sehr gefallen hat. Der Studi-enaufseher hat mir ihn aber weggenommen.“

Der Buchhändler erwiderte mit würdigem Ton,

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daß er keine Romane „führe“, und wollte schon denStrick zusammenknoten, als Herr Godet-Laterasse ihndaran hinderte. Er hatte sich etwas überlegt; er entliehvon seinem Schüler die beiden ersten Bände der Ge-schichte Frankreichs von Michelet, um darin etwasnachzuschlagen. Auf dem Trottoir wechselten sie einenHändedruck. Und während Herr Godet-Laterrasse aufeinen Omnibus kletterte, rief er noch: „Büffeln Sie denQuinet heute abend! Nur Mut!“

Einen Augenblick beherrschte die schwarze Sil-houette das Verdeck; dann verschwand sie unter den all-täglichen Profilen der Menschen, die auf der Doppel-bank dicht beieinander saßen. Der Abend brach an.Remi, wenig geneigt, sein Zimmer aufzusuchen, wo diegrundlegenden Bücher seiner warteten, schlenderteüber den Boulevard Saint-Michel zu Bullier. Schon nä-herte er sich dem maurischen Portal des Ballokals, dasvon einem Halbkreis gaffender Mädchen und Arbeiterumlagert war, in dem scharenweise Studenten undKommis mit ihren Frauenzimmern verschwanden, als erauf der andern Seite der Straße unter einer Laterne denschimmernden Bart von Labanne erblickte. In demRauhreif, der die Bäume überstäubte, und in dem Wind,der die Gasflamme peitschte, las der Bildhauer einenZeitungsartikel.

Sainte-Lucie trat auf den Lesenden zu.„Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche“, sagte er;

„denn Ihre Lektüre muß wohl sehr interessant sein.“

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„Nicht im mindesten,“ erwiderte Labanne, indemer die Zeitung in die Tasche schob. „Ich las ganz me-chanisch irgend etwas recht Dummes. Kommen Sie mitin den ‚Dürren Kater‘?“

Sie bogen in die Rue Saint Jacques ein; dort, wosie am engsten, am schmutzigsten, am finstersten, amrußigsten und am ekelerregendsten war, traten sie ineine Kneipe ein. Der Raum war mit kleinen Tischen an-gefüllt, den Hintergrund bildete ein Verschlag mitFensterscheiben, vor die weiße Vorhänge gespannt wa-ren. Die Wände, der Verschlag, sogar die Decke warenmit Malereien bedeckt. In der Mehrzahl waren esschroffe, ungestüme Skizzen, deren lebhafte Farben un-ter dem schimmernden Schein der beiden Gasflammenund in der dicken Atmosphäre von Pfeifenqualm schil-lerten. Sainte-Lucie, der Bilder liebte, bemerkte gleichbeim Eintritt die auffallendsten dieser Gemälde: einenRaben im Schnee, eine alte nackte Frau mit gesenktemKopf, eine Ochsenlende in einer Zeitung, und vor allemeinen nachtwandelnden Kater, dessen dürre und wieeine mittelalterliche Brücke gewölbte schwarze Silhou-ette sich zwischen den Schornsteinen von einem riesen-haften, kupferroten Mond abhob. Dieses Werk einesjungen impressionistischen Malers war das Aushänge-schild der Gaststätte. Junge Leute saßen an den Tischen,tranken und rauchten.

Eine sorgfältig frisierte, rundliche kleine Frau ineiner weißen Schürze, deren Latz sich wie ein Segelblähte, sah Labanne mit der zärtlichen Lebhaftigkeit ih-rer Augen an, in denen immerwährend einige KörnchenSchießpulver aufzublitzen schienen. Sie erkundigte sichbei dem Bildhauer nach dem Kater aus gebranntemTon, den er ihr versprochen hatte und der zwischenSauerkrautschüsseln und Schalen mit Dörrpflaumen im

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Schaufenster prangen sollte.„Ich denke schon an Ihren Kater, o nahrhafte Vir-

ginia!“ erwiderte Labanne, „aber er ist mir noch nichtdürr und ausgehungert genug. Auch habe ich erst etlichefünf Bände über die Katzen gelesen.“

Virginia hatte sich schon mit einer langen Warte-zeit abgefunden; sie bemerkte, es sei sehr liebenswürdigvon Labanne, daß er einen neuen Freund mitbrächte,sagte, daß Herr Mercier und Herr Dion da seien, undging hinter den Vorschlag mit Fenstern zu einerWasserleitung, denn kurz darauf hörte man sie Gläserspülen.

Die neuen Gäste setzten sich an einen Tisch zuzwei trinkenden Herren, denen Sainte-Lucie sogleichvorgestellt wurde. Der Kreole wußte bald, daß der junge,schmächtige, blonde Herr Dion lyrischer Dichter warund der kleine, schwarze, mit einer Brille bewaffneteHerr Mercier etwas sehr Unbestimmtes aber sehr Wich-tiges. Es war heiß in der Kneipe; Sainte-Lucie fühlte sichhier so behaglich, daß er lächelte und sein großer Mundaufblühte; indes Virginia, die ihn mit ihrem kritischenAuge durch das Fenster des Verschlags beobachtete,fand ihn sehr schön und vornehm und bewunderte seineWangen, mattleuchtend, ähnlich dem Metall ihrer soreinlich gescheuerten Pfannen. Wie alle liebebedürfti-gen alternden Frauen, war auch Virginia sehr sauber.

Der Dichter Dion fragte Labanne mit einer Sanft-mut, die zugleich süßlich und boshaft klang, was der Bi-schof Gozlin mache. In der Tat, seit einiger Zeit war im‚Dürren Kater‘ viel von einer Statue des Bischofs Gozlindie Rede, die – wie verlautete – bei Labanne für eine derNischen des neuen Rathauses bestellt worden war. La-banne nahm ohne weiteres an, daß er den Auftrag erhal-ten hatte; aber er fand, daß der Bischof Gozlin niemals

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in einer Nische stehen könne. Er sah ihn nur sitzend aufseinem Bischofsstuhl.

Sainte-Lucie trank ein Glas Bier.„Sie wissen doch“, sagte der junge Dion, „wir

gründen eine Revue. Mercier hat mir einen Artikel ver-sprochen. Nicht wahr, Mercier? Sie, Labanne, überneh-men wohl die bildende Kunst. Herr Sainte-Lucie, ichhoffe, Sie werden gleichfalls für uns schreiben. Wir kön-nen wohl in der kolonialen Frage auf Sie rechnen?“

Sainte-Lucie, der schon so manches erlebt hatte,wunderte sich nicht. Er trank, er fühlte die wohltuendeWärme, er war glücklich.

„Es tut mir unendlich leid, daß ich IhremWunsche nicht entsprechen kann“, erwiderte er. Ich warbis vor kurzem in Nantes in einem Pensionat und binüber die koloniale Frage nicht auf dem Laufenden. Übri-gens schreibe ich auch nicht.“ Dion war verblüfft. Er be-griff nicht, daß es jemanden geben konnte, der nichtschrieb. Aber er dachte, daß die Kreolen eben sehr ei-genartige Menschen seien. „Was mich betrifft“, sagte er,„so bringe ich in der ersten Nummer meine ‚WildeLiebe‘. Kennen Sie meine ‚Wilde Liebe‘?“

„Gealtert sehr, von Kümmernis gequält, die mirmein Tag gebracht,

Will endlos irren ich durch deiner Flechtenträumerische Nacht.“

„Ist das von Ihnen?“ rief Sainte-Lucie mit aufrich-tigem Enthusiasmus. „Das ist sehr schön!“

Und er trank sein Glas aus. Er war entzückt.„Habt Ihr auch das nötige Kapital für eure Re-

vue?“ fragte der skeptische Labanne.„Gewiß,“ antwortete der Dichter. „Meine Groß-

mutter hat mir dreihundert Franks gegeben.“Labanne war geschlagen. Übrigens blätterte er

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schon in den Schmökern, die er heute auf den Quais auf-gestöbert hatte.

„Dieses Werk ist sehr interessant“, sagte er, undbetrachtete ein kleines Buch mit rotem Schnitt. „Es isteine Abhandlung von Salmasius über den Wucher – deusuris. Ich werde es Branchut geben.“

Jetzt erst fiel es allen auf, daß Branchut heutenicht in den ‚Dürren Kater‘ gekommen war.

„Wie geht es dem armen Branchut mit dem Tic?“fragte der Dichter Dion. „Fällt er immer noch russischenFürstinnen zu Füßen? Er muß einen Artikel für unserRevue schreiben.“

Sainte-Lucie erkundigte sich bei Labanne, ob die-ser Herr Branchut jener Literaturprofessor sei, von demeines Tages im Grand-Hotel die Rede gewesen war.

„Jawohl, er ist es, junger Mann,“ sagte Labanne.„Sie werden ihn zu sehen bekommen.“

„Sainte-Lucie,“ sagte der Dichter, „ich will Ihnenmeine Gedichte vorlesen, damit Sie noch vor der Druck-legung mir über alles Ihr Urteil sagen können.“

„Nein! Nein!“ rief Mercier, dessen kleines rundesGesicht sich unter der Brille zusammenrunzelte. „Siekönnen ihm Ihre Gedichte vorlesen, wenn Sie mit ihmallein sind.“

Dann drehte sich das Gespräch um Ästhetik. Dionbetrachtete die Poesie als die „natürliche und ursprüng-liche“ Sprache. Mercier erwiderte bissig: „Nicht derVers, sondern der Schrei ist die primitive und natürlicheSprache. Die ersten Menschen sagten nicht: In seinenTempel trete ich – anzubeten den Ewigen. Sondern siesagten: Hau, hau, hau! Ma, ma, ma! kuik! Übrigens,sind Sie Mathematiker? Nein. Nun, dann ist es zweck-los, mit Ihnen zu diskutieren. Ich diskutiere nur mit ei-nem Gegner, der die mathematische Methode be-

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herrscht.“Labanne behauptete, die Poesie sei eine erhabene

Monstrosität, eine wundervolle Krankheit. Für ihn wareine schöne Dichtung ein schönes Verbrechen, nichtsweiter.

„Gestatten Sie,“ erwiderte Mercier, indem er seineBrille zurechtrückte. „Wie weit haben Sie es in dermathematischen Analyse gebracht? Ich werde aus IhrerAntwort ersehen, ob ich mit Ihnen diskutieren kann.“

Sainte-Lucie, der ein neues Glas hinunter-schütte-te, dachte: „Meine neuen Freunde sind sehr sonderbar,aber sehr angenehm.“

Da er jedoch nicht ein Wort von der Diskussionverstand, die jetzt sehr lebhaft wurde, verfolgte er denverworrenen Faden des Gesprächs nicht weiter und ließseine naiven und kühnen Blicke durch den Saal schwei-fen. An der Glastür des Verschlags bemerkte er dieliebestrotzenden Augen der rundlichen Virginia, die ihnanstarrten, indessen sie ihre roten Hände abtrocknete.

Er dachte: „Eine sehr angenehme Frau.“Ein weiteres Glas, das er trank, bestärkte ihn in

diesem Gedanken und dieser Empfindung.Die Wirtschaft hatte sich nach und nach geleert.

Nur die Begründer der Revue saßen noch hinter ihrenStößen von Untersetzern, die sich auf dem Tisch gleichzwei Porzellantürmen einer chinesischen Stadt erhoben.

Virginia schickte sich an, die eisernen Rollädendes Schaufensters herabzulassen, als sich die Türe voreinem langen bleichen Menschen öffnete; er trug einensehr kurzen Sommerrock, dessen Kragen er hochge-schlagen hatte, und schleuderte zwei ungeheure Plattfü-ße in erbärmlichen Schuhen vor sich her.

„Da kommt Branchut!“ rief das Komitee.„Wie geht es Ihnen, Branchut?“

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Aber Branchut blieb finster.„Labanne,“ sagte er, „Sie haben aus Unachtsam-

keit – wie ich hoffen will – den Schlüssel Ihres Atelierseingesteckt, und hätte ich Sie nicht hier getroffen, würdeich unweigerlich die Nacht im Freien verbringen müs-sen.“

Branchut sprach mit der Eleganz eines Cicero. Da-bei hatte er ein nervöses Zittern. Fürchterlich rollten dieAugen und die ganze Nase zuckte unaufhörlich; abervon seinen Lippen flossen die reinsten und sanftestenTöne.

Labanne gab ihm seinen Schlüssel und entschul-digte sich. Aber Branchut wollte weder Bier noch Kaffe,noch Kognak, noch Chartreuse trinken. Er wollte nichtstrinken.

Dion verlangte von ihm einen Artikel für seine Re-vue, aber der Moralist ließ sich lange bitten.

„Nehmen Sie doch seinen Kommentar zum Pha-edon“, sagte Labanne, „er ist mit Reißkohle an die Wandmeines Ateliers geschrieben. Sie müssen ihn abschrei-ben lassen, außer Sie zögen es vor, meine Wand in dieDruckerei zu tragen.“

Branchut versprach, den Artikel zu liefern, alsman aufhörte, ihn darum zu bitten.

„Es wird eine eigenartige Studie über die Philoso-phen sein.“ Er hustete, wie ein großer Redner hustet,nahm ein leeres Glas, stellte es vor sich hin und fuhr be-dächtig fort: „Hören Sie meinen Standpunkt: Es gibtzwei Arten von Philosophen, jene die sich hinter meinGlas stellen, wie Hegel, und jene, die sich zwischen meinGlas und mich stellten, wie Kant. Sie begreifen meinenStandpunkt?“

Dion begriff den Standpunkt. Branchut konntefortfahren: „Wenn nun ein Philosoph hinter meinem

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Glas steht, wissen Sie, was ich dann mache? . . .“In diesem Augenblick drehte Virginia die eine der

Gasflammen aus, schraubte die andere zurück undmachte die Herren darauf aufmerksam, daß es halb Einssei und Zeit zum Aufbruch. Branchut, Mercier, Labanneund Dion gingen, einer nach dem andern gebückt unterdem zur Hälfte herabgelassenen Rolladen hinaus.

Sainte-Lucie, als Letzter in dem dunklen Lokal,umschlang Virginia und gab ihr auf gut Glück drei, vier

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Küsse aufs Ohr, auf den Nacken. Virginia widerstandeinen Augenblick, dann zerschmolz sie und ergoß sich indie Arme des Mulatten.

Indessen, sagte Branchut, draußen auf dem Trot-toir, zu Labanne: Werde ich nun mein Glas nehmen, umes hinter den Philosophen zu stellen? Nein. Werde ichden Philosophen nehmen, um . . .?“

„Kommen Sie doch endlich, Sainte-Lucie“, rief derDichter Dion, der sich darauf freute, dem Kreolen unter-wegs seine Verse hersagen zu können, jedoch Sainte-Lucie gab keine Antwort.

An diesem Morgen schneite es. Das halb erstickteGeräusch der rollenden Wagen erstarb an den Fenster-scheiben des ‚Dürren Katers‘. Ein fahler Widerscheinbeleuchtete kraß die Bilder an den Wänden und verliehden gemalten Gestalten ein leichenhaftes Aussehen. Inder vereinsamten Wirtschaft saß Remi an einem kleinenTisch und verschlang ein Beefsteak mit Kartoffeln, in-dessen Virginia unbeweglich vor ihm stand, die Händeüber ihrer weißen Schürze gefaltet hielt und ihn mit denAugen einer Heiligen betrachtete.

„Es ist zart, nicht wahr?“ sagte sie mit Hingebung.„Sind Sie satt? Ich habe in der Küche noch eine schöneScheibe kaltes Roastbeef, soll ich es bringen? Sie trinkenja gar nicht!“

Er aß, er trank und sie bewunderte ihn andächtig.Sie sagte: „Hier haben Sie Schweizerkäse, er zerfließt; erist gut. Herr Potrel liebte solchen Schweizerkäse sehr.“

Und Remi aß. Virginia brachte ihm auch nochFrüchte und Kompott. Dann versank sie lange in mys-tische Betrachtung, und seufzte: „Vielleicht war es falschzu handeln, wie ich gehandelt habe. Sie werden genau sosein, wie die anderen, Herr Sainte-Lucie. Die Männer

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sind sich alle gleich. Aber ich, ich bin nicht eine Frau wieso viele andere. Wenn ich eine Zuneigung fasse, so ist esfürs ganze Leben. Ich habe Ihnen erzählt, was Potrel mirangetan hat. Sagen Sie selbst, war das ein Benehmen?Ein Mann, dem ich alle erdenklichen Dienste erwiesenhabe . . . Ich habe seine Wäsche ausgebessert; ich wärefür ihn durchs Feuer gegangen. Er war geistreich, hatteTalent, alles stimmte. Aber er ist ein undankbarer Kerl!“

Und die betrübten Augen der Dame wandten sichzu dem Bildnis des dürren Katers, als wollte sie ihn zumZeugen anrufen für den Undank Potrels. Ihr üppiger Bu-sen hob sich, ihr dreifaches Kinn zitterte; sie fügte miterstickter Stimme hinzu: „Und dabei weiß ich nicht mal,ob ich ihn nicht immer noch liebe! Wenn du mich auchverließest . . . ich wüßte nicht, was aus mir werden soll-te. Komm doch heut abend, mein Schatz . . . Was stehtzu Ihren Diensten, meine Herren?“ Diese letzte Phrasevon einem Lächeln begleitet , wandte sich an zwei Gäste,die soeben eingetreten waren.

Sainte-Lucie fühlte sich glücklich. Im Examen warer zwar glänzend durchgefallen. Aber er wärmte sich anallen gastlichen Öfen, lachte sein breites, sinnliches La-chen, freute sich über alles, was er sah und hörte, undlebte sorglos in den Tag hinein. Die schlecht verborgeneGunst, die Virginia ihm schenkte, hatte ihm die Achtungder Stammgäste des ‚Dürren Katers‘ erworben. DieFrauen erhöhen die Männer, die sie sich wählten. ImAtelier von Labanne fühlte er sich noch wohler als inVirginias Schlafzimmer. Aber der Ofen des Bildhauersbrannte nie. Das war Remi unangenehm, denn er zeich-nete gerne und begann auch zu malen. Labanne sagte:„Dieser Bursche hat einen Zeicheninstinkt. Er hat keineEinfälle, aber er hat eine gute Hand. Ich glaube ganzentschieden, daß man so dumm sein muß wie Potrel, um

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ebenso gut zu modellieren.“Wohl versuchte Herr Godet-Laterrasse, seines

Schülers wieder habhaft zu werden. Manchmal trug ihnum die Mittagszeit ein Omnibus von den Höhen desMontmartre hinab; keuchend betrat er das Zimmer sei-nes Schülers und rief: „Büffeln Sie den Tacitus! NurMut!“

Und mit Emphase sagte er: ›nox eadem Britannic,necem atque rogum conjunxit.‹ Dann verwickelte er sichin irgendwelche grammatikalische Schwierigkeiten, ausdenen er sich durch ganz oberflächliche Betrachtungenüber den großen Schriftsteller herauszuwinden suchte,der – so sagte er – die Stirne der Tyrannen mit glühen-dem Eisen gezeichnet hatte.

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Nach beendigtem Unterricht erhob er sich, griff mit ei-ner edlen Geste nach einigen Bänden von Proudhonoder Quinet, die unberührt auf der Kommode ruhten,schob sie unter seinen Arm und sagte, er wolle darin et-was nachschlagen. Remi sah sie niemals wieder. NachVerlauf von einigen Monaten waren von dem ungeheu-ren Paket nur noch vereinzelte Bände vorhanden. Reminahm sie eines Tages und verkaufte sie einem Buch-händler der Rue Soufflot. Es war nie wieder von dengrundlegenden Werken die Rede.

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Die Zeit verstrich. Herr Godet-Laterrasse kam hinund wieder zu seinem Schüler und erteilte ihm Unter-richt. Der ‚Dürre Kater‘ erfüllte die Seele des jungenSainte-Lucie nicht ganz; er verweilte auch gerne in sei-nem Zimmer und knabberte exotische Leckerbissen, dieer bei einem Kreolen der Rue Tronchet kaufte. Seitdem

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die Witterung mild geworden war, öffnete Remi jedenMorgen sein Fenster und blickte auf die Straße hinab. Erfand Gefallen daran, die Pferde vorbeitrotten zu sehen,die von oben einen schmalen Hals, einen langen Körperund eine breite Kruppe hatten. Von den Frauen, die dortunten an der Hoteltür vorbeigingen, erblickte er nur denKopf des Hutes oder das Haar, und die aufgeblähtenRockfalten, manchmal auch ein Stück Bauch unter demKinn. Er beobachtete das graziöse Wiegen oder das ko-mische Schlenkern all dieser Kreaturen, die dort untenihren leichten oder mühseligen Weg gingen. Das vor-beiflutende Leben amüsierte ihn und keine Überlegungstörte ihn bei der Betrachtung dieses Schauspiels. Dennnoch keimte kein einziger tiefer Gedanke unter seinemdichten Haarschopf.

Am meisten interessierte ihn das Haus, das ihmgegenüber seine neue, in jedem Stockwerk von fünfFenstern durchbrochene Steinfassade ausbreitete.Durch die geöffneten Fenster erblickte er ein Stück Ta-pete, das Getäfel eines Speisezimmers, das Eck einesGoldrahmens und die Kante eines Möbels. Durch dieEntfernung verkleinert, denn die Straße war breit, nahmalles für ihn die Größe und Anmut eines Spielzeugs an.Die Personen, die sich in diesen Schachteln bewegten,erschienen ihm wie wunderbare feine Püppchen.Irgendein verstörter Kopf, der plötzlich aus einer Dach-luke hervorschoß und den kahlen Schädel oder die blin-zelnden Augen der Sonne zuwandte, genügte, um denKreolen in eine langdauernde Heiterkeit zu versetztenund ihm ein Dutzend Entwürfe einzugeben, die er gleichwieder vernichtete.

Nach einigen Tagen kannte er die ganze kleineWelt, die wenige Meter von seinem Fenster entfernt,sich in dem großen steinernen Bienenhaus abspielte.

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Auf dem Balkon des fünften Stockwerks säte ein pensio-nierter Hauptmann (es konnte nur ein Hauptmann sein)Samen in einen Kasten. In den mittleren Stockwerkenbreitete die Dienerschaft Teppichfelle auf den Fenster-brüstungen aus.

Manchmal sah Remi einen Besen an den Möbelnvorbeistreifen, die längs dem weißen Getäfel unter ihrenÜberzügen schliefen. Im Erdgeschoß stand der Kommiseiner Agentur vor einem hohen Pult und schrieb uner-müdlich.

Aber Remis Blicke schweiften mit Vorliebe in dieZimmer des vierten Stockwerks. Dort sah er nie etwasSeltsames oder Geheimnisvolles; nichts Lüsternes, daseinen junge Menschen erröten machen konnte. DieFenster des vierten Stockwerks waren nur bemerkens-wert durch einen Vogelkäfig und einen ganz kleinenBlumentopf. Die Wohnung, die diese Fenster erhellten,hatte eine ältere Dame inne. Sie war tätig, aber langsamund sehr ruhig. In jedem Fenster erschien ihr stilles Ge-sicht, einst von schönen Haaren umrahmt; jetzt aberwar ihr Scheitel schon gelichtet. Ihre Tochter, ein Kindnoch mit kurzen Röcken, hatte das schöne Haar ihrerMutter, nur war ihr Blond heller und strahlender, üppi-ger und reicher und in der Mitte durch eine feine Liniein zwei Hälften geteilt. Sie bewegte sich wie ein Knabeund wußte mit ihren Armen und Beinen nichts anzufan-gen.

Ohne es zu merken, drang Remi in das intime Le-ben dieser beiden Frauen ein und interessierte sich fürdie gleichförmigen Arbeiten ihres Daseins. Er kannte dieStunden der Mahlzeiten und des Unterrichts; er wußte,wann es Zeit zum Spaziergang war und wann der Käfighereingeholt werden mußte; er kannte die Tage, an de-nen man Bücher und Hefte zusammenpackte, um in das

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Institut zu gehen.Er wußte, daß die Damen jeden Sonntag um elf

Uhr mit einem Gebetbuch in der Hand das Haus verlie-ßen. An allen anderen Tagen setzte sich das Mädchenum zehn Uhr in dem vergoldeten Salon an das Klavier,dessen Messinggriff dicht am Fenster blinkte. Remi sahzwei kleine rote Hände, zwei Kinderhände, eiligst überdie Tasten laufen und Tonleitern spielen, die er abernicht hören konnte. Man blieb nicht lange auf demHocker vor dem Instrument. Man ging ans Fenster;wenn es geschlossen war, hob man den weißen Vorhang,sah mit leiser Kühnheit auf die Straße hinab und preßteeine kleine Nase gegen die Fensterscheibe, so daß dieNasenspitze ganz weiß wurde; dann verschwand man,wie man erschienen war, ohne ersichtlichen Grund, wieein Vogel, der davonfliegt. Beide, Mutter und Tochter,hatten Kinderaugen, klare, weit geöffnete, traumloseAugen, die zu sagen schienen: nichts hat unseren zärtli-chen Frieden gestört, und nichts wird ihn stören. DieMutter war zweifellos schon lange verwitwet; manmerkte ihr das vollkommene seelische Gleichgewicht an.Ihre weichen Gesten, die nichts Liebkosendes hatten,und ihre unbeirrbare Wachsamkeit ver-rieten die Güteder wohlversorgten, gutgenähr-ten Frau.

Das Fräulein aber war ungestüm. Nahm sie sichdoch eines Tages heraus, das Fenster zu öffnen, sichüber den Balkon zu beugen und zwei ihrer Gefährtinnenzuzuwinken, die unten vorbeigingen. Sie schien garnicht beschämt, als die Mutter sie ins Zimmer rief und –so verstand es Remi – die beiden Kolleginnen vom Kon-firmationsunterricht oder vom Institut durch dasDienstmädchen heraufbitten ließ. Sie hatten gewiß sehrlustige Sachen zu berichten, denn alle drei brachen in

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ein herzliches Gelächter aus. Und ihr Lachen klang überdie breite Straße, wie das kaum hörbare Rauschen vonPerlen, die man durch die Hände gleiten läßt.

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Jeden Morgen ging Remi am Luxembourggartenvorbei, sah durch das Gitter im leisen Nebel die welligenRasenflächen und die exotischen Baumgruppen. Er gingbis zur Rue Carnot und betrag das Atelier. Man legte fürihn den Schlüssel unter die Strohmatte.

Labannes Atelier war mit Büchern ganz angefüllt,man hätte es für das Lager eines Büchertrödlers haltenkönnen. Die Bücher stapelten sich immer höher ringsum die unvollendeten Entwürfe unter ihren eingetrock-neten Hüllen. Der Boden war mit aufgetürmten Bändenvollständig bedeckt. Man trat auf Schaflederdeckel.Ringsumher lagerten Kalblederrücken, mit Bünden oderStempeln, man sah rote oder marmorierte Schnitte, gel-be, blaue, rote, zur Hälfte herabgerissene Bucheinbände.Die abgestoßenen Ecken der Folianten klafften, und diePappe zerblätterte zwischen dem verschrumpften Leder.Ein uralter Staub legte sich allmählich immer dichterüber diesen Wust von Literatur und Wissenschaft.

Die Wände waren einst mit Kalk geweißt gewesen.Ihre obere Partie war kahl, in Manneshöhe jedoch warein halb griechischer, halb französischer Text mit Kohlehingekritzelt: der Kommentar zum „Phaedon“, eine In-spiration des Moralisten Branchut , die dieser nach ei-ner schlaflosen Nacht hier verewigt hatte.

Die Tür war ebenfalls von verschiedenen Händenmit Inschriften aller bedeckt.

Die oberste mit einem Taschenmesser eingeritzt, prangte in großen Lettern und lautete:

- Die Frau ist bitterer als der Tod. -

Die zweite, mit schwarzer Zeichenkreide und in Rundschrift hieß:

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- Die Akademiker sind Spießer.- Cabanel ist ein Kitschkopf.

Die dritte, mit gewöhnlichem Bleistift und in Kur-sivschrift:

- Frauenschönheit gerühmt, die in antiker Weise

Singt geheiligtem Himmel plastischer Schönheit zum Preise.

Paul Dion.

Die vierte, von ungeübter Hand mit Kreide nie-dergeschrieben:

- Habe die Wäsche gebracht. Montag hole ich dieschmutzige beim Hausmeister ab. -

Die fünfte, von Labanne mit Zeichenkohle hin-geworfen:

-Athen! Du ewig erhabene Stadt, hättest du nicht geblüht,

Die Welt wüßte noch heute nicht, was Schönheit ist.

Die Sechste war mit einer Haarnadel hingekrit-zelt, die den Lack kaum geritzt hatte. Sie lautete:

- Labanne ist ein Knicker. - Er kann mich gern haben.

Maria.

Und noch andere Inschriften gab es auf dieserTür.

In einer Ecke, neben dem Ofen, war eine Pferde-decke über Büchern und Zeitungen ausgebreitet. DieseZeitungen, diese Bücher und diese Decke bildeten das

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Bett des Moralisten Branchut.

Eines Tages saß Branchut auf seiner Pferdedeckeund dachte an Demosthenes, an die deutschen Professo-ren und an die Prinzessin Feodora.

Remi, beschäftigt einen Wasserkrug abzuzeich-nen, streckte vor übergroßer Aufmerksamkeit die Zungeheraus. Er wollte zeigen, daß er es nicht böse meinteund fragte den Philosophen, ob er nicht ein paar Kru-men altbackenes Brot in seinen Taschen hätte. Und ernannte ihn aus Versehen „Herr Branchut mit dem Tic“.

Branchut, reizbar durch seine Kümmernisse, sahihn stier an und seine Augen quollen hervor. Ein fürch-terliches Zucken lief seine Nase lang. Er eilte wütendhinaus. Er traf den Dichter Dion in der Schenke und La-banne entdeckte er auf den Quais vor einem Bücher-stand.

Die beiden nahmen sich seiner Sache an. DerDichter verlangte Blut; aber Labanne der Skeptiker zeig-te sich milde und führte eine Art Versöhnung herbei.Außerdem war Remi nicht rachsüchtig. Der Moralistund der Kreole lebten hier ein bis zwei Monate friedlichnebeneinander. Aber Branchut, dessen Bestimmung eswar, durch das Weib zu leiden, ließ es sich zu seinemUnglück einfallen, die Wirtin des ‚Dürren Kater‘ mitzärtlichen Augen anzusehen. Nun hatte aber das Gesichtdes Moralisten, sobald es Zärtlichkeit ausdrückte, unbe-dingte Ähnlichkeit mit dem Gesichts eines Epileptikers.Und Virginia, die von ihm mit blutunterlaufenen, ausden Höhlen springenden Augen angestarrt wurde, warentsetzt und äußerte ihr Entsetzen in allzu auffallenderWeise. Sie versäumte keine Gelegenheit, dem Philoso-phen zu zeigen, welch tugendhaften Widerwillen er ihreinflößte, und da sie gleichzeitig ihrem Remi Blicke voll

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heißen Verlangens zuwarf, wurde Branchut von allenStacheln der Eifersucht gepeinigt. Er litt, er wurde böse.

Zuerst fing er mit dem sanften Labanne an, derzweifach im Unrecht war, einmal lebte er von einer klei-nen Rente und dann erwies er dem Philosophen Gefäl-ligkeiten. Jeden Morgen gab Branchut ihm feierlich denAtelierschlüssel zurück, den der Bildhauer mit größterRuhe jeden Abend wieder hervorholte. Während derMonate Juli und August wurde Branchut bitter undskeptisch. Eine Wandlung vollzog sich in ihm. Er er-starkte. Er verachtete die Frau, weil sie – so sagte er –ein untergeordnetes Wesen ist. Er tat so, als sähe er Vir-ginia überhaupt nicht, wenn er gebieterisch bei ihr seinBier bestellte, das Labanne bezahlte.

Er stellte transzendentale Theorien über dieKunst auf.

„Ich habe mir kürzlich im Museum eine Mammut-figur angesehen“, sagte er, „die mit einem spitzen Kieselauf eine fossile Elfenbeinplatte eingeritzt ist. Diese Figurstammt aus einer prähistorischen Epoche, sie ist älterals die ältesten Zivilisationen. Es ist das Werk eines blö-den Wilden. Aber sie offenbart ein künstlerisches Ge-fühl, das die schönsten Schöpfungen des Michel Angelosweit übertrifft. Die Darstellung ist zugleich wahr undideal. Unsere besten modernen Künstler hingegen op-fern entweder die Wahrheit dem Ideal, oder das Idealder Wahrheit.“

Während er so sprach, sah er Labanne mit wildenAugen an. Aber Labanne war einverstanden. Er billigteden Gedanken seines Freundes, des Philosophen, undspann ihn weiter aus:

„Die Kunst“, sagte er, „verfällt in dem Maße, wieder Gedanke sich entwickelt. In Griechenland gab es zurZeit des Aristoteles keine Bildhauer mehr. Die Künstler

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sind inferiore Wesen. Sie gleichen den schwangerenFrauen: sie gebären, ohne sich über den Vorgang Re-chenschaft abzulegen. Praxiteles machte seine Venus,wie die Mutter der Aspasia die Aspasia machte, ganz na-türlich ganz unbewußt. Die Bildhauer von Athen undRom haben den Herrn Pfarrer Winckelmann nicht gele-sen. Sie wußten nichts von Ästhetik, aber sie schufenden Theseis des Parthenon und den Augustus des Lou-vre. Ein geistvoller Mensch bringt nichts Schönes undnichts Großes zuwege.“

Branchut erwiderte scharf: „Wozu sind Sie dannBildhauer, da Sie doch ein geistvoller Mensch zu seinglauben? Ich habe freilich noch nie etwas von Ihnen ge-sehen, das auch nur im geringsten eine Statue, einerBüste oder einem Basrelief ähnlich gewesen wäre. Siekönnen nicht einmal ein Modell oder eine Skizze vorzei-gen, und seit nahezu fünf Jahren haben sie kein Bossier-holz angerührt. Wenn Sie ihr Atelier einzig und alleindeshalb beibehalten, um mir darin ein Asyl zu gewäh-ren, so bin ich es Ihnen und mir schuldig, Sie aufmerk-sam zu machen, daß es mir nicht schwer fallen wird, an-derswo eine Lagerstatt zu finden. Ich habe Ihnen, sovielich weiß, nicht das Recht gegeben, mich mit IhrenWohltaten zu überschütten.“

Aber trotz seiner Seelengröße fiel es dem Philoso-phen schwer, lange auf diesen Höhen zu bleiben. Erwurde wieder schwach. Er vergaß den Mammut des Mu-seums und sah nur noch Virginia. Er verfiel in einestumpfe Niedergeschlagenheit. Aber sein Leben hattedoch eine lichte Stunde.

Eines Morgens begegnete er Virginia, die aus derMarkthalle heimkehrte, an jedem Arm einen Korb,schwitzend, keuchend, hustend, nach Luft ringend,denn sie war etwas asthmatisch; halb freiwillig, halb ge-

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zwungen folgte er ihr und es wurde ihm gestattet, denFleischkorb zu tragen. Er war entzückt. Diese Freudeverdarb ihn. Er fing an zu hoffen – er wagte alles.

Eines Abends schlich er in die Küche, wo Virginiadas Geschirr spülte. Er schlang seinen Arm um ihreHüfte. Sie ließ einen Teller fallen und begann entsetzlichzu brüllen. Nein, die Prinzessin Feodora hatte nicht solaut geschrien.

Es gab einen Skandal.Der Dichter Dion war glücklich. Merciers Augen

funkelten unter seiner Brille. Labanne zuckte dieAchseln. Remi ärgerte sich ein wenig, freute sich dannaber in seinem Innersten, als sein Racheplan gefaßt war.Es war die Rache eines Schuljungen, eines Wilden; vorGenugtuung leckte er sich schon im voraus die Lippen.Er ließ sie in seinem trägen Feinschmeckerherzen ruhenwie eine gute Hausfrau ihre Konfitüren in einen Schreinverwahrt.

Der Dichter Dion sprach wieder von der Grün-dung einer Revue. Im vergangenen Jahr war der Ver-such mißglückt, denn die dreihundert Francs der Groß-mutter wurden für notwendige häusliche Ausgaben auf-gebracht. Aber Dion hatte neuerdings wieder drei-hundert Franc erhalten.

„Man muß einen Titel finden“, sagte er.Sie trennten sich nach Verlauf von zwei Stunden,

nachdem sie eine Unzahl von sinnlosen oder bekanntenWorten vorgeschlagen hatten.

Tags darauf begrüßte der Dichter Dion die Gesell-schaft des ‚Dürren Katers‘ mit dem antiken Ruf: „Ichhabe es gefunden: ‚Die Idee! . . .‘ ‚Die Idee‘, eine neueRevue!“

Und mit den Fingern ein imaginäres Blatt festhal-tend, den Kopf seitlich geneigt, die apollonischen Haare

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zurückgeworfen, das Gesicht von einem Lächeln erhellt,las er innerlich in großgedruckten Lettern: ‚Die Idee‘,eine neue Revue. Leiter Paul Dion.

„Welche Idee?“ fragte der skeptische Labanne sei-nen gelben Bart streichelnd.

„Die Idee der niederen Mathemathik, - was dennsonst!“ erwiderte Mercier.

„Die Idee der Überlegenheit der Poesie und desIdeals über die Prosa und die Realität“, antwortete Dion.

Und der Moralist Branchut, der seine zuckendeNase kratzte, warf mit gelinder Schärfe ein: „Vielleichtauch eine Idee der neuen Moral, deren Theorie ich auf-zustellen gedenke, das heißt, natürlich nur, wenn ich Ih-nen damit einen Gefallen erweise.“

Labanne erlaubte sich die Bemerkung, daß mandie Revue nicht ‚Die Idee‘, sondern ‚Die Ideen‘ nennenmüßte, da doch jeder seine eigene Idee hätte.

Gleichwohl wurde an dem ersten Titel festgehal-ten, und der Dichter Dion stellte auf einem Blatt Brief-papier und mit der Feder, die sonst der Wirtin zur Nie-derschrift ihrer Rechnungen diente, den Inhalt der er-sten Nummer zusammen:

1. Ein Geleitwort. Von Paul Dion.

2. Ein unbestimmter Artikel über die Philosopie. Von Claude Branchut.

3. Ein noch viel unbestimmterer Artikel über die schönen Künste. Von Emil Labanne.

4. „Die Geliebte, an der man stirbt.“ Gedicht von Paul Dion.

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5. Etwas sehr Vages über die Wissenschaft. Von Wilhelm Mercier.

Theater- und Buchkritik übernahm der Leiter selbst.

Nachdem der Text festgesetzt war, machte Dion inirgendeiner schlecht gepflasterten Straße des QuartierSaint-André-des Arts einen Buchdrucker ausfindig, dersich in äußerst bedrängter Lage befand und mit stump-fer Gleichgültigkeit es unternahm, die Revue zu dru-cken.

Dieser Drucker war ein unansehnlicher kleinerMann, kahl und bleich; sein abgezehrtes Aussehen erin-nerte unwillkürlich an eine Kerze, die im Zugwind da-hinschwindet. Mit seinem Geschäft war es schlecht be-stellt. Es war also ein verzweifelter Buchdrucker, aberdoch immerhin ein Buchdrucker. Er druckte. Er schickteKorrekturen, die Dion auf den fettigen Tischen des Cafésherumzog. Aber man mußte zugeben, daß es an Stoffmangelte, obgleich dem Chefredakteur der ‚Idee‘ etlicheGedichte aus verschiedenen Gegenden Europas zuge-gangen waren.

Die Nummer versprach dünn zu werden, zumalBrancut die Seiten seines philosophischen Artikels, so-bald er sie niedergeschrieben hatte, unter den Torbögenwieder verlor, und da Labanne unbedingt fünfzehn-hundert Bände lesen mußte, ehe er die ersten Zeilen sei-nes kunstgeschichtlichen Artikels niederschreibenkonnte. Dafür aber war der Artikel von Mercier tatsäch-lich vorhanden, nur hätte der Autor, der in seinerSchrift, in seinem Stil und in seinen Einfällen, ebensoknapp war, wie in seinen Kleidern, diesen Artikel mühe-los auf den zwei Gläsern seiner Brille unterbringen kön-

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nen. Hingegen war „Die Liebe, an der man stirbt“ schonbis zur vierten Korrektur gediehen.

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In diesem Stadium schlug Sainte-Lucie, der Re-daktionssekretär, dem Dichter Dion vor, ihn mit HerrnGodet-Laterrasse bekanntzumachen, der nicht verfehlenwürde, einen Artiekl zu liefern.

Es war eine denkwürdige Nacht, als Herr Godet-Laterrasse vom Omnibus herabkletterte und die Gast-stätte der holden Virginia betrat.

Er drehte den Türknopf mit der Hand eines Man-nes, der sich erwartet weiß; und während ein schmei-chelhaftes Gemurmel seinen Eintritt begrüßte, durch-querte er das Lokal mit afrikanischer Majestät, diedurch kreolische Geschmeidigkeit ein wenig gemildertwurde.

Als der Dichter Dion ihn mit „verehrter Meister“anredete, entblößte er wie ein lächelndes Götzenbild sei-ne ganzen Zähne.

Aber plötzlich nahm sein Gesicht den Ausdruckverbitterten Stolzes an. Er hatte gesehen, daß Labanneeinen gleichgültigen Blick durch den dichten Qualm sei-ner Pfeife sandte. Er wußte, daß Labanne eines Tagesihn in einer erhabenen Pose hatte darstellen wollen, miteinem Zifferblatt auf dem Bauch. Seit jener Zeit sah erin Labanne einen völlig verdorbenen Skeptiker. Von die-sem Gedanken erfüllt, wandte er sein horizontales Ant-litz den Herrn Dion und Mercier zu und sagte zu ihnen:„Hütet euch vor dem Skeptizismus, ihr jungen Leute. Erist ein giftiger Hauch, der die Seele in ihrer Blüte ver-dorren läßt.“

Er versprach der Revue ein Kapitel seines unver-öffentlichen großen Werkes über die Regeneration derMenschheit durch die schwarze Rasse.

Hierauf entwickelte er seine Idee.Die schwarze Rasse war noch nicht von der christ-

lichen Lepra angefressen, die seit achtzehn Jahrhunder-

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ten alle Völker der weißen Rasse verheert. Er erzählte,daß er im Alter von elf Jahren, als er einsam amMeeresstrand spazieren ging, angesichts der Unendlich-keit sich gesagt hatte: „Die Pfarrer mögen sagen was siewollen; ich werde niemals glauben, daß das Christentumirgend etwas für die Abschaffung der Sklaverei getanhat.“

Als er die Kneipe verließ, wurde er von allen be-gleitet. Der von Sainte-Lucie signalisierte Omnibus nä-herte sich. Nachdem Herr Godet-Laterrasse allen dieHände geschüttelt hatte, faßte er seinen Schüler kame-radschaftlich unter den Arm und nahm ihn beiseite.

„Ich habe mein Portemonnaie vergessen“, sagte erzu ihm. „Welche Zerstreutheit! Leihen Sie mir ein paarSous.“

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Mit großer Geschicklichkeit nahm er die ihm gereichte Münze in einem Hände-

druck, kletterte auf das Verdeck und rief: „Nur Mut, Remi!

Büffeln Sie den Tacitus.“

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Remi wurde selbstvertändlich auch das zweiteMal von den Herren Examinatoren zurüchgewiesen. DasBaccalaureat wurde für ihn zu einem immer mehr ver-schwommenen, vagen Begriff.

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Seine in keiner Hinsicht verwunderlichen Nieder-lagen nahmen, wenn Herr Godet-Laterrasse sie kom-mentierte, eine verdächtige, unklare Wendung.

„Nicht Sie sind zurückgewiesen worden,“ sagteder Mentor, „sondern ich. Seien Sie versichert: Sie wur-den zwar getroffen, aber es war auf mich gezielt. Oh! DieHerren Professoren der Sorbonne werden meinen letz-ten Artikel nie vergessen!“

Diese Redensarten verwirrten Remi vollständig;bald wußte er nicht mehr, ob das Baccalaureat einwissenschaftliches Examen oder eine geheime Gesell-schaft war. Den ganzen Winter lebte er in einem wohli-gen Dämmerzustand. Er erwachte erst, als die schüch-terne Aprilsonne schon die Wände erhellte. Auf den Dä-chern kreischten die Spatzen. Der pensionierte Haupt-mann säte Samen in die grüngestrichenen Kästen. Dieso lange geschlossenen Fenster, deren Scheiben un-längst noch angelaufen waren, öffneten sich den schwa-chen Strahlen der Sonne und den ersten milden Früh-lingslüften. Remi, der seit dem Sommer seine beidenFreundinnen vom vierten Stock ganz aus dem Auge unddem Gedächtnis verloren hatte, freute sich, als er denVogelkäfig und den Messinggriff des Klaviers wiedersah.

Als er jetzt Mutter und Tochter zum ersten Mal indem vergoldeten Salon erblickte, hatte er die größteLust, sie mit einem freundschaftlichen Winken zu be-grüßen. Ein kleiner alter Herr, der auf dem Sofa saß undHut und Regenschirm zwischen seinen Beinen hielt,schien freundschaftlich mit ihnen zu plaudern. Er hobden Arm, und Remi glaubte die Worte zu hören:

„Wie groß Sie geworden sind, Maria (oder Johan-na, oder Louise). Sie sind ja jetzt eine junge Dame!“

Remi verdroß es, einen Fremden so behaglich aufdem Sofa seiner Freundinnen sitzen zu sehen. Nicht daß

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der kleine alte Herr ihm mißfallen hätte. Ganz im Ge-genteil! Der alte Herr schien ein rechtschaffener Mannzu sein. Aber Remi kannte ihn nicht, und er erkannte,daß die beiden Damen Geheimnisse vor ihm hatten,woran er vorher noch nie gedacht hatte. Man kann ebennicht an alles denken. Er schloß sein Fenster undschmollte den ganzen Tag. Am nächsten Morgen öffneteer es wieder, nur um zu sehen, ober der Vogelkäfig anseinem Platze stand. Er sah das junge Mädchen, einenrunden Hut auf, an dem Griff ihres Sonnenschirms na-gen und wie ein Füllen ungeduldig aufzustampfen –eine Angewohnheit von ihr, wenn sie zum Ausgehen fer-tig, auf ihre Mutter wartete, die ihr viel zu lange vor demSpiegel an ihren Hutbändern nestelte. Aber man mußgerecht sein, eine fünfundvierzigjährige Frau kann nichtwie ein junges Mädchen mit zwei, drei flatterhaften Be-wegungen fertig sein.

Auch heute prüfte die Mutter wie gewöhnlich aufsgenaueste die Kleidung ihrer Tochter. Aber diesmalmußte ein schlimmer Defekt an dem grauen Kleid vor-handen sein, denn die Mutter äußerte einige Worte, diemit allerlei ungeduldigen und schmollenden Bewegun-gen, mit verzweifeltem Zappeln und Strampeln aufge-nommen wurden. Schließlich knöpfte das Mädchen ihrKleid auf, und das Fenster wurde zugestoßen. Nach eini-gen Sekunden ging es von selbst auf und Remi sah, wiedie Mutter das graue Kleid in der Hand hielt und ste-hend etwas daran ausbesserte, während die Tochter imMieder und kurzen weißen Unterrock wartete. Das Mäd-chen wandte den Kopf und sah den Studenten, der sieanschaute. Mit der entzückenden Geste eines frösteln-den Kindes, das gebadet wird, bedeckte sie mit beidenArmen ihre Brust, und die Lippen sagten ganz schnellirgend etwas, das wohl heißen mochte: „Mama! Mama!“

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Die Mutter zuckte gleichmütig die Achseln und schienzu sagen: „Du lieber Gott, das macht doch nichts.“ Undgleichgültig stieß sie das Fenster wieder zu. Ohne sichder Ursache bewußt zu sein, beobachtete Remi seit je-nem Tage nicht mehr so eindringlich seine beidenNachbarinnen. Aber es fiel ihm ein, daß sie fortgehenkönnten und er sie niemals wiedersehen würde. Das be-trübte ihn. Seine Gedanken nahmen eine ernste, beson-nene Richtung. Er sagte sich, daß das Baccalaureat, wieHerr Godet-Laterasse es auffaßte, keine ernsthafte An-gelegenheit war, und entschloß sich, Maler zu werden.Malen! Das schien einfach und schön. Dann durch-kreuzte der Gedanke an Télémaque sein Gehirn. „Ichmuß ihn doch einmal aufsuchen“, dacher er.

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Nach dem zweiten Mißerfolg vernachlässigte HerrGodet-Laterrasse, den die öffentlichen Angelegenheitensehr in Anspruch nahmen, seinen Schüler noch mehr.Remi nahm sich das Fernbleiben seines Mentors nichtzu Herzen, ging zu Labanne und zeichnete bei ihm. Dersonderbare Bildhauer hatte bei den Antiquaren desQuais Malaquais die Gedichte von Colardeau entdecktund war eitel Bewunderung.

„Colardeau ist der größte französische Dichter“,behauptete er. Als die Hitze drückend über der Stadt aufStein und Asphalt lag, trug der Moralist Branchut alseinziges Gewand einen langhaarigen Überzieher, in demer nach Ausspruch seiner Freunde einem mit seinemFell bekleideten Skythen glich. Der Gedanke an dasWeib verließ seinen Geist keinen Augenblick, und nochnie war seine Laune so grimmig gewesen. Er hatte nichtmehr den früheren Appetit, mit dem er täglich seinBrötchen gegessen hatte. Aber ein ewig ungestillter

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Durst verzehrte ihn unter dem dichten Fließ. Eines Ta-ges, als Remi zum hundertsten Mal unter Anleitung von Labanne den Wassertopf abzeichnete, den man im Win-ter auf den Ofen des Ateliers zu stellen pflegte, bemäch-tigte sich der Moralist Branchut dieses Gefäßes, um es am Brunnen zu füllen. Als er mit nasser Nase und trie-fendem Bart wiederkehrte, warf ihm der junge Kreole von der Seite einen Blick zu, der vielverheißend war. Branchut schrie nach dem Blitz und lechzte nach dem Sturm. Aus des Bildhauers schönsten Büchern riß er Seiten aus, um seine dunklen und schrecklichen Gedan-ken darauf niederzuschreiben. Ein Gewitter belebte die Stadt und entspannte die Nerven des Moralisten.

Die Zeit verran; sie brachte die Drachen in den bewegten Septemberhimmel, sie brachte die Nebel der herbstlichen Oktoberlandschaft, die Maronibrater an den Türen der Weinhändler, die Orangen auf den Hand-wagen, die Laterna magica auf dem Rücken des Sa-voyarden, die weißen Schneedächer und am Weih-nachtstag, zu Neujahr und am Dreikönigstag in den warmen Eßzimmern den Duft der gebratenen Gänse. Aber das Herz des Moralisten Branchut blieb von der Zeit unberührt.

Um Dreikönigstag, gegen vier Uhr, als Remi mit dem Dichter Dion den Saint-Sulpice-Platz durchquerte, sah er auf die Eiszapfen, die die vier steinernen Bischöfe zur Hälfte bedeckten, und das gefrorene Wasser in dem Brunnenbecken zu ihren Füßen. Er rieb sich die Hände und sagte mit einem breiten Lachen: „Es wird auf die-sem Platz nicht warm sein um Mitternacht.“

Dann sprachen sie – Dion mit raffinierter Befrie-digung, Remi mit derber Freude – über einen Brief, den sie soeben einem Dienstmann zur Beförderung überge-ben hatten. Sie wurden nicht müde, die Worte dieses

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Briefes zu wiederholen: „Sie sind braun, ich bin blond;Sie sind stark, ich bin schwach. Ich verstehe Sie, und ichliebe Sie.“

Die beiden mußten wohl eine abscheuliche Mysti-fikation angezettel haben, auf die sie stolz waren und diesie so erfreute. An jenem Abend saß Branchut im ‚Dür-ren Kater‘ in Gesellschaft des gealterten Mercier, desseneingeschrumpftes Gesicht unter der Brille fast ver-schwand, des Bildhauers Labanne, der sich seit acht Ta-gen mit einem Buch über die Höflichkeit im 17. Jahr-hundert beschäftigte, und der beiden Jünglinge Dionund Saint-Lucie. Virginia brachte ihnen eine kräftig duf-tende Kohlsuppe. Der Philosoph Branchut stieß dendampfenden Teller zurück, den Labanne ihm reichte.Sollte er sich durch diese schwere Nahrung zugrunderichten? Hatte denn Labanne nicht die geringste Ah-nung von dem Ernährungssystem, daß einem Elitewe-sen entsprach? Ein Dienstmann trat ein, fragte nachHerrn Branchut und übergab ihm einen Brief, der einenzarten Duft ausströmte; ein blauer Buchstabe war aufdem zartgrauen Umschlag eingeprägt. Je weiter der Phi-losoph las, desto wilder wurden die Zuckungen, die sei-ne bewegliche Nase vollführte. Endlich steckte er denBrief in die Tasche seines Rockes (es war ein alter Frack,den er von Labanne erhalten hatte) und sah sich mit ei-nem Blick voller Heimlichkeit um. All sein armseligesund dunkles Blut belebte das dunkelrote Gesicht. Er warverwandelt. Seine Nase schien von einer inneren Flam-me erleuchtet. Dion betrachtete den Saum seiner Servi-ette. Remi machte mit seinem Messer in dem SalzfaßHügel und Täler und schien ganz versunken in den An-blick der winzigen Polarlandschaften, die er mit der all-mächtigen Willkür eines lappländischen Jehova schufund zerstörte. Das Gespräch, das durch die Ankunft des

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Dienstmanns unterbrochen war, schleppte sich schwer-fällig weiter. Nur Labanne war im Zuge. Ganz erfüllt vonder Höflichkeit des siebzehnten Jahrhunderts, wünschteer sich die Zeiten Ludwigs XIV zurück.

„Der Sonnenkönig war kein Caesare Borgia“, sagteer. „Aber er ist weit besser als die Menschrechte und dieunsterblichen Grundsätze.“

Branchut ließ wiederholt seine Hand in die Tascheseines Rockes gleiten und preßte etwas an sein Herz. Ineinen tiefen Traum versunken, entschlüpften seinenaufgedunsenen und rissigen Lippen von Zeit zu Zeitliebliche Worte über die Erneuerung des Menschendurch die Liebe. Um elf Uhr brach er auf, mit der Rück-seite seines Ärmels bürstete er seine Weste ab – das warbei ihm eine außerordentliche Handlung und ein maßlo-ser Kult seines äußeren Menschen. „Auf Wiedersehenmorgen!“ sagte Labanne.

Aber der Philosoph murmelte einige geheimnis-volle Worte von einer voraussichtlichen Abwesenheitund schlich so sachte hinaus, als hätte er sich verflüch-tigt. Einen Augenblick später verließen Dion und Laban-ne den ‚Dürren Kater‘.

Um Mitternacht kreiste der Moralist in seinemFrack um den Brunnen der vier Bischöfe. Einige verspä-tete Passanten gingen eiligst über den Platz. Das überden Rand der Schale verströmte Wasser war auf demAsphalt gefroren, und der Moralist glitt bei jedemSchritt aus. Ein eisiger Wind bewegte die Schöße seinesRockes. Aber wie ein blindes Pferd, das den Mühlsteindreht, kreiste der Moralist um den endlosen Rand dersteinernen Schale. Nur eine junge Arbeiterin, die sichbei einem Abenteuer verspätet haben mochte, schrittmit dem lebhaften Gang und dem entschlossenenSchritt der geborenen Pariserin über den vereinsamten

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Platz dem Wind entgegen. Vom Turm des Rathausesschlug es eins, - der Moralist ging immer noch imKreise. Nur die zwei Schutzleute unterbrachen mit ih-rem einförmigen Geräusch die Stille der Nacht. Um halbzwei Uhr ging der Philosoph zur nächsten Laterne, umden duftenden Brief noch einmal zu lesen.

„Sie sind braun, ich bin blond. Sie sind stark, ichbin schwach: ich verstehe Sie, und ich liebe Sie. WartenSie heute um Mitternacht auf der Place Saint-Sulpice,am Bassin.“

Das Rendezvous war unzweideutig. Der Philosophnahm seinen Drehposten wieder auf. Der Rauhreif deck-te ihn mit seinem diamantenen Staub. Die Schöße sei-nes Frackes, von Feuchtigkeit schwer, hingen herab. DerPlatz war vereinsamt. Noch lange drehte er sich imKreise. Schließlich ließ er sich enttäuscht, verzweifelt,erschöpft auf eine Bank fallen und verharrte regungslos,den Kopf in die Hände vergraben. Als er sich erhob,wähnte er Dion und Sainte-Lucie zu sehen, die laufendim Schatten der Rue Honoré Chevalier verschwanden.In seinem schmerzenden Kopf ging ein Licht auf, undseine Nase zitterte vor Empörung.

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Am nächsten Morgen, in seine Pferdecke gehüllt,erklärte er Labanne, daß er Sainte-Lucie töten werde. „Es liegt mir nichts an meinem Leben,“

sagte er, „aber noch viel weniger an dem sei-nen.“ Labanne gab sich vergebliche Mühe,

ihn zu beruhigen. Währenddessen ge-noß Remi ruhig und mit gestillter Rachsucht die angenehme Wär-

me seiner Daunendeckeund dachte: „Ich muß

doch nächster Tageden General Télé-

maque auf-suchen.“

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Ein leinenes Käppchen auf dem Kopfe, mit einemweißen Schurz umgürtet, stand Télémaque an derSchwelle seiner Schankwirtschaft und lächelte dieMorgensonne an, deren Strahlen die staubige Avenuemit ihren kümmerlichen Platanen überfluteten. ZurRechten reichte sein Blick bis zur Kaserne, wo lauteHornsignale ertönten, und zur Linken bis zum Kaiser-rondell, in dessen Mittelpunkt sich ein verwaister Sockelohne Statue befand. Die breite Avenue war an beidenSeiten teils von niedrigen Gebäuden eingefaßt, teils vonunbebautem Gelände, auf dem die weißen Pfähle derWaschanstalten in Reih und Glied standen. Die Kneipenan den Straßenecken, neben den Schuttfeldern, warenrotbraun gestrichen, um schon von weitem aufzufallenund den Soldaten und Arbeiterkehlen Durst zu erwe-cken. Alles übrige, Mauern und Felder, starrte in einemgleichmäßigen Grau. Die dreistockhohe Gipsfassade derbeiden Häuser gegenüber der Schankwirtschaft von

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Télémaque prangte mit Balustraden und gewölbten Ni-schen, in denen prächtige Büsten standen; die Mauernjedoch waren geborsten, modrig, der Kalk bröckelte ab,die Scheiben waren mit Papier verklebt und Lumpenhingen von den Fenstern herab. In dem Straßenstaubwälzte sich ein wirrer Knäuel von Kindern und Hunden.Soldaten schlenderten langsam zur Uferböschung. Frau-en in knappen Unterröcken trugen Eimer oder Körbe.

Die Schankwirtschaft von Télémaque war rot ge-strichen; hinter den Scheiben waren Beefsteaks und einLendenbraten auf großen Schüsseln ausgestellt. Télé-maque hielt ein totes Kaninchen an den Ohren und lä-chelte. Seine dunkel umränderten Augen waren durchdie vorspringenden Backenknochen seitlich hochgestelltund ihr lebhaftes Email strahlte in einem Ebenholzge-sicht mit eingedrückter Nase und aufgeworfenen Lip-pen. Die wolligen Flocken auf seinem Haupt waren nochschwarz. Aber die Stirne, schon entblößt und kahl, tratscharf zurück und ließ einen Teil des Schädels sehen,dessen Spitze von einer Art Schopf gekrönt war.

Miragoane saß auf den Hinterbeinen und sah vollInteresse nach Menschen, Tieren und Gegenständen.Sorglos und frei von Leidenschaften, wärmte sie sichseelenruhig in der Sonne. Hin und wieder steckte sieden intelligenten Kopf vor und die spiralförmige Zungeleckte an dem geronnenen Blut der Kaninchenschnauze,das Télémaque aufgehängt hatte. Von diesem delikatenGenuß befriedigt, versenkte sie sich wieder in die ruhigeBetrachtung der Straße und nur ihr Schwanz bewegtesich leise.

Télémaque zog das Fell seines Kaninchens wieeinen Handschuh ab, legte das abgehäutete, in denschönsten Farben schildernde Tier auf ein kleines Tisch-chen, zerteilte es geschickt und breitete die einzelnen

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Stücke auf einer Schüssel aus. Dann trat er wieder in dieStube zurück, deren rückwärtige Tür in einen kleinen,mit Lauben geschmückten Garten führte. Als das Kanin-chenragout schön säuberlich zugerichtet war und dierote Kupferkasserolle auf dem Herde zu summen be-gann, setzte Télémaque sich nieder und versank inNachdenken. Seine Augen, die wie frisch gemalte Pup-penaugen aussahen, blickten starr und leblos. Télé-maque sah wohl etwas anderes vor sich als den Herd ausSteingutkacheln, den zinnernen Ausschank und die mitWachstuch bedeckten Tische, denn seine Lippen summ-ten einen sonderbaren, sanften Gesang und er schien zuAbwesenden zu sprechen. Schließlich erhob er sich, warfnoch einen Blick nach dem Kaninchenragout, das aufgelindem Feuer schmorte, und sagte: „Miragoane, hütedie Wirtschaft.“ Miragoane wandte ihn ihr kluges Augezu, ging bis zu der steinernen Schwelle und ließ sich mitwichtiger Miene darauf nieder. Télémaque stieg hinaufin ein sehr schönes Zimmer, dessen Einrichtung aus ei-nem Nußbaumschrank, einem Bett mit weißenBaumwollvorhängen und vier Tischen bestand, dientedem Wirt als Schlafzimmer und zugleich auch denSonntagsgästen als Speisesaal. Télémaque holte ausdem Schrank einen Kasten hervor, stellte ihn auf denTisch und öffnete ihn vorsichtig. In dem Kasten lagenverschiedene, in Seidentücher und Papiere eingewickel-te Gegenstände. Er entnahm ihm der Reihe nach einenroten Schal, Generals-Epauletten, ein Paar Ohrringe,Kreuz und Stern eines fremden Ordens, zuletzt einengroßen betreßten Hut, an dessen beiden Spitzen je eineungeheure goldene Quarte hing. Als diese Schätze aufdem Tisch ausgebreitet lagen, betrachtete Télémaque siemit dem erstaunten Blick seiner Kinderaugen, setztedann den Hut mit den baumelnden Quasten auf sein

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wolliges Haupt, hüllte sich in den roten Schal seinerFrau Olivette und bewunderte sich in dem kleinen Ra-sierspiegel. Er durchlebte in Gedanken sein Leben seitjenem Tage, da er General geworden war. Er schautenoch einmal den Prunk der Krönung seiner MajestätFaustins I., die blauen Mäntel der Herzöge, Prinzen undGrafen, die roten Fracks der Barone; er sah das schwar-ze Antlitz des Kaisers, unter einer Krone von Gold, sahseine Frau Olivette in einem Schleppkleid, wie sie auf ei-nem zweirädrigen Wagen angefahren kam und sich inder Mitte des Kirchenschiffs bei den Damen aufstellte.Alles war ihm gegenwärtig, die hunderterlei Farben derGewänder, die Kanonenschüsse, die Militärmusik unddie Rufe: Es lebe der Kaiser!

Noch einmal schaute er die prunkvollen Feste deskaiserlichen Palastes, den Glanz der Kerzen und derkristallenen Leuchtergehänge, die wunderbaren schwar-zen Büsten der Hofdamen, deren weiße Musselintaillenbei den rasenden Tänzen krachten. Noch einmal sah erseine Soldaten in der dürren, leuchtenden Ebene. InSchlachtordnung aufgestellt, präsentierten sie ihm dasGewehr. Und er selbst, der General Télémaque, dieHände auf dem Rücken verschränkt wie Napoleon aufden Kupferstichen, schritt die Reihen ab und sagte:

„Soldaten, ich bin mit euch zufrieden!“Düsterer wurden jetzt die Gemälde, die sich vor

seinem inneren Auge entrollten. Er schaute noch einmaldie Ereignisse, die zu seinem Fall geführt hatten. Als imDezember des Jahres 1851 Soulouque mit der Allmachtdes Kaisers zugleich seinen furchtsamen und kindlich-grausamen Charakter bewies und es sich einfallen ließ,der Republick San Domingo den Krieg zu erklären,nahm General Télémaque an der Spitze seiner Brigadean der Expedition teil, die von General Voltaire Castor,

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Grafen von Ile-à-Vache, angeführt wurde. Der Kaiserhatte in seiner Proklamation an die Armee gesagt: „Offi-ziere, Unteroffiziere, Soldaten! Die Männer des Ostens,die Rinderhirten von San Domingo, werden vor euchfliehen. Vorwärts!“

Voll Vertrauen auf das Wort seines Kaisers, ge-schmückt mit seinem Quastenhut, den Stern des kaiser-lichen Militär-Ordens vom heil. Faustin und den Groß-kordon der Ehrenlegion von Haiti auf seiner Brust, be-treßt und verbrämt marschierte General Télémaque bar-fuß in stolzer Haltung an der Spitze seiner schwarzenRegimenter, die die Vorhut bildeten, als plötzlich amSaum einer Bananenplantage eine kräftige Gewehrsalveihn überraschte. Erstaunt, empört, konsterniert, wandteer das vor Schreck entstellte Antlitz seinen Truppen zuund rief mit aufrichtiger Emphase: „Der Kaiser habenan der Nase geführt armes Volk“!

Bei diesen Worten des Generals machte die Briga-de kehrt und riß aus. Télémaque setzte seine Affenbeinein Schwung; keuchend, mit heraushängender Zunge,gewann er wieder die Spitze seiner Kolonne, ohne sichum Gewehre, Zelte, Munition und Zwiebackkisten zukümmern, die am Wege liegen blieben. Als Soulouqueden Bericht über diese militärische Operation entgegen-nahm, zitterte er an allen Gliedern, und um sich wiederMut zu machen, ließ er den General Voltaire Castor füsi-lieren. Er gab auch Befehl, den General Télémaque zuverhaften, der sich acht Tage in den Wurzelbäumen ver-steckt hielt.

Auf die Bitten der schönen Frau Sainte-Lucienahm der französische Konsul Télémaque auf undbrachte ihn an Bord der Najade, die ihre Anker mit demKurs auf Marseille lichtete. Bei diesem Punkte seiner Er-innerungen angelangt, nahm Télémaque die Miene ei-

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nes intelligenten Hundes an, der geprügelt worden ist,und wickelte die Epauletten, die Orden und den Hutwieder in die Seidentücher. Er sah unruhig zum Fensterhinaus, ob jemand in der Avenue vorbeiging, stellte denKasten mit den Kostbarkeiten in den Schrank, verschloßdiesen, stieg dann in die Schenkstube hinab und goß ei-nige Tropfen Wasser in die duftende Kasserolle, in deres summend schmorte. Die Uhr, die über den erhöhtenSitz am Ausschank aufgehängt war, zeigte die elfte Stun-de.

Ein Schwarm von kleinen Gassenbuben mit zer-zausten Schöpfen und durchlöcherten Hosen, aus denendie Hemdenzipfel hervorlugten, stürmte in einer großenStaubwolke gegen die Glastür an. Schrille Rufe entran-gen sich dieser Wolke.

Télémaque erschien auf der Schwelle; er hielt inden Händen eine Suppenschüssel angefüllt mit Geflü-gelknochen und Bratenresten, alles hübsch säuberlich inPapier eingewickelt. Miragoane saß aufmerksam undernst, mit wedelndem Schwanz, auf der Schwelle undüberwachte die Verteilung.

Das kleine Volk belagerte übereinander purzelnddie Beine des Gastwirts, der mit einem eigenartigen nä-selnden Tonfall kommandierte: „Richt euch!“

Die Kinder stellten sich in einer Reihe auf, mit an-gelegten Armen, vorgereckten Hälsen und vor Begehr-lichkeit weitaufgerissenen Augen.

Telemaque betrachtete sie einige Augenblicke mitheiterem Ernst, dann rief er: „Meldet euch zum Appell!Nummer eins . . . Nummer zwei . . . Nummer drei . . .“

Und er gab jedem seine Ration. Nummer eins,zwei und drei stoben von dannen; mit beiden Händenpreßten sie ihren Anteil an diesen Leckerbissen gegenden Bauch und verschlangen ihn, jeder in seiner Ecke,

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während ihre mißtrauischen Blicke in die Rundeschweiften. „Nummer vier . . . Nummer fünf . . . Num-mer sechs . . .“

Nummer sechs, ein Rothaariger, stieß Nummervier, ein hinkendes Bürschlein, dem sein Hühner-knochen in den Rinnstein fiel.

Miragoane spitzte das Ohr. Nummer vier hob denKnochen auf, und der General Télémaque, der nunmehrfür den Unterhalt seiner Armee gesorgt hatte kehrte anseinen Herd zurück.

Als er sich überzeugt hatte, daß das Ragout richtigkochte, zog er aus einer Schublade ein kleines, rot an-gestrichenes, hölzernes Gewehr hervor und riefMiragoane. Sie ließ die Ohren hängen und kam heranmit einer Miene, die zu sagen schien: „Du lieber Gott!Was soll das alles? Wozu das Leben nutzlos komplizie-ren? Es verursacht mir wirklich nicht die geringsteFreude, zu exerzieren. Ich tue es nur,. weil es meinemMeister Télémaque Spaß macht.“

Aufrecht auf den Hinterpfoten sitzend, preßte Mi-ragoane das kleine hölzerne Gewehr gegen ihren rosigenBauch.

„Achtung! Präsentiert das Gewehr!“Miragoane führte das Kommando aus. Aber ihre

Kniekehlen wankten; sie fiel auf die Vorderpfoten nie-der, ließ die Waffe auf den Fliesen liegen und ging, ihrFell schüttelnd, bis zur Türschwelle.

„Das war schlecht, ganz schlapp!“ sagte Télé-maque. Wir müssen morgen von vorn anfangen.“

Aber Miragoane stand unbeweglich auf derSchwelle, spitzte die Ohren und bellte dann zweimal auf.

Dann begann sie zwischen Schwelle und Herdhin- und herzulaufen, wobei sie ihre Krallen geräusch-voll auf die Steinfliesen aufsetzte.

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Remi, einen glockenförmigen Strohut auf demHaupt, betrat die Schankstube und gab sich Télémaquezu erkennen, der in seiner Freude ihm wortlos denRücken kehrte, um eine Flasche Weißwein zu entkor-ken.

„Sie sind’s, Mouché Remi,“ sagte der Neger, „Sie,Mouché Remi, der Sohn von Mouché Minister und dasPatenkind meiner armen Olivette, die in Port-au-PrinceKokosnüsse, Breiäpfel und Arac verkauft hat. Die bösenfarbigen Männer haben sie in ihrem Bazar getötet undihren Zuckerbranntwein ausgetrunken. Die Tat ist aus-führlich in gedruckten Buchstaben in den Staatsanzeigervon Haiti gebracht worden. Der Konsul, Mouché Morel-Latasse, hat es mir zu lesen gegeben. Es hat mir sehrweh getan, denn Olivette ist eine gute Frau gewesen.Wie ich mich freue, Sie zu sehen, Mouché Remi! Olivettewar nicht jung, als ich sie geheiratet habe. Man hat denTélémaque ausgelacht, der sich mit einer alten Frau ver-heiraten wollte; aber Télémaque hat gewußt, daß je ältereine Frau ist, um so besser kann sie kochen. Setzen Siesich Mouché Remi. Hier ist ein Weißwein, der nicht altwerden wird, denn wir werden ihn austrinken.“Und der Schwarze lachte über das ganze Gesicht.

Nachdem er die Flasche entkorkt, den Siegellackvom Flaschenhals weggeblasen und die Gläser gefüllthatte, wurde er nachdenklich und sagte: „Das Lebendauert nicht ewig, aber der Tod dauert ewig.“

Dann näherte er seine wulstigen Lippen dem Ohrdes jungen Sainte-Lucie und fügte leise hinzu:

„Darum hab ich droben einen Beutel mit einemnetten kleinen Sümmchen, davon will ich meiner Olivet-te ein schönes Grabmal setzen lassen.“

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Und wieder begann er zu lachen. Er erkundigtesich nach Frau Sainte-Lucie, die eine so schöne Damewar, und wollte wissen, was Remi in Paris anfinge.„Ich bereite mich zum Baccalaureat vor,“ antwortete derJüngling mit einem Gähnen.Télémaque wußte nicht, was das bedeutete, aber erdachte, daß es „was Gutes sein mußte“.Er stieß mit seinem Glas an, wobei er seine einfältigenAugen halb schloß. Dann fragte er, ob Remi Generalwerden würde.„Es ist schön,“ setzte er mit einem Seufzer hinzu, „es istschön. Aber ein General kann manchmal Unannehm-lichkeiten haben.“Remi, den der Schwarze belustigte, sagte:„Télémaque, Sie waren doch General unter dem bösenAffen Soulouque?“

Télémaque wurde unruhig. Seine dicken Lippenzitterten. Er stammelte:„Mouché Remi, man darf über den Kaiser nicht so spre-chen.“

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Remi hat von seinem Vater gehört, daß der Gene-ral eine entsetzliche Angst vor Soulouque hatte, den ernoch am Leben glaubte. Deshalb sagte er:

„Fürchten Sie, der Geist von Soulouque könntenachts kommen und Sie an den Beinen aus dem Bettziehen? Seine Majestät ist schon seit zehn Jahren tot.“

Der Schwarze schüttelte langsam den Kopf undSprach:

„Nein, Mouché Remi.“Remi konnte noch so oft versichern, daß Soulou-

que – wie allgemein bekannt im Jahre 1867 auf Jamaikagestorben sei – stets erwiderte der Schwarze:

„Nicht doch! Mouché Remi. „Der Kaiser ist nichttot, er hat sich versteckt.“

Und die Stirne des Generals Télémaque runzeltesich auf seinem harten Schädel.

Ein würziger Duft von Fleisch und Kräutern ent-strömte der kupfernen Schmorpfanne. Der Schwarzewurde wieder froh und fragte lachend:

„Jetzt wollen wir frühstücken, Mouché Remi.“In der mit wildem Wein umrankten Laube breite-

te er ein Tischtuch aus und legte zwei Gedecke auf. Derkleine Garten des Schankwirts grenzte an Salatfelder.Die Böschung der Eisenbahnlinie von Versailles be-grenzte den Horizont. Remi betrachtete gleichgültig die-se dürftige Landschaft, als Télémaque, bis über die Oh-ren grinsend, mit einer dampfenden Schüssel in denHänden zurückkehrte.

„Das ist was Gutes, Mouché Remi,“ sagte er.Und sie frühstückten mit großem Appetit.

Miragoane, die beauftragt war, während der Mahlzeitdie Schankstube zu bewachen, warf von Zeit zu Zeit denSchmausenden einen resignierten Blick zu.

Als das Kaninchenragout verspeist und der Wein

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aus Argentueil getrunken war, ergötzten sie sich amBrie-Käse, den sie auf feines Brot legten.

„Télémaque, Sie haben es hier sehr schön, sagteRemi, der sich hier ganz wohlfühlte.

Aber da es nun einmal in der Natur des Menschenliegt, unaufhörlich neuen Wünschen Raum zu geben,stieß Télémaque eine Seufzer aus und sagte:

„Wissen Sie, was meinem Lokal fehlt, MouchéRemi? Es fehlt ihm mein Portrait, ein gemaltes Bild vonmir in einem goldenen Rahmen. Mein gemaltes Portraitwürde sich sehr schön machen über dem Schanktisch.Ich habe dort oben in einem Beutel ein nettes Sümm-chen für das Grabmal meiner Olivette. Aber ich würdegerne einen kleinen Teil davon nehmen für Maler, dermein Portrait machen würde.“

Sainte-Lucie erwiderte, der General solle sein Por-trait bekommen, ohne daß das Mausoleum seiner PatinOlivette angetastet würde.

„Ich bin Maler,“ sprach er zu Télémaque, der wiegeblendet war. „Wenn ich wiederkomme, werde ich mei-ne Leinwand und meinen Malkasten mitbringen und IhrPortrait malen.“

Zwei Soldaten, die Miragoane durch ein Bellenmeldete, verlangten zwei Glas Bier.

Während Télémaque unter der Falltür der Keller-treppe verschwand, holte Remi, dem die Pfeife ausge-gangen war, auf dem Schanktisch ein Streichholz. Indiesem Augenblick sah er in der Avenue den kleinen al-ten Herrn vorbeigehen, den er in dem vergoldeten Salonder Damen der Rue des Feuillantines bemerkt hatte.Gewiß, es war derselbe kleine alte Herr, mit demselbenweißen Backenbart und demselben Regenschirm.

„Télémaque! Telémaque!“ rief Remi ganz auf-geregt.

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Die Falltür hob sich und Télémaque erschien wieein unterirdischer, aber gutmütiger Geist. Er lachte zwi-schen zwei Bierflaschen, die er rasch entkorken wollte,um sie den beiden Soldaten an ihrem einen Tisch zubringen. Remi jedoch packte den verblüfften Télémaqueheftig an seiner weißen Weste und zerrte ihn zur Tür-schwelle.

„Télémaque, kennen Sie diesen alten Herren?“fragte er, indem er mit dem Finger auf den gebeugtenRücken des alten Mannes wies.

Der Schwarze, der die beiden Flaschen an seineBrust preßte, erwiderte unter lautem Gelächter:

„Gewiß, Mouché Remi. Das ist ja mein Hausherr.Er heißt Mouché Sarriette. Ich will ihn bitten, in mei-nem Speicher verschiedene Reparaturen machen zu las-sen.“

Remi sagte hastig, ohne die Weste des Schankwir-ts loszulassen:

„Télémaque, verlangen Sie keine Reparaturen vondiesem alten Herren.“

Dann fügte er in fast drohendem Ton hinzu:„Zahlen Sie auch Ihre Miete, Télémaque?“Aber wie konnte man nur annehmen, daß der

Schankwirt, der seit einundzwanzig Jahren in demsel-ben Hause wohnte, seine Miete nicht zahlte?

Dann erfuhr Remi, daß Herr Sarriette für sehrwohlhabend galt, den größten Teil des Jahres in derNormandie verbrachte, wo er Ländereien besaß, undvon allen öffentlichen Denkmälern mit seinem Regen-schirm das Maß nahm.

Der begeisterte Jüngling rief:„Télémaque, ich werde Ihr Portrait malen. Ich

werde Sie als General malen mit vier Epauletten, inprächtiger Uniform, einen Hut mit roten Federn auf

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dem Kopf.“Aber der Schwarze setzte eine ernste und betrübte

Miene auf:„So wäre es sehr schön, Mouché Remi,“ sagte er.

„Aber man darf das nicht machen, des Kaisers wegen, ersich würde ärgern. Er hat sich versteckt. Sie werdenmich in einem schwarzen Anzug malen, und Sie werdendrei Diamanten an meinem Hemd anbringen.“

Remi stieg die Avenue von Saint-Germain hinab,und er, der doch sonst nie über etwas nachdachte undüber nichts, was in ihm oder um ihm herum vorging, er-staunt war, fragte sich – warum es ihn denn so ergriffenhatte, den alten Freund seiner beiden Nachbarinnenvorübergehen zu sehen.

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Lange hatte der Moralist Branchut über den perl-grauen Brief, die Dreikönigsnacht und das Rendevousam Brunnen nachgedacht, bis er den eigenartigen Zu-sammenhang dieser Ereignisse fand. Er lechzte nunnicht mehr nach dem Blut des jungen Sainte-Lucie, ja eskam so weit, daß in dem Geist des Philosophen derKreole mit diesen denkwürdigen Ereignissen überhauptnichts zu schaffen hatte. Allein mit der Hilfe innerlichs-ten Gefühles gelang es Branchut, die Wahrheit über sein

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Abenteuer zu erfahren.Voll Verachtung gegen die Behauptungen des

Kreolen der sich offen brüstete, den perlgrauen Briefverfaßt zu haben, wußte er mit der tiefen Gewißheit derIntuition, daß dieser Brief von einer wundervollen aberverzweifelten Frau geschrieben worden war, von einemseltenen , auserlesenen Wesen. Durch eine Reihe vonInduktionen, deren nur die Gehirnwindungen eines Me-taphysikers fähig waren, führte der Moralist den ein-wandfreien Beweis, daß diese Frau eine dänische Prin-zessin war, daß sie Vranga hieß und daß sie, geschmücktmit Gewändern voll seltsam melancholischer Stimmungzu dem Brunnen der vier Bischöpfe eilen wollte, jedochplötzlich in ihrem Boudoir tot hingefallen war, inmittenihrer tropischen Pflanzen, deren Duft – das Symbol ih-rer Liebe zu Branchut – köstlich aber todbringend war.

Als Branchut sich dieser stubilen und traurigenTatsachen durch subjektive Prüfung und innerliche Er-forschung bewußt wurde, teilte er sie seinem FreundeLabanne mit, der durchaus nichts Außergewöhnlichesdabei fand.

Den sukzessiven Entdeckungen zufolge, die Bran-chut über die Prinzessin Vranga machte, verfiel er einerüberschwenglichen Trauer.

„Ich muß durch außergewöhnliche Qualen süh-nen,“ sagte er, „ich muß es sühnen, daß ich den Tod die-ses Ausnahmewesens verursacht habe, das edel war wieein Rassepferd und klug wie Hypatia.“

Schmerzliche Zuckungen liefen über seine aus-drucksvolle Nase. Vranga war sein einziger Verkehr. Erlebte nur mit der Toten. In seiner Verzweiflung vergaßer, von Labanne Kleider zu entlehnen. In seine Pferde-decke wie in ein Bartuch gehüllt, irrte er voll stolzer Me-lancholie auf dem Boulevard Saint-Michel umher.

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„Ich trage Trauer, wie Sie sehen,“ sagte er zu denFreunden, die ihn anhielten.

Und er wies nach seinem Haupte, wo ein Tuch,das wohl ein Trauerflor sein sollte, um die Reste einesHutes gewunden war. Während nun der PhilosophBranchut um die Prinzessin Vranga trauerte, bezeugteSainte-Lucie der Wirtin des ‚Dürren Katers‘ eine stetswachsende Gleichgültigkeit. Er wagte sich nie mehr al-lein in diese Gaststätte und vermied es, sich von seinenGefährten auch nur zu entfernen, um etwa von einemTisch in der Nähe des Wasserhahns, an dem Virginiaunaufhörlich ihre Gläser spülte, die Streichhölzer zu ho-len.

Er wurde ernsthaft und malte mit großem Eifer.Übrigens arbeitete jetzt in Labannes Atelier ein vier-schrötiger, muskulöser Kerl; die Ärmel aufgekrempeltund das Hemd über der zottigen Brust weit geöffnet,malte er den ganzen Tag mit Feuereifer und ohne einWort zu sprechen. Sein erdfahler, ausgemerkelter, voneinem ungepflegten Bart umrahmter Bauernkopf drück-te nicht das geringste Gefühl aus; die runden Augenschauten immer, doch ließen sie nie etwas sehen. Es warPotrel; jener Potrel, über dessen Undankbarkeit Virginiaöffentlich klagte. Aus Fontainebleau zurückgekehrt, woer zwei Jahre fleißig gemalt hatte, arbeitete er jetzt beiLabanne, bis das Atelier frei wurde, das er am Montma-tre gemietet hatte.

Potrel sprach wenig und schlecht. Über seineLeinwand gebeugt, die Palette in der Hand und mit blin-zelnden Augen, gab er auf Labannes Theorien stets nurdie eine Antwort: „Schon möglich.“ Eines Tages sagteLabanne zu ihm: „Da das Absolute nicht realisierbar ist,kann der Künstler nie die absolte Schönheit verwirkli-chen.“

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Schon möglich,“ erwiderte Potrel.Und er malte weiter.Er ließ ein Modell kommen, einen prachtvollen

kleinen Italiener, einen weinerlichen Schelm, der seinenTabak stahl.

Sainte-Lucie hatte jetzt Gelegenheit, sich im Akt-zeichnen zu versuchen. Wenn Potrel von seinem Sche-mel aufstand um seine erstarrten Glieder zu recken, gaber Remi einige knappe, deutliche Anweisungen und gingdann gleich wieder an sein Werk.

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Eines Morgens jedoch kratzte er sich den Bart undkaute an seinen Fingernägeln.

Remi fragte ihn, warum er nicht arbeite. Potrelstreckte die Hand in der Richtung des Fensters aus undsagte:

„Dieses verfluchte Spielzeug hindert mich am Ma-len.“

Das Spielzeug war nichts anderes als die Sonne,die eine blendende Helligkeit im Atelier verbreitete.

Potrel aß viel. Er ging in die Kutscherkneipen.Kam Remi auf den ‚Dürren Kater‘ zu sprechen, so be-gnügte Potrel sich mit einem Lächeln. Eines Tages je-doch fragte er, ob Virginia noch immer so schöne For-men hätte. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelanges Remi endlich, Potrel eines Abends in die Gaststätteder Rue Saint Jacques zu schleifen. Virginia, rot wie einePfingstrose, brachte dem Undankbaren ein Stück Schin-ken.

„Essen Sie nur, Herr Potrel,“ sagte sie. „Er ist gut,er ist zart. Sehen Sie, das Fett ist ganz weiß. Sie trinkennicht? Versuchen Sie dieses Bier; ich habe es letztenMonat auf Flaschen gefüllt. Früher haben Sie gerne Biergetrunken.“

Potrel aß und trank, indessen Virginia, von einemseraphischen Lächeln verklärt, neben seinem Stuhlstand und bei jedem Bissen, den dieser schweigsameund robuste Mann aß, in Extase geriet.

Remi verließ die Gastwirtschaft, ohne daß Virgi-nia es beachtete.

Und er atmete erleichtert auf, wie ein Mann, demeine große Last vom Herzen gefallen ist.

Auf dem Heimweg traf er den Portier vom Hauseder beiden Damen, der in die Weinkneipe ging, und sahdie Hausmeisterin in ziemlicher Entfernung mit der

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Obsthändlerin schwatzen. Ein plötzlicher Einfall durch-zuckte ihn; er betrat die vereinsamte Hausmeisterloge,um zu sehen, ob er dort nicht den Namen der Damendes vierten Stockes entdecken könnte. Auf dem Briefge-stell fand er die Aufschrift: Frau Lourmel, Rentnerin.Tags darauf sah er von seinem Fenster Fräulein Lour-mel, als sie den Vögeln in einem kleinen PorzellannapfTrinkwasser einfüllte. Ohne es zu wollen, betrachtete ersie mit lebhafter, warmer Sympathie. Sie sah ihn undwandte nur langsam ihren naiven, beherzten Blick vonihm ab. Er bemerkte, daß sie kein Kind mehr war, unddaß sie hübsch aussah.

In jener Zeit ging er jede Woche einigemal nachCourbevoie. Télémaques Portrait machte gute Fort-schritte. Es war ein sehr schlechtes Portrait. Aber Télé-maque war begeistert. Am Abend, sobald seine Schank-wirtschaft geschlossen war, stellte er das Portrait aufeinen Tisch zwischen zwei Kerzen und tanzte die Kalen-da, oder summte mit sanfter, näselnder Stimme:

Canga do ki la,Canga li.

Mirangoane saß auf ihren Hinterbeinen undwohnte ernsthaft dieser Zeremonie bei.

Eines Tages ließ sie es sich einfallen, an der nochfrischen Nase des Portraits zu lecken. Der hierdurchentstandene Schaden war jedoch bald wieder ausgebes-sert.

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Einen Augenblick lang bedauerte Télémaque, daßnicht auch Olivette im roten Schal neben ihm auf derLeinwand zu sehen war. Aber er fand sich damit ab, undtanzte von neuem die Kalenda.

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Beim Aufstehen dachte Remi daran, daß er Tagszuvor das Portrait des Generals Télémaque vollendethatte und daß es, in seiner Art, doch eine hervorragendeArbeit war. Mit Vergnügen sah er in dem Rahmen desgegenüberliegenden Fensters die beiden kleinen Händedie Klaviertasten bearbeiten; sie waren nicht mehr rotund ihr Spiel schien viel weicher. Aber er bemerkte, daßder Kronleuchter von einer Musselinhülle umschlossenwar und daß in der sonst so friedlichen Wohnung eingroßes Durcheinander herrschte. Die kleinen Händeschlossen das Klavier, verschwanden, dann erschienensie wieder mit Saffiantaschen und Hutschachteln. Remi,der ein wichtiges Ereignis nahen fühlte, harrte aufseinem Beobachtungsposten aus und spähte auch nachden Zugängen des Platzes.

Nachdem er zwei Stunden Posten gestanden hat-te, sah er den Hausmeister beladen mit einer Pyramidevon Koffern und Schachteln. Ein Mietwagen hielt vorder Tür und das Dienstmädchen von Frau Lourmeltürmte noch weitere Reisetaschen und Schachteln indem Wagen auf.

Da packte Remi seinen Malkasten, leerte den In-halt der Geldschublade seines Schreibtisches in seineTaschen und stürzte barhaupt, in Hausjoppe und Pan-toffeln, über die Treppen hinab und auf die Straße. Erhielt eine vorbeifahrende Droschke an und rief dem er-staunten Kutscher zu, er solle dem Wagen folgen, indem er soeben den Saum eines Rockes hatte verschwin-den sehen und der sich schon unter seiner schwanken-den Pyramide in Bewegung setzte.

Die beiden Wagen durchquerten Paris und hielteneiner hinter dem andern, im Hof des Bahnhofs Saint-Lazare. Remi folgte den beiden Damen; in seinem Haus-gewand stieg er auf ihren Spuren die Stufen des

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Bahnhofs empor. Fräulein Lourmel wandte den Kopf,um sich diesen sonderbaren Reisenden anzusehen, densie wieder erkannte. Sie sah ihn mit einem Staunen an,das zugleich auch Spott und Bewunderung ausdrückte.Er gesellte sich zu Frau Lourmel an den Schalter, hörte,wie sie zwei Billetts nach Avranches verlangte, nahmhierauf gleichfalls ein Billett nach Avranches und seufzteerleichtert auf. Es war zwölf Minuten nach vier, der Zugsollte um vier Uhr fünfunddreißig abfahren. Frau Lour-mel ging mit ihrer Tochter das Gepäck aufgeben. Remibrauchte in dieser Hinsicht keine Formalitäten zu erfül-len, aber er mußte noch einige nützliche Einkäufe erle-digen. Er lief zu einem Kleiderhändler der Rue Pépinie-re, nahm wahllos zwei, drei Anzüge und bezahlte denHändler, der nicht übel Lust hatte, diesen sonderbarenKunden festnehmen zu lassen. Aber Remi stieß jetzteinen verzweifelten Schrei aus:

„Schuhe!“ rief er, „Ich brauche Schuhe!“Der Händler, ein schöner Israeli mit einem Zie-

genbockkopf und zuvorkommenden Mund, aber uner-bittlichen Augen, erwiderte kalt, daß er den „ArtikelSchuhe nicht führe“.

„Geben Sie mir Ihre Schuhe!“ schrie Remi ver-zweifelt.

Aber der Israeli, der immer unruhiger wurde,machte eine so finstere Miene, daß Remi in seinen Pan-toffeln mit den Anzügen davonlief. Er zog einen unter-wegs im Gewühl der Straße an. In einem der nächstenGeschäfte riß er im Vorbeilaufen eine Hut vom Hakenund bezahlte ihn. Es war vier Uhr siebenundzwanzig.Remi stürzte zum Bahnhof und betrat um vier Uhr zwei-unddreißig den Wartesaal, der vielleicht noch nie einenReisenden in Pantoffeln gesehen hatte.

Zwei veilchenblaue Augen, die ihn bei seinem Ein-

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tritt willkommen hießen, schienen ihm zu sagen: „Wirhaben Sie erwartet. Sie sehen ja recht sonderbar aus mitIhrem braunen Teint, ihrem schief sitzenden neuen An-zug und Ihren Morgenschuhen. Aber wir fürchten unsnicht vor Ihnen und sind nicht gekränkt. Sie scheinengutmütig zu sein und haben ein kühnes Aussehen, dasuns nicht mißfällt. Mehr haben wir Ihnen nicht zu sa-gen. In allem übrigen wenden Sie sich an Mama.“

War dies die Sprache der beiden Veilchenaugen,so verrieten die Blicke von Frau Lourmel jene Art Unru-he, die man an jeder Henne sehen kann, wenn man ei-nem ihrer Kücken Krümchen streut, um es zu locken.

Remi, voller Taktgefühl, ließ Mutter und Tochterallein in ihrem Abteil und suchte sich einen Platz am an-deren Ende des Zuges. Als er auf seiner Bank saß, fragteer sich zu allererst, wo, wann und wie er sich Schuhekaufen könnte, dann zählte er sein Geld nach, und als ernoch einundzwanzig Franks und fünfunddreißig Centi-mes vorfand, war er ganz beruhigt. Schließlich fragte ersich, ober er nicht am Ende gar in Fräulein Lourmel ver-liebt sei.

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Acht Tage nach Remis Abreise wurde Herr Godet-Laterrasse plötzlich von einem pädagogischen Eifer er-faßt.

Er begab sich – den Tactitus in der Tasche – nachdem Hotel der Rue des Feuillantines. Dort erfuhr er, daßsein Schüler verschwunden sei.

Eine Wolke glitt über seine Stirn, diese erhabeneStirn, die, wäre sie in Spiegel gewesen, nur den blauenHimmel gespiegelt hätte, die Möwen des Stillen Ozeansund die Gestirne beider Welten. Höhere Geister werdenhäufiger als gewöhnliche Sterbliche mit Vorahnungenbegnadet. Herr Godet-Laterresse hatte eine Vorahnung.Deshalb begab er sich – einer alten Feindschaft entsa-gend – zum Atelier von Labanne.

Der Bildhauer, der keine Ahnung von Zeit undRaum hatte, konnte ihm nichts sagen. Er führte ihn aberzu ihrer gemeinsamen Nährmutter, Virginia, die dasVerschwinden des jungen Sainte-Lucie auf einen Kum-mer schob, über dessen Art sie sich nicht aussprechenwollte. Sie ließ jedoch durchblicken, daß sie jenem Er-eignis nicht ganz fern stehe. Sollte, wie sie fürchtete,Herr Sainte-Lucie, einem Liebeskummer zum Opfer ge-fallen sein, so täte es ihr außerordentlich leid. Aber mankann doch nicht jedermann zufrieden stellen, wenn mannicht eine Frau ist wie leider so viele andere. Sie habenichts getan, was Herrn Remi ein Recht gegeben hätte,auf Herrn Potrel eifersüchtig zu sein. Sie schloß mit derErklärung, daß sie eine anständige Frau sei und sichnichts vorzuwerfen habe; dann rief sie das Bildnis desDürren Katers zum Zeugen ihrer Unschuld an und kehr-te in das Dunkel zu ihren Gläsern zurück, wo sie diegewohnte Arbeit des Spülens wieder aufnahm.

Herr Godet-Laterrasse stieg sorgenvoll auf dieHöhen des Montmartre zurück.

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Am nächsten Morgen fuhr auf einem Omnibus-deck wieder hinab und begab sich in das Atelier, das erzum Mittelpunkt seiner Unternehmungen erkoren hatte.Dort traf er den Moralisten Branchut, der, in seine De-cke gehüllt, eine Abhandlung über die Liebe schrieb.Ganz von seinem Gegenstand erfüllt, legte Branchut so-gleich los.

„Eine absolute Liebe gibt es nur zwischen zweiWesen, die sich nie gesehen haben. Nur bei ewiger Tren-nung ist die Harmonie zweier Seelen vollkommen. Ein-samkeit ist die notwendige Bedingung für die letztegroße Leidenschaft.“

Herr Godet-Laterrasse widerstand der Versu-chung eines Wortgefechtes in diesen erhabenen Regio-nen. Er fragte den Moralisten ob er Sainte-Lucie gese-hen habe.

Branchut hatte keine Ahnung vom Verschwindendes Kreolen. Im Gehirn des Philosophen blitzte eineuntrügliche Intuition auf. In einem einzigen Augenblickwurden ihm viele Dinge enthüllt. Seiner Überzeugungnach stand dieses Verschwinden in innigstem Zu-sammenhang mit dem Tode der Prinzessin Vranga. Dasschmachvolle Verhalten des Herrn Sainte-Lucie bei dembeklagenswerten und poetischen Hinscheiden der Prin-zessin hatte – nach dem Dafürhalten des Moralisten –ewige Reue in der Seele des jungen Mannes hinterlas-sen, der nur dem Anschein nach leichtfertig, in Wirk-lichkeit jedoch gewissenlos war.

„Es war notwendig, daß die Prinzessin Vrangastarb,“ fügte der Philosoph mit gelassener Heiterkeithinzu. „Sie mußte sterben, damit die Liebe, die sie zumir gefaßt hatte, sich im Absoluten realisieren konnte.Dadurch aber, daß er wiederholt die Briefe abfing, diedie Prinzessin an mich schrieb und deren Inhalt ich

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durch Intuition festgestellt habe, und durch seine teufli-sche Ironie, mit der er nur ihren letzten Brief in meineHände gelangen ließ, hat Herr Sainte-Lucie ein Verbre-chen begangen, das ihn sehr wahrscheinlich zum Selbst-mord geführt hat.“

Also sprach Branchut mit zuckender Nase undblutunterlaufenen, verstörten Augen in dem fahlen, rot-gefleckten Gesicht.

Noch rechtzeitig kehrte Labann zurück; er führteder verzweifelten Mentor, der mit seinem Regenschirmganz sinnlos in der Luft herumfuchtelte, auf die Straße.

„Mein armer Moralist!“ sagte Labanne, „nie warer von erhabeneren Gedanken erfüllt. Ein KörnchenPhosphor in seinem Gehirn – und er wäre ein Genie!Aber es sind zwei Körnchen geworden. Das ist sein Un-glück.“

Es fiel Labanne ein, daß Saint-Lucie voller Begeis-terung von einem schwarzen General gesprochen hatte,einem Schankwirt in Courbevoie. Der Bildhauer meinte,dieser Neger könnte etwas wissen; übrigens wollte erselbst ihn gerne kennen lernen.

Sie kletterten auf das Verdeck einer Trambahn,die sie bis zur Place de l’Etoile brachte. Instinktivmachte Labanne vor dem ersten Kaffeehaus halt, andem sie vorbeikamen, bestellte Bier und erging sich inendlosen Reden. Herr Godet-Laterrasse erwiderte aus-führlich. Labanne hörte ihn nicht an antwortete aber.Wunderbare Theorien wurden da beim Bier entwickelt.

Plötzlich fuchtelte der Bildhauer mit dem Daumenin der Luft herum und sagte:

„Es gäbe eine Möglichkeit, das Ding dem Auge er-träglicher zu gestalten.“

Das Ding war der Triumphbogen.„Das Mittel ist einfach. Sie können jedoch über-

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zeugt sein, daß man es nicht anwenden wird. Es würde schon genügen, am Fuße des Denkmals etliche Pfuscher, Skribenten und Kartoffelberater anzusiedeln; letztere wären sehr wichtig des Qualmes wegen. Die Buden müßten armselig sein, auf den Schildern fehlerhafte In-schriften und unflätige Darstellungen. Den Ansiedlern müßte gestattet sein, die für ihre Buden erforderlichen Bausteine am Denkmal auszubrechen, hauptsächlich an den Kanten, - die harten Konturen wären dadurch bald vorteilhaft verändert. Die also entstandenen Löcher müßten mit Erde ausgefüllt und Buchecker und Eicheln ihre grünen Büsche entfalten. ist die Eintönigkeit der grauen Oberfläche unterbrochen; die Wurzeln dringen in das Mauerwerk ein und spalten es in malerischen Verschlingungen. Efeu braucht man in großen Mengen, doch an diesem Rankengewächs ist kein Mangel; es lebt auf dem Stein. Die Vögel und der Wind säen in den Schutt der Spalten den Goldlack, der das alte Gemäuer liebt, und tausend andere Gräser. Der Steinbrech, der die Feuchtigkeit sucht, Disteln und wilder Wein wu-chern allüberall. Auf dem Gipfel des Denkmals nisten die Tauben und unter den Wölbungen bauen Schwalben ihre Nester.

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Bei Anbruch der Nacht locken die Kadaver der Sie-benschläfer und Feldmäuse ganze Rabenschwär-

me an. Dann erst, so von kluger Fürsorge in-stand gehalten, ist der Triumphbogen wert,

von Dichtern besungen von Malern ge-malt und als Kunstwerk bewundertzu werden. Kellner, ein Bier!“ Die

Nacht brach an. Der Künstler und der Denker gaben es

auf weiter zu steuern und kehrten mit der

Tram-Bahn nach dem Montpar-

nasse zu-rück.

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Während Frau Lourmel sich mit ihrer Tochter andem einsamen Strand, einige Kilometer von Avranchesentfernt, in einem kleinen, grauen Haus mit Strohdacheinrichtete, begab sich Remi frohgemut und von der sal-zigen Meeresluft angeregt mit seinem Malkasten aufeinen Jahrmarkt in der Umgegend.

Er hatte nur noch vierzehn Franks und siebzigCentimes, aber er war jetzt wenigstens im Besitz vonSchuhen. Reihenweise standen die Karren an den Zu-gängen des Platzes. Unter dem Bäumen herrschte eingroßes Durcheinander von hochroten Köpfen und blon-den Bärten, von Kälberrücken, an denen der Kot sichabschuppte, von Hörnern, Rüsseln, schimmerndenKruppen und weißen Hauben. Das Quietschen derSchweine, die von den Wagen gezerrt wurden, be-herrschte das verworrene Getöse von Mensch und Vieh.

Während die Frauen mit goldenen Ketten überden baumwollenen Halstüchern, steif und starr in ihrenglatten Röcken neben den Karren standen und scharfaufpaßten, schlossen die Männer in den bauschigenblauen Blusen beim Apfelmost die Geschäfte ab, drin-nen in der Schankstube, die voller Fliegen war.

Remi ging unter dem Stechpalmenzweig in dieSchankstube hinein und ließ sich mit Papier und Blei-stiften an einem der Tische nieder.

Er zeichnete der Reihe nach alle Bauern, die ihnanstarrten. Er verlangte einen Frank für jedes Portrait.Aber die Börsen lockerten sich nicht.

„Holt eure Liebsten herbei,“ sagte der Künstler.„Ich werde sie zeichnen.“

Die Menge geriet in Bewegung, einige besonderslustige Burschen zerrten eine dralle Dirne vor. Sie warpurpurrot, fast violett, und lachte über das ganze Ge-

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sicht. Remi verfertigte eine Skizze, auf der das Mädchenan ihrer Haube und an ihrem Kreuz zu erkennen war.

Einer der fröhlichsten Kumpane holte aus seinemWollstrumpf das blanke Geldstück für den Maler hervorund barg das säuberlich zusammengefaltete Blatt unterseinem Fuhrmannskittel.

Man war der Ansicht, daß der fremde Künstler dieÄhnlichkeit gut treffe, und Remi zog mit einigen blan-ken Geldstücken von dannen.

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Er übernachtete in der bescheidensten Herbergejenes Dorfes, in dem Frau Lourmel sich niedergelassenhatte, und erschien am andern Morgen am helleuchten-den Strand, wo die bunten Kabinen neben einander auf-gereiht waren.

Tiefblau war das Meer am Horizont; es stieg lang-sam und verebbte auf dem Sand in öligen, grünen, mitweißem Schaum gesäumten Wellen.

Ein feuchter, milder Himmel, dieser schmeichleri-sche, tückische Himmel, der die zarte Haut der Städterverbrannte, wölbte sich über dem kreisförmigen Hori-zont. Der leichte Wind, der von der offenen See herüber-wehte, spielte neckisch mit den Toiletten der Pariserin-nen.

Schlanke Frauen im Badekostüm, das Haar in ei-ner Wachstuchhaube, liefen den Wellen entgegen. Remisah Fräulein Lourmel, deren Schleier im Winde flatter-te.

Er wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen,aber an der Biegung eines schmalen Weges, der sich amStrand verlor, sah er Herrn Sarriette auftauchen, Herrn Sarriette mit seinem weißen Backenbart und seinemRegenschirm.

„Guten Morgen, Herr Sarriette,“ sagte er zu demüberraschen alten Herrn.

Nach Verlauf einer kleinen Viertelstunde warensie die besten Freunde.

„Ich liebe die alten Bauten,“ sagte Herr Sarriette.„so wie Sie mich hier sehen, habe ich mich dreiWochenlang damit beschäftigt, alle Mauern der Abtei des MontSaint-Michel zu messen. Aus einer mir eigentümlichenGewohnheit habe ich mich meines Regenschirms be-dient, um die Maße zu nehmen. Die Wälle sind im Quer-schnitt zweiundsiebzig Regenschirme hoch; die Säulen

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des Kirchenschiffes sind nicht weniger als siebenund-dreißig Regenschirme, drei Griffe und zwei Zwingenlang.“

Herr Sarriette war entzückt, als er erfuhr, daßRemi Maler war. Sie verabredete, die ganze Umgegendvon Avranches gemeinsam zu erforschen. Herr Sarriettesollte die historischen Denkmäler mesen und Remi die-selben skizzieren.

„Bitte, stellen Sie mich Frau Lourmel vor,“ sagteRemi.

Der alte Herr stellte vor: „Herr Remi Sainte-Lucie,Sohn des einstigen Ministers von Haiti,“ und Remi ver-neigte sich vor Frau Lourmel, die vor Überraschungstumm blieb, und vor dem jungen Mädchen, dessenVeilchenaugen sich weit öffneten, indes ihr Mund lä-chelte.

Am Abend desselben Tages lehnte Frau Lourmelmit ihrer Tochter am Fenster, sie atmeten die salzge-tränkte Luft ein und blickten nach dem Mond, der ausdem glitzernden Meere auftauchte.

„Aber mein Kind,“ sagte Frau Lourmel, „wir wis-sen wissen nichts über seine Familie, über seine Vermö-gensverhältnisse, über seinen Lebenswandel.“

„Aber Mama, ich liebe ihn,“ rief das junge Mäd-chen in kühner Unschuld.

„Wie kannst du das sagen, Johanna?“ erwidertedie Mutter. „Du kennst ihn ihn doch nicht.“

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Und Johanna na, deren schöne Augen in schelmi-scher Zärtlichkeit erglänzten, erwiderte:

„Mama, ich kenne ihn nicht, aber ich habe ihn wieder

erkannt.“

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Herr Alidor Sainte-Lucie, der seit zwölf Stunden in Paris weilte, hatte seinen Sohn noch nicht gesehen. Vergeblich hatte er am Bahnhof nach ihm Ausschau ge-halten, vergeblich im Hotel auf ihn gewartet. Dieses Fernbleiben kränkte ihn, seine von der langen Reise er-schütterten Nerven verspürten noch auf der friedlichen Hotelmatratze das Stampfen des Dampfers und das Rüt-teln des Schnellzuges. Unzufrieden wachte er auf. Das sonderliche Unbehagen, das auf seinen Gliedern lastete, quälte auch sein Gehirn.

In eine Droschke zurückgelehnt, die über die Pflastersteine der steilen Straßen ratterte, dachte er –schlecht gelaunt – über die Erziehung seines Sohnes nach, die Herr Godet-Laterrasse so energielos leitete. Vier Jahre waren verflossen, und Remi hatte das Bacca-laureat immer noch nicht bestanden. Herr Sainte-Lucie hatte ein anderes Resultat erwartet, als er einen armen, aber überlegenen Menschen zum Mentor erwählte. Er hatte sich mehr von Herrn Godet-Laterrasse verspro-chen, der in den politisierenden Kaffees so beredt und so unerschütterlich war. Die Briefe, die er von dem Mentor erhielt, hatten ihn wegen ihrer nichtssagenden Hohlheit geärgert. Jetzt war er außerdem noch wütend auf Remi, weil dieser nicht an den Bahnhof gekommen war, den Vater zu umarmen und abzuholen, wie es sich gebührte. Der Duft von gebratenem Fisch reizte seine Geruchsnerven. Langsam stieg die Droschke die Anhöhe hinan, von einem mageren Gaul gezogen, der Kopf und Zunge hängen ließ und seinen Rücken ruhig der Peit-sche darbot. Endlich hielt der Kutscher, ohne einen Ton verlauten zu lassen. Vor dem Wagenschlag stiegen die hundertsechzig Stufen der Passage Cotin zu steiler Höhe an. Herr Alidor verließ den Wagen und gab dem Kut-scher ein Fünffrancestück. Der Kutscher, ein riesenhaf-

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ter, staubbedeckter Kerl mit finnigem Gesicht, stecktedas Geldstück zwischen die Zähne, ohne einen Ton zusagen. Dann begann eine lange stumme Szene. Langsambewegte der Kutscher seinen ungeheuren Körper aufdem Sitz, wühlte in einer seiner vielen Taschen, zogeinen Beutel halb hervor, hielt inne, um den unruhiggewordenen Gaul zu besänftigen, erforschte eine andereTasche, fuhr einige Schritte weiter, um einem Last-wagen auszuweichen, dem er gar nicht im Wege war,kehrte die Taschen seiner roten Weste um und wiesschließlich dem aufgebrachten Passagier sieben Sousvor. Das war alles, was er herausgeben konnte. Er hattekein Kleingeld. Herr Alidor kehrte ihm wutschnaubendden Rücken und hörte noch, wie jener schimpfend aufsein Pferd lospeitschte.

Die tadellosen Lackschuhe kamen auf den klaffen-den Steinen der Passage Cotin zu Schaden. Stufe fürStufe stiegen sie den steilen Pfad hinan, der an diesemHochsommertag denkbar widerwärtige, verpesteteDünste ausströmte. Schließlich, nachdem er noch aufden glitschigen Stufen der Haustreppe ausgeglitten war,zog Herr Alidor an dem Glockenstrang, der über dervermoderten Türe hing. Nach einer ziemlich langen Stil-le öffnete sich die Tür ein wenig und ließ einen Kopf se-hen, der mit einem bunten, halbseidenen Tuch umwi-ckelt war. Jäh aus seinem Schlaf gerissen, war der höhe-re Mensch in aller Eile in eine Hose gefahren, die ein ur-alter, abbröckelnder Schmutz bedeckte. Feuchter Ta-baksdunst lag schwer über dem Zimmer. Ein grünliches,vielfach gebrochenes Tageslicht drang mühselig durchdie schmutzigen Scheiben. An den Wänden stakenpolitische Karikaturen auf Stecknadeln. Der Waschtischwar mit zerfetzten und schmierigen Büchern beladen.Ein Stück Seife, ein Kamm und ein halbes Brötchen

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lagen neben Manuskripten und Wörterbüchern auf demSchreibtisch. Dieses schmachvolle Elend offenbarte einesolche Gewöhnung an Unordnung und Faulheit, daßHerr Sainte-Lucie nach einem einzigen Blick über diesesZimmer den Mentor besser kannte, als wenn er ihnzwanzig Jahre hindurch von Kaffeehaus zu Kaffeehausbegleitet hätte. Der unglückliche Kreole bemühte sich,durch eine würdige Haltung die Schmach seiner Woh-nung auszumerzen.

„Entschuldigen Sie,“ sagte er zu dem einstigenMinister, „daß ich Sie in der Unordnung der Zelle einesmodernen Anachoreten empfangen muß.“

Sich aufrichtend , fügte er hinzu:„Wir sind die Benediktiner des 19. Jahrhunderts!“Und verstohlen ließ er Kamm und Bürste, die sei-

nen Arbeitstisch entwürdigten, in seinen Taschen ver-schwinden.

Herr Sainte-Lucie hätte in seinem Innersten er-kennen müssen, daß er sich selbst getäuscht hatte, - daßer nicht getäuscht worden war. Wie hätte wohl auchHerr Godet-Laterrasse jemanden täuschen können?Dieser dreckige Schlucker war erbarmungswürdig. Aberwenn es ein Gefühl gab, das Herrn Alidors Seele fremdwar, so war es das Mitleid. Er konnte nur sich selbst ver-antwortlich machen, und das verzieh er dem unschuldi-gen Mentor am allerwenigsten. Vor Wut biß er die Lip-pen zusammen und seine Blicke wurden finster. Baldaber empfand er es als besonderen Genuß sich zu ver-stellen. Der starke Mann gab seiner Stimme einen sanf-ten, fast schmeichlerischen Tonfall, um zu sagen:

„Mein lieber Godet, entschuldigen Sie, daß ich Sieso im Bett überrumpelt habe. (Welch einen Blick warf erauf jenes Möbel, das er höflicherweise ein Bett nannte!)Mein erster Besuch galt Ihnen. Wir wollen Remi überra-

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schen, dem ich meine Ankunft mitteilte, der sich abernicht weiter darum bekümmert hat. Ich will ihm ordent-lich die Wahrheit sagen.“

Bei diesen Worten schüttelte ein Schauer des Ent-setzens den Mentor, der, so hoch er auch den Kopf zu-rückwarf, immer über sich das rätselvolle Antlitz desMulatten sah.

Er versuchte ein Lächeln und stammelte, er habeRemi für diesen Tag beurlaubt, der Student werdesicherlich einen Ausflug gemacht haben.

Der Unglückliche hatte nur einen Tag gewonnen.Er verbrachte ihn mit vergeblichem Suchen, das ihn völ-lig erschöpfte. Am nächsten Morgen, um acht Uhr, er-schien Herr Sainte-Lucie wieder in der Zelle, die der Be-nediktiner des 19. Jahrhunderts ein wenig in Ordnunggebracht hatte. Er selbst erwartete Herrn Sainte-Luciein weißer Krawatte und mit jenem stoischen Ausdruck,der ihm bei allen Zeremonien ein so bemerkenswertesAussehen verlieh. Es quälte ihn nicht allein die Furchtvor dem einstigen Minister des Kaisers Soulouque. Seingeringer Kredit in der Wirtschaft der Impasse duBaigneur war erschöpft, und da er nur noch zwanzigSous besaß, verzweifelte er an einem Ausweg. In diezweihundert Franks, die er jeden Monat am HaiitischenKonsulat erhob, wurde regelmäßig eine starke Breschegeschlagen durch die Anzahlungen,die er den verschie-denen Lieferanten machte. Denn er war ehrlich. DerRest dieser Summe verblieb nie lange in seinen Händen.Gold auszustreuen war seine Lieblingsgeste.

Er folgte Herrn Sainte-Lucie in einem Übermaßvon Unruhe, das ihn betäubte, blendete, vernichtete undallmählich sich in Gleichgültigkeit wandelte. DurchHerrn Alidors Stimme, die dem Kutscher Remis Adressenannte, aus diesem Taumel aufgeschreckt, versuchte er,

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noch einige Stunden Zeit zu gewinnen. „Lieber HerrSainte-Lucie,“ sagte er, „wir können nicht damit rech-nen, Remi jetzt anzutreffen; er wird erst nachmittags,zur gewohnten Stunde, zu Hause sein.“

Der mißtrauische Mulatte hegte den Verdacht,daß man ihm etwas verheimlichte. Es bereitete ihm bei-nahe Vergnügen, jede Verfehlung in seinem Gedächtniszu notieren, und voll heuchlerischer Gutmütigkeit erwi-derte er:

„Wohlan, gehen wir also frühstücken. Sie werdenhungrig sein, Herr Godet.“

Sie frühstückten in einem Kaffee am Boulevard.Der Mentor konnte nicht essen und beobachtete mitEntsetzen, wie der riesenhafte Mulatte diese ungeheue-ren Fleischmassen verschlang, die ihn bei Kräften er-hielten. Noch nie war ihm dieser Mann so groß undmächtig erschienen. Aus den Manschetten, die mitgoldenen Knöpfen geschlossen waren, ragten riesigeArme und bronzene Muskeln hervor. Herr AlidorSainte-Lucie sprach mit fast kindlicher Sanftmut. Dievertrauensvoll gesenkten Wimpern milderten das Fun-keln der grausamen Augen. Und dieses Vertrauen er-höhte noch das Entsetzen des Mentors. Mit Zigarrenund Likör wurde das Frühstück in die Länge gezogen.

Aber schließlich nahm es doch ein Ende. Und derWagen, den ein Kellner herbeigeholt hatte, brachte Va-ter und Mentor nach der Rue des Feuillantines.

Herr Godet-Laterrasse hoffte auf ein Wunder. Ererwartete fast, daß eine gütige Vorsehung hätte Remi insein Zimmer zurückgeführt und sie fänden ihn in seinenTacitus vertieft.

Die Begrüßung der Hotelwirtin war vernichtend.„Herr Remi ist nicht zurückgekehrt,“ sagte sie.

„Man muß die Polizei verständigen.“

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Herr Alidor kreuzte die Arme und wandte sichzum Mentor. Sein mattbraunes Antlitz veränderte sichnicht, doch seine Lippen waren weiß und die Augenblutunterlaufen. Mit zusammengepreßten Zähnen undtiefen Kehllauten fragte er:

„Wo ist er? Sie haften mir für ihn!“Dann streckte er seine kräftige Hand aus und

packte den Arm des Mentors. Da sich kein Schlund auf-tat, um ihn hier, vor dem Hotelbureau, zu verschlingen– hob Herr Godet-Laterrasse sein Haupt und betrachte-te das Treppenhaus. Noch in seinem Zusammenbruchblieb er erhaben.

Herr Sainte-Lucie warf einen Blick nach rück-wärts, sah die auf einem Brett aufgereihten kupfernenKerzenleuchter, die numerierten Schlüssel und die An-nonce einer Likörhandlung – Dinge, die von europäi-scher Zivilisation zeugten.

Hätte er die steilen Abhänge einer Schlucht, diekahlen Hügel oder die Mangrovebäume seiner Insel umsich gesehen – er hätte höchtswahrscheinlich der un-bändigen Lust nachgegeben und den Mentor erdrosselt.Er unterließ es aus Achtung vor den kontinentalen Sit-ten und begnügte sich zu sagen:

„Ich verlasse Sie nicht eher, bis Sie ihn gefundenhaben.“

Jetzt begannen Kreuz- und Querfahrten imWagen. Herr Godet-Laterrasse führte den stummenMulatten. Er dinierte mit ihm in den luxuriösestenRestaurants, nahm das zuvorkommende Lächeln derKellner in Empfang und aß die köstlichsten Speisen. DesAbends stieg er über weiche, die Schritte dämpfendeTeppiche die Hoteltreppe empor, und der überlangeschatten seines unvermeidlichen Gefährten folgte anseiner Seite. Er betrat ein schönes Zimmer, dessen Tür

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hinter ihm verschlossen wurde und sich erst am nächs-ten morgen wieder öffnete, um ihn in dieses prunkvolle,grausame Leben zurückzurufen. Eine Droschke warteteauf sie; sie rasten den ganzen Tag umher. Sie fuhren inden „Dürren Kater“. Virginia bekundete vor dem Vatergroßes Interesse für den Sohn. Sie erzählte, sie habe dieWäsche des Herrn Remi ausgebessert. Sie wäre für ihndurchs Feuer gegangen. Sie sei keine Frau wie so vieleandere.

„Gehen Sie doch in die Morgue,“ fügte sie mit ei-nem schweren Seufzer hinzu.

Sie entfloh in die Küche; kurz darauf erschien siewieder mit geröteter Nase, eine Träne im Auge zer-drückend, in der Hand eine Rechnung, die Herr Remi zubegleichen vergessen hatte.

Sie benützte die Gelegenheit und erinnerte HerrnGodet an die Kleinigkeit, die er ihr schuldig gebliebenwar.

Aber der Mann von Eisen hatte sein Portemon-naie vergessen. Er hatte übrigens den Kampf bereitsaufgegeben. Diese fahrende Gefangenschaft erschöpfteihn.

Vom „Dürren Kater“ wurde er in Labannes Ateliergeschleift. Der Bildhauer streichelte seinen goldschim-mernden Bart und erklärte, er sei sich über das Sühne-denkmal für die Opfer der Tyrannei noch immer nichtklar. Er studiere die Flora der Antillen. Er zeigte HerrnSainte-Lucie eine Staffelei, die unter aufgehäuften Bü-cherstößen halb verschwand.

Das war die Staffelei Ihres Sohnes,“ sagte derBildhauer. „Der Bursche malte bereits mit der Geschick-lichkeit eines Affen.“

„Mein Sohn ist Maler!“ rief Herr Sainte-Lucie vollErstaunen.

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Und mit einer Geste, die ihm schon zur Gewohn-heit geworden war, schob er den Mentor in den Wagen,der unten auf sie wartete.

Sie fuhren zur Polizeipräfektur; sie fuhren zuDion, der unter zwei gekreuzten Floretts ein Gedichtverfaßte.

Auf seinem Bücherschrank stand ein Totenkopf,mit einer schwarzen Spitzenmaske. Sie fuhren zu Mer-cier, der mit einer Hebamme zusammen hauste, einemgrobknochigen, massiven Frauenzimmer von strotzen-der Gesundheit. Sie fuhren hinauf ins hinterste Bati-gnolles, zu dem Atelier, wo Potrel seine Bilder malte. Siefuhren zu einem Fräulein Marie und zu einen FräuleinLuise, die den einstigen Minister „Papa“ nannte und mitihm kokettierte.

Eines Tages, nach einem ausgezeichneten Früh-stück, als der Wagen bereits in Sicht war, bat Herr Go-det-Laterrasse Herrn Sainte-Lucie, er möge ihm wenigs-tens erlauben, seine Wohnung aufzusuchen und einHemd und ein Paar Socken zu holen. Ohne ihm auchnur zu antworten, befahl der Vater dem Kutscher, vordem erstbesten Wäschegeschäft zu halten.

An jenem Tage fuhren sie auch zu Télémaque.Mirangoane, die es noch nie erlebt hatte, daß ein

Wagen vor der Tür ihres Herrn hielt, bellte voller Be-sorgnis. Und als Télémaque den einstigen kaiserlichenMinister aus dem Wagen steigen sah, erstarrte er vorEhrfurcht und Entsetzen.

„Sie sind’s, Mouché Sainte-Lucie!“Dann schwieg er, und sein Mund blieb geöffnet.Seine Blicke huschten heimlich nach dem Wagen,

voller Angst, Soulouque könnte dort verborgen sein. Indieser Hinsicht beruhigt, begrüßte er Herrn Godet-Laterrasse mit einem Lächeln und stieg in den Keller

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hinab, um einige Flaschen Bier zu holen.Während seiner Abwesenheit betrachtete Herr

Sainte-Lucie das Portrait, das in goldenem Rahmenüber dem Schanktisch prankte.

„Nicht wahr, Mouché Sainte-Lucie, das ist wasSchönes?“ sagte der Schwarze. „Mouché Ihr Sohn hatdieses Portrait von mir gemacht. Er ist ein Zauberer,Mouché Remi.“

Der Vater warf dem Mentor einen Blick zu ausgiftverdunkelten Augen. Das war alles.

Als er von dem einstigen Minister erfuhr, daßRemi verschwunden war, dachte Télémaque lange nach.Seine Augen, halb geschlossen, waren wie die Augen ei-nes schläfrigen Katers – schienen sich bei MiragoaneRat zu holen. Schließlich schüttelte er den Kopf und sag-te mit heiligem Ernst:

„Mouché, die Liebe hat den Jüngling entführt. Diejungen Leute werden von der Liebe hin und her bewegt,wie Bruder Vadou, wenn er auf dem Schlangenkäfigtanzt. Eine alte Frau, die gut kochen kann, ist was Gutes.Aber ein schönes junges Mädchen ist auch was Gutes.“

Télémaque verstummte.Wissen Sie, wo mein Sohn ist?“ fragte Herr

Sainte-Lucie. „Ja, Mouché,“ erwiderte Télémaque. „Erist dort, wo das junge Mädchen ist.“ Man fragte ihn, wodenn das junge Mädchen sei, von dem er sprach. „Ichweiß es nicht, Mouché,“ antwortete er. Und er lächeltewie ein kleines Kind. Herr Sainte-Lucie konnte nichtsweiter aus ihn herausbringen. Er stieß den Mentor mitseinem Paket Hemden und Socken in die Droschke undbeschwor Télémaque, ihm alles mitzuteilen, was er überRemi in Erfahrung bringen konnte.

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Télémaque hatte sein schwarzes Gewand angezo-gen. Er sah sehr gut aus in dem bürgerlichen Anzug, undder Hotelportier wies ihm ohne zu zögern die Ehren-treppe.

„Guten Tag, Mouché,“ sagte er zu Herrn Alidor,den er in einem rosafarbenen Kittel und Kniehosen an-traf.

„Ich weiß, wo Mouché Remi ist. Er ist dort, wo dasjunge Mädchen ist, und das junge Mädchen ist in Avran-ches sur mer.“

Dann erklärte er sich näher; er hatte bei verschie-denen Anlässen bemerkt, daß der junge Mann sich au-ßerordentlich für Herrn Sarriette interessierte, einenHausbesitzer in Courbevoie, und er hatte gedacht, esmüsse wegen einem jungen Mädchen sein. Durch dieMetzgerin und durch die Bäckerin brachte er in Erfah-rung, Herr Sarriette, der nur mit wenig Menschen ver-kehrte, sei der Vormund eines jungen Mädchens, dasmit seiner Mutter in der Rue des Feuillantines wohnte.

Dieses junge Mädchen sollte sehr hübsch sein.Und da Télémaque wußte, daß Herr Sarriette nach ei-nem kleinen Dorf in der Nähe von Avranches gereistwar, um sein Mündel dort zu besuchen, zweifelte er kei-nen Augenblick, daß auch Remi in Avranches war.

Er behauptete, nicht einmal Bruder Joseph, derProphet, hätte besser raten können, selbst nach einemTanz auf dem Schlangenkäfig.

Herr Sainte-Lucie lief zu dem Gefängnis des Men-tors, der sich allmählich an dieses üppige und verblüf-fende Leben gewöhnt hatte, und gebot ihm, seine Kofferzu packen. Angesichts dieser grausamen Ironie erhobHerr Godet-Laterrasse seine Augen zum Plafond, dieserührenden Augen eines Pudels und eines Märtyrers.

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Man ließ ihm durch einen Kellner einige Taschentücherbesorgen, dann rollte er an der Seite des Mulatten nachder Normandie.

Die beiden Reisenden brachten die Nacht inAvranches zu. Am nächsten Morgen versilberte ein sanf-tes Licht die sandige Bucht, von deren Hintergrund sichdie braune, zackige Pyramide des Mont Saint-Michel ab-hob.

Herr Sainte-Lucie schleppte Herrn Godet-Later-rasse zu dem Fuhrwerk, das sie nach dem Badeortbringen sollte. Der einstige Minister warf sich in dieKutsche und verstaute seinen Gefangenen unter der Pla-ne, zwischen zwei Kisten, deren Kanten ihm die Rippeneindrückten.

Ein lichtgrauer Himmel wölbte sich über demStrand, als die Reisenden anlangten.

Herr Sainte-Lucie sperrte sein Opfer in ein Hotel-zimmer ein.

Die Wirtin gab die Auskunft, daß Herr Remi inBegleitung von Herrn Sarriette mit seinem Malkastennach den Klippen gewandert sei.

Und in der Tat, Herr Alidor war keine zahn Minu-ten gegangen, da sah er seinen Sohn, der in aller Ruhedie Felsen malte. Der Vater hatte gute Lust, ihn mitStockschlägen zu traktieren, - und hätte ihn doch wiederam liebsten in seine Arme geschlossen.

Noch überlegte er, welchem Verlangen er nachge-ben sollte, als Remi ihn erblickte und ihm um den Halsfiel.

Er war nicht mehr das große, mürrische Kind, dassein Vater vor vier Jahren verlassen hatte. Er war einkräftiger Bursche, aufgeweckt und gut gelaunt. Er hatteeinen offenen Blick, ein freundliches Lächeln.

Welch ein Glück, daß du gekommen bist, Papa!“

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rief er aus. Ich wollte dir gerade schreiben. Herr Sarriet-te, den ich dir hiermit vorstelle, wird dich mit FrauLourmel und ihrer Tochter bekannt machen.“

Herr Sarriette ließ die Klippen im Stich, die er mitseinem Regenschirm gemessen hatte, und grüßte.

Am Abend sodann, unter dem Gefunkel der un-zähligen Sterne, bot Herr Sainte-Lucie mit all seinerkreolischen Grazie Frau Lourmel den Arm, um mit ihram Strande zu promenieren.

Remi ging neben Johanna und beobachtete, wiedie blauen Schatten der Nacht von den Wimpern desjungen Mädchens auf ihre runden Wangen hinabglitten.

Sie wandte ihm den Blick ihrer Augen zu, die sofrisch waren wie vom Tau benetzte Veilchen, öffnete dieLippen, - im Strahl des Mondlichts schimmerten ihreZähne – und sagte:

„Mama konnte durchaus nicht begreifen, warumSie uns nachgereist sind, ohne Hut, in Pantoffeln undHausjoppe. Aber ich habe gleich gewußt, daß Sie es ta-ten, weil Sie mich heiraten wollten.“

Als Herr Alidor mit seinem Sohn allein war, sagteer halb zärtlich, halb schroff:

„Dieses junge Mädchen gefällt mir sehr gut. Dubist ihrer gar nicht wert. Ich hätte Frau Lourmel erzäh-len sollen, wie du dich in Paris aufgeführt hast, du lie-derlicher Kerl! Kannst du denn wenigstens malen?“Plötzlich schlug er sich an die Stirne. „Ach – dieser Idi-ot, der Godet, er ist ja immer noch in seinem Zimmereingesperrt!“.

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Cover: Wurde dem Buch entnommen und durch Gisela Rieger neu bearbeitet.

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