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ENTWICKLUNG DER MUSKELN BEI ANTHERAEA 343 Welche Eigenschaften der Zellen zu dieser Ver änderung der Adhäsion führen, ist noch eine offene Frage. W eiss 19 hat kürzlich verschiedene Möglich keiten vorgeschlagen, welche die Repulsionskräfte 19 L. W eiss, J. Theoret. Biol. 6, 275 [1964]. zweier benachbarter Zellen beeinträchtigen könnten. Mit diesen Möglichkeiten befassen sich z. Z. unsere Untersuchungen, es ist aber noch zu früh, etwas Sicheres über den Mechanismus der induzierten Zell adhäsion zu sagen. über die strukturelle und funktionelle Entwicklung der Muskeln bei Antheraea (Lepidoptera) H ans N üesch Zoologisches Institut der Universität Basel (Z. Naturforschg. 20 b, 343—347 [1965] ; eingegangen am 9. Dezember 196-4) Herrn Prof. Dr. A. K ühn zum 80. Geburtstag gewidmet Die Differenzierung des imaginalen Flugmuskels aus der frühpupalen Anlage wird mit seiner funktioneilen Entwicklung verglichen. Der Beginn der Kontraktilität fällt zeitlich mit dem Ent stehen der Myofibrillen in den Fasern zusammen. Gleichzeitig konnte in den Fasern Actomyosin erstmals nachgewiesen werden. Die Kontraktion ist zunächst eine sehr langsame und auf den Reiz ort beschränkte Zuckung. Erst längere Zeit nach Auftreten der Querstreifung vermag sich der Muskel tetanisch zu kontrahieren. Mit zunehmender Differenzierung sinkt die Reizschwelle für Zuckung und Tetanus in wenigen Tagen auf den für die Imago charakteristischen Wert ab. Jede Funktionsweise scheint eine bestimmte Minimalstruktur zu verlangen. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen befas sen sich fast ausschließlich mit der Struktur der Ge webe und Organe. Physiologische Studien an Ent wicklungsstadien betreffen die Faktoren, die die Dif ferenzierung der Teile in bestimmte Bahnen leiten. Die Funktion der Organe selbst wird am fertig aus gebildeten Gewebe untersucht, entweder möglichst in takt oder zur Vereinfachung des geprüften Systems nach teilweisem Abbau in die einzelnen Komponen ten. Nur sehr wenig untersucht ist die Frage, wie sich neben der Strukturdifferenzierung die Funktion eines Gewebes entwickelt. Ein Organ nähert sich in der Entwicklung immer mehr dem Zustand, der im gesamten Körpersystem des Tieres eine bestimmte Leistung ausübt. Die Struktur ist dieser Leistung schließlich vollkommen angepaßt. Irgendwann unter wegs zwischen der ersten Organanlage mit embryo nalen Zellen und dem fertig ausgebildeten Organ mit seiner vollen Leistung muß das Gewebe fähig werden, seine Funktion auszuüben. Entsprechend dem schrittweisen Strukturaufbau dürfte auch die Funktion sich allmählich entwickeln1. Die Funktions entwicklung ist in ihrem Fortschreiten sicher von der sich bildenden Struktur abhängig, es dürfte für jeden Leistungsgrad eine gewisse Minimaldifferenzierung erforderlich sein, ohne die die Funktion nicht ausge übt werden kann. Die Untersuchung dieser Funktionsentwicklung läßt sich am besten bei Geweben durchführen, bei denen quantitativ gesetzte Reize eine eindeutige Ant wort ergeben. Besonders günstig dürfte der Muskel sein, da die Leistung als Verkürzung, Spannung, Ak tionspotential leicht festzustellen ist und auch durch genau abgestufte Reize hervorgerufen werden kann. Im folgenden wird über Untersuchungen berichtet, die am mesothorakalen Flugmuskel der Saturniiden Antheraea polyphemus Cr. und A. pernyi Guer. durchgeführt wurden. Die strukturelle Untersuchung erfolgte mit den üb lichen histologischen Methoden. Für die physiologische Prüfung wurden die Tiere in C02-Narkose sagittal hal biert, unter Belassung des Ganglions in der rechten Hälfte. Mit dem Mikromanipulator wurden Platin elektroden an das Ganglion angelegt und in die Musku latur eingestochen, so daß die Muskeln nach Wahl di rekt oder auch über das Ganglion stimuliert werden konnten. Da der Muskel nur bei Benetzung mit dem eigenen Blut oder mit R i n g e r - Lösung arbeitet, ist der Weg des Reizes leider nicht ganz eindeutig, in der Flüssigkeit können Nebenschlüsse auftreten. Besonders geprüft wurden die Frequenzen 3/sec und 50/sec bei 1 msec Dauer des rechteckigen Einzelreizes. Ein 3. Elek trodenpaar diente der Ableitung der Potentiale zur This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution-NoDerivs 3.0 Germany License. On 01.01.2015 it is planned to change the License Conditions (the removal of the Creative Commons License condition “no derivative works”). This is to allow reuse in the area of future scientific usage. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz. Zum 01.01.2015 ist eine Anpassung der Lizenzbedingungen (Entfall der Creative Commons Lizenzbedingung „Keine Bearbeitung“) beabsichtigt, um eine Nachnutzung auch im Rahmen zukünftiger wissenschaftlicher Nutzungsformen zu ermöglichen.

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ENTWICKLUNG DER MUSKELN BEI A N T H E R A E A 343

Welche Eigenschaften der Zellen zu dieser Ver­änderung der Adhäsion führen, ist noch eine offene Frage. W e is s 19 hat kürzlich verschiedene Möglich­keiten vorgeschlagen, welche die Repulsionskräfte19 L. W e is s , J. Theoret. Biol. 6, 275 [1964].

zweier benachbarter Zellen beeinträchtigen könnten. Mit diesen Möglichkeiten befassen sich z. Z. unsere Untersuchungen, es ist aber noch zu früh, etwas Sicheres über den Mechanismus der induzierten Zell­adhäsion zu sagen.

über die strukturelle und funktionelle Entwicklung der Muskeln bei Antheraea (Lepidoptera)

H a n s N ü esch

Zoologisches Institu t der Universität Basel

(Z. Naturforschg. 20 b , 343—347 [1965] ; eingegangen am 9. Dezember 196-4)

Herrn Prof. Dr. A. K ühn zum 80. G eburtstag gew idm et

Die Differenzierung des imaginalen Flugmuskels aus der frühpupalen Anlage wird mit seiner funktioneilen Entwicklung verglichen. Der Beginn der K ontraktilität fällt zeitlich mit dem Ent­stehen der Myofibrillen in den Fasern zusammen. Gleichzeitig konnte in den Fasern Actomyosin erstmals nachgewiesen werden. Die Kontraktion ist zunächst eine sehr langsame und auf den Reiz­ort beschränkte Zuckung. Erst längere Zeit nach Auftreten der Querstreifung vermag sich der Muskel tetanisch zu kontrahieren. Mit zunehmender Differenzierung sinkt die Reizschwelle für Zuckung und Tetanus in wenigen Tagen auf den für die Imago charakteristischen W ert ab. Jede Funktionsweise scheint eine bestimmte M inim alstruktur zu verlangen.

Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen befas­sen sich fast ausschließlich mit der Struktur der Ge­webe und Organe. Physiologische Studien an Ent­wicklungsstadien betreffen die Faktoren, die die D if­ferenzierung der Teile in bestimmte Bahnen leiten. Die Funktion der Organe selbst wird am fertig aus­gebildeten Gewebe untersucht, entweder möglichst in­takt oder zur Vereinfachung des geprüften Systems nach teilweisem Abbau in die einzelnen Komponen­ten.

Nur sehr wenig untersucht ist die Frage, wie sich neben der Strukturdifferenzierung die Funktion eines Gewebes entwickelt. Ein Organ nähert sich in der Entwicklung immer mehr dem Zustand, der im gesamten Körpersystem des Tieres eine bestimmte Leistung ausübt. Die Struktur ist dieser Leistung schließlich vollkommen angepaßt. Irgendwann unter­wegs zwischen der ersten Organanlage mit embryo­nalen Zellen und dem fertig ausgebildeten Organ mit seiner vollen Leistung muß das Gewebe fähig werden, seine Funktion auszuüben. Entsprechend dem schrittweisen Strukturaufbau dürfte auch die Funktion sich allmählich entwickeln1. Die Funktions­entwicklung ist in ihrem Fortschreiten sicher von der sich bildenden Struktur abhängig, es dürfte für jeden Leistungsgrad eine gewisse Minimaldifferenzierung

erforderlich sein, ohne die die Funktion nicht ausge­übt werden kann.

Die Untersuchung dieser Funktionsentwicklung läßt sich am besten bei Geweben durchführen, bei denen quantitativ gesetzte Reize eine eindeutige Ant­wort ergeben. Besonders günstig dürfte der Muskel sein, da die Leistung als Verkürzung, Spannung, Ak­tionspotential leicht festzustellen ist und auch durch genau abgestufte Reize hervorgerufen werden kann. Im folgenden wird über Untersuchungen berichtet, die am mesothorakalen Flugmuskel der Saturniiden Antheraea polyphemus Cr. und A. pernyi Guer. durchgeführt wurden.

Die strukturelle Untersuchung erfolgte mit den üb­lichen histologischen Methoden. Für die physiologische Prüfung wurden die Tiere in C02-Narkose sagittal hal­biert, unter Belassung des Ganglions in der rechten Hälfte. Mit dem Mikromanipulator wurden Platin­elektroden an das Ganglion angelegt und in die Musku­latur eingestochen, so daß die Muskeln nach Wahl di­rekt oder auch über das Ganglion stimuliert werden konnten. Da der Muskel nur bei Benetzung mit dem eigenen Blut oder mit R i n g e r - Lösung arbeitet, ist der Weg des Reizes leider nicht ganz eindeutig, in der Flüssigkeit können Nebenschlüsse auftreten. Besonders geprüft wurden die Frequenzen 3/sec und 50/sec bei1 msec Dauer des rechteckigen Einzelreizes. Ein 3. Elek­trodenpaar diente der Ableitung der Potentiale zur

This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution-NoDerivs 3.0 Germany License.

On 01.01.2015 it is planned to change the License Conditions (the removal of the Creative Commons License condition “no derivative works”). This is to allow reuse in the area of future scientific usage.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 DeutschlandLizenz.

Zum 01.01.2015 ist eine Anpassung der Lizenzbedingungen (Entfall der Creative Commons Lizenzbedingung „Keine Bearbeitung“) beabsichtigt, um eine Nachnutzung auch im Rahmen zukünftiger wissenschaftlicher Nutzungsformen zu ermöglichen.

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344 H. NÜESCH

Kontrolle der Tätigkeit. Für die genaue Vergleichbar­keit der Entwicklungsstadien mußte zunächst eine Zeit­tabelle aufgestellt werden, die für jeden Entwicklungs­tag charakteristische Merkmale enthält 2.

Struktur-Entwicklung 3

Die Imago besitzt im Mesothorax als Flügelsenker ein Paar mächtiger dorsaler Längsmuskeln, die jederseits, in fünf Bündel unterteilt, etwa 2500 Mus­kelfasern enthalten. In der Diapausepuppe, also vor dem Beginn der Imaginalentwicklung, ist in große Fettkörpermassen eingeschlossen eine kleine Muskel­anlage vorhanden, die als dünner Schleier von der vor­deren zur hinteren Segmentgrenze zieht. Die Anlage besteht aus rundlichen, einkernigen Myoblasten, die aus dem Abbau der larvalen Muskeln hervorgehen. Eine geringe Verdickung in der Mitte stellt die Re­gion dar, in der der Muskelnerv eintritt und sich zwischen den Myoblasten sehr fein verästelt.

Nach einer Mitoseperiode von zwei Tagen ver­schmelzen Reihen von Myoblasten zu langen, dün­nen syncvtialen Strängen, den Anlagen der eigent­lichen Muskelfasern. Ihre Kerne strecken sich in die Länge und teilen sich nun in den nächsten Tagen nur noch amitotisch zu langen Kernreihen. Zuerst füllen diese den Durchmesser der etwa 3 /( dicken Faser­anlage fast ganz aus. Gleichzeitig mit der Kernver­mehrung wird aber auch die Cytoplasmamasse ver­mehrt, so daß die einzelnen Fasern am 9. Entwick­lungstag einen Durchmesser von etwa 14 ju besitzen. Da der Thorax in der Puppenhülle sich nicht mehr streckt, wachsen die Fasern nur in der Dicke, nicht aber in der Länge. Schon mit der Faserbildung hat sich die ganze Muskelanlage in fünf Stränge aufge­teilt, die den fünf Faserbündeln des Adultmuskels entsprechen.

Schon früh, am 3. der total 21 Entwicklungstage, treten im Cytoplasma sehr feine Granula auf, die sich bald in Längsreihen anordnen. Am 8. Tag er­scheinen zunächst nur an einzelnen Stellen, bald aber im gesamten Plasma, die Längsdifferenzierungen der Myofibrillen. Da gleichzeitig die Granula verschwin­

1 Hier sei nur die Ausrichtung auf die Adultfunktion betrach­tet. Es besteht außerdem die Möglichkeit, daß die Teile des Organismus während der Entwicklung noch andere Leistun­gen ausüben, die der adulten nicht entsprechen. Besonders B l e c h s c h m i d t (Ber. phys. med. Ges. W ürzburg, N.F. 64, 11 [1941] ; Archiv Ohren- usw. Heilk. 162, 35 [1952]) weist auf diese Erscheinungen hin. braucht den Ausdruck „Funk­tionsentwicklung“ also in anderem Sinne als es hier ge­schieht.

den, ist ein entwicklungsgeschichtlicher Zusammen­hang zwischen beiden Strukturen sehr wahrschein­lich. Er dürfte durch elektronenmikroskopische Untersuchungen, die im Gang sind, aufgeklärt wer­den. Es zeigt sich dort ( B i e n z , unveröffentlicht), daß A- und I-Filamente zunächst zerstreut vorhanden sind. Die Myofilamente gruppieren sich aber erst zu größeren Verbänden, wenn ihre Zahl erheblich zu­genommen hat; dann werden sie im Lichtmikroskop sichtbar. Die Längsstrukturierung der Faser zeigt sich auch deutlich im Auftreten der Doppelbrechung der ganzen Muskelanlage.

Zwei Tage nach dem Sichtbarwerden der ersten Myofibrillen beginnen die bis jetzt axial gelegenen Kerne an die Faserperipherie abzuwandern. Eben­falls am 10. Tag ist die Querstreifung erstmals er­kennbar. Es werden sehr feine Punktreihen als An­deutung der späteren Z-Membran sichtbar, gleichzei­tig je zwischen zwei Z-Reihen die breiten Q-Bänder. Auch dies zeigt sich wieder in der Änderung der Doppelbrechung: Q bleibt anisotrop, I wird isotrop. Erst etwas später teilt sich das breite Q-Band durch das Auftreten der schmalen H-Schicht in ihrer Mitte; eine eigentliche M-Linie fehlt.

Die weitere Entwicklung betrifft vor allem die Ver­mehrung der Myofibrillen, die durch Längstei­lung der vorhandenen Fibrillen geschieht. Der Durchmesser der Faser nimmt dadurch auf etwa das 15 — 20-fache der anfänglichen Dicke zu.

Biochemische Untersuchungen von E i g e n m a n n

zeigten, daß das Aktomyosin zum 1. Mal am 8. Ent­wicklungstag nachweisbar ist (Viskositätsmessungen und Berechnung der ATP-Empfindlichkeit nach P o r t z e h l et a lias)4. Wenn auch noch keine genauen quantitativen Angaben über die Vermehrung der kontraktilen Substanz gemacht werden können, zeigt sich doch eine erhebliche Zunahme bis zum 15. Tag. Das Auftreten des Aktomyosins in nachweisbaren Mengen stimmt zeitlich mit dem Erscheinen der Myo­fibrillen im mikroskopischen Bild überein.

In der Abb. 1 sind die erwähnten Differenzierun­gen zusammengefaßt. Da für Antheraea pernyi mehr

2 H. N ü e s c h , Zool. Jb., im Druck.3 Das Folgende basiert z. T. auf eigenen Untersuchungen an

Antheraea polyphem us, außerdem aber auf noch unveröf­fentlichten Ergebnissen meines Schülers R. E i g e n m a n n an A. pernyi und A. polyphem us.

4 H. P o r t z e h l , G. S c h r a m m u . H. H. W e b e r , Z. Naturforschg.5 b. 61 [1950].

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ENTW ICKLUNG DER MUSKELN BEI A NT HE R AE A 345

Abb. 1. Entwicklung des dorsalen Flugmuskels von Antheraea pernyi. A • — • Faserdurchmesser, B 0 — 0 Fibrillenzahl der einzelnen Faser, C x —x ATP-Empfindlichkeit. Oben Angabe der Dauer einiger Differenzierungs-Perioden; durch Pfeile ist

das Auftreten einzelner Strukturen markiert.

Daten verfügbar sind, wurden die Werte dieser Art eingetragen. Bei A. polyphemus wurden nur unwe­sentliche Unterschiede festgestellt, z. B. eine etwas größere Dicke der imaginalen Muskelfaser. Bio­chemisch wurde A. polyphemus noch nicht unter­sucht.

Funktions-Entwicklung

Ein imaginaler Muskel kontrahiert sich in meiner Versuchsanordnung bei einem Einzelreiz von etwa 1 V durch eine kurze Zuckung. Bei steigender Fre­quenz geht die summative Verkürzung bei 30 — 32 Reizen pro sec in einen glatten Tetanus über, aus dem der Muskel aber leicht in die Zuckungsfolge von etwa 6 —8/sec herausfällt, die der Flügelschlagfre- quenz im Flug entspricht.

Werden nun die Entwicklungsstadien elektrisch gereizt, so zeigt sich die 1. Reaktion am 9. Entwick­lungstag. Die Reizschwelle ist hoch, sind doch 15 V oder noch mehr und eine Frequenz von 50/sec bei 1 msec Dauer des einzelnen Reizes erforderlich. Die Reaktion besteht in einer sehr langsamen, geringen Verkürzung, die streng lokal zwischen den in der Muskelanlage selbst steckenden Elektroden erfolgt, unter leichter Dehnung der benachbarten Teile. So­fort anschließend erschlafft der Muskel ebenso lang­sam wieder, trotz weiterer Stimulation in gleicher Stärke. Der ganze Vorgang dauert etwa 8 — 10 Se­kunden. Die Kontraktion kann wiederholt werden, aber erst nach einer Latenzzeit von 15 — 20 Sekun­den.

Schon am nächsten Tag ist die Reaktion stark ver­ändert. Die Reizschwelle für direkten Vielfachreiz ist auf 7 V gesunken, außerdem spricht die Muskel­anlage nun auch auf Ganglienreizung an, auf 3 V bei Frequenz 50/sec, auf 10 V bei Einzelreiz. Auch jetzt noch sind es langsame Verkürzungen zwischen den Elektroden, Ganglienreize ergeben vor allem Reaktionen im mittleren Faserteil, in dem primär der Nerv ansetzt. Immer noch folgt auf die Reaktion eine lange Latenzzeit. Bei einer Folge von Einzel­reizen wird daher nur der 1. Reiz beantwortet.

Wieder einen Tag später ist die Reizschwelle noch­mals gesunken, fast auf 1 V im besten Fall. Außer­dem ist aber die Kontraktion nicht mehr nur lokal, sowohl bei direkter als bei Ganglienreizung. Die Muskelanlage verkürzt sich wohl zunächst nur an einer Stelle; während sie hier wieder erschlafft, kon­trahiert sich aber der benachbarte Abschnitt, so daß im ganzen eine langsame Kontraktionswelle über die Faser wegläuft. Es kann auch bald da, bald dort zur Verkürzung kommen, was ein konvulsives Aussehen ergibt, das nicht mit der Reizfrequenz im Takt steht. Da die Verkürzungen immer nur kleines Ausmaß haben, kommt es noch nicht zu einer stärkeren Be­wegung des ganzen Thorax. Außer der elektrischen führt gelegentlich auch mechanische Reizung zur Re­aktion, z. B. das Einstechen der Elektronennadeln. In einem Fall ergab schon das Einlegen der einen Tho­raxhälfte in R i n g e r - Lösung eine leichte Verkür­zung.

Drei Tage nach dem Auftreten der 1. Kontraktion nach elektrischem Reiz verkürzt sich der Muskel zwi­schen Reizen auch spontan in langsamer Zuckung. Oft muß der Muskel mit starker Stimulation gleich­sam geweckt werden, ein nächster Reiz kann also wesentlich niedriger sein, um trotzdem beantwortet zu werden. Unmittelbar nach einer Reaktion ist der Muskel unempfindlich, auch ein wesentlich stärkerer Reiz wird nicht beantwortet. Erst nach etwa 5 sec ist die Reaktionsbereitschaft wiederhergestellt.

Wieder einen Tag später kommt es zur tetanischen Kontraktion eines Muskelbündels, indem sich die Fasern nun in Reizdauer um weniges verkürzen, bei direkter Reizung mit Frequenz 50/Sekunde.

Sechs Tage vor Schlüpfen des Schmetterlings be­obachtete ich zum l.M a l eine der charakteristischen Gesamtkontraktionen des dorsalen Längsmuskels, wie sie beim Fliegen zum Senken des Flügels erfol­gen. Es war eine bei der Präparation des Tieres auf­tretende spontane Zuckung (sofern man bei dieser

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346 H. NÜESCH

Operation überhaupt von „spontan“ sprechen kann). Der Muskel hat also jetzt die Fähigkeit und auch den Innervationsapparat für diese Reaktion zur Ver­fügung. Erst einen Tag später konnte das Ganglion zu dieser Tätigkeit elektrisch stimuliert werden. Gleichzeitig wurden auch nicht nur Zuckungen, son­dern tetanische Dauerkontraktionen erreicht, die zwei Tage später auch vom Ganglion spontan her­vorgerufen werden.

Diese tetanischen Gesamtkontraktionen sind eine Leistung, die natürlicherweise von diesem Längs­muskel kaum je gefordert wird. Er bewegt sich ja nur im Rhythmus des Flügelschlages mit Einzel­zuckungen (etwa 6 — 9 /se c ) , weit unterhalb der Te­tanusfrequenz. Bei der Imago können tetanische Kontraktionen aber durch elektrische Reize sehr leicht erhalten werden. Häufig kommt es dabei nur zur teilweisen Verkürzung, der aufgesetzt in lang­samem Spontanrhythmus erfolgende Zuckungen ab­laufen, die nach rascher Totalverkürzung sofort wie­der zurückgehen.

a Zuckung ____~ Kontraktionswelle n Tetanus

_ A 50/sec Reiz am Muskel Ä A& Einzel reiz am Ganglion V j ▲ Gesamtkontraktion \ I

MyofibrillenQuerstreifung

spont.

des Muskels \

l!f tw\

\ ' y

&—

\

_l___ I___ I___ I___ I___ I____I___ I___ I___ L0 3 6 9 12 15 18 21 Tage

Abb. 2. Funktionsentwicklung des Flugmuskels von A. poly- phem us. Die Signaturen bezeichnen den Anfang der betreffen­den Leistung nach Entwicklungszeit und erforderlicher Reiz­

stärke.

In der Abb. 2 sind diese Ergebnisse wieder zu­sammengefaßt. Es ist deutlich erkennbar, wie die verschiedenen Kontraktionsformen mit fortschreiten­der Differenzierung immer leichter geleistet werden. Das gleiche Ergebnis wird ein, zwei oder drei Tage

später mit wesentlich schwächerem Reiz erhalten, so­wohl die Zuckung, die Konvulsion, die Dauerkon­traktion einzelner Teile, als auch die Gesamtzuckung und der Gesamttetanus. Sie alle beginnen mit hoher Reizschwelle, die im Laufe der nächsten Tage auf den für die Imago charakteristischen Wert absinkt.

Diskussion

Der Vergleich zwischen Struktur-Differenzierung und Funktions-Entwicklung zeigt, daß schon die im Lichtmikroskop eben wahrnehmbaren Myofibrillen die für die Kontraktion notwendige „funktionelle Minimalstruktur“ besitzen. Die Kontraktilität tritt vor der Querstreifung auf, wie dies auch schon bei Skelett- und Herzmuskeln von Wirbeltieren 5 festge­stellt wurde. Die Leistung ist allerdings zunächst viel einfacher und schwächer. Es braucht einen bedeutend stärkeren Reiz als beim ausdifferenzierten Muskel, um überhaupt eine langsame Reaktion zu erzwin­gen. Möglicherweise erreicht die Muskelmembran den Schwellenwert der Depolarisation, der zur Kon­traktion notwendig ist, mit größerer Schwierigkeit als in späteren Stadien. Welcher Art die hiefür maß­gebenden Strukturunterschiede sind, ist noch unbe­kannt.

Eine raschere Reaktion entsteht erst mit dem Auf­treten der Querstreifung. Damit haben sich die schon vorher vorhandenen A- und I-Filamente in die defi­nitive straffe Ordnung gruppiert. Die Konvulsionen zeigen, daß die Muskelfasern nun auch auf Dehnung ansprechen. Durch lokale Verkürzung werden die benachbarten Teile gedehnt und antworten nun selbst mit Kontraktion. Nach zwei Tagen ist auch diese Phase überwunden und die ganze Muskelfaser rea­giert als Einheit. Dies dürfte vor allem durch die weitere Differenzierung des Nervensystems bedingt sein. Leider sind die auf die Entwicklung der Mus­kelinnervation gerichteten Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Wir hoffen, diese Lücke bald schlie­ßen zu können. Auch die zunehmende Durchdrin­gung mit Tracheen und die Ausbildung des energie­liefernden Fermentapparates spielen sicher eine große Rolle. Elektronenmikroskopische Untersuchun­gen ergaben eine gewaltige Vermehrung der Mito- chondrien (B ie n z , unveröffentlicht, V o g e l l 6 ) .

5 B. M. P a t t e n , Physiol. Rev. 29. 31 [1949] ; C. M. Goss, 6 W . V o g e l l . Naturwiss. Rdsch. 17, 336 [1964]. Vortrag Dtsch. Anatom. Rec. 76. 19 [1940] ; W. L. S t r a u s u . G. W e d e l l . J. Natf. u. Arzte, mir leider nur in kurzem Referat bekannt.Neurophysiology 3, 358 [1940].

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OXYGEN CONSUM PTION OF SNAIL ECGS 347

Die vorgelegten Resultate ergeben erst ein sehr unvollständiges Bild von der Beziehung zwischen Struktur- und Funktionsentwicklung. Wesentlich scheint der Nachweis, daß die Funktionsfähigkeit sich auch — ähnlich wie die Struktur — graduell ausbildet. Erst wenn auch die eben erwähnten Fra­gen beantwortet sind, wird sich ein Verständnis der gegenseitigen Abhängigkeit von Struktur und Funk­tion anbahnen können.

Es ist mir eine besondere Freude, diese Arbeit Herrn Prof. Dr. A. K ü h n z u seinem 80. Geburtstag widmen zu dürfen. Sind doch viele Überlegungen in meiner Arbeit der steten Auseinandersetzung mit seinen eigenen Arbeiten und denen seiner zahlrei­chen Schüler entwachsen.

Die physiologischen Untersuchungen wurden mit Unterstützung des S c h w e i z e r i s c h e n N a t i o ­n a l f o n d s durchgeführt.

The Developmental Rate and Oxygen Consumption of Snail Eggs at Various Temperatures*

A. G l e n n R i c h a r d s

Department of Entomology, Fisheries & W ildlife, University of Minnesota,St. Paul, Minnesota, U.S.A.

(Z. Naturforschg. 20 b , 347—349 [1965] ; eingegangen am 30. Dezember 1964)

D edicated to Prof. Dr. A. K ühn on the occasion of his 80t/l b irthday

Niedrige Temperaturen verzögern die Eientwicklung der Schnecken Australorbis glabratus und Lymnaea stagnalis stärker als ihren Sauerstoffverbrauch. Folglich bedarf die Embryonalentwicklung bei Minimaltemperaturen größerer Energie durch den Stoffwechsel. Die umfangreichen Angaben für Insekteneier lassen vermuten, daß das Stoffwechselgleichgewicht durch Inkubation bei subminimalen Temperaturen gestört wird, und daß diese Gleichgewichtsstörung des Stoffwechsels das Vorhanden­sein von Temperaturschwellen für vollständige Entwicklung bestimmt. Offenbar handelt es sich hier um eine Allgemeinerscheinung bei Eiern, denn wir haben jetzt gleichartige Ergebnisse für die Eier von Insekten, Milben, Seeigel, Schnecken und Fische erhalten.

In this laboratory we have been concerned for some years with the effects of temperature on the development of insect eggs, especially attempting to find a physiological explanation for the existence of a definite temperature threshold for hatching. On A r r h e n i u s plots the oxygen consumption of developing insect eggs plots as a straight or nearly straight line but growth rate (the reciprocal of time from laying to hatching) plots as a downwardly curved line. The amount of downward curvature may be either moderate or considerable depending on the species being considered. Since oxygen consumption is a measure of energy expenditure, inspection of the curves suggests that more energy is required for development at minimal temperatures. This has been verified by determination of weight-loss, most of which is lipid-loss, at various temperatures. It follows that minimal temperatures not only retard growth

more than they lower oxygen consumption, but that development at minimal temperatures is metabolically more expensive ( = less efficient). A review of the voluminous data from insect eggs and discussion of their significance has been given recently by R i c h a r d s *. The present study represents part of a survey to see if this phenomenon is general for animal eggs or true only for insect eggs.

Material and Methods

Two species of aquatic snails were employed. A u stra lorb is g labra tu s is from the New World tropics where the water is relatively warm at the breeding sites; Lym naea stagnalis is one of the common snails in Minnesota lakes where water temperatures during the breeding season are relatively cool though not cold. These snails were cultured throughout the year in the laboratory at room temperature (usually 22 — 27°)

* Paper Nr. 5591, Scientific Journal Series, Minnesota Agri­cultural Experiment Station, St. Paul, Minnesota, U.S.A. The author’s thanks are due to Miss M a r i a n H o l m e s for making the oxygen consumption determinations, and to

the N a t i o n a l I n s t i t u t e s o f H e a l t h for finan­cial assistance under Grant No. GM-06671 and for the colony of Australorbis glabratus.

1 A. G. R i c h a r d s , Physiol. Zoöl. 37, 199 [1964].