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1 9. Turbulenz in Flüssigkeiten Experimentelle Beobachtungen bei strömungen in Rohren (Osborne, Reynolds 1883) Laminare Strömung • laminare Strömung bei geringer Strömungsgeschwindigkeit • Durchfluss j ist proportional zur Druckdifferenz p Hagen-Poisseuille-Gesetz: j = π r 4 p 8 η l η: Viskosität, l: Rohrlänge, r: Rohrradius • turbulente Strömung bei hoher Strömungsgeschwindigkeit • Durchfluss j nicht proportional zur Druckdifferenz

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9. Turbulenz in FlüssigkeitenExperimentelle Beobachtungen bei strömungen in Rohren(Osborne, Reynolds 1883)Laminare Strömung

• laminare Strömung bei geringer Strömungsgeschwindigkeit• Durchfluss j ist proportional zur Druckdifferenz ∆p Hagen-Poisseuille-Gesetz:

j = π r4 ∆ p8η l

η: Viskosität, l: Rohrlänge, r: Rohrradius

• turbulente Strömung bei hoher Strömungsgeschwindigkeit• Durchfluss j nicht proportional zur Druckdifferenz

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Beispiele turbulenter StrömungIn der Natur vorkommende turbulente Strömungen:• Wasserströmungen in Flüssen• Wasserfall• Atmospärische Luftströmungen• Ozeanische Wasserströmungen• Blutströmungen im Herzen

In der Technik auftretende turbulente Strömungen:• Strömung von Flüssigkeiten und Gasen in Rohrleitungen• Luft-/Wasserströmung um Kraftfahrzeuge/Flugzeuge/Schiffe....• Austritt von Flüssigkeiten und Gasen aus Düsen/Rohrenden (Schornsteine, Düsentriebwerke, Raketentriebwerke...)• Umrühren von Flüssigkeiten (z. B. Kaffee)• Brennkammern• Maschinen (z.B. Pumpen, Turbinen, Verbrennungsmotoren)

Test eines Feststoffraketen-Motors der Titan IV Rakete

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Das Geschwindigkeitsfeld turbulenter Strömungen

Axiale Komponente ul einer turbulenten Strömung auf derMittelachse als Funktion der Zeit t

• Ausgeprägte, nicht periodische Fluktuationen der Strömungsgeschwindig- keitskomponente ul(t) um den Mittelwert ul• Mittelwerte der Geschwindigkeiten ändern sich kontinuierlich als Funktion des Orts

Normierter Mittelwert der axialenGeschwindigkeit ul einer turbulentenStrömung als Funktion desNormierten radialen Abstands x2

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Eigenschaften turbulenter Strömung:• Der Hauptbewegung sind Querbewegungen überlagert• Turbulenz führt zur Durchmischung• Wirbelbildung• Geschwindigkeitsfeld variiert nicht periodisch in Ort und Zeit• selbstähnlich• deterministisch chaotisch!

Turbulente Strömung eines Wasserstrahls, der in ruhendes Wasser strömt.

Turbulente Flüssigkeitsströmungdurch ein Rohr.

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Mathematische Beschreibung der Strömung in FluidenEulersche Bewegungsgleichung:

ρ dudt

= ρ ∂u∂t

+∇u2

2− u × rot(u)⎡

⎣⎢

⎦⎥ = ρK − ∇p u(x,t): Strömungsgeschwindigkeit

am Ort x zur Zeit tK = dF/dmF: äußere Kraft (z. B. Rührkraft, Schwerkraft, Druckdifferenz)P: isotroper Druck

Kontinuitätsgleichung:

∂ρ∂t

+ div ρ ⋅u(x,t)( ) = 0

Berücksichtigung von Reibung:

Navier-Stokes Gleichung:

∂u∂t

+∇u2

2− u × rot(u) = K −

1ρ∇p + 4η

3ρ∇div(u) − η

ρrot(rot(u))

Navier-Stokes Gleichung besitzt nichtlineare Glieder==> Instabilität

η: Viskositätρ: Dichte

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Annahme: Inkompressible Fluide

Inkompressibilität ==> Dichte: ρ = ρo = const.Kontinuitätsgleichung: div(u(x,t)) = 0

Navier-Stokes Gleichung:

∂u∂t

= −∇u2

2+ u × rot(u) + K −

1ρo

∇p − ηρorot rot(u)( )

= −(u ⋅∇)u − u × rot(u) + K −1ρo

∇ div(u) − ∆u[ ]

= −(u ⋅∇)u + K −1ρo

∇p + ηρo

Δu

Randbedingungen bei Strömung durch ein Rohr:• Fluid haftet an den Rändern, Rand (V) des Strömungsvolumens: u x ∈Rand(V ),t( ) = uL (x ∈Rand(V ),t)u: konstante Geschwindigkeit am RandL: typische geometrische Länge des Strömungsvolumens

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Die Reynoldszahl• Navier-Stokes Gleichung und Kontinuitätsgleichung beinhalten keine explizite Längen- und Zeitskala (nur Ableitungen der Felder) sowie keine Geschwindig- keitsskala (Galileiinvarianz)• Erst die Randbedingungen definieren eine Längen (L) bzw. Geschwindigkeitsskala (uL)!• Weitere Skala gegeben durch die Materialeigenschaften des Fluids: η/ρ (Einheit: m2/s)

Reynoldszahl:

• kleine Reynoldszahlen: lineare (dämpfende) Terme in Navier-Stokes Gleichung dominieren ==> laminare Strömung

Re = LuLρη

Typische Reynoldszahlen:Schmieren von Honig auf Brot Re ≈ 10-4

Umrühren von Kaffee Re ≈ 104

Luftströmung um ein Auto bei u = 50 km/h Re ≈ 3·106

Wasserströmung eines Flusses: Re ≈ 107

Luftströmung um ein Verkehrsflugzeug: Re ≈ 107 -108

Gasaustritt aus Feststoffraketenmotor (Titan IV) Re ≈ 2·108

Atmosphärische Strömungen /Zyklon/Antizyklon) Re ≈ 108 - 1012

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Windkanäle• Unverzichtbares Mittel zum experimentellen Studium und zur Optimierung der aerodynamischen Eigenschaften von Objekten (z. B. Fahrzeugen)• Aerodynamische Eigenschaften lassen sich vor dem Bau eines Prototypen an einfachen (preisgünstigen) Modellen testen.

Problem bei großen Objekten:• Windkanäle, in die große Objekte (z.B. Verkehrsflugzeuge) in Originalgröße hinein- passen, können nicht mit vertretbarem Aufwand gebaut werden!• Die Reynoldszahl Re skaliert mit der Größe L des Objektes, während die Schall- geschwindigkeit (Machzahl = 1) größenunabhängig ist! ==> Die aerodynamischen Eigenschaften großer Objektekönnen in konventionellen Windkanälen nicht vollständig an verkleinerten Modellen studiert werden.

Lösung: Kryogene Windkanäle• Mit fallender Temperatur sinken die Viskosität η und die Schallgeschwindigkeit von Luft, während die Dichte ρ ansteigt! ==> Bei niedrigen Temperaturen können in kryogenen Windkanälen an ca. 2m großen Modellen für Verkehrsflugzeuge typische Reynolds- und Machzahlen erreicht werden!

Re = LuLρη

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Der ETW (European Transonic Windtunnel)

Der ETW in Köln-Porz Modell eines Airbus A340 im ETW

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Technische Daten des ETW:

Machzahlen: 0.15 - 1,35

Lufttemperaturen: 110 K - 313 K

Druck: 1.25 bar - 4.5 bar

Typische Modellspannweite: 1.6 m

Max. Reynoldszahl: 8.5·107 (für Flugzeughälften)

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Energiedissipation• Viskosität (Reibung) führt zu Energiedissipation ==> Turbulenz erfordert stete Energiezufuhr zu ihrer Aufrechterhaltung!• offenes System

Lokal dissipierte Energie (pro Masse und Zeit):

ε(x,t) = ηρ⋅∂ui∂x j

∂ui∂x j; i, j = 1,2,3 Einheit: [m2/s3]

• Laminare Strömungen weisen kleineres ε als turbulente Strömungen auf!

Typische Werte der Energiedissipationsrate:

Atmosphärische Strömung: ε = 10-6 m2/s3

Strömung in Grenzschichten: ε = 10-1 m2/s3

Windkanal „Stachelschwein“ in Modane (F): ε = 1.75 m2/s3

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Die Strukturfunktion

Strukturfunktion: D(r) = <|u(x+r) - u(x)|2>• Beschreibung der Änderung der Geschwindigkeit zwischen zwei Punkten als Funktion des Abstands r

Wellenzahlspektrum:

Falls nur ε die Struktur der turbulenten Strömung beeinflusst:

E(k)dk = u2

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D(r) ε2 /3r2 /3 E(k) ε

2 /3k−5 /3

Andererseits: Für kleine r muss u(x+r) analytisch sein wegen glättender Wirkung der Viskosität ==> u(x+r) - u(x) ~ r ==> D(r) ~ r2

Flüssigkeitsströmung durch ein Rohr

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Skizze eines turbulentenScherfeldes sowie zugehörige Strukturfunktion

Zwei Bereiche:1.) zähigkeitsbeherrschter Bereich (viscous subrange VSR)

D(r) = ε ρηr2 D hängt explizit von

Materialeigenschaften (η/ρ) ab!

D( r ) bestimmt durch parameterfreie Meanfeldtheorie

2.) nichtlinearer, trägheitsbeherrschter Bereich (inertial subrange ISR)• D ≈ r2/3

• keine Abhängigkeit von Materialeigenschaften (η/ρ)• Wirbelfeld ist statistisch selbstähnlich (Skalierung der Längenskala um λ und Skalierung der Geschwindigkeitsdifferenzen um λ1/3)

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Selbstähnlichkeit turbulenter StrömungenStrukturfunktion: D(r) = <|u(x+r) - u(x)|2> = <v2(r)>Skalenverhalten der Strukturfunktion: D(λr) = λdfD(r)

VSR-Bereich: v(r) ≈ r ==> df = 2ISR-Bereich: v(r) ≈ r1/3 ==> df = 2/3

Strömungsfelder sind fraktal!ISR Bereich ist begrenzt durch 2 Skalen:

Äußere Skala: Abmessung L des SystemsInnere Skala: Dämpfung durch Viskosität

Dissipationslänge:

Übergang von turbulenter (ISR-Bereich) zu laminarer Strömung (VSR-Bereich) bei r ≈ 9 rd

L ≥ r ∈ ISR ≥ 9 rd ∈ VSR

1 ≈ Re = rν(r)ρ

η; ν(r) ε1/3r1/3

rd :=η3

ρ3ε⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

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Einfluss der Viskosität

Strömung zweier Fluide unterschiedlicher Viskosität (daher unterschiedlicherRenoldszahlen) unter sonst gleichen Bedingungen in Draufsicht (links unds alsSchattenwurf (rechts)

• Die äußere Form des Strahls ist weitgehend unabhängig von der Viskosität• Die minimale Wirbelgröße ist bei dem Fluid mit niedriger Viskosität (große Reynoldszahl) deutlich kleiner als beim höherviskosen Fluid.