43
„Kein Bagger schiebt uns fort“ Instandbesetzung gegen Wohnraumvernichtung am Beispiel der Frauenstraße 24 in Münster Beitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte Eingereicht von Tobias Leger Geschwister-Scholl-Gymnasium, Münster/Westfalen Februar 2011

„Kein Bagger schiebt uns fort“f24-kultur.de/wp-content/uploads/2015/03/Tobias-Leger-F24.pdf · „Kein Bagger schiebt uns fort“ Instandbesetzung gegen Wohnraumvernichtung am

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • „Kein Bagger schiebt uns fort“ Instandbesetzung gegen Wohnraumvernichtung

    am Beispiel der Frauenstraße 24 in Münster

    Beitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten

    Ärgernis, Aufsehen, Empörung:

    Skandale in der Geschichte

    Eingereicht von Tobias Leger

    Geschwister-Scholl-Gymnasium, Münster/Westfalen

    Februar 2011

  • 2

    Inhaltsverzeichnis

    1. Vorbemerkungen 3

    2. Der Wohnungsmarkt in Deutschland

    2.1. Wohnraumsituation in den 1970er Jahren 6

    2.2. Eigentum verpflichtet 7

    2.3. Die ersten Hausbesetzungen in Deutschland 8

    3. Die Frauenstraße 24 in Münster

    3.1. Die Tradition der Frauenstraße 10

    3.2. Die Vorgeschichte des Hauses Nr. 24 10

    4. Proteste und Besetzung des Hauses

    4.1. Die ersten Jahre der Hausbesetzung 12

    4.2. Widerstand mit wachsender Unterstützung der Öffentlichkeit 14

    4.3. Anschlag auf die Frauenstraße 24 und ihre Bewohner 18

    4.4. Verkaufsverhandlung mit dem Land Nordrhein-Westfalen 19

    4.5. Angebot eines Tauschgeschäftes 24

    4.6. Erneuter Anschlag gegen die Hausbewohner 26

    5. Ende der Besetzung

    5.1. Abbruchgenehmigung läuft aus 27

    5.2. Verkauf an die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) 28

    6. Zeitzeugen von Seiten der Hausbesetzer

    6.1. Interviews mit ehemaligen Besetzern und Unterstützern 31

    6.2. Gerd Meyerratken 38

    7. Wertung aus heutiger Sicht 39

    8. Nachbemerkungen 40

    9. Literatur- und Quellenverzeichnis 42

  • 3

    1. Vorbemerkungen

    Als im Herbst 2010 mein Geschichtslehrer diesen Wettbewerb vorstellte und als ein

    mögliches Thema die Hausbesetzung in der Frauenstraße 24 in Münster vorschlug,

    war ich sofort interessiert.

    Die Kulturkneipe in der Frauenstraße 24 in Münster war mir schon seit einiger Zeit

    bekannt, da ich dort gelegentlich an Veranstaltungen teilnehme oder zum Essen

    hingehe. Von meinem Vater, der sich seit einigen Jahren dort ehrenamtlich engagiert,

    habe ich erfahren, dass die Kulturarbeit von einem nichtkommerziellen Verein

    organisiert wird, der sich noch immer den Traditionen der Hausbesetzer verpflichtet

    fühlt. Auch über die Besetzung in den 1970er-Jahren hatte ich schon einige

    Informationen. Die spannende Geschichte des Hauses, seiner Bewohner und Nutzer

    erfuhr ich aber erst durch die Recherchen für diese Arbeit.

    Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten steht unter dem Motto „Ärgernis,

    Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“. Das Lexikon definiert einen

    Skandal als „Ärgernis, anstößiges Benehmen, empörendes Geschehnis, unerhörtes

    Aufsehen“1 Ein Skandal ist also ein negatives Ereignis, welches in der Öffentlichkeit

    Empörung hervorruft.

    Für mich stellte sich schnell heraus, dass der Skandal nicht die Besetzung des Hauses

    war, sondern die rücksichtslosen Machenschaften der Spekulanten. Diese wollten aus

    Profitgründen preiswerten Wohnraum vernichten. Nur durch den Widerstand der

    Bewohner und die Besetzung gelang es schließlich, das Haus vor dem Abriss zu

    bewahren und damit preiswerten Wohnraum zu erhalten.

    Aus den Hintergrundgesprächen mit Zeitzeugen erfuhr ich, dass Teile der

    Öffentlichkeit anfänglich die Besetzung des Hauses als Tabubruch und Skandal

    sahen. Aus ihrer Sicht eigneten sich die Hausbesetzer fremdes Eigentum an. Erst

    durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit (u.a. Flugblätter, Informationsstände) der

    1 Fremdwörterlexikon, C.A. Koch’s Verlag Nachf., Darmstadt, 1965, Seite 465

  • 4

    Hausbesetzer und ihrer Unterstützer konnte ein Wandel der öffentlichen Meinung

    erreicht werden.

    Dieses Umdenken wurde durch die teils kriminellen Machenschaften der

    Hauseigentümer unterstützt, die selbst vor gewaltsamen Aktionen nicht

    zurückschreckten. Auch die lokale Tagespresse begegnete der Hausbesetzung ab

    1979/1980 mit einer gewissen Objektivität (vgl. auch die Überschriften aus den

    beiden Tageszeitungen Münsters auf Seite 30 dieser Arbeit).

    Im heutigen Logo der „F24“ sind die Hausbesetzer aus dem Wandbild des

    Münsteraner Malers Gerd Meyerratken als Silhouette zu sehen

    Schnell bemerkte ich, dass man das Thema aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln

    behandeln könnte. Damit die Arbeit in einer angemessenen Zeit und mit dem

    vorgegebenen Umfang abgeschlossen werden konnte, musste ich schon bei der

    Vorbereitung viele interessante Aspekte beiseite lassen und mich auf die

    unmittelbare Geschichte des Hauses in der Frauenstraße 24 konzentrieren.

    Auf den Titel für meine Arbeit „Kein Bagger schiebt uns fort“ kam ich durch ein

    Plakat, das auch auf der Titelseite abgebildet ist. Dieses Motto umschreibt das

    Anliegen der Bewohner, Besetzer und Unterstützer sehr passend, denn über den

  • 5

    langen Zeitraum von acht Jahren bestand die Angst, dass der Bagger das Haus

    abreißt.

    Für die Unterstützung möchte ich mich herzlich bei den freundlichen

    Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs Münster bedanken. Ebenso bei den Mitgliedern

    des Vorstands des Vereins Frauenstraße 24 e.V., die mir den Kontakt zu den

    Zeitzeugen der 1970/80er-Jahre hergestellt haben. Dr. Hüseyin Teklin Avlar,

    Raimund Ernst, Dr. Christoph Frilling, Ernst Kassenbrock, Eckhard Müller, Ulla

    Müller, Thomas Nellner und Hubertus Zdebel haben diese Zeit hautnah erlebt und

    waren bereit, meine Fragen telefonisch und per Email zu beantworten.

    Als ein wandelndes Lexikon rund um die F24 erwies sich Norbert Hacker, der

    langjährige Vorsitzende des Vereins Frauenstraße 24. Er konnte mir viele

    geschichtliche und politische Zusammenhänge erklären, die eine gezielte

    Recherchearbeit erst ermöglicht haben. Danken möchte ich auch meinen Eltern, die

    mir wertvolle Tipps gaben und mir die nötige Motivation zur Fertigstellung dieser

    Arbeit vermitteln konnten.

    Eine Karikatur von Ernst Kassenbrock aus dem Jahr 2010,

    Unterstützer der Proteste, siehe auch Interview auf Seite 31

  • 6

    2. Der Wohnungsmarkt in Deutschland

    2.1. Wohnraumsituation in den 1970er Jahren

    25 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges begann ein massiver Umbruch auf dem

    Wohnungsmarkt in Deutschland. Die Immobilienbranche boomte. Finanzkräftige

    Investoren drängten in innerstädtische Gebiete und leiteten eine tiefgreifende

    Umstrukturierung ein.

    Wohnraum wurde als Ware behandelt, der besondere Charakter als

    Existenzgrundlage ihrer Bewohner wurde nicht immer beachtet. Ältere, aber noch

    erhaltenswerte Gebäude sollten abgerissen werden. Die Grundstückspreise ganzer

    Stadtviertel wurden durch Spekulanten in die Höhe getrieben. Um möglichst viel

    Gewinn zu erzielen, sollten diese Grundstücke mit Eigentumswohnungen oder

    Bürogebäuden bebaut werden.

    Alteingesessene Mieter sollten ihre Wohnungen verlassen und in Neubaugebiete an

    die Stadtränder ziehen. Dagegen regte sich Widerstand, es stimmten nicht alle

    Bewohner einem Umzug zu. Um ihre Ziele zu erreichen, schreckten einige der neuen

    Eigentümer sogar vor kriminellen Methoden nicht zurück (siehe auch: 4.3. Anschlag

    auf die Frauenstraße 24 und ihre Bewohner).

    Diesem Druck wichen viele Mieter. Ihre Häuser wurden abgerissen oder in

    Luxuswohnungen umgebaut. Ganze Stadtteile veränderten ihr Gesicht.

    Das wohl eindrucksvollste Beispiel für diesen Wandel ist der Frankfurter Stadtteil

    Westend, der bis in die 1950er Jahre ein reines Wohngebiet war. Die Einwohnerzahl

    lag bei ca. 40.000. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Stadtteil komplett

    umstrukturiert. Anstelle des Wohnraums wurden zahlreiche Bürohochhäuser

    errichtet. Die Einwohnerzahl hat sich fast halbiert und beträgt jetzt nur noch rund

    24.000.

  • 7

    Der Protest gegen Wohnraumvernichtung und Spekulationen fand im Frankfurter

    Westend seinen Anfang. (siehe 2.3. Die ersten Hausbesetzungen in Deutschland)2 3

    2.2. Eigentum verpflichtet

    Das Verhalten der Immobilienspekulanten entfachte auch eine rechtliche Diskussion.

    Hausbesetzer und ihre Unterstützer sahen sich durch das Grundgesetz der

    Bundesrepublik Deutschland bestätigt. Dort heißt es:

    „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der

    Allgemeinheit dienen“ 4

    Einige Hauseigentümer wurden dieser Verantwortung nicht gerecht. Sie ließen

    dringend benötigten Wohnraum verkommen, machten ihn bewusst unbewohnbar, um

    ihn abreißen oder zu Luxuswohnungen sanieren zu können. Die Hausbesetzer sahen

    darin eine Verletzung des Grundgesetzes.

    Proteste in Münster, ca. 1981. Auf dem Transparent:

    „Kriminell ist es, Wohnraum zu zerstören – nicht, ihn zu retten“

    2 Unabhängiges Internetportal für Frankfurt Rhein-Main, „Westend“,

    http://frankfurt-interaktiv.de/frankfurt/stadtteile/westend.html, 9.2.2011

    3 Internetauftritt der Stadt Frankfurt am Main, „Westend“

    http://www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=2835&_ffmpar[_id_inhalt]=12737,

    9.2.2011

    4 Grundgesetz, Artikel 14, Absatz 2

  • 8

    2.3. Die ersten Hausbesetzungen in Deutschland

    In zahlreichen Großstädten Deutschlands wurde gegen die Vernichtung von

    Wohnraum protestiert. Angesichts der zahlreichen trotz Wohnungsnot leerstehenden

    Häuser kam es am 19. September 1970 in Frankfurt in der Eppsteiner Straße 47 zur

    ersten Hausbesetzung in der Geschichte der Bundesrepublik. 25 Frauen und Männer

    drangen in das seit langer Zeit leerstehende Haus ein, reinigten es vom größten

    Schmutz und begannen mit der Renovierung.

    "Wir haben dieses Haus besetzt, weil die Wohnungen seit langem leerstehen

    und systematisch zerstört wurden. Für den Eigentümer ist das Haus ein

    Spekulationsobjekt, für uns ist es dringend benötigter Wohnraum", steht auf

    einem Spruchband in der Eppsteiner Straße. Die Hausbesetzer machen die

    Hausnummer 47 wieder wohnlich, setzen Fenster ein, reparieren Toiletten. Sie

    nennen das "Instandbesetzen" - und handeln widerrechtlich: Eine

    Hausbesetzung ist Hausfriedensbruch und verstößt gegen das Strafrecht. Wenn

    Spekulanten hingegen Häuser "entmieten", das heißt bewusst verkommen oder

    sogar demontieren lassen, ist das legal.5

    Anfänglich war die Unterstützung der Bürger eher verhalten und unentschlossen. Im

    Laufe der Jahre fanden die Besetzer aber mehr und mehr Zustimmung. Das war vor

    allem den vielen Aktionen und der Öffentlichkeitsarbeit der Besetzer und

    Unterstützer zu verdanken. Es konnten immer mehr Unterstützer gewonnen werden

    (siehe auch: 6.1. Interviews, Frage 2).

    In kurzer Zeit entstand in vielen Städten eine politische Bewegung. Es fanden

    Aktionen statt, Solidarität wurde organisiert, Flugblätter verteilt, die Menschen

    demonstrierten.

    Die Besetzer hatten jedoch schnell mit großen Polizeieinsätzen, die die Häuser

    räumen sollten, zu tun. Denn die Hauseigentümer hatten absolut keine Einsicht, auf

    einen Abriss der alten Gebäude und einen anschließenden Neubau zu verzichten. So

    5 Westdeutscher Rundfunk, Stichtag 19.09.1970, Sendung vom 19.09.2005

    http://www.wdr.de/themen/kultur/stichtag/2005/09/19.jhtml, 07.02.2011

  • 9

    versuchten sie mit Hilfe der Staatsmacht, ihre Pläne durchzusetzen. In einigen Fällen

    gelang das, in anderen konnten sich Besetzer und deren Unterstützer dagegen

    wehren.

    Die Besetzungen sollten besser Instandbesetzungen genannt werden, da die

    Menschen, die dort während der Besetzung einzogen, oft sehr viel an den zum Teil

    maroden Häusern gearbeitet haben. So wurden zum Beispiel sanitäre Einrichtungen

    erneuert, Stromleitungen verlegt, gestrichen und verputzt, um diese Häuser wieder

    gut bewohnbar zu machen. Das war durch die große Unterstützung seitens der

    Bevölkerung möglich, die den Bewohnern halfen, vor allem finanziell mit Spenden.

    Wie in vielen Städten verschlechterte sich auch in Münster die Wohnraumsituation in

    den 60er und 70er Jahren. Vor allem Studentinnen und Studenten waren hier

    betroffen. Die 40.000 in Münster lebenden Studierenden waren auf preiswerte

    Unterkünfte angewiesen. Durch die Anhebungen der Mieten bzw. das Kündigen der

    Mietverträge verloren sie ihre Wohnungen, die oft innerstädtisch nahe der

    Universität lagen.

    Aus der alternativen Zeitschrift „Knipperdolling“, Ausgabe Juni 1980

  • 10

    3. Die Frauenstraße 24 in Münster

    3.1. Die Tradition der Frauenstraße

    Die Frauenstraße hat eine lange Tradition in der Geschichte Münsters. Bereits im 12.

    Jahrhundert wurde sie als Ausfahrt des Kanonissenstifts (Frauenstifts) „Zur lieben

    Frau“ angelegt. Das Stift war der Überwasserkirche, früher Liebfrauenkirche, die

    bereits im Dezember 1040 geweiht wurde, angeschlossen. Somit kam die Straße zu

    ihrem Namen.6 Die münstersche Familien Ketteler und von Galen hatten in dieser

    Straße ihre Anwesen.

    Während in Münster im Zweiten Weltkrieg mehr als 90 % der Gebäude der Altstadt

    zerstört wurden, blieb zwischen Überwasserkirche und Schloss in der Frauenstraße,

    in der ehemals ein geschäftiges Treiben herrschte, ein einziges Haus übrig: Das Haus

    Nummer 24. Lediglich einige kleine Reparaturen im Dachstuhl waren fällig.

    Zahllose Menschen haben in den vielen Jahrzehnten im Haus Frauenstraße 24 gelebt.

    Hier kann nur auf die Einzelschicksale von zwei Bewohnern des Hauses hingewiesen

    werden. Sie sind in der Broschüre „Die Frauenstraße 24“ dokumentiert:

    Werner Goldschmidt, gebürtig aus Bielefeld, zog 1918 in dieses Haus. Als Jude

    wurde er 1943 zunächst nach Auschwitz, später nach Theresienstadt deportiert,

    wo sich seine Spur verliert.

    Doktor Leyens, Mediziner, wohnte während seiner Studienzeit 1919 hier. Auch

    er war Jude.7

    3.2. Die Vorgeschichte des Hauses Nr. 24

    Von den vielen besetzten Häusern von damals stehen nur wenige heute noch. Eines

    davon ist das Haus Frauenstraße Nr. 24 in Münster. Im Jahr 1905 wurde das Haus als

    6Alphabetische Zusammenstellung der Straßennamen in Münster: Frauenstraße,

    Stadtarchiv Münster

    7 „Die Frauenstraße 24“, Seite 4

  • 11

    letztes Gebäude der Ecke Frauenstraße/Neuplatzstraße (dem heutigen

    Hindenburgplatz) im Jugendstil errichtet.

    Die Jugendstil-Fassade des Hauses in der Frauenstraße 24

    steht heute unter Denkmalschutz

    Bereits vor dem Krieg betrieb der Bäcker- und Konditormeister Anton Fitting in der

    Frauenstraße 24 eine Backstube mit Café. Nach Kriegsende wurde ein Bauantrag

    zum Ausbau des Dachgeschosses zu Wohnungen und Beseitigung der Kriegsschäden

    gestellt. Zunächst wurde dieser Antrag abgelehnt, da das gesamte Gebiet

    Sanierungsfläche war und man städtebauliche Überlegungen abwarten wollte. Wegen

    der großen Wohnungsnot – mehr als 60 % der Wohnungen wurden durch die

    Kriegszerstörung unbewohnbar - wurde diese Ablehnung aber widerrufen.

    Später übernahm die Tochter des Konditormeisters Anton Fitting das Geschäft ihres

    Vaters. Im Hof wurde neben dem Backofen zusätzlich eine Holzbaracke als

    Schlafplatz für die Kinder gebaut. Für das Café wurde der Alkoholausschank

    beantragt.

  • 12

    Im November 1956 wollte die damalige Hauseigentümerin anstelle des Cafés eine

    Schnellwaschanstalt einrichten. Dieses Vorhaben stieß jedoch auf massiven Protest

    der Bewohner der oberen Etagen, so dass von diesem Plan abgesehen wurde. Das

    Haus wurde als Wohn- und Gaststättenhaus weitergeführt. Im Jahr 1962 übernahm

    Gabriele Nüsse die Wirtschaft unter dem Namen „Schlossklause“ – in Anlehnung an

    das naheliegende fürstbischöfliche Schloss Münster.8

    4. Proteste und Besetzung des Hauses

    4.1. Die ersten Jahre der Hausbesetzung

    Im Jahr 1970 gab es innerhalb zweier Erbengemeinschaften Streitigkeiten um die

    Eigentumsfrage des Hauses. Das Haus wurde zum Verkauf angeboten. Somit begann

    die Geschichte des Kampfes um den Erhalt des Hauses Frauenstraße 24 sowie der

    Besetzung.

    Am 12. Januar 1971 erwarb der Immobilenmakler Hans Stürmer das Haus von der

    Erbengemeinschaft. Stürmer war bereits bekannt dafür, Häuser aufzukaufen um sie

    dann abreißen zu lassen und anschließend ertragsreichere Neubauten zu errichten.9

    So sollte auch auf dem Grundstück der Frauenstraße 24 ein Neubau mit

    Eigentumswohnungen entstehen. Am 19. Oktober 1971 beantragte Hans Stürmer

    beim Innenministerium die Abbruchgenehmigung. Da das Haus jedoch noch in

    einem guten und bewohnbaren Zustand war, der Eigentümer aber unbedingt Fakten

    für einen schnellen Abriss schaffen wollte, ließ er im Dezember 1971 Fenster und

    Türen zerschlagen, elektrische Leitungen herausreißen und sanitäre Einrichtungen

    zerstören. Gleichzeitig versuchte er, Mieter mit Geldabfindungen zum Auszug zu

    bewegen.10 (siehe auch 6.1. Interviews, Frage 1: Dr. Frilling; Frage 3: Ulla Müller,

    Eckhard Müller)

    8 Broschüre „Die Frauenstraße 24“, Seite 5

    9 Broschüre „Die Frauenstraße 24“, Seite 6

    10 Ebenda

  • 13

    Die Bewohner des Hauses und andere Bürger Münsters organisierten sich in einer

    Mieterinitiative und forderten die Stadt auf, gegen den Großmakler Stürmer

    gerichtlich vorzugehen. Durch die empörten Proteste und Reaktionen der

    Öffentlichkeit gegen die skandalösen Machenschaften Stürmers, war die Stadt

    Münster gezwungen, ihn zu stoppen. Am 10. Januar 1972 wurde die

    Abrissgenehmigung mit der Begründung abgelehnt, dass das Haus eine

    Sozialbindung habe. In der Begründung hieß es weiter:

    „Das öffentliche Interesse an der Erhaltung von Sozialwohnungen […] ist im

    Vergleich zu ihren wirtschaftlichen Interessen von erheblicher Bedeutung. […]

    Ein Eigentümer kann sich den Bindungsverpflichtungen nicht dadurch

    entziehen, dass er die Wohnungen bis zu einem unbewohnbaren Zustand

    verkommen lässt.“ 11

    Daraufhin versuchte Hans Stürmer das Haus im Dezember des Jahres an das

    Studentenwerk zu verkaufen, das jedoch wegen der hohen Kosten ablehnte.

    Am 22. Januar 1973 wurde ihm die Abbruchgenehmigung durch das

    Innenministerium nun doch erteilt. Die noch im Vorjahr abgegebene Begründung

    gegen den Abriss zählte scheinbar nicht mehr. Das Verfahren um die

    Abbruchgenehmigung zog sich zunächst noch etwas hin, da ursprünglich mit der

    Genehmigung eine Abstandzahlung gefordert wurde. Diese Summe musste dann

    aber nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes doch nicht bezahlt werden.

    Um dem drohenden Abriss zuvor zukommen, besetzten rund 300 Personen, vor

    allem Studierende, am 3. Oktober 1973 das seit längerer Zeit leerstehende Haus.

    Davon blieben 21 Personen dauerhaft in dem Haus wohnen.

    Währenddessen musste die Firma von Hans Stürmer wegen zwielichtiger Geschäfte,

    in die auch die Kreissparkasse Münster durch Kreditvergaben verwickelt war,

    Konkurs anmelden. Am 5. Februar 1974 wurde vom Gericht die Zwangsverwaltung

    über das Haus Frauenstraße 24 angeordnet.

    11 Der Frauenstraßen Kalender 1978, Zitat vom NRW-Innenminister Willi Weyer

  • 14

    Der Zwangsverwalter vermietete das Haus im März des Jahres an den Allgemeinen

    Studentenausschuss (AStA) der Westfälischen Wilhelms Universität Münster. Der

    AStA koordinierte die Renovierung in Eigeninitiative und schloss Mietverträge mit

    den dort wohnenden Personen.

    4.2. Widerstand mit wachsender Unterstützung der Öffentlichkeit

    Bei einer Zwangsversteigerung am 28. Januar 1976 bekam der Betriebswirt Hermann

    Josef Schmalt den Zuschlag für das Haus. Schmalt war Geschäftsführer des

    münsterschen Bauträgers Euko GmbH, dessen Gesellschafter wiederum Hans

    Stürmer war. Der vom Gericht festgelegte Verkehrswert von 300.000 DM wurde von

    Hermann Josef Schmalt deutlich überboten. Für einen Kaufpreis von 430.000 DM

    erhielt er den Zuschlag. 12

    Auch Hermann Josef Schmalt hatte das Haus mit der Absicht gekauft, es abreißen zu

    lassen und dort ein neues Haus mit profitableren Wohnungen entstehen zu lassen.

    Am 9. Dezember 1976 bekam er vom Amtsgericht Münster das Räumungsurteil

    zugebilligt, welches am 8. Juni 1977 vom Landgericht Münster bestätigt wurde.

    Gegen dieses Urteil wurden über 10.000 Unterschriften in der Bevölkerung

    gesammelt.

    Der Fachbereich Design der Fachhochschule unterstützte die Forderung, das Haus

    nicht abzureißen, mit einer von 22 Dozenten unterschriebenen Eingabe an den

    Oberstadtdirektor der Stadt Münster. Auch der damalige Rektor der Westfälischen

    Wilhelms Universität, Prof. Dr. W. Hoffmann, wandte sich schriftlich an den

    Stadtdirektor und bat um Unterstützung für die Studentenschaft und den Erhalt des

    Hauses Frauenstraße 24. 13

    Die Bewohner ließen sich von dem Räumungsurteil nicht einschüchtern und

    kämpften weiter. Im August 1977 gründete sich der „Verein zur Erhaltung der

    12 Westfälische Nachrichten, 26.03.1981, „Proteste, Gerüchte, Urteile…“

    13 Der Frauenstraßen-Kalender 1978

  • 15

    Frauenstraße 24 und zur Errichtung eines Kulturzentrums Frauenstraße e.V.“. Der

    Verein mietete die unteren Räume und errichtete ein Kulturzentrum, in dem

    regelmäßig Diskussionsveranstaltungen durchgeführt wurden. An den sogenannten

    „Heißen Freitagen“ hatten Künstler die Möglichkeit aufzutreten. Diese

    Veranstaltungen waren immer gut besucht und der Grundstein für die jetzt noch

    bestehende Kulturkneipe.

    Das bereits erwirkte Räumungsurteil konnte jedoch nicht ausgeführt werden, denn

    auch Hermann Josef Schmalt wurde zahlungsunfähig.

    Anzeige des Kulturvereins Frauenstraße 24 e.V.

    Am 10. März 1978 wurde das Haus erneut zwangsversteigert. Für 375.000 DM

    erhielt der Finanzkaufmann Günter Arno Ernst, der wie Schmalt aus Dortmund

    stammte, den Zuschlag. Auf die Nachfrage eines Hausbewohners bezüglich der

    Gründe des Kaufes antwortete Ernst: „Wohl das, was immer beabsichtigt war.“ 14

    Hiermit meinte er offensichtlich den Abriss des Hauses.

    Bei der Sitzung des Ausschusses für Wohnungswesen am 20. April 1978 stand die

    Frauenstraße im Mittelpunkt. Die SPD-Fraktion brachte einen Antrag zum Erhalt des

    Hauses ein. Es stünde auf der Liste der schützenswerten Gebäude der

    14 Münstersche Zeitung, 11.03.1978, „Eine Bauherrengemeinschaft ersteigerte

    Frauenstraße 24“

  • 16

    Denkmalschutzbehörde und auch das „Hickhack“, wie Henning Friege von der SPD

    es formulierte, würde aufhören.

    Die Mehrheit des Ausschusses lehnte den Antrag jedoch ab. Sie wollten keinen

    Präzedenzfall schaffen. Sonst müssten auch weitere Häuser in ähnlichen Situationen

    aufgekauft werden. Die Stadtverwaltung warf ein, dass die notwendige Renovierung

    viel zu teuer sei und es aus Sicht der Stadt am besten wäre, den Makler das Haus

    abreißen zu lassen.

    Karikatur von Gerd Meyerratken

    aus dem „Frauenstraßen-Kalender“ von 1978

    Dazu wurde auf eine Begutachtung im Jahre 1977 hingewiesen, die den geringen

    Wohnwert des Hauses bestätigen soll. Unterstützung fand die SPD bei der FDP,

    deren Fraktionsvorsitzende Carola Möllemann-Appelhoff forderte, die

    Abrissgenehmigung noch einmal zu überprüfen, da viel Mühe und Geld durch die

    Bewohner in das Haus investiert wurde.15

    15 Westfälische Nachrichten, 21.04.1978, „Gegen städtischen Kauf der Frauenstraße

    24“

  • 17

    Für das Jahr 1978 veröffentlichten die Hausbewohner in Zusammenarbeit mit der

    Mieterinitiative Münster und des AStA einen Kalender, um auf die aktuelle

    Geschichte des Hauses Frauenstraße 24 aufmerksam zu machen. Zahlreiche

    Karikaturen in diesem Kalender, der die Geschehnisse der Jahre 1970 bis 1977

    darstellten, hatte Gerd Meyerratken (siehe auch 6.2. Gerd Meyerratken), der zu den

    Bewohnern und Besetzern des Hauses gehörte, angefertigt. Weiterhin

    veröffentlichten die Bewohner und ihre Unterstützer in diesem Kalender fünf

    Forderungen, die sie an die Stadt stellten:

    1. Preiswerten Wohnraum schaffen

    Es wird auf über 2000 Studenten in Münster ohne Wohnung hingewiesen. Es

    werden sofortige Initiativen der Stadt Münster zur Verbesserung der

    studentischen Wohnungssituation gefordert.

    2. Preiswerten Altbauwohnraum erhalten

    Es wird ein Abbruchstopp für gut erhaltenen und preiswerten Wohnraum in

    Münster sowie Modernisierungsmittel für diese Wohnungen gefordert.

    3. Sofortige Rücknahme der Abbruchgenehmigung

    Es wird eine Rücknahme der Abbruchgenehmigung für das Haus

    Frauenstraße 24 gefordert.

    4. Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen

    Es wird gefordert, dass alle Sitzungen des Wohnungsausschusses der Stadt,

    die den Abbruch und die Erteilung von Abbruchgenehmigungen betreffen,

    öffentlich geführt werden.

    5. Kommunale Wohnungsvermittlung

    Um „Maklerhaien“ das Handwerk zu legen, wird eine kommunale

    Wohnungsvermittlung, die von der Stadt unterhalten wird, gefordert.16

    16 Der Frauenstraßen-Kalender 1978

  • 18

    4.3. Anschlag auf die Frauenstraße 24 und ihre Bewohner

    Schon unter Hans Stürmer wurden die Wohnungen in der Frauenstraße 24 mutwillig

    beschädigt. Es wurden Fenster und Türen zerschlagen, Strom- und Wasserleitungen

    wurden beschädigt und sanitäre Einrichtungen zerstört.

    Da bekannt wurde, dass Stürmer selbst diese Beschädigungen angeordnet hatte,

    musste er ein Bußgeld in Höhe von 20.000 DM zahlen und wurde zu

    Renovierungsarbeiten und Neuvermietung verpflichtet. Günter Arno Ernst jedoch

    ging noch rigoroser vor und setzte nach Ansicht von Zeitzeugen sogar

    Menschenleben aufs Spiel.

    So wurde am 11. Mai 1979 gegen 20 Uhr von Unbekannten das Überdruckventil der

    Hauptgasleitung in der Frauenstraße 24 geöffnet und im Kellerraum eine brennende

    Kerze platziert. Nur durch Glück konnte eine Katastrophe verhindert werden.

    Hans Ronge, damaliger Wirt der Kneipe, bemerkte beim Anstechen eines Bierfasses

    einen Gasgeruch im Keller und sah das geöffnete Ventil der Gasleitung. Er versuchte

    das Ventil zu schließen – es gelang ihm jedoch nicht. Sofort alarmierte er die Gäste

    in der Kulturkneipe sowie die Bewohner des Hauses, die sofort nach draußen

    flüchteten.

    Wie die Feuerwehr später feststellte, standen die Kerze sowie das geöffnete Ventil in

    eindeutigem Zusammenhang. Zu dieser Zeit waren 60 Personen im Haus anwesend,

    eine Explosion wäre nicht nur für sie, sondern auch für die umliegenden Häuser

    katastrophal gewesen. In einer Stellungnahme der Bewohner wird von einem

    gezielten Anschlag gesprochen:

    „Die ersten Untersuchungen der Kriminalpolizei sowie die Aussage der

    Fachleute von den Stadtwerken bestätigten den Verdacht eines gezielten

    Anschlages auf das Haus Frauenstraße 24 beziehungsweise auf dessen

    Bewohner und Gäste. Bei den weiteren Ermittlungen der Kripo wurden neben

    persönlichen auch politische Motive für den Anschlag nicht ausgeschlossen.“ 17

    17 Münstersche Zeitung, 18.05.1979, „Hauptgasleitung stand auf offen“

  • 19

    Dieses Ereignis wurde von den Bewohnern genutzt, um noch einmal bei einem Tag

    der offenen Tür am 27. Mai 1979 den Bürgern Münsters die Erhaltenswürdigkeit des

    Hauses zu zeigen. 18

    Makler Ernst gab nicht auf und verklagte den AStA vor dem Amtsgericht, um eine

    Räumung des Hauses zu ermöglichen. Den Prozess gewann er. Am 4. Juli 1979

    erließ das Amtsgericht gegen den AStA als Hauptmieter ein Räumungsurteil. Bis

    zum 30. September 1979 sollte das Haus geräumt sein. Gegen das Urteil wurde

    jedoch Berufung eingelegt. Das Revisionsverfahren fand am 15. November 1979

    statt.

    Solidaritätsbutton, wie er auf den Demonstrationen getragen wurde

    4.4. Verkaufsverhandlungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen

    Im Dezember 1979 wurde bekannt, dass der nordrhein-westfälische

    Wissenschaftsminister Prof. Dr. Reimut Jochimsen daran interessiert sei, das Haus

    Frauenstraße 24 für das Land NRW zu kaufen. Der Ankauf sollte aus Mitteln des

    Studentenheim-Förderungswerks geschehen. So sollte das münstersche

    Studentenwerk die Trägerschaft für das Haus übernehmen und beim Land einen

    Förderungsantrag an das Wissenschaftsministerium stellen.

    18 „Die Frauenstraße 24“, Seite 8

  • 20

    Die Hausbewohner begrüßten zwar die Idee, jedoch traten immer noch Fragen, u.a.

    bezüglich der Verwaltung, auf. Diese Fragen müssten erst geklärt werden. Außerdem

    wiesen sie noch mal auf die zusammen mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Bernd

    Feldhaus gestellte Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberstadtdirektor Dr. Hermann

    Fechtrup und Stadtrat Dr. Kelm hin.

    In dieser wurde gefordert, die Abbruchgenehmigung zurückzuziehen und von

    unabhängigen Gutachtern den Wohnwert des Hauses Frauenstraße 24 erneut zu

    ermitteln.

    Eigentümer Günther Arno Ernst war von den Plänen des Ministers noch nichts

    bekannt. Er beharrte noch darauf, das Haus abzureißen: „Ich stehe Gewehr bei Fuß.

    Sobald geräumt ist, lasse ich abreißen.“ Würde ihm aber ein Angebot vorgelegt, sei

    er eventuell auch bereit, es anzunehmen: „Nichts ist unmöglich“.19

    Die Bewohner ließen sich von den Kaufankündigungen des Ministeriums nicht von

    ihrem Protest abhalten. Am 12.12.1979 fand während der Sitzung des

    Kommunalparlaments eine Demonstration vor dem Rathaus in Münster statt. Die

    Demonstrationsteilnehmer waren sich sicher: „Wenn wir nicht laufend protestiert

    hätten, dann stände das Haus heute nicht mehr!“ 20

    Am 3. Januar 1980 wies das Landgericht Münster die Berufung gegen das

    Räumungsurteil zurück und bestätigte somit das Urteil des Amtsgerichtes vom 4. Juli

    1979. Aus Protest gegen diese Urteile wurde am 15. Januar 1980 das Haus mit einer

    schwarzen Plastikfolie verhängt. Die Aktion sollte zeigen, „was es heißt, wenn

    Makler Ernst durchkommt“21, so Bernd Uppena, Sprecher der Hausgemeinschaft

    Frauenstraße 24 auf einer Pressekonferenz des AStA.

    19 Westfälische Nachrichten, 11.12.1979, „Minister will das Haus Frauenstraße 24

    kaufen“

    20 Ebenda

    21 Westfälische Nachrichten, 16.01.1980, „Frauenstraße 24 hinter schwarzer Folie

    versteckt“

  • 21

    Die Fassade des Hauses.

    Eine Zeichnung des Vereins Frauenstraße 24 e.V.

    Dieses Urteil ermöglichte Herrn Ernst, eine „endgültige und fristlose Räumung“

    durchzuführen. Jedoch müsste er dazu noch gegen die 23 Untermieter des AStA die

    Räumung erwirken. Auch wies die Hausgemeinschaft erneut darauf hin, „erst durch

    die Abbruchgenehmigung der Stadtverwaltung ist das Haus zum lohnenswerten

    Spekulationsgeschäft geworden und dem Makler somit die Grundlage geschaffen

    worden, einen Räumungsprozess anzustreben“ und forderte erneut die Rücknahme

    der Genehmigung.22

    Währenddessen scheiterten die Verhandlungen um den Ankauf des Hauses durch das

    Land. Der Preis, den Günther Arno Ernst forderte, sei einfach zu hoch gewesen. Er

    soll bei über 700.000 DM gelegen haben, ein Wertgutachter schätzte den Wert des

    Hauses und des Grundstückes jedoch gerade einmal auf 350.000 DM.

    22 Westfälische Nachrichten, 16.01.1980, „Frauenstraße 24 hinter schwarzer Folie

    versteckt“

  • 22

    Etwa in diesem Rahmen soll auch das Angebot des Landes gelegen haben. Den

    hohen Preis begründete Herr Ernst damit, dass ihm durch den Erwerb,

    Grundabgaben, Gerichtsgebühren und Gerichtsvollzieher bisher schon Kosten in

    Höhe von 500.000 DM entstanden seien.23

    Am 6. März 1980 suchte der Eigentümer zusammen mit einem Gerichtsvollzieher

    das Haus auf, um die Namen der derzeitigen Mieter festzustellen. Durch einen

    Schachzug des AStA war nämlich eine neue Situation eingetreten. Als Hauptmieter

    hatte er den Untermietern gekündigt und die eigenen Büros geräumt. Gegen den

    AStA besaß Günther Arno Ernst bereits seit dem 3. Januar 1980 einen

    Räumungstitel, nicht jedoch gegen die Bewohner. Nun war er gezwungen, neue

    Räumungstitel gegen jeden einzelnen der über 20 Bewohner zu erwirken.

    Am 18. April 1980 sprach das Amtsgericht Münster die ersten beiden

    Räumungsurteile gegen die Untermieter aus. Weitere Urteile folgten.

    Vorbereitung auf eine Demonstration am 29.04.1980

    23 Westfälische Nachrichten, 07.03.1980, „Frauenstraße 24: Der Preis war zu hoch“

  • 23

    Eine weitere große Protestaktion fand am 29. April 1980 statt. An einer

    Demonstration durch die Innenstadt nahmen ungefähr 1300 Bürger teil, die meisten

    von ihnen waren Studenten. Sie forderten einheitlich, die Abrissgenehmigung sofort

    zurückzuziehen, wie sie bei einer Zwischenkundgebung vor der Stadtverwaltung

    erklärten.

    Auf der Abschlusskundgebung in der Frauenstraße sprach sich Pfarrer Martin

    Kriener von der evangelischen Studierendengemeinde Münster klar gegen den Abriss

    des Hauses aus: „Wenn der Bagger gegen dieses Haus eingesetzt wird, dann gehen

    wieder ein Stück Menschlichkeit und Vertrauen auf menschliche Vernunft kaputt.“24

    Solidaritätskundgebung vor dem Haus Frauenstraße 24 in Münster

    Der AStA-Vorsitzende Rolf Steinhilber ging noch weiter und kündigte weiterhin

    Protest gegen den Abriss an: „Wir werden den Abbruch zu verhindern wissen. Wir

    werden dafür alles tun. Da sollten sich die Stadtväter überlegen, ob sie sich einen

    24 Münstersche Zeitung, 30.4.1980, „Es ist gut, dass der Widerstand gegen solche

    Barbarei wächst“

  • 24

    Polizeieinsatz, wie an der Sertürner Straße [hier wurden 1980 mehrere Häuser zuerst

    besetzt und später von der Polizei geräumt und abgerissen] noch einmal leisten

    können.“25

    Weiter nannte er es eine „Frechheit“, wenn von der Stadtverwaltung immer wieder

    behauptet wird, es gäbe keine Wohnungsnot: „Jedes Semester suchen tausende von

    Studenten vergeblich eine Wohnung. Wir werden verhindern, dass die bisherige

    Abbruchpolitik in Münster fortgesetzt wird. Wir werden den Bagger stoppen.“26

    4.5. Angebot eines Tauschgeschäftes

    Nachdem Eigentümer Ernst den Verkauf des Hauses abgelehnt hatte, machten Stadt

    und Land ihm am 7. Mai 1980 ein neues Angebot. Es sollte ein Dreiecksgeschäft

    zustande kommen, bei dem er das Haus Frauenstraße 24 an das Land Nordrhein-

    Westfalen verkaufen sollte und dafür von der Stadt ein Grundstück in Münster-

    Gievenbeck im Wert von über 680.000 DM aufkaufen könne.

    Günter Arno Ernst beurteilte das Angebot als „akzeptabel und einer Überlegung

    wert[…], wenn auch noch einige Punkte der Klärung bedürfen.“27

    Weiter sagte er: „An mir soll es doch nicht liegen, wenn es mir auch so recht nicht

    passt, dass ich kurz vor dem Ziel mit dem Haus Frauenstraße 24 klein beigeben soll,

    nach all den Kosten, die mir damit entstanden sind.“28 Vor allem ging es bei den

    Punkten, die noch „der Klärung bedürfen“, wie er sagte, um Geld. Unter anderem

    wollte er die Grunderwerbsteuer von 30.000 DM zurückbekommen. Außerdem

    25 Münstersche Zeitung, 30.4.1980, „Es ist gut, dass der Widerstand gegen solche

    Barbarei wächst“

    26 Ebenda

    27 Münstersche Zeitung, 08.05.1980, „Ein Grundstück in Gievenbeck als Angebot im

    Dreieckshandel Stadt, Land und Günter Ernst“

    28 Ebenda

  • 25

    forderte er von dem AStA einen Teil der ihm bisher entstandenen Kosten, weil „der

    AStA das Haus am 6. März [1980] nicht herausgegeben hat.“29.

    SPD-Ratsherr Dr. Fricke bezeichnete den Antrag des Tauschgeschäftes an die

    Ratssitzung als „Schauantrag“, da der gleiche Antrag die Aufrechterhaltung der

    Abbruchgenehmigung fordere.30 Das angebotene Tauschgeschäft kam letztendlich

    nie zustande.

    Am gleichen Tag der Verhandlung kam Ernst gegen 17 Uhr mit einem Schlosser zur

    Frauenstraße 24, um sämtliche Türschlösser im Haus auszutauschen. Damit wollte er

    verhindern, dass die Bewohner in ihre Wohnungen gelangen. Ein Bewohner

    berichtete: „Er hat versucht, die Tür aufzubrechen!“31 In eine der Türen konnte ein

    neues Schloss eingesetzt werden, dann waren die Hausbewohner mit ihren

    Rechtsanwälten zur Stelle.

    Titelseite der alternativen Zeitschrift „Knipperdolling“

    Münster, Ausgabe Juni 1980

    29 Münstersche Zeitung, 08.05.1980, „Ein Grundstück in Gievenbeck als Angebot im

    Dreieckshandel Stadt, Land und Günter Ernst“

    30 Knipperdolling, Juni 1980, „Freiheit in Münster – die Freiheit des Spekulanten“

    31 Münstersche Zeitung, 08.05.1980, „Ein Grundstück in Gievenbeck als Angebot im

    Dreieckshandel Stadt, Land und Günter Ernst“

  • 26

    Die Anwälte waren der Meinung, Herr Ernst hätte kein Recht, so zu handeln.32 Auch

    stellten sie Strafanzeige gegen ihn wegen Hausfriedensbruch, Nötigung und

    Sachbeschädigung. Solche Aktionen seitens des Eigentümers ließen keinen Zweifel

    daran, dass er auch zu diesem Zeitpunkt noch entschlossen war, das Haus

    abzureißen.

    4.6. Erneuter Anschlag gegen die Hausbewohner

    Das bestätigte sich nur knapp drei Wochen später erneut, als auf Anweisung von

    Herrn Ernst ein Gartenhaus im Hof der Frauenstraße 24 abgerissen wurde. Am 27.

    Mai 1980 um kurz nach 7 Uhr morgens machten sich 7 Arbeiter im Auftrag von

    Ernst an die Arbeit, diese unangekündigte und nicht genehmigte Aktion

    durchzuführen.

    Erst durch den Lärm wurden die Hausbewohner geweckt und alarmierten die Polizei.

    Da die Arbeiter vorsorglich das Tor zum Hof mit schweren Eisenketten versperrt

    hatten, gelangten die Bewohner vorerst nicht in den Hinterhof, sondern mussten

    einen Umweg durch den Keller nehmen. Es kam zu einem Wortgefecht, das mit

    einem Hammerschlag gegen das Bein eines Hausbewohners endete. Die Arbeiter

    flüchteten, konnten aber nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei gestellt werden.

    Anzeigen wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruch Sachbeschädigung und

    Nötigung wurden von den Bewohnern gestellt. Zudem beantragten die Bewohner

    Objektschutz für ihr Haus bei der Polizei. AStA-Vorsitzender Martin Nissen nahm

    dazu Stellung: „Da kann die Stadt doch nicht tatenlos zusehen, wenn hier noch

    gültige Mietverträge kriminell gebrochen werden.“33

    Nur wenige Tage später, am 3. Juni 1980, kündigte Ernst den Abriss des Hauses an.

    Die notwendigen Abstimmungen mit dem Bauordnungsamt, Tiefbauamt, der

    32 Münstersche Zeitung, 08.05.1980, „Ein Grundstück in Gievenbeck als Angebot im

    Dreieckshandel Stadt, Land und Günter Ernst“

    33 Münstersche Zeitung, 28.05.1980, „Frauenstraße 24: Kolonne brach im

    Morgengrauen ab“

  • 27

    Gewerbeaufsicht und der Polizei seien eingeleitet, bestätigte Oberstadtdirektor Dr.

    Hermann Fechtrup bei einer Ratssitzung.34 Jedoch sagte er auch, „das

    Bauordnungsamt hat den Eigentümer erneut schriftlich darauf hingewiesen, dass mit

    dem Abbruch erst begonnen werden darf, wenn sich in dem Haus keine Bewohner

    mehr befinden.“35

    In einer Ratssitzung kritisierte die SPD-Fraktion, dass der Eigentümer Ernst dem

    Tauschangebot nicht zugestimmt hatte und forderte ihn erneut auf, das Angebot von

    Stadt und Land anzunehmen. Auch übten sie scharfe Kritik an der CDU und warfen

    ihnen vor, mit ihrer Mehrheit im Rat eine Rücknahme der Abbruchgenehmigung

    verhindert zu haben.36

    5. Ende der Besetzung

    5.1. Abbruchgenehmigung läuft aus

    Um Mitternacht des 25. Juni 1980 lief die Abbruchgenehmigung aus und das

    Verwaltungsgericht Münster lehnte den Antrag auf Verlängerung ab. Begründet

    wurde diese Entscheidung damit, dass das Haus seit November 1979 von der Stadt in

    einer Satzung zum Schutze des Orts- und Straßenbildes und der Erhaltung baulicher

    Anlagen als ein erhaltenswertes Objekt eingestuft wurde.37

    Der Ausdauer der Besetzer, die eine große Unterstützung – auch von finanzieller

    Seite – der Öffentlichkeit erfuhr, war es zu verdanken, dass das Haus letztendlich

    nicht abgerissen werden durfte.

    34 Westfälische Nachrichten, 04.06.1980, „Abriss ist angekündigt“

    35 Ebenda

    36 Ebenda

    37 Westfälische Nachrichten, 26.06.1980, „Ernst scheitert mit Antrag vor Gericht“

  • 28

    5.2. Verkauf an die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG)

    Am 23. März 1981 erfolgt unter Vermittlung des münsterschen CDU-

    Landtagsabgeordneten Rolf Klein der Verkauf des Hauses an die

    Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) für über 650.000 DM.

    Die genaue Verkaufssumme wurde nie öffentlich genannt. Der Verkauf wurde

    jedoch erst 2 Tage später während einer Kundgebung zum Erhalt des Hauses

    bekannt. Die Veranstalter packten ganz schnell zusammen und trafen sich in der

    Frauenstraße, um den Erfolg zu feiern. Acht Jahre Besetzung gingen zu Ende und die

    Erleichterung und die Freude über diesen Erfolg war sehr groß.

    Ein Sprecher der LEG bestätigte, das Ziel des Ankaufes sei es, den Bewohnern

    weiterhin die Möglichkeit zu geben, preiswerten Wohnraum zu mieten. Langfristige

    Lösungen für das Haus Frauenstraße 24 müssten allerdings noch eingehend überlegt

    werden. Sicher sei jedoch, dass das Haus weiter den Studenten zur Verfügung

    stehe.38 Für die Anmietung des Hauses standen sowohl das münstersche

    Studentenwerk als auch der AStA, der auch schon früher das Haus angemietet hatte,

    zur Verhandlung.

    Weiter hieß es: „Zunächst wird sich nichts am augenblicklichen Zustand in der

    Frauenstraße ändern, auch an Mieterhöhungen ist nicht gedacht.“39

    Der ehemalige Eigentümer Günter Arno Ernst nahm bezüglich des Verkaufs wie

    folgt Stellung: „Ich hatte andere Pläne, aber der Druck der Straße auf die Politiker,

    die Stimmung, die öffentlich gegen mich gemacht wurde, haben mich zu dem für

    mich größtmöglichen Kompromiss veranlasst. Da gehen 21 Rabauken auf die Straße,

    und Stadt und Land müssen springen, was soll’s.“40

    38 Münstersche Zeitung, 26.03.1981, „Ernst verkauft Haus Frauenstraße 24“

    39 Ebenda

    40 Ebenda

  • 29

    Grünes Licht seitens des Ministers für Landes- und Stadtentwicklung, Christoph

    Zöpel, für den Ankauf gab es bereits am 20. März 1981, „um endlich Ruhe in die

    Sache zu bringen“, wie er verlauten ließ.41

    Günter Arno Ernst hat somit zwar sein ursprüngliches Ziel, auf dem Grundstück

    Frauenstraße 24 einen lukrativen Neubau zu errichten, nicht erreicht. Dennoch ging

    er nicht mit leeren Händen aus diesem Geschäft. Kaufte er doch im März 1978 das

    Haus und Gründstück für lediglich 375.000 DM, so konnte er es zwei Jahre später

    für einen Betrag von über 650.000 DM an die LEG verkaufen. Diese Summe

    entspricht nahezu der, die Ernst im Jahr zuvor während der Verhandlungen mit dem

    Land gefordert hatte.

    Somit ging die fast achtjährige Besetzung des Hauses Frauenstraße 24 zu Ende.

    41 Ebenda

  • 30

    Überschriften zur F24 aus den lokalen Tageszeitungen „Münstersche Zeitung“

    und „Westfälische Nachrichten“ der Jahre 1978 bis 1981

  • 31

    6. Zeitzeugen von Seiten der Hausbesetzer

    6.1. Interviews mit ehemaligen Besetzern

    Mit Hilfe des Kulturvereins Frauenstraße 24 e.V. konnte Kontakt zu den früheren

    Besetzern und Unterstützern aufgenommen werden. Ihnen wurden jeweils drei

    Fragen gestellt. An den Kurz-Interviews haben sich folgende Personen beteiligt:

    - Dr. Hüseyin Tekin Avlar, Diplom Geologe-Paläontologe

    - Raimund Ernst, Historiker und Finanzmakler

    - Dr. Christoph Frilling, Direktor einer Sprachschule

    - Ernst Kassenbrock, Sozialarbeiter und Karikaturist

    - Ulla Müller, langjährige Mitarbeiterin in der Gastronomie der F24

    - Hubertus Zdebel, Landessprecher Die Linke.NRW

    - Thomas Nellner, Historiker, Verlagsangestellter

    - Eckhard Müller, Unterstützer der Hausbesetzung

    Frage 1: Was war für Sie der eigentliche Skandal rund um die

    Besetzung der Frauenstraße 24?

    Dr. Avlar: Der politische Knackpunkt war derzeit die Reiberei zwischen

    Kapitalismus und Sozialismus. Die Hausbesetzer formierten sich als studentische

    Anhänger der linken Gruppierungen, die auch an der Uni agierten. Der damalige

    Hausbesitzer provozierte mit seinem arroganten und kapitalistischen „Verhalten und

    Gedankengut“ gegenüber der linksorientierten Studentenschaft ihren Widerstand.

    Raimund Ernst: Der rücksichtslose Plan, preiswerten Wohnraum in der Innenstadt

    zugunsten privater Profitgier zu zerstören. Da haben alle politisch Verantwortlichen

    im Rathaus zunächst mitgemacht. Erst hinterher, als der Widerstand sich formierte,

    rückte die SPD etwas davon ab.

    Dr. Frilling: Der Spekulant Stürmer, ein äußerst zwielichtiger Protagonist, versuchte

    mehrfach, die Hausbewohner gewaltsam aus dem Haus zu entfernen. Es begann mit

    Abrissunternehmen, die morgens früh mit schwerem Gerät vorfuhren. Bauarbeiter

    versuchten, gewaltsam in das Haus einzudringen, um die Bewohner „auf die Straße

  • 32

    zu setzen“. Es gab „scheinbare“ Abrissversuche, um die Bewohner einzuschüchtern

    und in einer ständigen Alarmstimmung zu halten, es gab tätliche Angriffe auf

    einzelne Hausbewohner, ganz zu schweigen von Schmähungen und Beleidigungen.

    Die Aktionen von Stürmer waren nicht nur skrupellos, sondern auch klar

    rechtswidrig, so dass auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung die Polizei

    anrückte, um das Haus und seine Bewohner vor Stürmer und seinen Leuten zu

    schützen. Stürmer hat sich übrigens – wie wir später erfuhren – gründlich

    verspekuliert: Er musste Insolvenz anmelden. Später hieß es, er habe sich

    umgebracht.

    Ernst Kassenbrock: Der eigentliche Skandal war die verfehlte Wohnungspolitik der

    CDU, die für die große Wohnungsnot unter den Studierenden seit Jahrzehnten (!!!)

    verantwortlich war. Spekulanten rissen gut erhaltenen Wohnraum ab oder es wurde

    "luxusmodernisiert", d.h. die ehemaligen Mieterinnen und Mieter konnten nach der

    sog. Modernisierung die neuen Mieten nicht mehr bezahlen.

    Ulla Müller: Dass bei großer studentischer Wohnungslosigkeit ein intaktes und dazu

    noch historisch wertvolles Haus aus Profitgier durch ein Apartmenthaus ersetzt

    werden sollte.

    Hubertus Zdebel: Der eigentliche Skandal: Die geplante Vernichtung gut

    erhaltenen, preiswerten innenstadtnahen Wohnraums im Zusammenspiel von CDU-

    Ratsmehrheit, CDU-dominierter Stadtverwaltung und Spekulanten.

    Thomas Nellner: Der eigentliche Skandal war eigentlich der, der zur

    Besetzungsaktion führte. Mit dem geplanten Abriss der F24 wurde ohnehin knapper

    Wohnraum vernichtet, insbesondere für StudentInnen. Es ging uns darum, eine

    Wohnraumvernichtung aus Profitgier zu verhindern. Das Thema "knapper

    bezahlbarer Wohnraum" für untere und (z. T. auch) mittlere Einkommen ist ja bis

    heute in dieser Stadt ein Thema, das ab und zu auch Eingang in die lokalen Medien

    findet.

    Eckhard Müller: Besonders skandalös war die Kaltschnäuzigkeit, mit der jenseits

    von Gesetz und Recht Extra-Profit realisiert werden sollte - von Moral nicht zu

    reden

  • 33

    Frage 2: Wie ich im Laufe meiner Recherche erfahren habe, gab es

    unter den Studierenden eine breite Zustimmung und Solidarität zur

    Besetzung der F24. Können Sie etwas zu den Reaktionen der

    Münsteraner Bevölkerung außerhalb der Studentenszene sagen?

    Dr. Avlar: Am Anfang der 70er Jahre hatten viele Studenten keine Unterkunft und

    mussten deshalb z.B. teilweise auf dem Hindenburg-Platz zelten. Eine Renovierung

    des Hauses war sehr viel billiger als Abriss und Neubau einer Immobilie mit später

    entsprechend hohen Mieten. Zudem passte der Abriss der denkmalwürdigen

    Hausfassade vielen Studenten nicht, so dass sie unbedingt den Erhalt des Hauses und

    damit verbunden zudem die Option des günstigen Wohnraumes durchsetzen wollten.

    Die Idee der Hausbesetzer, das Haus unter Denkmalschutz zu stellen, fand Gefallen

    bei Münsteraner Bürgern, die sich dann kooperativ für diese Idee stark machten. Als

    weiterer Skandal erschien es uns, dass ein Hausbesitzer/Hausherr die

    Beliebigkeit/Freiheit hatte, ein denkmalwürdiges Haus abzureißen, um damit auch

    noch Geld zu erwirtschaften.

    Raimund Ernst: Die Reaktion der Bevölkerung war zu unserer eigenen

    Überraschung durchweg positiv. Unterschied zwischen der veröffentlichten Meinung

    in den Westfälischen Nachrichten (natürlich negativ), die persönlichen Kontakte am

    Haus, auf der Straße, auf dem Wochenmarkt ganz überwiegend positiv und voller

    Verständnis.

    Dr. Frilling: Nach meiner Erinnerung nahm die Münsteraner Bevölkerung kaum von

    den Vorgängen Kenntnis. Beschämend war es, dass selbst die unmittelbaren

    Nachbarn in der Frauenstraße mehrheitlich „wegschauten“; darin waren viele

    Münsteraner aus einem anderen Kontext her ja durchaus geübt. Irgendwann fuhr ein

    LKW vor, der uns kostenlos Kohle zum Beheizen des Hauses brachte. Es hieß, dies

    sei ein Zeichen der Solidarität seitens der Arbeiter des Kohlebergbaus im Ruhrgebiet.

    Das war natürlich Quatsch: In Wirklichkeit hatte das die DKP organisiert, um ihren

    Einfluss geltend zu machen und um ein (realiter nicht existentes) „Bündnis“

    zwischen Arbeiterklasse und linken Studenten vorzugaukeln. Das haben die meisten

    Beteiligten jedoch nicht durchschaut. Viele junge Studenten waren durchaus

    beeindruckt von dieser Form der praktischen Solidarität.

  • 34

    Ernst Kassenbrock: Die Hausbewohnerinnen und Hausbewohner haben regelmäßig

    (zum Beispiel immer auf dem Samstagswochenmarkt) durch

    Flugblätter die Bevölkerung über die Situation informiert. Es gab mehrere

    sogenannte "Tage der offenen Tür", an denen die MünsteranerInnen sich das besetzte

    Haus von innen ansehen konnten. Das war sehr beliebt, da sie doch so auch einen

    Einblick bekamen, wie Studierende so leben.

    Ulla Müller: Die war sehr gespalten. Einerseits wurden wir bei unseren

    regelmäßigen Infoständen und Demos derart beschimpft, dass sie uns in die

    Gaskammer schicken wollten. Andererseits wünschten sich viele alte Münsteraner

    den Erhalt des Hauses, weil es eines der wenigen Zeugen aus Vorkriegszeiten ist.

    Selbst der damalige Bischof Tenhumberg unterstützte uns während einer Predigt.

    Hubertus Zdebel: Die Reaktionen der Münsteraner Bevölkerung außerhalb der

    StudentInnenszene waren anfangs zurückhaltend; im Laufe der Auseinandersetzung

    bzw. des Kampfes um den Erhalt des Hauses wurde die Zustimmung zu den

    Forderungen der Hausgemeinschaft F24 in der Gesamtbevölkerung aber immer

    größer. Dazu haben unterschiedliche Faktoren beigetragen: der Mangel an

    bezahlbarem Wohnraum in Münster; die vielen Aktionen (Tage der offenen Tür,

    Demonstrationen, Straßenfeste, phantasievolle Sachen wie die "Aktion Wohnklo"

    oder "der goldene Bagger", die Hausverhüllung, der Wurm -"In der CDU-

    Wohnungspolitik ist der Wurm drin"- etc); die Bündnisbreite in Münster (SPD,

    Grüne, DKP, Gewerkschaften, AStA, Kirchengemeinden etc.); die politische

    Personalisierung auf den Hauseigentümer G.A. Ernst mit engen Verbindungen zur

    CDU-Spitze ("Das Glaubensbekenntnis des Spekulanten"); die Änderung des

    politischen Klimas, auch verknüpft mit der Gründung der Grünen 1980 (bundesweit

    aufkommende neue außerparlamentarische Bewegungen wie die

    HausbesetzerInnenbewegung, Anti-AKW, Frauenbewegung- in Münster fand

    Anfang 1981 ein bundesweiter HausbesetzerInnenkongress statt); die zumindest

    kritisch-sympathische Begleitung der Besetzung durch eine der beiden Zeitungen

    (Münstersche Zeitung).

    Thomas Nellner: Die positive Resonanz in der Studentenschaft hing natürlich mit

    Punkt 1 (Knappheit bezahlbaren Wohnraums) zusammen. Dass Teile der

    Münsteraner dies ebenso sahen (z. B. weil sie selber Betroffene waren oder

  • 35

    Kinder/Angehörige hatten, die als Studenten an diese Erfahrungen anknüpfen

    mussten), lag auf der Hand. Von daher gab es in gewissen Teilen der Bevölkerung

    eine grundsätzlich positive Einstellung. dadurch, dass eine breite Bündnispolitik

    durch diejenigen betrieben wurde (Parteien, Gewerkschaften, Vereine etc.),

    verbreiterte sich die Basis innerhalb der Bürgerschaft zunehmend.

    Ein weiterer Aspekt war (und das spielte natürlich im "schwarzen", bürgerlich

    geprägten Münster eine nicht zu unterschätzende Rolle) die Tatsache, dass es hier um

    ein denkmalgeschütztes Gebäude ging, dass zu den wenigen gehörte, dass den

    Zerstörungen im 2. Weltkrieg entgangen war. Sieht man sich Fotos aus den Jahren

    1945 - 50 an (z. B. in den entsprechenden Ausstellungen im Stadtmuseum oder die

    dazu gehörigen Kataloge), stellt man fest, dass zwischen Dom und Schloss eine

    riesige Schneise war, in der u.a. die Trümmerloks den Schutt zum Sammelpunkt am

    Schloss transportierten. Münster war immerhin zu 80% zerstört. Unter diesem

    Gesichtspunkt war der Erhalt eines "übrig gebliebenen" Gebäudes ein m. E. nicht zu

    unterschätzender Faktor, um die Unterstützung innerhalb der Stadtbevölkerung zu

    entwickeln. Und dies, obwohl die Münsteraner Lokalpresse alles andere als positiv

    berichtete!

    Eckhard Müller: Ich war selbst Teil der nicht-studentischen Öffentlichkeit und habe

    mich mehrfach an der Verteidigung des Hauses beteiligt. Es gab also unter den

    politischen Münsteranerinnen und Münsteranern durchaus Zustimmung -

    unterschiedlich ausgeprägt, versteht sich.

    Frage 3: Was war für Sie das eindrucksvollste persönliche Erlebnis

    während der Zeit der Hausbesetzung und der

    Unterstützungsaktionen?

    Dr. Avlar: Für mich persönlich war besonders beeindruckend zu erleben, wie durch

    die Solidarität Anderer, die uns z. B. durch Leserbriefe unterstützten, aus einer

    kleinen Gruppe der Hausbesetzer eine große Gruppe Gleichgesinnter für unsere

    politische Idee erwuchs. Durch unsere Aktionen war es uns gelungen, auch die

    Politiker der Stadt Münster zu überzeugen—wir waren als Sieger aus diesem Kampf

    hervorgegangen!!

  • 36

    Raimund Ernst: Die Organisation der Nachtwachen im Haus gegen die drohende

    polizeiliche Räumung. Hier hat sich ein wunderbares Zusammengehörigkeitsgefühl

    entwickelt, das, unabhängig von den weiteren politischen Wegen der Betroffenen,

    von allen als erinnerungs- und bewahrenswert festgehalten bleibt.

    Dr. Frilling: Die Nächte der Besetzung. Wir haben viele nette Menschen kennen

    gelernt, stundenlang diskutiert und Unmengen an Bier konsumiert. Dies war auch gut

    so, denn irgendwie mussten wir uns ja den Mut dazu antrinken, das Haus

    möglicherweise mit den Fäusten zu verteidigen. Es war richtig schön gruselig!

    Ernst Kassenbrock: Mein eindruckvollstes Erlebnis während der Besetzung war

    eine Nachtwache, die ich mit anderen Studierenden der Fachhochschule in der F24

    machte. Wir wollten durch diese Nachtwachen ein überraschendes Auftauchen von

    Polizei und/oder anderen Räumkommandos verhindern. In dieser Nachtwache fiel

    ein Mitstudent durch das marode Dach des Schuppens und verletzte sich schwer. Das

    hat uns alle sehr geschockt. Glücklicherweise (und nach monatelanger Behandlung)

    blieben kaum Schäden zurück. Wir waren aber sehr wütend, dass überhaupt

    Nachtwachen nötig waren, um preiswerten Wohnraum in Münster zu sichern.

    Ulla Müller: Das war der Räumungsversuch, als die Straße voller Menschen stand

    und die Polizei nicht durchließ. Zudem versorgte uns die Bäckerei auf der

    Frauenstraße mit belegten Brötchen. Am Abend vorher hatten wir außerdem einen

    Tipp bekommen. Ansonsten gab es viele andere einschneidende Erlebnisse, wie z. B.

    der Gasanschlag oder die Hammerattacke gegen Hans oder der Barrikadenunfall von

    Tommi oder...

    Hubertus Zdebel: Es gab einige eindrucksvolle persönliche Erlebnisse. Neben dem

    engen persönlichen Zusammenhalt unter uns BesetzerInnen war es vor allem die

    große Solidarität. An einem Tag - es muss im Frühsommer 1980 gewesen sein-

    standen morgens um 7.00 Uhr ca. 700 Menschen spontan vor dem Haus, weil zuvor

    bekannt geworden war, dass das Haus an dem Tag von der Polizei geräumt und

    anschließend von einer Firma abgerissen werden sollte. So etwas bleibt im

    Gedächtnis präsent.

    Thomas Nellner: An ein besonders eindrucksvolles Erlebnis kann ich mich im

    Momente nicht erinnern; beeindruckend waren für mich eine Reihe von kleineren

  • 37

    Erlebnissen. Dazu gehörten z. B. die Kohlespende von Bergarbeitern aus dem

    Ruhrgebiet zur Beheizung des Hauses; die Vielzahl von Künstlern, die mit ihren

    Beiträgen (Musik, Malerei etc.) auch dafür sorgten, dass die Öffentlichkeit immer

    wieder auf die Besetzung aufmerksam gemacht wurde; die Nachtwachen, die wir

    "geschoben" haben, um eine Räumung zu verhindern u.a.

    Eckhard Müller: Besonders gern erinnere ich mich an eine Aufbau-Aktion, in deren

    Rahmen wir das Gartenhaus, das zertrümmert worden war (unbrauchbar gemacht, im

    Auftrag des Spekulanten), pressewirksam wieder aufgebaut haben. Das zielte auf die

    demokratische Stadtöffentlichkeit, auch und nicht zuletzt außerhalb der WWU.

    Auswertung der Interviews

    Die Antworten auf die drei Fragen, die den damaligen Besetzern/Unterstützern

    gestellt wurden, sind zu großen Teilen sehr ähnlich. So werden bei der Frage „Was

    war für sie der eigentliche Skandal rund um die Besetzung der Frauenstraße 24“

    einheitlich die Wohnungspolitik der damaligen Stadtverwaltung und das Vorgehen

    des Eigentümers angegeben. Einige heben noch die zum Teil rechtswidrigen

    Machenschaften des Eigentümers hervor.

    Bei der Frage 2 zu den Reaktionen der Münsteraner Bevölkerung sprechen sieben

    der acht Personen die durchaus positive Resonanz in der Bevölkerung an. Nur eine

    Person meint, die Bevölkerung habe weggesehen und sich nicht für die Frauenstraße

    24 interessiert. Eine Erklärung für diese Meinung könnte die Antwort von Hubertus

    Zdebel liefern. Er schreibt: „Die Reaktionen der Münsteraner Bevölkerung außerhalb

    der StudentInnenszene waren anfangs zurückhaltend; im Laufe der

    Auseinandersetzung […] wurde die Zustimmung […] aber immer größer.“ (siehe

    Frage 2, Seite 33). So ist eventuell nur die erste Zeit in Erinnerung geblieben oder die

    eigene Aktivität bezieht sich nur auf diese Zeit. Ansonsten wurde mehrfach auf die

    Solidarität von sehr vielen Seiten hingewiesen, von Parteien (außer der CDU),

    Gewerkschaften, Kirchen und auch vielen Privatpersonen.

    Da knüpft auch Frage 3 an „Was war für Sie das eindrucksvollste persönliche

    Erlebnis während der Zeit der Hausbesetzung und der Unterstützungsaktionen“: Hier

    wird die große Solidarität sehr deutlich. Aber auch die Nachtwachen, die eingesetzt

    wurden, um vor Räumungsversuchen zu warnen, sind sehr im Gedächtnis geblieben.

  • 38

    6.2. Gerd Meyerratken

    Gerd Meyerratken (1937 – 2005) war eine der wichtigen Persönlichkeiten der

    Frauenstraße 24: Er war einer der letzten Mieter bevor das Haus 1973 besetzt wurde.

    Zusammen mit den anderen verbliebenen Mietern war er der Meinung, dass solch

    guter und preiswerter Wohnraum nicht systematisch zerstört werden dürfe. Mit

    seinem Anliegen ging er an die Öffentlichkeit und erlangte Aufmerksamkeit. Durch

    seine Initiative zogen weitere Leute ein, zumeist Studenten.

    Mit Hilfe vieler Unterstützer wurden eine Menge Arbeiten an dem Haus

    vorgenommen. So wurden Strom- und Wasserleitungen sowie sanitäre Einrichtungen

    repariert. Er leitete 10 Jahre Widerstand gegen den Abriss ein. Aber nicht nur auf

    diese Weise war er aktiv. Als Künstler malte er unter anderem das berühmte

    Wandbild, das heute noch eine Wand in der Kulturkneipe in der Frauenstraße 24

    ziert. Auf dem Bild sind die damaligen Bewohner vor dem Haus zu sehen. Für den

    Frauenstraßen-Kalender 1978 zeichnete er mehrere Karikaturen.42

    Das Wandbild von Gerd Meyerratken zeigt die Unterstützer der Hausbesetzung.

    Dieses Bild ist noch heute im Original in der Frauenstraße 24 zu sehen.

    42 „Die Frauenstraße 24“, Seite 6

  • 39

    7. Wertung aus heutiger Sicht

    Die Spekulation um Wohnraum und die Vernichtung von preiswerten Wohnungen ist

    – wie in den 70er Jahren – auch heute noch aktuell. An der Wohnungspolitik von

    damals hat sich nicht viel verändert. Immer noch wollen Investoren alte, aber noch

    erhaltenswerte Gebäude durch Neubauten ersetzen, die Ihnen mehr Geld einbringen.

    Somit kommt es auch immer wieder zu Hausbesetzungen. Ein sehr gutes Beispiel

    hierfür sind in Münster die Häuser in der Grevener Straße 31-59, nur knapp einen

    Kilometer von der Frauenstraße entfernt.

    Die komplette Häuserzeile sollte 2006/2007 abgerissen werden. Wie auch in der

    Frauenstraße wohnten dort viele Studenten zu preiswerten Mieten. Das Haus Nr. 57

    wurde im Dezember 2006 und im März 2007 jeweils für mehrere Tage besetzt. Am

    1. April 2007 wurde auch das Nachbarhaus Nr. 59 besetzt, jedoch wurde es am 24.

    April 2007 geräumt und anschließend abgerissen. Dass die Besetzer nicht erfolgreich

    waren, lag vor allem an dem geringeren Interesse der Öffentlichkeit und der Medien

    und daran, dass keine breiten Solidaritätsproteste stattfanden.43

    Die Folgen der Besetzung ziehen sich für das Haus Frauenstraße 24 bis in die

    Gegenwart. So ist der Eigentümer noch immer die LEG, jedoch planen ehemalige

    Besetzer und Unterstützer das Haus aufzukaufen, um es langfristig zu erhalten und

    Kulturarbeit leisten zu können.

    Seit 1985 steht das im Jugendstil gebaute Haus unter Denkmalschutz. Im

    Erdgeschoss ist nach wie vor eine Kulturkneipe untergebracht und die drei oberen

    Etagen werden noch heute vom AStA, dem Allgemeinen Studierendenausschuss der

    Universität Münster, an Studierende vermietet.

    43 Umweltzentrum-Archiv e.V., Münster

    www.uwz-archiv.de/Grevenerstrasse-57-59.19.0.html vom 08.02.2011

  • 40

    8. Nachbemerkungen

    Bei diesem Skandal um Wohnraumspekulation und Vernichtung von preiswertem

    Wohnraum in Münster standen sich auf der einen Seite die Hausbesitzer (1971 -

    1976 Hans Stürmer; 1976 - 1978 Hermann Josef Schmalt; 1978 - 1981 Günter Arno

    Ernst) und auf der anderen Seite die Bewohner und der „Verein zur Erhaltung des

    Hauses Frauenstraße 24 und zur Errichtung eines Kulturzentrums Frauenstraße e.V.“

    gegenüber.

    Während die Bewohner breite Teile der Öffentlichkeit und Parteien wie die SPD und

    FDP hinter sich hatten und von ihnen unterstützt wurden, hatten die Eigentümer die

    CDU, die zur damaligen Zeit die Ratsmehrheit bildete, auf ihrer Seite. Mit dieser

    Hilfe konnten die Hauseigentümer mehrfach Abrissgenehmigungen und

    Räumungsklagen durchsetzen.

    Die Öffentlichkeit wurde in diesen Skandal stark mit einbezogen und war wichtig für

    das positive Ende. Nur durch den Druck der Öffentlichkeit, die breiten Proteste und

    das Durchhaltevermögen der Bewohner des Hauses wurden eine weitere

    Verlängerung der Abbruchgenehmigung oder auch gewaltsame Räumungen

    verhindert.

    Die Medien, vor allem lokale Tageszeitungen (Westfälische Nachrichten und

    Münstersche Zeitung) lieferten eine umfassende Berichterstattung und sorgten somit

    dafür, dass die jeweils aktuellen Entwicklungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt

    gemacht wurden.

    Die Bewohner selber spielten hier die wichtigste Rolle, denn sie machten durch ihre

    nicht abreißenden Proteste auf ihre Misslage aufmerksam. In ihrem Protest zeigten

    sie sich auch sehr phantasievoll, was sich in der Erstellung des Frauenstraßen-

    Kalenders für das Jahr 1978, die Verhüllung des Hauses mit schwarzer Folie sowie

    das „Frauenstraßenlied“ darstellt.

  • 41

    Nachfolgend ein Auszug aus diesem Lied (nach der Melodie des Songs „House of

    the rising sun“ von der englischen Rockband „Animals“):

    Es steht ein Haus in unserer Stadt, das stand sehr lange leer,

    das gehörte einem Makler, doch dem gehört’s nicht mehr.

    Es war der feine Stürmer, ganz Münster kennt ihn genau.

    Es ließ viele Häuser verkommen und meinte, das war schlau.

    Denn was so ein Profithai ist, der reißt sein Haus gern ab,

    und setzt da ein Bürohaus hin, so wird der Wohnraum knapp.

    Doch Arbeiter und Studenten die dachten ans Grundgesetz,

    dass Eigentum verpflichtet und hab’n das Haus besetzt.

    Da kamen viele Leute und hab’n das Haus beschützt;

    Und haben es ganz renoviert und das hat was genützt.

    Die Kumpels brachten Kohle, die Nachbarn Hausgerät,

    so haben wir das Haus erhalten durch Solidarität.

  • 42

    9. Literatur- und Quellenverzeichnis

    Verwendete Literatur:

    Hacker, Norbert: 2009, Die Frauenstraße 24, Herausgeber: Kulturverein

    Frauenstraße 24 e.V. Münster

    Hausbewohner Frauenstraße 24: 1977, Der Frauenstraßen Kalender 1978,

    Herausgeber: Hausbewohner der Frauenstraße 24, Mieterinitiative Münster, AStA

    Münster

    Knipperdolling, Ausgabe Juni 1980

    Münstersche Zeitung, Ausgaben vom 11.03.1978, 18.05.1979, 30.04.1980,

    08.05.1980, 28.05.1980, 06.03.1981 (Stadtarchiv Münster)

    Umweltzentrum-Archiv e.V., www.uwz-archiv.de

    Westdeutscher Rundfunk

    www.wdr.de/themen/kultur/stichtag/2005/09/19.jhtml

    Westfälische Nachrichten, Ausgaben vom 21.04.1978, 11.12.1979, 16.01.1980,

    07.03.1980, 04.06.1980, 26.06.1980, 26.03.1981 (Stadtarchiv Münster)

  • 43

    Abbildungen:

    Titelseite: Plakat „Kein Bagger schiebt uns fort“, Archiv Frauenstraße 24

    Seite 4: Logo „F 24“, Archiv Frauenstraße 24

    Seite 5: Karikatur „Frauenstraße 24“, Ernst Kassenbrock, 2010

    Seite 7: Foto Transparent, Archiv Frauenstraße 24

    Seite 9: Zeitschrift Knipperdolling, Ausgabe Juni 1980, Seite 4

    Seite 11: Foto Fassade Frauenstraße 24, Archiv Frauenstraße 24

    Seite 15: Aktuelle Werbeanzeige des Kulturvereins Frauenstraße 24 e.V.

    Seite 16: Karikatur aus dem Frauenstraßen-Kalender 1978, Archiv Frauenstraße 24

    Seite 19: Button „Stoppt die Spekulanten“, Archiv Frauenstraße 24

    Seite 21: Zeichnung Hausfassade, Archiv Frauenstraße 24

    Seite 22: Foto Vorbereitung auf eine Demonstration, Umweltzentrum Archiv e.V.

    www.uwz-archiv.de/Fotos.34.0.html?&L=0class%3D , 07.02.2011

    Seite 23: Foto Solidaritätskundgebung, Umweltzentrum Archiv e.V.

    www.uwz-archiv.de/Fotos.34.0.html?&L=0class%3D , 07.02.2011

    Seite 25: Titelseite Knipperdolling, Ausgabe Juni 1980,

    Seite 30: Collage Zeitschriftentitel, Tobias Leger

    Seite 38: Wandbild von Gerd Meyerratken, Foto: Tobias Leger